Definition und Pathogenese
Eine Beeinträchtigung der Hodenfunktion in Zusammenhang mit Symptomen wird als Hypogonadismus bezeichnet und beschreibt die Störung der testikulären Hormonproduktion, deren klinischer Ausdruck ein Testosteronmangel ist. Die endokrine Funktion des Hodens und die spermatogenetische Funktion sind eng miteinander verknüpft.
Liegt die Ursache des Hypogonadismus in den Testes selbst, spricht man vom hypergonadotropen oder primären Hypogonadismus. Hypothalamisch oder hypophysär bedingte Hodenfunktionsstörungen werden zum hypogonadotropen oder sekundären Hypogonadismus zusammengefasst. Eine Mischform des primären und sekundären Hypogonadismus kann als Reaktion auf inflammatorische Erkrankungen des Körpers oder Übergewicht auftreten.
Häufigkeit und Bedeutung
In Deutschland weisen etwa 2–5 % aller Männer einen Androgenmangel auf. Nicht immer ist dieser symptomatisch. Die häufigste Ursache des (primären) Hypogonadismus ist das
Klinefelter-Syndrom (1:500 männlichen Neugeborenen). Häufigste Ursache des sekundären Hypogonadismus im Erwachsenenalter sind Störungen der gonadotropen Achse durch
Hypophysenadenome. Im Kindesalter dominieren Kraniopharygeome oder angeborene Hypophysenentwicklungsstörungen gegenüber anderen Ursachen.
Ein isolierter/konnataler hypogonadotroper Hypogonadismus (CHH) ist eher selten, bei einer begleitenden Hyposmie oder Anosmie liegt ein Kallmann-Syndrom vor. Sowohl im Kindes- als auch Erwachsenenalter können erworbene sekundäre Hypogonadismusformen auch durch Tumoren in der suprasellären Region bedingt sein.
Diagnostik
Die Indikation zur Diagnostik ergibt sich im Jugendalter aus einer entweder ausbleibenden oder nicht regelrecht voranschreitenden Pubertätsentwicklung. Beim Erwachsenen führen Androgenmangelsymptome zur Vorstellung des Patienten. Diese symptomatischen Folgen des Testosteronmangels sind abhängig vom Zeitpunkt des Auftretens und vom Ausmaß des Hormondefizits (Tab.
1).
Tab. 1
Symptome eines Hypogonadismus in Abhängigkeit vom Manifestationsalter
Knochen | Nach dem 14. Lebensjahr ggf. eunuchoider Hochwuchs | |
Kehlkopf | Ausbleibender Stimmbruch | Keine Änderung |
Behaarung | Horizontale Pubeshaargrenze, gerade Stirnhaargrenze, ausbleibender Bartwuchs | Nachlassende sekundäre Geschlechtsbehaarung |
Haut | | Atrophie, Blässe, Hautfältelung |
| | Leichte Anämie |
Muskulatur | Kindlich | Atrophisch |
Penis | Von infantiler Größe | Keine Größenänderung |
Prostata | Von infantiler Größe | Atrophisch |
Hoden | | Hodenvolumenabnahme |
Spermatogenese | Nicht initiiert | Sistiert |
Ejakulat | Anejakulation | Abnehmendes Ejakulatvolumen |
Libido | Nicht entwickelt | Verlust |
Potenz | Nicht entwickelt | |
Therapie
Endokrine Störungen der Hodenfunktion
sind durch die hormonelle Substitutionstherapien gut behandelbar und vermitteln den Patienten eine hohe
Lebensqualität.
Testosteronsubstitution
Alle Formen des Hypogonadismus bedürfen langfristig der Substitution mit
Testosteron, die i. m., transdermal, oral oder bukkal durchgeführt werden kann. Eine Testosterongabe bei
Kinderwunsch, unbehandelten
Prostatakarzinomen oder malignen Mammatumoren ist kontraindiziert (Tab.
2). Zur Substitution sollte ausschließlich das „natürliche“ Testosteron verwandt und physiologische Serumwerte angestrebt werden. Synthetische
Androgene und anabole Steroide haben nicht das volle Wirkspektrum des Testosterons (z. T. nicht in
Östrogene aromatisierbar) und sind deshalb für die Behandlung des Hypogonadismus nicht geeignet (Tab.
3).
Tab. 2
Verfügbare Testosteronpräparate und Dosierung bei Erwachsenen
Oral | Andriol Testocaps (40 mg) | Testosteronundecanoat | 2–4 Kapseln/Tag mit fetthaltiger Mahlzeit |
Transdermalgel | Testim (50 mg Tube) Testogel (Dosierspender) Tostran (Mehrdosenbehälter) Testotop Gel (62,5 oder 125 mg) | Testosteron | 1-mal tgl. auf Rumpf oder Arme auftragen, Dosisanpassungen sind möglich 1–2 Hübe pro Tag |
Intramuskulär | Testosteron-Depot (250 mg) Nebido (1000 mg) | Testosteronenanthat Testosteronundecanoat | Alle 2–3 Wochen Aufsättigung 0–6–18, dann alle 12 (10–14) Wochen |
Tab. 3
Zielparameter und Überwachungsmodalitäten einer Androgensubstitution
Rotes Blutbild | | Alle 3 Monate | 1- oder 2-mal pro Jahr | ≥18,0 g/dl oder ≥52 % (Dosisreduktion) |
Prostata | Größe (TRUSb) | Alle 6 Monate | 1- oder 2-mal pro Jahr | Symptome des Harnverhalts (Dosisreduktion oder urologisch-med. Therapie) |
Palpation | Alle 6 Monate | 1- oder 2-mal pro Jahr | Pathologisches Ergebnis (Absetzen/Biopsie) |
PSA | Alle 6 Monate | 1- oder 2-mal pro Jahr | 4 ng/ml oder „PSA velocity“ >0,4 ng/ml/Jahr nach dem 1. Jahr und absoluter PSA-Wert >1 ng/ml (Absetzen/Biopsie) |
Haar | Beobachtung | Alle 6 Monate | Jährlich | Unerwünschter Haarausfall (Dosisreduktion oder anderes Präparat) |
Schlaf | Nachfrage oder Schlafapnoe-Monitoring | Alle 6 Monate | Jährlich | Schlafapnoe (Dosisreduktion oder anderes Präparat, adäquate Therapie) |
Haut | Beobachtung | Alle 3 Monate | Jährlich | (Dosisreduktion oder anderes Präparat) |
Lipidprofil | | Alle 6 Monate | Jährlich | Bei diesen Parametern sind keine negativen Änderungen bekannt |
Knochen | | Nach 1 Jahr | Alle 2 Jahre | |
Sexualität | Nachfrage | Alle 3 Monate | 1- oder 2-mal pro Jahr | |
Stimmung | Nachfrage | Alle 3 Monate | 1- oder 2-mal pro Jahr | |
Therapie des hypogonadotropem Hypogonadismus bei gleichzeitigem Kinderwunsch
Obwohl eine Testosteronsubstitution beim Adoleszenten oder Erwachsenen mit hypogonadotropem Hypogonadismus die unzureichende Virilisierung vollständig (wieder-)herstellen kann, erfolgt bei dieser Form der Therapie keinerlei Stimulation der testikulären Leydig-Zellen und keine Stimulation der Sertoli-Zellen. Daher resultiert keinerlei Hodenwachstum und keine Aktivierung der Spermatogenese. Um beim Adoleszenten mit ausgebliebener
Pubertät eine vollständig „normale“ Pubertätsentwicklung mit einem pubertären Hodenwachstum und einer Aktivierung der Spermatogenese zu erzielen, ist eine Substitution der zentralen Hormone (GnRH, LH [hCG], FSH) durch subkutane Injektionen mehrmals pro Woche erforderlich. Gleiches gilt für den Erwachsenen mit
Kinderwunsch. Eine solche Behandlung ist in spezialisierten Zentren durchzuführen, weil sie Erfahrung in der Dosisanpassung und Patientenführung benötigt.