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Klinische Neurologie
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Publiziert am: 02.04.2018

Hereditäre Polyneuropathien

Verfasst von: Andreas Engelhardt
Die hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien (HMSN) gehören mit einer Prävalenz von 20–40 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner zu den häufigsten erblichen neurologischen Erkrankungen. Die Bestimmung des PMP22-Gens bei Verdacht auf HMSN I oder HNPP ist etablierte Diagnostik. Bei den hepatischen Porphyrien kombinieren sich akute abdominelle Symptome mit sensomotorischen Neuropathien. Bei den hereditären Amyloidosen treten distale sensomotorische und autonome Polyneuropathien auf.
Die hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien (HMSN) gehören mit einer Prävalenz von 20–40 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner zu den häufigsten erblichen neurologischen Erkrankungen. Die Bestimmung des PMP22-Gens bei Verdacht auf HMSN I oder HNPP ist etablierte Diagnostik. Bei den hepatischen Porphyrien kombinieren sich akute abdominelle Symptome mit sensomotorischen Neuropathien. Bei den hereditären Amyloidosen treten distale sensomotorische und autonome Polyneuropathien auf.

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathien (HMSN)

Die hereditären motorisch-sensiblen Neuropathien (HMSN) haben zahlenmäßig die größte Bedeutung und gehören mit einer Prävalenz von 20–40 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner zu den häufigsten erblichen neurologischen Erkrankungen überhaupt. Die früher als neurale Muskelatrophie beschriebene Krankheitsgruppe wird häufig mit den Namen der Erstbeschreiber Charcot-Marie-Tooth (CMT) für die dominante Form und Déjerine-Sottas (DSS) für die autosomal-rezessiv vererbte hypertrophische Form verbunden. Dies stellt nach heutigen Erkenntnissen eine unzulässige Vereinfachung dar. Der molekulargenetischen Forschung ist es in den letzten Jahren gelungen, bei der Krankheitsgruppe zahlreiche Gendefekte nachzuweisen. Für die Routinediagnostik ist die Bestimmung des PMP22-Gens bei Verdacht auf HMSN I oder HNPP ausreichend, da es sich um die häufigsten Gendefekte handelt und den betroffenen Patienten bei positivem Befund eine Nervenbiopsie erspart werden kann. Die Einsendung eines EDTA-Röhrchens mit Vollblut genügt. Eine ungezielte umfangreiche molekulargenetische Diagnostik ist teuer und außerhalb wissenschaftlicher Fragestellungen sinnlos!

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I

Genetik
Die hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I (HMSN I, CMT1) ist die häufigste Form; der Erbgang ist autosomal-dominant. Durch molekulargenetische Untersuchungen wurde eine Duplikation auf dem kurzen Arm von Chromosom 17 (17p11.2–12) gefunden, die den Genort für das periphere Myelinprotein 22 (PMP22) umfasst. 70–90 % der Patienten mit HMSN I haben diese Duplikation. Spontane Neumutationen sind häufig. Neben dieser Form (CMT1A) wurde auch eine Mutation auf dem Chromosom 1 (1q22–23) im dort lokalisierten Gen für das Myelinprotein 0 (MPZ) beschrieben (CMT1B). Selten ist ein X-chromosomaler Erbgang (CMTX), bei dem das Gen für das Connexin 32 (GJB1) auf dem X-Chromosom (Xq13.1) betroffen ist. Selten sind autosomal-rezessiv vererbte Formen der HMSN Typ I, die genetisch als CMT4 bezeichnet werden. Verschiedene Gendefekte wurden in den letzten Jahren für diese Form beschrieben (Saporta et al. 2011).
Klinik
Klinisch besteht eine sehr langsam progrediente, vorwiegend motorische Polyneuropathie mit distalem peronealem Beginn, die zu Hohlfußbildung, „Steppergang“ und „Storchenbeinen“ führt. Befallen die Paresen auch die oberen Extremitäten, sind sie zumeist ulnar betont („Krallenhand“). Vegetative Symptome und neuropathische Schmerzen sind häufig. Die Patienten erkranken zumeist in der Mitte der 3. Dekade. Der langsame Verlauf führt jedoch dazu, dass viele Patienten den Beginn der Erkrankung nicht wahrnehmen. Die Lebenserwartung ist zwar normal, einige Patienten benötigen jedoch einen Rollstuhl.
Diagnostik
Da es sich um eine demyelinisierende Form handelt, sind die Nervenleitgeschwindigkeiten frühzeitig vermindert (im N. medianus motorisch auf unter 38 m/s). Morphologisch zeigt sich eine ausgeprägte De- und Remyelinisierung mit „Zwiebelschalenformation“ (Abb. 1). Hierunter werden Schwann-Zell-Fortsätze verstanden, die bei der Remyelinisierung schalenförmig ein Axon ummanteln.

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ II

Als HMSN II (CMT2) wird der neuronale Typ der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie bezeichnet. Hierbei finden sich morphologisch Zeichen einer axonalen Degeneration, Zwiebelschalenformationen oder Zeichen einer Demyelinisierung fehlen. Der Erbgang ist auch bei dieser Form autosomal-dominant, nur sehr selten rezessiv (AR-CMT). Klinisch unterscheidet sich der Typ II nicht vom Typ I, der Verlauf ist eher noch langsamer. Mutationen des Mitofusin 2-Gens auf dem Chromosom 1 (1q23 bzw. 1p35) oder auf Chromosom 3 (3q13–22) oder 7 (7p14) sind die häufigste Ursache (Verhoeven et al. 2006). In einigen Familien ist die Zuordnung zur HMSN I oder II nach der Nervenleitgeschwindigkeit nicht möglich. Sie werden als HMSN-Intermediärtypen (DI-CMT-C und HMSN-P) bezeichnet.

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ III

Diese Form wurde früher auch als hypertrophische Neuritis (Déjerine-Sottas) bezeichnet, heute spricht man von Déjerine-Sottas-Syndrom (DSS). Es handelt sich wie bei HMSN I um eine demyelinisierende Neuropathie mit ausgeprägter Zwiebelschalenformation und tastbar verdickten Nerven. Die Manifestation ist zumeist frühzeitiger als bei den anderen Formen der HMSN. Häufig sind bereits Kinder betroffen, sodass auch die motorische Entwicklung verzögert ist. Der Verlauf ist rasch progredient und führt zu früher Invalidität. Elektrophysiologisch ist die Nervenleitgeschwindigkeit erheblich (zumeist auf unter 10 m/s) verzögert. Morphologisch zeigt der Nerv ausgeprägte Zwiebelschalenformationen und Demyeliniserung. Klinisch findet man neben den atrophischen Paresen und Reflexverlust auch ausgedehnte Sensibilitätsstörungen an allen Extremitäten, in einigen Fällen sogar am Rumpf. Etwa ein Viertel der Patienten klagt über heftige Schmerzen. Pupillenstörungen sind häufig, ebenso sekundäre Skoliosen. Da das Liquoreiweiß teilweise deutlich erhöht ist, ist die Abgrenzung gegenüber entzündlichen demyelinisierenden Neuropathien vom Typ der chronisch-inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) gelegentlich schwierig. Der Erbgang ist zumeist autosomal-rezessiv. Molekulargenetisch zeigte sich bisher vorwiegend eine Heterozygotie für Punktmutation im PMP22- und MPZ-Gen ähnlich der HMSN I. Die humangenetische Krankheitsbezeichnung für die beiden Unterformen lautet DSS-A und DSS-B. Angeborene Formen werden als kongenitale Hypomyelinisationsneuropathien (CH) bezeichnet. Diese Kinder zeigen extrem verlängerte Nervenleitgeschwindigkeiten bei nur geringer Progredienz der klinischen Symptome.

Heredopathia atactica polyneuritiformis (Refsum-Syndrom)

Das Refsum-Syndrom wird auch als HMSN IV bezeichnet. Bei der seltenen autosomal-rezessiven Erkrankung handelt es sich um eine peroxisomale Fettspeicherkrankheit mit Abbaustörung der Phytansäure, die sich in zahlreichen Organen ablagert und mit erhöhten Spiegeln im Serum nachweisbar ist (normal <0,3 mg pro 100 ml). Neben einer sensomotorischen Neuropathie, die überwiegend die großkalibrigen Fasern betrifft (Tiefensensibilitätsstörungen) und wegen ihres demyelinisierenden Charakters erheblich verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten verursacht, findet sich bei den Erkrankten typischerweise eine Retinitis pigmentosa, eine zerebelläre Ataxie und ein erhöhtes Liquoreiweiß. Durch eine Reduktion der Phytansäureaufnahme mit der Nahrung kann eine Besserung herbeigeführt werden. Zu vermeiden sind insbesondere tierische Fette, Eier, ungeschältes Obst, Kakao, Schokolade, Nüsse und einige Gemüse.

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ V, VI, VII

Es werden weitere Formen der hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie beschrieben: HMSN V mit spastischer Paraparese, HMSN VI mit Optikusatrophie, HMSN VII mit Retinitis pigmentosa. Es ist jedoch zweifelhaft, ob bei nachgewiesener HMSN I–III das Auftreten der genannten Zusatzsymptome die Einordnung in einen neuen Typus rechtfertigt. Alternativ können derartige Bilder auch als „HMSN plus“ bezeichnet werden.

Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen (HNPP, „tomakulöse Neuropathie“)

Die Patienten zeigen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber mechanischen Traumata. Bereits nach leichter Druckschädigung (z. B. Übereinanderschlagen der Beine, Auflegen der Unterarme etc.) finden sich periphere Nervenlähmungen, wobei häufig N. peroneus (fibularis), N. ulnaris und N. medianus betroffen sind, jedoch auch radikuläre Schädigungen bis hin zu einer schlaffen Paraplegie vorkommen. Die Ausfälle bilden sich zumeist innerhalb von Wochen vollständig zurück. Durch Summation der traumatischen Schädigungen kann es allerdings im Laufe der Zeit zu bleibenden Restlähmungen und Sensibilitätsstörungen kommen. Die Nervenleitgeschwindigkeit ist in den betroffenen Nerven verzögert oder ein Leitungsblock ist nachweisbar. In vielen Fällen finden sich auch an klinisch nicht betroffenen Nerven verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten. Charakteristisch ist das morphologische Bild mit wurstförmigen (tomakulösen, von lat. tomaculum = Würstchen) Myelinverdickungen (Abb. 2). Molekulargenetisch zeigen 85 % der Patienten mit HNPP eine Deletion des PMP22-Gens auf dem Chromosom 17. Hierbei handelt es sich um dasselbe Gen, das bei der HMSN Ia in Form einer Duplikation betroffen ist.

Hereditäre sensible und autonome Neuropathien (HSAN)

Es handelt sich hierbei um sehr seltene erbliche Neuropathien, bei denen sensible und autonome Nervenfasern von der Degeneration betroffen sind. Fehlendes Schmerzempfinden führt bei diesen Patienten ähnlich wie bei der Syringomyelie zu häufigen Verletzungen, Verbrennungen und Mutilationen. Es werden fünf Typen unterschieden:
  • HSAN I (Maladie de Thévenard): Vererbung autosomal-dominant. Beginn in der 2.–5. Lebensdekade. Heftige neuropathische Schmerzen, Ulzera an den Füßen bis hin zu Mutilationen. Normale Lebenserwartung.
  • HSAN II (Morvan’s disease, „infantile Syringomyelie“): Vererbung autosomal-rezessiv. Beginn bei Geburt. Fehlende Muskeleigenreflexe. Mutilationen an Händen und Füßen. Langsam progredient.
  • HSAN III (Riley-Day-Syndrom, familiäre Dysautonomie): Vererbung autosomal-rezessiv. Kommt fast nur bei Ashkenazi-Juden vor. Fehlende Tränensekretion, orthostatische Dysregulation, fleckige Hautrötung, labile Temperatur- und Schweißregulation. Schwere Skelettschäden (Skoliosen), ZNS-Beteiligung, Minderwuchs. Lebenserwartung deutlich verkürzt.
  • HSAN IV (Swanson-Syndrom, kongenitale Schmerzunempfindlichkeit mit Anhidrose): Vererbung autosomal-rezessiv. Seit Geburt Schmerzunempfindlichkeit, fehlendes Schwitzen, episodisches Fieber. Geistige Retardierung, Minderwuchs, multiple Frakturen und Mutilationen. Lebenserwartung wahrscheinlich verkürzt (seit der Erstbeschreibung 1963 wurden nur wenige Fälle beobachtet).
  • HSAN V: Vererbung autosomal-rezessiv. Verlust von Schmerz- und Temperaturempfinden bei normaler Tiefensensibilität. Beginn bei Geburt. Bisher nur wenige Fälle beschrieben.

Akute hepatische Porphyrie

Hepatische Porphyrien, wie der autosomal-rezessiv vererbte δ-Aminolävulinsäure-Dehydrogenase-Mangel und die dominant vererbten akute intermittierende Porphyrie, hereditäre Koproporphyrie und Porphyria variegata, äußern sich klinisch zumeist in akuten abdominellen Symptomen (Oberbauchkoliken), die insbesondere nach Alkohol, Medikamenten, Nahrungsmitteln und bei hormonellen Veränderungen auftreten. Neben sensomotorischen Neuropathien finden sich oft auch zentralnervöse Symptome wie Delir, Psychosen, epileptische Anfälle und Bewusstseinsstörungen. Einige Tage nach den Attacken zeigt sich die Polyneuropathie als symmetrisch-motorische Manifestationsform, wobei häufig proximale Extremitätenabschnitte und die Arme stärker betroffen sind. Frühzeitig finden sich Muskelatrophien, autonome Störungen und Hirnnervenausfälle. Die Rückbildung erfolgt über Wochen bis Monate. Diagnostisch beweisend ist die erhöhte Ausscheidung von Porphyrinen (δ-Aminolävulinsäure, Porphobilinogen, Uroporphyrinogen, Koproporphyrinogen) im Urin oder Stuhl, wobei die Diagnose naheliegt, wenn der Urin sich durch Lichteinwirkung dunkelrotbraun verfärbt (Screening: Schwartz-Watson-Test). Zahlreiche Medikamente (v. a. Barbiturate, Östrogene, Hydantoin, Carbamazepin, Valproinsäure, Sulfonamide, Rifampicin), aber auch Alkohol und Hungern können eine porphyrische Krise auslösen. Grundsätzlich sollte bei Porphyrie jede Verordnung hinsichtlich der Verträglichkeit geprüft werden (siehe http://www.porphyria-europe.com). Erlaubt sind:
Neben der Prophylaxe durch Vermeiden bestimmter Medikamente wird versucht, die pathologisch erhöhte Aktivität der δ-Aminolävulinsäure-Synthetase zu bremsen, was durch Infusionen von Glukose (40 % 1000 ml/Tag i.v.) oder Hämatin (3 mg pro kg Körpergewicht) täglich über 4 Tage) gelingt.

Polyneuropathie bei primärer und hereditärer Amyloidose

Bei den sekundären Amyloidosen (meist im Zusammenhang mit chronisch entzündlichen Prozessen) wird das Nervensystem durch die Ablagerung von Serumamyloid A (SAA) nur selten geschädigt. Die sporadischen primären Amyloidosen, die zu 90 % bei monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS, Kap. „Paraproteinämische und paraneoplatische Polyneuropathien“) auftreten, führen jedoch regelmäßig zu Polyneuropathien. Sie entstehen durch Ablagerung von unlöslichen Immunglobulin-Leichtketten (AL-Amyloidosen). Auch bei den hereditären Amyloidosen treten distale sensomotorische und autonome Polyneuropathien auf.
Die verschiedenen Typen
  • Typ I: Andrade- oder portugiesischer Typ,
  • Typ II: Rukavina- oder Indiana-Typ,
  • Typ III: Van-Allen-Typ,
  • Typ IV: Meretoja- oder finnischer Typ
werden autosomal-dominant vererbt. Die extrazelluläre Amyloidablagerung resultiert bei den hereditären Formen aus einem Gendefekt mit fehlerhafter Proteinsynthese. Am häufigsten ist hierbei Transthyretin (TTR) verändert, eine molekulargenetische Diagnostik ist möglich.
In Mitteleuropa ist der sporadisch auftretende Typ der Amyloidose (primäre Amyloidose) häufiger als der familiäre. Hier treten bei 15–20 % der Patienten zumeist erst in höherem Lebensalter ein Karpaltunnelsyndrom sowie symmetrisch-sensible oder symmetrisch-sensomotorische Polyneuropathien auf. Die Patienten klagen auffallend häufig über Schmerzen und Parästhesien, da überwiegend die kleinkalibrigen Fasern betroffen sind. Die Sensibilitätsstörungen sind dementsprechend häufig dissoziiert, d. h. das Schmerz- und Temperaturempfinden ist höchstgradig beeinträchtigt bei normalem oder nur leicht vermindertem Berührungsempfinden. Meist sind auch schwere trophische Störungen nachweisbar (Ödeme, Ulzerationen, gestörte Schweißsekretion). Sonstige autonome Störungen (verminderte Pupillenreaktion, orthostatische Hypotonie, Blasen- und Sexualfunktionsstörung) sind in der Regel vorhanden. Typisch ist eine Organomegalie mit auffallend großer Zunge (Makroglossie). Diagnostisch wegweisend ist der Nachweis von Amyloid (Kongorot oder immunhistochemisch) in der Nerven-, Muskel- bzw. Rektumbiopsie oder dem Bindegewebe des Lig. carpi transversum (Entnahme bei Operation des Karpaltunnels!). Die Prognose ist ungünstig. Die Patienten sterben meist an Nieren- oder kardialen Komplikationen. Ein Therapieversuch mit Melvalan (0,15 mg pro kg Körpergewicht und Tag für 7 Tage), Prednisolon und Colchicin (0,6 mg 2-mal täglich) wird empfohlen. In schweren Fällen kann eine Lebertransplantation die weitere Progression aufhalten. Bei gehfahigen Patienten mit Transthyretin - Amyloidose kann Tafamidis gegeben werden (Coelho et al. 2012).

A-β-Lipoproteinämie (Bassen-Kornzweig-Krankheit)

Diese seltene autosomal-rezessive Erkrankung führt durch Mangel von Apoprotein B zu einer Malabsorption von Fetten (A-β-Lipoproteinämie) und damit zum Mangel an Vitamin A, E und K. Die Cholesterin- und Triglyceridspiegel im Serum sind vermindert. Neben einer Polyneuropathie mit bevorzugtem Befall großer Fasern finden sich eine Retinitis pigmentosa und eine spinozerebelläre Degeneration. Die Krankheit beginnt in den ersten beiden Lebensdekaden und kann durch Fettrestriktion und hohe Dosen von Vitamin E, A und K therapiert werden. Eine andere seltene, durch Fettstoffwechselstörung verursachte hereditäre Polyneuropathie ist die An-α-Lipoproteinämie (Tangier-Krankheit). Hier sind die Serumspiegel von HDL reduziert.

Metachromatische Leukodystrophie

Die metachromatische Leukodystrophie ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, bei der es durch Mangel an Arylsulfatase A (Nachweis im Urin oder in Leukozyten) zur Ablagerung metachromatischer Substanzen im zentralen und peripheren Nervensystem (Suralisbiopsie!) kommt. Bei der spätinfantilen Form tritt der Tod in der Dezerebration schon nach wenigen Jahren ein. Bei der juvenilen Form (Schulalter) stehen Demenz, zerebelläre Symptomatik und Tetraspastik im Vordergrund. Die adulte Form kann sich schleichend mit zunehmendem organischem Psychosyndrom entwickeln. Ausnahmsweise kann bei Letzterer eine periphere Nervenschädigung auch einmal fehlen, während ansonsten symmetrische Polyneuropathien mit erheblich verminderten Nervenleitgeschwindigkeiten zum typischen Bild gehören. Knochenmarktransplantationen können die Progression der Erkrankung zumindest verlangsamen.

Adrenomyeloneuropathie

Bei dieser Variante der X-chromosomal-rezessiv vererbten Adrenoleukodystrophie treten axonale Neuropathien auf. Ursächlich ist ein Enzymdefekt im Lipidmetabolismus (peroxisomale β-Oxidation), der zu einer Erhöhung der überlangkettigen Fettsäuren (VLCFA) im Serum führt. Therapeutisch kann lediglich die begleitende Nebenniereninsuffizienz mit Kortison behandelt werden. Durch Diät („Lorenzos Öl“) können die VLCFA zwar gesenkt werden, die Progression der Erkrankung bessert sich jedoch nicht.

Morbus Krabbe (Globoidzell-Leukodystrophie)

Der autosomal-rezessiv vererbte Defekt der Galaktosylcerebrosid-Galaktosidase führt zu einem Mangel an Markscheidenlipiden. Bei der infantilen Form mit Beginn im 3.–6. Lebensmonat kommt es neben schwerer ZNS-Symptomatik auch zu einer demyelinisierenden Polyneuropathie. Die Kinder sterben innerhalb weniger Jahre.

Morbus Fabry (Angiokeratoma corporis diffusum)

Der X-chromosomal-rezessiv vererbte Mangel an Ceramidtrihexosidase (α-Galaktosidase A) führt zur Speicherung von Glykolipiden (Ceramidhexosid). Typisch sind stecknadelkopfgroße dunkle Flecken der Haut, Cornea- und Linsenveränderungen. Für die Polyneuropathie charakteristisch sind Klagen der betroffenen Kinder über heftige Schmerzattacken, die v. a. bei Wärme auftreten. Die Schweißsekretion ist stark gemindert. Im Erwachsenenalter kommt es zu einer rasch fortschreitenden Niereninsuffizienz, Demenz und Schlaganfällen. Es stehen zwei Enzymersatztherapien mit α-Galaktosidase zur Verfügung.

Morbus Niemann-Pick

Die v. a. bei Ashkenazi-Juden auftretende autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung beruht auf einem Mangel an Sphingomyelinase (nachweisbar in Leukozyten oder Fibroblasten). Bei den betroffenen Kindern bestehen neben einer schweren ZNS-Symptomatik und der charakteristischen „kirschroten“ Makula bereits frühzeitig Zeichen einer Polyneuropathie.

Louis-Bar-Syndrom (Ataxia teleangiectatica)

Bei der autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung treten neben den Teleangiektasien der Haut (insbesondere der Konjunktiven), zentralnervöse Symptome (Ataxie, Augenbewegungsstörungen, extrapyramidale Symptome, Demenz) und eine sensomotorische Polyneuropathie auf. Das defekte ATM-Gen kodiert eine Proteinkinase, die als Regulator von DNA-Reparaturvorgängen und programmiertem Zelltod (Apoptose) wichtig ist. Schwere Schäden des Immunsystems führen frühzeitig zu gehäuften Infektionen, Neoplasmen und Tod vor dem 30. Lebensjahr.

Polyneuropathie mit Riesenaxonen („giant axon neuropathy“)

Diese sehr seltene autosomal-rezessive Erkrankung beginnt bereits in den ersten Lebensjahren. Neben dem Stillstand der psychomotorischen Entwicklung findet sich eine ausgeprägte vorwiegend motorische Polyneuropathie. Äußerlich fallen die Kinder durch Kleinwuchs und krause Haare auf. Morphologisch sind die erheblichen Verdickungen der Axone charakteristisch. Die Erkrankung führt in den ersten Lebensjahrzehnten zum Tode.

Facharztfragen

1.
Was sind die häufigsten hereditären Ursachen einer Polyneuropathie?
 
2.
Welche genetische Diagnostik sollte zur Polyneuropathie-Abklärung durchgeführt werden?
 
3.
Nennen Sie spezifische Therapiemöglichkeiten bei hereditären Polyneuropathien!
 
Literatur
Coelho T1, Maia LF, Martins da Silva A, Waddington Cruz M, Planté-Bordeneuve V, Lozeron P, Suhr OB, Campistol JM, Conceição IM, Schmidt HH, Trigo P, Kelly JW, Labaudinière R, Chan J, Packman J, Wilson A, Grogan DR (2012) Tafamidis for transthyretin familial amyloid polyneuropathy: a randomized, controlled trial. Neurology 79(8):785–792
Saporta AS, Sottile SL, Miller LJ et al (2011) Charcot-Marie-Tooth disease subtypes and genetic testing strategies. Ann Neurol 69:22–33
Verhoeven K, Claeys KG, Zuchner S et al (2006) MFN2 mutation distribution and genotype/phenotype correlation in Charcot-Marie-Tooth type 2. Brain 129:2093–21