Festlegung der Zielgruppe (Kliniken, Risikogruppen)
Bei der Festlegung der Zielgruppen für die Surveillance im eigenen Krankenhaus sollten im Sinne der Kosten-Nutzen-Effektivität vor allem folgende Punkte eine Rolle spielen:
Wenn bisher keine Surveillance im Krankenhaus stattgefunden hat, sollte man auch die Frage hinzufügen, welcher Bereich für die Infektionsprävention besonders aufgeschlossen ist, um die ersten Erfahrungen unter möglichst günstigen Bedingungen zu sammeln.
Welche Ressourcen sind für die Surveillance vorhanden?
Weiterhin ist zu bedenken, dass die Surveillance am Anfang wesentlich zeitaufwendiger ist als bei geübtem Personal. Deshalb sollte man sich anfangs nicht zu viel vornehmen und schrittweise weitere Bereiche hinzufügen. Bei geübtem Surveillancepersonal kann man davon ausgehen, dass die Surveillance auf einer Intensivstation oder in einer operativen Klinik (in Abhängigkeit von der Klinikgröße und der Menge der Indikatoroperationen) nicht mehr als 2–4 Stunden pro Woche erfordert.
Außerdem sollte man vor Beginn sehr genau klären, welche EDV-technischen Voraussetzungen für die Surveillance genutzt werden können. Dabei geht es einerseits um die Bezugsdaten, z. B. um die Erfassung der Risikofaktoren bei operierten Patienten oder die Anwendungstage von Devices, aber auch um die Möglichkeiten mithilfe der EDV Hinweise auf
nosokomiale Infektionen bei den Patienten zu erhalten (Indikatoren). Das ist vor allem dann wichtig, wenn die Surveillance nicht durch das Personal der eigenen Klinik durchgeführt wird, sondern durch das Hygienefachpersonal.
Festlegung der Surveillancemethoden
Wenn man die Surveillance in einem Bereich oder bei einer Patientengruppe durchführen will, für die eine Referenzmethode bei KISS oder nach einem anderen Surveillancesystem existiert, ist es sinnvoll, diese Methode auch anzuwenden, um sich später an geeigneten Vergleichsdaten orientieren zu können.
Selbstverständlich ist die Anwendung der Methoden der KISS-Module aber nur eine Option unter anderen. Bei spezifischen Patientengruppen, besonderen Zielsetzungen der Surveillance und unter besonderen Surveillanceumständen können andere Methoden sinnvoller sein, wenn sie zu höherer Akzeptanz und im Hinblick auf die jeweilige Fragestellung besseren Aussagen führen.
Beispielsweise kann es sinnvoll sein, eingangs wiederholte orientierende Querschnittsuntersuchungen (
Prävalenz) durchzuführen (Kap. Epidemiologische Grundlagen
nosokomialer Infektionen). Sie können dazu beitragen, die unterschiedlichen Infektionsprobleme verschiedener Kliniken oder Stationen zu identifizieren und erlauben es, anschließend gezielte weiterführende Untersuchungen – je nach Problemlage – durchzuführen. Außerdem sind sie sehr gut geeignet, um überhaupt das Bewusstsein für die nosokomialen Infektionen zu steigern, und ermöglichen es, sich mit den Surveillancemethoden und -definitionen vertraut zu machen.
Wenn bereits bekannt ist, dass eine bestimmte Klinik oder Station Probleme mit
nosokomialen Infektionen hat, kann es sinnvoll sein, für einen bestimmten Zeitraum zusätzliche Risikofaktoren zu erfassen, um entsprechende Risikofaktorenanalysen durchzuführen.
Umsetzung der Surveillancedaten für die Infektionsprävention
Die Art und Weise der Vorstellung der Daten kann entscheidend für die Effektivität der Surveillance sein, deshalb sollte sie – vor allem bei einer erstmaligen Präsentation – sehr gut vorbereitet werden.
Für die Vorstellung der Surveillanceergebnisse
hat sich vor allem die Präsentation von Abbildungen bewährt, die die Verteilung der Stationen/Kliniken innerhalb der Referenzdatenbank im Vergleich zur eigenen Station/Klinik zeigen. Sie erlauben es, sehr schnell die Position der eigenen Station oder Klinik im Vergleich zu erfassen und sind somit gut geeignet, eine Diskussion zur Infektionsprävention anzuregen. Neben der zusammenfassenden Ergebnisdarstellung in Form von Abbildungen oder Tabellen sollten aber auch die Einzelfälle
nosokomialer Infektionen aus der letzten Beobachtungsperiode parat sein, um gegebenenfalls über die Einordnung bestimmter Fälle als nosokomiale Infektionen zu sprechen und um über das Vorliegen von besonderen Risikofaktoren bei den betroffenen Patienten zu diskutieren.
Dementsprechend sollten die Surveillancedaten der letzten Beobachtungsperiode möglichst zeitnah präsentiert werden, um bestimmte Umstände oder Erklärungen noch in Erinnerung zu haben. Auf der anderen Seite dürfen die Präsentationen auch nicht in zu kurzen Intervallen erfolgen, um sinnvolle Infektionsraten für die Beobachtungsperioden zu berechnen. Für viele Stationen bzw. Kliniken haben sich halbjährliche bis jährliche Feedbackintervalle als sinnvoll erwiesen.
Entscheidend für die Präsentation der Surveillanceergebnisse ist vor allem die sorgfältige Interpretation der Daten. Sie muss insbesondere am Anfang sehr vorsichtig sein, weil zufällige Effekte zunächst noch sehr großen Einfluss auf die Infektionsraten haben können. Darüber hinaus muss man auch immer darauf gefasst sein, dass es zu einer Diskussion über die Erfassungsqualität kommt.
Deshalb ist es immer am besten, wenn man sich im Falle einer Surveillance durch das Hygienefachpersonal bereits während der ersten Surveillanceperiode regelmäßig mit einem interessierten Arzt (möglichst Oberarzt) der Station/Klinik über die Einzelfälle von
nosokomialen Infektionen austauscht und erläutert, warum dieser oder jener Patient nach den CDC-Definitionen zu erfassen oder nicht zu erfassen ist. Bei dieser Gelegenheit können auch wichtige zusätzliche Details zu den Verläufen bekannt werden, die für die Surveillance oder für die zukünftigen Präventionsmaßnahmen von Bedeutung sind.
Entscheidend für die Interpretation der Infektionsraten ist der Vergleich der Patientenzusammensetzung der eigenen Station bzw. Klinik im Vergleich zu den anderen Beteiligten der Referenzdatenbank. Im Sinne einer Balance zwischen dem Aufwand und dem zu erwartenden Nutzen können bei den verschiedenen Surveillancemodulen nur die wichtigsten Risikofaktoren berücksichtigt werden; andere häufig als wichtig empfundene Faktoren werden nicht erfasst. Hinzu kommt, dass verschiedene Faktoren auch nicht gut zu quantifizieren sind. Beispielsweise gibt es in Deutschland kein einheitliches Scoringsystem für die Erkrankungsschwere der Intensivpatienten; dadurch ist eine entsprechende Stratifizierung der Daten leider nicht möglich.
Im Falle hoher Infektionsraten und nicht ausreichender Ideen für eine Optimierung kann es auch sinnvoll sein, weitergehende Untersuchungen vorzuschlagen, z. B. die zeitlich befristete Aufnahme zusätzlicher Risikofaktoren in die Surveillance (z. B. die Nummer des OP-Saals oder die Art des Nahtmaterials) oder die Durchführung von Beobachtungen zur
Compliance bei der Händedesinfektion auf der Intensivstation.
Periodische Evaluation des Systems
Mindestens einmal jährlich sollte man sich fragen, ob die Weiterführung der Surveillance in der bisherigen Form sinnvoll ist. Wenn sich beispielsweise herausgestellt hat, dass eine Station oder Klinik überdurchschnittlich günstige Infektionsraten aufweist, ist zu überlegen, die Surveillance dort ruhen zu lassen und vielleicht lieber auf eine andere Station oder Klinik zu wechseln, von der man nicht genau weiß, wie die Situation ist. Wo nur ein geringes Präventionspotenzial vorhanden ist, wird es schwer, trotzdem eine vom Kosten-Nutzen-Verhältnis her sinnvolle Surveillance durchzuführen. Manchmal ist es auch möglich, dass nach einer anfänglichen Surveillance durch das Hygienepersonal das Klinikpersonal selbst die Surveillance weiterführt.
Aufgrund begrenzter zeitlicher Ressourcen wird teilweise auch eine rotierende Surveillance durchgeführt. Damit ist beispielsweise gemeint, jeweils nur für ein Vierteljahr auf einer bestimmten Station oder Klinik Surveillance durchzuführen und dann für das nächste Vierteljahr auf eine andere Station zu wechseln (Lemmen et al.
2001). Solche kurzen Beobachtungszeiträume sind meistens wenig geeignet, wirklich die Situation in dem entsprechenden Bereich zu charakterisieren. Die daraus resultierenden Daten können aber hervorragend eingesetzt werden, um eine gute Diskussion über die Infektionsprävention mit den Ärzten und dem Pflegepersonal der Station oder Klinik anzuregen.