Genetische Grundlagen
Autoimmunerkrankungen entstehen wahrscheinlich durch das Einwirken von Umweltfaktoren (z. B. Infektionen,
Toxine, Ernährung, Gewebeschäden) auf der Basis von genetischen Grundlagen.
In Bezug auf die Genetik spielt der Major-histocompatibility-complex-Lokus (MHC-Lokus) eine dominante Rolle, dieser Lokus wird beim Menschen human leucocyte
antigen (HLA) genannt. Die Assoziation der Expression bestimmter HLA-Moleküle mit dem Risiko, an bestimmten Autoimmunerkrankungen zu leiden (wie z. B.
HLA-B27 und Spondylarthritiden), ist seit langem bekannt, aber bis heute ist nicht genau definiert, wie verschiedene
HLA-Allele eine Autoimmunerkrankung auslösen oder verhindern.
MHC-Moleküle binden Peptide in einer vom MHC-Molekül gebildeten Grube. Genetisch unterschiedliche MHC-Moleküle binden unterschiedliche Peptide (MHC-Restriktion), und der Komplex aus MHC-Molekül und Peptid wird von T-Zellen mittels des TZR erkannt. Für das weitere Geschehen ist nicht nur die Bindung an sich, sondern auch die
Affinität der
Liganden, d. h. die Intensität der Bindung wichtig. Abhängig von dieser Affinität kann ein einzelner TZR funktionell unterschiedliche intrazelluläre Signalwege aktivieren und damit eine unterschiedliche Antwort der T-Zelle bewirken. Vor diesem Hintergrund ist denkbar, dass bestimmte (Selbst-)Peptide von einem mit einer Autoimmunerkrankung assoziierten MHC-Molekül präsentiert werden und zu einer T-Zell-Aktivierung und (Auto-)Immunantwort führen, während ein nicht mit der Erkrankung assoziiertes MHC-Molekül das gleiche Peptid nicht oder nicht ausreichend präsentieren kann und eine T-Zell-Antwort ausbleibt. Ein Peptid kann auch gleichzeitig sowohl einer Effektorzelle als auch (mit höherer Affinität) einer T
reg präsentiert werden. Damit kann gleichzeitig die Immunantwort wie auch ihre Regulation ausgelöst werden.
Auch durch genomweite Assoziationsstudien konnten eine Vielzahl weiterer genetischer Faktoren, wie Polymorphismen in Zytokin- oder Zytokinrezeptor-Genen (z. B. IL23R) und Signaltransduktionsgenen identifiziert werden, die mit der Empfänglichkeit oder Resistenz gegenüber Autoimmunerkrankungen verbunden sind. Ihre Assoziation mit Autoimmunerkrankungen ist allerdings weniger stark ausgeprägt als bei den HLA-Assoziationen und auch hier ist der genaue pathogenetische Mechanismus unbekannt.
Andererseits sind z. B. genetische Defekte des Komplementsystems mit einem deutlich erhöhten Risiko von Autoimmunerkrankungen verbunden, und eine Punktmutation in dem oben genannten AIRE-Transkriptionsfaktor führt zu dem autoimmunen Syndrom Polyendokrinopathie – Kandidiasis – ektodermale Dystrophie (APECED), während Mutationen im Transkriptionsfaktor Foxp3, einer zentralen Schaltstelle für die Entwicklung und Funktion von
regulatorischen T-Zellen, das IPEX-(Immundysregulation – Polyendokrinopathie-Entheropathie, x-chromosomal) Syndrom verursachen.
TH1-, TH2- und TH17-Zellen
Die von aktivierten
Lymphozyten sezernierten
Zytokine sind für die anhaltende Aktivierung verschiedenster immunkompetenter Zellen notwendig. Dabei werden von
CD4+-T-Helferzellen unterschiedliche Muster von Zytokinen sezerniert: TH1-Zellen produzieren proinflammatorische Zytokine wie Interferon-γ, Lymphotoxin-α und
Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), während TH2-Zellen für die Sekretion von antiinflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-4 und
Interleukin-10 verantwortlich sind. Da Entzündung ein Schlüsselaspekt von autoimmunen Erkrankungen ist, kann aus diesem Muster abgeleitet werden, dass TH1-Zellen vermehrt eine Rolle bei Auslösung und Progression von
Autoimmunität spielen, während TH2-Zellen protektiv sind. Dieses Konzept lässt sich nur teilweise experimentell bestätigen, aber die überzeugenden klinischen Erfolge der Blockade des TNF- und anderer Zytokin-Signalwege unterstreichen seine Bedeutung.
Die TH17-CD4
+-T-Helferzellen sezernieren ebenfalls ein charakteristisches Zytokinprofil (IL-17A, IL-17F, IL-21 und IL-22) und wirken wie die TH1-Zellen durch die sezernierten
Zytokine proinflammatorisch, dementsprechend können TH17-Zellen experimentelle Autoimmunkrankheiten induzieren.
B-Lymphozyten
B-Zellen sind bei einem Teil der Autoimmunerkrankungen entscheidend an der Pathogenese beteiligt. Beispiele für Erkrankungen, bei denen von B-Zellen produzierte
Autoantikörper den Organismus schädigen, sind der systemische
Lupus erythematodes (
SLE), die
immunhämolytischen Anämien, die idiopathische thrombozytopenische Purpura und verschiedene
Vaskulitiden. Beim SLE ist die Immunkomplexbildung aus
Antikörpern und
Antigen für die Glomerulonephritis verantwortlich, bei immunhämolytischen
Anämien bewirkt die Beladung von
Erythrozyten mit Autoantikörpern Phagozytose und Lyse dieser Zellen mittels Komplementaktivierung. Dabei sind die B-Zellen Effektorzellen, die mit der Hilfe von
CD4+-T-Helferzellen Autoantikörper produzieren, die B-T-Zell-Interaktionen sind
unidirektional.
Klinisch zeigt sich aber auch bei durch T-Zellen vermittelten Autoimmunerkrankungen ein Effekt einer B-Zell-Depletion. B-Zellen müssen also über die Produktion von
Autoantikörpern hinaus als Effektorzellen an der Pathogenese über
bidirektionale B-T-Zell-Interaktionen beteiligt sein. B-Zellen sind notwendig für eine produktive
CD4+-T-Zell-Antwort, dabei ist eine enge Interaktion zwischen B- und T-Zelle notwendig. Hierbei präsentiert die B-Zelle ein (Auto-)Antigen und aktiviert damit erfolgreich eine naive, autoreaktive T-Zelle. Darüber hinaus produziert die B-Zelle
Zytokine, die als Wachstumsfaktoren
Autoimmunität regulieren können.
Monozyten/Makrophagen
Bei jeder Entzündungsreaktion spielen
Monozyten/
Makrophagen eine Rolle. Auch bei diesem Zelltyp gibt es verschiedene
Untereinheiten: Die auf dem klassischen Weg, z. B. über Interferon-γ oder Lipopolysaccharid aktivierten M1-Makrophagen sind an der Abwehr einer Vielzahl von
Bakterien, Protozoen und Viren beteiligt, während M2-Makrophagen alternativ über
Zytokine wie IL-4, IL-10 oder IL-13 aktiviert werden und antientzündliche Aktivität haben. Neben weiteren Subtypen gibt es auch regulatorische Makrophagen, die nach Aktivierung über ihren Fcγ-Rezeptor große Mengen von IL-10 sezernieren können. Entsprechend ihren vielfältigen Funktionen haben Makrophagen bei autoimmunen Erkrankungen sowohl protektive als auch pathogene Aufgaben. Da sie neben den Granulozyten die wesentlichen Mediatoren in der Endstrecke der Entzündung sind, sind sie entscheidend für die Gewebedestruktion im Rahmen einer Autoimmunerkrankung verantwortlich.
Umweltfaktoren
Für eine protektive Immunantwort gegen Mikroorganismen benötigt das klonale, adaptive Immunsystem unterstützende Aktivierungssignale vom angeborenen Immunsystem, das wiederum auch vom adaptiven System beeinflusst wird. Die Aktivierungssignale des angeborenen Immunsystems werden über sog. pattern recognition receptors (PRRs) ausgelöst. Zu den signalgebenden PRRs gehören u. a. die Toll-like-Rezeptoren (TLR) und c-type-Lektine. Die PRRs wiederum werden durch Bindung an evolutionär konservierte sog. pathogen-associated molecule patterns (PAMPs) getriggert. PAMPs sind hochkonservierte Strukturmotive oder Moleküle von Mikroorganismen. Da PAMPs in metazoischen, d. h. vielzelligen, echtes Gewebe bildenden, Organismen nicht vorkommen, ist auch für das angeborene Immunsystem auf nichtklonaler Ebene eine Unterscheidung zwischen Selbst und Nichtselbst bzw. Gefährlich und Ungefährlich möglich.
Dass diese Interaktion auch bei der Auslösung von Autoimmunkrankheiten eine Rolle spielen kann, liegt nahe. Dabei sind grundsätzlich die folgenden Szenarien denkbar:
1.
Die Präsenz eines bestimmten Mikroorganismus ist für die Erkrankung notwendig, dieser Mikroorganismus ist die Ursache der Autoimmunerkrankung. Ein Beispiel dafür ist das rheumatische
Fieber, bei dem
Antikörper gegen Streptokokkenantigene mit myokardialen
Antigenen kreuzreagieren. Eine derartige Kreuzreaktion oder molekulare Mimikry ist wahrscheinlich in der Pathogenese einiger Autoimmunerkrankungen beteiligt.
2.
Ein bestimmter Mikroorganismus kann eine Autoimmunerkrankung triggern, d. h. seine Gegenwart ist nicht unbedingt notwendig, aber er kann bei einem genetisch empfänglichen Individuum die Initiierung oder den Verlauf der Erkrankung beschleunigen und verstärken. Dies wurde in verschiedenen Tiermodellen gezeigt.
3.
Es ist auch denkbar, dass ein bestimmter Mikroorganismus vor einer Autoimmunerkrankung schützen kann.
Die vorangehenden Ausführungen gelten nicht nur für pathogene Keime, auch das
Mikrobiom des Darms kann an der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen beteiligt sein. Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass einerseits unter sterilen Bedingungen im Darm keine chronisch-entzündliche Darmkrankheit entstehen kann und andererseits unter besonderen Bedingungen der genetischen Anfälligkeit eine chronisch-entzündliche Darmkrankheit mittels Transplantation des Mikrobioms erkrankter Tiere auf gesunde Tiere übertragen werden kann.
Auch Gewebeschäden, ausgelöst z. B. durch UV-Bestrahlung, können an der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen beteiligt sein. UV-Strahlung bewirkt apoptotischen Zelltod und eine nachfolgende überschießende Präsentation von nuklearen
Antigenen kann die Entstehung einer Autoimmunerkrankung begünstigen.
Regulative Faktoren
Bei der Verhinderung von Autoimmunerkrankungen spielen die
regulatorischen T-Zellen (T
regs) eine zentrale Rolle. T
regs sind meist
CD4+CD25+-T-Zellen. Sie können sowohl im Thymus durch eine hochaffine Bindung an den TZR entstehen als auch in der Peripherie durch T-Zell-Aktivierung in der Gegenwart immunsuppressiver
Zytokine. Während für die TH1-Zellen der Transkriptionsfaktor T-bet eine zentrale Rolle hat und für die TH2-Zellen GATA-3, ist dies für die T
regs der Transkriptionsfaktor Foxp3. Dementsprechend entwickeln Foxp3-negative Mäuse eine tödliche autoimmune lymphoproliferative Erkrankung, während beim Menschen durch Mutationen im Foxp3-Gen das
IPEX-Syndrom (siehe oben) ausgelöst wird.
Während beim
SLE die Kontrolle von B-Zellen gestört ist, spielt bei den T-Zell-abhängigen Erkrankungen ein Ungleichgewicht zwischen Effektor-T-Zellen und T
regs die zentrale Rolle. Die durch T
regs ausgeübte Suppression wird über verschiedene Mechanismen (u. a. Freisetzung von inhibitorischen
Zytokinen, Zytolyse durch z. B.
Granzyme oder Perforin) vermittelt, wahrscheinlich ist aber der Kontakt über CTLA-4 (cytotoxic T-lymphocyte
antigen 4, CD152) zentral. Mutationen im CTLA-4-Gen, das auch eigenständig bei der Regulation von Immunreaktionen beteiligt ist, können immundysregulative Erkrankungen auslösen.
T
regs kontrollieren in der Peripherie aktiv und dominant potenziell selbstreaktive T-Zellen, und
Antigene, die selbstreaktive T-Zellen aktivieren, können auch T
regs stimulieren. Damit wird die Balance zwischen T
regs und selbstreaktiven Effektorzellen dynamisch aufrecht erhalten. Die Funktion von T
regs hängt von der Foxp3-Expression und epigenetischen Faktoren ab. In einem genetisch empfänglichen Individuum triggern Umweltfaktoren eine Entzündung, und ein Teil der T
regs kann entweder die Foxp3-Expression verlieren, und damit instabil werden, oder die T
regs behalten ihre Foxp3-Expreession, verändern aber die epigenetische Struktur und sezernieren dann proinflammatorische
Zytokine. Beide Wege können in einer autoimmunen Erkrankung resultieren.