Klinisch am relevantesten ist die
chronische Kardiotoxizität nach Anthrazyklinen. Diese führt mit einer zeitlichen Latenz von Monaten bis Jahren nach Ende der Chemotherapie zu einer
Herzinsuffizienz mit progredienter Einschränkung der linksventrikulären Funktion. Hierbei besteht eine enge Korrelation zwischen der verabreichten Kumulativdosis des Anthrazyklins und des Risikos für eine Herzinsuffizienz.
Pathophysiologie
Die Ursachen der anthrazyklininduzierten Kardiotoxizität sind multifaktoriell. Es wird angenommen, dass insbesondere die Entstehung von freien Radikalen und toxischen Metaboliten in Kardiomyozyten zur Toxizität führt. Des Weiteren wurde eine Komplexbildung von myokardialem Aktin und Anthrazyklinen beschrieben.
Ein weiterer molekularer Mechanismus wird in der Bindung von Anthrazyklinmetaboliten an das
Enzym Topoisomerase II-β vermutet (Zhang et al.
2012). Letztlich führen diese verschiedenen myokardialen Schädigungen zur Myokardnekrose und zur Abnahme der linksventrikulären Funktion.
Risikofaktoren
Für die verschiedenen Anthrazyklinderivate sowie das Anthrachinon Mitoxantron sind Schwellen für die Kumulativdosis bekannt, ab denen das Risiko für eine kardiale Schädigung deutlich ansteigt. Jedoch besteht auch unterhalb dieser Schwellendosis bereits ein Risiko für Kardiotoxizität.
So beträgt für Doxorubicin
(Adriamycin
) bei einer Gesamtdosis bis 400 mg/m
2 das Risiko für ein Auftreten einer
Herzinsuffizienz ca. 3 %. Bei weiterer Erhöhung der Kumulativdosis besteht eine exponentielle Erhöhung des Toxizitätsrisikos, ab 700 mg/m
2 tritt z. B. bei 20–45 % aller Patienten eine myokardiale Schädigung auf (Swain et al.
2003).
Folgende Kumulativdosen für die verschiedenen Anthrazykline
bzw. Mitoxantron
gelten allgemein als
maximal applizierbare Dosierung:
-
Daunorubicin: 550–800 mg/m2
-
Doxorubicin: 450–500 mg/m2
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Epirubicin: 800–1000 mg/m2
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Idarubicin: 150–225 mg/m2
-
Mitoxantron: 160–200 mg/m2
Folgende
Prädispositionen erhöhen das Risiko für eine Kardiotoxizität durch Anthrazykline:
-
Vorherige mediastinale Radiatio
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Sehr hohes oder sehr junges Alter
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Nikotinabusus
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Hyperlipidämie
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Arterieller Hypertonus
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Hohe Einzeldosen, Bolusapplikation
-
Kardiologisches Monitoring während einer Anthrazyklintherapie
Die Bestimmung der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LV-EF) mittels Echokardiografie ist vor Therapie mit Anthrazyklinen obligat. Eine bereits prätherapeutisch deutlich eingeschränkte LV-EF (<35 %) stellt eine Kontraindikation gegen eine konventionelle Anthrazyklintherapie dar.
Während der Therapie bzw. ab einer Kumulativdosis von 200 mg/m
2 Doxorubicin sollte eine Verlaufskontrolle erfolgen. Bei Abfall der LV-EF von mehr als 10 % auf <50 % muss von einer anthrazyklinbedingten
Kardiomyopathie ausgegangen werden. Die therapeutischen Konsequenzen eines solchen Befunds sind individuell abhängig von der Situation des betroffenen Patienten (Vorerkrankungen, Alter, Therapiealternativen, Therapieintention etc.)
Zusätzlich zur Echokardiografie kann die Bestimmung der
kardialen Marker Troponin T bzw. Troponin I und proBNP bereits eine subklinische Myokardschädigung detektieren. Für diese Biomarker sind jedoch bisher keine
Messbereiche definiert worden, ab denen eine
Kardiomyopathie definitiv vorliegt, und ihre Aussagekraft ist bei reduzierter Nierenfunktion stark eingeschränkt. Dennoch kann insbesondere bei echokardiografisch unklaren Befunden die Bestimmung dieser Marker hilfreich sein.
Prophylaxe der Kardiotoxizität durch Anthrazykline
Patienten mit Risikofaktoren für die Entwicklung von Kardiotoxizität sollten engmaschig überwacht werden.
Kardiovaskuläre Risikofaktoren (
arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Nikotinabusus) sollten konsequent behandelt werden. Eine Überschreitung der empfohlenen Kumulativdosen für die verschiedenen Anthrazykline sollte unbedingt unterbleiben, daher ist die
applizierte Gesamtdosis genau zu dokumentieren und insbesondere bei Patienten, die mehrere Therapielinien oder verschiedene anthrazyklinhaltige Therapieprotokolle erhalten, zu berücksichtigen.
Verschiedene Pharmaka wurden zur Prophylaxe einer anthrazyklininduzierten
Herzinsuffizienz untersucht. Hierbei zeigte eine Behandlung mit
Betablockern (z. B. Carvedilol) sowie mit
ACE-Hemmern eine signifikante Reduktion der Inzidenz einer Herzinsuffizienz nach anthrazyklinhaltiger Chemotherapie (Bosch et al.
2013). Bei Risikopatienten oder vorbestehenden kardialen Erkrankungen kann daher eine solche präemptive medikamentöse Therapie durchgeführt werden, um das Risiko für Kardiotoxizität zu reduzieren. Eine generelle Prophylaxe bei jeglicher Antrazyklintherapie wird jedoch bisher nicht empfohlen.
Die Bolusgabe von Anthrazyklinen ist mutmaßlich mit einem höheren Risiko für Kardiotoxizität als eine protrahierte Infusion (wie z. B. die 24-stündige Infusion bei Osteosarkom-Protokollen) verbunden, da ein höherer Anthrazyklinspitzenspiegel relevant für die Kardiotoxizität zu sein scheint. Aus diesem Grund ist auch eine wöchentliche Bolusgabe weniger kardiotoxisch als die Gabe der vollen Dosis in dreiwöchentlichem Abstand. Eine Anpassung des Therapieregimes muss aber immer vor dem onkologischen Hintergrund abgewogen werden.
Liposomale oder
pegylierte liposomale Anthrazyklinderivate gehen mit einem signifikant niedrigeren Risiko für Kardiotoxizität einher und sollten bevorzugt bei Patienten mit deutlich erhöhtem Risiko für die Entwicklung einer therapieinduzierten
Kardiomyopathie eingesetzt werden, wenn keine adäquaten Alternativen zu einer Anthrazyklintherapie existieren. Es ist hierbei die unterschiedliche
Pharmakokinetik von konventionellen Anthrazyklinen und den liposomalen Varianten und das hierdurch teils unterschiedliche Nebenwirkungsspektrum zu beachten.
Der Einsatz von Dexrazoxan zur Kardioprotektion stellt keinen Standard dar. Dexrazoxan besitzt chelatbildende Eigenschaften und verhindert die intrazelluläre Radikalbildung. Die Infusion von Dexrazoxan vor Anthrazyklinen kann einer Kardiotoxizität vorbeugen, führt jedoch zu einer Zunahme von Hämatotoxizität. Es existieren widersprüchliche Daten, ob Dexrazoxan die antineoplastische Wirksamkeit einer Chemotherapie reduziert. Daher wird diese Substanz nicht generell zur Kardioprotektion empfohlen. Sie ist am ehesten dann sinnvoll, wenn auf ein Anthrazyklin nicht verzichtet werden kann und die Grenzdosis erreicht worden ist.
Aufgrund der möglichen kumulativen Toxizität einer anthrazyklinhaltigen Therapie in
Kombination mit einer mediastinalen Radiatio sollte die Indikation für eine solche Behandlung streng gestellt werden. So kann z. B. mittels PET-CT-Diagnostik bei Patienten mit
Morbus Hodgkin oder primär mediastinalem B-Zell-Lymphom eine Selektion der Patienten erfolgen, die tatsächlich eine Radiatio zur Tumorkontrolle benötigen.
Die Kombination von Anthrazyklinen mit anderen kardiotoxischen Substanzen ist zu vermeiden, dies gilt z. B. für die simultane Gabe von Anthrazyklinen und Trastuzumab oder Paclitaxel.
Wenn ein therapeutisch ebenbürtiges anthrazyklinfreies Therapieregime verfügbar ist, sollte dies insbesondere bei Risikopatienten einer anthrazyklinhaltigen Therapie vorgezogen werden, da so die Rate an Kardiotoxizität vermindert werden kann. Dies ist beispielsweise in der adjuvanten Therapie des HER-2-positiven
Mammakarzinoms durch das TCH-(Carboplatin/Docetaxel/Trastuzumab-)Protokoll möglich (Slamon et al.
2011).
Therapie der Herzinsuffizienz nach Anthrazyklintherapie
Eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie
mit
ACE-Inhibitoren und
Betablockern ist bei der manifesten anthrazyklininduzierten
Kardiomyopathie wirksam (Cardinale et al.
2015).
Hierbei profitieren insbesondere die Patienten, die innerhalb von 2 Monaten nach Ende der Anthrazyklintherapie mit der Herzinsuffizienztherapie begannen. Bei einem Teil der behandelten Patienten war die kardiale Funktionseinschränkung vollständig reversibel. Wird eine solche
Kardiomyopathie jedoch erst spät behandelt, ist die Wahrscheinlichkeit eines Therapieansprechens deutlich geringer. Bereits bei dem Verdacht auf eine Kardiomyopathie nach Anthrazyklinen sollte daher eine kardiologische Vorstellung und konsequente medikamentöse Therapie erfolgen.