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Die Urologie
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Publiziert am: 02.03.2023

Hyperkortisolismus (Cushing-Syndrom, Morbus Cushing, adrenales Cushing-Syndrom)

Verfasst von: Paolo Fornara und Felix Kawan
Als Cushing-Syndrom werden sämtliche Zustände pathologisch erhöhter und biologisch wirksamer Kortisolspiegel im Blut bezeichnet, einschließlich medikamentös-induzierter Formen. Der Morbus Cushing ist die zentrale hypothalamisch-hypophysäre Form des Hyperkortisolismus infolge eines Hypophysenadenom. Das adrenale Cushing-Syndrom ist sehr selten und kann Ausdruck eines Nebennierenrindenadenoms oder sogar Nebennierenkarzinoms sein.

Epidemiologie

Die Inzidenz des Cushing-Syndrom’s beträgt etwa 1–2/100.000 Einwohner pro Jahr und tritt bei Frauen 3- bis 4-mal häufiger auf als bei Männern. Die Altersverteilung ist bimodal, wobei das Cushing-Syndrom prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten kann. Im Erwachsenenalter manifestiert sich das Cushing-Syndrom gehäuft zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Im Kindesalter sind oftmals maligne Tumoren die Ursache.
Der seltenere Morbus Cushing tritt mit einer Inzidenz ca. 2 Neuerkrankungen pro 1 Mio. Einwohner/Jahr auf. In Deutschland leben derzeit etwa 3000 diagnostizierte Patienten. Von 10 Betroffenen sind sieben Frauen und drei Männer, die etwa zwischen 20 und 50 Jahre alt sind. Das präklinische oder subklinische Cushing-Syndrom ist eine weitere Form des Hyperkortisolismus und wird besonders häufig bei Patienten mit Nebennierenadenomen gefunden. Trotz biochemisch nachweisbarem Glukokortikoidexszess fehlen die typischen klinischen Symptome wie Plethora, Stammfettsucht, Osteoporose, Hypogonadismus und Amenorrhö, Striae rubrae, arterielle Hypertonie und diabetische Stoffwechsellage. Epidemiologischen Schätzungen zufolge ist die Prävalenz des subklinischen Cushing-Syndroms 5- bis 10-mal höher als beim adrenalen Cushing-Syndrom (Reincke et al. 1992).

Ätiologie

Exogene Cushing-Syndrome sind häufig Folge einer Langzeitbehandlung mit Kortikosteroiden im Gegensatz zur seltenen endogenen Form. Beim endogenen Cushing-Syndrom wird zwischen ACTH -abhängige und ACTH-unabhängige Formen unterschieden. Ca. 85 % der ACTH-abhängigen Formen sind durch Mikroadenome des Hypophysenvorderlappens (sog. Morbus Cushing) verursacht und nur selten durch endokrine Tumore mit ektoper ACTH-Produktion, wie kleinzellige Bronchialkarzinome oder Karzinoide. Am häufigsten sind Frauen im mittleren Alter betroffen. In den übrigen Fällen wird eine primäre hypothalamische Überfunktion diskutiert. Gelegentlich lassen sich bei einigen Patienten Autoantikörper gegen Zellen des Hypophysenvorderlappens nachweisen. Eine seltene Ursache endogener Cushing-Syndrome werden eine ektope CRH (Corticotropin-releasing-Hormon)-Sekretion oder alkoholinduzierte Formen nach Karenz jedoch reversibl beschrieben. Das adrenale Cushing-Syndrom ist ACTH-unabhängig und umfasst ca. 15 % aller endogenen Formen (Boscaro et al. 2001). Hierzu zählen kortisolproduzierende Tumoren der Nebennierenrinde, die sich bei Erwachsenen überwiegend als Adenome und bei Kindern häufig als Karzinome manifestieren. In etwa 7–10 % der Fälle liegt ein Nebennierenadenom vor und in etwa 5 % ein Nebennierenrindenkarzinom.
Das bilaterale adrenal Cushing-Syndrom stellt eine besonders seltene Form unklarer Genese dar und zeigt histologisch mikronoduläre oder makronoduläre Hyperplasien der Nebennieren (Malchoff et al. 1996).

Symptomatik

In Tab. 1 sind die wichtigsten klinischen Symptome dargestellt.
Tab. 1
Klinische Symptome beim Cushing-Syndrom
Symptom
Häufigkeit in %
Veränderungen des Habitus:
 
- Rotes, gerundetes Gesicht (Plethora )
90
- Stammbetonte Fettsucht, Büffelnacken
85
- Hypogonadismus (Amenorrhö, Libido- und Potenzverlust)
75
- Hirsutismus (bei Frauen)
70
- Muskelatrophie, Muskelschwäche
65
- Striae rubrae, hämorrhagische Diathese
60
Diabetes mellitus
85
80
65
Rücken- und Knochenschmerzen
50
Psychische Veränderungen, depressive Stimmungslage
45
Verminderte Wundheilung
35
Im Vordergrund der subjektiven Beschwerden stehen Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes und des Habitus (Abb. 1) aber auch Dysregulationen von Körperfunktionen, wie Amenorrhö, Libido- und Potenzverlust, depressive Verstimmungen und Muskel- oder Knochenschmerzen. Frauen beklagen oftmals Hirsutismus und Akne. Besonders charakteristische äußere Veränderungen bei Cushing-Patienten sind Striae rubrae, hämorrhagische Diathese und papierdünne Haut, die auch in Kombination mit anderen klassischen Symptomen für die Diagnosestellung richtungsweisend sein können.
Eine Hyperpigmentierung findet sich häufig als klinisches Leitsymptom für ektope, meist exzessive ACTH-Produktion, die eine MSH (melanozytenstimulierendes Hormon)-ähnliche Wirkung aufweisen.
Die wichtigste Differenzialdiagnose des Hyperkortisolismus ist das metabolische Syndrom (Adipositas, arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2). Cushing-Patienten weisen häufig diese Symptomtrias auf und berichten über eine Gewichtszunahme, sind jedoch extrem selten übergewichtig.
Die klinischen Symptome des metabolischen Syndroms führen fälschlicherweise oft auch ohne erhöhte Kortisolspiegel zur Verdachtsdiagnose Cushing-Syndrom.

Diagnostik

Laboruntersuchungen

Die klinisch-chemische Basisdiagnostik ist wenig hilfreich. Dennoch können im Einzelfall Hypokaliämie, Polyglobulie, Leukozytose oder eine diabetische Stoffwechsellage Hinweise für ein Cushing-Syndrom liefern. Eine exzessive hypokaliämische Alkalose findet sich gehäuft bei einer ektopen ACTH-Produktion.
Die spezifische Hormonanalytik unterliegt einem Stufenplan und sichert die Diagnose eines Cushing-Syndroms (Abb. 2).
Um die häufig geäußerte Verdachtsdiagnose Cushing-Syndrom auszuschließen, kommt zunächst der ambulant durchführbare, niedrig dosierte Dexamethasonhemmtest in seiner Kurzform zur Anwendung. Nach der abendlichen Gabe von 2 mg Dexamethason wird am nächsten Morgen das Serumkortisol bestimmt. Bei Cushing-Patienten finden sich erhöhte Kortisolwerte im Gegensatz zu Gesunden, bei denen unter physiologischen Bedingungen das negative Feedback synthetischer Glukokortikoide einen Abfall des Serumkortisols zur Folge hat. Bei pathologischen Testergebnissen ist zur Diagnosesicherung eine erweiterte Hormonanalytik notwendig. Beweisend für einen Morbus Cushing sind der aufgehobene zirkadiane Rhythmus des Serumkortisols und ein erhöhtes freies Kortisol im 24-h-Sammmelurin. Die ACTH-Bestimmung im Plasma dient der Unterscheidung zwischen ACTH-abhängigen und ACTH-unabhängigen Formen. Beim adrenalen Cushing-Syndrom finden sich supprimierte oder niedrignormale ACTH-Spiegel, da durch kortisolsezernierende Tumoren der Nebennierenrinde die ACTH-Produktion des Hypophysenvorderlappens durch den negativen Feedbackmechanismus unterdrückt wird. Im Falle eines ACTH-unabhängigen Cushing-Syndroms sollte eine CT- oder MRT-Untersuchung zum Ausschluss eines pathologischen Nebennierenprozesses vorgenommen werden. ACTH-abhängige Cushing-Form sind durch erhöhte ACTH-Plasmakonzentrationen im Serum charakterisiert. Hit Hilfe von Schnittbildgebung und Hormonanalytik wird das zentrale Cushing-Syndrom (Morbus Cushing) von ektopen oder paraneoplastischen Formen abgegrenzt. Beim Morbus Cushing steigt durch die Gabe synthetischer Kortisole, z. B. im Rahmen des Dexamethasonhemmtest die ACTH-Plasmakonzentration an. Dadurch wird die Kortisol-Konzentration in Plasma und 24-h-Sammelurin um mehr als die Hälfte supprimiert. Ektope Formen hingegen, sind nicht durch CRH stimulierbar weisen charakteristisch erhöhte ACTH-Spiegel im Plasma auf.

Bildgebende Verfahren

Eine bildgebende Diagnostik wird erst empfohlen, sofern die Hormonanalyse entsprechende Hinweise für einen endokrin aktiven Nebennierentumor liefert. In der klinischen Routine zählen Sonografie, Computertomografie und Kernspintomografie zu den bewährten Verfahren, um ein adrenales Cushing-Syndrom nachzuweisen. Derzeit stellt die Spiral-CT die Methode der Wahl dar. Durch die hohe Auflösung kann anhand Größe, Morphologie und Hounsfield-Einheiten zwischen benignen und malignen Befunden besonders genau unterschieden werden (Fassnacht et al. 2004). Die Kernspintomografie wird im Normalfall nicht benötigt und bleibt Ausnahmefällen vorbehalten. So können bei größeren (unilateralen) Tumoren unklarer Dignität die Signalintensität in der T2-Wichtung, das Kontrastmittelverhalten und die „chemical-shift“-Analyse in Verbindung mit der Morphologie wesentlich zur Diagnosestellung beitragen. Nebennierenszintigrafien sind in der Diagnostik des adrenalen Cushings nicht von Bedeutung. Beim Morbus Cushing sind Mikroadenome des Hypophysenvorderlappens nicht immer radiologisch nachweisbar, obwohl in der MRT bis zu 2 mm große Tumore in der Hypophyse dargestellt werden können. Da diese Tumore auch kleiner sein können, ist die Differenzierung zwischen einem zentralen Cushing-Syndrom und ektopen oder paraneoplastischen Formen erschwert, besonders wenn die Hormonanalytik kein eindeutiges Ergebnis liefert. In diesen seltenen Fällen besteht durch die selektive Katheterisierung des Sinus petrosus eine Möglichkeit die Hormonproduktion der Hypophyse zu ermitteln. Bei negativem Ergebnis ist eine Fokussuche mit einer CT oder MRT indiziert.

Therapie

Cave
Grundsätzlich ist jede Form des Hyperkortisolismus dringend therapiebedürftig, da er unbehandelt innerhalb von 5 Jahren in etwa der Hälfte der Fälle zum Tode führt (Plotz et al. 1952).
Das seltene adrenale Cushing- Syndrom kann drei Ursachen besitzen:
Bei hormonaktiven Adenomen ist sowohl bei uni- als auch bei bilateralen Tumoren eine minimalinvasive Adrenalektomie anzustreben. Nach einer beidseitigen Nebennierenentfernung muss lebenslang eine Substitutionstherapie von Kortisol und Mineralkortikoiden erfolgen. Nach der Entfernung einer Nebenniere kann in seltenen Fällen durch eine Atrophie der kontralateralen Nebenniere ebenso eine Substitutionstherapie bis zur Rekompensation oder sogar dauerhaft erforderlich sein.
Hormonaktive Nebennierenkarzinome sind durch ein rasch progredientes, infiltratives Wachstumsverhalten charakterisiert und weisen bei Diagnosestellung bereits ein hohes Gewicht und eine Größe von über 10 cm im Durchmesser auf. Aus diesen Gründen hat sich zur sicheren Tumorentfernung die offene transabdominale Operation als Standardverfahren etabliert.
Bei Cushing-Patienten besteht ein erhöhtes Risiko für peri- und postoperative Komplikationen. Daher sollten bei der Operationsvorbereitung einige wichtige Aspekte beachtet werden:
  • Normalisierung des Elektrolythaushaltes sowie metabolischer und kardialer Störungen,
  • Normalisierung des Elektrolythaushaltes,
  • Vorbehandlung mit Ketokonazol (600–900 mg/d in 3 Einzeldosen) bei schweren Formen,
  • Einstellung der Diabetesmedikation und des Blutdrucks,
  • Antibiotikaprophylaxe und ausreichende Thrombembolieprophylaxe,
Nach beidseitiger Adrenalektomie sollte jeder Patient ein Kortikoidausweis bei sich führen, in dem die Intervalle der Kontrolluntersuchungen und eine genaue Anleitung zur Substitutionstherapie aufgeführt sind. Hypophysentumoren sollten selektiv transsphenoidal an spezialisierten neurochirurgischen Zentren minimalinvasiv entfernt werden. Durch die Operation kommt es in bis zu 70–80 % der Fälle zu einer vollständigen Remission und einer Normalisierung Hormonspiegel. Rezidive finden sich in bis zu 10 % innerhalb der ersten Jahre und sollten nachbestrahlt werden, da eine zweite Operation selten erfolgreich verläuft. Als Folge einer Bestrahlung oder Operationen kann vorübergehend eine Hypophyseninsuffizienz auftreten, die eine intermittierende oder sogar dauerhafte Substitutionstherapie erforderlich machen kann.

Prognose

Nach vollständiger Entfernung eines Nebennierentumors oder Tumoren mit ektoper ACTH- oder CRH-Produktion ist die Prognose günstig. Die Anwendung minimalinvasiver Operationstechniken (laparoskopische Adrenalektomie) hat bei der Therapie des adrenalen Cushing-Syndroms zu einem Rückgang der Morbidität und Mortalität geführt (Daitch et al. 1997; Walz et al. 2001; Assalia und Gagner 2004). Trotz Adrenalektomie (einseitig oder bilateral) treten beim Morbus Cushing in bis zu 20 % erneut ACTH-produzierende Makroadenome der Hypophyse auf (sog. Nelson-Syndrom). In diesen Fällen ist eine Hypophysenoperation indiziert, die in den meisten Fällen mit einer Nachbestrahlung kombiniert wird. Nach der Operation bilden sich, abgesehen von der Osteoporose die typischen Symptome des Cushing-Syndroms meist vollständig zurück. Bei lokal-begrenzten kortisolproduzierenden Nebennierenkarzinomen kann durch eine adjuvante Therapie von o,p-DDD (Mitotane) nach vollständiger Entfernung die Prognose verbessert werden. Im metastasierten Stadium hingegen werden vollständige Remissionen nach Rezidiven nur in Einzelfällen beobachtet (Terzolo et al. 2007). Das kleinzellige Bronchialkarzinom ist eine der häufigsten Ursachen für eine ektope ACTH-Produktion. Die Prognose hat sich durch die Einführung einiger Zytostatika in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, ist aber weiterhin als ungünstig einzuschätzen. Unbehandelt verläuft die Cushing-Erkrankung letal, wobei kardiovaskuläre Komplikationen die häufigste Todesursache darstellen. Bei einer paraneoplastischen ACTH-Produktion ist der Therapieerfolg von den Behandlungsmöglichkeiten des zugrunde liegenden Primärtumors abhängig.

Zusammenfassung

  • Exogenes Cushing-Syndrom als häufigste Form (z. B. Langzeitbehandlung mit Kortikosteroiden).
  • Endogene Formen sind selten, ca. 85 % ACTH-abhängig (Mikroadenome des Hypophysenvorderlappen) und ca. 15 % ACTH-unabhängig (adrenales Cushing-Syndrom).
  • Dexamethasonhemmtest und Stufendiagnostik.
  • Plethora, Stammfettsucht, Büffelnacken, Striae rubrae als charakteristische äußere Erkennungsmerkmale; Arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus als klinische Zeichen.
  • Perioperatives Management und laparoskopische Adrenalektomie bei Adenomen.
  • Cave: adrenales Cushing-Syndrom bei Nebennierenkarzinom oder ektoper ACTH-Produktion.
Literatur
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