Primäre IgA-Nephropathie
Die „Vier-Hit-Hypothese“ postuliert, dass eine Abfolge von vier Ereignissen eintreten muss, damit sich eine klinisch signifikante Krankheit entwickelt: Hit 1 – Erhöhte Präsenz von IgA1-Molekülen mit reduzierter O-Galaktosylierung der IgA1-Scharnierregion (Gd-IgA1) im Blutkreislauf. Hit 2 – Produktion von IgG- und IgA-Autoantikörpern, die Gd-IgA1 erkennen. Hit 3 – Bildung von zirkulierenden
Immunkomplexen mit an Gd-IgA1 gebundenen IgG- und IgA-Autoantikörpern. Hit 4 – Ablagerung dieser zirkulierenden Immunkomplexe im glomerulären Mesangium, wodurch eine Nierenschädigung ausgelöst wird.
Bestimmte Umweltfaktoren können ebenfalls zur Pathogenese beitragen: Die Auslösung einer Makrohämaturie durch eine Schleimhautinfektion bei Patienten mit
IgA-Nephropathie hat zu der Ansicht geführt, dass die mesangiale IgA-Ablagerung durch eine Infektion ausgelöst werden kann. Cytomegalovirus, Haemophilus parainfluenzae, Staphylococcus aureus und
Toxoplasmose wurden damit in Verbindung gebracht. Die IgA-Nephropathie kann auch aus einer dysregulierten IgA-Reaktion der Schleimhäute auf Nahrungsmittelantigene und möglicherweise auf
Antigene des Respirationstrakts resultieren, da seltene Assoziationen zwischen einer IgA-Nephropathie und
Zöliakie bzw.
chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bestehen. Die IgA-Reaktionen der Schleimhäute auf verschiedene orale Antigene, einschließlich solcher, die in Lebensmitteln und Impfstoffen enthalten sind, sind bei Patienten mit IgA-Nephropathie im Vergleich zu den Reaktionen gesunder Personen erhöht. Die Rolle des
Mikrobioms der Darmschleimhaut bei IgA-Nephropathie stößt auf zunehmendes Interesse. Das Darmmikrobiom steht in ständiger Kommunikation mit den darmassoziierten lymphatischen Geweben und moduliert die IgA-Reaktionen der Darmschleimhaut, um eine mukosale Mikroumgebung aufrechtzuerhalten, die für die Mikrobiota günstig ist. Möglicherweise ist eine
Dysbiose der Darmschleimhaut einer der Faktoren, die für eine gestörte mukosale IgA-Synthese und einen Anstieg des zirkulierenden Gd-IgA1 bei IgA-Nephropathie verantwortlich sind.
Obwohl die
IgA-Nephropathie als sporadisch auftretende Krankheit gilt, wurden in den Vereinigten Staaten (in Ost-Kentucky) und anderswo seltene familiäre Fälle beschrieben. Es handelt sich offensichtlich um eine genetisch heterogene Entität, die keinen klassischen Mendel’schen Erbgang aufweist, der auf einen einzigen Genort zurückzuführen ist, sondern um eine komplexe polygene Krankheit, die wahrscheinlich sowohl den Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) als auch Nicht-MHC-Suszeptibilitätsallele umfasst.
Patienten mit isolierter Mikrohämaturie, kleiner Proteinurie und normaler glomerulärer Filtrationsrate bedürfen keiner medikamentösen Therapie, sollten jedoch kindernephrologisch überwacht werden. Bei großer Proteinurie (> 500 mg/1,73 m
2 KOF/Tag) müssen Angiotensin-converting-Enzym(ACE)-Inhibitoren oder Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten zum Einsatz kommen, die nicht nur antihypertensiv, sondern auch antiproteinurisch und nephroprotektiv wirken. Der Blutdruck ist möglichst in den mittleren Normbereich einzustellen, um die Progression der Erkrankung zu verlangsamen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion und/oder großer Proteinurie ist zusätzlich eine immunsuppressive Therapie mit oralem Prednison indiziert. Für Patienten, die hoch dosierte
Glukokortikoide nicht vertragen oder nicht erhalten wollen, sind gezielt freigesetztes Budesonid (TRF-Budesonid) oder Mycophenolatmofetil (MMF) eine Alternative. Bei rapid-progredienter Glomerulonephritis mit histologisch nachweisbaren extrakapillär-proliferativen Läsionen (Halbmonden) muss eine intravenöse Methylprednisolonpulstherapie, gegebenenfalls gefolgt von oralem Cyclophosphamid über 3 Monate, erfolgen. Die Prognose ist abhängig vom Ausmaß der histologischen Veränderungen und von einer rechtzeitig einsetzenden Therapie. Eine Tonsillotomie, die nur bei rezidivierender Angina tonsillaris indiziert ist, kann den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen.
Immunglobulin/Immunkomplex-mediierte Glomerulonephritis und C3-Glomerulopathie
Die spezifische Therapie der Immunglobulin/Immunkomplex-mediierten Glomerulonephritis bzw. C3-Glomerulopathie hängt von der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei sekundären Formen kann durch eine antivirale Therapie der Hepatitis eine Besserung der Glomerulonephritis erreicht werden. Standardisierte Therapieempfehlungen für Patienten mit C3-Glomerulopathie fehlen. Bei Patienten mit nichtnephrotischer Proteinurie, normaler Nierenfunktion und normalem Blutdruck wird zunächst eine nephroprotektive antiproteinurische Therapie mit einem ACE-Inhibitor durchgeführt. Bei Patienten mit C3-Glomerulapathie und mittelschwerer bis schwerer Erkrankung (Proteinurie ≥ 1,5 g/1,73 m
2 pro Tag) und/oder eingeschränkter Nierenfunktion wird eine Initialtherapie mit Mycophenolatmofetil (MMF) und oralen
Glukokortikoiden empfohlen Bei Patienten, deren Proteinurie oder Nierenfunktion sich nach einer sechsmonatigen MMF-Therapie nicht bessert oder deren Nierenfunktion sich vor Abschluss der sechsmonatigen Therapie rapide verschlechtert, wird unterschiedlich vorgegangen, je nachdem, ob der Patient einen genetischen Defekt des Faktors H oder es Faktor I aufweist. Bei genetischem Defekt wird ein Versuch mit einer Plasmainfusion oder einem Plasmaaustausch empfohlen, anstatt die MMF-Therapie fortzusetzen oder auf ein anderes Immunsuppressivum umzustellen. Bei Patienten, die keinen genetischen Defekt des Faktors H haben, wird die Umstellung auf Eculizumab empfohlen. Neuere Inhibitoren des Komplementfaktors B wie das oral bioverfügbare Iptacopan sind derzeit in klinischer Erprobung.
Bei Immunglobulin/Immunkomplex-mediierter Glomerulonephritis und nephrotischem Syndrom erfolgt zusätzlich die Gabe von oralem Prednison (1 mg/kg KG/Tag über ca. 3 Monate). Von manchen Autoren wird die Kombination von Prednison mit Mycophenolat-Mofetil empfohlen. Bei fehlendem Ansprechen kann auch die Gabe von Cyclophosphamid, Rituximab oder Plasmapherese erwogen werden. Bei rapid-progredienter Glomerulonephritis erfolgt eine intravenöse Methylprednisolonpulstherapie gefolgt von oralem Cyclophosphamid. Neuere Publikationen berichten auch über eine Wirksamkeit des Komplementblockers Eculizumab.
Antibasalmembran-Glomerulonephritis
Die Antibasalmembran-Glomerulonephritis ist im Kindesalter selten. Antiglomeruläre Basalmembranantikörper (Anti-GBM-Antikörper) gegen Kollagen Typ 4 induzieren eine Glomerulonephritis, die sich in der Regel als rapid-progrediente Glomerulonephritis mit glomerulärer Halbmondbildung und linearer Ablagerung von
Antikörpern entlang der glomerulären Basalmembran manifestiert. Bei ca. zwei Dritteln der Patienten besteht zusätzlich eine pulmonale Beteiligung mit hämorrhagischer Pneumonitis im Sinne eines pulmorenalen Syndroms, dem sog.
Goodpasture-Syndrom, da sich die
Autoantikörper auch gegen Kollagen Typ 4 in der alveolären Basalmembran richten können.