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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 30.06.2017

Anästhesie bei Patienten mit Diabetes mellitus

Verfasst von: Josef F. Zander und Alexander Risse
Ansteigendes durchschnittliches Lebensalter und die Zunahme der Inzidenz des Typ-1- und Typ-2-Diabetes führen dazu, dass der Diabetes mellitus zu den am häufigsten zu behandelnden Erkrankungen im stationären Bereich gehört (Prävalenz ca. 30 %). Tatsächlich wird aber nur bei 10 % der Patienten die Nebendiagnose „Diabetes“ gestellt, deren Folgekomplikationen wiederum nur bei etwa 10 % erkannt werden, obwohl 75 % der betroffenen Patienten Folgekomplikationen aufweisen. Dies ist u. a. durch die lange Zeitspanne zwischen der Manifestation und der Diagnosestellung der Erkrankung bedingt. Ein weiteres Problem ist die nicht immer adäquate Therapie sowie die häufig fehlende Aufmerksamkeit für die Symptome. Die Aufgabe des Anästhesisten ist es, das perioperativ erhöhte Risiko von Patienten mit Diabetes durch ein geeignetes Vorgehen so zu senken, dass dies etwa dem eines Nichtdiabetikers entspricht.
Einleitung
Ansteigendes durchschnittliches Lebensalter und die Zunahme der Inzidenz des Typ-1- und Typ-2-Diabetes führen dazu, dass der Diabetes mellitus zu den am häufigsten zu behandelnden Erkrankungen im stationären Bereich gehört (Prävalenz ca. 30 %). Tatsächlich wird aber nur bei 10 % der Patienten die Nebendiagnose „Diabetes“ gestellt, deren Folgekomplikationen wiederum nur bei etwa 10 % erkannt werden, obwohl 75 % der betroffenen Patienten Folgekomplikationen aufweisen. Dies ist u. a. durch die lange Zeitspanne zwischen der Manifestation und der Diagnosestellung der Erkrankung bedingt. Ein weiteres Problem ist die nicht immer adäquate Therapie sowie die häufig fehlende Aufmerksamkeit für die Symptome. Die Aufgabe des Anästhesisten ist es, das perioperativ erhöhte Risiko von Patienten mit Diabetes durch ein geeignetes Vorgehen so zu senken, dass dies etwas dem eines Nichtdiabetikers entspricht.
Für die Patienten mit Diabetes mellitus gilt:
1.
Ein Diabetes ist umso häufiger, je älter die Patienten sind.
 
2.
Diabetesbedingte und -assoziierte Folgekomplikationen müssen präoperativ erkannt werden.
 
3.
Die Güte der Stoffwechselführung bestimmt die Inzidenz und das Ausmaß der perioperativ auftretenden Komplikationen [1, 2]. Je enger die Glukoseregulation, desto größer ist aber auch die Gefahr von Hypoglykämien [3], besonders bei Patienten mit Typ-1- und (pankreoprivem) Typ-3c-Diabetes. Über die optimalen perioperativen Zielwerte für den Blutzuckerspiegel besteht eine anhaltende wissenschaftliche Diskussion [47].
 

Typische perioperative Risiken und Diagnostik

Im perioperativen Verlauf sind sowohl die auf Grund des Diabetes entstandenen chronischen Veränderungen als auch mögliche akute Komplikationen zu berücksichtigen. Dabei sind zu berücksichtigen:
1.
Akute stoffwechselbedingte Komplikationen:
 
2.
Komplikationen durch diabetesbedingte Folgeerkrankungen:
  • makrovaskulär (KHK, Karotisstenosen, paVK),
  • mikrovaskulär (Niereninsuffizienz, Retinopathie),
  • neuropathisch (Polyneuropathiesyndrom, autonome Neuropathie [12]).
 
Die im postoperativen Verlauf bei jedem Patienten auftretende metabolische Störung, das Postaggressionssyndrom, ist in seiner Ausprägung u. a. vom Ausmaß des operativen Traumas abhängig. Es liegt bei diesem Syndrom sowohl eine Erhöhung des Insulinspiegels als auch eine relevante Erhöhung der antiinsulinär wirkenden Faktoren, wie z. B. der Kortikosteroide, der endogenen Katecholamine und insbesondere des Glukagon vor.
Der Patient mit Diabetes mellitus ist in dieser Situation durch den bestehenden relativen oder absoluten Insulinmangel besonders gefährdet, da die katabole Reaktion ausgeprägter ist als bei einem Patienten ohne Diabetes mellitus [11].
Dazu kommen die aus den Folgeerkrankungen resultierenden, v. a. das Herz-Kreislauf-System betreffenden, Gefahren. Diabetiker sind in der Regel multimorbide Patienten. Perioperative kardiovaskuläre Komplikationen sind bei Patienten mit Diabetes mellitus 2- bis 4-mal häufiger als bei gleichaltrigen Patienten ohne Diabetes mellitus. Ursache ist insbesondere die kardiale Auswirkung der autonomen Neuropathie , die sich in verschiedenen Symptomen zeigen kann: Ruhetachykardie, Verlust der Variabilität der Herzfrequenz, orthostatische Hypotension, verlängertes QT-Intervall, stumme Ischämien und eine Belastungsintoleranz [12]. Auch die Endothelfunktion ist beim Diabetiker gestört, oft auch die Reaktivität der Gehirngefäße auf Änderungen des pCO2 [13, 14]. Dazu kommen auf Grund von arteriosklerotischen Veränderungen meist eine koronare Herzerkrankung, zerebrovaskuläre Perfusionsstörungen, eine Verschlechterung der Nierenfunktion sowie des Nervensystems und der Sinnesorgane. Typisch ist auch das Vorliegen eines metabolischen Syndroms.
Pulmonale Komplikationen, postoperative lokale oder systemische Infektionen sowie eine verzögerte Wundheilung sind häufig auftretende Probleme. Bei hohen Blutzuckerspiegeln resultieren für die Diabetiker eine Störung der Funktion der neutrophilen Zellen, eine verstärkte Cytokinsynthese und eine verminderte Synthese von Komplement, wodurch insgesamt eine Verstärkung der Entzündungsreaktion erfolgt und eine höhere Wahrscheinlichkeit für Infektionen resultiert [15]. Ein Einfluss der Wirkung von Insulin oder Metformin auf die Morbidität und Letalität von Patienten mit Sepsis konnte jedoch bisher nicht nachgewiesen werden [16].

Präoperative Diagnostik

Labordiagnostik
Die Basislabordiagnostik sollte bei Patienten mit bekanntem Diabetes mellitus und einer Operation, die ein stärkeres Trauma verursacht als ein kleiner Routineeingriff, folgende Kontrollen umfassen:
  • Das BZ-Tages- und – Nacht-Profil zeigt die Stabilität des Blutzuckerverlaufs; bei vielen Diabetikern treten nachts Hypoglykämien auf, die den Patienten gefährden und bei der perioperativen Therapie unbedingt berücksichtigt werden müssen.
    Auch ein perioperativ akut hoher Blutzuckerspiegel verschlechtert den Verlauf und die Prognose des Patienten. Während der Anästhesie bzw. während einer Sedierung im Rahmen der Intensivtherapie muss der Blutzuckerspiegel engmaschig überprüft werden, um eine Hypo- aber auch eine Hyperglykämie zu vermeiden, insbesondere wegen der potentiellen zerebralen Schädigung. Dies gilt vor v. a. bei Patienten, die mit Insulin therapiert werden.
  • Die Triglyceride geben einen Hinweis auf die Stärke der endogenen und exogenen Insulinwirkung. Je höher der Triglyceridspiegel, desto größer die bestehende Insulinresistenz.
  • Der HbA 1c -Wert lässt einen Rückschluss auf die Güte der Stoffwechseleinstellung in den letzten 3 Monaten zu. Zudem erlaubt er eine Einschätzung des Immunstatus des Organismus: Je höher der HbA1c-Wert, desto mehr immunkompetente Zellen (Leukozyten, Makrophagen, etc.) sind glyciert und damit funktionsunfähig. Der kritische Grenzwert liegt bei einem HbA1c-Wert von 8 %, oberhalb dessen die Häufigkeit periinterventioneller Infektionen zunimmt [17]. Bei elektiven Eingriffen ist vor der stationären Aufnahme eine Optimierung der Einstellung des Diabetes mellitus anzustreben. Dieses Vorgehen konnte z. B. bei Patienten mit elektiver Implantation von Gelenkprothesen die perioperative Morbidität und Letalität deutlich vermindern [18]. Das „Positionspapier der Deutschen Diabetes Gesellschaft zur Therapie des Diabetes mellitus im Krankenhaus“ empfiehlt, vor elektiven Operationen ebenfalls einen HbA1c-Wert von <8,5 % anzustreben. Hierdurch ist z. B. die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion als Komplikation des Eingriffs deutlich zu senken. Zu strikte Therapieziele bei mangelnder Erfahrung im Umgang mit Insulin implizieren allerdings die Gefahr von iatrogenen Komplikationen: \( \raisebox{1ex}{$1$}\!\left/ \!\raisebox{-1ex}{$3$}\right. \) aller Medikationsfehler mit Todesfolge innerhalb von 48 Stunden sind auf eine fehlerhafte Insulinverabreichung zurückzuführen [19].
  • Bei einem HbA1c-Wert von 10 % oder mehr sollte auf elektive Eingriffe ganz verzichtet werden [20]. Patienten sollten nach einem Notfalleingriff postoperativ auf einer Intensivtherapiestation behandelt werden, um die metabolische Situation adäquat therapieren zu können.
  • Der Kreatininwert und besser noch die glomeruläre Filtrationsrate GFR zeigen eine ggf. noch nicht bekannte Nierenschädigung an. Diese ist bei Patienten mit Diabetes ungeachtet der Ätiologie häufig und erfordert eine Adaptation der Dosierung der Medikamente, die über die Niere ausgeschieden werden. Aus dem Kreatininwert bzw. der glomerulären Filtrationsrate (GFR) ergeben sich unmittelbare Konsequenzen für die Volumensteuerung, aber auch für die strikte Vermeidung bzw. Dosierung von NSAID und anderen Medikamenten (Metformin!) sowie die Indikationsstellung und Planung von Kontrastmitteluntersuchungen. Nicht nur während der Operation, sondern auch postoperativ ist auf eine Optimierung der Volumentherapie und der Diurese zu achten und die Verabreichung potenziell nierenschädigende Medikamente zu vermeiden.
  • Zudem sollten mindestens präoperativ die Elektrolyte bestimmt werden, da durch Imbalanzen (besonders Hypokaliämie, Hyponatriämie) perioperativ und während der Intensivtherapie Probleme induziert werden können.
Internistische Diagnostik
Ein EKG, evtl. auch ein Belastungs-EKG, ist wegen der hohen Inzidenz asymptomatischer Myokardischämien bei Patienten mit diabetischer Neuropathie unabdingbar. Der insulinpflichtige Diabetes mellitus gehört auch zu den 5 Risikofaktoren nach Lee, die in die präoperativen Evaluationsalgorithmen für kardiale Risikopatienten Eingang gefunden haben (Kap. „Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Kardiovaskuläres System“ und Kap. „Anästhesie bei Patienten mit Erkrankungen von Herz und Kreislauf: Allgemeine Prinzipien“).
Grundsätzlich gilt: Jede plötzlich auftretende Dyspnoe beim Diabetiker muss den Verdacht auf eine akute stumme Myokardischämie auslösen.
Bei Verdacht auf eine Herzinsuffizienz sollte präoperativ ein kardiologisches Konsil durchgeführt werden. Sind elektive große Operationen geplant, z. B. eine Ösophagusresektion, so ist auch die Durchführung eines Belastungs-EKGs sinnvoll.
Bei langem Bestehen des Diabetes empfiehlt sich eine Duplexsonographie der Karotiden, um Plaques zu erkennen und, nach sonographischer Einstellung der Karotisgabel und entsprechendem Druckversuch, einen hypersensitiven Karotissinus nicht zu übersehen.
Ein internistisch-diabetologisches Konsil sollte bei Patienten mit größeren Eingriffen durchgeführt werden, wenn der BZ >12 mmol/l (216 mg/dl) liegt oder eine Hypoglykämieneigung besteht (Typ-1-Diabetes, – 3c-Diabetes, Brittle-Typ-Diabetes).
Es ist nicht ungewöhnlich, dass auch bei „guter Einstellung“ (HbA1c-Wert <7 %) nach der Aufnahme ins Krankenhaus plötzlich sehr hohe Blutzuckerwerte auftreten. Oft ist dies durch die Akuterkrankung oder durch psychischen Stress ausgelöst und erfordert neben einer Stressreduktion häufig eine adäquate Anpassung der schon bestehenden medikamentösen Therapie.

Perioperative Risiken

Neben den metabolischen Problemen sind die Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus zu beachten. Wegen der häufig bestehenden Versteifungen der Gelenke („stiff joint syndrome“) ist neben allgemeinen Lagerungsproblemen auch mit einer erschwerten Reklinierbarkeit des Kopfe und der Larynxregion sowie einer eingeschränkten Mundöffnung zu rechnen. Die Inzidenz der schwierigen Intubation ist daher bei Diabetikern gegenüber einem Patienten ohne Diabetes mellitus erhöht [21]. Einen Hinweis hierauf gibt das sog. „prayer sign“: Der Patient ist nicht in der Lage, die vor der Brust gefalteten Hände komplett zusammenzuführen. Maßnahmen zum Management der erschwerten Intubation (z. B. Videolaryngoskopie, Intubationshilfen) sollten daher vorbereitet sein (Kap. „Intubation bei schwierigem Atemweg“).
Bei 20–40 % der Patienten mit Diabetes liegt eine autonome Neuropathie vor. Dabei treten gehäuft Probleme des Herz-Kreislauf-Systems auf. So kann es bei Lagerungen in Kopf-hoch-Lage (z. B. „Beach-chair-Lagerung“) auf Grund einer orthostatischen Fehlregulation zu einer Minderperfusion der oberen Körperregionen, auch des Kopfe, kommen. Bei der Durchführung von Regionalanästhesien ist ebenfalls mit einer deutlichen orthostatischen Regulationsstörung zu rechnen. Die durch die Neuropathie induzierte Gastroparese bedingt eine verzögerte Magenentleerung mit der Gefahr der Aspiration in der Ein- und Ausleitungsphase der Anästhesie.
Postoperativ ist die Inzidenz von Apnoen und Asystolien insbesondere bei übergewichtigen Männern >60 Jahren erhöht. Da Patienten mit Diabetes mellitus meist keine pektanginösen Beschwerden haben („stumme Ischämie“), muss bei Patienten mit akuter Dyspnoe immer auch ein Myokardinfarkt ausgeschlossen werden (EKG, Troponin, evtl. Echokardiographie; Abschn. 1.1).
Eine fast regelhaft übersehene Komplikation ist das symmetrische, sensible Polyneuropathiesyndrom. Durch diese Gefühlsstörung fehlen auch beim wachen Patienten die reflektorischen Eigenbewegungen bei Druckbelastung des Gewebes. Bei langer Operationsdauer in unveränderter Lage auf dem OP-Tisch werden bei Allgemein- und bei Regionalanästhesien in den meist chronisch minderdurchbluteten Geweben schneller als bei Patienten ohne Diabetes mellitus fokale Ischämien ausgelöst mit der Folge von unbemerkten Gewebeläsionen [22].
Deshalb muss die Lagerung der Patienten sowohl während der Operation selber als auch im gesamten perioperativen Zeitraum besonders sorgfältig durchgeführt werden.
Bei Diabetikern ist auf Grund der chronischen Mangeldurchblutung der Gewebe auch überdurchschnittlich häufig mit Wundheilungsstörungen und Infektionen zu rechnen.

Anästhesiologisches Management

Die Wahl des Anästhesieverfahrens hängt von Art, Schwere und Dauer des Eingriffs sowie Art und Schwere des Diabetes mellitus sowie dessen Folgeerkrankungen ab. Ziel ist es, perioperativ eine möglichst stabile Stoffwechselsituation zu erhalten bzw. rasch postoperativ wiederherzustellen sowie das Postaggressionssyndrom und die begleitende Entzündungsreaktion so gering wie möglich zu halten. Ein perioperativer Stresszustand, z. B. durch eine unzureichende Schmerztherapie, muss auf jeden Fall vermieden werden.
Patienten mit Diabetes mellitus sollten möglichst früh am Tag operiert werden, um die Nüchternphase kurz zu halten. Bei Glukosesteuerung mittels funktioneller Insulintherapie ist die Tageszeit der Operation beliebig frei wählbar. Der Blutzuckerspiegel sollte präoperativ kontrolliert werden, bei längerem Warten auf die Operation auch schon außerhalb des OP. Ist ein operativer Eingriff erst am Ende des OP-Programmes möglich, so muss beim insulinpflichtigen Diabetiker mit der Insulintherapie bereits präoperativ begonnen werden, um die metabolische Situation des Patienten stabil zu halten.

Regionalanästhesie

Regionalanästhesieverfahren haben den Vorteil, dass der Patient schnell postoperativ wieder normal essen und trinken kann und durch eine effektive Schmerzausschaltung das perioperative Stressniveau niedrig gehalten wird. Die präoperativen Nüchternheitsgrenzen müssen jedoch auch bei Patienten mit Diabetes mellitus und vorgesehener Regionalanästhesie eingehalten werden, da immer wegen technischer oder medizinischer Probleme die Durchführung einer Allgemeinanästhesie erforderlich werden kann.
Weisen die Patienten bereits Zeichen einer autonomen Neuropathie auf (z. B. Schweißsekretionsstörungen, „trockener Fuß“, trophische Störungen der Haut, Pulsstarre, Orthostase), ist insbesondere bei rückenmarknahen Anästhesieverfahren mit spezifischen Problemen zu rechnen. So sind die Patienten nicht in der Lage, die durch die Anästhesie bedingten Folgen der Sympathikolyse durch eine kompensatorische Vasokonstriktion in anderen Strombahnbereichen sowie durch eine Steigerung des Herzminutenvolumens zu kompensieren. Häufig ist auch die Temperaturregulation gestört, sodass besonders sorgfältig auf die perioperative Aufrechterhaltung der Normothermie geachtet werden muss.
Eine Auslösung der Verstärkung einer Polyneuropathie durch eine Regionalanästhesie ist nicht zu befürchten. Vielmehr sollte bei geeigneten Operationen die Anwendung einer Katheterregionalanästhesie mit der Möglichkeit der postoperativen Fortführung der Regionalanästhesie zur Analgesie gezielt erwogen werden. Zu beachten ist jedoch, dass ein signifikant höheres Risiko für eine Infektion bei einer Katheterregionalanästhesie besteht als beim Patienten ohne Diabetes mellitus. Die Infektionsprophylaxe bei der Katheteranlage und im weiteren Verlauf auch die Kontrolle des Katheters müssen deshalb besonders sorgfältig durchgeführt werden [23].
Patienten mit ausgeprägter, polyneuropathiebedingter Reduktion der Schmerzrezeptoren benötigen bei Eingriffen an der unteren Extremität ggf. überhaupt keine Schmerzausschaltung, auch bei großem Debridement bzw. Zehenresektionen.
Der Bedarf an Lokalanästhetika liegt bei einem lange bestehenden Diabetes niedriger als beim Normalpatienten, die Wirkdauer ist häufig verlängert. Die Dosierung muss deshalb vorsichtig erfolgen und individuell angepasst werden.

Allgemeinanästhesie

Es gibt keine Anästhesieverfahren, die einen besonderen Vorteil beim Diabetiker aufweisen. Die Durchführung einer TIVA ist ebenso möglich wie eine balancierte Anästhesie mit Inhalationsanästhetika. Entscheidend ist die Aufrechterhaltung einer stabilen vegetativen Situation: hypertone und hypotone Phasen müssen ebenso vermieden werden wie eine Tachykardie. Aber auch bei einer autonomen Neuropathie kommt es häufig, aber nicht zwangsläufig, zu einer hämodynamischen Instabilität [12, 24].
Auf Lachgas sollte bei Patienten mit autonomer Neuropathie wegen der potenziell negativen Wirkung auf das Nervensystem verzichtet werden. Bei Patienten, die Metformin einnehmen, tritt häufig ein Vitamin-B12-Defizit auf, sodass es hierdurch zu einer weiteren neurologischen Verschlechterung kommen kann [25].

Perioperatives Management des Metabolismus

Grundlagen

Die präoperative Optimierung der Stoffwechsellage ist die Grundlage für eine stabile perioperative Situation. Grundsätzlich sollten orale Antidiabetika präoperativ abgesetzt und die Glukosesteuerung mit Insulin nach dem Prinzip der funktionellen Insulintherapie durchgeführt werden (Kap. „Patienteneigene Medikation“). Hierzu empfehlen sich die in der Diabetologie etablierten Algorithmen [26]:
Prinzipiell gilt (Tab. 1):
Tab. 1
Vorgehen bei kurzdauernden Eingriffen
 
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder Diabetes mellitus Typ 2 mit Insulintherapie
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 behandelt mit Diät und ggf. oralen Antidiabetika OAD
Präoperativ
Am Vortag Insulin wie üblich
Metformin 48 h präoperativ absetzen
Alle anderen OAD nach der letzten Mahlzeit absetzen
Am Operationstag
Bisherige Basalinsulintherapie fortsetzen oder 25 % des Gesamttagesinsulinbedarfs morgens als NPH-Insulin s.c.
 
Auf der Station
7:00 Uhr Blutglukosekontrolle
Normalinsulin nach Korrekturschema s.c.
7:00 Uhr Blutglukosekontrolle
Normalinsulin nach Korrekturschema s.c.
Im OP oder auf der Station
Blutglukosekontrollen und jeweils Normalinsulin nach Korrekturschema s.c./i.v.: 10:00, 13:00, 17:00 Uhr
Blutglukosekontrollen und jeweils Normalinsulin nach Korrekturschema s.c./i.v.: 10:00, 13:00, 17:00 Uhr
Wenn postoperativ abends keine Nahrungsaufnahme möglich ist
Basalinsulintherapie fortsetzen.
Blutglukosekontrollen und jeweils Normalinsulin nach Korrekturschema s.c./i.v.: 22:00, 3:00 Uhr
Am Folgetag häusliche Therapie wieder aufnehmen
Blutglukosekontrollen und jeweils Normalinsulin nach Korrekturschema s.c./i.v.: 22:00, 3:00 Uhr.
Am Folgetag häusliche Therapie wieder aufnehmen
Wenn postoperativ abends Nahrungsaufnahme möglich ist
Häusliche Therapie wieder aufnehmen
Häusliche Therapie wieder aufnehmen. Metformin erst 48 h postoperativ wieder beginnen
  • Eine akzeptable perioperative Einstellung des Blutzuckerwerts variiert zwischen 108 und 180 mg/dl (ca. 6–10 mmol/l) [19],
  • Blutglukosemessungen während des Eingriffs stündlich, anschließend alle 2–4 h,
  • zur ersten postoperativen Mahlzeit Wiederaufnahme der Insulintherapie.
  • Wenn keine Nahrungsaufnahme am Abend des Operationstags mehr möglich ist, Verzögerungsinsulin (NPH-Insulin) wie üblich verabreichen, evtl. Glukose 5 % mit 50–100 ml/h laufen lassen.
  • Blutzuckerkontrollen um 22:00 Uhr und 3:00 Uhr und Korrektur des Blutzuckerspiegels nach Schema (Tab. 2).
    Tab. 2
    Uhrzeitabhängige Insulintherapie in Abhängigkeit vom BZ-Spiegel
    Blutglukose (mg/dl)
    Normalinsulin (IE)
    Normalinsulin
    22:00 Uhr (IE i.v.) *
    <130
    0
    0
    131–160
    2
    0
    161–190
    3
    2
    191–220
    4
    3
    221–250
    5
    4
    251–280
    6
    5
    281–310
    8
    6
    311–340
    10
    7
    >340
    12
    8
    *In der Nacht liegt der Insulinbedarf niedrigere, steigt jedoch in den Morgenstunden wieder an, daher ist die zu substituierende Insulinmenge zeitabhängig
  • Bei Patienten mit Typ-1- oder pankreoprivem Diabetes: Urinaceton- und BGA-Kontrolle (Cave: Ketoazidose).
  • Beim pankreoprivem Diabetes fehlt neben dem Insulin auch das Glukagon! Hier ist die Instabilität des Metabolismus besonders ausgeprägt.
Langdauernde Eingriffe
Das prinzipielle Vorgehen orientiert sich an dem kurzdauernder Eingriffe (Tab. 1), darüber hinaus gilt für langdauernde Eingriffe:
  • Perioperativ stündliche Blutglukosekontrollen und Insulingabe über Perfusor (50 IE/50 ml NaCl 0,9 %).
  • Postoperativ Blutglukose alle 2–4 h kontrollieren und Korrektur nach Schema oder mit Perfusor (auf Intensivstation).
  • Bei Patienten mit Typ-1- oder prankreoprivem Diabetes: Urinaceton- und BGA-Kontrolle (Cave: Ketoazidose).
  • Wegen der Gefahr der unmittelbar eintretenden Lipolyse mit konsekutiver Ketoazidose darf auch bei niedrigen BZ-Werten die Insulinzufuhr niemals ganz gestoppt werden. Glukoselösung muss dann begleitend infundiert werden.
  • Eine Wiederaufnahme der s.c.-Insulingabe erfolgt erst mit der ersten postoperativen Mahlzeit.
Orale Antidiabetika
Biguanide (Metformin, z. B. Glucophage retard) steigern die anaerobe Glykolyse durch partielle Hemmung der Atmungskette und Reduktion der ATP-Synthese; der Laktatabbau in der Leber wird verzögert. Gleichzeitig wird die intestinale Glukoseresorption vermindert. Dadurch kann eine Laktatazidose entstehen, die immer lebensbedrohlich ist. Die Wahrscheinlichkeit wird derzeit mit 2–5 Fällen pro 100.000 Anwendungsjahren angegeben [27]. Patienten mit einer Niereninsuffizienz sind besonders gefährdet. Typisch ist die klinische Trias:
  • Hyperglykämie (500–1000 mg %),
  • metabolische Azidose mit Anionenlücke und
  • Ketonämie.
Der Patient zeigt bei Spontanatmung eine Kussmaul-Atmung. Die Symptomatik kann sich protrahiert entwickeln.
Hier muss umgehend mit Insulin behandelt werden, wobei eine langsame Zufuhr über eine Spritzenpumpe sinnvoll ist. Die früher empfohlene Gabe von hohen Bolusdosen Insulin ist nicht sinnvoll.
Zudem besteht ein hoher Flüssigkeitsbedarf (häufig mehrere Liter!). Der Flüssigkeitsersatz muss langsam erfolgen, damit es nicht zu weiteren Störungen kommt (Ödeme, v. a. Hirnödem, Elektrolytverschiebungen).
Nach Herstellerempfehlungen sollte Metformin bis zu 48 h präoperativ abgesetzt und bei großen Eingriffen erst nach mindestens 48 h postoperativ wieder gegeben werden [28]. Aktuelle Studien haben bei Patienten mit normaler Nierenfunktion kein erhöhtes Risiko gefunden, auch wenn Patienten Metformin nicht abgesetzt hatten; in einzelnen Publikationen wird sogar ein Vorteil für diese Patienten durch die erhöhte Aktivität der Insulinsekretion bei Patienten mit Typ-2-Diabetes postuliert. Wahrscheinlich reicht bei kritisch kranken Patienten und großen Eingriffen das Absetzen von Metformin am Tag vor der Operation [18].
Die Inzidenz von Ketoazidosen unter der Therapie ist zwar gering, bei Nieren- oder Leberinsuffizienz jedoch deutlich höher. In diesen Fällen sollte Metformin abgesetzt werden.
Sulfonylharnstoffe müssen am Operationstag abgesetzt werden.
In den letzten Jahren hat sich die Zahl der oralen Antidiabetika stark erweitert. Die Wirkmechanismen und Interaktionen sind hierdurch nahezu unübersehbar geworden. Vor großen operativen Eingriffen empfiehlt es sich daher, sämtliche oralen Antidiabetika abzusetzen und während des Krankenhausaufenthalts eine Blutzuckersteuerung durch Insulin vorzunehmen. Für ein sinnvolles Blutzuckermanagement des individuellen Patienten sind folgende Parameter notwendig:
1.
Typ des Diabetes,
 
2.
Zielwert der Therapie (Wert, der nüchtern angestrebt wird; idealerweise: 100 mg/dl, 5,5 mmol/l),
 
3.
Basalinsulinbedarf (normal: 1 IE/h; gilt für normalen HbA1c-Wert und normale Triglyceride),
 
4.
Algorithmus für Korrekturinsulindosierungen: z. B. 1 IE Insulin senkt den BZ um 50 mg/dl (bei erhöhten Triglyceriden sinkt die Insulinwirksamkeit).
 
5.
Bei Wiederaufnahme der enteralen Ernährung: Bedarf an Normalinsulin pro gegessener BE (normal: 1 IE Insulin pro BE) sowie
 
6.
Korrektur bei Hypoglykämien: 1 BE erhöhen den BZ um 50 mg/dl.
 

Intraoperativ

Intraoperativ erfolgt die Steuerung des Blutzuckerspiegels so wie angegeben (Abschn. 3.1). Vor Beginn einer Therapie erfolgt die Bestimmung des Blutzuckers. Der für die intraoperative Phase optimale Blutzuckerbereich ist derzeit unklar. Meist wird ein Wert zwischen 80 und 120 mg % (4,5–6,6 mmol/l) angegeben. Vor dem Hintergrund, Hypoglykämien sicher zu vermeiden, wurden aber auch höhere Zielwerte (120–180 mg/dl, 6,6–10 mmol/l) sowie die Etablierung einer Basisinfusion von Glukose (Konzentration der Lösung nach Volumentoleranz des Patienten 5–40 %) empfohlen. Die Glukosezufuhr muss dabei kontrolliert über eine Spritzenpumpe oder eine Infusionspumpe erfolgen. In jedem Fall ist eine stündliche Kontrolle der Werte erforderlich.
Die Zufuhr von Insulin und Glukose reduziert die extrazelluläre Kaliumkonzentration. Diese muss deshalb kontrolliert und ggf. Kalium substitutiert werden.
Auch die Zufuhr von Katecholaminen oder Kortikosteroiden kann sich sowohl auf den Blutzuckerspiegel (steigt) als auch auf den Kaliumspiegel (sinkt) auswirken. Bei hohem Flüssigkeitsbedarf oder einer Massivtransfusion müssen die Kontrollen besonders engmaschig erfolgen, da Veränderungen des Blutzuckers unter diesen Umständen nicht sicher antizipiert werden können.
Der Einsatz von Dexamethason in einer Dosis von 4 mg zur PONV-Prophylaxe ist auch beim Patienten mit Diabetes mellitus unproblematisch.

Postoperativ

Patienten mit einem „schlecht eingestellten“ Diabetes sollten für mindestens 24 h postoperativ auf einer Intermediate-Care-Station betreut werden, damit Komplikationen vermieden oder sofort behandelt werden können. Das Gleiche gilt für Notfalleingriffe bei Patienten mit einem initialen HbA1c von >8 bzw. einer akuten Hyperglykämie von >200 mg/dl. Falls erforderlich, muss die Therapie dort so lange durchgeführt werden, bis die metabolische Situation sich wieder stabilisiert hat. Bei Patienten mit Eingriffen, die nur einen geringen Stress verursachen, z. B. eine Katarakt-OP, zeigt der Metabolismus postoperativ meist keine große Änderung gegenüber dem präoperativen Zustand. Auffällig ist, dass im Bereich der Augenklinik, wo viele Patienten mit schlecht eingestelltem Diabetes operiert werden, die perioperative Komplikationsrate gering ist. Ursache dafür ist sehr wahrscheinlich die geringe Invasivität des operativen Eingriffs.
Therapieführung auf einer Intensivstation
Bei parenteraler Ernährung
  • Blutglukoseeinstellung mit Zielwerten zwischen 80 und 120 mg/dl (4,5–6,6 mmol/l) nur, wenn eine engmaschige Kontrolle möglich ist, damit Hypoglykämien verhindert werden können, sonst eher 110–150 mg/dl [29].
  • Bei Patienten mit Typ-2-DM sollten Interventionen ab Blutzuckerwerten >110 mg/dl (6,1 mmol/l) durch kontinuierliche i.v.-Gabe über eine Spritzenpumpe mit Insulin vorgenommen werden (Tab. 3). Bei Typ-1- und Typ-IIIc-DM muss kontinuierlich Insulin verabreicht werden, um einer Hyperglykämie vorzubeugen, aber auch Glukose, um eine Hypoglykämie zu vermeiden.
    Tab. 3
    Insulinperfusor: Titrationsalgorithmus für die intensivierte Insulintherapie bei Intensivpatienten (Nach: [6])
    Insulin
    50 IE Normalinsulin 50 ml NaCl 0,9 %
    Applikation
    Kontinuierliche Infusion, max. 50 IE/h
    Zusätzlich
    Kontinuierliche Infusion glukosehaltiger Lösungen
  • Die enterale Ernährung sollte so früh wie möglich beginnen.
  • Bei stabilem AZ und oraler Nahrungsaufnahme ist die Umstellung auf s.c.-Insulin möglich (wichtig: kurzzeitige Überlappung von Pefusorinsulin und s.c.-Insulin).
  • Bei Intensivpatienten sollten keine oralen Antidiabetika gegeben werden.
  • Bei Patienten mit Typ-1- oder pankreoprivem Diabetes muss mehrfach pro Tag das Urinaceton gemessen bzw. eine BGA-Kontrolle durchgeführt werden (Ketoazidosegefahr).
Bei enteraler Ernährung
  • Über Sonden ernährte Patienten sollten mit einem Insulinperfusor therapiert werden.
  • Bei oraler Nahrungsaufnahme ist die Umstellung auf s.c.-Gabe möglich.
Umstellung auf eine funktionelle Insulintherapie bei Umstellung auf orale Kost bzw. bei Verlegung des Patienten von der Intensivstation
1.
Basisbedarf mit NPH-Insulin abdecken
  • Cave: Häufig wird bei der Verlegung des Patienten auf eine Normalstation auf der Intensivtherapiestation der Insulinperfusor abgestellt, auf der Allgemeinstation das NPH-Insulin dann vergessen und erst mit einer Verzögerung von mehreren Stunden appliziert (Insulinücke!).
  • Abschätzung des Basisbedarfs: 1 IE/h = 24 IE/Tag; entsprechend 12–0–0–12 IE NPH-Insulin.
 
2.
Prandialer Bedarf
  • 1 IE Normalinsulin pro gegessener BE (10 g Kohlenhydrate).
 
Auf die Gefahren einer Hypoglykämie mit deutlich erhöhter Morbidität und Mortalität unter dieser Therapie ist in vielen Publikationen hingewiesen worden. Die Kontrollen müssen deshalb, wenn man nach diesem Schema vorgeht, sehr engmaschig erfolgen. Die Literatur zeigt, dass dies leider auch in personell gut ausgestatteten Schwerpunktkrankenhäusern nicht selbstverständlich ist. Daher wird, um die Hypoglykämiegefahr zu minimieren, heute vielfach empfohlen, einen Zielwert zwischen 120–180 mg/dl (6,6–10 mmol/l) anzustreben.
Intensivierte Insulintherapie zur initialen Blutglukosesenkung (nach: [26])
  • Start mit 2 IE/h, wenn Glukose >110 mg/dl, Start mit 4 IE/h bei Blutglukose >220 mg/dl
  • Steigerung um 1–2 IE/h, wenn Blutglukose bei nächster Messung >140 mg/dl
  • Steigerung um 0,5–1 IE/h, wenn Blutglukose bei nächster Messung 121–140 mg/dl
  • Steigerung um 0,1–0,5 IE/h, wenn Blutglukose bei nächster Messung 111–120 mg/dl
  • Fortsetzung mit gleicher Dosis, wenn Blutglukose bei nächster Messung 81–110 mg/dl
Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 kommt es innerhalb weniger Stunden zu einer Ketoazidose, wenn kein Insulin zugeführt wird. Eine vermutete Ketoazidose muss umgehend laborchemisch diagnostiziert werden. Bei hohem Blutzuckerspiegel und Aceton im Urin muss automatisch eine Blutgasanalyse erfolgen. Aceton im Urin impliziert eine laufende Lipolyse durch Insulinmangel und damit eine vitale Gefährdung des Patienten.

Schwangerschaftsdiabetes

Inzidenz und Pathophysiologie

Ein Diabetes mellitus stellt in jeder Phase der Schwangerschaft und Geburt ein erhöhtes Risiko für Mutter und Kind dar. Unerkannt oder unbehandelt erhöht er die Abort und Organfehlbildungsrate. Etwa 1–3 % aller Schwangerschaften sind betroffen. Das anästhesiologische Vorgehen muss eng mit den Geburtshelfern abgestimmt werden. Bei den Patientinnen ist die Vermeidung von Schmerz und Stress besonders wichtig, um eine Stimulation des sympathoadrenergen Systems zu vermeiden. Eine rechtzeitig und adäquat durchgeführte Periduralanästhesie kann hierzu erheblich beitragen. Hyperglykämien der Mutter stimulieren die Insulinausschüttung beim Kind und können so – über eine postpartale Hypoglykämie – das Neugeborene gefährden.

Vorgehen unter der Geburt

Unter der Geburt sollten Blutglukosezielwerte von 70–110 mg/dl (3,9–6,2 mmol/l) angestrebt werden [26].
Elektive Entbindung
Bei Risikoschwangerschaften sollte eine Empfehlung zur Entbindung in Perinatalzentrum erfolgen. Folgendes Vorgehen ist ratsam:
  • Am Abend zuvor die übliche Menge Verzögerungsinsulin,
  • Ca. \( \raisebox{1ex}{$1$}\!\left/ \!\raisebox{-1ex}{$3$}\right. \) der Verzögerungsinsulindosis am Morgen der Entbindung,
  • Pumpenbasalrate bei Insulinpumpenpatientinnen auf \( \raisebox{1ex}{$1$}\!\left/ \!\raisebox{-1ex}{$3$}\right. \) reduzieren,
  • stündliche Blutglukosemessungen zwingend durchführen.
Wehenbeginn
  • Infusion von 100 ml/h Glukose 5 %
  • Bei Blutglukosewerten >140 mg/dl (7,8 mmol/l):
    • 2–4 IE Normalinsulin in 2- bis 4-stündlichen Abständen injizieren (Cave: Akkumulationsgefahr → Hypoglykämie)
    • oder
    • als Bolus über die Insulinpumpe verabreichen, bis Blutglukosewerte von etwa 70–110 mg/dl (3,9–6,2 mmol/l) erreicht sind.
  • Bei Blutglukosewerten <60 mg/dl (3,3 mmol/l):
    • Infusionsrate an Glukose mindestens verdoppeln und in kurzen Abständen nachkontrollieren
  • Alternativ: Anwendung eines Insulinperfusors
Geplante Sectio
  • Infusion von 1–2 IE/h Insulin über Perfusor (Perfusor mit 50 IE Insulin/50 ml NaCl 0,9 %).
  • Begleitend sollen 100 ml/h Glukose 5 % gegeben werden.
  • Orientierende Insulindosierung i.v. wie Tab. 4 angegeben.
    Tab. 4
    Insulindosierung bei geplanter Sectio
    Blutglukosewert in mg/dl (mmol)
    Perfusor mit 50 IE Normalinsulin auf 50 ml NaCl 0,9 %
    ≤70 (≤3,9)
    -
    71–140 (>3,9–5,6)
    0,5 ml/h
    101–140 (5,6–7,8)
    1 ml/h
    141–180 (7,8–10)
    1,5 ml/h
    181–220 (10–12,2)
    2 ml/h
    >220 (>12,2)
    2,5 ml/h
Nach der Sectio muss der Insulinperfusor sofort abgestellt werden, da unmittelbar nach der Geburt der Insulinbedarf rasch und stark absinkt.

Postpartale Versorgung

Beim Gestationsdiabetes benötigen die meisten Patientinnen nach Geburt keine Insulintherapie. Falls noch Insulinbedarf besteht, sollte eine Reduktion auf 30–50 % der pränatalen Dosis erfolgen.
Bei Patientinnen mit Diabetes mellitus vor der Schwangerschaft sollte die Therapie mit 80 % der präkonzeptionellen Dosis fortgeführt werden. Postpartal muss der Blutzuckerspiegel engmaschig kontrolliert werden (Hypoglykämiegefahr!). Haben die Patientinnen bislang eine Insulinpumpentherapie erhalten, sollte die Basalrate nach der Geburt auf 30–50 % abgesenkt werden.
Frauen mit einem Gestationsdiabetes haben nach der Schwangerschaft im weiteren Leben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes Typ 2 [30].
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