Unter Phakomatosen
(phakos = die Linse, der Fleck) wird eine Gruppe von Erkrankungen verstanden, die sich an Organen ektodermalen Ursprungs, also z. B. Nervensystem, Auge oder Haut manifestiert. Wir zählen hierzu die
Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2 sowie die
tuberöse Sklerose. Bei dieser kongenitalen Krankheitsgruppe bilden sich u. a. Tumoren. Häufig unter den Phakomatosen subsumiert werden auch
Angiomatosen an Geweben neuroektodermalen Ursprungs. Sie haben teilweise ebenfalls Tumoreigenschaften wie die Hippel-Lindau-Krankheit, während andere ausschließlich dysontogenetischen Charakter haben (z. B. Sturge-Weber-Angiomatose). Oft unter den Phakomatosen subsumiert werden auch einige weitere seltene angiomatöse neurokutane Syndrome wie das Klippel-Trenaunay-Weber-Syndrom, die Rendu-Osler-Weber-Krankheit, das epidermale Nävussyndrom und andere. Die nosologische Klassifikation besteht seit knapp 100 Jahren, wird aber möglicherweise durch die jüngsten molekulargenetischen Erkenntnisse neu gefasst werden müssen. Diese Forschungen haben nicht nur faszinierende Einsichten in die Entstehung der Phakomatosen gebracht, sondern lassen darüber hinaus vermuten, dass die mitinvolvierten Gene eine über die Phakomatosen hinausgehende Bedeutung in der Tumorgenese haben.
Neurofibromatose (NF1 und NF2)
Es existieren zwei verschiedene Typen dieser Erkrankung, deren gemeinsames Hauptcharakteristikum die Bildung von Neurofibromen
und
Neurinomen sowie von anderen Tumoren ist. Es gibt aber so wesentliche Unterschiede zwischen NF1 und NF2, dass sie weitgehend separat besprochen werden müssen. Hierdurch wird wahrscheinlich auch der auf den Erstbeschreiber von Recklinghausen (1882) zurückgehende Krankheitsname für die NF1 an Bedeutung verlieren. Die Gleichsetzung von NF1 mit einer peripheren NF und von NF2 mit einer zentralen NF ist eine zu grobe Vereinfachung.
Klinik
Molekulargenetische Untersuchungen haben bisher in der klinischen Routinediagnostik einen geringen Stellenwert. Mit der klinischen Verfügbarkeit von Next Generation Sequencing hat die Molekulargenetik einen deutlich größeren Stellenwert erlangt. Wenn der Gendefekt bei einem betroffenen Familienmitglied bekannt ist, kann die Frage nach einem asymptomatischem Merkmalsträger relativ beantwortet werden, indem nur das familiär betroffene
Exon untersucht wird. Bei allen molekulargenetischen Untersuchungen müssen die ethischen und psychischen Voraussetzungen für eine solche molekulargenetische Untersuchung beachtet werden müssen (s. auch Gendiagnostikgesetz von 2011!). Dies gilt in besonderem Maße für eine präsymptomatische Testung.
Tuberöse Sklerose
Die
tuberöse Sklerose (TSC) ist eine angeborene Krankheit mit sehr breitem klinischem Erscheinungsspektrum; dies reicht von schwerster Behinderung von Geburt an bis zu normaler Entwicklung. Kardinalsymptome sind
Epilepsie, mentale Retardierung und Adenoma sebaceum. Wie auch bei der
Neurofibromatose gibt es verschiedene genetische Typen, die jedoch im Gegensatz zur NF nicht mit distinkten klinischen Typen einhergehen. Es kommt zur Ausbildung von zerebralen Dysplasien und Tumoren. Eine maligne Entartung ist sehr selten. Bei den Tumoren handelt es sich um Hamartome und gutartige Astrozytome in Ventrikelnähe (subependymale Riesenzellastrozytome
).
Nach ersten Beschreibungen durch Virchow und von Recklinghausen, in der sie u. a. auf multiple kardiale Myome hinwiesen, wurde die Krankheit von Bourneville 1880 ausführlich mit den zerebralen und Hautsymptomen beschrieben. Nach weiteren Arbeiten von Pringle wird sie heute auch als Bourneville-Pringle-Krankheit bezeichnet.
Von-Hippel-Lindau-Krankheit
Hämangiome bzw. Hämangioblastome
des Kleinhirns (Lindau) und der Retina (von Hippel) sind die wesentlichen Charakteristika der Von-Hippel-Lindau(VHL)-Krankheit. Seltener finden sich Hämangioblastome auch an anderen Stellen im Gehirn oder Rückenmark. Beim Typ 2 der Erkrankung kommen zusätzlich
Phäochromozytome vor, die bei Typ 1 fehlen. Nierenkarzinome und
Pankreastumoren können ebenfalls auftreten. Die
Von-Hippel-Lindau-Krankheit ist selten; genauere Häufigkeitsangaben in der Literatur fehlen (ca. 1:50.000).
Angiomatose Sturge-Weber (enzephalofaziale Angiomatose)
Diese Krankheit wurde 1879 von Sturge beschrieben. Sie ist angeboren, aber nicht vererblich. Als Ursache wurde schon früher vermutet, dass es sich um eine
somatische Mutation handeln könnte. Aber erst 2013 wurde entdeckt, dass es sich um eine somatische Mutation im
GNAQ-Gen handelt. Diese Mutation ist auch bei Portweinflecken zu finden, die nicht mit dem Vollbild der Sturge-Weber-Angiomatose
einhergehen.
Weitere angiomatöse neurokutane Syndrome
Klippel-Trenaunay-Weber-Syndrom
Das Klippel-Trenaunay-Syndrom – um die Jahrhundertwende erstmals beschrieben – besteht in der Bildung von kutanen Angiomen. Es finden sich häufig in einer Extremität oder halbseitig angeordnete Naevi flammei, die schon bei der Geburt vorhanden sein können und sich danach vergrößern. Neben den Angiomen kommt es oft zur Volumenvermehrung einer Extremität mit Knochenhypertrophie. Störungen der Gerinnung mit oberflächlicher oder tiefer Venenthrombose sind nicht selten und können auch zur Gangrän führen. Beim Auftreten von spinalen Angiomen kommen entsprechende neurologische Ausfallssyndrome hinzu. Gelegentlich sind die Symptome des Klippel-Trenaunay-Syndroms verbunden mit den intrakraniellen Veränderungen des
Sturge-Weber-Syndroms. Wir sprechen dann von einem Klippel-Trenaunay-Weber-Syndrom.
Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (Osler-Rendu-Weber- oder Osler-Krankheit)
Bei dieser selteneren autosomal-dominanten Krankheit kommt es zu vermehrten Blutungen, v. a. nach intraspinal. Seltener sind
intrazerebrale Blutungen, aber auch zerebrale Embolien von A-V-Fisteln in der Lunge. An der Haut ist die bevorzugte Manifestation der multiplen kleinen
Nävi das Gesicht, v. a. peroral.
Ataxia teleangiectatica (Louis Bar)
Diagnostisch wichtig bei der
Ataxia teleangiectatica ist ein
Immunglobulin-A(IgA)-Mangel. Neben der zerebellären Ataxie durch eine Kleinhirnvorderlappenatrophie und Teleangiektasien gibt es eine Reihe weiterer neurologischer Zeichen, allen voran
Augenbewegungsstörungen. Die Lebenserwartung ist durch die verminderte Immunkompetenz erheblich eingeschränkt. Es besteht auch eine erhöhte Rate an anderen malignen Erkrankungen, insbesondere auf hämatologischem Gebiet. Die Krankheit wird autosomal-rezessiv vererbt. Das verursachende Gen (
ATM-Gen) sowie das Genprodukt sind bekannt. Eine große Zahl von verschiedenen Mutationen im
ATM-Gen kann zu dieser Erkrankung führen.
Epidermales Nävussyndrom
Das kongenitale epidermale Nävussyndrom
weist neben
Nävi im Gesicht Veränderungen von Gesicht und Schädel auf, die sich ipsilateral zum Nävus entwickeln können. Schwere zerebrale Läsionen wie große porenzephale Zysten und eine Atresie der zerebralen Arterien und Venen werden gefunden. Es gibt mehrere Untertypen, deren häufigste das „linear sebaceous nevus syndrome“ (Jadassohn-Syndrom
) darstellt. Hemimegalenzephalie, gyrale Missbildungen (Pachy- und Mikrogyrie), Heterotopien, mentale Retardierung, Anfälle und faziale Hemihypertrophie wurden bei diesem Syndrom beschrieben. Ursächlich kommen Mutationen in mehreren Genen in Frage.
Basalzellnävussyndrom
Dieses Syndrom mit dem Eponym Gorlin-Goltz ist autosomal-dominant vererbt mit hoher
Penetranz und variabler Expressivität. Ursächlich ist eine Mutation im
PTCH1-Gen. Neben multiplen dermalen
Basalzellkarzinomen können im ZNS starke durale Verkalkungen, eine
Agenesie des Corpus callosum sowie verschiedene gut- und bösartige Tumoren beobachtet werden.
Facharztfragen
1.
Welches sind die wichtigsten Kriterien für die Diagnose einer
Neurofibromatose Typ 1?
2.
Stellen Sie gegenüber, welche intrakraniellen Tumoren es bei NF1 einerseits und bei NF2 andererseits gibt.
3.
Welches sind die 3 Kardinalsymptome der tuberösen Hirnsklerose?
4.
Wie viele verursachende Gene gibt es bei der Neurofibromatose und bei der tuberösen Hirnsklerose?
5.
Ordnen Sie die Namen Pringle, Bourneville und von Recklinghausen den verschiedenen Krankheitsentitäten zu.
6.
Was sind Lisch-Knötchen und bei welcher Krankheit kommen sie vor?
Danksagung: Ich danke folgenden Kollegen für die Hilfe beim Erstellen der Abbildungen: Dr. Siekmann, Prof. Wilken, Kassel.