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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 23.01.2024

Erbliche und kongenitale Erkrankungen der Nieren und des UGT

Verfasst von: Oliver Gross
Dieser Beitrag beschreibt einzelne Erkrankungen, für die der Zusammenhang zwischen einer Variante im krankheitsrelevanten Gen und dem klinischen Krankheitsbild gesichert ist. Aufgrund der Seltenheit der meisten genetischen Erkrankungen bzw. angeborenen Fehlbildungen sind jedoch spezifische Empfehlungen im klassischen Sinne einer „evidence-based medicine“ oft nicht umfassend möglich. Prinzipiell gelten aber die allgemeinen evidenzbasierten Empfehlungen zur Behandlung der krankheitsassoziierten Komplikationen wie Hypertonie und Niereninsuffizienz. Viele genetische und noch mehr die kongenitalen Nierenerkrankungen sind Systemerkrankungen nicht nur der Niere, oft sind andere Organsysteme in unterschiedlichem Ausmaß ebenfalls dysplastisch ausgebildet und bedürfen einer multidisziplinären Betreuung.

Einleitung

Dieser Beitrag beschreibt einzelne Erkrankungen, für die der Zusammenhang zwischen einer Variante im krankheitsrelevanten Gen und dem klinischen Krankheitsbild gesichert ist. Aufgrund der Seltenheit der meisten genetischen Erkrankungen bzw. angeborenen Fehlbildungen sind jedoch spezifische Empfehlungen im klassischen Sinne einer „evidence-based medicine“ oft nicht umfassend möglich. Prinzipiell gelten aber die allgemeinen evidenzbasierten Empfehlungen zur Behandlung der krankheitsassoziierten Komplikationen wie Hypertonie und Nierenkrankheit. Viele genetische und noch mehr die kongenitalen Nierenerkrankungen sind Systemerkrankungen nicht nur der Niere, oft sind andere Organsysteme in unterschiedlichem Ausmaß ebenfalls dysplastisch ausgebildet und bedürfen einer multidisziplinären Betreuung.
Bei vielen genetischen und kongenitalen Nierenerkrankungen finden sich multimodale Ursachen der daraus entstehenden Nierenkrankheit und die spezifische Therapie ist nicht möglich oder noch sehr komplex. Sie können die Prognose Ihrer Patientinnen und Patienten bezüglich Fortschreitens der Nierenkrankheit und der Lebenserwartung oft durch die allgemeinen Regeln zur präventiven Therapie von Komplikationen entscheidend verbessern. Behandeln Sie konsequent die Sekundärkomplikationen (wie z. B. eine renale Hypertonie): Mutmaßlich sterben mehr nierenkranke Patienten an den von uns Internistinnen und Internisten unzureichend behandelten Sekundärkomplikationen als an der Nierenerkrankung selbst (Abb. 1).
Gerade genetische und kongenitale Nierenerkrankungen können oft präemptiv vor Ausbruch der Erkrankung diagnostiziert werden. Daher liegt hier ein hoher Stellenwert auf einer frühzeitigen Behandlung (Boeckhaus und Gross 2023). Als allgemeine Regeln gelten für alle nachfolgend aufgeführte Erkrankungen:
  • Allgemein verbessert ein gesunder Lebensstil mit fleisch- und salzreduzierter mediterraner Kost, Ausdauersportarten, eine optimale Blutdruckeinstellung und ein normales Körpergewicht langfristig am meisten die Gesamtprognose (im Vergleich zu spezifischen Therapien).
  • Nierenschützende Therapie der Wahl sind ACE-Hemmer (oder AT1-Antagonisten = Angiotensin-II-Rezeptor vom Suptyp 1 Antagonisten z. B. bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern = Angiotensin-Converting-Enzym Hemmern) bei praktisch jeder chronischen Niereninsuffizienz. Sie reduzieren nicht nur den Blutdruck, sondern regulieren das lokale Angiotensinsystem der Nierenzellen, schützen das Herz und bessern so die renale Prognose und die Gesamtprognose. Die Kombination ACE-Hemmer mit AT1-Antagonisten im Sinne der doppelten (RAS-Blockade = Renin-Angiotensin-System-Blockade) sollte vermieden werden. Zugelassen bei Erwachsenen mit chronischer Nierenerkrankung ist z. B. Ramipril 1-mal täglich in einschleichender Dosierung, beginnend mit 2,5 mg, schrittweise steigern bis 10 mg.
  • Wenn die Nierenerkrankung fortschreitet, sind die SGLT2-Inhibitoren (Sodium-Glucose-Cotransporter 2) in Kombination mit ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten insbesondere bei glomerulären Erkrankungen die Therapie der Wahl. Zugelassen bei Erwachsenen mit chronischer Nierenerkrankung ist Dapagliflozin oder Empagliflozin 1-mal täglich 10 mg (keine einschleichende Dosierung).
  • Jedes weitere Medikament aus anderen Substanzklassen, das die Proteinurie weiter senkt, verbessert die Gesamtprognose.
  • Bei Fettstoffwechselstörungen (z. B. Dyslipoproteinämie infolge nephrotischem Syndrom) verbessern HMG-CoA-Reduktasehemmer (3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A-Reduktase) (Statine) möglicherweise über pleiotrophe Effekte die Gesamtprognose.
  • Vitamin D-Analoga verbessern bei einem sekundären/tertiären Hyperparathyreoidismus infolge der Nierenerkrankung möglicherweise über pleiotrophe Effekte die Gesamtprognose.
  • Ein „schwerer“ Genotyp (Genotyp-Phänotyp-Korrelation) führt bei vielen genetischen Nierenerkrankungen zu einer schlechteren Prognose (und sollte daher zu engmaschigeren Kontrollen und ggf. zu einer früheren Therapie führen). Erste Gentherapien werden derzeit in Phase-2-Studien untersucht.
  • Chronische Entzündungen verschlechtern den Verlauf von chronischen Nierenerkrankungen. Dies gilt insbesondere für rezidivierende bakterielle Infekte oder einen schlechten Zahnstatus, möglichweise auch die Darmflora. Dies spricht für eine großzügige, aber leitliniengerechte Indikationsstellung zur (antibiogrammgerechten) antibiotischen Therapie bzw. operativen Sanierung von Entzündungsherden.
  • Nephrotoxische Medikamente und chronischer Schmerzmittelgebrauch verschlechtern den Verlauf von chronischen Nierenerkrankungen.
  • Eine optimale Blutdruckeinstellung wirkt nicht nur nephroprotektiv, sondern verbessert auch die Gesamtprognose. Je nach Grunderkrankung und Ausmaß der Proteinurie sollte der Blutdruck in der 24-h-Messung bei unter 130/80 mmHg, zum überwiegenden Teil auch unter 125/75 mmHg liegen bzw. unter die 50 %-Alters-Perzentile bei Kindern. Insbesondere bei jungen Betroffenen verläuft die arterielle (renale) Hypertonie subklinisch und führt unbehandelt schon früh (und unnötig) zu Endorganschäden wie Herzhypertrophie.
  • Rauchen ist grundsätzlich schädlich, dies gilt auch und insbesondere für chronische Nierenerkrankungen. Motivieren Sie Ihre Patientin oder Ihren Patienten, das Rauchen aufzugeben und Raucherentwöhnungsprogramme zu besuchen. Das Rauchen aufzugeben ist eine preiswerte Therapie und effektiver als die meisten spezifischen Medikamente, reduziert die Komplikationsrate und verbessert die Gesamtprognose. Kein Medikament ist so effektiv wie die Nikotinabstinenz!
Den 2 häufigsten genetischen Nierenerkrankungen, die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) und das Alport-Syndrom, sind eigene Kapitel gewidmet (Kap. „Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) und Kap. „Alport-Syndrom“).
Die angeführten Therapiemöglichkeiten gelten generell für alle chronischen Nierenerkrankungen. In den nachfolgenden Unterkapiteln werden die speziellen Aspekte der einzelnen genetischen und kongenitalen Krankheiten abgehandelt.

Zystische Nierenerkrankungen

Die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung wird in einem gesonderten Kapitel behandelt (Kap. „Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)“).

Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)

Die ARPKD ist eine seltene Nephropathie mit zystischer Erweiterung vor allem der Sammelrohre. Das verantwortliche Gen heißt PKHD1. Die Diagnose wird vorwiegend im Kindes- und Jugendalter gestellt, insbesondere aufgrund der obligat meist schweren Leberbeteiligung im Sinne einer kongenitalen Leberfibrose (Liebau 2021).
Die Klinik der ARPKD entwickelt sich schon früh im Kindesalter und ist geprägt von der Leberfibrose. Sonografisch sind die bilateral vergrößerten, palpablen Nieren gut zu erkennen. Sekundärkomplikationen wie eine renale Hypertonie und rezidivierende Harnwegsinfekte sind häufig. Bei älteren Kindern kommt es unter Umständen zu Ösophagusvarizenblutungen infolge der portalen Hypertonie bei Leberzirrhose (Liebau 2021).
Die Diagnostik beinhaltet:
  • Sonografisch vergrößerte Nieren mit erhöhter Echogenität und gleichzeitig negativer Ultraschallbefund bei den Eltern. Bei typischem fetalen Sonografiebefund der Nieren und negativem Ultraschallbefund der Eltern ist auch bei bisher unauffälliger Familienanamnese die Diagnose einer ARPKD mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich.
  • Die Leberbiopsie zur Diagnosesicherung aufgrund der Leberfibrose (mit portaler Hypertonie).
  • Eine ergänzende molekulargenetische Diagnostik ist im Regelfall eine wertvolle Ergänzung, auch wenn die klinische Diagnostik (Zystennieren mit Leberzirrhose im Kindesalter) eindeutig erscheint. Bei bekannter Variante ist zudem eine frühe, pränatale Diagnose molekulargenetisch möglich.
Die Differenzialdiagnose von ARPKD umfasst:
  • Eine frühe Manifestation der autosomal-dominanten Zystennieren (PKD1),
  • “renal cysts and diabetes syndrome” (RCAD),
  • oligosymptomatische Syndrome (z. B. Meckel-Syndrom, Bardet-Biedl-Syndrom).
Die Therapie umfasst einen supportiven und einen (krankheits-)modifizierenden Ansatz:
  • Die supportive Therapie beinhaltet eine frühzeitige, sorgfältige Hypertoniebehandlung (Ziel-RR um die 50. Altersperzentile), vorzugsweise mit ACE-Hemmern (ersatzweise AT1-Antagonisten), Lebensstilmodifikationen, Wachstumshormongabe und die konsequente Therapie von Infekten, insbesondere Harnwegsinfekten (z. B. Chinolone wegen guter Zystenpenetration, alternativ Cephalosporine).
  • Die modifizierende Therapie erfolgt – je nach Schwere der Organbeteiligung – mittels Leber- oder Nierentransplantation bzw. häufig mittels Leber-Nieren-Doppeltransplantation. Die genetische Erkrankung rekurriert im Transplantat nicht.
Die Prognose der jungen Patienten wird bereits früh geprägt von der Schwere der Organbeteiligung, insbesondere der Leberzirrhose mit portaler Hypertension.

Renal-cysts-and-Diabetes-Syndrom (RCAD)

Das RCAD ist eine autosomal-dominante Erkrankung mit MODY-Diabetes (Maturity Onset Diabetes of the Young) und einer variabel ausgeprägten Nephropathie. Das verantwortliches Gen HNF1B kodiert für den Hepatic Nuclear Factor 1β (Nittel et al. 2023).
Die Klinik des RCAD umfasst ein variables Spektrum von Nierenveränderungen:
  • Schwere Manifestationen mit bilateralen Agenesien der Niere,
  • Dysplasien und Zysten in variablen Ausprägungen,
  • unilaterale Manifestationen.
Das klinische Bild kann den polyzystischen Nierenerkrankungen ADPKD und ARPKD ähneln. HNF1B-Varianten wurden auch bei Patienten mit autosomal-dominant erblichen glomerulären Zystennieren nachgewiesen. Einen Diabetes entwickeln etwa 60 % der Variantenträger in einem mittleren Alter von unter 30 Jahren. Seltener finden sich auch Fehlbildungen des weiblichen Genitaltrakts (Nittel et al. 2023).
Die Diagnostik beinhaltet
  • eine sorgfältige Familienanamnese und Ultraschalluntersuchung der Nieren auch bei den Eltern und weiteren Familienmitgliedern,
  • in regelmäßigen Abständen einen Glukosetoleranztest bei Patienten mit noch nicht manifestem Diabetes,
  • die molekulargenetische Untersuchung ist wegen der großen klinischen Variabilität zur Diagnosesicherung oft sehr hilfreich.
Die Differenzialdiagnose sollte neben anderen zystischen Nierenerkrankungen auch andere Formen des MODY-Diabetes einschließen.
Die Therapie ist derzeit noch supportiv geprägt mit einer sorgfältigen Hypertoniebehandlung (Ziel-RR um die 50. Altersperzentile), vorzugsweise mit ACE-Hemmern (ersatzweise AT1-Antagonisten), Lebensstilmodifikationen und die konsequente Therapie von Infekten. Die Prognose ist je nach klinischer Ausprägung variabel.

Nephronophthise

Die Nephronophthise ist eine relativ häufige genetische Ursache für ein terminales Nierenversagen bei Kindern und Jugendlichen. Die autosomal-rezessive, tubulointerstitielle Nephropathie führt zu Aufsplitterungen der tubulären Basalmembranen, tubulointerstitieller Fibrose und Zystenbildung an der Rinde-Mark-Grenze der Nieren (Stokman et al. 1993–2023).
In der Klinik stehen im Vordergrund eine Polyurie und Polydipsie durch die gestörte Konzentrationsfähigkeit der Nieren und die daraus folgende Wachstumsretardierung. Viele Kinder erreichen bereits vor dem Erwachsenenalter das terminale Nierenversagen, die Häufigkeit von adulten Formen steigt aber aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit genetischer Diagnostik („medulläre Zystennieren, MCKD“). Mögliche assoziierte Symptome sind eine Retinopathie und Leberfibrose. Beim Bardet-Biedl-Syndrom finden sich zudem auch eine Polydaktylie, Adipositas, Diabetes sowie variable neurologische Störungen oder mentale Einschränkungen (Stokman et al. 1993–2023).
Die Diagnostik umfasst:
  • Sonografisch finden sich eine verwaschene Rinden-Mark-Differenzierung und (ab dem Grundschulalter) medulläre Zysten bei einer normalen und nur gering verringerten Nierengröße.
  • Die Nierenbiopsie zeigt klassische kleinzystische Tubulusstrukturen neben atrophischen Tubuli.
  • Die molekulargenetische Diagnostik ergänzt oftmals die Nierenbiopsie durch Nachweis von Varianten in den verschiedensten Genen (NPHP1 bis NPHP10 und weitere). Beim Bardet-Biedl-Syndrom können Varianten in den BBS1- und BBS12-Genen mit einer Nephronophthise einhergehen.
Die Differenzialdiagnose der Nephronophthise umfasst:
  • Medulläre Zystennieren (seltene, autosomal-dominante Nierenerkrankung mit sehr ähnlichen Symptomen; Nierenversagen allerdings oft erst im Erwachsenenalter),
  • ARPKD (siehe Abschn. 2.1),
  • chronisch rezidivierende Pyelonephritiden,
  • Oligomeganephronie.
Die Therapie ist auch hier derzeit noch supportiv geprägt mit einer sorgfältigen Hypertoniebehandlung (Ziel-RR um die 50. Altersperzentile), vorzugsweise mit ACE-Hemmern (ersatzweise AT1-Antagonisten), Lebensstilmodifikationen, Wachstumshormongabe und die konsequente Therapie von Infekten. Die Prognose ist je nach klinischer Ausprägung variabel. Die modifizierende Therapie erfolgt mittels Nierentransplantation. Die genetische Erkrankung rekurriert im Transplantat nicht.

Hereditäre nephrotische Glomerulopathien

Zur Gruppe der hereditären nephrotischen Glomerulopathien zählt eine sehr heterogene Menge an Nephropathien mit strukturellem Podozytenschaden, großer Proteinurie und fortschreitendem Nierenfunktionsverlust. Die stetig steigende Vielzahl von verantwortlichen Genen kodieren für Funktions- und Strukturporteine aus fast allen zellulären Kompartimenten der Podozyten oder der glomerulären Basalmembran. Kindliche Formen sind überwiegend autosomal-rezessiv (Ausnahme WT1-Genmutationen), sich später manifestierende Formen werden meist autosomal-dominant vererbt (De Groof et al. 2023).
Die wichtigsten verantwortlichen Gene sind folgende (sortiert nach Manifestationsalter):
Von diesen isolierten monogenetischen Formen der hereditären nephrotischen Glomerulopathien sind teils syndromale Formen abzugrenzen (de Groof et al. 2023).
Die Klinik umfasst das Vollbild des nephrotischen Syndroms mit Ödemen, Hypalbuminämie und Hyperlipidämie. Aufgrund der genetischen Ursache sprechen die Betroffenen klassischerweise nicht auf eine Steroidtherapie an. Durch den Verlust von Serumeiweißen wie Immunglobulinen, Antithrombin III und thyroxinbindendes Globulin kommt es zur Infektneigung, zu Thrombosen, Thrombembolien und Hypothyreose als Sekundärkomplikationen. Fast alle Formen führen zu einer fortschreitenden Nierenkrankheit. Kindliche Formen manifestieren sich in der Regel durch die Symptome des renalen Proteinverlusts, bei adulten Formen stehen hingegen oft die Symptome der progressiven Nierenkrankheit im Vordergrund. Extrarenale Manifestationen wie Augen-, Zentralnervensystem (ZNS)-, Skelett- oder Geschlechtsanomalien sind ein wichtiger Wegweiser für seltene syndromale Erkrankungen aus dem Spektrum der hereditären nephrotischen Glomerulopathien.
Auch wenn die primäre Betreuung der Betroffenen oft allgemeininternistisch bzw. pädiatrisch ist, sollte die Diagnostik durch den mit seltenen Nierenerkrankungen erfahrenen Spezialisten initial breit angelegt werden und interdisziplinär besprochen werden, um bei den komplexen Formen keine Organkomplikationen zu übersehen:
  • Sorgfältige Familienanamnese
  • Labor zur Abklärung auf eine Hypalbuminämie, Hyperlipidämie, normale Komplementspiegel, Serumkreatinin, unauffälliges Urinsediment und große (glomeruläre) Proteinurie
  • Nierenbiopsie: Bei Kindern sollte in der Regel in der Initialdiagnostik auf eine Nierenbiopsie verzichtet werden zugunsten einer genetischen Untersuchung. Bei der Nierenbiopsie reicht der Befund von der „Minimal-change-Nephropathie“ bis zur fokal-segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) und diffuser Sklerose (manche frühkindliche Formen) (FSGS, eher bei später manifestierenden Formen).
  • Molekulargenetische Diagnostik: Die hochqualitative Multi-Gen-Panel-Diagnostik wird von mehreren Laboren angeboten und ist ambulanten Bereich zumeist extrabudgetär (Überweisungsschein Labor, Muster 10). Hierzu sollte immer mit dem Labor und dem Facharzt für Humangenetik Kontakt aufgenommen werden: Jede genetische Diagnostik wird deutlich besser, wenn der Humangenetiker die molekulargenetischen Befunde (z. B. Variante unklarer Signifikanz) mit den klinischen Befunden der Internistin oder Internisten abgleichen kann. Die genetische „Trefferquote“ liegt insbesondere bei den kongenitalen und kindlichen steroidresistenten Formen deutlich über 50 %. Bei therapierefraktären Formen der FSGS des Erwachsenenalters (mit teils auch positiver Familienanamnese) gelingt ein Variantennachweis in den Genen von mitunter noch bei über 20 %. Diese recht hohe Trefferquote rechtfertigt die breite Anwendung der molekulargenetischen Diagnostik bei diesem Patientengut, da die genetische Diagnose zur Prognoseabschätzung (auch nach Transplantation) dient und gefährliche immunsuppressive Therapien vermeidet.
Wichtige Differenzialdiagnosen sind:
Die Therapie verfolgt einen supportiven und einen (krankheits-)modifizierenden Ansatz, aber auch das Vermeiden nichtindizierter Immunsuppressiva:
  • Die supportive Therapie beinhaltet Lebensstilmodifikationen (siehe Abb. 1) und die konsequente Therapie von Infekten.
  • Die modifizierende Therapie umfasst bei extremen Formen die Albumin-, Immunoglobulin-, und Schilddrüsenhormonsubstitution.
  • Das Vermeiden von gefährlichen sinnlosen Immunsuppressiva wie Steroiden, Ciclosporin und Rituximab hat einen sehr hohen Stellenwert, wenn die genetische Genese der Erkrankung gesichert ist.
Die Prognose der Patientinnen und Patienten ist zu unterschiedlich, um generelle Regeln aufzustellen. Sehr wichtig ist, dass die Betroffenen in der Regel eine gute Erfolgsrate und gutes Organüberleben bei Nierentransplantation haben, da die genetische Erkrankung im Transplantat nicht rekurriert.

Hereditäre tumoröse Erkrankungen mit Nierenbeteiligung

Von-Hippel-Lindau-(VHL-)Syndrom

Das von-Hippel-Lindau-Syndrom ist eine autosomal-dominante hereditäre Tumordispositionserkrankung mit Beteiligung des Zentralnervensystems, der Netzhaut, des Pankreas, der Nieren und Nebennieren und anderen Organen (Larcher et al. 2022). Die Prävalenz der Erkrankung liegt bei 1:36.000 mit einer hohen Rate an Neumutationen (ca. 20 %). Das verantwortliche Gen heißt VHL.
In der Klinik stehen im Vordergrund (Larcher et al. 2022):
  • Hämangioblastome des Zentralnervensystems und dadurch je nach Lokalisation Kopfschmerzen, Ataxie, neurogene Schmerzen, Sensibilitätsstörungen oder andere neurologische Zeichen,
  • Visusverlust oder Gesichtsfeldausfälle bei Angiomatosis retinae,
  • renale Manifestationen, die anfangs als Nierenzysten imponieren, die zu Nierenzellkarzinomen entarten. Diese tragen ganz wesentlich zur Mortalität beim VHL-Syndrom bei,
  • arterielle Hypertonie bei solitären oder multiplen Phäochromozytomen,
  • Pankreaszysten, die meist asymptomatisch bleiben.
Die klinischen Diagnosekriterien sind 2 oder mehr typische Läsionen (2 Hämangioblastome oder ein Hämangioblastom plus ein viszeraler Tumor) beim sporadischen Fall, eine oder mehrere typische Läsionen bei positiver Familienanamnese.
Die Diagnostik umfasst:
  • Eingehende Familienanamnese und klinische Untersuchung,
  • Magnetresonanztomographie (MRT) mit Gadolinum zur Diagnostik des Hämangioblastom des ZNS oder des Rückenmarks,
  • Opththalmoskopie in Mydriasis zur Diagnostik der Angiomatosis retinae,
  • bei Verdacht auf Phäochromozytom: Plasma- und Urinkatecholamine, Jodbenzylguanidin-Szintigrafie; doppelseitiges Vorkommen möglich,
  • Ultraschall des Abdomens, Sonografie auch der Testes (Zystadenome des Nebenhodens),
  • die Diagnose wird gesichert durch die Molekulargenetik. Die Genetik hilft insbesondere wegen des sehr variablen Krankheitsbildes oft sehr weiter. Sie eignet sich ggf. zur prädiktiven (präsymptomatischen) Diagnostik in betroffenen Familien.
Zur Differenzialdiagnose gehören
  • das familiäre papilläre Nierenkarzinom und
  • andere tumoröse Erkrankungen.
Eine kausale Therapie ist nicht möglich. Bei einer retinalen Angiomatosis erfolgt eine Lasertherapie oder strahlentherapeutische Verfahren wie Brachytherapie. Bei Hämangioblastomen ist ggf. eine operative Resektion notwendig, ebenso wie bei Nierenkarzinomen und Phäochromozytomen. Da der Anteil gesunden Nierengewebes durch die Resektionen immer kleiner wird, hat auch hier die supportive Therapie (siehe Abb. 1) einen hohen Stellenwert.
Die Betroffenen haben durch ihre genetische Tumorprädisposition ein lebenslanges Erkrankungs- und Entartungsrisiko. Folgerichtig verbessern jährliche Kontrolluntersuchungen die Prognose erheblich: dazu gehören eine Ophthalmoskopie und Blutdruckmessung ggf. mit Urinkatecholaminbestimmung. Ein abdomineller Ultraschall insbesondere der Nieren dient zur Früherkennung von Nierenzellkarzinomen, noch besser geeignet erscheint die Magnetresonanztomografie (MRT) des Abdomens im jährlichen Abstand. Je nach neurologischer Symptomatik empfiehlt sich zudem eine kraniospinale MRT mit Kontrastmittel im individuellen Abstand der Untersuchung.

Tuberöse Sklerose (TSC)

Die tuberöse Sklerose ist eine autosomal-dominant vererbte Multisystemkrankheit mit lokalen Gewebeanomalien (Hamartien). Besonders häufig sind Gehirn, Haut, Herz und Niere betroffen (Pietrobon und Stanford 2023). Die Prävalenz liegt bei ca. 1:15.000 mit einem sehr hohen Anteil an Neumutationen (über 50 %). Die verantwortlichen Gene heißen TSC1 und TSC2.
Die Klinik ist insgesamt sehr variabel, Leitsymptome sind eine Epilepsie zusammen mit typischen kutanen Manifestationen:
  • An der Haut findet man hypomelanotische Flecken, ab dem Schulalter auch faziale Angiofibrome, und später im Erwachsenenalter Koenen-Tumoren der Finger- und Fußnägel.
  • Zerebral zeigen sich periventrikulär verkalkte Gliaknoten, kortikale Tubera, seltener Zysten, Heterotopien, und Riesenzellastrozytome. Die zerebrale Beteiligung kann sich klinisch neben der frühkindlichen Epilepsie auch mit geistiger Behinderung und Verhaltensstörungen wie z. B. Autismus zeigen.
  • Am Auge sind Hamartome in der Retina nachweisbar.
  • Am Herzen zeigen sich (grundsätzlich reversible) fetale und neonatale Rhabdomyome.
  • An der Lunge kann durch Aussaat von renalen Angiomyolipomen eine Lymphangiomyomatose entstehen. Diese sekundäre Manifestation der TSC trifft fast ausschließlich Frauen im geburtsfähigen Alter.
  • An der Niere finden sich bei fast allen Betroffenen ab der 2. Lebensdekade zunehmend Angiomyolipome mit variierenden Anteilen von Fettgewebe, abnormen Blutgefäßen und glatter Muskulatur. Die Angiomyolipome können zu lebensbedrohlichen retroperitonealen Blutungen führen.
Die Diagnose umfasst:
  • Die Inspektion der Haut und Fingernägel,
  • die Untersuchung des Augenhintergrundes,
  • die Sonografie der Nieren,
  • die Echokardiografie insbesondere bei Kindern,
  • eine hochauflösende Computertomografie (hrCT) der Lunge bei jungen Frauen zum Ausschluss einer pulmonalen Lymphangiomyomatose,
  • die molekulargenetische Untersuchung als Goldstandard zur Sicherung der Diagnose und genetischen Beratung.
Die Differenzialdiagnose beinhaltet
Die Therapie erfolgt nach dem jeweiligen Organbefall und dem Schweregrad der Symptomatik. Die Therapie umfasst einen supportiven und einen (krankheits-)modifizierenden Ansatz (Pietrobon und Stanford 2023):
1)
Die supportive Therapie beinhaltet Lebensstilmodifikationen (siehe Abb. 1).
 
2)
Die modifizierende Therapie der (grundsätzlich gutartigen) Angiomyolipome der Nieren erfolgt antiproliferativ mittels Everolimus (Handelsnahme Votubia®) unter Spiegelkontrolle. Hierunter reduziert sich das Volumen der Angiomyolipome um 40 % und die Blutungsgefahr sinkt. Bei einem Tumordurchmesser von mehreren Zentimetern oder deutlicher Größenzunahme sollte wegen der Gefahr von Blutungen die operative Entfernung oder besser Kathetherembolisation erwogen werden.
 
Die Prognose ist variabel je nach Schwere des Befalls der Nieren und der Therapierbarkeit der Epilepsie. Die genetische Erkrankung rekurriert im Nierentransplantat nicht.

Speichererkrankungen

Speichererkrankungen, die auch die Niere betreffen, werden in einem eigenen Kapitel behandelt (Kap.„Nierenbeteiligung bei Systemerkrankungen – Morbus Fabry“).

Congenital Anomalies of the Kidney and Urinary Tract (CAKUT)

Unter dem Begriff CAKUT („congenital anomalies of the kidney and urinary tract) werden verschiedene angeborene Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege zusammengefasst. Die CAKUT-Phänotypen machen zusammengenommen etwa 15–30 % aller pränatal diagnostizierten Fehlbildungen aus (Chevalier 2023). Die Mehrzahl aller terminalen Nierenversagen bei Kindern und Jugendlichen werden durch CAKUT-Anomalien verursacht. Die damit verbundenen chronischen Gesundheitsprobleme ziehen sich bis ins Erwachsenenalter und sind daher relevant auch für die Innere Medizin. Die Diagnosestellung erfolgt insbesondere mit Ultraschall, wobei bei vielen Kindern eine Kombination verschiedener CAKUT-Phänotypen nachgewiesen wird. CAKUT tritt zu etwa 85 % sporadisch auf, zu etwa 15 % familiär. Das Vererbungsmuster ist häufig dominant, kann aber auch rezessiv sein. CAKUT kann isoliert auftreten, aber auch als Teil einer syndromalen Erkrankung. Variable Expressivität und inkomplette Penetranz sind bei CAKUT häufig. Eine Abklärung der genetischen Ursache ist für die Präzisierung von Wiederholungsrisiken sowie eine gezielte Untersuchung von CAKUT-Patientinnen und Patienten im Hinblick auf extrarenale Phänotypen von klinischer Bedeutung. Die spezielle Therapie erfolgt zumeist vor dem Erwachsenenalter kindernephrologisch und kinderurologisch. Im Erwachsenenalter hat auch hier die supportive Therapie einen hohen Stellenwert (siehe Abb. 1).
Literatur
Boeckhaus J, Gross O (2023) Kollagenopathien und Alport-Syndrom. Nephrologie. https://​doi.​org/​10.​1007/​s11560-023-00665-3
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De Groof J, Dachy A, Breysem L, Mekahli D (2023) Cystic kidney diseases in children. Arch Pediatr 30(4):240–246. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​arcped.​2023.​02.​005CrossRefPubMed
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Nittel CM, Dobelke F, König J, Konrad M, Becker K, Kamp-Becker I, Weber S, NEOCYST consortium (2023) Review of neurodevelopmental disorders in patients with HNF1B gene variations. Front Pediatr 11:1149875. https://​doi.​org/​10.​3389/​fped.​2023.​1149875CrossRefPubMedPubMedCentral
Pietrobon A, Stanford WL (2023) Tuberous sclerosis complex kidney lesion pathogenesis: a developmental perspective. J Am Soc Nephrol. https://​doi.​org/​10.​1681/​ASN.​0000000000000146​
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