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Die Urologie
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Publiziert am: 18.03.2022

Hodentumor: Tumornachsorge

Verfasst von: Richard Cathomas und Michael Hartmann
Seit 2018 besteht in den europäischen Richtlinien der urologischen und onkologischen Gesellschaften (EAU und ESMO) ein Konsens zur Nachsorge von Patienten mit Hodentumoren. Diese sind auch entsprechend publiziert worden. Die Häufigkeit und Art der Nachsorge wird aufgrund der folgenden klinischen Faktoren festgelegt: Histologie des Primärtumors, initiales Tumorstadium, durchgeführte Behandlung. Basierend auf publizierten Daten sind das Rezidivrisiko und die häufigsten Rezidivlokalisationen bekannt. Für die Nachsorge werden drei Hauptgruppen definiert: a) Seminom Stadium I (unabhängig vom gewählten Management); b) Nichtseminom Stadium I mit active surveillance; c) Alle anderen Patienten die mit kurativer Therapie eine komplette Remission erzielt haben. Für jede dieser drei Gruppen wurde ein einfaches Nachsorgeschema definiert. Es ist wichtig, mittels Einbezug des Patienten und Stärkung der Eigenverantwortung eine optimale Adhärenz zu erzielen. In naher Zukunft könnte die Verwendung des neuen Tumormarkern microRNA (miR371) eine Vereinfachung der Nachsorge bringen. Die tumorspezifische Nachsorge zur Früherfassung eines Rezidivs wird während fünf Jahren vorgenommen. Danach erfolgt eine lebenslange Nachsorge zur Erfassung und Behandlung von Spättoxizitäten mit Kontrollen beim Grundversorger alle 1–2 Jahre.

Einleitung

Die Nachsorge stellt bei den Hodentumoren einen wichtigen Bestandteil in der Behandlung dieser Patienten dar, dies sowohl bei der aktiven Überwachung (active surveillance) im Stadium I wie auch nach erfolgreicher kurativer Therapie. Das primäre Ziel der Nachsorge ist die rechtzeitige Entdeckung eines Rezidivs, um eine Nachfolgetherapie mit dem kleinstmöglichen Aufwand und dem größtmöglichen Erfolg durchführen zu können. Hierzu ist es erforderlich, die unterschiedlichen Verläufe der Hodentumorerkrankung abhängig von Histologie, Stadium, Primärbehandlung und Behandlungserfolg zu kennen. Basierend auf dieser Einteilung kann für jeden Patienten die geeignete Nachsorge festgelegt werden.
Die tumorspezifische Nachsorge zur Entdeckung eines Rezidivs wird in der Regel nach fünf Jahren abgeschlossen. Danach kommt es zu einem Paradigmenwechsel: Die Rezidiventdeckung tritt zugunsten der Identifikation von Spätfolgen der Therapien und der Empfehlungen zum Lebensstil in den Hintergrund. Zwar konnte festgestellt werden, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Männern mit Hodentumoren unabhängig von der Therapie langfristig gleich gut ausfällt wie bei Nichtbetroffenen (Rossen et al. 2009). Andererseits sind nach erfolgter kurativer Chemotherapie jedoch chronische Langzeiteffekte wie Fatigue, periphere Polyneuropathie, Hörverlust Raynaud Syndrom und Hypogonadismus gehäuft und können zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen (Abouassaly et al. 2011; Haugnes et al. 2012). Zu beachten sind zudem das erhöhte Risiko von kardiovaskulärer Morbidität (Lauritsen et al. 2020) und das Auftreten von Zweittumoren nach Strahlen- oder Chemotherapie (Kier et al. 2016).
Psychische und soziale Probleme können in der Nachsorge eine wichtige Rolle einnehmen und zu einer Belastung führen (Smith et al. 2016). Aufkommende seelische Probleme sollten erkannt werden und im Bedarfsfall sollte eine Vermittlung der Betroffenen an kompetente mit der Tumorerkrankung vertraute Psychologen erfolgen. Bei sozialen Schwierigkeiten ist der Kontakt mit Sozialarbeitern oder einem Sozialamt hilfreich um Beratungen zu Versicherungsfragen, sozialer Sicherung und allfälliger Rehabilitation vorzunehmen.
Zusammenfassend darf festgehalten werden, dass die Nachsorge heute in übereinstimmenden europäischen Empfehlungen festgelegt worden ist. Basierend auf dem Rezidivrisiko und den häufigsten Lokalisationen eines Rezidivs wurden Frequenz und Modalität der Nachsorgeuntersuchungen angepasst. Nachfolgend werden diese Empfehlungen besprochen und die Basis dafür ausgeführt.

Untersuchungen während der Nachsorge

Bei jeder Nachsorgekontrolle sollen eine zielgerichtete Anamnese eine körperliche Untersuchung sowie die Bestimmung der Tumormarker α-Fetoprotein (AFP), humanes Choriongonadotropin (β-HCG) und Lactatdehydrogenase (LDH) durchgeführt werden.
Die Anamnese beinhaltet Fragen nach Gewichtsverlust, auffällige Müdigkeit, Veränderungen am Körper, Schmerzen, besonders im Bauch- oder Rückenbereich, Husten und Auswurf, Atemnot unter Belastung, neurologischen Auffälligkeiten, Brustschwellungen, Potenz und prograde Ejakulation nach Operation im Retroperitoneum sowie Vaterschaft (Haugnes et al. 2012). Die Basisuntersuchung besteht aus: Gewichtsmessung, Blutdruckmessung, Lungenauskultation, Palpation der Lymphknotenstationen (zervikal, supraklavikulär, axillär, inguinal), des Abdomens sowie des kontralateralen Hodens.
Alle drei Tumormarker AFP, β-HCG und LDH sind gemäß Konsensusempfehlung immer bei jedem Patienten unabhängig von der Histologie und von den initialen Werten zu bestimmen (Beyer et al. 2013). Das AFP ist nur bei Nichtseminomen erhöht, das β-HCG ist häufig beim Nichtseminom und in etwa 20 Prozent der Seminome erhöht. Die LDH muss vorsichtig und im Gesamtkontext interpretiert werden, da sie oft aus anderen Gründen erhöht sein kann.
Es ist denkbar, dass in Kürze neue Tumormarker bei der Behandlung und Nachsorge von Hodentumoren verwendet werden. Verschiedene Arbeiten zeigen, dass die Messung einer besonderen microRNA im Serum (miRNA 371) deutlich sensitiver und spezifischer für Hodentumore ist als die bekannten Tumormarker (Dieckmann et al. 2019; Nappi et al. 2019).
Bei der Erstdiagnose muss in jedem Fall ein Staging mittels Computertomografie (CT) von Thorax, Abdomen und Becken vorgenommen werden. Auch in der Nachsorge stellt das CT eine wichtige Bildgebung dar, wobei ein sparsamer Einsatz aufgrund der mit der ionisierenden Strahlung verbundenen Risiken wichtig ist. Zur Überwachung der Lunge genügt grundsätzlich ein konventionelles Thoraxröntgenbild (Harvey et al. 2002; Gietema et al. 2002). Beim Seminom im Stadium I kann gemäß der aktuellsten Konsensuskonferenz gänzlich auf eine Bildgebung der Lunge verzichtet werden (Honecker et al. 2018). Die Bildgebung des kleinen Beckens ist nur beim Vorliegen von folgenden Faktoren indiziert: Zustand nach adjuvanter Radiotherapie beim Seminom Stadium I, initial grosse retroperitoneale Tumormassen >5 cm, Anamnese mit Kryptorchismus oder Orchidopexie, Anamnese von skrotalen Eingriffen sowie Tumorinvasion in die Tunica vaginalis testis (White et al. 1997). Ansonsten wird die Bildgebung auf Höhe des Abgangs der Aa. Iliacae internae beeendet.
Das mit ionisierender Strahlung verbundene erhöhte Krebsmortalitätsrisiko kann berechnet werden (Mettler et al. 2008). Diese Berechnungen basieren auf stochastischen Risikokalkulationen einer genetischen Strahlenschädigung. Das Risiko ist erhöht bei jüngerem Alter und kumuliert mit der Anzahl der Untersuchungen (Tarin et al. 2009). Zur Verminderung der Belastung durch ionisierende Strahlung ist die Bildgebung auf das in den Empfehlungen vorgeschlagene notwendige Minimum zu reduzieren.
Beim Abdomen kann anstelle des CT auch eine Magnetresonanztomographie (MRT) vorgenommen werden. Dazu muss jedoch die Expertise zur Durchführung und Beurteilung einer MRT des Abdomens vorliegen. Für die Überwachung beim Seminom werden in Kürze die Resultate der TRISST Studie erwartet, in der ein Vergleich von CT und MRI Abdomen sowie eine Reduktion von 7 auf 3 Untersuchungen geprüft wird (TRISST (o. J.)).
Das PET-CT hat keine Wertigkeit im Staging oder in der Nachsorge von Hodentumoren und sollte nicht eingesetzt werden, dies gilt sowohl für Seminome wie auch Nichtseminome. Eine Skelettszintigraphie oder MRT des ZNS sind nur bei klinischem Verdacht auf Metastasierung in diesen Organen notwendig.
Zur frühzeitigen Diagnostik von Spättoxizität sind Untersuchungen in regelmäßigen Abständen sinnvoll. In den ersten fünf Jahren sollten diese jährlich erfolgen, danach alle 1–2 Jahre. Diese Untersuchungen können beim Grundversorger durchgeführt werden. Häufige Spättoxizitäten sind das metabolische Syndrom, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, renale Funktionseinschränkungen, periphere Polyneuropahtie und Ototoxizität, Raynaud Syndrom, sekundäre Malignome, Hypogonadismus und psychosoziale Belastungen (Abouassaly et al. 2011; Haugnes et al. 2012; Bandak et al. 2016).
Die jährliche Bestimmung der Nierenfunktion (Kreatininwert mit Berechnung der GFR), die Berechnung des Body mass index (BMI) sowie eine Bestimmung der Blutfette (Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin, Trigylceride) und der Nüchtern-Glucose sind empfohlen. Zusätzlich sollte eine Kontrolle der gonadalen Funktion mittels Bestimmung des Gesamt-Testosterons sowie von LH und FSH durchgeführt werden. Je nach vermuteter Spättoxizität können bei Bedarf Audiogramm, Lungenfunktionsprüfung inkl. Messung der CO-Diffusionskapazität, Belastungs-EKG oder renale Clearance erforderlich werden.
Bei Langzeitüberlebenden nach Behandlung eines Hodentumors besteht ein erhöhtes Risiko für Zweitmalignome. Dieses Risiko ist sowohl nach Chemotherapie als auch Radiotherapie erhöht, insbesondere aber nach mehreren Therapiemodalitäten (Kier et al. 2016). Patienten und nachsorgende Ärzte sollten sich dieses Risikos bewusst sein.
Im Langzeitverlauf von 20 Jahren wird in 3–5 % der Männer ein Keimzelltumors im kontralateralen diagnostiziert (Hellesnes et al. 2021). Das Risiko ist geringer nach Cisplatin-haltiger Chemotherapie sowie bei Männern unter 30 Jahren. Auf jeden Fall ist eine Hodenpalpation bei jeder Nachsorgekontrolle sinnvoll und notwendig. Ein jährlicher Ultraschall des kontralateralen Hodens kann bei Patienten ohne Biopsie durchgeführt werden.
Es ist wichtig, die Patienten zu Eigenverantwortung und einem gesunden Lebensstil mit körperlicher Aktivität, Nichtrauchen und Kontrolle des Körpergewichts zu motivieren (Haugnes et al. 2012). Ebenso soll der Patient zur selbstständigen Hodenpalpation angehalten werden.
TIPP
Absinkendes Testosteron und ansteigendes LH sind Zeichen des Hypogonadismus. Erhöhtes FSH weist zudem auf eine reduzierte und gestörte Spermiogenese hin.
CAVE
Bei minimalen Tumormarkererhöhungen muss primär eine kurzfristige Kontrolle erfolgen. Nur bei eindeutiger Dynamik sollen Therapieentscheidungen getroffen werden. Insbesondere leichtgradige Erhöhungen des AFP (bis zu 2.5x obere Norm) ohne Dynamik sind nicht selten und haben keinen Krankheitswert.
WICHTIG
Das PET-CT hat in der Nachsorge sowohl beim Seminom als auch beim Nichtseminom keinen Stellenwert.

Festlegung der Untersuchungsintervalle gemäß Rezidivrisiko

Die Intervalle und die Nachsorgedauer richten sich nach dem erwarteten Rezidivrisiko. Dieses Risiko kann basierend auf dem initialen Stadium, der Histologie und der erfolgten Behandlung abgeschätzt werden (Tab. 1). Zudem sind auch die häufigsten Rezidivlokalisationen (Retroperitoneum, Lunge) in Abhängigkeit dieser Parameter bekannt. Die erforderlichen Untersuchungsmethoden, die zu untersuchende Region und der zeitliche Abstand sind somit direkt abhängig von der Histologie, dem Tumorstadium sowie der durchgeführten Therapie (Cathomas et al. 2011).
Tab. 1
Rezidivraten gemäß Histologie, Tumorstadium und Therapie
Histologie
Stadium
Therapie
Rezidivrate
insgesamt
Rezidivrate nach >2 Jahren
Literatur
Seminom
I
Surveillance
12–31 %
3–5 %
Mortensen et al. 2014
Seminom
I
Carboplatin
5 %
1 %
Oliver et al. 2011
Seminom
I
20 Gy
4 %
1 %
Mead et al. 2011
Seminom
IIA/B
30/36 Gy
5–15 %
2 %
Classen et al. 2003
Seminom
IIC–III
good prognosis
3× PEB/4× EP
10 %
1 %
De Wit et al. 2001
Nichtseminom
I low risk
I high risk
Surveillance
Surveillance
15 %
45–50 %
2 %
2–3 %
Kollmannsberger et al. 2015
Nichtseminom
I
RLA
8–10 %
2 %
Albers et al. 2008
Nichtseminom
I high risk
1× PEB
2 %
1 %
Tandstad et al. 2014
Nichtseminom
IIA–III
good prognosis
3× PEB/4× EP
10 %
1 %
De Wit et al. 2001
Unabhängig von diesen Faktoren gilt, dass die Rezidivgefahr nach 2 Jahren markant absinkt. Nach 5 Jahren wird ein Niveau erreicht, bei dem die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs des Ersttumors nicht höher einzuschätzen ist als das Auftreten einer Neuerkrankung in der gesunden Bevölkerung. Entsprechend kann die tumorspezifische Nachsorge mit regelmässiger Bildgebung und Bestimmung der Tumormarker zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen werden. Eine Ausnahme bilden Patienten die wegen eines metastasierten Nichtseminoms behandelt wurden und bei denen in resezierten Tumorresiduen histologisch Teratom nachgewiesen wurde. Diese Patienten sollten auch nach mehr als 5 Jahren regelmässig durch einen uro-onkologischen Facharzt nachkontrolliert werden.
Nach Ablauf von 5 Jahren steht somit die frühzeitige Diagnose und Therapie von behandlungsassoziierter Toxizität im Vordergrund. Insbesondere wenn mehr als eine Behandlungslinie durchgeführt wurde, besteht ein erhöhtes Risiko für signifikante Spättoxizität (Lauritsen et al. 2015).
Sehr späte Rezidive nach 5 Jahren sind ausgesprochen selten und treten nur in etwa 0,5 % aller Hodenkarzinompatienten auf (Oldenburg et al. 2006). Diese Spätrezidive werden überwiegend durch das Auftreten von Symptomen diagnostiziert. In bis zu 50 % der Fälle können jedoch auch erhöhte Tumormarker nachgewiesen werden (Mortensen et al. 2016). Entscheidend ist eine Aufklärung des Patienten und der nachsorgenden Ärzte, damit frühzeitig an die Möglichkeit eines Rezidivs gedacht wird und entsprechende einfache Abklärungen (Tumormaker, Bildgebung) eingeleitet werden.
WICHTIG
Während der ersten fünf Jahre der Nachsorge steht die Früherfassung von Rezidiven im Vordergrund, danach die Diagnose und Therapie von Spättoxizitäten der Behandlung.

Spezifische Empfehlungen für die Nachsorge

Vor einigen Jahren ist es gelungen literaturhinterlegte Nachsorgeempfehlungen zu formulieren, die an der europäischen Konsensuskonferenz 2011 unterstützt wurden (Cathomas et al. 2011; Beyer et al. 2013). Anlässlich der europäischen Konsensuskonferenz 2016 wurden die Nachsorgeempfehlungen noch einmal diskutiert und die Experten konnten sich auf eine Vereinfachung und Vereinheitlichung einigen (Honecker et al. 2018). Es wurden drei große Nachsorgegruppen definiert und minimale Nachsorgeempfehlungen dafür vereinbart, die bei Bedarf individuell erweitert und angepasst werden können. Dabei wurden die Grundsätze einer risikoadaptieren Nachsorge beachtet und der Gebrauch von ionisierenden Strahlen reduziert. Zudem wurde auch auf die Notwendigkeit einer längerdauernden Nachsorge wegen Spättoxizitäten inklusive Zweittumore hingewiesen. Diese Empfehlungen wurden von der EAU (European Asssociation of Urology) und von der ESMO (European Society of Medical Oncology) in ihren Guidelines übernommen (Laguna et al. 2020; Honecker et al. 2018). Es handelt sich bei den Empfehlungen um die minimal vorgeschlagenen Intervalle und Untersuchungen.
Unter Berücksichtigung der initialen Diagnose (Histologie, Stadium) und der gewählten Behandlung können aufgrund der Rezidivhäufigkeit und des Rezidivmusters drei Hauptgruppen für die Nachsorge unterschieden werden:
1.
Patienten mit Seminom im Stadium I (unter active surveillance oder nach adjuvanter Therapie mit Chemotherapie oder Radiotherapie) – Tab. 2
 
2.
Patienten mit Nichtseminom im Stadium I unter active surveillance – Tab. 3
 
3.
Alle anderen Patienten die entweder eine adjuvante Therapie (Nicht-Seminom) oder eine kurative Therapie bei metastasierter Erkrankung erhalten haben und darunter eine komplette Remission erzielt haben – Tab. 4
 
Tab. 2
Minimale Nachsorgeempfehlungen für Patienten mit Seminom Stadium I (unabhängig von der gewählten Therapie)
 
Jahr 1
Jahr 2
Jahr 3
Jahre 4+5
Nach 5 Jahren
Klinik und Anamnese
2x
2x
2x
1x
Erfassung von Spättoxizität
Tumormarker
2 x
2 x
2 x
1 x
Röntgen Thorax
0
0
0
0
MRT/CT Abdomen
2 x
2 x
Nach 36 Monaten
Nach 60 Monaten
Tab. 3
Minimale Nachsorgeempfehlungen für Patienten mit Nichtseminom Stadium I mit active surveillance
 
Jahr 1
Jahr 2
Jahr 3
Jahre 4+5
Nach 5 Jahren
Klinik und Anamnese
4–6x
4x
2x
1–2x
Erfassung von Spättoxizität
Tumormaker
4–6 x
4 x
2 x
1–2 x
Röntgen Thorax
2 x
2 x
1 x
(falls LVI+)
Nach 60 Monaten (falls LVI+)
MRT/CT Abdomen
2 x
Nach 24 Monaten*
Nach 36 Monaten **
Nach 60 Monaten **
LVI+: Nachweis von lymphvaskulärer Invasion im Primärtumor
*Bei LVI+ zusätzliches MRT/CT nach 18 Monaten empfohlen
**Bei Konsensuskonferenz 2016 von 50 % der Panelmitglieder empfohlen (Honecker et al. 2018)
Tab. 4
Minimale Nachsorgeempfehlungen für Patienten in kompletter Remission nach adjuvanter oder kurativ intendierter Chemotherapie
 
Jahr 1
Jahr 2
Jahr 3
Jahre 4+5
Nach 5 Jahren
Klinik und Anamnese
4x
4x
2x
2x
Erfassung von Spättoxizität**
Tumormaker
4 x
4 x
2 x
2 x
Röntgen Thorax
1–2 x
1 x
1 x
1 x
MRT/CT Abdomen
1–2 x
Nach 24 Monaten
Nach 36 Monaten
Nach 60 Monaten
Thorax CT
*
*
*
*
*zum gleichen Zeitpunkt wie MRT/CT Abdomen bei Patienten, die bei Diagnosestellung Lungenmetastasen haben
**falls Teratom in Resektat eines Residualtumors gefunden wird sollte die weitere Nachsorge bei einem Uro-Onkologen vorgenommen werden
Zu beachten ist, dass einige Patienten eine individualisierte Nachsorge durch spezialisierte Zentren benötigen. Dazu gehören: metastasierte Erkrankungen der Intermediate- und Poor-prognosis-Gruppe gemäß IGCCCG; alle Patienten, die nach einer primären Therapie mit oder ohne Chirurgie keine komplette Remission erreicht haben (Ausnahme: Seminomresiduen bis 3 cm oder > 3 cm und FDG-PET-negativ); alle Patienten mit Rezidiv nach Therapie einer metastasierten Erkrankung.
Nach fünf Jahren kann die tumorspezifische Nachsorge abgeschlossen werden. Anschliessend wird eine lebenslange Nachsorge für Patienten mittels eines „survivorship care plans“ empfohlen. Dabei soll der Patient nochmals mündlich und schriftlich über die Diagnose und die durchgeführte Behandlung aufgeklärt werden. Er muss verstehen, dass es auch nach vielen Jahren zu Langzeitfolgen kommen kann. Das vermehrte Auftreten von Zweitmalignomen muss angesprochen werden. Auch soll der Patient auf die Notwendigkeit der Selbstuntersuchung des verbliebenen Hodens hingewiesen werden, da ein metachroner Tumor auch nach vielen Jahre auftreten kann. Des Weiteren ist der Patient zu einem gesunden Lebensstil zu motivieren. Alle 1–2 Jahre empfiehlt sich die Bestimmung der folgenden Parameter:
  • Klinische Untersuchung inkl. Blutdruck, Gewicht, BMI
  • Labor: Blutfette (Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin, Trigylceride), Nüchtern-Glucose, Gesamt-Testosteron, LH, FSH, Kreatinin
WICHTIG
Beim metastasierten Nichtseminom ist vor Einschluss in die Nachsorge eine vollständige Resektion sämtlicher residueller Tumormanifestationen >1 cm gefordert. Beim Seminom ist ein Einschluss mit Residuen bis 3 cm erlaubt (>3 cm und negatives PET CT), bei grösseren Residuen ist eine individualisierte Nachsorge notwendig.
CAVE
Gewisse Patienten qualifizieren nicht für die vereinfachte Nachsorge, dazu gehören Patienten die keine komplette Remission erzielt haben, Patienten mit intermediate oder poor prognosis Erkrankung gemäß IGCCCG sowie Patienten mit Rezidiv nach Therapie einer metastasierten Erkrankung. Diese müssen individualisiert in Absprache mit spezialisierten Zentren nachgesorgt werden.

Zusammenfassung

  • Die primäre Aufgabe der Nachsorge ist die rechtzeitige Diagnose eines Rezidivs.
  • Die Nachsorgeintervalle und Nachsorgemodalitäten richten sich nach dem Rezidivrisiko und der häufigsten Rezidivlokalisationen. Das Rezidirisiko ist abhängig von Histologie, Stadium und Therapie und ist für verschiedene Situationen bekannt.
  • Rezidive treten überwiegend im 1. und 2. Jahr auf. Danach beträgt das Rezidivrisiko nur noch 1–2 % (Ausnahme active surveillance beim Semionom). Nach fünf Jahren liegt das Rezidivrisiko für alle Patienten bei etwa 0,5 %.
  • Nach 5 Jahren darf die tumorspezifische Nachsorge aufgrund des geringen Rezidivrisikos abgeschlossen werden.
  • Die Belastung durch ionisierende Strahlung muss minimiert werden. Daher sollen nur relevante Regionen mittels Bildgebung nachgesorgt und die Empfehlungen der internationalen Gesellschaften (EAU, ESMO) befolgt werden. Das MRT kann das CT für die Abdomenuntersuchung ersetzen, sofern die Expertise vorhanden ist.
  • Nach 5 Jahren steht bei der Nachsorge die frühzeitige Diagnose und Therapie von Spättoxizitäten der Chemo- oder Radiotherapie im Vordergrund.
  • Häufige Spättoxizitäten sind: metabolisches Syndrom (art. Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas), kardiovaskukläre Erkrankungen, Nierenfunktionsstörungen, Neuropathien, Hypogonadismus und Zweittumore.
  • Zur Nachsorge gehört ein Survivorship Care plan mit klarer Information des Patienten zu seiner Therapie und den empfohlenen Nachkontrollen bezüglich Spättoxizität.
  • Die Nachsorgeempfehlungen wurden standardisiert und von der EAU und ESMO ab 2018 in die Richtlinien implementiert:
  • Drei Nachsorgegruppen:
    • Seminom Stadium I;
    • Nichtseminom Stadium I active surveillance;
    • alle anderen Patienten nach erfolgreicher Therapie
  • Folgende Patienten können nicht gemäß den standardisierten Empfehlungen nachgesorgt werden: IGCCCCG intermediate oder poor prognosis Patienten, keine komplette Remission nach Therapie, Patienten mit Rezidiv nach Therapie einer metastasierten Erkrankung.
Literatur
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