Epidemiologie
Die COVID-19-Pandemie wurde im Januar 2020 zur internationalen Gesundheitsnotlage (PHEIC) ausgerufen. Aufgrund der raschen und flächendeckenden Verbreitung mit bis Juli 2023 über 767 Mio. dokumentierten Fällen verursacht COVID-19 weltweit eine hohe Krankheitslast. Die Fallsterblichkeit hat dabei im Verlauf der Pandemie insbesondere durch eine erhöhte Bevölkerungsimmunität (durch Infektion und/oder Immunisierung) und Virusevolution abgenommen und ist von vormals 4,5 % auf aktuell 0,1 % gesunken, wobei Morbidität und Letalität sich regional und interindividuell stark unterscheiden (Kluge et al.
2022). Aufgrund der flächendeckenden Ausbreitung in einer zunehmend immunen Weltbevölkerung unterliegt SARS-CoV-2 einem hohen Selektionsdruck. Die Entstehung von Virusvarianten wird hierbei durch öffentliche Gesundheitsorganisationen kontinuierlich überwacht. Bei „variants of interest“ (VOI) handelt es sich dabei um zunehmend zirkulierende Virusvarianten, bei denen aufgrund genetischer Veränderungen von
a)
einer erhöhten Übertragbarkeit und/oder
b)
einer erhöhten Krankheitsschwere und/oder
c)
einer erhöhten Immunevasion (und dadurch Abnahme der protektiven [Impf-]Immunität und möglicher Wirksamkeitsverlust verfügbarer Therapeutika)
zu rechnen ist. Wenn diese Veränderungen so ausgeprägt sind, dass sie nach Auffassung der WHO einen Einfluss auf die öffentliche Weltgesundheit haben, werden diese Varianten als „variants of concern“ (VOC) eingetuft. VOI/VOC werden nach dem griechischen Alphabet benannt und in Abhängigkeit zu bereits zirkulierenden Varianten eingeteilt. Bislang zirkulierten bzw. zirkulieren die VOC Alpha, Beta, Gamma, Delta und Omikron.
Klinik
Auch SARS-CoV-2 verursacht als respiratorischer Erreger Erkrankungen mit grippaler Symptomatik. Die Klinik ist hierbei jedoch sehr variabel und reicht von asymptomatischen über mild verlaufende Infektionen bis hin zu schweren Verläufen mit Todesfolge.
Ein hohes Patient:innenalter birgt mit Abstand das höchste Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf, aber auch eine Reihe von Komorbiditäten werden mit schwereren COVID-19-Erkrankungen assoziiert (s. Tab.
2 nach Robert Koch Institut
2021). Hierbei sind insbesondere kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen, chronische Nieren- und Lungenerkrankungen sowie relevante erkrankungsbedingte oder erworbene immunsuppressive Zustände zu nennen.
Tab. 2
Geschätzte Risiken durch Vorerkrankungen für Mortalität aufgrund von COVID-19. Datenerhebung 2020, vor Einführung von COVID-19-Vakzinen und mit der Wildtyp- bzw. D614G-Variante als dominant zirkulierender Virusvariante. Der Effektschätzer beschreibt die Stärke des Zusammenhangs zweier binärer Variablen (
Odds Ratio, Risk Ratio oder Hazard Ratio). GRADE ist ein transparentes System, um die Qualität der Evidenzen in systematischen Übersichtsarbeiten einzuschätzen und in klinische Empfehlungen in Leitlinien zu differenzieren. (Adaptiert aus dem „Beschluss der STIKO zur 1. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung“ aus dem Epidemiologischen Bulletin 2021)
Herz/Kreislauf |
| 1,37 (1,07–1,74) | 2 | 2704 | ++++ |
| 1,41 (1,09–1,82) | 6 | 8082 | +++ |
Koronare Herzkrankheit (KHK) | 1,29 (1,09–1,53) | 4 | 5378 | +++ |
| 1,11 (0,98–1,26) | 8 | 8774 | +++ |
Metabolismus |
| 1,37 (1,22–1,56) | 9 | 8388 | ++++ |
| 1,82 (1,40–2,37) | 8 | 9379 | +++ |
Chronische Nierenerkrankungen | 1,70 (1,46–1,97) | 8 | 8296 | ++++ |
Chronische Lebererkrankungen | 1,51 (1,21–1,88) | 1 | 15.194 | +++ |
Krebs |
Krebserkrankungen | 1,15 (1,05–1,24) | 4 | 22.480 | ++++ |
Lunge |
Asthma | 0,55 (0,32–0,97) | 2 | 1136 | +++ |
Schwere chronische Lungenerkrankungen, z. B. COPD | 1,15 (1,03–1,29) | 1 | 8582 | +++ |
ZNS |
Zerebrovaskuläre Erkrankung/Apoplex | 1,21 (0,82–1,78) | 3 | 2942 | +++ |
| 2,24 (1,06–4,72) | 3 | 2796 | +++ |
Immunsystem |
Autoimmunerkrankung | 1,19 (1,06–1,33) | 1 | 8582 | +++ |
Immunkompromittierung | 1,39 (1,13–1,70) | 1 | 2490 | +++ |
Rheumatologische Erkrankung | 0,87 (0,66–1,16) | 1 | 2490 | +++ |
| 1,32 (0,24–7,36) | 1 | 614 | +++ |
Z. n. Organtransplantation | 4,20 (1,60–11,40) | 1 | 2090 | +++ |
Die Erkrankungsschwere kann mithilfe einer Krankheitsprogressionsskala der WHO eingeteilt werden (Tab.
3 nach WHO Working Group on the Clinical Characterisation and Management of COVID-19 Infection
2020). Diese wird insbesondere im Rahmen von klinischen Studien verwendet. Klinisch kann zwischen a- bzw. präsymptomatischen Infektionen, milden, moderaten, schweren und kritischen Krankheitsverläufen unterschieden werden. Milde Verläufe zeichnen sich durch eine grippale Symptomatik ohne Vorliegen einer
Pneumonie aus. Bei moderaten Verläufen besteht radiologisch der Nachweis einer Pneumonie. Wenn zusätzlich eine Sauerstoffsupplementation erforderlich ist, spricht man von einem schweren Verlauf. Kritische Erkrankungen stellen sich mit (Multi-)Organversagen dar und benötigen eine intensivmedizinische Betreuung.
Tab. 3
WHO Krankheitsprogressionsskala einer COVID-19-Infektion. (Adaptiert nach WHO Working Group on the Clinical Characterisation and Management of COVID-19 Infection
2020)
Nicht infiziert | Keine Infektion, keine virale RNA detektierbar | 0 |
Ambulante milde Erkrankung | Asymptomatisch, virale RNA detektierbar | 1 |
Symptomatisch, selbstständige Versorgung | 2 |
Symptomatisch, Assistenz benötigt | 3 |
Hospitalisiert: moderate Erkrankung | Hospitalisiert, keine Sauerstoffbehandlung | 4 |
Hospitalisiert, nasale oder maskengestützte Sauerstoffgabe | 5 |
Hospitalisiert: schwere Erkrankung | Hospitalisiert, High-Flow oder nicht-invasive (NIV) Sauerstoffgabe | 6 |
FiO2 ≥ 200 | 7 |
Maschinelle Beatmung, pO 2/FiO 2 < 150 (SpO 2/FiO 2 < 200) oder Vasopressortherapie | 8 |
Maschinelle Beatmung, pO2/FiO2 < 150 und Vasopressortherapie, Dialyse oder ECMO | 9 |
Verstorben | Verstorben | 10 |
Neben der pulmonalen Affektion ist eine neurologische Beteiligung häufig. Insbesondere eine renale, kardiale und hepatische Beteiligung sind außerdem mit einem schweren Erkrankungsverlauf assoziiert. Während der Erkrankung kann es ab der zweiten Erkrankungswoche zu einer Verschlechterung der Klinik kommen. Der Krankheitsverlauf wird daher auch in eine frühe und eine späte Phase eingeteilt, wobei in der frühen Phase die virale Replikation bzw. Abwehr, in der späten Phase die systemische Inflammation im Vordergrund steht (Feldt et al.
2020; Siddiqi und Mehra
2020). Hierdurch unterscheidet sich auch das klinische Management der Erkrankung (siehe Abschn.
2.3.5, Prävention und Therapie).
Die Rekonvaleszenzphase nach akuter COVID-19-Erkrankung ist variabel. Wenn drei Monate nach Infektion Symptome persistieren bzw. Folgeerkrankungen auftreten, wird das klinische Bild aktuell unter dem Begriff Post-COVID-/Long-COVID-Syndrom zusammengefasst. Die
Prävalenz ist aufgrund von unterschiedlichen Falldefinitionen und Studiendesigns schwer zu eruieren, wird von der WHO jedoch auf 10–20 % geschätzt (World Health Organization
2022). Dabei kann Post-/Long-COVID sowohl nach milder als auch nach schwerer Erkrankung und in allen Altersklassen in Personen mit oder ohne relevante Vorerkrankungen auftreten. Die Ätiologie ist noch unklar, eine multifaktorielle Genese ist aufgrund der unterschiedlichen Patient:innenpopulationen, die Post-/Long-COVID entwickeln, wahrscheinlich. Als mögliche Mechanismen werden die Persistenz von Virus(fragmenten), eine chronische Inflammation bzw.
Autoimmunität und Gewebeschäden vermutet. Die Symptomatik kann stark variieren und beinhaltet körperliche, geistige/neurologische und unspezifische Beschwerden wie Fatigue, Belastungsdyspnoe und eine eingeschränkte (körperliche und/oder geistige) Leistungsfähigkeit (Koczulla et al.
2022).
Diagnostik
Goldstandard der SARS-CoV-2-Diagnostik ist der Nachweis von viraler RNA durch NAAT aus respiratorischem Material. In der Regel werden hierzu RT-PCRs aus Nasen- und/oder Rachenabstrichen durchgeführt. Aufgrund der Vielzahl der verfügbaren Assays ist die Sensitivität der einzelnen Tests variabel, allerdings hat ein positives Abstrichergebnis – aufgrund der hohen Spezifität und
Prävalenz von COVID-19 – einen hohen positiven prädiktiven Wert. SARS-CoV-2-Infektionen lassen sich so zuverlässig diagnostizieren. Dabei können Cycle-Threshhold (CT)-Werte Aufschluss über die Viruslast geben und so kann die Infektiosität des Individuums in einem gewissen Maße abgeschätzt werden. Je niedriger der CT-Wert (also je weniger PCR-Zyklen für die Amplifikation und Detektion der viralen RNA durchgeführt werden müssen), desto höher die Viruslast. Einige Assays sind zudem so validiert, dass sie nicht nur den CT-Wert, sondern auch die genaue Anzahl der viralen Kopien/ml feststellen können.
Insbesondere in immunsupprimierten Patient:innen und im Rahmen schwerer Infektionen gelingt der Nachweis von viraler RNA zudem auch aus
Vollblut.
NAATs amplifizieren i. d. R. lediglich Nukleinsäuresequenzen und können daher keinen oder nur einen indirekten Aufschluss (z. B. durch Nachweis von sog. PCR Target Failures) über mögliche Virusvarianten geben. Durch die Sequenzierung des Vollvirus oder definierte Mutationen können Virusvarianten dann in einem zweiten Schritt identifiziert werden.
Für die Durchführung von Point-of-Care-Testungen (POCT) und Selbsttestungen für den Hausgebrauch stellen Antigentests eine gute Alternative zu NAAT dar, da sie breiter verfügbar, kostengünstiger und einfacher anzuwenden sind. Sie werden aus nasopharyngealen
Abstrichen durchgeführt. Aufgrund der generell niedrigeren Sensitivität im Vergleich zu NAAT schließt ein negativer Antigentest insbesondere bei symptomatischen Patient:innen eine SARS-CoV-2-Infektion nicht aus und sollte bei fortbestehendem klinischem Verdacht wiederholt bzw. durch einen NAAT ergänzt werden. Serologische Assays (i. d. R. ELISA, “enzyme-linked-immunosorbent assay”) können zum Nachweis erkrankungs- oder impfinduzierter Immunantworten angewendet werden.
Zusätzlich dienen bildgebende Verfahren (Röntgen bzw. CT-Thorax) und ein
hämodynamisches Monitoring zur Schweregradeinteilung einer SARS-CoV-2-induzierten
Pneumonie. Laborchemische und hämatologische Marker wie
D-Dimere, CRP, LDH,
Ferritin und eine Lymphopenie können zusätzlich zur frühzeitigen Einschätzung der Krankheitsschwere beitragen.
Prävention und Therapie
Neben NPI stehen mehrere Impfstoffe gegen COVID-19 zur Verfügung, die unterschiedliche Impfstoffplattformen nutzen, wie z. B. inaktivierte Vollvirusimpfstoffe, Proteinsubunit-, mRNA- und vektorbasierte Impfstoffe. Sie alle induzieren eine Immunantwort gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2, teilweise zusätzlich auch gegen andere Virusproteine.
Aufgrund der weltweiten Immunisierung der Bevölkerung gegen COVID-19 innerhalb kürzester Zeit bestehen substanzielle Erfahrungen mit COVID-19-Impfstoffen. Hierauf basierend unterliegt die SARS-CoV-2-Impfstofflandschaft einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Eine Übersicht der aktuell verfügbaren Impfstoffe gibt die WHO (World Health Organization
2023b). Neben der Entwicklung neuer Impfstoffkandidaten (z. B. auf Grundlage weiterer Impfstoffplattformen) werden bestehende Kandidaten an neue Virusvarianten adaptiert. Außerdem werden ideale Impfstoffschemata wie die optimale Dosierung für einzelne Personengruppen (Kinder, immunsupprimierte Personen), der Abstand und die Anzahl von Impfungen bzw. die Notwendigkeit von Auffrischimpfungen fortlaufend untersucht und angepasst. In Abhängigkeit des jeweiligen Risiko-/Nutzenprofils werden einzelne Impfstoffe zudem für bestimmte Personengruppen präferiert eingesetzt. COVID-19-Impfempfehlungen werden daher individuell ausgesprochen und unterliegen ebenfalls einer hohen Dynamik. Die aktuellen Impfempfehlungen für Deutschland veröffentlicht die Ständige Impfkommission (STIKO) des
Robert Koch-Instituts (RKI) regelmäßig in seinem Epidemiologischen Bulletin:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/COVID-19/Impfempfehlung-Zusfassung.html.
Die Therapie von COVID-19 richtet sich nach der Erkrankungsphase und nach den patient:innenspezifischen Risikofaktoren für einen schweren Erkrankungsverlauf. Während die Virusevolution die Effektivität der bekannten Therapien weniger beeinflusst als die Vakzineffektivität (eine Ausnahme stellen monoklonale
Antikörper dar), unterliegen auch die Therapieansätze und -indikationen einer ständigen Entwicklung. Es sei daher auf die entsprechende Leitlinie der AWMF sowie die Living Guideline der WHO verwiesen (Kluge et al.
2022; World Health Organization
2023a).
Zusammenfassend wird zwischen symptomatischer und kausaler – also medikamentöser – Therapie unterschieden. Dabei bestehen kausale Behandlungsoptionen aus antiviralen und immunmodulatorischen Ansätzen.
In der ersten Erkrankungsphase (ca. erste Woche ab Symptombeginn) steht die Risikostratifizierung im Vordergrund. Bei Personen ohne Risikoprofil wird i. d. R. keine Therapie begonnen, wohingegen bei Hochrisikopatient:innen so früh wie möglich eine spezifische Therapie eingeleitet werden soll. Dies gilt unabhängig von der Symptomschwere (d. h. auch bei a- oder oligosymptomatisch Erkrankten!). Da eine Vielzahl von Risikofaktoren für schweres COVID-19 besteht (s. Tab.
2, insbesondere hohes Alter!), ist eine antivirale Therapie bei einem signifikanten Anteil der Bevölkerung indiziert. Der Stellenwert monoklonaler
Antikörper hängt von der Neutralisationskapazität in Bezug auf die jeweilige Virusvariante ab. Eine generelle Therapieempfehlung für einzelne Antikörper kann daher nicht gegeben werden.
In der späteren Erkrankungsphase besteht der Fokus – zusätzlich zu supportiven Maßnahmen, die primär auf die ausreichende Oxygenierung abzielen – auf einer antiinflammatorischen Therapie. Sobald Patient:innen eine Sauerstoffsupplementation benötigen (WHO Skala 5–9), besteht eine starke Empfehlung für den Einsatz von Dexamethason. Zusätzlich kommen Interleukin (IL)-1-Antagonisten, IL-6-Rezeptorblocker und Januskinase (JAK)-Inhibitoren, insbesondere bei kritisch Erkrankten oder Patient:innen, die sich klinisch rapide verschlechtern, zum Einsatz. Dabei sollten die einzelnen Medikamente außer mit Dexamethason aufgrund des hohen Nebenwirkungspotenzials nicht miteinander kombiniert werden. Auch bei Patient:innen mit aktiven bakteriellen oder fungalen Sekundärinfektionen ist für diese Therapieansätze aufgrund des stark immunsuppressiven Effektes der Nutzen gegenüber den potenziellen Risiken abzuwägen.
Aufgrund der zahlreichen Therapiestudien konnten in der Leitlinie zur Therapie hospitalisierter Patient:innen mit COVID-19 nun auch Medikamente benannt werden, die explizit nicht zu empfehlen sind (Ivermectin, Hydroxychloroquin u. a.) (Kluge et al.
2022).
Superinfektionen können im Rahmen von COVID-19 auftreten, bestehen aber nicht regelhaft, sodass eine generelle antimikrobielle Prophylaxe nicht indiziert ist.
Eine generelle Thromboembolieprophylaxe ist ebenfalls nicht indiziert, soll aber, sofern keine Kontraindikationen vorliegen, standardmäßig bei allen hospitalisierten Patient:innen erfolgen. Sie kann außerdem ambulant bei mindestens teilweise immobilen Patient:innen mit Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf durchgeführt werden.