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Grundlagen der Genetik

Verfasst von: Peter H. Itin
Durch die Fortschritte der Molekularbiologie haben genetische Aspekte bei Hautkrankheiten in den letzten Jahren einen neuen Stellenwert erlangt. Die Genodermatosen stehen im Mittelpunkt des Interesses, da sie als Modelle dienen, um tiefere Einsichten in physiologische und pathologische Vorgänge der Haut zu gewinnen. Zahlreiche Genodermatosen sind bereits auf menschliche Chromosomen kartiert worden. Gesundheit oder Krankheit sind das Resultat von genetischer Konstellation und genetischer Veranlagung. Monogene Erkrankungen werden sehr stark durch die Mutation eines einzigen Gens phänotypisch geprägt. Gemäß WHO gibt es etwa 10.000 monogen verursachte Erkrankungen und bei 1000 ist bereits eine molekulare Gentestung möglich. Genodermatosen im Zeitalter der digitalen Dokumentation sind heute gut charakterisiert und die wichtigste genetische Datenbank kann über Google mit dem Stichwort OMIM aufgerufen werden, welches eine Abkürzung für Online Mendelian Inheritance of Man darstellt. Im folgenden Kapitel werden die Grundbegriffe der Genetik erklärt und mit einzelnen Beispielen illustriert.

Einführung

Die molekulare Genetik hat in den letzten 20 Jahren in besonderer Weise zum medizinischen Fortschritt beigetragen. Das Wissen über die Chancen und Risiken der modernen Genetik wächst auch in der Bevölkerung. Ein großer Teil ist der Meinung, dass die molekulare Genetik und die neuen technischen Möglichkeiten angewendet werden sollten, um Patienten mit schweren Krankheiten zu helfen (CRISPR-Cas9, clustered regularly interspaced short palindromic repeats-Cas9). Manipulationen der Intelligenz oder anderer allgemeiner Merkmale werden aber abgelehnt.
Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms wurden zukunftsträchtige Richtungen geschaffen, wie die Pharmakogenetik, welche die individuelle medikamentöse Therapie aufgrund genetischer Konstitution verfolgt, oder die Gentherapie, die darauf abzielt, mutierte Gene zu ersetzen. Beispiele für den Einsatz von individualisierter Medizin finden sich bei der Behandlung von HIV-Patienten oder Tumorpatienten mit spezifischen Mutationen in den Signalkaskaden. Familien mit hereditären Tumoren können präventiv auf das Vorhandensein eines Tumorgens untersucht und bei positivem Befund engmaschig kontrolliert werden, mit dem Ziel der Frühdiagnose. Das Human Genome Project hat unter anderem aufgezeigt, wie die Diversität des menschlichen Genoms neben der Entwicklung von monogenen Mutationen entstanden ist. Im Laufe der Evolution wurden von jedem Chromosom zahlreiche Genpartien mithilfe von Plasmiden auf andere Chromosomen übertragen. Dadurch ist es zu zahlreichen segmentalen Duplikationen gekommen. Dieses Phänomen erklärt, warum monogene Erkrankungen nicht selten an unterschiedlichen Genorten und Chromosomen kodieren. Es hat sich gezeigt, dass die beispielsweise durch Transposone veränderte genetische Nachbarschaft für den Phänotyp einer Erkrankung bedeutsam ist.
Das menschliche Genom beinhaltet etwa 25.000 Gene. Im Durchschnitt kodiert ein Gen für drei Proteine. Etwa 35 % der Gene können auf verschiedene Arten abgelesen werden. Die unerwartet kleine Zahl der Gene im menschlichen Genom wird kompensiert durch deren flexible Nutzung mit erheblicher kombinatorischer Vielfalt auf der Ebene der Proteinarchitektur. Das Proteom des Menschen besteht aus etwa 250.000 Proteinen. Aktuell sind rund 2000 Genorte mit klinischer Relevanz bekannt. Über 2000 Phänotypen wurden im Genom genau lokalisiert. Bei mehr als 300 Genodermatosen kennen wir die genaue Kartierung und einzelne der verantwortlichen Gene, und die Genprodukte sind identifiziert. Das Wissen um den Genort allein ist aber für den Praxisalltag wenig hilfreich. Die Aufschlüsselung des verantwortlichen Gens bei verschiedenen Krankheiten ist heute bei immer mehr Krankheiten bekannt. Die Kenntnis des verantwortlichen Gens mit dessen Produkt ist die Voraussetzung einer zielgerichteten und rationalen Therapie.
Die technische Entwicklung in der molekularen Genetik war so rasant, dass sie an verschiedenen Orten die ethischen Fragestellungen überholt hat. Präimplantationsdiagnostik, Klonen von gesamten Organismen, Microarray-Untersuchungen Tausender von Genen mit wenigen Blutstropfen eröffnen in Einzelfällen sehr hilfreiche Möglichkeiten, doch sie bergen auch die Gefahr von Missbrauch. Aus diesem Grund ist die Ärzteschaft gefordert, nicht nur die Machbarkeit zu betrachten, sondern auch die ethischen Konsequenzen der modernen Entwicklung kritisch zu werten.
Da das Wissen in der molekularen Genetik exponentiell angestiegen ist, sind die meisten Mediziner nicht mehr in der Lage, die prinzipiellen Aspekte der Genetik im Detail zu überblicken. Moderne Standardwerke zur molekularen Genetik sind heute meist mehrbändig (zum Beispiel Scriver et al. 2001 mit mehr als 5000 Seiten). Die umfangreichste Quelle für Informationen zu genetischen Erkrankungen ist die Online-Datenbank von Victor A. McKusick (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/omim/).
Dieses Kapitel soll helfen, Grundlagen für das Verständnis der modernen Genetik zu liefern. In mehreren Kapiteln dieses Buchs wird grundsätzlich über die Genetik von Genodermatosen in Form eines kleinen Kastens informiert; folgendes Beispiel über die Information zur Genetik von Dermatosen gilt für MEN-2B-Syndrom (Kap. „Tumorassoziierte Genodermatosen“).
OMIM-Nummer
OMIM 162300
Vererbungsmuster
AD
Lokus
10q11.2
Gen
RET
Protein
RET-Onkogen
Praktisch alle Krankheiten sind letztendlich die Folge einer Interaktion zwischen Umwelteinflüssen und genetischen Begebenheiten. So führt eine Mutation im Filaggrin-Gen zur monogenen Ichthyosis vulgaris und ist auch beim polygen vererbten atopischen Ekzem relevant beteiligt. Doch auch bei der monogenen Ichthyose spielen Umwelteinflüsse, wie Kälte und Lufttrockenheit, für den Phänotyp eine Rolle. Beim polygenen atopischen Ekzem haben mehr Umweltfaktoren einen Einfluss auf den Phänotyp. Bei monogenen Erkrankungen sind der Phänotyp und das Wiederholungsrisiko einfacher vorauszusagen als bei polygenen Erkrankungen, wie zum Beispiel dem atopischen Ekzem oder der Psoriasis. Weiterhin sind chromosomale Störungen und auch somatische (postzygote) Mutationen früh in der embryonalen Entwicklung mögliche Ursachen von Erbkrankheiten.
Es wird geschätzt, dass etwa 10.000 Erkrankungen monogen autosomal vererbt und rund 500 X-gebunden weitergegeben werden. Etwa 25 werden Y-gebunden vererbt, rund 60 zeigen ein mitochondriales Muster. Die Haut ist dasjenige Organ, welches mit 30 % am häufigsten bei monogenen Erbkrankheiten mitbeteiligt ist.

Wichtige Begriffe in der Genetik

Mutationen

Die fehlerfreie Duplikation von genetischer Information ist die Voraussetzung jeglichen Lebens. Die genetische Information beruht auf einer linearen Abfolge von Nukleotiden innerhalb der DNA. Die DNA ist eine helikale, doppelsträngige chemische Verbindung, die neben repetitiven Zucker- und Phosphorsäureestern aus vier stickstoffhaltigen organischen Basen besteht: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C).
Eine Änderung der genetischen Buchstabenabfolge kann bedeutende Konsequenzen für den Inhalt der genetischen Information verursachen. Beispiel: Durch eine Änderung von zwei organischen Basen wird die genetische Information in ihrem Sinn erheblich verändert, aus „Hautarzt“ wird durch eine Substitution von „t“ durch „s“ ein Hausarzt.
Minimale Abweichungen oder Fehler bei der Replikation kommen häufig vor. Bei einer 100 %ig fehlerfreien Duplikation der genetischen Information würden alle Individuen absolut gleich aussehen.
In jeder Generation ergibt sich eine Anzahl von Veränderungen im genetischen Material. Ein wichtiger Mechanismus ist die Rekombination, das heißt der Austausch von genetischem Material zwischen zwei Allelen.
Allele sind Varianten eines Gens und stellen eine bestimmte DNA-Sequenz dar mit identischem Genlokus auf homologem Chromosom. Die normale Form des Allels wird als Wildtyp bezeichnet. Unter Heterozygotie versteht man das Vorkommen von zwei verschiedenen Allelen auf den beiden homologen Chromosomen.
Chromosomen sind Struktureinheiten des Zellkerns mit der genetischen Information, welche durch die Zellteilung weitergegeben wird. Die Chromatide entsprechen den Hälften eines duplizierten Chromosoms während der Zellteilung. Das Chromatid ist mit dem Schwesterchromatid in der Zentromerregion verbunden.
Änderungen im Erbgut (Mutationen) können in der Keimbahn entstehen, und die erste Manifestation dieser Mutation wird sich bei den Nachkommen zeigen. Häufiger finden sich Mutationen außerhalb der Keimbahn als somatische Mutation, welche zu umschriebenen Fehlbildungen, Nävi oder Tumoren führen können. Mutationen, die bis zum 8/16-Zellstadium entstehen, können sowohl Keimbahn- wie somatische Mutationen verursachen. Mutationen während der Embryogenese führen zu Mosaikzuständen.
Es werden verschiedene Formen von Mutationen unterschieden:
Polymorphismen
Polymorphismen entsprechen der individuellen genetischen Variation. Etwa 99,9 % der DNA-Sequenz zwischen verschiedenen Individuen ist identisch. Genetische Polymorphismen haben eine Bedeutung für die Prädisposition von komplexen Krankheiten wie Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen, psychischen Erkrankungen oder bei der Metabolisierung von Medikamenten. Von einem Polymorphismus spricht man, wenn das seltene Allel in >2 % der Bevölkerung vorhanden ist.
Genmutation
Die biologische Umsetzung der genetischen Information wird auch als Genexpression bezeichnet und entspricht einem komplexen, mehrstufigen Prozess. Die Veränderung in einem oder mehreren Basenpaaren eines Gens kann zu einer Alteration des Genprodukts mit besonderem Phänotyp führen. Dieses Ereignis findet in den Gameten oder während der frühen Phase der Embryogenese statt und ist beispielsweise für die Mendel-Erbgänge verantwortlich. In den letzten Jahren ist das Konzept der Rückmutation bei zahlreichen Erkrankungen beschrieben worden. Dies entspricht einer natürlichen Gentherapie, indem das veränderte Gen postzygot oder sogar im Erwachsenenalter wieder zum Wildtyp zurückmutiert wird. Die Ichthyosis en confettis konnte auf der Basis dieses Prinzips molekulargenetisch erklärt werden.
Chromosomenmutation
Veränderungen an Chromosomen haben stets eine erhebliche Auswirkung auf das betroffene Individuum. Es kann zu Verlust oder Duplikation eines ganzen Chromosoms oder von Chromosomenteilen kommen. Die Inversion eines Segments sowie Insertionen und Translokationen führen zu einer Änderung der chromosomalen Information. Chromosomenveränderungen in der Keimbahn führen zu komplexen Missbildungssyndromen, später erworbene sind für die Entstehung von Malignomen mitverantwortlich.
Genomische Mutation
Eines oder mehrere Chromosomen können entweder fehlen oder in Überzahl vorliegen. Dieser Zustand heißt Aneuploidie. Sind drei statt zwei Chromosomen vorhanden, spricht man von Trisomie. Trisomien sind nur dann mit dem Leben vereinbar, wenn Chromosomen mit relativ geringer genetischer Information betroffen sind, wie Chromosom 21, 13, oder 18. Mutagen wirken unter anderem energiereiche elektromagnetische Wellen, zu denen auch die UV-Strahlung gehört. Chemotherapeutika, wie sie in der Onkologie verwendet werden, haben ebenfalls ein mutagenes Potenzial. Weiterhin sind Viren in der Lage, das Erbgut zu verändern. So ist die Induktion eines Burkitt-Lymphoms durch Epstein-Barr-Viren gut dokumentiert.

Erbgang typisch

Autosomal-dominante Vererbung

Autosomal-dominant vererbte Erkrankungen sind gekennzeichnet durch das Auftreten in mehreren Generationen (Abb. 1).
Ein mutiertes Gen in einem der beiden Allele auf einem bestimmten Chromosomenabschnitt ist ausreichend, um zur Krankheit zu führen. Ein häufiges und typisches Beispiel ist die Neurofibromatosis generalisata Typ I (Morbus Recklinghausen) (Kap. „Genodermatosen“). Die Kinder von betroffenen Eltern haben ein Wiederholungsrisiko von 50 %. Gesunde Kinder aus einer Familie mit Morbus Recklinghausen haben kein erhöhtes Risiko, die Krankheit weiterzugeben. Bei Kindern mit Morbus Recklinghausen von gesunden Eltern besteht meist eine Spontanmutation. Dennoch konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass in diesen Fällen nicht selten ein Mosaikzustand bei einem Elternteil besteht. Es findet sich in diesen Fällen eine Mutation, welche auf die Keimzellen beschränkt ist. Aus diesem Grund zeigt das Individuum mit dem Mosaikzustand in der Keimbahn einen normalen oder minimal pathologischen Phänotyp, doch seine Kinder können wiederholt eine Neurofibromatosis generalisata Typ I aufweisen. Kommt es zu einer homozygoten Vererbung (beide Eltern müssen die Mutation mit dominanter Erkrankung aufweisen), ist der Phänotyp in der Regel deutlich akzentuiert, oder es kommt zum Tod in utero.
Es gibt autosomal-dominant vererbte Krankheiten, welche sich auf eine gemeinsame Mutation zurückführen lassen. In einer solchen Situation spricht man von einem Founder effect. Sind ein Großelternteil und ein Enkelkind betroffen, die Eltern aber klinisch nicht fassbar erkrankt, spricht man von einer inkompletten Penetranz. Penetranz und Expressivität (Maß der Ausprägung) haben keinen gesicherten molekulargenetischen Hintergrund, sondern helfen im Sprachgebrauch des Klinikers.
In der Regel betreffen autosomal-dominante Erkrankungen Strukturproteine. Sind mehr als 50 % eines bestimmten Strukturproteins abnorm, so ist die Funktion gestört, und das Krankheitsbild wird manifest. Nur wenige Stoffwechselerkrankungen, wie mehrere Porphyrien oder eine Form der familiären Hyperlipidämie, werden autosomal-dominant vererbt, da meist die restlichen, normal funktionierenden Proteine den Mangel kompensieren können.
Zahlreiche familiäre Tumorerkrankungen (Kap. „Tumorassoziierte Genodermatosen“) werden autosomal-dominant vererbt. Bei der Keimbahnmutation für ein Protein, welches mehrere Funktionen ausübt und auch als Tumorsuppressor wirkt, ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass eine weitere Mutation am gleichen Allel des homologen Chromosoms auftritt und zum Verlust der Heterozygotie führt. Dann zeigt sich keine Restaktivität mehr für die Tumorsuppressorwirkung. Ein wichtiges Beispiel in der Dermatologie ist das Basalzellkarzinom-Syndrom (Gorlin-Goltz-Syndrom) (Kap. „Basalzellkarzinom“).

Autosomal-rezessive Vererbung

Typisch für den autosomal-rezessiven Erbgang ist das Vorhandensein von Konsanguinität (Nachkommen aus Verwandtenehen) und das Auftreten von Krankheitsfällen bei mehreren Geschwistern von klinisch gesunden Eltern (Abb. 2). Bei der Aufdeckung von Genodermatosen ist eine exakte Familienanamnese mit Stammbaum unerlässlich. Heirat unter Verwandten muss speziell erfragt werden.
Bei einer rezessiv vererbten Erkrankung haben beide Eltern ein mutiertes Allel. Sie sind Merkmalsträger. Meistens handelt es sich um enzymatisch bedingte Erkrankungen, bei denen das normale Allel im heterozygoten Zustand die Funktion kompensieren kann. Die Kinder von Eltern mit je einem mutierten Allel haben eine 25 %ige Wahrscheinlichkeit, beide mutierten Allele zu erhalten, und in 50 % werden sie zu Merkmalsträgern. Nur ein Viertel der Kinder zeigt zwei gesunde Allele.
Die Kinder eines erkrankten Elternteils haben ein kleines Krankheitsrisiko, da beide Eltern für eine Homozygotie beim Kind ein mutiertes Allel aufweisen müssten. Manchmal haben heterozygote Merkmalsträger einen selektiven Vermehrungsvorteil für andere Erkrankungen, wie die heterozygoten Merkmalsträger der Sichelzellanämie einen gewissen Schutz gegen Malaria besitzen.
Im Gegensatz zu den autosomal-dominant vererbten Erkrankungen mit unterschiedlichem Schweregrad des Phänotyps zeigen Patienten mit autosomal-rezessiven Erkrankungen eine relative Monomorphie. In der Regel haben rezessive Erbleiden eine funktionell und vital schwerere Störung zur Folge als autosomal-dominante Erkrankungen.

Kodominante Vererbung

Manchmal kann man nicht überzeugend von einer autosomal-dominanten oder autosomal-rezessiven Vererbung sprechen, da mehrere Gene exprimiert werden, wie beim ABO-System der Blutgruppen. Im strikten Sinn von Gregor Mendel sollte man nur von autosomal-dominanten Phänotypen sprechen und nicht von Genotypen. Variable Expression oder inkomplette Penetranz bedeutet, dass der Phänotyp nicht immer gleich stark ausgeprägt ist. Bei rezessiven Erkrankungen wird angenommen, dass die heterozygoten Merkmalsträger klinisch stumm sind, was aber nur in einem kleinen Teil zutrifft. Neuere Untersuchungen zeigen, dass heterozygote Merkmalsträger von rezessiven Erkrankungen zahlreiche Minimalmanifestationen der Erkrankung zeigen.

Pleiotropismus

Ein einzelner Gendefekt kann verschiedene Auswirkungen in unterschiedlichen Organen zeigen. Dieses Phänomen wird als Pleiotropismus bezeichnet. Eine Mutation im patched-Gen bei Basalzellkarzinom-Syndrom führt zu zahlreichen Veränderungen wie Kieferzysten, Grübchen in den Handflächen und Fußsohlen, Hypertelorismus, Gabelrippen, Verkalkungen in der Falx cerebri und verminderter Intelligenz. Die meisten Keimbahnmutationen haben eine gewisse Pleiotropie.

X-chromosomale Vererbung

Durch den Lyon-Effekt wird bei X-chromosomaler Vererbung der Unterschied zwischen den Begriffen dominant und rezessiv etwas verwischt.
X-chromosomal rezessive Vererbung
Ist ein funktionell bedeutsames Gen auf dem X-Chromosom lokalisiert und für eine Krankheit verantwortlich, ist der Stammbaum schwieriger zu interpretieren. Männer haben einen XY-Karyotyp und Frauen haben zwei X-Chromosomen. Führt eine Mutation auf dem Chromosom X nur bei einem Mann zur Krankheit, sprechen wir von einem X-rezessiven Erbgang. Wegen des Lyon-Effekts, der randomisierten X-Inaktivation (s. unten), ist der X-gebundene rezessive Erbgang bei der Frau oft nicht einfach zu finden. Weibliche Individuen zeigen typischerweise keine oder nur minimale Zeichen der Erkrankung, können jedoch Trägerinnen des mutierten Gens sein (Abb. 3). Ist ein Vater krank, sind alle seine Töchter Trägerinnen des Gens, sie zeigen aber kaum je das Vollbild der Erkrankung. In den letzten Jahren sind vermehrt segmentale Minimalmanifestationen bei Frauen im Rahmen der Heterozygotie beobachtet worden.
X-chromosomal dominante Vererbung
Dieser sehr seltene Erbgang ist von besonderem Interesse für Dermatologen. Dabei führt die Mutation auf einem X-Allel auch bei Frauen zur Erkrankung (Abb. 4). Da weibliche Individuen physiologische Mosaike für X-Chromosomen sind, weisen Frauen sehr ausgeprägte Formen von kutanem Mosaizismus auf (Kap. „Mosaizismus und epidermale Nävi“). Die Hautveränderungen folgen oft den Blaschko-Linien und enden in der Mittellinie. Wegen der zufälligen X-Inaktivierung kann der Phänotyp sehr unterschiedlich aussehen. Männer sind seltener betroffen. Ist die Mutation nur im heterozygoten Zustand überlebensfähig, sterben die männlichen Individuen in utero ab. Beim Klinefelter-Syndrom mit der Konstellation XXY kann eine X-gebundene dominante Erkrankung auch mit prinzipiell letaler Folge vorkommen. Eine Halb-Chromatid-Mutation in der Gamete kann ebenfalls zu einer Krankheitsmanifestation bei einem männlichen Individuum führen. Die Hälfte der Töchter einer befallenen Mutter wird krank sein und die Hälfte der Söhne sterben in utero, falls es sich um eine Letalvariante handelt. Die anderen Söhne sind gesund.
X-Inaktivierung (Lyonisierung)
Bei Frauen wird früh während der Embryogenese in den einzelnen Zellen zufällig entweder das väterliche oder mütterliche X-Chromosom inaktiviert. Dieser Mechanismus wird nach der Beschreiberin Lyon-Effekt genannt. Die Tochterzellen behalten dann aber ihre ursprüngliche Aktivierung. Dieser funktionelle Mosaizismus kann zu den typischen Blaschko-linearen Mustern führen. Das inaktive X-Chromosom erscheint zytologisch als X-Chromatin (Barr-Körperchen).
Umgehung der X-Inaktivierung
In den letzten Jahren wurden zunehmend Gene auf dem X-Chromosom gefunden, welche der Inaktivierung entgehen können. Aus klinischer Sicht heißt dies, dass eine heterozygote Patientin ohne Mosaikphänotyp eine Krankheit aufweist, deren mutiertes Gen auf dem X-Chromosom der Inaktivierung entgeht.

Y-chromosomale Vererbung

Die offensichtlichste Vererbung durch das Y-Chromosom ist das männliche Geschlecht. Es gibt zwei Übertragungsformen. Y-gebundene Gene können nur vom Vater auf den Sohn übertragen werden. Zusätzlich gibt es auf dem Y-Chromosom pseudoautosomale Gene, welche ihren Gegenspieler auf dem X-Chromosom haben. Die pseudoautosomale Region am Ende des kurzen Arms vom Y-Chromosom unterliegt einem Crossing-over mit dem telomerischen Anteil des X-Chromosoms. Merkmale, die durch solche Gene übertragen werden, zeigen ein Vererbungsmuster wie autosomal übertragene Erkrankungen. Die Ohrhaare (hairy pinnae of the ears) werden möglicherweise Y-gebunden vererbt.

Mitochondriale Vererbung

Das menschliche mitochondriale Genom besteht aus 14 proteinkodierenden Regionen. Die mitochondriale Vererbung ist strikt matrilinear (Abb. 5). Die bekannten mitochondrialen Erkrankungen beinhalten vorwiegend muskuläre, neurologische und ophthalmologische Erkrankungen. Bodemer und Mitarbeiter haben die Haut- und Haarveränderungen bei mitochondrialen Erkrankungen untersucht (Bodemer et al. 1999). Sie fanden bei 10 % der Kinder mit mitochondrialen Erkrankungen Haut- und Haarveränderungen. Sie konnten vier Kategorien unterscheiden: Haarveränderungen wie Trichothiodystrophie, Hypertrichosen, Exantheme und Pigmentstörungen.

Erbgang ungewöhnlich

Erwartungsgemäß gibt es Ausnahmen zu den oben erwähnten Vererbungsmustern. Es werden nur solche besprochen, welche bei Genodermatosen eine Rolle spielen.

Geschlechtslimitation

Gewisse Erkrankungen zeigen sich nur bei einem Geschlecht, obwohl das Gen autosomal vererbt wird. Es gibt zum Beispiel ein Gen, das für eine Variante der Pubertas praecox verantwortlich ist, welches nur Knaben betrifft, aber nicht auf den Geschlechtschromosomen lokalisiert ist.

Antizipation

Dies bezeichnet die Zunahme des Schweregrades einer Genodermatose von Generation zu Generation. Ein Beispiel ist die Chorea Huntington oder die Myotonia dystrophica. Molekulargenetisch kann bei der Myotonia dystrophica eine Verlängerung der Trinukleotid-Repeat-Expansion von Generation zu Generation dokumentiert werden.

Uniparentale Disomie

Ein Patient mit autosomal-rezessiver Erkrankung kann in extrem seltenen Fällen nur ein Elternteil mit heterozygoter Mutation haben. Es konnte molekulargenetisch gezeigt werden, dass bei einem solchen Patienten beide mutierten Allele von dem einen befallenen Elternteil stammen.

Genomisches Imprinting

Manchmal ist es bedeutsam, ob ein Gen von der Mutter oder vom Vater stammt. Das am besten untersuchte Beispiel betrifft eine Mutation auf Chromosom 15q11q13. Ist das väterliche Gen nicht exprimiert, entwickelt sich das Prader-Willi-Syndrom. Fehlt das mütterliche Gen, entwickelt sich ein Angelman-Syndrom. Die beiden Phänotypen sind aber vollständig verschieden.

Kombinierte Heterozygotie

Ein Individuum kann zwei verschiedene Mutationen am selben Allelort aufweisen. Eine kombinierte Heterozygotie ist für den Morbus Hurler und das Scheie-Syndrom beschrieben worden, welches zu einem Scheie-Hurler-Phänotyp wird.

Pseudodominanz

Ein Stammbaum, der etwas an eine autosomal dominante Vererbung erinnert und dennoch durch ein rezessives Gen verursacht wird, entsteht, wenn ein Kind von einem klinisch Erkrankten mit rezessivem Krankheitsbild (homozygot) stammt, dessen zweiter Elternteil heterozygot ist. Das Erkrankungsrisiko bei den Kindern ist in dieser Situation 50 %. Eine solche Konstellation ist besonders bei Verwandtenehen zu finden.

Paradominanz

Einzelne Entitäten wie der Becker-Nävus oder das Klippel-Trénaunay-Syndrom treten meist sporadisch auf, doch es gibt einzelne familiäre Beobachtungen. Um dieses Phänomen zu erklären, hat Happle den Begriff der Paradominanz vorgeschlagen. Heterozygote Genträger bei rezessiven Erkrankungen sind phänotypisch normal. Homozygote könnten nicht überleben. Unter diesen Voraussetzungen können solche Gene unbemerkt über zahlreiche Generationen weitergegeben werden (Abb. 6). Kommt es jedoch durch ein postzygotes Ereignis wie Crossing-over oder Deletion in umschriebenen Körperarealen zum Verlust der Heterozygotie, wird das Merkmal klinisch sichtbar. Bis heute konnte allerdings der molekulargenetische Beweis für die Existenz der Paradominanz noch nicht erbracht werden.

Zwillingsflecken

Das Auftreten von Zwillingsflecken ist in der Pflanzen- und Tierwelt gut dokumentiert. Beim Menschen fehlt allerdings bis heute der molekulare Beweis für die Existenz der Zwillingsflecken. Ist ein Patient heterozygot für zwei unterschiedliche rezessive Gene, die ungefähr am gleichen Allelort liegen, so könnte eine somatische Rekombination (auch bekannt als Schwester-Chromatid-Austausch) zu einem Verlust der Heterozygotie mit homozygoten Mutationen führen, die unmittelbar nebeneinander liegen. Dies würde beispielsweise erklären, dass ein Naevus anaemicus unmittelbar neben einem Naevus teleangiectaticus zu liegen kommt.
Ist ein Patient heterozygot für zwei unterschiedliche rezessive Gene, die ungefähr am gleichen Allelort liegen, so kann eine somatische Rekombination (auch bekannt als Schwesterchromatid-Austausch) zu einem Verlust der Heterozygotie mit homozygoten Mutationen führen, die unmittelbar nebeneinander liegen. Dies erklärt, dass ein Naevus anaemicus unmittelbar neben einem Naevus teleangiectaticus liegt.

Punktmutation und Deletion

Monogene Erkrankungen können durch eine Punktmutation oder aber durch eine Deletion (größerer Genverlust, Segment des Chromosoms fehlend) bedingt sein. Bei sehr großen Genen führen eher Deletionen zur Krankheit, während bei kleinen Genen oft Punktmutationen als Krankheitsauslöser gefunden werden.

Verlängerte Gendeletion (contiguous gene syndrome)

Große Deletionen können zum Verlust von zahlreichen Genen führen. Die verschiedenen Formen des Trichorhinophalangealen Syndroms mit zunehmendem Schweregrad können auch als contiguous gene syndrome interpretiert werden.

Genetische Heterogenie

Die moderne Molekulargenetik hat gezeigt, dass oftmals ähnliche Phänotypen genetisch völlig unterschiedlich verursacht werden. Die segmentalen Duplikationsereignisse innerhalb des menschlichen Genoms sind für die Tatsache verantwortlich, dass zum Beispiel die Tuberöse Sklerose zwei Genorte kennt (Chromosom 9q und 16p).

Tumorassoziierte Gene

Die Bedeutung von Genen in der Karzinogenese ist in den letzten Jahren viel offensichtlicher, aber auch komplexer geworden. Es gibt zahlreiche dokumentierte Möglichkeiten, wie mutierte Gene zur Tumorentstehung prädisponieren können. Es gibt drei Hauptkategorien von tumorassoziierten Genen:

Tumorsuppressorgene

Bei einer autosomal-dominanten Erkrankung, bei der eine Keimbahnmutation in einem Tumorsuppressorgen zu einem komplexen Syndrom führt, ist das noch gesunde Allel ausreichend, um vor Tumorentstehung zu schützen. Die Gefahr einer erworbenen Mutation im zweiten Allel ist aber bei solchen Patienten mit Keimbahnmutation deutlich größer als bei Individuen, die mit zwei gesunden Allelen für ein Tumorsuppressorgen geboren wurden (Knudsen’s 2-Hit-Modell).
Beispiel: Einzelne Kinder entwickeln beidseitige Retinoblastome früh im Kindesalter und andere entwickeln solitäre, einseitige Retinoblastome im späten Erwachsenenalter. Bei einem Individuum ohne Keimbahnmutation bestehen zwei unmutierte Allele mit normal funktionierenden Tumorsuppressorgenen. Für die Entwicklung eines Retinoblastoms müssen beide Allele am gleichen Ort mutiert werden, was einem seltenen Ereignis entspricht und viel Zeit beansprucht. Bei einem Kind mit Keimbahnmutation besteht schon eine Mutation für das Tumorsuppressorgen und bei einer zusätzlichen Mutation entsteht ein Verlust der Heterozygotie mit Fehlen eines funktionierenden Tumorsuppressorgens.
Diese Tatsache erklärt, warum Patienten mit Gardner-Syndrom (verantwortliches APC-Gen ist ein Tumorsuppressorgen) oder Cowden-Syndrom (Keimbahnmutation im Tumorsuppressorgen PTEN) in jungem Alter schon zahlreiche maligne Tumoren entwickeln können (Kap. „Tumorassoziierte Genodermatosen“). Während sporadische Tumoren einzeln und im Erwachsenenalter auftreten, sind familiäre Tumoren meist multipel und zeigen sich früher (Schnyder-Regel).

Onkogene

Im Gegensatz zu ihrem Namen stellen Onkogene einen Teil der normalen Kontrolle des Zellzyklus dar. Bei einer Mutation wird ihr Genprodukt übermäßig exprimiert und die Zellvermehrung wird nicht mehr gebremst. Das RET-Protoonkogen, verantwortlich für das Syndrom multipler endokriner Neoplasien mit zahlreichen Neuromen (MEN-2B) (Kap. „Tumorassoziierte Genoderamtosen“), kodiert einen Thyrosinkinaserezeptor, der eine wichtige Funktion in der Kontrolle des Zellzyklus übernimmt. Bei einer Mutation in diesem Onkogen kann es zu einem weitgehend unkontrollierten Zellwachstum kommen.

DNA-Reparaturgene

Zahlreiche Gene sind dafür verantwortlich, Schäden in der DNA zu reparieren, welche durch Umwelteinflüsse oder bei der Zellvermehrung entstanden sind. Diese Gene sichern die genetische Stabilität der Zellen. Kommt es zu Mutationen in solchen Genen, sammeln sich Erbschäden rasch an. Frühzeitiges Altern und Tumorentwicklung sind die charakteristischen Merkmale. Beispiele sind das Xeroderma pigmentosum (Kap. „Genodermatosen“), Bloom-Syndrom (Kap. „Genodermatosen“), Rothmund-Thomson-Syndrom (Kap. „Genodermatosen“) oder das Muir-Torre-Syndrom (Kap. „Tumorassoziierte Genodermatosen“).

Weitere Besonderheiten

Immortalisation

Natürlicherweise entwickeln lebende Zellen eine Seneszenz und beenden die Zellteilung nach 20–50 Zellzyklen. Einzelne Zellen können diesem Alterungsprozess entgehen. Die Telomere, welche als Uhr der Zelle gelten und bei jeder Zellteilung kürzer werden, können in Tumorzelllinien eine Telomerase entwickeln, welche Telomere synthetisieren kann. Somit wird die Zellalterung umgangen.

Zytogenetische Defekte

Zytogenetische Störungen im Sinne von Chromosomenanomalien (Kap. „Genodermatosen“) finden sich besonders oft bei Aborten im ersten Trimester. Chromosomenanomalien treten gehäuft bei fehlerhafter Sexualentwicklung, primärer Amenorrhoe oder Infertilität auf. Besonders schwerwiegend sind zusätzliche Chromosomen oder Verlust von Chromosomen. Durch komplexe Störungen in der Zellteilung können auch Teile von Chromosomen verlorengehen oder dupliziert werden. Durch eine Translokation können Teile von zwei verschiedenen Chromosomen ausgetauscht werden.

Multifaktorielle Vererbung

Resultieren mehrere mutierte Gene sowie Umwelteinflüsse in einer Erkrankung, spricht man von polygenen Krankheiten. Typische Beispiele sind die Psoriasis und das atopische Ekzem.

Genetische Beratung, Pränataldiagnostik und Gentherapie

Genetische Beratung

Vorausgehend soll hier erwähnt werden, dass die rein klinische genetische Beratung verschiedene Fallstricke aufweist. Bei dieser Tätigkeit ist besondere Vorsicht erforderlich. Sowohl die emotionale Seite als auch die intellektuellen und juristischen Aspekte sind sehr delikat. Zwei Standardsituationen sind zu berücksichtigen:
  • Eltern mit einem erkrankten Kind möchten wissen, wie groß das Wiederholungsrisiko für ein weiteres Kind ist.
  • Ein Individuum mit einer bestimmten Erkrankung möchte wissen, wie groß das Risiko einer Erkrankung für seine Kinder ist.
Der erste wichtige Schritt einer guten Beratung ist die Sicherung einer exakten Diagnose. Ichthyose oder Epidermolysis bullosa sind ungenügende Bezeichnungen, da unterschiedliche Erbgänge existieren. Da es sich meist um sehr seltene Entitäten handelt, ist eine Kooperation mit einem spezialisierten Zentrum ratsam. Ist die Diagnose gesichert, kann anhand des bekannten Erbmodus die Wiederholungswahrscheinlichkeit errechnet werden. Ein Patient mit einer autosomal-dominanten Erkrankung wird die Krankheit in 50 % an seine Kinder weitergeben. Das Risiko, ein erkranktes Kind zu haben, ist bei Vorhandensein einer rezessiv vererbten Erkrankung eines Elternteils verschwindend klein. Bei einer X-gebundenen Vererbung kann ein betroffener Mann die Krankheit nicht an die Kinder übertragen, doch die Töchter sind Trägerinnen und die Söhne alle gesund.
Sind beide Eltern gesund, muss wiederum der Erbgang der Erkrankung erforscht werden. Die Eltern sollten intensiv auf Minimalzeichen der Erkrankung untersucht werden. Findet man bei einem der Eltern eines Kindes mit tuberöser Sklerose (autosomal-dominant vererbt) einen Bindegewebsnävus oder Eschenblatt-Hypopigmentierungen, so ist das Wiederholungsrisiko 50 %. Hat das betroffene Kind aber eine Spontanmutation, so ist das Risiko einer Wiederholung gleich groß wie in der sonstigen Population. Wird die Krankheit rezessiv übertragen, ist das Wiederholungsrisiko für das nächste Kind 25 %. Ist die Mutter Trägerin einer X-gebundenen rezessiven Erkrankung, so werden die Söhne in 50 % krank sein und die Hälfte der Töchter sind Trägerinnen.

Pränatale Diagnostik

Bei Frauen, die älter sind als 35 Jahre, oder Eltern mit schweren genetischen Erkrankungen, stellt sich im Rahmen der Familienplanung die Frage, ob eine pränatale Diagnostik sinnvoll und möglich ist. Eine pränatale Diagnostik ist nur dann sinnvoll, wenn sich daraus eine Konsequenz ergibt, da der Eingriff mit Risiken und auch emotionaler Belastung verbunden ist. In einzelnen Fällen gibt es die Möglichkeit einer intrauterinen Therapie. Andererseits kann sich der Wunsch ergeben, dass die Mutter nur ein gesundes Kind austragen möchte und im Falle der Sicherung einer Krankheit ein Abort geplant wird. Diese erheblichen Konsequenzen der Untersuchung zeigen, wie wichtig die hohe Spezifität der erhaltenen Resultate sein muss. Zusätzlich birgt jede invasive pränatale Diagnostik ein gewisses Risiko, welches gegenüber dem Nutzen abgewogen und mit den Eltern besprochen werden muss. Die Liste der Krankheiten, bei denen eine pränatale Diagnostik möglich ist, wächst dauernd, sodass eine Aufzählung der Entitäten hier nicht sinnvoll erscheint. Datenbanken mit den neuesten Untersuchungsmöglichkeiten stehen heute zur Verfügung (http://www.geneclinics.org, http://www.hslib.washington.edu/helix). Wurde eine klinische Diagnose etabliert, wird selbst ein erfahrener Genetiker mithilfe von Datenbanken die neuesten Aspekte der Diagnosesicherung abfragen.
Es gibt invasive und nichtinvasive pränatale Diagnosemöglichkeiten. Die nichtinvasiven umfassen Ultraschalluntersuchungen sowie Blutanalysen bei der Mutter. Die moderne hochauflösende Ultraschalluntersuchung ist in der Lage, zahlreiche Malformationen bis hin zur Verdickung der Haut beim Harlekin-Fetus darzustellen. Mütterliche Blutanalysen beinhalten das α-Fetoprotein, welches bei Neuralkanalerkrankungen erhöht ist. Mittels PCR können auch einzelne kindliche Zellen im mütterlichen Blut nachgewiesen werden. Diese hochempfindliche Technik ist aber noch experimentell.
Die invasiven Methoden haben zum Ziel, fetales Gewebe zur Chromosomenanalyse oder für biochemische Enzymdefektbestimmungen zu gewinnen, und zunehmend wird DNA zur Erkennung von genetischen Mutationen untersucht. Auch das Geschlecht kann einfach bestimmt werden, obwohl dies heute in der Regel mittels Ultraschall geschieht.
Folgende pränatale invasive Diagnostikmethoden sind heute möglich:
  • Präimplantationsdiagnostik: Mit dieser Methode können Blastozysten im 8-Zellstadium untersucht werden. Eine einzelne Zelle wird entfernt, geklont und auf die fragliche Mutation untersucht. Nur Blastozysten ohne Mutationen werden reimplantiert. Der Verlust einer einzelnen Zelle hat keine Auswirkung auf den Fetus, da im 8-Zellstadium alle Zellen omnipotent sind.
  • Chorionzottenbiopsie: Die Chorionzottenbiopsie kann von der 8. Woche an durchgeführt werden. Ein gewisses Risiko für den Feten besteht.
  • Amniozentese: Diese Methode liefert nicht nur fetale Zellen, sondern es kann auch Amnionflüssigkeit für biochemische Untersuchungen gewonnen werden. Diese Untersuchung kann ab der 14. Woche durchgeführt werden, doch bei der Notwendigkeit von Zellkulturen wird das Resultat erst ab der 18. Woche erhältlich sein.
  • Umbilikalvenenblut kann von der 18. Woche an gewonnen werden und hat eine Bedeutung für hämatologische Erkrankungen. Die Umbilikalvenensondierung wird auch für intrauterine Transfusionen benutzt.
  • Fetale Hautbiopsie: Sie hatte früher eine überragende Bedeutung für die pränatale Diagnostik von Genodermatosen ab der 18.–20. Woche, insbesondere bei Ichthyosen und Epidermolysen. Diese Methode wird heute zunehmend durch die molekulargenetischen Testmöglichkeiten nach Chorionzottenbiopsie verdrängt.

Gentherapie

In den letzten Jahren sind zahlreiche Grundlagen für eine Gentherapie gelegt worden. Die Haut ist ein geeignetes Organ, in welches funktionstüchtige Gene mit geeigneten Trägern gebracht werden können. Insbesondere bei den Verhornungsstörungen sind Resultate an Mausmodellen ermutigend. Dennoch sind die Fortschritte der Gentherapie deutlich langsamer als initial erhofft und der Einzug in die Klinik dürfte noch Jahre bis Jahrzehnte dauern.
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