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Viszeral- und Allgemeinchirurgie
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Publiziert am: 03.02.2022

Epidemiologie und Pathologie der Nebennieren

Verfasst von: Peter Langer
Erkrankungen der Nebennieren (NN), welche eine chirurgische Relevanz haben, sind in der täglichen Praxis selten. Gleichzeitig sind die möglichen Diagnosen, Krankheitsbilder und Syndrome, die zur Indikationsstellung von NN-Operationen führen, vielfältig und deren Abklärung teilweise komplex. Überschneidungen mit internistischen Krankheitsbildern sind vielfältig. Hereditäre Syndrome mit komplexen molekulargenetischen Hintergründen kommen verhältnismäßig oft vor. Die NN sind deshalb ein ideales Beispiel, bei dem eine interdisziplinäre Diagnostik und Indikationsstellung für operative Eingriffe erfolgen sollte. Auf der einen Seite sollte das perioperative Management Hand in Hand mit einem Endokrinologen erfolgen, dessen dauerhafte Betreuung des Patienten auch postoperativ oft erforderlich ist. Auf der anderen Seite steht ein Endokrinologe eher in der Minderheit der Kliniken regelhaft zur Verfügung und der Chirurg sollte auch dann wissen, wie er mit dem Problem umgehen muss.
Nur in wenigen Ausnahmesituationen sind NN-Erkrankungen mit einer dringlichen chirurgischen Konsequenz verbunden. Vitale Notfälle kommen mit Ausnahme des akuten Cushing-Syndroms bei nichtresektabler bzw. unkontrollierter ACTH-Quelle quasi nicht vor. Häufig sollte deshalb die Erkenntnis gewonnen werden, dass ein Patient mit einer komplexen NN-Problematik an spezielle Zentren verwiesen werden sollte. Dies gilt v. a. für das Nebennierenrindenkarzinom (ACC) und das Phäochromozytom. Auch hier gilt: „Was ich häufig mache, mache ich auch besonders gut.“
In diesem Kapitel sollen Epidemiologie und Pathologie der NN aus Sicht des Chirurgen für den Chirurgen kurz zusammengefasst werden.

Allgemeine Epidemiologie und Grundlagen

Laut Statistischem Bundesamt wurden in Deutschland im Jahr 2018 3862 Operationen der Nebennieren (NN) vorgenommen (Eingriffs-Codes 5-071, 5-072, 5-073). Demgegenüber erfolgten im gleichen Zeitraum 62.582 Schilddrüsenoperationen (5-061, 5-062, 5-063) und 124.227 Operationen an Kolon und Rektum (5-455, 5-456, 5-484) (Bericht Statistisches Bundesamt 2018, www.destatis.de). Sucht man auf www.klinikradar.de nach Kliniken mit einer hohen Anzahl an NN-Operationen, findet man deutschlandweit lediglich 7 Kliniken, in denen der Eingriff 50 Mal oder häufiger pro Jahr vorgenommen wird. In der überwiegenden Mehrzahl der dort gelisteten chirurgischen Abteilungen erfolgt der Eingriff unter 20 Mal pro Jahr (www.klinikradar.de).
Operationen der Nebennieren sind selten. Sie sollten an dafür spezialisierten Zentren vorgenommen werden. Ein Endokrinologe bzw. ein endokrinologisch spezialisierter Internist sollte nach Möglichkeit verfügbar sein.
Die im Retroperitoneum im perirenalen Fett über den oberen Nierenpolen gelegenen NN wiegen ca. 4 g. Durch Stress kann das Gewicht auf über 20 g ansteigen. Jede NN besteht aus zwei funktionell getrennten endokrinen Drüsen, der Nebennierenrinde und dem Nebennierenmark. Beide spielen eine zentrale Rolle in der Stressbewältigung und sind regulativ eng miteinander verknüpft (Allolio 2013).
Die Nebenniere spielt eine herausragende Rolle in der Stressanpassung des Organismus. Die Hauptsekretionsprodukte des Nebennierenmarks sind die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, während in der umgebenden Nebennierenrinde die lebensnotwendigen Kortikosteroide Kortisol und Aldosteron gebildet werden (Allolio 2013).

Nebennierenrinde

Sie ist aus drei Zonen aufgebaut: der Zona glomerulosa, der Zona fasciculata und der Zona reticularis. Neben dem Mineralokortikoid Aldosteron und dem Kortisol wird hier das adrenale Androgen Dehydroxyepiandrostendion (DHEA) gebildet. DHEA dient als Vorstufe für die Produktion von potenten Androgenen wie Testosteron und Dihydrotestosteron bzw. von Östrogenen wie Östradiol und Östron in der Körperperipherie. DHEA hat damit einen wesentlichen Anteil an der Sexualsteroidproduktion des Menschen (Allolio und Arlt 2002).

Nebennierenmark

Im Nebennierenmark werden die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin gebildet.
Es entsteht ontogenetisch aus dem Nervensystem, durch Auswanderung von Zellen aus der Neuralleiste. Diese ektodermalen Chromaffinoblasten entstammen der Anlage des Grenzstrangs und sind modifizierte Nervenzellen. Das NN-Mark gilt deshalb auch als sympathisches Paraganglion (Allolio 2013).

Epidemiologie und Pathologie

Nebennierenrindenhyperplasien

Die Hyperplasie resultiert in einer knotigen Organvergrößerung, sodass die Einzeldrüse mehr als 4 g wiegt. Nebennierenrindenhyperplasien sind fast immer bilateral ausgeprägt. Das makroskopische Spektrum umfasst diffuse, noduläre (mikro-/makronodulär) sowie kombiniert diffuse und noduläre Hyperplasien. Es lassen sich verschiedene funktionell und morphologisch definierte Formen unterscheiden (Moll und Barth 2013).
Nebennierenrindenhyperplasien mit normalem hormonellem Status sind chirurgisch meist irrelevant, es sei denn, es besteht ein Malignitätsverdacht aufgrund der Größe.

Nebennierenrindenhyperplasien mit hormoneller Dysfunktion

Kongenitale Nebennierenhyperplasie (adrenogenitales Syndrom, AGS)

Die Ursache des adrenogenitalen Syndroms sind angeborene Enzymdefekte der Steriodbiosynthese. Der Defekt der 21-Hydroxylase überwiegt. Durch das hypophysäre Feedback kommt es zu einer stark erhöhten ACTH-Ausschüttung und damit zu einer von Geburt an bestehenden starken bilateralen Vergrößerung der NN. Die Therapie ist medikamentös (Allolio 2013).

Nebennierenrindenhyperplasie mit Kortikoidüberfunktion

Der klassische Morbus Cushing ist hypophysär bedingt und wird meist durch ein ACTH-bildendes Adenom der Adenhypophyse ausgelöst. Makroskopisch besteht eine nur leichte Vergrößerung beider NN. Diese zeigen eine mikronoduläre Rindenhyperplasie. Nach längerem Krankheitsverlauf kann sich eine makronoduläre Hyperplasie ausbilden, welche hormonelle Autonomie erlangen kann. Die Therapie besteht in der Resektion des Hypophysenadenoms durch den Neurochirurgen.

Ektopes (paraneoplastisches) ACTH-Syndrom

Einige Tumoren, wie bspw. neuroendokrine Tumoren (NET) der Bronchien, kleinzellige Lungenkarzinome und andere endokrine Tumoren können als ektope ACTH-Quellen fungieren. Das kleinzellige Lungenkarzinom macht davon ca. die Hälfte aus. Durch oft stark erhöhte ACTH-Spiegel resultiert eine deutliche Vergrößerung der NN mit einer meist diffusen Hyperplasie.
Das Problem wird durch Resektion der ACTH-Quelle gelöst. Gelingt das nicht oder nicht komplett, kann die ACTH-Sekretion persistieren. In diesen seltenen Fällen kann dies zu einem medikamentös nichtbeherrschbaren Cushing-Syndrom führen. Dann ist mitunter eine bilaterale Adrenalektomie die einzige Therapie der Wahl, um den Patienten vor den Auswirkungen des exzessiven Hyperkortisolismus zu schützen. Dieser Kortisolexzess kann so ausgeprägt sein, dass die Elektrolytverschiebungen und die Störung des Glukosestoffwechsels den Patienten akut bedrohen und dadurch eine Notfallsituation entsteht.

Makronoduläre Hyperplasie mit starker Nebennierenvergrößerung

Die makronoduläre Hyperplasie ist eine seltene Form der primären NNR-Überfunktion. Die Einzelzellen sind so stark vermehrt, dass ein Cushing-Syndrom resultiert. Makroskopisch sind beide NN stark vergrößert (Einzeldrüse 30–90 g) und durch ihren Aufbau aus gelben nichtgekapselten Makronoduli bizarr deformiert (Moll und Barth 2013). Auch hier ist gelegentlich eine chirurgische Therapie indiziert, da das Cushing-Syndrom alleine medikamentös nicht beherrschbar ist (Abb. 1). Dabei muss abgewogen werden, ob auf einer Seite organerhaltend operiert werden kann.

Primäre pigmentierte noduläre Nebennierenrindenerkrankung (PPNAD)

Dies ist ein seltenes Krankheitsbild v. a. bei jüngeren Patienten. Auch hier kann ein Cushing-Syndrom entstehen. Ursachen sind multiple, braun pigmentierte Mikronoduli in der Rindenzone der ansonsten normal großen NN. Die übrige Rinde zwischen den Noduli ist atroph. Die Pathogenese ist noch ungeklärt; u. a. werden autoimmune Mechanismen diskutiert (Moll und Barth 2013).

Hyperplasie der Zona glomerulosa – primärer Hyperaldosteronismus (PHA)

Ein PHA kann durch ein aldosteronproduzierendes Adenom verursacht sein (Conn-Syndrom). Häufiger jedoch ist für die Aldosteronüberproduktion eine primäre Hyperplasie der Zona glomerulosa verantwortlich. Die Hyperplasie der Zona glomerulosa ist morphologisch variabel ausgeprägt. Die Unterscheidung der bilateralen Hyperplasie vom unilateralen Adenom in der Genese des PHA ist entscheidend für die Therapie. Nur bei letzterem ist die Chirurgie gefragt.

Nebennierenrindenadenome

Sie sind autonom wachsende, benigne, epitheliale Tumoren der Nebennierenrinde. Sie sind häufig endokrin aktiv und können entsprechend dem produzierten Hormon endokrine Symptome hervorrufen. Die makroskopische und mikroskopische Struktur zeigt keine strenge Korrelation mit dem endokrinen Funktionstyp. Die Nebennierenrindenadenome sind auf der einen Seite gegenüber der nodulären Hyperplasie (dominante Makronoduli), auf der anderen Seite gegenüber dem Nebennierenrindenkarzinom abzugrenzen. In beiden Richtungen ist dies nicht immer eindeutig, weshalb besonders bei der differenzialdiagnostischen Entscheidung Adenom vs. Karzinom in Einzelfällen Probleme auftreten können.

Aldosteronsezernierendes Nebennierenrindenadenom

Diese zum Conn-Syndrom führenden Tumoren stellen etwa 4/5 aller endokrin aktiven Nebennierenrindenadenome dar. Sie kommen am häufigsten im mittleren Lebensalter vor. Das weibliche Geschlecht dominiert. Sie sind typischerweise klein (meist <2 cm Durchmesser, Gewicht meist <10 g), meist solitär. Makroskopisch erscheinen sie als runde bis ovale Knoten mit homogener, gelb-orangefarbener oder goldgelber Schnittfläche. Ihr Rand ist glatt, wobei mikroskopisch eine fibröse Kapsel zum angrenzenden Nebennierengewebe ausgebildet ist.

Kortisolsezernierendes Nebennierenrindenadenom (Cushing-Adenom)

Mit knapp 1/5 aller endokrin aktiven Nebennierenrindenadenome ist dies der zweithäufigste Typ. Sie kommen in allen Altersgruppen (auch bei Kindern) vor und sind meist größer als die Conn-Adenome.
Die autonome Überfunktion führt zu einer Suppression der ACTH-Bildung im Hypophysenvorderlappen und damit zur Atrophie der kontralateralen Nebenniere.
Das Krankheitsbild wird als primäres adrenales Cushing-Syndrom bezeichnet und die Therapie besteht in der Resektion des Adenoms.

Pigmentiertes („schwarzes“) Nebennierenrindenadenom

Es handelt sich um eine sehr seltene Sonderform kortisolsezernierender Nebennierenrindenadenome mit Cushing-Syndrom, die vorwiegend bei Frauen im mittleren Lebensalter auftreten (Moll und Barth 2013).

Androgensezernierendes Nebennierenrindenadenom

Diese sind sehr selten. Sie werden vorwiegend bei Kindern beobachtet und führen bei Mädchen zur Virilisierung.
Cave
Die meisten androgenbildenden Nebennierenrindentumoren sind maligne.

Östrogensezernierendes Nebennierenrindenadenom

Diese, meist im jüngeren Erwachsenenalter auftretenden Tumoren, sind noch seltener als die androgenbildenden Adenome. Sie wirken bei Männern feminisierend. Auch hier ist stets an potenzielle Malignität zu denken.

Nichtfunktionelles Nebennierenrindenadenom

Nebennierenrindenadenome bzw. -knoten ohne hormonelle Überfunktion werden durch den häufigeren Einsatz hochauflösender bildgebender Verfahren immer häufiger diagnostiziert. Sie sind die häufigste Differenzialdiagnose der adrenalen Inzidentalome und machen ca. 75 % dieser aus (Young 2007). Sie sind meist nur wenige Zentimeter (2–3 cm) groß. Oft sind es keine echten Adenome, sondern nichtautonome Makronoduli. Mit der Größe steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen malignen Tumor handelt (Sturgeon et al. 2006).

Onkozytäres Nebennierenrindenadenom (Onkozytom)

Es handelt sich um eine sehr seltene, endokrin inaktive Form des Nebennierenrindenadenoms. Eine Kernpleomorphie kann vorliegen, ohne dass sie zwangsläufig maligne sein muss. Die Differenzialdiagnose zu onkozytären Borderlinetumoren und onkozytären Karzinomen der Nebennierenrinde ist meist schwierig (Moll und Barth 2013).

Nebennierenrindenkarzinom (Adrenocortical Cancer, ACC)

Das ACC ist ein sehr seltener maligner Tumor mit einer Inzidenz von 0,7–2/1 Mio Einwohner. Er tritt in zwei Altersgipfeln auf, in der 1. und 2. Dekade und in der 4.–5. Lebensdekade. Frauen sind in den meisten Studien etwas häufiger betroffen als Männer (Allolio und Fassnacht 2006; Johanssen et al. 2010). Zum Zeitpunkt der Diagnose liegt häufig bereits ein fortgeschrittenes Stadium vor. Häufige Lokalisation hämatogener Metastasen des ACC sind Lunge, Leber, das Skelettsystem und das Retroperitoneum. Die lymphogene Metastasierung in regionäre Lymphknoten (Nierenhilus, paraaortal und paracaval) ist seltener als die hämatogene Metastasierung. Eine hormonelle Aktivität wird in bis zu 75 % der Fälle beschrieben. Dabei sind kortisolsezernierende ACC am häufigsten, gefolgt von androgensezernierenden Karzinomen (Allolio und Fassnacht 2006; Else et al. 2014). Es treten aber auch Fälle mit kombinierter hormoneller Symptomatik auf. Im Kindesalter sind gemischte Überfunktionssyndrome mit Kortisolexzess kombiniert mit Virilisierung besonders häufig.
Das klinische Staging erfolgt nach der Klassifikation des European Network for the Study of Adrenal Tumors (ENSAT) (Gaujoux et al. 2017). Hierdurch lässt sich die Prognose der Patienten am besten abschätzen. Lokalisierte Tumoren <5 cm bzw. >5 cm charakterisieren die Stadien I und II. Eine Infiltration in das umgebende Gewebe, positive lokale Lymphknoten oder ein Tumorthrombus in der Vena cava oder Nierenvene stellt Stadium III dar. Im Stadium IV liegen Fernmetastasen vor.

Pathologie

Bei den ACC handelt es sich um große, lobulierte, von einer bindegewebigen Pseudokapsel umgebene Tumoren. Die Konsistenz ist weich und große Nekroseareale sind typisch. Der Durchmesser liegt meist über 5–6 cm. Das Tumorgewicht der ACC stellte früher eines der wichtigsten Kriterien zur Differenzialdiagnose zum Nebennierenrindenadenom dar (Moll und Barth 2013) (Abb. 2).
ACC werden histopathologisch nach der gültigen WHO-Klassifikation eingeteilt (Fassnacht et al. 2010).
Tumorthromben sind typisch für ACC. Auch die Vena cava inferior kann eingebrochene Karzinomzapfen enthalten, die bis in den rechten Vorhof reichen können.
Wichtige morphologischen Kriterien für die Diagnose eines ACC sind neben dem Tumorgewicht der histologische Nachweis eines kapselüberschreitenden Wachstums, Veneneinbrüche und das Vorhandensein von breiten fibrösen Bändern, Nekrosen sowie das Auftreten von hämatogenen Metastasen (Moll und Barth 2013).
Diese und weitere histopathologische Kriterien, wie bspw. Mitoserate >5/50 High-Power-Felder, atypische Mitosen etc. gehen in den zur Objektivierung der Malignität bereits 1984 publizierten Weiss-Score ein (Weiss 1984), welcher zwischenzeitlich modifiziert wurde (Aubert et al. 2002). Der Score und seine Modifikationen finden weiterhin Anwendung und gehören zum Standard der histopathologischen Aufarbeitung (Saeger und Komminoth 2019). Die Bestimmung des Ki67-Index ist unbedingt zu fordern. Ein Index >5 % charakterisiert den Tumor als ACC, während NN-Rindenadenome einen deutlich niedrigeren Wert zeigen (Else et al. 2014). Folglich sind R0-Resektion und Ki67-Index wichtige Parameter, an denen das Lokalrezidivrisiko fest gemacht werden kann. Beide sind also auch wichtige prognostische Marker (Fassnacht et al. 2010).
Cave
Aufgrund ihrer Seltenheit und der anspruchsvollen Diagnostik und Therapie nimmt die aktuelle S2k-Leitlinie zur operativen Therapie von Nebennierentumoren dazu wie folgt Stellung:
ACCs sollten nur in Zentren mit mehr als 10 Adrenalektomien im Jahr und entsprechender onkologisch viszeralchirurgischer Erfahrung behandelt werden (www.AWMF.de).

Myelolipom

Myelolipome sind gutartige Tumoren der Nebenniere, die oft zufällig bei Schnittbilduntersuchungen entdeckt werden. Die Biologie dieser Tumoren ist noch weitestgehend unklar; möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der myelolipomatösen Metaplasie, die in der normalen Nebennierenrinde und in Nebennierenrindenadenomen vorkommen kann (Moll und Barth 2013). Die Diagnose wird durch den Radiologen gestellt. Nur wenn der Tumor durch seine Größe oder gelegentlich auch durch Einblutungen Beschwerden verursacht, ist eine Resektion indiziert.

Tumoren des Nebennierenmarks

Phäochromozytome und Paragangliome (PPGL)

PPGL sind Tumoren der chromaffinen Zellen, die sich aus den sympathischen und parasympathischen Ganglien im Abdomen, Thorax sowie Kopf- und Halsbereich entwickeln. Sie produzieren oft Katecholamine. Tumoren der chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks werden Phäochromozytome genannt. Sie machen ca. 65–86 % aller PPGL aus (Eisenhofer et al. 2012; Pamporaki et al. 2017).
Die Inzidenz der PPGL liegt bei ca. 2–8 Fälle pro 1 Mio Einwohner pro Jahr (Eisenhofer et al. 2013). Bei Patienten mit Hypertonie wird die Prävalenz auf 0,05–0,1 % geschätzt. PPGL können in jedem Lebensalter auftreten. Eine Geschlechterpräferenz besteht nicht. Die Mehrzahl dieser Tumoren entsteht sporadisch. Nichtsdestotrotz ist die alte „10-%-Regel“ (10 % maligne, 10 % hereditär, 10 % extraadrenal) nicht mehr haltbar. Die in den letzten Jahren identifizierten Keimbahnmutationen familiär gehäufter PPGL legen den Schluss nahe, dass ein hereditärer Hintergrund in ca. 30–45 % der Fälle vorliegt (Pacak und Wimalawansa 2015; Pandit et al. 2016; Cano Megías et al. 2016). Auch bei Patienten mit solitärem PPGL und negativer Familienanamnese wird in 14 % der Fälle eine Keimbahnmutation gefunden (Curras-Freixes et al. 2015).
Mittlerweile werden die identifizierten Gene in 3 Cluster unterteilt (Fliedner et al. 2019). Cluster 1 umfasst inaktivierende Mutationen der Succinatdehydrogenase (SDH-)-Untereinheiten A, B, C, D, des SDH-assoziierten Faktors 2 (SDHAF2), der Fumarathydratase (FH), des Von-Hippel-Lindau-Gens (VHL), vermutlich der Isocitratdehydrogenase (IDH1), der Prolylhydroxylase 1 und 2 (PHD1, 2) sowie eine Überaktivierung des hypoxieinduzierten Faktors 2α (HIF2α). Cluster 2 umfasst die Aktivierung von Kinasesignalwegen. Dies erfolgt durch Mutationen in der Rezeptor-Tyrosinkinase (RET), Neurofibromatose-1-Gen (NF1), Transmembranprotein 127 (TMEM 127), Kinesin-Family-Member 1B (KIF1B), Myc-assoziierter Faktor (MAX), Menin (MEN1) und möglicherweise auch BRAF-, TP53-, K-RAS- und H-RAS. Im dritten Cluster findet sich eine erhöhte Expression von Genen der Wnt- und Hedgehog-Signalwege. In den entsprechenden Paragangliomen wurden somatische Mutationen im CSDE1-Gen und eine Genfusion des MAML3 festgestellt (Fliedner et al. 2019). Eine Übersicht über die wichtigsten bisher identifizierten hereditären Syndrome mit Phäochromozytomen und Paragangliomen gibt Tab. 1.
Tab. 1
Hereditäre Tumorsyndrome mit Phäochromozytomen und Paragangliomen
Syndrom
Inzidenz
Gen
Weitere Organmanifestationen
Von-Hippel-Lindau-Syndrom
1:36.000–1:45.000
VHL
Hämangioblastome u. Angiome der Retina und des ZNS
Zysten in Niere und/oder Pankreas, klarzelliges Nierenzellkarzinom
MEN Typ 2A und 2B
1:35.000
RET
Medulläres Schilddrüsenkarzinom, primärer Hyperparathyreoidismus, mukosale Neurome, intestinale Ganglioneurome
Neurofibromatose Typ 1
(Morbus Recklinghausen)
1:3000
NF1
Neurofibrome, Café-au-lait-Flecken, kleinfleckige Hyperpigmentierung im Bereich der Achseln oder Leistengegend, Irishamartom (Lisch-Knoten), Knochendeformitäten
Familiäres Paragangliom Typ 1–5
ca. 3:1.000.000
SDHD, SDHAF2, SDHB, SDHC, SDHA
Klarzelliges Nierenzellkarzinom, Schilddrüsenadenom, gastrointestinaler Stromatumor, Lungenchondrom
Carney-Stratakis-Syndrom, Carney-Trias
Unbekannt
SDHA, SDHB, SDHC, SDHD
Gastrointestinaler Stromatumor, (Lungenchondrom)
CSS: vererblich, Keimbahnmutationen
Carney-Trias: somatische Mutationen möglich, sporadisch (Stratakis und Carney 2009)
Familiäres Paragangliom
Unbekannt
TMEM 127, MAX, FH
Unbekannt (Fliedner et al. 2019)
In Abhängigkeit von Genotyp und Tumorlokalisation gibt es dabei deutliche Unterschiede im Malignitätsrisiko und der Neigung zur Bilateralität der Tumoren (Rossitti et al. 2018).
Bisher gelten als einzige sichere pathologische Zeichen für Malignität: Metastasen in Lymphknoten, Knochen, Lunge oder Leber. Histologische Kriterien wie Gefäßinvasionen oder Ki-67-Index sind nicht zuverlässig.
Score-Systeme zur Quantifizierung des Malignitätsrisikos sind der PASS („pheochromocytoma of the adrenal gland scaled score“) und das GAPP („grading system for adrenal pheochromocytoma and paraganglioma“) (Saeger und Komminoth 2019). Hier werden eine Reihe histologischer Kriterien summiert. Allerdings konnte eine zuverlässige Risikoabschätzung mithilfe der Bewertungssysteme nicht bestätigt werden (Agarwal et al. 2010; Stenman et al. 2018).
Während das Malignitätsrisiko bei abdominalen und thorakalen Paragangliomen bei ca. 35 % liegt (Eisenhofer et al. 2012), steigt es bei Mutationen der Succinatdehydrogenase-Untereinheit B (SDHB) auf 40–70 % an (Amar et al. 2005; Burnichon et al. 2009).
Unter den adrenalen Inzidentalomen sind ca. 5–10 % Phäochromozytome.
Aus der oben dargestellten Komplexität ergeben sich nicht nur Konsequenzen für die aktuelle Situation des betroffenen Patienten, sondern auch für seine Nachsorge und die Beratung und Betreuung von Familienangehörigen.
Cave
Phäochromozytome und Paragangliome sind heterogene Erkrankungen mit teilweise komplexem molekulargenetischen Hintergrund, welche oft in Zusammenhang mit hereditären Syndromen auftreten. Patienten sollten deshalb in Zentren mit Erfahrung mit diesen Erkrankungen behandelt werden.

Neuroblastom

Neuroblastome sind häufig in der NN auftretende maligne Tumoren des frühen Kindesalters. Etwa eines von 100.000 Kindern ist pro Jahr betroffen. In Deutschland erkranken pro Jahr ca. 150 Kinder. Etwa 90 % der Kinder sind jünger als 6 Jahre (Kaatsch et al. 2018). Patienten mit dieser Erkrankung gehören in die Hände pädiatrischer Onkologen.

Ganglioneurom

Ganglioneurome sind Tumoren, die im Gegensatz zu Neuroblastomen und Ganglioneuroblastomen ausschließlich aus reifen neuralen Strukturen bestehen. Hierbei handelt es sich um neuromartig angeordnete Nervenfasern und um große Ganglienzellen (Moll und Barth 2013). Ganglioneurome kommen in verschiedenen Lokalisationen vor, besonders im posterioren Mediastinum und im Retroperitoneum, sind aber in der Nebenniere relativ selten. In der Regel sind es benigne Tumoren. Maligne Verläufe sind nur in Einzelfällen beschrieben, die Therapie besteht in der Resektion (Shawa et al. 2014).

Seltene primäre Nebentumoren

Die aus dem Mesenchym abstammenden Leiomyome, Schwannome und Hämangiome treten, wie auch die malignen Varianten, also bspw. Leiomyosarkome oder Angiosarkome, in der Nebenniere selten primär auf. Primäre maligne Lymphome der Nebenniere sind Raritäten. Gelegentlich wird eine Nebennierenbeteiligung im Rahmen eines generalisierten malignen Lymphoms beobachtet (Moll und Barth 2013).

Metastasen in der Nebenniere

Unter den Raumforderungen der Nebenniere sind Metastasen nach den benignen nichtfunktionellen Adenomen am zweithäufigsten (Sancho et al. 2012). In Autopsiestudien wird die Häufigkeit von NN-Metastasen mit 10–27 % angegeben (Abrams et al. 1950). Metastasen von nichtkleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) und Mammakarzinomen sind in den meisten Arbeiten am häufigsten, aber auch Melanome, hepatozelluläre und Nierenzellkarzinome gehen häufig mit NN-Metastasen einher (Sancho et al. 2012) (Abb. 3). Daten aus Hong-Kong aus dem Jahre 2002 zeigten einen hohen Anteil von Leber- und gastroösophagealen Karzinomen unter den Primärtumoren, während Metastasen von Mammakarzinomen hier kaum vertreten waren (Lam und Lo 2002). NN-Metastasen von NSCLC sind häufig bilateral (Kocijancic et al. 2003).
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