Entscheidend für den Fertilitätserhalt bei Mädchen und Frauen ist es, die Eizellen vor der Chemo- oder der
Strahlentherapie zu schützen. Dies kann innerhalb des Körpers durch medikamentöse Ruhigstellung der Ovarien oder Verlagerung der Ovarien aus dem Bestrahlungsfeld erfolgen oder außerhalb durch
Kryokonservierung von befruchteten oder unbefruchteten Eizellen oder von Ovarialgewebe. Operativ sollte sofern möglich fertilitätserhaltend operiert werden. Bezogen auf eine Radiotherapie ist auf einen ausreichenden Gonadenschutz durch die Wahl von Bestrahlungsfeldern und Bleischürzen zu achten. Zudem sollte versucht werden, auch den Uterus vor Strahlenschäden zu schützen (Teh et al.
2014).
Bei der Wahl von fertilitätserhaltenden Maßnahmen muss die individuelle klinische Situation der Patientin beachtet werden (Schüring et al.
2017). Die für die Beratung und Entscheidungsfindung wichtigsten Parameter sind: Alter der Patientin, Art und Stadium der Grunderkrankung, geplante Behandlung (Art und Dosis der Chemotherapie oder der Radiatio), die Zeit, die bis zum Beginn der zytotoxischen Behandlung verbleibt, ohne die onkologische Therapie zu beeinflussen, sowie natürlich der Patientenwunsch.
Im Folgenden soll auf die einzelnen Methoden genauer eingegangen werden.
GnRH-Agonisten (GnRHa)
Eine einfache und häufig praktizierte Methode zur
Fertilitätsprotektion besteht in der Chemotherapie-begleitenden Behandlung mit GnRH-Agonisten. Das Verfahren beruht auf der Hypothese, dass eine hypophysäre Down-Regulation zu einer „Ruhigstellung“ der ovariellen Aktivität und damit zu einer reduzierten
Sensitivität des Germinalgewebes gegenüber zytotoxischen Effekten führt. Mit der Medikation sollte spätestens 7 Tage vor Beginn der Chemotherapie aufgrund der initial vermehrten Gonadotropinfreisetzung der Hypophyse (sogenannter „Flare up“-Effekt) begonnen werden und mindestens noch 1–2 Wochen nach der Gabe des letzten Chemotherapiezyklus anhalten. Ist das Zeitfenster bis zum Beginn der Chemotherapie deutlich kürzer als eine Woche, so besteht die Möglichkeit, die GnRH-Agonisten mit GnRH-Antagonisten zu kombinieren, um den Flare up zu verringern (von Wolff et al.
2011a). Die Vorteile sind eine schnelle Verfügbarkeit und keine schwerwiegenden Nebenwirkungen. Als Nebenwirkungen können reversible Wechseljahrsbeschwerden (auch unter einer alleinigen Chemotherapie möglich) auftreten.
Die Datenlage zur fertilitätsprotektiven Effektivität der GnRHa wird seit Jahren international kontrovers diskutiert.
Die meisten
Metaanalysen seit 2011 (Bedaiwy et al.
2011; Chen et al.
2011; Del Mastro et al.
2014; Wang et al.
2013; Yang et al.
2013; Zhang et al.
2013) zeigten nach der parallelen Chemotherapie/GnRHa-Gabe eine signifikant niedrigere Rate für das Auftreten einer prämaturen Ovarialinsuffizienz (premature ovarian insufficiency, POI). Das Risiko lässt sich bei allerdings heterogener Datenlage um etwa die Hälfte reduzieren. Ein signifikanter Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer späteren Schwangerschaft (also auf die Fertilität) wurde in den Metaanalysen bis 2014 nicht nachgewiesen. Eine prospektiv randomisierte Studie (Moore et al.
2015) sowie eine Metaanalyse aus 2015 (Munhoz et al.
2015) zeigten in der GnRHa-Gruppe eine signifikant höhere Schwangerschaftsrate. Auch Lambertini et al. (
2018) zeigten in einer Metaanalyse mit 5 RCTs dass GnRH-Agonisten (zumindest kurzfristig) ovarprotektiv sind. Demeestere et al. (
2016) publizierten die erste Studie zum Langzeiteffekt von GnRHa und konnten einen Nutzen bei einem medianen Follow-up vom 5,3 Jahren nach Abschluss der Chemotherapie nicht nachweisen. Der Nutzen einer GnRH-Agonisten-Gabe kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Daher sollten GnRH-Agonisten, wenn möglich, nicht als alleinige Option zur
Fertilitätsprotektion gegeben werden (S2k-Leitlinie
2017).
Transposition der Ovarien
Bei einer geplanten Bestrahlung im kleinen Becken kann eine ovarielle Transposition durchgeführt werden, bei der eines oder beide Ovarien aus dem strahlentherapeutischen Feld heraus geschwenkt werden. Hierdurch kann die ovarielle Strahlenbelastung deutlich reduziert und das Risiko für eine radiogene Ovarialinsuffizienz reduzieren werden (Barahmeh et al.
2013). Der Eingriff wird in der Regel laparoskopisch durchgeführt. Meist ist es erforderlich, die Adnexe komplett vom Uterus zu trennen. In der Literatur sind verschiedene operative Techniken wie kraniale, laterale, mediale und auch anteriore Transpositionen beschrieben worden. Aufgrund der Inhomogenität der Kollektive und dem Fehlen prospektiv randomisierter Studien ist keine verlässliche Aussage zum Vergleich der verschiedenen Techniken möglich, wobei jedoch die kraniale Transposition die sicherste Technik zur Reduktion der Strahlendosis bei einer Bestrahlung des Beckens darstellt.
Die Erfolgsrate bzgl. erhaltene Ovarialfunktion wurde in einer
Metaanalyse mit 32 Publikationen und insgesamt 1189 Patientinnen mit 80,8 % (min 17 %, max 95 %) angegeben (Mossa et al.
2015). Man vermutet jedoch einen erheblichen Publikationsbias, da viele Fälle bzw. Studien mit schlechter Erfolgsrate nicht veröffentlicht sein dürften (Kicinski et al.
2015).
Die Höhe der Aufhängung der Ovarien gilt als einer der größten Prognosefaktoren für den ovariellen Funktionserhalt. Die Ovarien sollten mindestens 2 cm oberhalb des Beckenkammes liegen (Hwang et al.
2012). Die Frage, ob eine beidseitige oder nur einseitige Ovartransposition erfolgen soll, kann immer nur streng individuell in Kooperation mit den Strahlentherapeuten entschieden werden. Dabei spielt neben der zu erwartenden Gonadentoxizität auch der eventuelle Wunsch nach einer nur einseitigen Transposition eine Rolle, um über die verbliebene Seite gegebenenfalls eine Spontankonzeption zu ermöglichen.
Obwohl die Effektivität der Ovartransposition zum Erhalt der Ovarialfunktion insgesamt als hoch einzustufen ist, sind Schwangerschaften z. B. nach bestrahltem
Zervixkarzinom aus verschiedenen Gründen nach Ovartransposition selten (Kurt et al.
2007).
Hierbei spielt es eine Rolle, ob nach Beendigung der onkologischen Therapie noch
Kinderwunsch besteht und ggf. auch reproduktionsmedizinische Maßnahmen erwogen werden (Salih et al.
2015). Eine Rückverlagerung ist technisch schwierig und mit einem hohen Risiko für einen funktionellen Ovarverlust verbunden. Des Weiteren reduziert die Bestrahlung der Gebärmutter erheblich die Schwangerschaftschancen.
Die onkologische Sicherheit wird durch die Ovariopexie nicht wesentlich beeinflusst. Die operativen Risiken einer Ovartransposition sind gering. Postoperativ kann es in 25 % der Fälle zur Ausbildung von Ovarialzysten kommen, die zumeist einer gestörten Eierstockfunktion entsprechen. Die Häufigkeit von Metastasen an den Troikareinstichstellen („port site metastasis“) wird mit <1 % angegeben. Das Risiko der ovariellen Ischämie, das unabhängig von der Bestrahlung zu einer Amenorrhö bei 4 % der Patientinnen führte, ist in Relation zum Nutzen dieser Therapie als begrenzt relevant anzusehen (Kim et al.
2016).
Kryokonservierung von unfertilisierten und fertilisierten Oozyten
Entsprechend dem Vorgehen bei einer
In-vitro-Fertilisation (IVF) lassen sich durch eine ovarielle Stimulation und
Follikelpunktion Oozyten gewinnen, die unfertilisiert oder fertilisiert kryokonserviert werden können.
Die
Kryokonservierung von Oozyten zählt zu den etablierten Verfahren des Fertilitätserhalts bei Frauen.
Die hormonelle Stimulation zur reinen
Eizellgewinnung kann unabhängig vom Zyklustag der Patientin erfolgen („random start stimulation“), sodass das Zeitfenster bis zum Beginn der zytotoxischen Therapie nur noch ca. 2 Wochen beträgt (von Wolff et al.
2009,
2016). Die Stimulationsschemata unterscheiden sich, je nachdem ob die Stimulation in der frühen Follikelphase, der späten Follikelphase oder der
Lutealphase gestartet wird. Durch die Verwendung von Antagonisten und die
Ovulationsinduktion mit GnRHa können ovarielle Überstimulationen vermieden werden, die früher noch zu einer Verschiebung der Chemotherapie geführt hätten.
Das Einfrieren von fertilisierten Oozyten mit 2 Vorkernen (Pronukleusstadium), d. h. einen Tag nach der
Eizellgewinnung, ist seit Jahren, besonders in Ländern wie Deutschland, das die geplante
Kryokonservierung von menschlichen Embryonen per Gesetz untersagt, ein wesentlicher Bestandteil von assistierten reproduktionsmedizinischen Techniken. Zu berücksichtigen ist, dass fertilisierte Oozyten nur nach Zustimmung beider Partner der Frau übertragen werden können, aufgrund dessen selbst bei einer festen Partnerschaft erwogen werden sollte, einen Teil der Oozyten unfertilisiert zu konservieren (S2k-Leitlinie
2017). Die Kryokonservierung der Oozyten erfolgt inzwischen meist per Vitrifikation.
Die Erfolgsrate ist abhängig von dem Alter bei der
Kryokonservierung und der zugrunde liegenden Ovarialreserve, die individuell unterschiedlich ist.
Gemäß registerbasierter Kalkulationen und erster Fallserien beträgt die Geburtenchance pro Stimulation und
Kryokonservierung bei Frauen <35 Jahre ca. 30–40 %, nimmt aber bei älteren Frau ab (Alvarez und Ramanathan
2016; Lawrenz et al.
2010). Da die Anzahl der eingefrorenen Oozyten maßgeblich ist für die spätere Konzeptionschance, könnten Doppelstimulationen die Zahl der Zellen erhöhen. Bisher sind diese jedoch überwiegend bei Patienten mit niedriger Eizellreserve durchgeführt worden, um die Zahl der möglichen Transfers zu erhöhen.
Die Risiken bei einer ovariellen Stimulation sind gering. Eine hochgradige Überstimulation im Rahmen der Stimulation von Patientinnen des Netzwerks FertiPROTEKT ist bei 708 Stimulationen nur einmal aufgetreten (von Wolff et al.
2016). Die Fehlbildungsrate von Kindern, die durch kryokonservierte Oozyten geboren wurden, unterscheidet sich nicht von denen nach spontaner Konzeption.
Problematisch könnte zumindest theoretisch die ovarielle Stimulation bei hormonabhängigen Tumoren (z. B. beim
Mammakarzinom) sein. Um die steigenden Östrogenkonzentrationen im Rahmen einer ovariellen Stimulation zu reduzieren, wird bei Patientinnen mit Östrogen-sensitiven Tumoren die Zugabe von
Aromatasehemmern empfohlen (Kim et al.
2016).
Die Gewinnung von unreifen Eizellen zur Verringerung des Zeitbedarfs bei Stimulationsbehandlungen mit anschließender
In-vitro-Maturation kann zukünftig eine klinische Alternativmethode zur konventionellen Stimulationsbehandlung darstellen. Dies ist aber aktuell nicht als Routineverfahren einzustufen, sondern unterliegt einem experimentellen Status. Mit dieser Technik können unreife Oozyten ohne oder mit nur einem verkürzten niedrigdosierten Stimulationsprotokoll (3–5 Tage) gewonnen und nach erfolgreicher In-vitro-Reifung befruchtet oder unbefruchtet eingefroren werden.
Kryokonservierung von Ovargewebe
Die
Kryokonservierung von Ovarialgewebe ist eine etablierte Methode, um die Fertilität nach einer onkologischen Behandlung wiederherzustellen (S2k-Leitlinie
2017).
Besonders geeignet ist die
Kryokonservierung von Ovargewebe für jüngere Patientinnen, da deren Ovarialreserve und somit die Follikeldichte sehr hoch sind.
Das Verfahren kann unabhängig vom Zyklus erfolgen und führt somit zu keiner Verzögerung der onkologischen Therapie. Laparoskopisch wird meist 50 % des Ovarkortex eines Ovars reseziert. Das ovarielle Gewebe wird direkt nach der Entnahme kryokonserviert oder es kann zu einem auf die
Kryokonservierung von Ovargewebe spezialisierten Zentrum mit angeschlossener Kryobank überführt werden. Eine Transportdauer von 4–5 Stunden vor der Kryokonservierung ist dabei bedenkenlos möglich (Rosendahl et al.
2011) und auch bei längeren Zeitspannen (Transport über Nacht) scheint die Vitalität des Gewebes erhalten zu bleiben (Dittrich et al.
2012).
Sollte später nach einem ausreichend langen rezidivfreien Intervall
Kinderwunsch bei einer Ovarialinsuffizienz bestehen, so kann das Gewebe retransplantiert werden. Eine Transplantation erfolgt meist in loco typico (orthotope) entweder in oder an das verbliebene Ovar oder in eine Peritonealtasche im Bereich der Fossa ovarica. Aktuellen Studien zufolge bleibt das Gewebe etwa ein halbes bis mehr als 7 Jahre aktiv (Donnez et al.
2013). In dieser Zeit können Schwangerschaften zustande kommen. Bei den orthotopen Transplantationsstellen ist prinzipiell eine natürliche Konzeption möglich, ggf. müssen ART-Maßnahmen (
ICSI) angewandt werden. Die Geburtenrate beträgt derzeit ca. 30 %, allerdings ist von einer Steigerung durch eine weitere Optimierung der Operationstechnik auszugehen (Van der Ven et al.
2016).
Ein Fallbericht wurde publiziert, der über eine Geburt nach der
Kryokonservierung von Ovargewebe im Alter von 13 Jahren (prämenarchal) und einer Transplantation im Alter von 27 Jahren berichtet (Demeestere et al.
2015). Dieser Fallbericht zeigt, dass eine Transplantation auch nach einer präpubertären Kryokonservierung von Ovargewebe zu Schwangerschaften führen kann. Unterstützt wird dies auch durch zwei Fallberichte, die eine Induktion der
Pubertät durch die Transplantation von präpubertär kryokonserviertem Ovargewebe nachgewiesen haben (Anderson et al.
2013; Poirot et al.
2012).
Bei der Autotransplantation des ovariellen Gewebes von Krebspatientinnen besteht ein theoretisches Risiko, mit dem kryokonservierten Gewebe ein Rezidiv zu verursachen (Dolmans et al.
2013). Das Ausmaß des Risikos für ein Wiederauftreten der malignen Erkrankungen nach Retransplantation hängt vor allem von der Art der Erkrankung, dem Stadium und der Menge an transferierten malignen Zellen ab (Tab.
5).
Tab. 5
Risiko einer ovariellen Metastasierung bei verschiedenen Tumorarten. (Modifiziert nach Dolmans et al.
2013 und Bastings et al.
2013)
Leukämie Burkitt-Lymphom Ovarialtumore | Darmkrebs Adenokarzinom der Zervix Non-Hodgkin-Lymphom | Mammakarzinom Stadium I–III (duktale Subtypen) Nongenitales Rhabdomyosarkom Wilms-Tumor |
Das Risiko einer Retransplantation von malignen Zellen wird insgesamt als sehr gering erachtet, wenn strenge Qualitätssicherungsmaßnahmen gewährleistet sind.
Bei einem hohen Risiko ist die
Kryokonservierung von Ovargewebe als experimentell zu erachten und die Patientin darüber zu informieren, dass das Gewebe möglicherweise nicht oder nur für rein experimentelle Techniken verwendet werden kann.
Eine rein experimentelle Option für diese Patientinnen wäre die Reifung von Eizellen ohne Retransplantation des Gewebes
in vitro. Die Möglichkeit, aus den primordialen Follikeln des Ovarialgewebes durch eine vollständige
In-vitro-Maturation reife, befruchtungsfähige Eizellen zu gewinnen, gelang bisher nur im tierexperimentellen Bereich, beim Menschen ist es derzeit noch nicht möglich (Liebenthron et al.
2013; Telfer und McLaughlin
2011). Eine weitere Möglichkeit stellt die Xenotransplantation von humanem Ovarialgewebe dar. Ovarialgewebe wird in immundefiziente Mäuse (z. B. SCID-Mäuse), die keine Abstoßungsreaktion gegen Fremdgewebe zeigen, transplantiert, wo Follikel heranreifen und zur Gewinnung der Oozyten punktiert werden können. Dieses Verfahren wird bereits zur Überprüfung der Vitalität des eingefrorenen Gewebes und zur Abschätzung einer malignen Kontaminierung angewandt (Lotz et al.
2011; Rosendahl et al.
2013).
Kombination von verschiedenen fertilitätserhaltenden Techniken
Es existieren inzwischen relativ gut etablierte fertilitätsprotektive Techniken, die eine realistische Chance auf eine spätere Schwangerschaft erlauben (S2k-Leitlinie
2017). Dies gilt insbesondere, wenn mehrere Verfahren zur Steigerung der Effektivität kombiniert werden (von Wolff et al.
2017).
Eine Kombination von fertilitätserhaltenden Maßnahmen sollte vor allem bei Patientinnen mit einem hohen Risiko für eine primäre Ovarialinsuffizienz diskutiert werden.
Möglich ist beispielsweise die Kombination der Entnahme und
Kryokonservierung von Ovargewbe, direkt gefolgt von einer ovariellen Stimulation zur Kryokonservierung von Oozyten (Huober Zeeb et al.
2011). Hierdurch lässt sich theoretisch die Chance auf eine zukünftige Schwangerschaft erhöhen, jedoch liegen bezüglich der Effizienz dieser
additiven Maßnahme noch keine suffizienten Daten vor (Dittrich et al.
2013).