Eine lageunabhängige Hypotonie, häufig mit orthostatischer Verstärkung, tritt typischerweise auf bei chronischen Volumenmangelzuständen wie chronischer Diarrhö, Erbrechen, vermindertem Durstgefühl,
Anorexia nervosa,
Diabetes insipidus, primärer und sekundärer
Nebennierenrindeninsuffizienz, osmotischer Diurese bei
Diabetes mellitus. Kardiale Erkrankungen mit Hypotonie können u. a. die höhergradige
Herzinsuffizienz, Tachyarrhythmien, die
Aortenklappenstenose, die hypertrophe obstruktive
Kardiomyopathie, die
Mitralstenose, die
pulmonale Hypertonie, Perikarderkrankungen sowie diastolische Funktionsstörungen sein.
Sympathikotone OH-Formen
Für die sympathikotone orthostatische Hypotonie
ist ursächlich von einer unzureichenden venösen und/oder arteriellen Vasokonstriktion sowie einer relativen
Hypovolämie auszugehen. Die genaue Pathogenese ist ungeklärt, jedoch sicherlich heterogen. Möglicherweise besteht eine partielle sympathische Denervation der Nieren und der unteren Extremitäten mit hierdurch bedingter Regulationsstörung des peripheren Gefäßwiderstands. Folgen sind eine inadäquat geringe Vasokonstriktion der Extremitäten und eine Hyporeninämie mit relativer Hypovolämie. Eine mögliche weitere Ursache einer sympathikotonen orthostatischen Hypotonie ist eine gestörte neuronale Noradrenalinwiederaufnahme infolge einer Mutation im Noradrenalin-Transportergen.
Die konstitutionelle Hypotonie ist von geringem Krankheitswert und tritt üblicherweise bei jungen Menschen (überwiegend Frauen) mit schlankem Körperbau auf.
Eine Sonderform der orthostatischen Intoleranz stellt das
„postural orthostatic tachycardia syndrome“ (POTS) dar
. Hiervon sind weit überwiegend Frauen betroffen (80 %), zumeist nach immunologischen Triggersituationen wie Virusinfekt, Schwangerschaft, Trauma, Operationen, Stresssituationen (Fedorowski
2019). POTS wird definiert als Herzfrequenzanstieg innerhalb der ersten 10 min nach Stehen um >30 Schläge/min bzw. Herzfrequenz über 120/min mit Symptomen wie Benommenheit, Schwäche,
Sehstörungen, Palpitationen. Eine relevante orthostatische Hypotonie tritt jedoch
nicht ein. Allerdings können reaktiv vasovagale Reflexsynkopen auftreten. Dyspnoe und thorakale Missempfindungen können vorkommen. Häufig sind nichtkardiovaskuläre Zusatzsymptome wie Leistungsschwäche, Chronic-Fatigue-Syndrom,
Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen,
Schlafstörungen, Muskelschwäche und
-schmerzen, Übelkeit, gastrointestinale Motilitätsstörungen, Hyperventilation, Störungen der Schweißregulation, Blässe oder transiente Hautrötungen. Die Pathogenese ist ungeklärt, es scheinen jedoch drei Spielformen aufzutreten: autoimmune Form, hyperadrenerge Form mit Katecholaminexzess, und periphere Sympathikusdenervation mit inadäquater Vasodilatation und zentraler
Hypovolämie (Fedorowski
2019).
Asympathikotone OH-Formen
Eine asympathikotone orthostatische Hypotonie
– auch als neurogene orthostatische Hypotonie bei autonomer Dysfunktion
bezeichnet – findet sich bei Erkrankungen des peripheren und/oder des zentralen autonomen Nervensystems mit oder ohne Beteiligung anderer zentralvenöser Systeme oder des peripheren somatischen Nervensystems (Freeman et al.
2018).
Die idiopathische orthostatische Hypotonie
(IOH) (Synonym: „pure autonomic failure“, PAF, Bradbury-Egglestone-Syndrom
) und die unterschiedlichen Formen der
multiplen Systematrophie (MSA) sind klassische Ursachen einer autonom-neurogenen orthostatischen Hypotonie. Zahlenmäßig häufiger tritt jedoch eine autonome Dysfunktion im Rahmen zerebraler Erkrankungen (z. B.
Morbus Parkinson,
Lewy-Body-Demenz, zerebrovaskuläre Insuffizienz, Hirnstammläsionen,
multiple Sklerose) oder peripherer autonomer und sensomotorischer Neuropathien (z. B.
Diabetes mellitus, Urämie, Amyloidose,
Toxine) auf.
Bei der idiopathischen OH (IOH, PAF) besteht führend eine Degeneration der postganglionären, zweiten efferenten, autonomen Neurone. Die Erkrankung befällt überwiegend Männer des mittleren und des höheren Lebensalters (jenseits des 40. Lebensjahres). Aufgrund einer Degeneration des zweiten Neurons findet sich in Ruhe ein stark erniedrigter Plasmanoradrenalinspiegel, der im Stehen nicht ansteigt. Die Empfindlichkeit der Erfolgsorgane gegenüber exogen zugeführten α- und β-Sympathomimetika ist erhöht. Als Zeichen intakter parasympathischer Afferenzen und zentraler autonomer Bahnen findet sich bei der idiopathischen orthostatischen Hypotonie typischerweise ein Anstieg des Vasopressinplasmaspiegels im Stehen.
Bei der
multiplen Systematrophie (MSA) handelt
es sich um eine Degeneration autonomer und nichtautonomer Strukturen des zentralen Nervensystems. Infolge der Beteiligung zerebellärer, extrapyramidaler, kortikospinaler und kortikobulbärer Strukturen finden sich zusätzlich zu den Symptomen der autonomen Dysfunktion z. B. Zeichen eines
Morbus Parkinson, einer
Lewy-Body-Demenz, einer Ataxie oder Pyramidenbahnzeichen. Bisweilen ist jedoch die autonome Dysfunktion alleiniges Erstsymptom. Das postganglionäre autonome Nervensystem ist intakt, jedoch dezentralisiert. Die Plasmanoradrenalinspiegel sind typischerweise in Ruhe normal oder weniger vermindert als bei der IOH. Aufgrund der defekten, zentralen autonomen Bahnen ist im Stehen kein Anstieg des Vasopressinplasmaspiegels zu verzeichnen. Es besteht auch hier eine Hypersensitivität der Erfolgsorgane gegenüber Sympathomimetika. Die Erkrankung tritt typischerweise im mittleren und im höheren Lebensalter, gehäuft bei Männern, auf. Der Verlauf ist langsam progredient mit sehr ernster Prognose. Laryngospasmus, Aspirationspneumonie oder Atemregulationsstörungen sind häufige Todesursachen.
Beim Baroreflexversagen, das nicht mit der autonomen Dysfunktion verwechselt werden darf, handelt es sich um extreme, gleichsinnige Blutdruck- und Herzfrequenzschwankungen infolge einer ungedämpften, efferenten, sympathischen autonomen Aktivität. Pathogenetisch werden defekte inhibitorische Barorezeptorafferenzen sämtlicher Barorezeptoren bei völlig erhaltenen Baroreflexefferenzen angenommen. Krankheitsbilder, bei denen eine Baroreflexdysfunktion beobachtet wurde, umfassen eine beidseitige Halsradiatio und/oder Neck Dissection bei Pharynxkarzinom, bilaterale Läsionen des Nucleus tractus solitarii im Hirnstamm (z. B. bei Insult, Trauma oder Tumor) sowie beidseitige Nervus-glossopharyngeus- und Nervus-vagus-Läsionen. Führende Symptome der Patienten sind simultane, schwerste, krisenhafte Blutdruck- und Frequenzanstiege im Wechsel mit simultaner Hypotonie und Bradykardie. Als therapeutisch hilfreich gilt der zentrale α-Adrenozeptoragonist Clonidin aufgrund seines dämpfenden Effektes auf die Sympathikusaktivität.
Bei Erkrankungen mit
autonomer und sensomotorischer Polyneuropathie, z. B.
Diabetes mellitus, ist die orthostatische Hypotonie
eher eine Spätmanifestation. Häufiger finden sich Gastroparese, Diarrhö, Hypohidrose, fehlende Herzfrequenzvariabilität, Impotenz und
Blasenfunktionsstörungen als Zeichen der autonomen Neuropathie. Zusätzlich besteht obligat eine sensomotorische
Polyneuropathie. Eine orthostatische Hypotonie beim Diabetiker muss als prognostisch sehr ernst gewertet werden. Bei den verschiedenen
Amyloidosen geht der Entwicklung einer möglichen sensomotorischen Polyneuropathie häufig eine autonome Neuropathie mit entsprechender Symptomatik voraus. Im Rahmen der
chronischen Niereninsuffizienz kann neben der sensomotorischen eine autonome Neuropathie mit entsprechender Symptomatik in den Vordergrund treten.
Eine postprandiale Hypotonie wird durch Nahrungsaufnahme, insbesondere kohlenhydratreiche Mahlzeiten, ausgelöst. Zugrunde liegend ist wahrscheinlich eine für das Ausmaß des venösen Poolings im Splanchnikusgebiet sowie für die durch Freisetzung vasoaktiver gastrointestinaler Peptide induzierte Vasodilatation inadäquat niedrige, kompensatorische Sympathikusaktivierung im Sinne einer unzureichenden peripheren Vasokonstriktion.