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Kardiale Toxizität antineoplastischer Substanzen

Verfasst von: Winfried Alsdorf, Antonia Beitzen-Heineke, Peter Schmid, Thomas Suter und Carsten Bokemeyer
Akute und chronische kardiale Toxizitäten werden nach Behandlung mit verschiedenen antineoplastischen Substanzen beobachtet. Speziell bei jungen Patienten ist die chronische Kardiotoxizität von hoher Relevanz für die Langzeitprognose sowie Lebensqualität. Die Substanzgruppe der Anthrazykline kann abhängig von der Kumulativdosis zu schweren und potenziell lebensbedrohlichen Kardiomyopathien führen. Eine Beachtung kardiovaskulärer Vorerkrankungen und Risikofaktoren sowie eine Verlaufskontrolle der kardialen Funktion unter einer Therapie mit Anthrazyklinen sind daher essenziell. Eine gleichzeitige Therapie mit anderen kardiotoxischen Substanzen wie beispielsweise dem HER-2-Antikörper Trastuzumab muss vermieden werden. Neben den klassischen Zytostatika wurde Kardiotoxizität auch unter anderem nach Immuncheckpointinhibitoren, verschiedenen Tyrosinkinaseinhibitoren und Proteasominhibitoren (insbesondere Carfilzomib) beobachtet.

Einleitung

Eine Vielzahl antineoplastischer Therapeutika kann zu akuter oder chronischer Kardiotoxizität führen. Diese kann sich in Form einer akuten oder chronischen Kardiomyopathie sowie durch Herzrhythmusstörungen, myokardiale Ischämien oder eine Peri- bzw. Myokarditis manifestieren. Zudem sind kardiovaskuläre Toxizitäten wie eine arterielle oder pulmonale Hypertonie sowie venöse und arterielle Thromboembolien möglich. Die klinisch bedeutendste kardiale Toxizität besteht in der akuten oder chronischen Kardiomyopathie.
Aufgrund der kontinuierlich verbesserten Prognose onkologischer Erkrankungen ist das Auftreten von kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität zunehmend relevant für das Langzeitüberleben von Tumorpatienten. Kardiovaskuläre Ereignisse sind mittlerweile zur zweithäufigsten Todesursache von Patienten mit kurativ behandelter Tumorerkrankung geworden. Dies ist vor allem durch die chronische Kardiotoxizität häufig eingesetzter onkologischer Therapien (z. B. Anthrazykline, mediastinale Radiatio) bedingt. So führte eine solche Therapie in der Langzeitnachbeobachtung von pädiatrischen Patienten zu einem erheblich erhöhten Risiko für das Auftreten einer Kardiomyopathie (Oeffinger et al. 2006).
Daher sollte beim Einsatz potenziell kardiotoxischer Therapien unter der Behandlung als auch in der Nachsorge ein Monitoring hinsichtlich kardialer Nebenwirkungen erfolgen. Kardiovaskuläre Risikofaktoren müssen konsequent behandelt werden, um eine optimale Langzeitprognose für onkologische Patienten zu erreichen.
Das Risiko sowie das Ausmaß der kardialen Schädigung unter onkologischer Therapie hängen dabei von zahlreichen Faktoren ab:
  • Dosierung und Art der Tumortherapie, insbesondere die Kombination von kardiotoxischen Medikamenten mit einer zusätzlichen mediastinalen Radiatio
  • Komorbiditäten (Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus etc.)
  • Vorbestehende kardiovaskuläre Risikofaktoren
Der häufigste Auslöser von Kardiomyopathien ist weiterhin eine Therapie mit Anthrazyklinen. Aufgrund der Vielzahl neu entwickelter und zugelassener medikamentöser Tumortherapien gibt es jedoch mittlerweile auch eine erhebliche Anzahl an anderen Substanzen, die ebenfalls das Risiko für die Entwicklung von Kardiotoxizität besitzen (Tab. 1).

Kardiotoxizität durch Anthrazykline

Anthrazykline sind eine essenzielle Substanzgruppe bei der Therapie verschiedener Tumorerkrankungen (Mammakarzinom, maligne Lymphome, akute Leukämien, Sarkome). Sie können zu akuter als auch zu chronischer Kardiotoxizität führen.
Die akute Kardiotoxizität äußert sich in Herzrhythmusstörungen, meist in Form von Extrasystolen und selbstlimitierten supraventrikulären Tachykardien. Potenziell letale ventrikuläre Tachykardien sind sehr selten. Zur Reduktion des Risikos für diese akute Form der Kardiotoxizität sollten Anthrazykline bei der Verabreichung als intravenöser Bolus fraktioniert über mindestens 10–15 Minuten gegeben werden.
Klinisch am relevantesten ist die chronische Kardiotoxizität nach Anthrazyklinen. Diese führt mit einer zeitlichen Latenz von Monaten bis Jahren nach Ende der Chemotherapie zu einer Herzinsuffizienz mit progredienter Einschränkung der linksventrikulären Funktion. Hierbei besteht eine enge Korrelation zwischen der verabreichten Kumulativdosis des Anthrazyklins und des Risikos für eine Herzinsuffizienz.

Pathophysiologie

Die Ursachen der anthrazyklininduzierten Kardiotoxizität sind multifaktoriell. Es wird angenommen, dass insbesondere die Entstehung von freien Radikalen und toxischen Metaboliten in Kardiomyozyten zur Toxizität führt. Des Weiteren wurde eine Komplexbildung von myokardialem Aktin und Anthrazyklinen beschrieben.
Ein weiterer molekularer Mechanismus wird in der Bindung von Anthrazyklinmetaboliten an das Enzym Topoisomerase II-β vermutet (Zhang et al. 2012). Letztlich führen diese verschiedenen myokardialen Schädigungen zur Myokardnekrose und zur Abnahme der linksventrikulären Funktion.

Risikofaktoren

Für die verschiedenen Anthrazyklinderivate sowie das Anthrachinon Mitoxantron sind Schwellen für die Kumulativdosis bekannt, ab denen das Risiko für eine kardiale Schädigung deutlich ansteigt. Jedoch besteht auch unterhalb dieser Schwellendosis bereits ein Risiko für Kardiotoxizität.
So beträgt für Doxorubicin (Adriamycin) bei einer Gesamtdosis bis 400 mg/m2 das Risiko für ein Auftreten einer Herzinsuffizienz ca. 3 %. Bei weiterer Erhöhung der Kumulativdosis besteht eine exponentielle Erhöhung des Toxizitätsrisikos, ab 700 mg/m2 tritt z. B. bei 20–45 % aller Patienten eine myokardiale Schädigung auf (Swain et al. 2003).
Folgende Kumulativdosen für die verschiedenen Anthrazykline bzw. Mitoxantron gelten allgemein als maximal applizierbare Dosierung:
  • Daunorubicin: 550–800 mg/m2
  • Doxorubicin: 450–500 mg/m2
  • Epirubicin: 800–1000 mg/m2
  • Idarubicin: 150–225 mg/m2
  • Mitoxantron: 160–200 mg/m2
Folgende Prädispositionen erhöhen das Risiko für eine Kardiotoxizität durch Anthrazykline:

Kardiologisches Monitoring während einer Anthrazyklintherapie

Die Bestimmung der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LV-EF) mittels Echokardiografie ist vor Therapie mit Anthrazyklinen obligat. Eine bereits prätherapeutisch deutlich eingeschränkte LV-EF (<35 %) stellt eine Kontraindikation gegen eine konventionelle Anthrazyklintherapie dar.
Während der Therapie bzw. ab einer Kumulativdosis von 200 mg/m2 Doxorubicin sollte eine Verlaufskontrolle erfolgen. Bei Abfall der LV-EF von mehr als 10 % auf <50 % muss von einer anthrazyklinbedingten Kardiomyopathie ausgegangen werden. Die therapeutischen Konsequenzen eines solchen Befunds sind individuell abhängig von der Situation des betroffenen Patienten (Vorerkrankungen, Alter, Therapiealternativen, Therapieintention etc.)
Zusätzlich zur Echokardiografie kann die Bestimmung der kardialen Marker Troponin T bzw. Troponin I und proBNP bereits eine subklinische Myokardschädigung detektieren. Für diese Biomarker sind jedoch bisher keine Messbereiche definiert worden, ab denen eine Kardiomyopathie definitiv vorliegt, und ihre Aussagekraft ist bei reduzierter Nierenfunktion stark eingeschränkt. Dennoch kann insbesondere bei echokardiografisch unklaren Befunden die Bestimmung dieser Marker hilfreich sein.

Prophylaxe der Kardiotoxizität durch Anthrazykline

Patienten mit Risikofaktoren für die Entwicklung von Kardiotoxizität sollten engmaschig überwacht werden. Kardiovaskuläre Risikofaktoren (arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Nikotinabusus) sollten konsequent behandelt werden. Eine Überschreitung der empfohlenen Kumulativdosen für die verschiedenen Anthrazykline sollte unbedingt unterbleiben, daher ist die applizierte Gesamtdosis genau zu dokumentieren und insbesondere bei Patienten, die mehrere Therapielinien oder verschiedene anthrazyklinhaltige Therapieprotokolle erhalten, zu berücksichtigen.
Verschiedene Pharmaka wurden zur Prophylaxe einer anthrazyklininduzierten Herzinsuffizienz untersucht. Hierbei zeigte eine Behandlung mit Betablockern (z. B. Carvedilol) sowie mit ACE-Hemmern eine signifikante Reduktion der Inzidenz einer Herzinsuffizienz nach anthrazyklinhaltiger Chemotherapie (Bosch et al. 2013). Bei Risikopatienten oder vorbestehenden kardialen Erkrankungen kann daher eine solche präemptive medikamentöse Therapie durchgeführt werden, um das Risiko für Kardiotoxizität zu reduzieren. Eine generelle Prophylaxe bei jeglicher Antrazyklintherapie wird jedoch bisher nicht empfohlen.
Die Bolusgabe von Anthrazyklinen ist mutmaßlich mit einem höheren Risiko für Kardiotoxizität als eine protrahierte Infusion (wie z. B. die 24-stündige Infusion bei Osteosarkom-Protokollen) verbunden, da ein höherer Anthrazyklinspitzenspiegel relevant für die Kardiotoxizität zu sein scheint. Aus diesem Grund ist auch eine wöchentliche Bolusgabe weniger kardiotoxisch als die Gabe der vollen Dosis in dreiwöchentlichem Abstand. Eine Anpassung des Therapieregimes muss aber immer vor dem onkologischen Hintergrund abgewogen werden.
Liposomale oder pegylierte liposomale Anthrazyklinderivate gehen mit einem signifikant niedrigeren Risiko für Kardiotoxizität einher und sollten bevorzugt bei Patienten mit deutlich erhöhtem Risiko für die Entwicklung einer therapieinduzierten Kardiomyopathie eingesetzt werden, wenn keine adäquaten Alternativen zu einer Anthrazyklintherapie existieren. Es ist hierbei die unterschiedliche Pharmakokinetik von konventionellen Anthrazyklinen und den liposomalen Varianten und das hierdurch teils unterschiedliche Nebenwirkungsspektrum zu beachten.
Der Einsatz von Dexrazoxan zur Kardioprotektion stellt keinen Standard dar. Dexrazoxan besitzt chelatbildende Eigenschaften und verhindert die intrazelluläre Radikalbildung. Die Infusion von Dexrazoxan vor Anthrazyklinen kann einer Kardiotoxizität vorbeugen, führt jedoch zu einer Zunahme von Hämatotoxizität. Es existieren widersprüchliche Daten, ob Dexrazoxan die antineoplastische Wirksamkeit einer Chemotherapie reduziert. Daher wird diese Substanz nicht generell zur Kardioprotektion empfohlen. Sie ist am ehesten dann sinnvoll, wenn auf ein Anthrazyklin nicht verzichtet werden kann und die Grenzdosis erreicht worden ist.
Aufgrund der möglichen kumulativen Toxizität einer anthrazyklinhaltigen Therapie in Kombination mit einer mediastinalen Radiatio sollte die Indikation für eine solche Behandlung streng gestellt werden. So kann z. B. mittels PET-CT-Diagnostik bei Patienten mit Morbus Hodgkin oder primär mediastinalem B-Zell-Lymphom eine Selektion der Patienten erfolgen, die tatsächlich eine Radiatio zur Tumorkontrolle benötigen.
Die Kombination von Anthrazyklinen mit anderen kardiotoxischen Substanzen ist zu vermeiden, dies gilt z. B. für die simultane Gabe von Anthrazyklinen und Trastuzumab oder Paclitaxel.
Wenn ein therapeutisch ebenbürtiges anthrazyklinfreies Therapieregime verfügbar ist, sollte dies insbesondere bei Risikopatienten einer anthrazyklinhaltigen Therapie vorgezogen werden, da so die Rate an Kardiotoxizität vermindert werden kann. Dies ist beispielsweise in der adjuvanten Therapie des HER-2-positiven Mammakarzinoms durch das TCH-(Carboplatin/Docetaxel/Trastuzumab-)Protokoll möglich (Slamon et al. 2011).

Therapie der Herzinsuffizienz nach Anthrazyklintherapie

Eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie mit ACE-Inhibitoren und Betablockern ist bei der manifesten anthrazyklininduzierten Kardiomyopathie wirksam (Cardinale et al. 2015).
Hierbei profitieren insbesondere die Patienten, die innerhalb von 2 Monaten nach Ende der Anthrazyklintherapie mit der Herzinsuffizienztherapie begannen. Bei einem Teil der behandelten Patienten war die kardiale Funktionseinschränkung vollständig reversibel. Wird eine solche Kardiomyopathie jedoch erst spät behandelt, ist die Wahrscheinlichkeit eines Therapieansprechens deutlich geringer. Bereits bei dem Verdacht auf eine Kardiomyopathie nach Anthrazyklinen sollte daher eine kardiologische Vorstellung und konsequente medikamentöse Therapie erfolgen.

Kardiotoxizität weiterer antineoplastischer Substanzen

Cyclophosphamid (bei Hochdosistherapie)
Hoch dosiertes Cyclophosphamid (Einzeldosis >100 mg/kg KG), das bei der Konditionierung vor einer allogenen Stammzelltransplantation eingesetzt wird, kann zu schwerwiegender akuter Herzinsuffizienz führen. Ferner sind hämorrhagische Myokarditiden mit letalen Verläufen beschrieben (Braverman et al. 1991).
Ifosfamid
Für hoch dosiertes Ifosfamid (>12 g/m2 pro Behandlungszyklus) ist eine erhöhte Rate (ca. 15–20 %) an linksventrikulärer Dysfunktion und Arrhythmien beschrieben (Quezado et al. 1993). Bei niedrigeren Dosierungen besteht kein erhöhtes Risiko für Kardiotoxizität.
Fluoropyrimidine
Unter Therapie mit Fluoropyrimidinen (5-Fluorouracil, Capecitabin) kann ein Vasospasmus der Koronargefäße auftreten. Dies kann zu einer klinischen Präsentation wie bei einem akuten Koronarsyndrom mit einer kurzzeitigen und reversiblen myokardialen Ischämie führen. Diese Toxizität tritt insbesondere bei der Dauerinfusion und seltener bei einer Bolusgabe auf. Selten kann die Therapie mit Fluoropyrimidinen auch einen Myokardinfarkt auslösen.
In Einzelfällen kann die intravenöse Gabe von Nitroglycerin mittels Perfusor parallel zu einer 5-FU-Therapie Koronarspasmen vermeiden. Des Weiteren ist eine Prophylaxe von Koronarspasmen mit Calciumantagonisten möglich (Clasen et al. 2017).
Eine vorbekannte unbehandelte bzw. symptomatische koronare Herzerkrankung stellt eine relative Kontraindikation gegen eine Therapie mit Fluoropyrimidinen dar.
Paclitaxel
Unter Paclitaxel können meist asymptomatische und nicht interventionsbedürftige Bradykardien auftreten. In Kombination mit Anthrazyklinen ist das Risiko einer Kardiomyopathie erhöht, da Paclitaxel die Elimination von Anthrazyklinen verzögern kann (Holmes et al. 2001). Daher wird Paclitaxel nicht parallel zu Anthrazyklinen, sondern sequenziell nach Abschluss der Anthrazyklintherapie eingesetzt. Das Risiko für diese pharmakokinetische Interaktion ist für Docetaxel geringer, sodass dieses Taxan prinzipiell simultan mit Anthrazyklinen verabreicht werden kann.
Cisplatin
Sehr selten ist für Cisplatin eine akute Kardiotoxizität beschrieben. Bei kardial vorerkrankten Patienten kann eine Cisplatintherapie kontraindiziert sein, wenn aufgrund einer Herzinsuffizienz oder eines Klappenvitiums die für Cisplatin notwendige Volumengabe nicht möglich ist.
Bei Patienten mit Keimzelltumoren und stattgehabter cisplatinhaltiger Kombinationschemotherapie wurde ein langfristig erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse beschrieben (Haugnes et al. 2010). Im Rahmen der Tumornachsorge sollten daher auch kardiovaskuläre Risikofaktoren (Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus) bei diesen Patienten untersucht und konsequent therapiert werden. Als weitere akute kardiovaskuläre Toxizität kann Cisplatin arterielle und venöse Thrombosen bzw. Thrombembolien auslösen (Moore et al. 2011). Während der Applikation einer cisplatinhaltigen Chemotherapie bei stationären Patienten sollte daher eine prophylaktische Antikoagulation erfolgen.
Arsentrioxid
Arsentrioxid kann sehr häufig eine QT-Zeit-Verlängerung auslösen und zu letalen Rhythmusstörungen (Torsades-de-pointes-Tachykardie) führen. Daher sollte eine gleichzeitige Applikation von anderen Pharmaka mit dem Risiko einer QT-Zeit-Verlängerung vermieden werden. Die QT-Zeit sollte regelmäßig unter der Therapie (mindestens einmal wöchentlich) kontrolliert werden. Prädisponierend für eine Verlängerung der QT-Zeit sind Hypokaliämie sowie Hypomagnesiämie, daher müssen diese Elektrolyte engmaschig unter der Therapie kontrolliert und substituiert werden.
Proteasominhibitoren
Carfilzomib kann eine Herzinsuffizienz sowie arterielle Hypertonie bis hin zu hypertensiven Krisen auslösen. Die Rate an kardiovaskulären Nebenwirkungen 3. Grades in einer Metaanalyse betrug 8 % (Waxman et al. 2018). Patienten mit kardialen Vorerkrankungen waren hierbei besonders für diese Toxizität prädisponiert. Die kardialen Nebenwirkungen sind dabei mit Ende der Therapie meist reversibel und sprechen auf eine Herzinsuffizienztherapie an. Bortezomib weist ein geringeres Risiko für Kardiotoxizität (kardiovaskuläre Nebenwirkungen 3. Grades 2 %) auf.
Lenalidomid/Pomalidomid
Diese Immunmodulatoren können venöse und arterielle Thromboembolien auslösen. Das Risiko steigt bei gleichzeitiger Gabe von Chemotherapie und/oder Dexamethason deutlich an. Zudem wurde in klinischen Studien ein erhöhtes Risiko für zerebrale und myokardiale Ischämien beobachtet. Je nach Risikoprofil wird eine Thromboseprophylaxe bzw. therapeutische Antikoagulation bei Verwendung dieser Substanzen empfohlen.

Monoklonale Antikörper

Trastuzumab
Die therapeutische Zielstruktur von Trastuzumab (HER2) wird durch Myokardzellen exprimiert und ist für die myokardiale Funktionserhaltung relevant. Trastuzumab verringert dabei insbesondere unter Stressbedingungen wie erhöhter Nachlast oder Ischämie die Kompensationsmechanismen der Kardiomyozyten. Aus diesem Grund kann Trastuzumab zu einer Herzinsuffizienz führen, wobei die Hauptrisikofaktoren eine vorangegangene Therapie mit Anthrazyklinen und vorbestehende kardiale Erkrankungen sind. In den initialen Studien zur Kombinationstherapie mit Anthrazyklinen und Trastuzumab beim metastasierten Mammakarzinom traten intolerabel hohe Raten (bis zu 27 %) an höhergradiger Herzinsuffizienz auf. Durch die Applikation von Trastuzumab nach Anthrazyklinen (sequenzielle Therapie), die Anwendung anthrazyklinfreier Chemotherapieschemata und durch regelmäßiges kardiales Monitoring konnte in darauffolgenden Studien eine deutliche Reduktion kardialer Ereignisse erreicht werden (Inzidenz 0,5–4 %; Ganz et al. 2017).
Die Kardiotoxizität unter Trastuzumab ist dosisunabhängig, tritt typischerweise unter laufender Therapie auf und ist in 60–80 % der Fälle vollständig reversibel. Analog zur Situation bei Anthrazyklinen spricht eine Trastuzumab-induzierte Kardiomyopathie häufig auf eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie mit ACE-Hemmern an.
Ein ähnlich hohes Risiko für eine linksventrikuläre Dysfunktion ist unter den neueren HER2-Inhibitoren Pertuzumab und Lapatinib beschrieben. Die kombinierte HER2-Blockade mit Trastuzumab und Pertuzumab führt dabei nicht zu einer erhöhten Rate an Kardiomyopathien.
VEGF-Antikörper
Durch Antagonisierung des VEGF-Signalwegs durch Substanzen wie Bevacizumab oder Ramucirumab tritt häufig (in ca. 20 %) eine arterielle Hypertonie auf. Selten wurde unter diesen Substanzen die Manifestation einer Herzinsuffizienz beobachtet. Zudem ist das Risiko für venöse und arterielle Thromboembolien inklusive myokardialer und zerebraler Ischämien erhöht (Totzeck et al. 2017).

Immuntherapie

PD-1- undCTLA-4-Blockade
Es existieren Fallberichte über schwere Kardiotoxizität bis hin zu letalem Herzversagen nach Therapie mit Immuncheckpointinhibitoren (Johnson et al. 2016). Die Inzidenz dieser schweren Nebenwirkung scheint unter einer kombinierten Blockade mit PD-1- und CTLA-4-Antikörpern höher als bei einer Monotherapie zu sein. Es wurde über lymphozytäre myokardiale Infiltrate bei Patienten mit einer solchen Toxizität berichtet, was für eine autoimmunbedingte Myokarditis als zugrunde liegenden Pathomechanismus spricht. Risikofaktoren für diese seltenen (Inzidenz unter kombinierter PD-1/CTLA-4-Blockade ca. 0,2–0,3 %) beobachteten Ereignisse sind nicht bekannt.

Tyroskinkinaseinhibitoren

Auch viele Tyrosinkinaseinhibitoren(TKI) weisen relevante kardiovaskuläre Effekte auf, die die Morbidität und Mortalität unter Therapie erhöhen und in die Risiko-Nutzen-Abwägung einer Therapie mit einbezogen werden müssen. Für die Mehrzahl der TKI ist eine Verlängerung der QTc-Zeit beschrieben mit der höchsten Inzidenz unter Vandetanib. Um lebensbedrohliche Arrhythmien zu vermeiden, sind EKG-Kontrollen, Verzicht auf QT-Zeit-verlängernde Komedikation und ein ausgeglichener Elektrolythaushalt wichtig.
VEGF-TKI-Inhibitoren
Unter den TKI gehen VEGF-Inhibitoren mit der höchsten Inzidenz für Kardiotoxizität einher. Diese Substanzklasse verursacht als typische und häufigste Nebenwirkung eine arterielle Hypertonie mit einer Inzidenz von 10–30 %. Pathophysiologisch führen On-Target-Effekte zu Gefäßrarefizierung, einer reduzierten NO- und erhöhten Endothelin-1-Produktion durch Endothelzellen und folglich zu einer Vasokonstriktion. Regelmäßige Blutdruckkontrollen und konsequente antihypertensive Therapie sind daher obligat. Zusätzlich besteht unter VEGF-Rezeptor-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer linksventrikulären Dysfunktion (relatives Risiko um den Faktor 2,7 erhöht; Ghatalia et al. 2015). Für Sunitinib, Sorafenib und Axitinib ist eine erhöhte Inzidenz für eine koronare Herzkrankheit und akutes Koronarsyndrom beschrieben (1,5–3,8 %). Nach Absetzen der Therapie erholt sich die kardiale Funktion zumeist.
BCR-ABL-Inhibitoren
Für CML-Patienten ist aufgrund der langen Therapiedauer und des langen Überlebens das Erkennen von möglichen kardiovaskulären Nebenwirkungen besonders entscheidend, um den Überlebensvorteil nicht durch therapiebedingte erhöhte kardiovaskuläre Mortalität zu mindern. Langzeitstudien zu Imatinib zeigen keine erhöhte Inzidenz für kardiovaskuläre Ereignisse.
Dasatinib kann Pleuraergüsse sowie eine pulmonal-arterielle Hypertonie (bis zu 3 % bei Langzeittherapie) auslösen. Bei Auftreten dieser Nebenwirkungen sollte daher möglichst ein Substanzwechsel erfolgen.
Unter Nilotinib kommt es vermehrt zu Hyperglykämien und Hyperlipidämien. Dies und ein mutmaßlich negativer Effekt auf die Endothelfunktion führte in der ENESTnd-Studie insbesondere bei Patienten mit vorbestehenden kardiovaskulären Risikofaktoren zu einer erhöhten Rate an verschiedenen vaskulären Ereignissen (10–15 % im 6-Jahres-Follow-up) wie Myokardinfarkt, zerebrale Ischämien und teils schweren Fällen von pAVK (Moslehi und Deininger 2015).
Ponatinib zeichnet sich durch ein deutlich erhöhtes Risiko für arterielle thromboembolische Ereignisse aus, die häufig die Koronargefäße (10 % in der PACE-Studie) betreffen. Es werden aber auch periphere und zerebrale arterielle Verschlüsse (je 8 %) sowie kardiale Dekompensationen unter dieser Substanz beobachtet. Außerdem weist die Mehrzahl der Patienten (ca. 70 %) unter Ponatinib einen Blutdruckanstieg auf, der zu dem Risiko für das Auftreten kardialer Ereignisse beiträgt. Das Risiko für Kardiotoxizität steigt mit der Ponatinib-Dosis.
Pathophysiologisch erklärt die potente VEGF-Rezeptor-Inhibition von Ponatinib den Blutdruckanstieg. Die Ursache der anderen vaskulären Effekte von Nilotinib und Ponatinib ist unklar. In Hinblick auf die gute kardiovaskuläre Verträglichkeit von Imatinib erscheinen weitere Off-Target-Effekte jedoch wahrscheinlich. Hieraus ergeben sich insbesondere unter Therapie mit Nilotinib und Ponatinib die Notwendigkeit einer regelmäßigen Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren und deren konsequente Therapie. Direkte kardiotoxische Effekte im Sinne einer Kardiomyopathie sind durch Imatinib, Nilotinib, Dasatinib und Bosutinib nicht beschrieben.
Ibrutinib
Dieser Inhibitor der Bruton’schen Tyrosinkinase kann häufig als kardiale Nebenwirkung zu Vorhofflimmern (bis zu 10–15 % aller behandelten Patienten) führen (Brown et al. 2017).
Bei Auftreten dieser Nebenwirkung und Indikation für eine Antikoagulation im Rahmen des Vorhofflimmerns zur Prophylaxe von Thromboembolien muss zudem das erhöhte Blutungsrisiko unter Ibrutinib (Hemmung der Thrombozytenaggregation) bedacht werden. Selten sind unter Ibrutinib Fälle von plötzlichem Herztod, ventrikulärer Tachykardie oder Herzinsuffizienz beschrieben (Lampson et al. 2017). Die Inzidenz dieser schwerwiegenden Ereignisse scheint bei kardial vorerkrankten Patienten erhöht zu sein, daher sollte bei dieser Population vor Einsatz von Ibrutinib eine kritische Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.
Weitere Kinaseinhibitoren
Unter Crizotinib und Ceritinib sind vermehrt Bradykardien und QT-Zeit-Verlängerungen beschrieben. Unter Trametinib steigt die Inzidenz von Hypertonie und linksventrikulärer Dysfunktion (in 7–11 % Reduktion der LV-EF um ≥10 %).
Tab. 1
Übersicht der kardiovaskulären Toxizität und Inzidenz von Substanzen
Substanz/Substanzklasse
Toxizität
Inzidenz
Anthrazykline (Doxorubicin, Epirubicin, Idarubicin)/Mitoxantron
Rhythmusstörungen, akute und chronische Kardiomyopathie
Kardiomyopathie: 4–50 % (dosisabhängig)
Arsentrioxid
QT-Zeit-Verlängerung, Arrhythmien
Ca. 30–60 %, 2,5 %
Bevacizumab
Ca.10–20 % (Grad 3)/ca. 1,5–4 %
Carfilzomib
Arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz
Ca. 25 %, bis zu 8 %
Cisplatin
KHK, erhöhtes Langzeitrisiko für Myokardinfarkt und Apoplex
Langzeitrisiko 8 % (nach 20 Jahren)
CTLA-4 Antikörper (Ipilimumab etc.)
Autoimmune Myokarditis
In Kombination mit PD-1-AK ca. 0,3 %
Cyclophosphamid
Herzinsuffizienz bei Hochdosistherapie
7–28 %
Dasatinib
Pleuraergüsse, pulmonale Hypertonie (PAH)
PAH: ca. 3 %
Docetaxel
Ödeme, kardiale Dekompensation, Bradykardie
Bradykardie: 1,7 %
Fluoropyrimidine (5-FU, Capecitabin)
Koronarspasmen, akutes Koronarsyndrom
Bis zu 10 % (häufiger bei 5-FU-Dauerinfusion)
Ibrutinib
Vorhofflimmern, plötzlicher Herztod
Ca. 10 %, sehr selten
Nilotinib
pAVK, arterielle Hypertonie, Thrombembolien
pAVK bis zu 30 %
PD-1-/PD-L1 Antikörper (Nivolumab, Pembrolizumab etc.)
Myokarditis
Ca. 0,1 %
Paclitaxel
Bradykardie, Herzinsuffizienz, Arrhythmie
0,5–5 %
Ponatinib
Arterielle Hypertonie, Myokardischämie, Thrombembolien
70 %, bis zu 10 %
Trastuzumab, Pertuzumab, TDM-1, Lapatinib
Herzinsuffizienz
Ca. 0,5–4 %
Vandetanib
QT-Zeit-Verlängerung, Arrhythmien
Bis 35 %
VEGF-TKI (Sunitinib, Sorafenib etc.)
Arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz
20–30 %, 3–15 %
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