Skip to main content

Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Michael Kaess, Franz Resch und Franziska Rockstroh
Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) zeigt sich häufig in Form von Ritzen und Schlagen, aber auch anderen schädigenden Handlungen gegen das eigene Körpergewebe und ist besonders im Jugendalter weit verbreitet. Risikofaktoren, Ursachen und Funktionen von Selbstverletzungen sind vielfältig und stehen im Fokus umfassender empirischer Arbeiten. Obwohl NSSV durchaus als selbstständige klinische Entität betrachtet werden kann und das Phänomen als Forschungsdiagnose im DSM-5 integriert wurde, tritt NSSV im klinischen Kontext meist komorbid mit Störungsbildern wie Depressionen oder der Borderline-Persönlichkeitsstörung auf und ist stark mit einem erhöhten Risiko für Suizidalität assoziiert. Das folgende Kapitel bietet anhand aktueller Forschungsergebnisse und langjähriger klinischer Erfahrung einen Einblick in die Entstehung, den Verlauf und Charakteristika selbstverletzender Verhaltensweisen und geht zum Abschluss vertieft auf die Themen Diagnostik, Prävention und therapeutische Interventionen ein.

Definition und Phänomenologie

Akte der Selbstverletzung als Ausdruck emotionaler Überforderung oder religiöser Verzückung sind historisch gesehen nichts Neues. Schon im Mittelalter zogen Flagellanten durch die Städte, die sich mit kurzen Lederpeitschen die Rücken blutig schlugen und dabei schrien, um mit Klagegesängen die Barmherzigkeit Gottes zu erflehen. Selbstgeißelung und Auspeitschung waren dabei einer besonderen Form der Glaubenssehnsucht geschuldet. Kulturübergreifend ist festzustellen, dass auch bei Naturvölkern der Körper geschunden wurde, um Trauer, Angst oder Scham zu bewältigen (Resch 2017). Neben dem individuellen religiösen oder affektiven Beschwörungscharakter kann der Selbstverletzung aber auch schon in frühen Zeugnissen ein gruppenbezogener Aspekt abgewonnen werden: Durch Verletzungsakte und (gegenseitige) rituelle Verwundungen, kann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder eine klare Abgrenzung vom Rest der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden. In vielen Kulturen gab und gibt es Pubertätsriten, rituelle Beschneidungen, schmerzhafte Zeremonien, die die Anerkennung der Gruppe oder das Ende der Kindheit kennzeichnen und auf diese Weise zugleich der Zugehörigkeit und Abgrenzung dienen.
Als besonders häufig auftretendes Verhalten bei Jugendlichen haben Selbstverletzungen deutlich an klinischer Relevanz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zugenommen. Trotz des Versuchs bestimmte Formen der Selbstschädigung als eigenständige diagnostische Entität im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5, American Psychiatric Association 2018) in der Sektion mit Störungsbildern, welche weiterer Forschung bedürfen, festzumachen, ist das übergeordnete Phänomen des selbstverletzenden Verhaltens weiterhin begrifflich sehr unterschiedlich gefasst. Schon 1938 wurde von Menninger (1985) der Versuch gemacht, eine neurotische Selbstverstümmelung („neurotic self-mutilation“) definitorisch von suizidalem Verhalten oder gravierenden Selbstverstümmelungen im Rahmen von Psychosen abzugrenzen (s. Übersicht bei Kaess und Edinger 2019). Von Pattison und Kahan (1983) wurde die Beschreibung eines spezifischen selbstschädigenden Verhaltens mit Gewebeschädigung syndromatisch gefasst („deliberate self-harm“; DSH). Dieser Ansatz ist bis heute in der fachlichen Diskussion von Bedeutung geblieben. Die Frage, ob Selbstverletzungen ein Symptom unterschiedlicher psychischer Erkrankungen darstellen oder ob es sich dabei um eine eigene Krankheitseinheit handelt, konnte bis heute nicht wissenschaftlich entschieden werden. Wir gehen heute davon aus, dass es im englischen Sprachraum über 30 verschiedene Bezeichnungen für selbstverletzende Verhaltensweisen gibt (Plener et al. 2010). Der Ausdruck der absichtlichen Selbstbeschädigung („deliberate self-harm“) konnte sich bis heute in einer Reihe von Studien durchsetzen. Absichtliche Selbstverletzungen beschreiben dabei ein Verhalten mit oder ohne suizidale Intention. Am weitesten verbreitet ist heute die Definition des selbstverletzenden Verhaltens in Abgrenzung von suizidalen Verhaltensweisen: Man spricht von nicht-suizidalem selbstverletzendem Verhalten (Non-Suicidal Self-Injury; NSSI). Seit den 90er-Jahren fand dieser Ausdruck Einzug in die Forschungsliteratur. Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten wird im deutschsprachigen Raum mit NSSV abgekürzt.
NSSV definiert sich als freiwillige direkte Zerstörung oder Veränderung des Körpergewebes ohne suizidale Absicht, die sozial nicht akzeptiert ist, eine unmittelbar verletzende Auswirkung hat und einen repetitiven Charakter aufweisen kann, wobei sie meist nur zu kleinen oder moderaten Schädigungen führt (Plener et al. 2017).
Als repetitives NSSV wird definiert, wenn sich die Betroffenen innerhalb eines Jahres an fünf oder mehr Tagen absichtlich selbst eine Schädigung von Körpergewebe zugefügt haben (Kriterium A nach DSM-5). Nicht als NSSV gelten repetitive Stereotypien im Rahmen von Entwicklungsstörungen oder erhebliche Selbstverletzungen, die ausschließlich im Rahmen von Intoxikationen oder psychotischen Zuständen auftreten.
Die Angabe der Frequenz von mindestens fünf Selbstverletzungen innerhalb eines Jahres ist keine willkürliche Zahl. Eine große Untersuchung von Muehlenkamp et al. (2017) identifizierte drei Gruppen, die mit einer Diskriminationsfunktionsanalyse herausgearbeitet werden konnten. Eine Frequenz von 25 und mehr Selbstverletzungstagen pro Jahr kennzeichnete eine besonders schwer betroffene Gruppe. Diese zeigte schwere Symptome psychischer Beeinträchtigungen. Eine zweite Gruppe mit psychischen Problemen lag bei einer Verletzungsfrequenz von 5–24 Verletzungstagen pro Jahr. Die Gruppe von unter fünf Tagen mit selbstverletzenden Akten pro Jahr zeigte zwar einen Bezug zu psychischen Belastungen, aber relativ wenig Psychopathologie. Nach Muehlenkamp et al. (2017) können wir davon ausgehen, dass die derzeitige Schwelle von fünf Tagen mit Selbstverletzungen pro Jahr sehr valide jene Individuen erfassen kann, die eine erhöhte klinische Aufmerksamkeit benötigen.
Ein weiterer Punkt der Definition des NSSV betrifft die soziale Akzeptanz von Verhaltensweisen, die ebenfalls den Körper für Zwecke der Schönheit oder aus religiösen Gründen instrumentalisieren. So fallen Body-Piercings, Tattoos und andere religiös oder kulturell motivierte körperbezogene Akte, die durchaus mit Verletzungen einhergehen können, nicht unter diese Definitionen.
Einteilungen anhand der Motive und Verletzungsformen wurden ebenfalls vorgenommen und direkte und indirekte Selbstschädigungen, aber auch offene und heimliche Selbstverletzungen beschrieben. In der Regel werden Selbstverletzungen in offener Haltung präsentiert und sollen vom Gegenüber gesehen werden. Darin liegt eine durchaus provokative Komponente. Demgegenüber sind heimliche Selbstverletzungen von anderem Charakter. Es handelt sich dabei nicht selten um artifizielle Störungen, also herbeigeführte Aggravierungen vorhandener Störungen (z. B. Verwundungen) oder vorgetäuschte Krankheiten. Solche Verhaltensweisen besitzen eine sozial-manipulative Komponente, die im medizinischen Untersuchungs- und Behandlungskontext zum Tragen kommt, um beispielsweise die Behandler zu zwingen, in eine pathologische Arzt-Patientenbeziehung einzutreten, die sich in repetitiven Untersuchungen, ambivalenten Verstrickungen und Handlungszwängen äußern kann. So können die Patienten nach Operationen die Wundnarben immer wieder öffnen, den Heilungsprozess durch Manipulationen oder Verschmutzungen verhindern, um so im medizinischen System eine bewusste Opferrolle durch Komplikationen einzunehmen.
Die Einteilung von Favazza (1996) gilt immer noch als die wichtigste klassifikatorische Festlegung: Dabei werden vier unterschiedliche Formen der direkten Selbstverletzung unterschieden:
Formen der direkten Selbstverletzung nach Favazza (1996)
  • Stereotype Selbstverletzungen sind autoaggressive Handlungen, die besonders bei Personen mit geistigen Behinderungen, autistischen Störungen oder schweren Stoffwechselstörungen auftreten können. Diese treten unabhängig von sozialen und emotionalen Kontexten auf und haben einen rhythmisch repetitiven Charakter.
  • Majore Selbstverletzungen finden sich im Rahmen von schweren psychiatrischen Erkrankungen. So können wir bei organischen Psychosen oder schizophrenen Erkrankungen Enukleationen eines Auges oder Autokastrationen beobachten. Diese spiegeln eine tiefgehende Beeinträchtigung des Selbstbildes wider (Resch 2001).
  • Kompulsiv zwanghafte Selbstverletzungen sind ebenfalls repetitiv oder ritualisiert und werden als Störungen der Impulskontrolle diagnostisch kategorisiert. Sie umfassen das Nägelbeißen, Hautkratzen, aber auch die Trichotillomanie.
  • Impulsive Selbstverletzungen sind typischerweise durch Hautschnitte gekennzeichnet oder durch die Selbstzufügung von Brandwunden oder ein Sich-selbst-Schlagen. Unter diesen impulsiven Formen können episodische und repetitive Formen unterschieden werden (Brunner et al. 2014). In diese Kategorie würde man heute auch das NSSV einteilen.
In besonderer Weise muss die Abgrenzung zu und der Zusammenhang mit Suizidalität hervorgehoben werden. Schon die Definition NSSV grenzt theoretisch das Phänomen der suizidalen Verhaltensstörung (ebenfalls diagnostische Entität im DSM-5) von den selbstverletzenden Verhaltensweisen ab, die nicht in suizidaler Intention ausgeübt werden. Klinisch können wir teilweise das Phänomen beobachten, dass selbstverletzende Akte drängende Suizidideen und Suizidimpulse zum Abklingen bringen können und damit sogar einen Suizid-protektiven Effekt entfalten. Wir gehen dann davon aus, dass selbstverletzende Verhaltensweisen eine paradoxe Form der Selbstfürsorge ermöglichen (Resch 2017). Selbstverletzende Akte sind also hier keine missglückten Suizidversuche, sondern haben gegebenenfalls sogar auto-protektiven Charakter. Das Verhältnis zwischen Suizidalität und NSSV ist trotzdem zwiespältig und in Forscherkreisen durchaus nicht eindeutig geklärt. Einerseits besteht bei NSSV die unterschiedliche Intention gegenüber der suizidalen Handlung, dass zwar der Tod nicht das zentrale Handlungsziel darstellt (Plener et al. 2010), auch wenn er gegebenenfalls billigend in Kauf genommen würde. Demgegenüber finden wir epidemiologisch jedoch einen starken Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der selbstverletzenden Verhaltensweisen und Suizidalität. Die aktuelle Datenlage legt sogar nahe, dass sich durch Selbstverletzungen zukünftige suizidale Akte vorhersagen lassen (z. B. (Koenig et al. 2017a)). Wir gehen davon aus, dass fast 50 % der Jugendlichen, die sich regelmäßig selbst verletzen, auch schon mehrere Suizidversuche unternommen haben (Brunner et al. 2007).
NSSV geschieht zwar per Definition ohne suizidale Intention. Häufig bestehen aber bei den betroffenen Individuen gleichzeitig Suizidgedanken und es besteht auch ein erhöhtes Risiko für suizidale Handlungen.
Die typische Verletzungsform ist die direkte Schädigung der Haut. Typische Körperstellen sind Unterarme und Handgelenke, demgegenüber sind Oberarme oder die Beine mit Ober- und Unterschenkel seltener betroffen. Unterarme und Handgelenke sind leicht erreichbar und bei Bedarf den Blicken im sozialen Umfeld rasch zu präsentieren oder durch Verhüllung zu entziehen. Die üblichste Form stellt das Ritzen mit einer Klinge oder scharfen Kante dar. Rasierklingen, Messer, Scheren, Skalpelle kommen ebenso zum Einsatz wie Glasscherben, Zirkelspitzen oder geöffnete Büroklammern. Selbstverletzende Akte stellen eine Aktionssprache dar.
Ein klinisches Charakteristikum stellt der typische Spannungsbogen des selbstverletzenden Aktes dar (Resch 2017): Zumeist beginnt der Zyklus mit negativen Gefühlen, die durch traumatische Erinnerungen oder aktuelle Beziehungsprobleme hervorgerufen werden. Die Umgebung kann oft die Trigger und Auslöser für die starke Betroffenheit bei den Jugendlichen nicht erkennen. Spezifische subjektive Entwertungs-, Demütigungs- oder Überwältigungserlebnisse stellen dafür die Basis dar. Wutgefühle, Verzweiflung, Angst vor Ablehnung und Dysphorie kennzeichnen Formen narzisstischer Fehlregulation, die mit Hoffnungs- und Hilflosigkeitsgefühlen einhergehen. Eskalierende Zyklen von Selbstvorwürfen, Scham und Selbsthass verstärken das negative Selbstbild. Der affektive Druck führt zu dissoziativen Entfremdungserlebnissen wie Depersonalisation und verminderter Schmerzempfindung (Hypoalgesie). Der Schnitt wird auf dem Höhepunkt einer Spannung gesetzt, die von Angst vor Selbstverlust begleitet wird. Während das Blut rinnt, entsteht eine Gewissheit, noch am Leben zu sein, eine Gewissheit als Selbst noch zu existieren. Das Gefühl der Erleichterung bis hin zu einem paradoxen Wohlbefinden können einsetzen, und die Spannung scheint unterbrochen. Die positiven Gefühle halten jedoch nicht an, zunehmend bauen sich Emotionen des Ekels, der Scham und der Schuld auf, die noch durch Angst vor entstellenden Narben oder dem negativen sozialen Echo verstärkt werden. Selbstvorwürfe, dem Drang nicht standgehalten zu haben laden schließlich mit verstärkten negativen Emotionen den „Circulus Vitiosus“ auf. Der Spannungsbogen beginnt von vorne.

Epidemiologie

NSSV ist ein häufiges und insbesondere im Jugendalter verbreitetes Phänomen. In klinischen adoleszenten Stichproben zeigten sich Jahresprävalenzen von bis zu 60 % (Kaess et al. 2013) und über die gesamte Lebenszeit konnten sogar Häufigkeiten von bis zu 80 % (Adrian et al. 2011) nachgewiesen werden. Doch auch in der Allgemeinbevölkerung ist die Zahl der Jugendlichen, welche bestätigen, sich bereits selbst verletzt zu haben, alarmierend hoch: In systematischen Übersichtsarbeiten fanden sich Häufigkeiten von 17–18 % (Muehlenkamp et al. 2012; Swannell et al. 2014) und in einer europaweiten Vergleichsstudie berichteten gar 28 % der repräsentativen Stichprobe, sich zumindest gelegentlich selbst verletzt zu haben (Brunner et al. 2014). Im Vergleich dazu wurden in Erwachsenenpopulationen wiederholt niedrigere Raten von Lebenszeit-NSSV berichtet, wofür unterschiedliche Erklärungen diskutiert werden. Einerseits kann diese Veränderung auf einen Anstieg von Selbstverletzungen in den letzten Jahren hindeuten. Andererseits können die niedrigeren Zahlen bei Erwachsenen auf eine Erinnerungsverzerrung oder eine Reattribution des Verhaltens zurückgeführt werden („So oft habe ich mich gar nicht verletzt.“ oder „Das war gar keine Selbstverletzung.“) (Plener et al. 2015).
Im Jugendalter liegt die Häufigkeit von NSSV bei etwa 15–20 % in der Normalbevölkerung und bei etwa 50 % in klinischen Populationen.
In vielen empirischen Studien wurde weibliches Geschlecht als wichtiger Risikofaktor für NSSV identifiziert und auch im klinischen Alltag präsentieren sich männliche Jugendliche deutlich seltener mit NSSV. Aus einer Reihe von soziodemografischen Variablen ist Geschlecht außerdem nicht nur der stärkste Prädiktor, sondern auch der am besten untersuchte (Valencia-Agudo et al. 2018). Dieser Effekt wurde auch meta-analytisch bestätigt: Über eine große Anzahl von Studien zeigte sich, dass Frauen häufiger von NSSV berichteten als Männer, die Stärke des Effekts jedoch klein war. Weiter fanden Bresin und Schoenleber (2015) deutlich größere Geschlechterunterschiede in klinischen Stichproben, als dies in der Allgemeinbevölkerung der Fall war, was sich womöglich auf die ohnehin höhere Zahl an Frauen in psychiatrischen Populationen zurückführen lässt. Als mögliche Erklärung für diese Differenzen werden unterschiedliche Gründe diskutiert: Neben grundsätzlich abweichendem Hilfesuchverhalten beider Geschlechter werden bei jungen Frauen das vermehrte Auftreten internalisierender Störungen und Handlungen mit autoaggressivem Charakter genannt, wogegen externalisierende Störungen und Fremdaggression eher dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden. Auch in Hinblick auf die verwendeten Methoden der Selbstverletzung wurden geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden. So berichteten in einer Studie von Sornberger et al. (2012) Mädchen häufiger Methoden, welche Blut beinhalteten (schneiden, kratzen etc.), während sich Jungen eher schlugen oder die Haut verbrannten. Tatsächlich zeigt sich auch in der bereits oben genannten Meta-Analyse (Bresin und Schoenleber 2015) unter anderem häufigeres Schneiden und Kratzen bei weiblichen Jugendlichen, der Effekt für Schlagen konnte aber nicht bestätigt werden.

Verlauf und Prognose

NSSV folgt häufig einem „natürlich“ zu- und abnehmenden Verlauf über die Adoleszenz hinweg und ist Schwankungen unterworfen: NSSV wird typischerweise erstmals im frühen bis mittleren Jugendalter beobachtet, worauf ein deutlicher Anstieg folgt. In einer 32 Studien umfassenden Übersichtsarbeit untersuchten Plener und Kollegen (Plener et al. 2015) diesen Verlauf und lokalisierten den Beginn im Alter von 12–13 Jahren mit einem Gipfel der Prävalenz bei 15- bis 16-Jährigen, gefolgt von einer deutlichen Abnahme zum Ende der Adoleszenz. Obwohl ein großer Anteil der Jugendlichen eine Spontanremission bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter erreicht, bleibt das selbstverletzende Verhalten bei einer nicht zu vernachlässigenden Subgruppe über längere Zeit bestehen.
In Anbetracht der besorgniserregend hohen Prävalenzen von NSSV in der Adoleszenz weckt die häufig selbst ohne therapeutische Intervention auftretende Besserung über die Zeit Hoffnung. Gleichzeitig kann trotz einer Abnahme von Selbstverletzungen nicht automatisch von einer allgemeinen Verbesserung des psychosozialen Zustands ausgegangen werden und neben hohen Komorbiditäten (Abschn. 4) und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (Groschwitz et al. 2015), sollte die Gefahr einer Verschiebung der emotionsregulatorischen Funktion von NSSV auf andere dysfunktionale und riskante Verhaltensweisen wie Alkohol- und Drogenkonsum, aber auch Suizidalität nicht vernachlässigt werden (Nakar et al. 2016).
Besonders relevant in der Prognose des NSSV ist der zeitliche Zusammenhang mit suizidalem Verhalten. In klinischen Stichproben der Kinder- und Jugendpsychiatrie konnte gezeigt werden, dass NSSV und Suizidversuche häufig von denselben Patienten berichtet werden, und dass NSSV im Leben junger Menschen in der Regel zeitlich vor dem ersten Suizidversuchen auftritt (Groschwitz et al. 2015). In einer prospektiven Studie mit weiblichen Jugendlichen aus der Allgemeinbevölkerung zeigte sich, dass Suizidgedanken im Jugendalter das Risiko für im späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter berichtete Suizidversuche verdreifachte (Scott et al. 2015). In einer diversen Stichprobe aus jugendlichen Schüler*innen war NSSV zur Baseline ebenfalls prospektiv mit Suizidgedanken und -versuchen in den folgenden 2–3 Jahren assoziiert (Guan et al. 2012). Dieser Effekt blieb bestehen, selbst wenn für Depressionen und vergangene Suizidversuche kontrolliert wurde. Im Rahmen der deutschen SEYLE-Studie wurden zusätzlich zur bestätigten Assoziation zwischen Selbstverletzung und Suizidalität zeitliche Veränderungen untersucht. Sowohl Jugendliche, welche bereits zur Baseline NSSV berichteten und dies auch nach einem Jahr taten, als auch Jugendliche, deren selbstverletzendes Verhalten zum zweiten Messzeitpunkt neu berichtetet wurde, hatten ein weiteres Jahr später ein 2- bis 3-mal erhöhtes Risiko für konkrete Suizidpläne und -versuche. Bei Jugendlichen, bei denen zwischen der Baseline und der 1-Jahresmessung hingegen die Selbstverletzungen sistierten, sank das Risiko für Suizidalität auf das Ausgangsniveau derjenigen, die nie Selbstverletzung berichteten (Koenig et al. 2017a). Es gibt sogar Daten zur Rolle der Selbstverletzung in der Vorhersage von vollendeten Suiziden: In einer kürzlich veröffentlichten Studie (Hawton et al. 2020) wurden Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren nach einer Vorstellung im Spital wegen Selbstverletzungen im Kontext einer großen multizentrischen Kohortenstudie beobachtet. Im Studienzeitraum von bis zu 16 Jahren starben 1,4 % der Jugendlichen, davon der größte Anteil (44 %) durch Suizid. Damit lag die Suizidrate im Jahr nach dem ersten Spitalkontakt wegen Selbstverletzung in dieser Stichprobe 31-mal über der in der gleichaltrigen Allgemeinbevölkerung erwarteten 12-Monatsinzidenz.
NSSV ist ein transdiagnostischer Risikomarker für Suizidalität und gehört zu den am besten untersuchten und stärksten Prädiktoren für zukünftige Suizidversuche.

Störungsmodelle und Funktionen von NSSV

Die Schädigung des eigenen Körpergewebes lässt sich auf den ersten Blick nicht mit dem menschlichen Bedürfnis nach psychischer und physischer Unversehrtheit und dem naturgegebenen Überlebenswunsch vereinbaren. Jugendliche, welche sich selbst verletzen, sehen sich deshalb oft mit Unverständnis und Ablehnung durch Eltern, Freunde, aber auch Fachpersonen konfrontiert. Um bestehenden Stigmata entgegenzuwirken und Diagnostik und Psychoedukation überhaupt erst zu ermöglichen, ist ein Verständnis für die dahinterliegenden Motive und Funktionen von nicht-suizidalen selbstverletzenden Verhaltensweisen und entsprechende Aufklärung von besonderer Bedeutung.
Klonsky (2007) stellte das bis heute umfassendste Modell mit sieben wiederholt berichteten Funktionen von NSSV in einer Übersichtsarbeit vor (Tab. 1).
Tab. 1
Sieben Funktionen von NSSV, adaptiert nach Klonsky (2007)
Funktion
Definition
Affektregulation
Um akuten negativen Affekt oder Spannungen zu reduzieren.
Dabei handelt es sich um die häufigste beschriebene Funktion von NSSV, welche gleichzeitig am intensivsten untersucht wurde. Die Selbstverletzung fungiert dabei als maladaptive Emotionsregulationsstrategie, wodurch negative Gefühle und Spannungszustände zumindest kurzfristig abgebaut werden. Langfristig entsteht jedoch ein sich verstärkender Teufelskreis
Anti-Dissoziation
Um Depersonalisationen oder Dissoziationen zu stoppen.
Die Aussage „wenigstens etwas spüren, auch wenn es Schmerz ist“, ist typisch für diese Funktion der Selbstverletzung. Schmerzen und das Fließen von Blut können dissoziatives Erleben unterbrechen und das Gefühl von Leere und Fremdsein lindern. Diese Funktion wird insbesondere von Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung berichtet
Anti-Suizid
Um Suizidimpulse zu regulieren.
Suizidalität und nicht-suizidale Selbstverletzungen treten häufig in derselben Person auf. NSSV kann von Betroffenen zur Unterbrechung von Suizidgedanken und -impulsen genutzt werden, damit nicht „noch Schlimmeres“ passiert
Interpersonelle Beziehung
Um die eigene Autonomie zu festigen und sich abzugrenzen.
Selbstverletzungen können sowohl eine sozial abgrenzende als auch integrierende Funktion einnehmen. So können Narben ein Alleinstellungsmerkmal darstellen und das Gefühl von „anders sein“ stärken. Auf der anderen Seite wird selbstverletzendes Verhalten in jugendlichen Peer-Gruppen gehäuft beobachtet, wobei die gemeinsamen Erlebnisse und Verhaltensweisen ein Gefühl von Identität und Gemeinschaft bilden können
Interpersonelle Beeinflussung
Um Hilfe von anderen zu erhalten oder sie zu manipulieren.
Auf Selbstverletzungen wird vom Umfeld häufig mit Fürsorge und Aufmerksamkeit reagiert, wodurch der Eindruck von Manipulation entstehen kann, was wiederum zu Wut und Ablehnung bei Bezugspersonen führt. In der Selbstbeschreibung von Selbstverletzern werden vorwiegend intrapersonelle Gründe genannt (z. B. Emotionsregulation). Die tatsächliche Häufigkeit von Beeinflussung ist aber auch aufgrund von Scham und sozialer Erwünschtheit schwierig einzuschätzen
Selbstbestrafung
Um Wut und Selbsthass auszudrücken.
Themen wie Schuld, Scham und Selbstabwertung sind typisch für selbstverletzende Jugendliche. Die Selbstschädigung nimmt dabei die Funktion einer Bestrafung ein für tief verankerte und erlernte Gefühle von Selbsthass und einem niedrigen Selbstwert
Sensation Seeking
Um Spannung oder Aufregung zu generieren.
Selbstverletzung kann vereinzelt gewählt werden, um Unterhaltung und Nervenkitzel auszulösen. Diese Form lässt sich einordnen als Risikoverhaltensweise und ist vergleichbar mit riskantem Verhalten im Straßenverkehr oder Substanzmissbrauch
Ein weiteres viel beachtetes Modell zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung von NSSV wurde bereits früh von Nock und Prinstein (2004) aufgestellt (Tab. 2). Darin beschreiben sie verstärkende Funktionen selbstverletzenden Verhaltens anhand folgender Dimensionen: positiv vs. negativ und automatisch vs. sozial.
Tab. 2
Vierfaktorenmodell von NSSV, adaptiert nach Nock und Prinstein (2004)
Verstärkung
Automatisch
Sozial
Positiv
Zunahme des positiven Affekts
Generieren von Aufmerksamkeit
Negativ
Abnahme des negativen Affekts
Abwenden von Anforderungen
Der Hintergrund der automatischen (intrapersonellen) Funktion von selbstverletzendem Verhalten ist die Veränderung innerer Vorgänge, um positive Gefühlszustände hervorzurufen (automatisch positive Verstärkung; „Ich habe etwas gespürt, auch wenn es Schmerz war.“) oder negative zu beenden (automatisch negative Verstärkung; „Schlechte Gefühle haben aufgehört.“). Die soziale Verstärkung hingegen bezieht sich auf die interpersonelle Funktion von selbstverletzenden Verhaltensweisen, durch welche Aufmerksamkeit und Ressourcen aktiviert (sozial positive Verstärkung; „Meine Eltern haben mich besser behandelt.“) oder unangenehme Situationen vermieden (sozial negative Verstärkung; „Ich konnte vermeiden, in die Schule zu gehen“) werden können. Die automatisch negative Verstärkung im Sinne von Affektregulation (siehe Klonsky 2007) ist als Funktion von NSSV empirisch am besten belegt und kann auch im klinischen Kontext am häufigsten beobachtet werden.

Ätiologie

Wie bei vielen psychischen Störungen wird bei NSSV von einem komplexen bio-psycho-sozialen Entstehungsmodell ausgegangen. In dem folgenden Abschnitt soll auf prädisponierende biologische, soziodemografische und Umweltfaktoren eingegangen werden, deren (gemeinsames) Vorhandensein das Risiko für selbstschädigende Handlungen erhöht.

Biologie

Die aktuelle Datenlage zur biologischen Forschung wurde kürzlich von einer internationalen Expertengruppe in einer umfassenden Übersichtsarbeit zusammengetragen (Kaess et al. 2021). Im Folgenden werden einige wesentliche Befunde zur Biologie des NSSV berichtet.

Genetik

Bei der Entstehung psychischer Erkrankungen wie Depressionen und Persönlichkeitsstörungen, welche häufig mit Selbstverletzungen einhergehen, wird von einer genetischen Komponente ausgegangen. So zeigte sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung eine moderate Erblichkeit, spezifisch dafür verantwortliche Gene konnten jedoch bisher nicht identifiziert werden (Kaess et al. 2014). Dementsprechend wird auch für selbstverletzendes Verhalten weniger ein dafür spezifischer genetischer Faktor erwartet und stattdessen von einer generellen Vulnerabilität für bestimmte Persönlichkeitsfaktoren ausgegangen.

Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse

Der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA) wird im Zusammenhang mit Selbstverletzung große Bedeutung beigemessen. Die HHNA ist für die Produktion des „Stresshormons“ Kortisol zuständig und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen und physiologischen Stressreaktion des Körpers. Gleichzeitig können Stressoren, wie aversive Kindheitserlebnisse, eine veränderte Reaktivität der HHNA zur Folge haben (Tarullo und Gunnar 2006) und auch NSSV scheint mit einer HHNA-Dysregulation einherzugehen. So wurde bei Jugendlichen mit NSSV eine signifikant reduzierte Kortisolausschüttung als Reaktion auf experimentell induzierten Stress gemessen, sowohl im Vergleich mit einer gesunden Kontrollgruppe (Kaess et al. 2012) als auch zu Jugendlichen mit Depressionen ohne regelmäßiges selbstverletzendes Verhalten (Klimes-Dougan et al. 2019). Die Kortisol-Aufwachreaktion hingegen scheint bei Jugendlichen mit NSSV stärker auszufallen, was womöglich auf die Erwartung von Stress zurückzuführen ist (Reichl et al. 2016).

Bildgebung

Die emotionsregulierende Funktion von NSSV kann als Hinweis für einen Zusammenhang mit Hirnregionen gewertet werden, welche für Emotionsverarbeitung verantwortlich sind. Erste bildgebende Untersuchungen haben NSSV entsprechend besonders mit für Emotionsverarbeitung und -ausdruck zuständigen fronto-limbischen Strukturen in Verbindung gebracht. Dazu gehören z. B. die Amygdala (Verarbeitung negativer Emotionen und Bedrohungen), der anteriore zinguläre Kortex (ACC; Belohnung und emotionale Bewertung von Schmerz), der präfrontale Kortex (PFC; emotionale Bewertung und Integration von Informationen) und der Hippocampus (emotionales Gedächtnis und HHNA-Regulierung) (Lindquist et al. 2016). Strukturell zeigte sich bei selbstverletzenden Jugendlichen ein reduziertes Volumen der grauen Substanz sowie der Integrität der weißen Substanz (Ando et al. 2018; Westlund Schreiner et al. 2020). In einer ersten fMRI-Studie hatten adoleszente Patienten mit NSSV im Vergleich zu gesunden Jugendlichen eine stärkere Aktivierung der Amygdala und ACC als Reaktion auf negative, positive und neutrale Stimuli, was als gesteigerte emotionale Reaktivität gewertet werden kann (Plener et al. 2012). Diese Überaktivierung fronto-limbischer Systeme zeigte sich auch als Reaktion auf sozialen Ausschluss und soziale Bedrohung (Brown et al. 2017; Groschwitz et al. 2016). Verschiedene dieser neurophysiologischen Korrelate wurden außerdem mit frühen Stresserfahrungen in Verbindung gebracht, was auf eine Verbindung aus distalen Risikofaktoren und zeitlich näheren Biomarkern für NSSV schließen lässt. Da sich diese neurobiologischen Strukturen im Jugendalter in Entwicklung befinden, sollte ihre Veränderung über die Zeit und im Kontext von Interventionen in zukünftigen Studien beleuchtet werden.

Schmerzwahrnehmung

Jugendliche mit selbstschädigendem Verhalten berichten häufig, während der Selbstverletzung (fast) keinen Schmerz zu verspüren. Dieser Effekt konnte in mehreren Studien, insbesondere bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, nachgewiesen werden. In einer Studie von Bohus und Kollegen (2000) zeigten Patientinnen eine signifikant niedrige Schmerzwahrnehmung als gesunde Kontrollen, außerdem war das Schmerzempfinden innerhalb der Borderline-Gruppe in einer Stresssituation signifikant niedriger im Vergleich mit einer Ruhebedingung. Die Schmerzwahrnehmung scheint somit nicht nur von der Psychopathologie, sondern auch der Situation abhängig zu sein. In einer Meta-Analyse zur Schmerzgrenze, -toleranz und -intensität bei selbstverletzenden Individuen zeigte sich in allen drei Bereichen ein signifikanter Unterschied mit mittleren bis großen Effektstärken zu gesunden Kontrollpersonen. Personen mit selbstverletzendem Verhalten berichteten demnach sowohl eine deutlich erhöhte Grenze und Toleranz in Bezug auf Schmerz als auch eine reduzierte empfundene Intensität. Weiter wurde die Borderline-Persönlichkeitsstörung als wichtige Kovariate identifiziert: Patienten mit einer Diagnose berichteten eine nochmals erhöhte Schmerzgrenze im Vergleich zu Personen mit nicht-suizidaler Selbstverletzung aber ohne eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (Koenig et al. 2016). Längsschnittlich zeigte sich außerdem ein positiver Zusammenhang zwischen der Reduktion von NSSV und erhöhter Schmerztoleranz. Daraus lässt sich ableiten, dass eine zu hohe Toleranz für Schmerz dazu führen kann, dass NSSV gestoppt wird, da es die häufig berichtete emotionsregulierende Funktion nicht mehr wahrnehmen kann (Koenig et al. 2017b). Biologisch liegt ein Zusammenhang der reduzierten Schmerzwahrnehmung mit dem endogenen Opioidsystem nahe. Während bei Personen mit NSSV im Vergleich zu gesunden Kontrollen lange von einem erhöhten Opioidlevel ausgegangen wurde (Coid et al. 1983), zeigten sich in neuerer Forschung mit größeren Stichproben gegenteilige Ergebnisse und ein reduziertes Niveau (Stanley et al. 2010; van der Venne et al. 2021). Störkel und Kollegen (2021) fanden in einer Ecological-Momentary-Assessment-Studie erste Hinweise auf eine kurzfristige Veränderung des Opioidlevels in Assoziation mit NSSV: Unmittelbar vor einer selbstverletzenden Handlung war der gemessene Spiegel signifikant tiefer als direkt danach und dieser kurzzeitige Gipfel im Zusammenhang mit NSSV könnte eine verstärkende Wirkung für zukünftige Akte haben. Der Zusammenhang zwischen endogenen Opioiden und einem veränderten Schmerzempfinden konnte jedoch bisher bei Jugendlichen mit NSSV nicht belegt werden (van der Venne et al. 2021) und die Frage bleibt offen, ob ein Opioid-Defizit ein Risiko für oder eine Konsequenz von NSSV darstellt.

Umwelt

Risikofaktoren für das Auftreten von NSSV sind vielfältig und betreffen soziodemografische Variablen wie das Jugendalter als vulnerable Phase und weibliches Geschlecht (Abschn. 2) ebenso wie Persönlichkeitsmerkmale, Erlebnisse und unterschiedliche Formen von Psychopathologie.

Impulsivität

Insbesondere Impulsivität findet als Eigenschaft im Zusammenhang mit NSSV große Beachtung, da selbstverletzende Verhaltensweisen häufig einen impulsiven Charakter aufweisen und aufgrund der Nähe zur Borderline-Persönlichkeitsstörung, welche häufig mit ausgeprägter Impulsivität einhergeht. In einer Meta-Analyse zeigte sich jedoch, dass selbstverletzende Individuen selbst zwar höhere Impulsivitätswerte berichteten, sich dieser Effekt aber nicht in handlungsbasierten Aufgaben (z. B. Go-/No-Go-Task) im Labor nachweisen ließ. Dementsprechend scheint es, als nehmen sich Personen mit NSSV als impulsiver wahr, handeln aber nicht notwendigerweise danach (Hamza et al. 2015). Um Impulsivität als Risikofaktor für NSSV bestätigen zu können sind außerdem entsprechende längsschnittliche Untersuchungen notwendig, welche bisher selten sind.

Kindheitserlebnisse

Weiter erhöhen aversive Kindheitserfahrungen die Wahrscheinlichkeit für späteres selbstverletzendes Verhalten. Der Fokus lag dabei in der Forschung lange besonders auf sexuellem Missbrauch, wobei die Annahme vertreten wurde, die selbstverletzenden Handlungen seien eine Form der Reviktimisierung und der Weiterführung der traumatischen Erlebnisse (Noll et al. 2004). Mittlerweile konnte aber in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass nicht nur sexueller, sondern auch körperlicher Missbrauch und insbesondere Vernachlässigungserfahrungen in der Kindheit ein Risiko für NSSV darstellen können (Serafini et al. 2017). So fanden wir in einer stationären Stichprobe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass insbesondere mütterliche Antipathie und Vernachlässigung das Auftreten von nicht-suizidalem selbstverletzendem Verhalten begünstigten (Kaess et al. 2013). In einer Studie von Turner et al. (2010) berichteten außerdem über 80 % der befragten Kinder und Jugendlichen mit aversiven Kindheitserfahrungen, mehr als eine Form von Misshandlung erfahren zu haben. Der Einfluss von Polyviktimisierung auf NSSV ist noch nicht abschließend geklärt. In ersten Studien zeigte sich aber eine signifikante Häufung von NSSV bei Jugendlichen mit mehreren Formen erlebter Misshandlungserfahrungen im Vergleich mit denjenigen, welche weniger Kindheitstraumata berichteten (Cleare et al. 2018; Manna et al. 2021). Insgesamt kann gesagt werden, dass aversive Kindheitserlebnisse insbesondere kumuliert das Risiko für selbstschädigendes Verhalten durchaus erhöhen, es sich dabei aber auch um einen indirekten Effekt handeln kann, welcher durch die allgemein erhöhte Vulnerabilität für eine Reihe an psychosozialen Einschränkungen nach einer Viktimisierung zustande kommen kann.

Psychopathologie

Im Bereich der Psychopathologie werden insbesondere affektive Störungen und Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung als Risikomarker genannt und wie im folgenden Abschnitt detailliert ausgeführt wird, ist eine Komorbidität zwischen NSSV und einer Reihe an Störungsbildern häufig (Asarnow et al. 2011; Nitkowski und Petermann 2011). In einer kürzlich durchgeführten Studie mit einer großen kinder- und jugendpsychiatrischen Stichprobe zeigte sich sogar, dass in der klinischen Inanspruchnahmepopulation nahezu keine Fälle von NSSV ohne komorbide psychiatrische Diagnose zu finden waren (Ghinea et al. 2020). In einer Meta-Analyse untersuchten Fox und Kollegen (2015) 20 Längsschnittstudien mit dem Ziel, verschiedene bekannte Risikofaktoren für NSSV auf ihre Vorhersagekraft zu überprüfen. Als stärkster Prädiktor wurden vergangene Selbstverletzungen identifiziert, gefolgt von Cluster-B-Persönlichkeitseigenschaften und Hoffnungslosigkeit. Auch Depressionen konnten selbstverletzendes Verhalten signifikant vorhersagen, der Effekt war jedoch klein, wie bei einer großen Anzahl weiterer potenzieller Prädiktoren.

Komorbidität

Auch wenn NSSV von einigen Experten als eigene diagnostische Entität betrachtet wird und nicht grundsätzlich in jedem Fall mit einer anderen psychischen Störung einhergehen muss, gibt es doch eine Reihe von psychiatrischen Syndromen, die in charakteristischer Weise mit selbstverletzenden Verhaltensweisen verknüpft sind. Solche Störungen, die gehäuft in Verbindung mit Selbstschädigungen zu beobachten sind, sollen im Einzelnen besprochen werden (Kaess und Edinger 2019).
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird sehr häufig mit NSSV in Verbindung gebracht, da selbstschädigendes Verhalten ein diagnostisches Kriterium der Störung darstellt. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass NSSV im Jugendalter sogar mehrheitlich bei Individuen vorkommt, die keine Borderline-Persönlichkeitsstörungs-Diagnose haben und dass umgekehrt nicht alle Individuen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auch selbstverletzende Verhaltensweisen zeigen (Cipriano et al. 2017). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung gehört jedoch zu den wesentlichen Differenzialdiagnosen, die im Rahmen der Abklärung von NSSV näher beleuchtet werden sollten. Zu betonen ist, dass NSSV nicht selten ein erster Indikator für ein mögliches Auftreten einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sein kann und dass eine Früherkennung und Frühintervention von Borderline-Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter heute dringend empfohlen wird (Kaess et al. 2014). Bei zeitlich überdauernden repetitiven selbstverletzenden Verhaltensweisen sollte daher immer eine ausführliche und fachgerechte Diagnostik im Hinblick auf eine mögliche Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstörung durchgeführt werden. Hierbei ist zu beachten, dass auch subklinische Symptomkonstellationen, die nicht für eine kategoriale Diagnosestellung ausreichen, schon mit deutlich erhöhter Psychopathologie und deutlich reduziertem Funktionsniveau einhergehen (Kaess et al. 2017) und daher gegebenenfalls störungsspezifisch behandlungsbedürftig sind.
Auch eine erhöhte Depressivität sowie manifeste Diagnosen einer depressiven Episode im Kindes- und Jugendalter findet sich bei Jugendlichen mit selbstverletzenden Verhaltensweisen gehäuft. Eine Übersichtsarbeit mit 32 Studien konnte aufzeigen, dass Depressivität ein wesentlicher Prädiktor für selbstverletzende Verhaltensweisen ist (Plener et al. 2015). Jugendliche mit depressiven Episoden sind durch Niedergeschlagenheit und Traurigkeit sowie eine ausgeprägte Freudlosigkeit gekennzeichnet. Neben Interessenverlusten sind noch Störungen des Antriebs sowie Schlaf- und Appetitstörungen festzustellen. Psychosomatische Beschwerden oder neu hinzutretende Leistungsprobleme in der Schule können bei Jugendlichen auch auf eine depressive Symptomatik hinweisen. Bei männlichen Jugendlichen zeigen sich nicht selten expansive bis hin zu delinquenten Verhaltensweisen. Es ist davon auszugehen, dass NSSV gerade bei Jugendlichen eine mögliche Manifestationsform einer depressiven Episode darstellen könnten (Kaess und Edinger 2019). In klinischen Stichproben von Jugendlichen mit NSSV sind die affektiven Störungen die häufigste Komorbidität (Ghinea et al. 2020).
Störungen des Sozialverhaltens sind mit selbstverletzenden Verhaltensweisen gehäuft anzutreffen. In der Heidelberger Schulstudie zeigten sich delinquente Verhaltensweisen als zweitstärkster Prädiktor für selbstverletzendes Verhalten im Jugendalter. Die sozial delinquenten und autoaggressiven Verhaltensweisen sind inhaltlich und in der Häufigkeit ihres gemeinsamen Auftretens miteinander verknüpft (Brunner et al. 2007). Gerade bei männlichen Jugendlichen findet sich der Zusammenhang zwischen selbstverletzendem Verhalten, Sozialverhaltensstörungen und expansiven Symptomen deutlich. Therapeutische Interventionen können dadurch an ihre Grenzen stoßen (Kaess und Edinger 2019).
Der übermäßige Konsum von Zigaretten und Alkohol ist ebenso wie der Konsum illegaler Drogen (wie z. B. Marihuana, Kokain oder Opioide) als Risikoverhalten eng mit dem Auftreten selbstverletzender Verhaltensweisen verbunden. Als Begründung für die hohe Korrelation von Substanzkonsum, anderen Risikoverhaltensweisen und selbstverletzenden Verhalten, ist vermutlich der gemeinsame deutliche Zusammenhang mit emotionaler Dysregulation und Impulsivität zu nennen. Alle Risikoverhaltensweisen könnten in diesem Zusammenhang als dysfunktionale Coping-Strategie angesehen werden. Es ist notwendig, bei Jugendlichen mit NSSV einen potenziellen vermehrten Substanzkonsum, sexuelles Risikoverhalten oder auch einen exzessiven Medienkonsum aktiv anzusprechen, da ansonsten eine Chronifizierung und die Entstehung diverser Folgeprobleme (z. B. Suchterkrankungen) im jungen Erwachsenenalter resultieren können.
Der Zusammenhang zwischen gestörtem Essverhalten und selbstverletzenden Verhaltensweisen ist seit langem bekannt (Herpertz und Sass 1997). Die deutlichsten Befunde sind für den Zusammenhang zwischen Bulimia nervosa und NSSV nachzuweisen. Unkontrollierbare Essattacken, gefolgt von Maßnahmen zur Gewichtsregulierung zeigen in Bezug auf den Spannungsbogen eine gewisse klinische Ähnlichkeit mit dem Akt der Durchführung einer Selbstverletzung.
Auch im Rahmen von posttraumatischen Stressstörungen, dissoziativen Störungen, Zwangsstörungen und dissoziativen Identitätsstörungen, kommen selbstverletzende Verhaltensweisen signifikant häufiger vor (Cipriano et al. 2017). Bei erwachsenen Patienten konnte nachgewiesen werden, dass ein Zusammenhang zwischen selbstverletzenden Verhaltensweisen in der Biografie und aktuell negativen Einstellungen gegenüber dem eigenen Körper, nachzuweisen waren. Auch in nichtklinischen Stichproben zeigten jene, die selbstverletzende Verhaltensweisen aufwiesen, verstärkte Angst- und Depressionssymptomatik. Insgesamt kann festgehalten werden, dass Adoleszente, die selbstverletzende Verhaltensweisen offenbaren, in der Regel mehrere Risikoverhaltensweisen, wie Substanzmissbrauch oder riskantes Sexualverhalten, gleichzeitig an den Tag legen.
Ein besonderes Thema stellen die suizidalen Verhaltensweisen dar. Denn ungeachtet der Tatsache, dass Suizidalität und selbstverletzende Verhaltensweisen definitorisch und theoretisch getrennt werden, zeigen alle Untersuchungsdaten einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit selbstverletzender Verhaltensweisen und Suizidalität. Es besteht also eine hohe Komorbidität zwischen nicht-suizidaler Selbstverletzung und Suizidalität (Übersicht bei Kaess und Edinger 2019). Da Suizide im Jugendalter in Europa die zweithäufigste Todesursache, gleich nach Unfällen, darstellen, muss auf die Differenzierung von selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität besonderer Wert gelegt werden. Die genaue und sorgfältige Anamnese und Klärung der intentionalen Hintergründe hat schließlich Einfluss auf die entsprechenden therapeutischen Interventionen.

Diagnostik

DSM-5-Kriterien

Bereits in früheren Ausgaben der Klassifikationssysteme DSM und ICD fanden selbstverletzende Verhaltensweisen Erwähnung, aber lediglich als Symptome anderer Störungsbilder. In der 2013 veröffentlichten und 2018 auf Deutsch übersetzten fünften Ausgabe des DSM-5 (American Psychiatric Association 2018) wurde NSSV erstmals als eigenes Störungsbild, welches weiterer Forschung bedarf, in die Sektion 3 aufgenommen. Die Definition konkreter klinischer Kriterien ermöglicht die Nutzung einer standardisierten Terminologie unterschiedlicher Forschungsgruppen und damit eine umfassendere Untersuchung des Phänomens, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Aufnahme als tatsächliche klinische Diagnose in späteren Auflagen des Manuals erhöhen kann.
Diagnosekriterien für nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) nach DSM-5, Sektion 3 (Abdruck erfolgt mit Genehmigung vom Hogrefe Verlag Göttingen aus dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, © 2013 American Psychiatric Association, dt. Version © 2018 Hogrefe Verlag
A.
Die Person hat sich im letzten Jahr an fünf oder mehr Tagen absichtlich selbst Schaden an der Körperoberfläche in einer Weise zugefügt, dass dies zu Blutungen, Blutergüssen oder Schmerz (z. B. durch Schneiden, Brennen, Stechen, Hauen, starkes Reiben) geführt hat. Dies ist in der Erwartung geschehen, dass die Verletzung nur zu geringem oder mäßigem körperlichen Schaden führt (d. h. es bestand keine suizidale Absicht).
Beachte: Das Nichtvorhandensein einer Suizidabsicht wurde entweder durch die Person bestätigt oder kann daraus geschlossen werden, dass die Person wiederholt selbstschädigende Verhaltensweisen zeigt, von denen sie weiß oder gelernt hat, dass sie wahrscheinlich nicht zum Tod führen.
 
B.
Die Person führt das selbstverletzende Verhalten mit mindestens einer der folgenden Erwartungen aus:
1.
Um Entlastung von negativen Gefühlen oder einem negativen kognitiven Zustand zu erleben.
 
2.
Um zwischenmenschliche Probleme zu lösen.
 
3.
Um einen positiven Gefühlszustand herbeizuführen.
 
Beachte: Die angestrebte Entlastung oder Reaktion wird während oder kurz nach der Selbstverletzung erlebt. Das Verhaltensmuster der Person kann eine Abhängigkeit von der wiederholten Ausführung des selbstverletzenden Verhaltens nahelegen.
 
C.
Die absichtliche Selbstverletzung wird von mindestens einem der folgenden Merkmale begleitet:
1.
Zwischenmenschliche Probleme oder negative Gefühle oder Gedanken wie Depression, Angst, Anspannung, Ärger, generalisiertes subjektives Leiden oder Selbstkritik unmittelbar vor dem selbstverletzenden Verhalten.
 
2.
Vor der Einleitung des Verhaltens besteht eine Phase des gedanklichen Verhaftetseins mit dem beabsichtigten Verhalten, welches schwer kontrolliert werden kann.
 
3.
Häufige Gedanken an Selbstverletzungen, die sich nicht im Verhalten niederschlagen müssen.
 
 
D.
Das Verhalten ist nicht sozial sanktioniert (z. B. Body-Piercing, Tattoos, Teil eines religiösen oder kulturellen Rituals) und beschränkt sich nicht auf das Aufkratzen von Schorf oder das Beißen von Nägeln.
 
E.
Das Verhalten oder dessen Folgen verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, ausbildungsrelevanten oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
 
F.
Das Verhalten tritt nicht ausschließlich während psychotischer Episoden, eines Delirs einer Substanzintoxikation oder einem Substanzentzug auf. Bei Personen mit einer Störung der neuronalen und mentalen Entwicklung tritt das Verhalten nicht als Teil eines Musters repetitiver Stereotypien auf. Das Verhalten kann nicht besser durch eine andere psychische Störung oder einen medizinischen Krankheitsfaktor erklärt werden (z. B. psychotische Störung, Autismus-Spektrum-Störung, Intellektuelle Beeinträchtigung, Lesch-Nyhan-Syndrom, Stereotype Bewegungsstörung mit selbstverletzendem Verhalten, Trichotillomanie [Pathologisches Haareausreißen], Dermatillomanie [Pathologisches Hautzupfen/-quetschen]).
 
Während die ICD-10 selbstverletzendes Verhalten als Symptom einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs nennt, wurde in der ICD-11 die eigenständige Diagnose der nicht-suizidalen Selbstverletzung (MB23.E) aufgenommen. Diese wird als absichtliche Schädigung des eigenen Körpers beschrieben, wobei kein schwerwiegender Schaden durch die Verletzung erwartet wird.

Anamnese und körperliche Untersuchung beim Erstkontakt

In dem folgenden Abschnitt soll das empfohlene diagnostische Vorgehen gemäß aktueller S2k-Leitlinie beleuchtet werden (Plener et al. 2017). Auf eine umfassende körperliche Untersuchung und die medizinische Versorgung möglicher Wunden sollte eine ausführliche Anamnese der selbstverletzenden Jugendlichen folgen. Außerdem wird die Erhebung einer Fremdanamnese durch Eltern oder andere Bezugspersonen empfohlen, ebenso wie die Durchführung einer standardisierten psychometrischen Diagnostik.

Akutbehandlung

Die medizinisch angemessene Versorgung der zugefügten Wunden spielt in der Akutbehandlung die primäre Hauptrolle. Tiefe Schnittwunden, Brand- oder Schürfwunden brauchen eine gründliche Wundversorgung. Bei tieferen Schnittwunden ist eine chirurgische Wundversorgung durch Nähen der klaffenden Wunden notwendig, um eine möglichst geringe Narbenbildung zu ermöglichen. In Bezug auf den emotionalen Kontakt mit den Patienten im Akutfall, ist eine möglichst sachlich neutrale Haltung anzustreben. Übertriebenes Mitgefühl und verstärkte Anteilnahme im Rahmen der Notversorgung könnten weitere und massivere Selbstschädigungen nach sich ziehen, da die Patienten sich von solcher Zuwendung abhängig machen können. Ein zu distanzierter oder gar strafender Umgang könnte hingegen ein selbstfürsorgliches oder erneut hilfesuchendes Verhalten im Keim ersticken (Kaess und Edinger 2019).
Ein ausreichender Tetanusimpfschutz und eine grundsätzliche Beachtung oder Abklärung von suizidalen Tendenzen sind angezeigt. Im Anschluss an eine Akutversorgung – ob diese beim Hausarzt, Kinderarzt oder in der Chirurgie durchgeführt wurde – sollte schließlich eine kinder- und jugendpsychiatrische oder kinderpsychologische Abklärung erfolgen.
Die Wundversorgung wird bei jungen Menschen mit NSSV oft sowohl von eigener wie auch von professioneller Seite vernachlässigt. Daher muss die adäquate Wundversorgung dringlich gesichert werden.

Anamnese

Selbstverletzende Handlungen sind häufig schambehaftet und ein anamnestisches Gespräch sollte stets in einem ruhigen, vertrauensvollen Rahmen stattfinden. Dabei wird in einem ersten Schritt empfohlen, auf die Anwesenheit der Eltern oder anderer Bezugspersonen zu verzichten, um dem Jugendlichen den nötigen wertfreien Raum zu schaffen. Folgende Themenbereiche sollten dabei im Fokus stehen:
  • Beginn und Zeitraum der Selbstverletzung,
  • Häufigkeit der Selbstverletzung,
  • Formen der Selbstverletzung,
  • Lokalisationen der Selbstverletzung,
  • Ausmaß und Schwere der Selbstverletzung,
  • Intention der Selbstverletzung,
  • Exploration und Ausschluss von Suizidalität,
  • direkte Auslöser der Selbstverletzung,
  • Ablauf der Selbstverletzung,
  • Wundversorgung nach der Selbstverletzung,
  • Funktionen der Selbstverletzung.
Weiter sollte auf aktuelle schwierige Lebensereignisse (Familie, Freunde, Schule) eingegangen werden, welche für Jugendliche häufig besondere Bedeutung haben, aber auch auf Ressourcen und mögliche Quellen der Unterstützung. Auch die Erhebung weiterer psychischer Belastungen und Erkrankungen (inklusive Suizidalität) sowie bisherige Behandlungen der eigenen Person und dem familiären und freundschaftlichen Umfeld gehören zu einer umfassenden Exploration. Weitere empfohlene Themenfelder sind Risikoverhaltensweisen (Alkohol- und Substanzkonsum, Sexualverhalten) und Persönlichkeitseigenschaften (emotionale Instabilität, Impulsivität).
Zur Vervollständigung der klinischen Exploration wird die Durchführung einer Fremdanamnese durch Eltern oder andere Sorgeberechtigte empfohlen, in welcher ergänzende Angaben zu oben genannten Fragestellungen erhoben werden. Dies dient nicht nur dem Abgleich mit Aussagen der Jugendlichen, sondern ermöglicht primär einen Einblick in mögliche auslösende und aufrechterhaltende familiäre Strukturen, während gleichzeitig Ressourcen und den Jugendlichen unterstützende Faktoren aufgedeckt werden können. Abhängig von der Situation kann auch eine Erhebung von Problembereichen und Belastungen der Eltern als sinnvoll erachtet werden.
Die Beurteilung von Suizidalität und der Ausschluss akuter Suizidalität muss bei Patienten mit NSSV im Erstkontakt ein zentraler Fokus sein.

Psychometrische Instrumente

Standardisierte Interviews und Fragebogen finden insbesondere in der Forschung Anwendung, um viele Probanden untersuchen zu können und die Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten. Im klinischen Alltag ersetzen Fragebögen zwar niemals die ausführliche Exploration einer Fachperson, sie können aber eine wichtige und leicht einzusetzende Ergänzung dazu darstellen. Die Standardisierung kann außerdem Betroffenen dabei helfen, sich zu öffnen und über das selbstverletzende Verhalten ganz wertfrei zu sprechen. Nachfolgend wird eine Auswahl psychometrischer Instrumente vorgestellt (Tab. 3), für welche eine deutsche Übersetzung vorliegt und die in den Leitlinien zu NSSV Erwähnung finden (Plener et al. 2017). Für zusätzliche Instrumente verweisen wir auf Kaess und Edinger (2019).
Tab. 3
Standardisierte psychometrische Instrumente zur Erhebung von nicht-suizidalem selbstverletzendem Verhalten (NSSV)
Instrument und Autoren
Anwendung
Deliberate Self-Harm Inventory (DSHI)
Gratz 2001 (dt. Version von Fliege et al. 2006)
• Fragebogen
• 17 Items, Durchführung ca. 4 min
• Erfassung von Methoden, Beginn, Dauer und Häufigkeit von NSSV, gut geeignet für Screening
Self-Harm Inventory (SHI)
Sansone et al. 1998 (dt. Version von Fegert et al. 2005 (unveröffentlicht))
• Fragebogen
• 22 Items, Durchführung ca. 5 min
• Häufigkeit und NSSV-Methoden, ermöglicht Unterscheidung von Patienten mit und ohne Borderline
Self-Harm Behavior Questionnaire (SHBQ)
Gutierrez et al. 2001 (dt. Version von Fliege et al. 2006)
• Fragebogen
• 32 Items, Durchführung ca. 6 min
• Erfassung von selbstverletzendem Verhalten, Suizidversuchen, -drohungen, und -gedanken
Functional Assessment of Self-Mutilation (FASM)
Lloyd-Richardson et al. 2007 (dt. Version von Kaess et al. 2013)
• Fragebogen
• 42 Items, Durchführung ca. 10 min
• Untersuchung der vier Funktionen von NSSV
Modifiziertes Ottowa/Ulm Selbstverletzungs-Inventar (MOUSI)
Nixon et al. 2002 (dt. Version von Plener et al. 2013)
• Fragebogen
• 36 Items, Durchführung ca. 30 min
• Ausführliche Erfassung von NSSV, unter anderem Dauer, Häufigkeit, Methoden, Dissoziation und medizinische Versorgung
Self-Injurious Thoughts and Behaviors Interview (SITBI)
Nock et al. 2007 (dt. Version von Fischer et al. 2014)
• Interview
• Durchführung ca. 5–45 min
• Erhebung der Charakteristika von selbstverletzendem Verhalten, Suizidgedanken, -plänen und -versuchen

Therapie und Prävention

Wahl des Behandlungssettings

Stellt man die Prämisse eines geringstmöglichen Eingriffs in das Alltagsleben der Jugendlichen voran und ist ein höchstmögliches Funktionsniveau zu erhalten ein vordringliches Ziel, dann muss der ambulanten Behandlung grundsätzlich Vorrang gegeben werden. Besonders zu beachten ist, dass gerade langandauernde und wenig fokussierte stationäre Aufenthalte das Risiko für regressive Verhaltensweisen bergen und somit die erforderliche Verantwortungsübernahme für das NSSV und die oftmals assoziierte Suizidalität zunehmend erschwert wird. Auch die Gruppendynamik innerhalb der Patientengruppe kann bei stationären Aufenthalten problematische Situationen auslösen. Dennoch darf die Sicherheit der Jugendlichen durch den Grundsatz „ambulant vor stationär“ nicht aufs Spiel gesetzt werden. Es gibt daher wesentliche Kriterien, die eine stationäre Aufnahme bei NSSV notwendig machen (Plener et al. 2017).
Kriterien, die eine stationäre Aufnahme bei NSSV notwendig machen
  • Akute Suizidalität ist immer ein Grund für eine stationäre Behandlung in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
  • Haben die Selbstverletzungen zu erheblichen körperlichen Schäden geführt, die eine enge Überwachung notwendig machen, sollte ebenfalls eine stationäre Behandlung erfolgen.
  • Wenn ambulant keine ausreichende diagnostische Klärung herbeigeführt werden kann, kann ebenfalls eine stationäre Durchuntersuchung erwogen werden.
In der Therapie von Jugendlichen mit NSSV ist es besonders wichtig, auch das Umfeld in den therapeutischen Prozess mit einzubeziehen. Durch das Erkennen von Konflikten und Problemherden in den sozialen Netzen der Jugendlichen, können die situativen Rahmenbedingungen erhellt, und damit auch das Verhalten kontextuell verständlich gemacht werden. Familien oder Helfersysteme können aber auch als Ressource genutzt und durch Kooperationen in den Behandlungsverlauf eingebunden werden. Der Fokus auf eine Kooperation mit Eltern, Jugendhilfe, Sozialarbeit und Schulen kann also dazu beitragen, den therapeutischen Prozess zu optimieren, indem durch wechselseitige Abstimmung eine Gleichrichtung des therapeutischen Feldes erfolgt. Damit soll der Gefahr entgegengesteuert werden, dass die unterschiedlichen Helfersysteme einander entwerten oder sogar in ihren Interventionen gegeneinander tätig zu werden drohen. Auch ein stationäres Therapieangebot soll – multimodal – von unterschiedlichen Berufsgruppen getragen werden und durch unterschiedliche Beratungs- und Unterstützungsangebote gekennzeichnet sein. Das Ziel ist, den Patientinnen und Patienten ein möglichst hohes Maß an Selbstverantwortung zu erhalten und nicht durch paternalistische Überfürsorglichkeit maligne Regressionsphänomene anzustoßen, in denen die Patienten noch weitere Alltagskompetenzen verlieren. Ein flexibles Therapieangebot ermöglicht also, das ambulante, teilstationäre und stationäre Setting auf eine dem Patienten angemessene Weise bedarfsgerecht in Anspruch zu nehmen.

Psychotherapie

Das psychotherapeutische Behandlungsangebot bedient sich auch im Fall des NSSV des Prinzips der dynamischen Hierarchisierung (Herpertz 2009). Die Behandlungsschwerpunkte orientieren sich nicht nur an der momentanen Situation und dem Bedarf des Patienten, sondern geben stets bestimmten Themenkreisen Vorrang:
  • Suizidale Ideen oder die eigene Person schwerwiegend schädigende oder gefährdende Verhaltensweisen müssen unmittelbar beachtet werden, wenn sie den Patienten selbst bezüglich seines Überlebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit bedrohen und infrage stellen. Therapeutische Interventionen müssen sich daran orientieren, dass die Therapie einen sicheren Ort darstellt.
  • Im zweiten Schritt müssen schließlich therapiegefährdende und das Setting sprengende Verhaltensweisen in den Fokus genommen werden. Hierbei spielen die Motivationsbildung zur Arbeit am NSSV und zur Compliance mit den Regeln und Anforderungen des jeweiligen therapeutischen Settings eine wichtige Rolle.
  • Im dritten Schritt werden anhand einer Funktionsanalyse des NSSV die jeweiligen Funktionen, aber auch Auslöser, Verstärker und Kontextfaktoren (z. B. belastende Ereignisse und Konflikte im aktuellen Umfeld der Patienten) exploriert und thematisiert.
Das thematische Durchlaufen dieser Hierarchie kann eine notwendige Stabilität des Settings gewährleisten und die Fortsetzung der Therapie ermöglichen. Für die Jugendlichen stellen oft ihre aktuellen Konflikte oder familiäre und schulische Probleme den zentralen Punkt dar, sodass es nicht immer leichtfällt, das selbstschädigende Verhalten oder andere das Setting sprengende Rahmenbedingungen zu priorisieren. Grundsätzlich gilt in der Behandlung der Jugendlichen, dass die Unterstützung einer stabilen Therapiemotivation Vorrang hat.
Die Psychotherapie ist das Mittel der Wahl zur Behandlung von NSSV. Hierbei liegt die beste Evidenz vor für kognitive Verhaltenstherapie, für dialektisch-behaviorale Therapie und für mentalisierungbasierte Therapie.

Cutting-Down-Programm

Eine spezifisch zur Behandlung von NSSV entwickelte Kurzzeittherapie stellt das Cutting-Down-Programm dar. Diese modulare Psychotherapie arbeitet mit Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie sowie der dialektisch-behavioralen Therapie und kann in ca. 10 Sitzungen mit selbstverletzenden Jugendlichen umgesetzt werden. Die manualisierte Therapie enthält edukative und instruktive Anteile, die sich – nach einer Phase der Aufklärung und Motivationsbildung – mit Strategien des Umgangs mit der Selbstverletzung beschäftigen, Techniken zur Problemlösung vermitteln, helfen, die eigenen Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und zu kontrollieren, Stresssituationen zu bewältigen und Bewältigungsstrategien für die Zukunft entwickeln zu lernen. In einer randomisierten-kontrollierten Studie konnte das Cutting-Down-Programm seine Wirksamkeit im Vergleich mit einer herkömmlichen und deutlich intensiveren psychotherapeutischen Behandlung behaupten (Kaess et al. 2020). Um das Programm noch niederschwelliger zu gestalten, hat die Heidelberger Arbeitsgruppe im Rahmen eines bundesweiten Konsortiums eine Online-Intervention entwickelt, die auf den Materialien des Manuals des Cutting-Down-Programms aufgebaut ist (Kaess et al. 2019). Die Wirksamkeitsergebnisse dieser Untersuchung bleiben abzuwarten.

Dialektisch-behaviorale Therapie für Adoleszente

Die dialektisch-behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A) ist ein evidenzbasiertes Therapieprogramm, das eine für Heranwachsende angepasste Form der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) nach Marsha Linehan darstellt (Linehan 1993). Es gilt als das derzeit am weitesten verbreitete und grundsätzlich beforschte Therapieverfahren für Patienten mit selbstverletzenden Verhaltensweisen und chronischer Suizidalität bei Jugendlichen mit (auch subklinischen) Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Schließlich findet aber die breitere Anwendung auch bei Behandlungen von Selbstverletzung und Suizidalität sowie Störungen der Impulskontrolle, Essstörungen und Adoleszenten-Krisen Eingang in das Therapierepertoire. Grundprinzipien und Ablauf der DBT-A werden im Therapiemanual von Auer und Bohus (2018) vorgestellt und sollen folgend überblickartig aufgezeigt werden. Detaillierte Ausführungen sind in Kaess und Edinger (2019) nachzulesen.
Der Begriff der „Dialektik“ bezieht sich auf das angestrebte Gleichgewicht zwischen Akzeptanz und Veränderung, welches das Denken und Handeln aller Beteiligten im Rahmen der DBT-A prägt: Während Therapeuten und Bezugspersonen den Problemstellungen und Symptomen der Jugendlichen mit Akzeptanz begegnen, wird das gemeinsame Ziel verfolgt, eine Veränderung herbeizurufen. Die fundamentale Strategie, die dem Patienten ermöglichen soll, das Spannungsfeld zwischen Akzeptanz und Veränderung dialektisch zu durchwandern, ist das Prinzip der Validierung. Dabei wird dem Jugendlichen vermittelt, dass alle seine Gefühle, Gedanken und Handlungen Sinn ergeben, einer speziellen persönlichen Situation geschuldet sind und vor dem Hintergrund der Person und deren Lebensgeschichte nachvollziehbar bleiben. Im Rahmen der Psychotherapie sollen die Patienten sowohl durch Therapeuten diese Validierung erfahren, sie sollen aber auch lernen, in ihrem Umfeld sich selbst und andere zu validieren und damit Verständnis und Akzeptanz für die Gefühle, Gedanken und Handlungen anderer zu entwickeln.
Die DBT-A setzt sich aus unterschiedlichen therapeutischen Bausteinen zusammen. Wöchentliche Einzeltherapiesitzungen werden ergänzt durch Bezugspersonengespräche und im Krisenfall können bei Bedarf telefonische Kurzberatungen angeboten werden. Weiter wird der Super- und Intervision der Therapeuten große Bedeutung beigemessen, wobei ein besonderer Fokus auf der dialektischen Grundhaltung der Behandler liegt. Die Skills-Gruppe stellt das wohl bekannteste Element der DBT-A dar. Charakterisiert durch fünf aufeinander aufbauende Module werden in Skills-Gruppen Fertigkeiten zum Umgang mit bestimmten Problembereichen erlernt, welche im Folgenden beleuchtet werden:
  • Achtsamkeit: Die Grundlage des ersten Moduls ist die Einnahme einer wertfreien, sich selbst und andere annehmenden Haltung und die Fokussierung auf das Hier und Jetzt. Neben einem Gefühl von Sicherheit zielt diese Technik auf ein gestärktes Bewusstsein und den Einklang von Gefühlen und Verstand ab. Das Achtsamkeitsmodul legt die Grundlage für die Anwendung aller darauffolgender Skills und wird im Laufe des Trainings regelmäßig wiederholt.
  • Stresstoleranz: Durch eine verbesserte Stresstoleranz kann Impulsivität reduziert und der Umgang mit krisenhaften Situationen gemeistert werden. Gleichzeitig werden Anspannungszustände reduziert und ihnen vorgebeugt. Unterschieden wird dabei zwischen kurzfristigen, veränderungsorientierten Strategien (z. B. Ablenkung, Beruhigung, Veränderung des Augenblicks) und langfristigen, präventiven Techniken (z. B. Akzeptanz, innere Bereitschaft). In extremen Anspannungssituationen können zur Ablenkung und als „Ersatz“ von NSSV sensorische Reize wie Eiswürfel oder Chilischoten eingesetzt werden.
  • Emotionsregulation: In diesem Modul wird gelernt, Emotionen zu erkennen und zu benennen. Dabei geht es insbesondere um das Beobachten, Beschreiben und Verstehen, aber auch das Vorbeugen von heftigen Gefühlen, z. B. durch einen gesunden Lebensstil. Ein weiteres Ziel ist das Hervorrufen und Stärken von angenehmen Gefühlen und die Regulierung von Emotionen durch entgegengesetzte Handlungen.
  • Zwischenmenschliche Fertigkeiten: Die Stärkung sozialer Kompetenzen ist ein wichtiger Aspekt der DBT-A. Neben dem Knüpfen neuer Beziehungen steht dabei insbesondere die Aufrechterhaltung und Pflege bestehender Beziehungen im Fokus. Durch entsprechende Fertigkeiten sollen Jugendliche befähigt werden, eigene Meinungen zu vertreten und Respekt und Selbstachtung zu wahren, ohne beziehungsgefährdendes Verhalten zu zeigen. Diese Strategie kann auch einen wichtigen Platz im familiären Kontext einnehmen.
  • „Walking the Middle Path“: Dieses Modul wurde spezifisch für Jugendliche entwickelt. Das Thema ist das Finden eines Mittelwegs und das Eingehen von Kompromissen durch dialektisches Denken und Handeln, welches insbesondere in familiären Konfliktsituationen zur Anwendung kommt. Ein Fokus liegt außerdem auf pädagogischen Techniken und dem bereits aufgezeigten Thema der Validierung.
  • Selbstwert: Das deutschsprachige Therapiemanual zur DBT-A wurde von Auer und Bohus (2018) durch ein zusätzliches, für diese Patienten häufig relevantes Modul ergänzt. Dabei geht es um Selbstakzeptanz, das Hinterfragen und Verändern bestimmter Grundannahmen und die Identifizierung eigener Stärken.
Nicht nur in der Verbesserung der Borderline-Symptomatik hat sich die DBT-A als wirksam erwiesen, auch spezifisch in der Reduzierung von suizidalen und nicht-suizidalen selbstverletzenden Verhaltensweisen zeigten sich positive Ergebnisse (Buerger et al. 2019). In einer randomisiert-kontrollierten Studie mit repetitiv selbstverletzenden Jugendlichen zeigte die DBT-A Gruppe eine stärkere Verbesserung der Selbstverletzung, aber auch der Suizidgedanken und der depressiven Symptomatik im Vergleich zu einer üblichen Behandlungsgruppe. In beiden Gruppen ließ sich ein positiver Behandlungseffekt nachweisen, jedoch nur in der DBT-A handelte es sich um einen großen Effekt (Mehlum et al. 2014). Weiter konnte die Forschungsgruppe zeigen, dass die deutliche Reduktion des selbstverletzenden Verhaltens über drei Jahre hinweg aufrecht erhalten werden konnte, was für langfristige Verbesserungen durch die DBT-A spricht (Mehlum et al. 2019).

Mentalisierungsbasierte Therapie

Die mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) geht sowohl auf bindungstheoretische Konzepte als auch empirische Psychotherapieforschungsergebnisse zurück und wurde von Bateman und Fonagy (2000) für Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen entwickelt. Ziel der MBT ist die Verbesserung der sog. Mentalisierungsfähigkeit, wodurch innere Zustände (Gedanke, Gefühle, Bedürfnisse) von anderen und sich selbst besser erkannt und auf das eigene Verhalten übertragen werden sollen. Die Beeinträchtigung der Mentalisierung wird als typischer Kernaspekt von Persönlichkeitsstörungen angesehen, entsprechende Techniken können aber auch in andere Behandlungsangebote integriert werden. Für Jugendliche wurde die altersentsprechende MBT-A entwickelt, wofür mittlerweile auch deutschsprachige Manuale vorliegen (z. B. Taubner und Volkert 2016). Der Fokus liegt dabei auf Impulsivität und Affektregulierung. Auch bei Adoleszenten erwies sich dieses Verfahren hinsichtlich einer Reduktion des selbstverletzenden Verhaltens über ein Jahr hinweg wirksamer als herkömmliche Behandlungen (Rossouw und Fonagy 2012).

Pharmakotherapie

Medikamentöse Interventionen spielen bei der Behandlung von NSSV eine eher untergeordnete Rolle. Pharmakotherapeutische Maßnahmen sollten immer die vorrangigen psycho- und soziotherapeutischen Interventionen begleiten und nie als Monotherapie zum Einsatz kommen. Die Empfehlungen für pharmakologische Behandlungen von Jugendlichen mit NSSV gehen dahin, nicht das NSSV selbst, sondern andere komorbide Störungsbilder oder Zielsymptome leitliniengerecht für die Pharmakotherapie heranzuziehen. Hierbei kommen folgende Indikationen häufiger vor:
Für akute Spannungszustände und aggressive Impulsdurchbrüche sind niedrigpotente Neuroleptika (meist eingesetzt als Bedarfsmedikation) geeignet. Auf Benzodiazepine sollte aufgrund der Risiken für Missbrauch und Abhängigkeit verzichtet werden. Grundsätzlich sollte die pharmakologische Reduktion von akuten Spannungszuständen vor allem im stationären Setting bei schweren Symptomkomplexen stattfinden. Sie sollte temporär eingesetzt werden mit dem Ziel, die psychotherapeutische Arbeit an den Spannungszuständen zu ermöglichen. Im ambulanten Setting sollte nach Möglichkeit auf eine derartige Bedarfsmedikation verzichtet werden.
Komorbide Störungen (z. B. Depressionen, Angststörungen) oder dem NSSV zugrundliegende Symptome (z. B. Impulskontrolldefizite) können durch psychopharmakologische Interventionen günstig beeinflusst werden. Für die Depressionen sowie Angst- und Zwangsstörungen werden hier Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) empfohlen, bei Impulskontrolldefiziten können atypische Neuroleptika zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit NSSV bestehen oftmals Schlafstörungen, die ebenfalls entsprechend der Leitlinien auch pharmakologisch behandelt werden können.
Es gibt keine pharmakologische Intervention spezifisch für NSSV. Zugrunde liegende Anspannungszustände oder Impulskontrolldefizite sowie komorbide Störungen können entsprechend der Leitlinien medikamentös mitbehandelt werden.

Ambulanz für Risikoverhalten und Selbstschädigung (AtR!Sk)

Die Heidelberger sowie Berner Ambulanz für Risikoverhalten und Selbstschädigung (AtR!Sk) verfolgt einen multimodal ausgerichteten sog. Stepped-Care-Ansatz, der unterschiedliche Betreuungselemente miteinander verbindet. Neben dem niederschwelligen Zugang über eine offene Sprechstunde für riskantes und selbstschädigendes Verhalten kann auf Stufe 1 eine verbindliche Beratung erfolgen. Weiterführende diagnostische Maßnahmen finden schließlich in Stufe 2 statt. Stufe 3 ist durch die Behandlungsphase gekennzeichnet, die vom psychosozialen Management und kinder- und jugendpsychiatrischer Beratung über die Anwendung des Cutting-Down-Programms bei Bedarf bis zur ambulanten Behandlung mit dialektisch-behavioraler Therapie für Adoleszente reichen kann. Diese Maßnahmen werden entsprechend eines Stepped-Care-Ansatzes angeordnet. Stufe 4 stellt die Eskalationsstufe dar, die durch Maßnahmen zur akuten Unterstützung bei suizidalen Krisen und mögliche kurzfristige stationäre Aufenthalte zur Krisenintervention gekennzeichnet ist. Als ein ambulantes Pionierkonzept wird AtR!Sk derzeit von den deutschen Krankenkassen durch eine eigene Pauschale finanziert.

Prävention selbstverletzenden Verhaltens

Eine gezielte primäre Prävention von selbstverletzenden Verhaltensweisen ist aufgrund der multifaktoriellen Entstehung und Heterogenität des Erscheinungsbildes problematisch. Die unterschiedlichen Risikofaktoren und kontextuellen Einflüsse sind in keiner Weise spezifisch für das selbstverletzende Verhalten, sondern jeder dieser Faktoren erhöht oder erniedrigt in Kombination mit anderen Faktoren die Auftrittswahrscheinlichkeit für psychische Probleme im Allgemeinen. Im Rahmen von Präventionsmodellen muss daher eine Art universelle Prävention betrieben werden, die versucht, vorhandene Ressourcen zu aktivieren, zu stabilisieren und die Rahmenbedingen mit ihren erhöhten Risiken positiv zu verändern. Während universelle Modelle versuchen die Allgemeinheit zu erreichen, beschäftigen sich selektive Modelle mit einzelnen Risikofaktoren und den Gruppen, in denen solche Risikofaktoren gehäuft vorkommen. Eine Strategie der indizierten Prävention, die hinsichtlich suizidaler Verhaltensweisen bei Jugendlichen bereits etabliert ist und auch evaluiert wurde, stellen die Awareness-Programme dar (Übersicht bei Kaess und Edinger 2019). Dabei wird versucht, den Jugendlichen ein geschärftes Bewusstsein für psychische Gesundheit sowie für selbstschädigende und suizidale Verhaltensweisen zu verschaffen. Jugendliche sollen lernen in Problemlagen auch Hilfe zu holen und anzunehmen oder andere bei ihrer Hilfesuche zu unterstützen. Im Rahmen einer viel zitierten Studie, bei der Awareness-Interventionen an Schulen mit Hilfe von Videos und Gruppendiskussionen durchgeführt und evaluiert wurden, zeigten sich kurzzeitige Abnahmen von Suizidversuchen (Aseltine und DeMartino 2004). Eine Evaluation hinsichtlich selbstverletzender Verhaltensweisen erfolgte in dieser Untersuchung jedoch nicht.
Einen Präventionsansatz, der schon eher den Bereich der Sekundärprävention betrifft, stellen Gatekeeper-Trainings dar. Dabei sollen Erwachsene, die für Jugendliche eine wichtige Funktion erfüllen, (also Eltern, Lehrer, Mitarbeiter der Jugendhilfe) diejenigen identifizieren, die ein erhöhtes Risiko für suizidale oder selbstverletzende Verhaltensweisen aufweisen. Aktuelle Programme, wie die forschungsbasierten Empfehlungen zu selbstverletzenden Verhaltensweisen für professionelle Helfer im Schulkontext (De Riggi et al. 2017), oder auch das Ulmer Projekt zur Schulung von Lehr- und Beratungskräften, weisen immerhin vielversprechende Resultate auf (Groschwitz et al. 2017).

Fazit

Die Häufigkeit des NSSV im Jugendalter ist alarmierend und die Verbindung zu psychiatrischen Erkrankungen, aber auch anderen Risikoverhaltensweisen sowie zur Suizidalität betont deren transdiagnostische Bedeutung im klinischen Kontext. Risikofaktoren für selbstverletzendes Verhalten sind vielfältig, aber nicht zwingend spezifisch für NSSV. Eingebettet in ein bio-psycho-soziales Entstehungsmodell und vor dem Hintergrund einer allgemeinen Vulnerabilität scheint Selbstverletzung insbesondere der (dysfunktionalen) Emotionsregulation zu dienen. Bei vielen Jugendlichen verbessert sich die Symptomatik in der späten Adoleszenz glücklicherweise deutlich oder remittiert gar komplett. Ein nicht zu vernachlässigender Anteil kämpft jedoch mit einer Chronifizierung und entsprechenden Langzeitfolgen. Für Betroffene stehen heute gute Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung und es werden enorme Anstrengungen unternommen, das Verständnis und die Therapie von NSSV weiter zu optimieren.
Literatur
Adrian M, Zeman J, Erdley C, Lisa L, Sim L (2011) Emotional dysregulation and interpersonal difficulties as risk factors for nonsuicidal self-injury in adolescent girls. J Abnorm Child Psychol 39(3):389–400. https://​doi.​org/​10.​1007/​s10802-010-9465-3CrossRefPubMed
American Psychiatric Association (2018) Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – DSM-5. Hogrefe, Göttingen
Ando A, Reichl C, Scheu F, Bykova A, Parzer P, Resch F, Brunner R, Kaess M (2018) Regional grey matter volume reduction in adolescents engaging in non-suicidal self-injury. Psychiatry Res Neuroimaging 280:48–55. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​pscychresns.​2018.​08.​005CrossRefPubMed
Asarnow JR, Porta G, Spirito A, Emslie G, Clarke G, Wagner KD, Vitiello B, Keller M, Birmaher B, McCracken J, Mayes T, Berk M, Brent DA (2011) Suicide attempts and nonsuicidal self-injury in the treatment of resistant depression in adolescents: findings from the TORDIA study. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 50(8):772–781. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jaac.​2011.​04.​003CrossRefPubMedPubMedCentral
Aseltine RH, DeMartino R (2004) An outcome evaluation of the SOS suicide prevention program. Am J Public Health 94(3):446–451CrossRef
Auer AK von, Bohus M (2018) Interaktives Skillstraining für Jugendliche mit Problemen der Gefühlsregulation (DBT-A): Das Therapeutenmanual – Akkreditiert vom Deutschen Dachverband DBT. Klett-Cotta, Stuttgart
Bateman AW, Fonagy P (2000) Effectiveness of psychotherapeutic treatment of personality disorder. Br J Psychiatry J Ment Sci 177:138–143CrossRef
Bohus M, Limberger M, Ebner U, Glocker FX, Schwarz B, Wernz M, Lieb K (2000) Pain perception during self-reported distress and calmness in patients with borderline personality disorder and self-mutilating behavior. Psychiatry Res 95(3):251–260. https://​doi.​org/​10.​1016/​S0165-1781(00)00179-7CrossRefPubMed
Bresin K, Schoenleber M (2015) Gender differences in the prevalence of nonsuicidal self-injury: a meta-analysis. Clin Psychol Rev 38:55–64. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​cpr.​2015.​02.​009CrossRefPubMed
Brown RC, Plener PL, Groen G, Neff D, Bonenberger M, Abler B (2017) Differential neural processing of social exclusion and inclusion in adolescents with non-suicidal self-injury and young adults with borderline personality disorder. Front Psychiatry 8:267. https://​doi.​org/​10.​3389/​fpsyt.​2017.​00267CrossRefPubMedPubMedCentral
Brunner R, Parzer P, Haffner J, Steen R, Roos J, Klett M, Resch F (2007) Prevalence and psychological correlates of occasional and repetitive deliberate self-harm in adolescents. Arch Pediatr Adolesc Med 161(7):641–649. https://​doi.​org/​10.​1001/​archpedi.​161.​7.​641CrossRefPubMed
Brunner R, Kaess M, Parzer P, Fischer G, Carli V, Hoven CW, Wasserman C, Sarchiapone M, Resch F, Apter A, Balazs J, Barzilay S, Bobes J, Corcoran P, Cosmanm D, Haring C, Iosuec M, Kahn J-P, Keeley H et al (2014) Life-time prevalence and psychosocial correlates of adolescent direct self-injurious behavior: a comparative study of findings in 11 European countries. J Child Psychol Psychiatry Allied Discip 55(4):337–348. https://​doi.​org/​10.​1111/​jcpp.​12166CrossRef
Buerger A, Fischer-Waldschmidt G, Hammerle F, von Auer K, Parzer P, Kaess M (2019) Differential change of borderline personality disorder traits during dialectical behavior therapy for adolescents. J Personal Disord 33(1):119–134. https://​doi.​org/​10.​1521/​pedi_​2018_​32_​334CrossRef
Cipriano A, Cella S, Cotrufo P (2017) Nonsuicidal self-injury: a systematic review. Front Psychol 8:1946. https://​doi.​org/​10.​3389/​fpsyg.​2017.​01946CrossRefPubMedPubMedCentral
Cleare S, Wetherall K, Clark A, Ryan C, Kirtley OJ, Smith M, O’Connor RC (2018) Adverse childhood experiences and hospital-treated self-harm. Int J Environ Res Public Health 15(6):1235. https://​doi.​org/​10.​3390/​ijerph15061235CrossRefPubMedCentral
Coid J, Allolio B, Rees LH (1983) Raised plasma metenkephalin in patients who habitually mutilate themselves. Lancet 322(8349):545–546. https://​doi.​org/​10.​1016/​S0140-6736(83)90572-XCrossRef
De Riggi ME, Moumne S, Heath NL, Lewis SP (2017) Non-suicidal self-injury in our schools: a review and research-informed guidelines for school mental health professionals. Can J Sch Psychol 32(2):122–143. https://​doi.​org/​10.​1177/​0829573516645563​CrossRef
Favazza AR (1996) Bodies under siege: self-mutilation and body modification in culture and psychiatry. JHU Press, Baltimore
Fegert JM, Libal G, Plener PL (2005) Selbstverletzungsinventar. Unveröffentlichtes Manuskript. Universität Ulm, Ulm
Fischer G, Ameis N, Parzer P, Plener PL, Groschwitz R, Vonderlin E, Kölch M, Brunner R, Kaess M (2014) The German version of the self-injurious thoughts and behaviors interview (SITBI-G): a tool to assess non-suicidal self-injury and suicidal behavior disorder. BMC Psychiatry 14(1):265. https://​doi.​org/​10.​1186/​s12888-014-0265-0CrossRefPubMedPubMedCentral
Fliege H, Kocalevent R-D, Walter OB, Beck S, Gratz KL, Gutierrez PM, Klapp BF (2006) Three assessment tools for deliberate self-harm and suicide behavior: evaluation and psychopathological correlates. J Psychosom Res 61(1):113–121. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jpsychores.​2005.​10.​006CrossRefPubMed
Fox KR, Franklin JC, Ribeiro JD, Kleiman EM, Bentley KH, Nock MK (2015) Meta-analysis of risk factors for nonsuicidal self-injury. Clin Psychol Rev 42:156–167. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​cpr.​2015.​09.​002CrossRefPubMedPubMedCentral
Ghinea D, Edinger A, Parzer P, Koenig J, Resch F, Kaess M (2020) Non-suicidal self-injury disorder as a stand-alone diagnosis in a consecutive help-seeking sample of adolescents. J Affect Disord 274:1122–1125. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jad.​2020.​06.​009CrossRefPubMed
Gratz KL (2001) Measurement of deliberate self-harm: preliminary data on the deliberate self-harm inventory. J Psychopathol Behav Assess 23:253–263. https://​doi.​org/​10.​1023/​A:​1012779403943
Groschwitz R, Kaess M, Fischer G, Ameis N, Schulze UME, Brunner R, Koelch M, Plener PL (2015) The association of non-suicidal self-injury and suicidal behavior according to DSM-5 in adolescent psychiatric inpatients. Psychiatry Res 228(3):454–461. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​psychres.​2015.​06.​019CrossRefPubMed
Groschwitz R, Plener PL, Groen G, Bonenberger M, Abler B (2016) Differential neural processing of social exclusion in adolescents with non-suicidal self-injury: an fMRI study. Psychiatry Res Neuroimaging 255:43–49. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​pscychresns.​2016.​08.​001CrossRefPubMed
Groschwitz R, Munz L, Straub J, Bohnacker I, Plener PL (2017) Strong schools against suicidality and self-injury: evaluation of a workshop for school staff. Sch Psychol Q 32(2):188–198. https://​doi.​org/​10.​1037/​spq0000185CrossRefPubMed
Guan K, Fox KR, Prinstein MJ (2012) Nonsuicidal self-injury as a time-invariant predictor of adolescent suicide ideation and attempts in a diverse community sample. J Consult Clin Psychol 80(5):842–849. https://​doi.​org/​10.​1037/​a0029429CrossRefPubMedPubMedCentral
Gutierrez PM, Osman A, Barrios FX, Kopper BA (2001) Development and initial validation of the self-harm behavior questionnaire. J Pers Assess 77(3):475–490. https://​doi.​org/​10.​1207/​S15327752JPA7703​_​08CrossRefPubMed
Hamza CA, Willoughby T, Heffer T (2015) Impulsivity and nonsuicidal self-injury: a review and meta-analysis. Clin Psychol Rev 38:13–24. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​cpr.​2015.​02.​010CrossRefPubMed
Hawton K, Bale L, Brand F, Townsend E, Ness J, Waters K, Clements C, Kapur N, Geulayov G (2020) Mortality in children and adolescents following presentation to hospital after non-fatal self-harm in the Multicentre Study of Self-harm: a prospective observational cohort study. Lancet Child Adolesc Health 4(2):111–120. https://​doi.​org/​10.​1016/​S2352-4642(19)30373-6CrossRefPubMed
Herpertz S (2009) S2 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie – Behandlungsleitlinie Persönlichkeitsstörungen. Steinkopff, Darmstadt
Herpertz S, Sass H (1997) Impulsivität und Impulskontrolle. Zur psychologischen und psychopathologischen Konzeptionalisierung. Nervenarzt 68(3):171–183. https://​doi.​org/​10.​1007/​s001150050112CrossRefPubMed
Kaess M, Edinger A (2019) Selbstverletzendes Verhalten: Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln, 2. Aufl. Beltz, Weinheim
Kaess M, Hille M, Parzer P, Maser-Gluth C, Resch F, Brunner R (2012) Alterations in the neuroendocrinological stress response to acute psychosocial stress in adolescents engaging in nonsuicidal self-injury. Psychoneuroendocrinology 37(1):157–161. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​psyneuen.​2011.​05.​009CrossRefPubMed
Kaess M, Parzer P, Mattern M, Plener PL, Bifulco A, Resch F, Brunner R (2013) Adverse childhood experiences and their impact on frequency, severity, and the individual function of nonsuicidal self-injury in youth. Psychiatry Res 206(2):265–272. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​psychres.​2012.​10.​012CrossRefPubMed
Kaess M, Brunner R, Chanen A (2014) Borderline personality disorder in adolescence. Pediatrics 134(4):782–793. https://​doi.​org/​10.​1542/​peds.​2013-3677CrossRefPubMed
Kaess M, Fischer-Waldschmidt G, Resch F, Koenig J (2017) Health related quality of life and psychopathological distress in risk taking and self-harming adolescents with full-syndrome, subthreshold and without borderline personality disorder: rethinking the clinical cut-off? Borderline Pers Disorder Emot Dysregula 4(1):7. https://​doi.​org/​10.​1186/​s40479-017-0058-4CrossRef
Kaess M, Koenig J, Bauer S, Moessner M, Fischer-Waldschmidt G, Mattern M, Herpertz SC, Resch F, Brown R, In-Albon T, Koelch M, Plener PL, Schmahl C, Edinger A, The STAR Consortium (2019) Self-injury: Treatment, Assessment, Recovery (STAR): online intervention for adolescent non-suicidal self-injury – study protocol for a randomized controlled trial. Trials 20(1):425. https://​doi.​org/​10.​1186/​s13063-019-3501-6CrossRefPubMedPubMedCentral
Kaess M, Edinger A, Fischer-Waldschmidt G, Parzer P, Brunner R, Resch F (2020) Effectiveness of a brief psychotherapeutic intervention compared with treatment as usual for adolescent nonsuicidal self-injury: a single-centre, randomised controlled trial. Eur Child Adolesc Psychiatry 29(6):881–891. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00787-019-01399-1CrossRefPubMed
Kaess M, Hooley JM, Klimes-Dougan B, Koenig J, Plener PL, Reichl C, Robinson K, Schmahl C, Sicorello M, Westlund Schreiner M, Cullen KR (2021) Advancing a temporal framework for understanding the biology of nonsuicidal self- injury: an expert review. Neurosci Biobehav Rev 130:228–239. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​neubiorev.​2021.​08.​022CrossRefPubMedPubMedCentral
Klimes-Dougan B, Begnel E, Almy B, Thai M, Schreiner MW, Cullen KR (2019) Hypothalamic-pituitary-adrenal axis dysregulation in depressed adolescents with non-suicidal self-injury. Psychoneuroendocrinology 102:216–224. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​psyneuen.​2018.​11.​004CrossRefPubMed
Klonsky ED (2007) The functions of deliberate self-injury: a review of the evidence. Clin Psychol Rev 27(2):226–239. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​cpr.​2006.​08.​002CrossRefPubMed
Koenig J, Thayer JF, Kaess M (2016) A meta-analysis on pain sensitivity in self-injury. Psychol Med 46(8):1597–1612. https://​doi.​org/​10.​1017/​S003329171600030​1CrossRefPubMed
Koenig J, Brunner R, Fischer-Waldschmidt G, Parzer P, Plener PL, Park J, Wasserman C, Carli V, Hoven CW, Sarchiapone M, Wasserman D, Resch F, Kaess M (2017a) Prospective risk for suicidal thoughts and behaviour in adolescents with onset, maintenance or cessation of direct self-injurious behaviour. Eur Child Adolesc Psychiatry 26(3):345–354. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00787-016-0896-4CrossRefPubMed
Koenig J, Rinnewitz L, Niederbäumer M, Strozyk T, Parzer P, Resch F, Kaess M (2017b) Longitudinal development of pain sensitivity in adolescent non-suicidal self-injury. J Psychiatr Res 89:81–84. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jpsychires.​2017.​02.​001CrossRefPubMed
Lindquist KA, Satpute AB, Wager TD, Weber J, Barrett LF (2016) The brain basis of positive and negative affect: evidence from a meta-analysis of the human neuroimaging literature. Cereb Cortex 26(5):1910–1922. https://​doi.​org/​10.​1093/​cercor/​bhv001CrossRefPubMed
Linehan M (1993) Cognitive-behavioral treatment of borderline personality disorder. Guilford Press, New York
Lloyd-Richardson E, Perrine N, Dierker L, Kelley ML (2007) Characteristics and functions of non-suicidal self-injury in a community sample of adolescents. Psychol Med 37(8):1183–1192. https://​doi.​org/​10.​1017/​S003329170700027​XCrossRefPubMedPubMedCentral
Manna G, Falgares G, Costanzo G, La Sala MC, Lamis DA, Musso P (2021) Cumulative childhood maltreatment and non-suicidal self-injury: the mediating and moderating role of perceived social support in a sample of university students. J Fam Violence. https://​doi.​org/​10.​1007/​s10896-021-00312-2
Mehlum L, Tørmoen AJ, Ramberg M, Haga E, Diep LM, Laberg S, Larsson BS, Stanley BH, Miller AL, Sund AM, Grøholt B (2014) Dialectical behavior therapy for adolescents with repeated suicidal and self-harming behavior: a randomized trial. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 53(10):1082–1091. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jaac.​2014.​07.​003CrossRefPubMed
Mehlum L, Ramleth R-K, Tørmoen AJ, Haga E, Diep LM, Stanley BH, Miller AL, Larsson B, Sund AM, Grøholt B (2019) Long term effectiveness of dialectical behavior therapy versus enhanced usual care for adolescents with self-harming and suicidal behavior. J Child Psychol Psychiatry 60(10):1112–1122. https://​doi.​org/​10.​1111/​jcpp.​13077CrossRefPubMed
Menninger KA (1985) Man against himself. Harcourt Brace Jovanovich, San Diego
Muehlenkamp JJ, Claes L, Havertape L, Plener PL (2012) International prevalence of adolescent non-suicidal self-injury and deliberate self-harm. Child Adolesc Psychiatry Ment Health 6(1):10. https://​doi.​org/​10.​1186/​1753-2000-6-10CrossRefPubMedPubMedCentral
Muehlenkamp JJ, Brausch AM, Washburn JJ (2017) How much is enough? Examining frequency criteria for NSSI disorder in adolescent inpatients. J Consult Clin Psychol 85(6):611–619. https://​doi.​org/​10.​1037/​ccp0000209CrossRefPubMedPubMedCentral
Nakar O, Brunner R, Schilling O, Chanen A, Fischer G, Parzer P, Carli V, Wasserman D, Sarchiapone M, Wasserman C, Hoven CW, Resch F, Kaess M (2016) Developmental trajectories of self-injurious behavior, suicidal behavior and substance misuse and their association with adolescent borderline personality pathology. J Affect Disord 197:231–238. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jad.​2016.​03.​029CrossRefPubMed
Nitkowski D, Petermann F (2011) Selbstverletzendes Verhalten und komorbide psychische Störungen: ein Überblick. Fortschr Neurol Psychiatr 79(01):9–20. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-0029-1245772CrossRefPubMed
Nixon MK, Cloutier PF, Aggarwal S (2002) Affect regulation and addictive aspects of repetitive self-injury in hospitalized adolescents. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 41(11):1333–1341. https://​doi.​org/​10.​1097/​00004583-200211000-00015CrossRefPubMed
Nock MK, Prinstein MJ (2004) A functional approach to the assessment of self-mutilative behavior. J Consult Clin Psychol 72(5):885–890. https://​doi.​org/​10.​1037/​0022-006X.​72.​5.​885CrossRefPubMed
Nock MK, Profile S, Nock MK, Holmberg EB, Photos VI, Michel BD (2007) Self-injurious thoughts and behaviors interview: development, reliability, and validity in an adolescent sample. Psychol Assess 19(3):309–317. https://​doi.​org/​10.​1037/​1040-3590.​19.​3.​309
Noll J, Horowitz L, Bonanno G, Trickett P, Putnam F (2004) Revictimization and self-harm in females who experienced childhood sexual abuse: results from a prospective study. J Interpers Violence 18:1452–1471. https://​doi.​org/​10.​1177/​0886260503258035​CrossRef
Pattison EM, Kahan J (1983) The deliberate self-harm syndrome. Am J Psychiatry 140(7):867–872. https://​doi.​org/​10.​1176/​ajp.​140.​7.​867CrossRefPubMed
Plener PL, Brunner R, Resch F, Fegert JM, Libal G (2010) Selbstverletzendes Verhalten im Jugendalter. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 38(2):77–89. https://​doi.​org/​10.​1024/​1422-4917.​a000015CrossRefPubMed
Plener PL, Bubalo N, Fladung AK, Ludolph AG, Lulé D (2012) Prone to excitement: adolescent females with non-suicidal self-injury (NSSI) show altered cortical pattern to emotional and NSS-related material. Psychiatry Res Neuroimaging 203(2):146–152. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​pscychresns.​2011.​12.​012CrossRef
Plener PL, Fischer CJ, In-Albon T, Rollett B, Nixon MK, Groschwitz RC, Schmid M (2013) Adolescent non-suicidal self-injury (NSSI) in German-speaking countries: comparing prevalence rates from three community samples. Soc Psychiatry Psychiatric Epidemiol Int J Res Soc Genet Epidemiol Mental Health Serv 48(9):1439–1445. https://​doi.​org/​10.​1007/​s00127-012-0645-zCrossRef
Plener PL, Schumacher TS, Munz LM, Groschwitz RC (2015) The longitudinal course of non-suicidal self-injury and deliberate self-harm: a systematic review of the literature. Borderline Pers Disorder Emotion Dysregulation 2(1):2. https://​doi.​org/​10.​1186/​s40479-014-0024-3CrossRef
Plener PL, Fegert JM, Kaess M, Kapusta ND, Brunner R, Groschwitz RC, In-Albon T, Resch F, Becker K (2017) Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) im Jugendalter: Klinische Leitlinie zur Diagnostik und Therapie. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 45(6):463–474. https://​doi.​org/​10.​1024/​1422-4917/​a000463CrossRefPubMed
Reichl C, Heyer A, Brunner R, Parzer P, Völker JM, Resch F, Kaess M (2016) Hypothalamic-pituitary-adrenal axis, childhood adversity and adolescent nonsuicidal self-injury. Psychoneuroendocrinology 74:203–211. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​psyneuen.​2016.​09.​011CrossRefPubMed
Resch F (2001) Der Körper als Instrument zur Bewältigung seelischer Krisen: Selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen. Deutsches Ärzteblatt 98(36):2266–2271
Resch F (2017) Selbstverletzung als Selbstfürsorge: Zur Psychodynamik selbstschädigenden Verhaltens bei Jugendlichen, 1. Aufl. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Rossouw TI, Fonagy P (2012) Mentalization-based treatment for self-harm in adolescents: a randomized controlled trial. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 51(12):1304–1313.e3. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jaac.​2012.​09.​018CrossRefPubMed
Sansone RA, Wiederman MW, Sansone LA (1998) The Self-Harm Inventory (SHI): development of a scale for identifying self-destructive behaviors and borderline personality disorder. J Clin Psychol 54(7):973–983. https://​doi.​org/​10.​1002/​(sici)1097-4679(199811)54:​7<973:​:​aid-jclp11>3.​0.​co;2-hCrossRefPubMed
Scott LN, Pilkonis PA, Hipwell AE, Keenan K, Stepp SD (2015) Non-suicidal self-injury and suicidal ideation as predictors of suicide attempts in adolescent girls: a multi-wave prospective study. Compr Psychiatry 58:1–10. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​comppsych.​2014.​12.​011CrossRefPubMed
Serafini G, Canepa G, Adavastro G, Nebbia J, Belvederi Murri M, Erbuto D, Pocai B, Fiorillo A, Pompili M, Flouri E, Amore M (2017) The relationship between childhood maltreatment and non-suicidal self-injury: a systematic review. Front Psychiatry 8:149. https://​doi.​org/​10.​3389/​fpsyt.​2017.​00149CrossRefPubMedPubMedCentral
Sornberger MJ, Heath NL, Toste JR, McLouth R (2012) Nonsuicidal self-injury and gender: patterns of prevalence, methods, and locations among adolescents. Suicide Life Threat Behav 42(3):266–278. https://​doi.​org/​10.​1111/​j.​1943-278X.​2012.​0088.​xCrossRefPubMed
Stanley B, Sher L, Wilson S, Ekman R, Huang Y, Mann JJ (2010) Non-suicidal self-injurious behavior, endogenous opioids and monoamine neurotransmitters. J Affect Disord 124(1):134–140. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jad.​2009.​10.​028CrossRefPubMed
Störkel LM, Karabatsiakis A, Hepp J, Kolassa I-T, Schmahl C, Niedtfeld I (2021) Salivary beta-endorphin in nonsuicidal self-injury: an ambulatory assessment study. Neuropsychopharmacology 46(7):1357–1363. https://​doi.​org/​10.​1038/​s41386-020-00914-2CrossRefPubMedPubMedCentral
Swannell SV, Martin GE, Page A, Hasking P, John NJS (2014) Prevalence of nonsuicidal self-injury in nonclinical samples: systematic review, meta-analysis and meta-regression. Suicide Life Threat Behav 44(3):273–303. https://​doi.​org/​10.​1111/​sltb.​12070CrossRefPubMed
Tarullo AR, Gunnar MR (2006) Child maltreatment and the developing HPA axis. Horm Behav 50(4):632–639. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​yhbeh.​2006.​06.​010CrossRefPubMed
Taubner S, Volkert J (2016) Mentalisierungsbasierte Therapie für Adoleszente (MBT-A). https://​doi.​org/​10.​13109/​9783666405761
Turner HA, Finkelhor D, Ormrod R (2010) Poly-victimization in a national sample of children and youth. Am J Prev Med 38(3):323–330. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​amepre.​2009.​11.​012CrossRefPubMed
Valencia-Agudo F, Burcher GC, Ezpeleta L, Kramer T (2018) Nonsuicidal self-injury in community adolescents: a systematic review of prospective predictors, mediators and moderators. J Adolesc 65:25–38. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​adolescence.​2018.​02.​012CrossRefPubMed
Venne P van der, Balint A, Drews E, Parzer P, Resch F, Koenig J, Kaess M (2021) Pain sensitivity and plasma beta-endorphin in adolescent non-suicidal self-injury. J Affect Disord 278:199–208. https://​doi.​org/​10.​1016/​j.​jad.​2020.​09.​036
Westlund Schreiner M, Mueller BA, Klimes-Dougan B, Begnel ED, Fiecas M, Hill D, Lim KO, Cullen KR (2020) White matter microstructure in adolescents and young adults with non-suicidal self-injury. Front Psychiatry 10:1019. https://​doi.​org/​10.​3389/​fpsyt.​2019.​01019CrossRefPubMedPubMedCentral