Perioperativer Schlaganfall
Die überwiegende Zahl perioperativer Schlaganfälle (>50 %) ist auf
arterielle Thrombenbildung im OP Gebiet mit zerebralen Embolien zurückzuführen. Dies wiederum basiert meist (>80 %) auf technischen Fehlern (belassene Plaquereste, Nahtfehler,
Dissektionen). Die desobliterierte Wand ist thrombogen, und so können schon kleine Reste des ursprünglichen Plaquematerials zur Ausbildung relevanter Appositionsthromben mit Embolierisiko führen (Riles et al.
1994). Die schon angeführte intraoperative Qualitätskontrolle mittels Angiographie oder
Sonographie ist deshalb zwingend erforderlich. Auf Restplaques und Klemmschäden in der Arterienwand mit ggf. aufgebrochenen Plaqueanteilen ist dabei speziell zu achten. Bei Verdacht auf eine nicht einwandfreie Rekonstruktion sollte diese im Zweifelsfall lieber noch mal eröffnet und korrigiert werden. Kleinere Defekte sind dabei in der Angiographie besser darstellbar als im Ultraschall.
Im Rahmen der Präparation und Klemmung kann es vor allem bei rezent symptomatischen Plaques zu Embolisationen aus der Plaque kommen. Aus diesem Grund wird gerade bei neurologisch instabilen Patienten mit rezidivierenden neurologischen Ereignissen empfohlen, die A. carotis interna erst nach Ausklemmen der A. carotis communis selektiv frei zu präparieren („No-touch-Technik“). Genauso wird nach Abschluss der Rekonstruktion der Blutstrom zunächst nur in die A. carotis externa freigegeben, um mögliche Embolisation aus der ACC hierhin umzuleiten. Um der Bildung von Appositionsthromben im Rahmen der Klemmphase entgegenzuwirken wird empfohlen, vor dem Cross-clamping die systemische Heparinisierung mit 3000–5000 IE unfraktioniertem Heparin im Bolus intravenös zu verabreichen.
Bessert sich die neurologische Symptomatik eines wachen Patienten nicht rasch nach Wiederherstellung der zerebralen Perfusion (über Shuntinsertion oder nach Abschluss des Revaskularisationsprozesses) oder wacht ein Patient mit neurologischem Defizit aus der Narkose auf, muss unverzüglich eine zerebrale Bildgebung durchgeführt werden, um eine intrakranielle Blutung auszuschließen. Die Fortführung der systemischen Heparinisierung nach Ausschluss einer Blutung ist empfohlen. Bei Verschluss eines zerebralen Astes der A. carotis interna kommen entweder eine intraarterielle Lyse oder mechanische Rekanalisation mittels Aspirationskatheter infrage. Entwickelt der Patient die neurologische Symptomatik erst in der postoperativen Aufwachphase, so ist die Offenheit der ACI unverzüglich zu prüfen (
additive Darstellung der Karotisstrombahn im Rahmen der zerebralen Bildgebung oder mittels
Sonographie). Findet sich die ACI verschlossen, so muss eine notfallmäßige Reoperation durchgeführt werden. Nach erfolgter Revision muss wiederum eine intraoperative Angiographie zur Beurteilung der zerebralen Perfusion vorgenommen werden. Sollten sich dabei frische Embolien finden, kann wieder an eine Lyse oder Aspiration gedacht werden.
Im Fall einer neurologischen Verschlechterung des Patienten in der
postoperativen Phase empfiehlt es sich unbedingt, eine Statuserhebung durch einen mit Schlaganfallpatienten vertrauten Neurologen vornehmen zu lassen. Wichtig ist, das neurologische Defizit in einen Zusammenhang mit der Operation zu stellen oder dies auszuschließen. Postoperativ kann es auch durch nicht unmittelbar operationsassoziierte Umstände zu einer neurologischen Symptomatik kommen (hypertensive Episoden, Ausfälle aufgrund einer protrahierten Ischämie im Rahmen der Klemmphase).
Lediglich maximal 15 % der intraoperativen oder unmittelbar postoperativ beobachteten Schlaganfälle sind Folge einer
Clamping-Ischämie. Am wachen Patienten lassen sich hämodynamische Veränderungen in der Klemmphase rasch und sicher feststellen. Das Spektrum der beobachtbaren Reaktionen ist dabei breit und reicht von beginnender Unruhe und „Herumnesteln“ über Hyperventilation bis hin zur vollständigen Halbseitenlähmung oder Bewusstlosigkeit. Schon bei ersten Anzeichen einer zerebralen Minderperfusion in der Klemmphase soll umgehend ein Shunt eingebracht werden. Besonders gefährdet für eine Clamping-Ischämie sind dabei Patienten mit einem kontralateralen ACI-Verschluss. Die Beurteilung der zerebralen Minderperfusion beim schlafenden Patienten hängt vom gewählten Neuromonitoring ab (Abschn.
4.2). Auch hier gilt, dass im Zweifel ein Shunt inseriert werden sollte. Es sei nochmal erwähnt, dass dieser so atraumatisch wie möglich zunächst in die eröffnete ACI distal der Stenose eingebracht wird. Dabei kann der Rückfluss aus dem Gehirn beurteilt werden. Nach Entlüftung des Shunts wird dieser in die ACC eingebracht und mittels Tourniquet fixiert.
Etwa weitere 20 % der Komplikationen erklären sich über
intrakranielle Blutungen. Eine intrakranielle Blutung muss in der Akutsituation bei neurologischer Verschlechterung des Patienten umgehend ausgeschlossen bzw. diagnostiziert werden. Das Intervall zwischen Operation und Blutungseintritt beträgt in der Regel 4 Tage, und so ist während des gesamten stationären Aufenthaltes des Patienten darauf zu achten. Das Kardinalsymptom für die frische intrakranielle Blutung ist dabei der heftige Kopfschmerz (>30 % der Patienten). Bei jedem sechsten Patienten können Krampfanfälle beobachtete werden. Etwa die Hälfte aller Patienten mit zerebraler Blutung weisen neurologische Ausfälle auf und die Mortalität ist mit 67 % sehr hoch (Russel und Gough
2004). Einer zerebralen Blutung kann ein
Hyperperfusionssyndrom vorausgehen. Dieses ist durch eine schon präoperativ bestehende Vasodilatation gekennzeichnet. Zusätzlich ist die Autoregulation des Gefäßsystems mit der Fähigkeit der protektiven Vasokonstriktion aufgehoben. Dadurch kann es nach erfolgter Revaskularisation und Perfusionszunahme zu einem unkontrollierten Druckanstieg in den zerebralen Kapillaren mit der Gefahr der Einblutung kommen. Die Patienten äußern wiederum starke, meist einseitige
Kopfschmerzen, klagen über Übelkeit und Erbrechen. Auch hier kann es zu neurologischen Ausfallerscheinungen bis hin zu Krampfanfällen kommen (Moulakakis et al.
2009).
Eine eindeutige Zuordnung präoperativ bestehender Risikofaktoren für die Entwicklung einer postoperativen intrakraniellen Blutung ist schwierig. Eine mittels Ultraschall darstellbare eingeschränkte Reservekapazität mit schlechter intrakranieller Kollateralisation dürfte aber ein Risiko für den Patienten darstellen. Kommt es unmittelbar postoperativ zu einer dramatischen Zunahme der zerebralen Blutflussgeschwindigkeit, so kann das auch hinweisend für ein drohendes Blutungsgeschehen sein (Anstieg >175 % und/oder >100 %iger Anstieg des Pulsatilitätsindex). Eine vorbestehende, schlecht eingestellte
Hypertonie erhöht ebenfalls das Risiko für eine postoperative Blutungskomplikation. Andere Faktoren, die im Zusammenhang mit der Ausbildung einer Blutungskomplikation gesehen werden können, sind eine intraoperative Embolie oder eine hämodynamische Ischämie, ein kontralateraler ACI-Verschluss und ein vorbestehender
Hirninfarkt.
In einer rezenten
Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass etwa 20 % der CEA-Patienten postoperativ ausgeprägte hypertensive Phasen haben. In diesem Zusammenhang bilden etwa 1 % der Patienten ein Hyperperfusionssyndrom aus und insgesamt 0,5 % entwickeln eine
intrazerebrale Blutung. Es besteht wohl ein direkter Zusammenhang zwischen hypertensiver Entgleisung und Ausbildung einer zerebralen Blutung. So ist in der
postoperativen Phase unbedingt auf die Blutdrucksituation zu achten. Gerade wenn Patienten
Kopfschmerzen äußern, muss (nach Ausschluss einer zerebralen Blutung) der systolische Blutdruck zumindest in den ersten 3 postoperativen Tagen streng kontrolliert und auf niedrig normalen Werten gehalten werden. Welche Medikamentenklasse dafür am besten geeignet ist, ist nicht klar belegt. Nitrate und
Kalziumantagonisten werden aufgrund der vasodilatierenden Eigenschaften eher kritisch gesehen. Parallel dazu sollten in der transkraniellen Dopplersonographie die Flussgeschwindigkeiten intrazerebral kontrolliert werden. Bei nachgewiesenem Hyperperfusionssyndrom und fehlender Stabilisierung der Kreislaufsituation mit herkömmlichen Maßnahmen, kann unter Umständen auch eine Überwachung auf einer Intensivstation erforderlich sein. Kommt es doch zur Ausbildung einer zerebralen Blutung, muss umgehend eine neurologische und neurochirurgische Inspektion des Patienten gegebenenfalls mit weiterführenden Maßnahmen (Trepanation) erfolgen.