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Pädiatrie
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Publiziert am: 15.03.2019

Hereditäre Glomerulopathien

Verfasst von: Stefanie Weber
Unter dem Begriff Glomerulopathie subsumieren sich Erkrankungen der Niere, deren Ursache in einer Störung der Funktion der Nierenkörperchen liegt, die in ihrer Gesamtheit das Filtrationsorgan der Niere darstellen. Leitsymptome sind das Auftreten einer Proteinurie (nephrotisches Syndrom) oder einer Hämaturie und/oder Leukozyturie (nephritisches Syndrom). Die klassische Einteilung in nephrotisch und nephritisch wird nicht von allen Autoren geteilt, ist im klinischen Alltag aber häufig hilfreich. Das nephrotische Syndrom kann weiter unterteilt werden in primäre und sekundäre Formen, wobei die sekundären Formen das Auftreten einer Nephrose im Rahmen anderer Grunderkrankungen umfassen (z. B. immunologisch, metabolisch, infektiologisch, allergologischer oder toxischer Natur). Das primäre nephrotische Syndrom unterteilt sich darüber hinaus in steroidsensible und steroidresistente Formen, je nach Ansprechen auf eine standardisierte Prednisontherapie. Neue Erkenntnisse zeigen, dass viele der ursprünglich als primäre oder idiopathische Glomerulopathien bezeichneten Erkrankungen genetisch determiniert sind. Hierzu zählen das steroidresistente nephrotische Syndrom (SRNS) und das Alport-Syndrom.
Einleitung
Unter dem Begriff Glomerulopathie subsumieren sich Erkrankungen der Niere, deren Ursache in einer Störung der Funktion der Nierenkörperchen liegt, die in ihrer Gesamtheit das Filtrationsorgan der Niere darstellen. Leitsymptome sind das Auftreten einer Proteinurie (nephrotisches Syndrom) oder einer Hämaturie und/oder Leukozyturie (nephritisches Syndrom). Die klassische Einteilung in nephrotisch und nephritisch wird nicht von allen Autoren geteilt, ist im klinischen Alltag aber häufig hilfreich. Das nephrotische Syndrom kann weiter unterteilt werden in primäre und sekundäre Formen, wobei die sekundären Formen das Auftreten einer Nephrose im Rahmen anderer Grunderkrankungen umfassen (z. B. immunologisch, metabolisch, infektiologisch, allergologischer oder toxischer Natur). Das primäre nephrotische Syndrom unterteilt sich darüber hinaus in steroidsensible und steroidresistente Formen, je nach Ansprechen auf eine standardisierte Prednisontherapie.
Neue Erkenntnisse zeigen, dass viele der ursprünglich als primäre oder idiopathische Glomerulopathien bezeichneten Erkrankungen genetisch determiniert sind. Hierzu zählen das steroidresistente nephrotische Syndrom (SRNS) und das Alport-Syndrom.

Primäres/idiopathisches nephrotisches Syndrom

Definition
Das nephrotische Syndrom ist laut der International Study of Kidney Disease in Children (ISKDC) definiert als das Auftreten einer großen Proteinurie (>40 mg/m2/h; entsprechend der Körperoberfläche ca. >1 g/Tag) assoziiert mit einer Hypalbuminämie <25 g/l. Typisch ist das Auftreten von Ödemen, diese sind jedoch, ebenso wie die Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie, kein obligates Kriterium. Initial steht häufig der Verlust von Albumin im Vordergrund (selektive glomeruläre Proteinurie), bei Fortbestand kann es auch zum Verlust höhermolekularer Eiweiße kommen (Immunglobulin G [IgG], Antithrombin III, thyroxinbindendes Globulin und andere), man spricht dann von unselektiver glomerulärer Proteinurie. Eine Quantifizierung der Proteinurie erfolgt am genauesten über die Sammlung eines 24-h-Urins, wenn das Alter des Kindes dies erlaubt. Im Alltag bietet die Bestimmung des Eiweiß/Kreatinin-Quotienten aus dem Spontanurin jedoch eine sinnvolle Alternative (Referenzbereich <0,1 mg/mg). Morgendliche (semiquantitative) Urinstix-Untersuchungen sind insbesondere im Rahmen der häuslichen Verlaufskontrollen einzusetzen.
Pathophysiologie
Pathophysiologisch steht der Verlust von Eiweißen über den Urin direkt mit einer Dysfunktion des glomerulären Filters in Zusammenhang. Endothel, glomeruläre Basalmembran (GBM) und die interdigitierenden Fußfortsätze der Podozyten bilden die Hauptstrukturen dieses Filters. Elektronenmikroskopisches Charakteristikum des nephrotischen Syndroms ist eine Abflachung und Verplumpung („Effacement“) der Podozytenfußfortsätze und ein Verschwinden der podozytären Schlitzmembran, einer Struktur, die sich beim Gesunden zwischen den Fußfortsätzen aufspannt und der eine wesentliche Rolle für die glomeruläre Filterfunktion zukommt.
Klinische Symptome
Klinisch manifestiert sich das primäre nephrotische Syndrom durch einen meist plötzlichen Beginn innerhalb weniger Tage mit Auftreten von peripheren Ödemen, die anfänglich insbesondere die abhängigen Körperpartien betreffen (Augenlider, Knöchel, Unterschenkel, bei kleinen Kindern auch im Windelbereich). Bei Fortbestehen können die Ödeme ein drastisches Ausmaß annehmen (Anasarka). Häufig kommt es bei schweren Verläufen zu Wasseransammlungen in Körperhöhlen mit dann entsprechenden Symptomen (Aszites, Pleura-, Perikarderguss). Begleitend können Unwohlsein, Übelkeit und ein allgemeines Krankheitsgefühl auftreten. Unbehandelt kann das nephrotische Syndrom zu schweren Komplikationen führen, die früher die Prognose der betroffenen Kinder limitiert haben. Hierzu zählen besonders das Auftreten von thromboembolischen Ereignissen, bedingt durch Veränderungen im Gerinnungssytem (Antithrombin-III-Mangel) und intravasaler Hypovolämie als Folge der Flüssigkeitsverschiebungen ins Interstitium. Bei ausgeprägtem intravasalen Volumenmangel kann ein hypovolämischer Schock resultieren. Weitere Komplikation umfassen Infektneigung, Peritonitis und Sepsis, die unter anderem auf den renalen Verlust von Immunglobulinen zurückzuführen sind.
Therapie
Die Therapie umfasst in der Akutphase eine Einschränkung der Salz- und Flüssigkeitszufuhr, um einer weiteren Zunahme der Ödeme entgegenzuwirken. Albumininfusionen können bei intravasaler Hypovolämie zur Erhöhung des onkotischen Drucks indiziert sein, gegebenenfalls in Kombination mit Furosemid zur Steigerung der Diurese. Begleitende Therapiemaßnahmen sind eine Heparinisierung zur Thromboembolieprophylaxe und gegebenenfalls eine antibiotische Infektionsprophylaxe bei Aszites/Pleura-/Perikarderguss. Zweite Säule der Initialtherapie ist eine standardisierte Steroidtherapie mit Prednison 60 mg/m2 KOF/Tag per os über 6 Wochen, dann alternierend 40 mg/m2 KOF/48 h per os über weitere 6 Wochen. Steroidsensible Formen (SSNS), die eine immunologische und vermutlich nichtgenetische Ursache haben, sprechen häufig innerhalb der ersten 14 Tage auf diese Therapie an. Zeigt sich jedoch auch nach 4 Wochen keine Remission der Proteinurie, so handelt es sich definitionsgemäß um ein steroidresistentes nephrotisches Syndrom (SRNS). Die weiteren therapeutischen Maßnahmen sind in diesem Fall abhängig von der Ätiologie und dem klinischen Verlauf. Neben einer antiproteinurischen, antihypertensiven und nephroprotektiven Therapie mit ACE-Inhibitoren muss gegebenenfalls eine Intensivierung der immunsuppressiven Therapie mit Ciclosporin A oder anderen Immunsuppressiva in Erwägung gezogen werden. Das kongenitale nephrotische Syndrom ist immer steroidresistent, hier sollte daher auch keine Initialtherapie mit Prednison erfolgen.

Steroidresistentes nephrotisches Syndrom

Bei primärer Steroidresistenz und Ausschluss einer sekundären Genese des SRNS ist eine genetische Ursache der Erkrankung nicht unwahrscheinlich und sowohl therapeutisch als auch prognostisch von großer Relevanz. Daher sollte Kindern mit SRNS neben einer Nierenbiopsie auch eine genetische Testung angeboten werden. Veränderungen in verschiedenen Genen konnten mit der Manifestation eines SRNS assoziiert werden. Bei kongenitalem nephrotischen Syndrom gelingt ein Mutationsnachweis in nahezu 100 % der Fälle, bei infantilem/juvenilem SRNS in mindestens 20 %. Gemeinsam ist den SRNS-assoziierten Genen, dass sie für Proteine kodieren, die wichtig für die Entwicklung und den strukturellen Aufbau der Podozyten sind. Während die Lichtmikroskopie verschiedenartige Veränderungen in der Nierenhistologie zeigen kann, beginnend mit der Minimal-Change-Nephropathie, der fokal-segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) bis hin zur diffusen mesangialen Sklerose (DMS) u.a., zeigt sich in der Elektronenmikroskopie bei allen Patienten mit SRNS das charakteristische Bild mit einem Effacement der Fußfortsätze.
Hinsichtlich des klinischen Verlaufs lassen sich zwei Gruppen unterscheiden:
  • Störungen der frühen glomerulären Entwicklung, die sich bereits antenatal, unmittelbar nach der Geburt oder in der frühen Kindheit manifestieren und
  • Erkrankungen mit einer späteren Manifestation in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter, typischerweise als Late-onset-FSGS.
In Abhängigkeit vom zugrunde liegenden Gendefekt entwickeln einige Patienten mit SRNS spezifische extrarenale Symptome. Wichtige Krankheitsbilder, die mit einem hereditären nephrotischen Syndrom einhergehen, werden im Folgenden näher erläutert.

Hereditäre Störungen der frühen glomerulären Entwicklung

Kongenitales nephrotisches Syndrom

Das kongenitale nephrotische Syndrom („congenital nephrotic syndrome“, CNS) vom finnischen Typ ist durch einen autosomal-rezessiven Erbgang und das häufig sehr frühe Auftreten einer Proteinurie bereits perinatal charakterisiert. Typischerweise manifestiert sich das kongenitale nephrotische Syndrom als schweres Krankheitsbild vor Ende des 3. Lebensmonats. Rasch kann es postpartal zu massiven Ödemen und Aszites kommen, die Hypoalbuminämie ist ausgeprägt. Sonografisch zeigen sich die Nieren stark vergrößert und hyperechogen. Aufgrund einer primären Steroidresistenz erfolgt die Behandlung rein symptomatisch. Im Vordergrund stehen Salz- und Flüssigkeitsrestriktion, die Anhebung des onkotischen Drucks mittels Albumininfusionen und gegebenenfalls die pharmakologische Intervention mit ACE-Inhibitoren und Indomethacin. Bei nicht beherrschbarer klinischer Symptomatik kommen mitunter die uni- oder bilaterale Nephrektomie zum Einsatz, in deren Folge entsprechend eine Nierenersatztherapie notwendig werden kann. Auch ohne Nephrektomie verschlechtert sich die Nierenfunktion betroffener Kinder häufig rasch.
Ätiologisch liegen dem kongenitalen nephrotischen Syndrom vom finnischen Typ Mutationen in dem Gen NPHS1 zugrunde. NPHS1 kodiert für Nephrin, welches mit seinem extrazellulären Proteinanteil eine wesentliche Komponente der podozytären Schlitzmembran darstellt. Hier bilden die Nephrinstränge Poren, denen eine besondere Rolle für die Größenselektivität der Schlitzmembran und der glomerulären Filtrationsbarriere zugeschrieben wird. Mutationen in NPHS1 wurden zuerst in der finnischen Bevölkerung entdeckt, im Folgenden dann auch bei nichtfinnischen Patienten aus allen Teilen der Welt. Sie sind die Hauptursache für die Manifestation einer kongenitalen Nephrose in den ersten 3 Lebensmonaten.

WT1-assoziierte Erkrankungen

Eine Gruppe von proteinurischen Erkrankungen ist durch genetische Veränderungen des Wilms-Tumor-Suppressorgens (WT1) bedingt. WT1 kodiert für einen Zinkfinger-Transkriptionsfaktor, der die Expression einer Vielzahl von Genen während der Entwicklung der Nieren und des Urogenitaltrakts reguliert. Mutationen in WT1 wurden zunächst bei Kindern nachgewiesen, die von einem Wilms-Tumor, einer Aniridie, urogenitalen Malformationen und einer mentalen Retardierung betroffen waren (WAGR-Syndrom). Die genetischen Veränderungen bei diesen Patienten waren trunkierende Mutationen, assoziiert mit einem kompletten Funktionsverlust von WT1. WT1-Mutationen wurden in der Folge auch bei Patienten mit isoliertem Wilms-Tumor identifiziert und bei Patienten mit Denys-Drash-Syndrom, Frasier-Syndrom und Kindern mit diffuser mesangialer Sklerose mit isoliertem nephrotischem Syndrom.
Denys-Drash-Syndrom
Das Vollbild des autosomal-dominanten Denys-Drash-Syndroms ist durch ein early-onset-nephrotisches Syndrom, einen maskulinen Pseudohermaphroditismus, eine Gonadendysgenesie und die Entwicklung eines Wilms-Tumors (in mehr als 90 %) gekennzeichnet. Der Wilms-Tumor kann der Manifestation des nephrotischen Syndroms vorangehen oder folgen. Der Beginn des nephrotischen Syndroms liegt im Allgemeinen in den ersten Lebensmonaten. In seltenen Fällen lassen sich die vergrößerten, hyperechogenen Nieren bereits pränatal sonografisch nachweisen. Die Nierenhistologie zeigt typischerweise eine DMS und eine Abflachung der Fußfortsätze in der Elektronenmikroskopie. Das nephrotische Syndrom ist steroidresistent und die Nierenfunktion verschlechtert sich rasch bis hin zum terminalen Nierenversagen bereits im (frühen) Kindesalter. Eine bilaterale Nephrektomie wird in diesen Fällen empfohlen, um die Entwicklung eines Wilms-Tumors zu verhindern. Ein Wiederauftreten der Proteinurie nach Nierentransplantation wurde bislang nicht beobachtet.
In fast allen Deny-Drash-Syndrom-Patienten ließen sich dominante Mutationen in WT1 nachweisen. Diese Mutationen betreffen ganz überwiegend die Exone 8 und 9 des WT1-Gens und sind De-novo-Mutationen, die bei den Eltern nicht vorliegen. Interessanterweise zeigen einige Patienten mit WT1-Mutation in Exon 8 oder 9 nicht das Vollbild des Denys-Drash-Syndroms, sondern eine isolierte DMS. Eine WT1-Analyse sollte daher bei allen Kindern mit isolierter DMS und einem early-onset-nephrotischen Syndrom durchgeführt werden, da bei einem positiven Mutationsergebnis das Risiko für einen Wilms-Tumor hoch ist. Engmaschige Ultraschallkontrollen (z. B. alle 3 Monate) sind wichtig bei allen Kindern mit WT1-Mutation. Eine Karyotypisierung wird für alle Mädchen mit isolierter DMS empfohlen, um einen Pseudohermaphroditismus auszuschließen.
Frasier-Syndrom
Das Frasier-Syndrom ist ebenfalls charakterisiert durch eine progressive Glomerulopathie und einen maskulinen Pseudohermaphroditismus, zeigt aber spezifische Unterschiede zum Denys-Drash-Syndrom: die Proteinurie manifestiert sich später in der Kindheit und die Verschlechterung der Nierenfunktion erfolgt langsamer. Ein terminales Nierenversagen entwickelt sich meist erst in der 2. oder 3. Lebensdekade. Wie auch beim Denys-Drash-Syndrom sind Proteinurie und nephrotisches Syndrom steroidresistent. Die Nierenhistologie zeigt jedoch typischerweise eine fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS). 46,XX-Mädchen zeigen eine normale Geschlechtsentwicklung, während eine komplette Feminisierung mit begleitender Gonadendysgenesie bei 46,XY-Patienten beobachtet wird. Eine primäre Amenorrhö zusammen mit einem nephrotischen Syndrom ist eine typische Konstellation bei 46,XY-Patienten und sollte zu einer zügigen molekularen Analyse von WT1 führen. Während das Risiko, einen Wilms-Tumor zu entwickeln, bei Patienten mit Frasier-Syndrom gering ist, entwickeln viele Patienten Gonadoblastome, ausgehend von einer Gonadendysgenesie. Nach der Diagnose eines Frasier-Syndroms in 46,XY-Patienten ist die Entfernung der Gonaden zu empfehlen. WT1-Mutationen, die mit einem Frasier-Syndrom assoziiert sind, sind Donor-splice-site-Mutationen lokalisiert in Intron 9. Ähnlich wie beim Denys-Drash-Syndrom sind dies heterozygote WT1-Mutationen, die häufig de novo auftreten, also bei den Eltern selbst nicht vorliegen. Die Donor-Spleißstelle von Intron 9 spielt eine wichtige Rolle für die Bildung der KTS-Isoform des WT1-Proteins. Diese Isoform enthält 3 zusätzliche Aminosäuren (Lysin [K], Threonin [T], Serin [S]; KTS), und es konnte gezeigt werden, dass das Verhältnis der (+)KTS- und (-)KTS-Proteine eine große Bedeutung für die WT1-Aktivität während der Nieren- und Urogenitalentwicklung hat. Bei Frasier-Syndrom-Patienten ist dieses Verhältnis deutlich reduziert durch das Vorhandensein der Spleiß-Mutationen.

Pierson-Syndrom

Das Pierson-Syndrom ist durch ein kongenitales nephrotisches Syndrom und charakteristische Augenanomalien gekennzeichnet. Es wird autosomal-rezessiv vererbt. Typischerweise findet sich eine auffällige, nichtreaktive Verkleinerung der Pupillen (Mikrokorie, Abb. 1), aber auch andere Linsen- und Hornhautveränderungen. Mutationen in LAMB2 wurden als genetische Ursache dieser seltenen Erkrankung entdeckt. LAMB2 kodiert für das Protein Laminin-β2, das an der Verankerung des Podozyten an der GBM beteiligt ist. Die okuläre Expression von Laminin-β2 ist normalerweise am stärksten in den intraokulären Muskeln ausgeprägt, vereinbar mit der charakteristischen Hypoplasie der Ziliarmuskeln bei Pierson-Patienten. Neurologische Symptome und/oder eine psychomotorische Retardierung sind bei einigen Patienten mit Pierson-Syndrom beschrieben.

Autosomal-rezessives SRNS des Kindesalters

Mutationen in NPHS2 stellen die häufigste Ursache eines hereditären SRNS im Kindesalter dar. NPHS2 kodiert für Podocin, ein membranäres Protein, das auf der Höhe der podozytären Schlitzmembran exprimiert wird und über seine physikalische Interaktion mit Nephrin und CD2AP (Abschn. 2.2) die Schlitzmembran mit dem Podozytenzytoskelett verankert (Abb. 2). Bei Patienten mit rezessiven Mutationen in NPHS2 ist die Bildung der Schlitzmembran gestört, und es zeigt sich die typische Abflachung der Fußfortsätze in der Elektronenmikroskopie. In Abhängigkeit der zugrunde liegenden Mutation kann sich das NPHS2-assoziierte nephrotische Syndrom bereits konnatal, aber auch erst in der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter manifestieren. Typischerweise sind jedoch Klein- und Schulkinder von der Erkrankung betroffen. Die Nierenhistologie zeigt in der Regel eine FSGS, vereinzelt eine Minimal-Change-Nephropathie. In einigen Fällen konnte eine Progression von Minimal-Change-Läsionen bis hin zu einer fokal-segmentale Glomerulosklerose in wiederholten Biopsien demonstriert werden.
Die Prognose des Nierenüberlebens ist bei der NPHS2-assoziierten Erkrankung schlecht. Die Mehrzahl der Betroffenen benötigt eine Nierenersatztherapie noch im Kindesalter. Langzeitstudien haben zeigen können, dass durch eine Intensivierung der Immunsuppression bei hereditärer SRNS-Erkrankung in der Regel keine vollständige Remission der Proteinurie erzielt wird, sodass die therapeutischen Möglichkeiten stark begrenzt sind und sich auf die symptomatische Therapie beschränken. Nach Nierentransplantation ist die Prognose der NPHS2-assoziierten Erkrankung jedoch gut, eine Rekurrenz im Transplantat tritt typischerweise nicht auf. Die nichthereditäre FSGS rekurriert dagegen in bis zu 30 % der Fälle nach Nierentransplantation.
Andere seltene Formen des autosomal-rezessiven SRNS werden durch Mutationen in PLCE1, PTPRO, MYOE1 und zahlreichen anderen Genen verursacht (Tab. 1). Mutationen in Genen, die für Proteine des mitochondrialen Energiestoffwechsels kodieren (COQ2, COQ6, COQ8B/ADCK4), wurden bei Patienten mit SRNS und vereinzelt extrarenalen Symptomen (Innenohrschwerhörigkeit, Kardiomyopathie, Enzephalopathie und anderen) beschrieben. Hier gibt es therapeutische Ansätze durch Verabreichung von Koenzym Q10. Die Liste der Gene für glomeruläre Erkrankungen erweitert sich derzeit kontinuierlich.
Tab. 1
Übersicht über hereditäre glomeruläre Erkrankungen (Auswahl)
Erkrankung
Vererbung
Genort
Gensymbol
Extrarenale Symptome
Frühmanifestes NS
Kongenitales NS/finnischer Typ
AR
19q13
NPHS1
Isolierte DMS
AD
11p13
WT1
Denys-Drash-Syndrom (meist DMS)
AD
11p13
WT1
Pseudohermaphroditismus masculinus, Gonadendysgenesie, Wilms-Tumor
Frasier-Syndrom (meist fokal-segmentale Glomerulosklerose)
AD
11p13
WT1
Pseudohermaphroditismus masculinus, Gonadoblastome
Pierson-Syndrom
AR
3p21
LAMB2
Mikrokorie, zerebrale Symptome, psychomotorische Retardierung
Autosomal-rezessives SRNS
AR
1q25
NPHS2
Seltene Formen des autosomal-rezessiven NS
AR
10q23–q24, 12p13–12, 15q21–22
PLCE1, PTPRO, MYOE1
Mitochondriales steroidresistentes nephrotisches Syndrom mit extrarenalen Symptomen
AR
4q21.22-q21.23, 14q24.3,19q.13.2
COQ2, COQ6, COQ8B/ADCK4
Innenohrschwerhörigkeit, Krampfanfälle, Ataxie, Kardiomyopathie
Spätmanifestes NS/fokal-segmentale Glomerulosklerose
FSGS1
AD/AR
19q13
ACTN4
FSGS2
AD
11q21–22
TRPC6
FSGS3
AD
6p12.3
CD2AP
FSGS5
AD
14q32.33
INF2
Nail-Patella-Syndrom
AD
9q34.1
LMX1B
Nagelhypoplasie, Patelladysplasie, „iliac horns“, Glaukom, Hörminderung
Alport-Syndrom, X-gebunden
X
Xq22.3
COL4A5
Innenohrschwerhörigkeit, Lentikonus, Makulopathie
Alport-Syndrom
AR/selten AD
2q36-37
COL4A3, COL4A4
Innenohrschwerhörigkeit, Lentikonus, Makulopathie
Isolierte familiäre Hämaturie
AD
2q36-37
COL4A3, COL4A4
MYH9-assoziierte Nephropathie
AD
22q12.3
MYH9
Makrothrombozyten, May-Hegglin-Anomalie, Innenohrschwerhörigkeit
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, DMS diffuse mesangiale Sklerose, FSGS fokal-segmentale Glomerulosklerose, NS nephrotisches Syndrom, SRNS steroidresistentes nephrotisches Syndrom, X X-chromosomal

Hereditäre Erkrankungen mit einem späten Beginn des nephrotischen Syndroms

Pathophysiologisch gemeinsam ist den SRNS-Formen mit spätem Beginn vermutlich eine zunehmende Destabilisierung des podozytären Zytoskeletts. Elektronenmikroskopisch zeigt sich dies durch eine progrediente Schädigung der Podozyten mit Abflachung und Verschmelzung der Fußfortsätze.

Autosomal-dominante fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS)

Die Late-onset-Formen der hereditären FSGS-Erkrankung sind insgesamt selten und werden dominant vererbt. Zugrunde liegen ihnen Mutationen in Genen, die für zytoskelettassoziierte Proteine im Podozyten kodieren. Zu diesen gehören ACTN4, CD2AP und INF2 (Tab. 1). Mutationen in diesen Genen scheinen mit der Aufrechterhaltung der Podozytenarchitektur zu interferieren, und eine korrekte Organisation des Zytoskeletts ist für die Funktion der Fußfortsätze von besonderer Bedeutung. Das Manifestationsalter ist variabel, ebenso die Ausprägung der Proteinurie. Einige Mutationsträger entwickeln eine isolierte Proteinurie im nicht nephrotischen Bereich. Eine Untergruppe von Patienten mit Mutationen in INF2 zeigt neben der Nierenbeteiligung die Manifestation einer Charcot-Marie-Tooth-Neuropathie mit reduzierter Nervenleitgeschwindigkeit, hinweisend für eine Bedeutung von INF2 in neuronalen Schwann-Zellen.
Neben Veränderungen in zytoskelettalen Proteinen können auch Mutationen in TRPC6 zu einem autosomal-dominanten SRNS führen. TRPC6 kodiert für den Kationenkanal TRPC6 und vermittelt einen Kalziumeinstrom in die Zelle. Sowohl aktivierende als auch inaktivierende Mutationen in TRPC6 führen zu einer podozytären Schädigung. Auch hier ist das Manifestationsalter und die Penetranz sehr variabel, typischerweise liegt es in der Adoleszenz. In wenigen Fällen sind frühkindliche Verläufe beschrieben.

Nail-Patella-Syndrom

Mutationen in LMX1B verursachen das autosomal-dominante Nail-Patella-Syndrom. LMX1B kodiert für das LIM-Homeodomain-Protein Lmx1B, das eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Extremitäten, der Nägel und der Nieren spielt. Die auffälligsten klinischen Merkmale der Patienten sind die hypoplastischen Nägel und die Dysplasie der Patellae. Bei einigen Patienten finden sich weiterhin charakteristische Verknöcherungen des Os iliacum („iliac horns“), dysplastische Ellenbogen, Glaukome oder eine Hörverminderung. Die Diagnose wird meist erst in der 2. und 3. Lebensdekade gestellt. LMX1B wird stark in den Podozyten exprimiert und betroffene Patienten können eine ausgeprägte Nierenbeteiligung mit Proteinurie, nephrotischem Syndrom und/oder chronischer Niereninsuffizienz entwickeln. Insgesamt wird eine Nierenbeteiligung bei ca. 40 % der Patienten beobachtet, ein terminales Nierenversagen tritt dagegen selten auf. Die Elektronmikroskopie bei Nail-Patella-Syndrom-Nephropathie zeigt fibrilläre kollagenähnliche Ablagerungen in der GBM mit typischen verstreuten, transparenten Arealen („Mottenfraß“). Verschiedene Lmx1B-Bindungsstellen wurden in regulatorischen Genregionen von CD2AP und NPHS2 beschrieben, was die Bedeutung einer Kooperation von Lmx1B, CD2AP und Podocin für die Bildung der Fußfortsätze und der Schlitzmembran unterstützt (Abb. 2).
Auch andere seltene syndromale Erkrankungen können mit der Entwicklung eines nephrotischen Syndroms assoziiert sein (u.  a. das Galloway-Mowat-Syndrom und das Schimcke-Syndrom).

Alport-Syndrom

Das Alport-Syndrom (AS) ist eine progressive Erkrankung der Basalmembranen mit Veränderungen der Kollagensynthese innerhalb der GBM und der Basalmembran in Innenohr und Auge. Es ist genetisch heterogen und folgt unterschiedlichen Erbgängen. Zu 80–90 % wird das AS X-chromosomal vererbt (durch Mutationen in COL4A5), zu 10–20 % autosomal-rezessiv (durch Mutationen in COL4A3 und COL4A4). Selten wurde eine autosomal-dominante Vererbung beobachtet. Betroffen ist die Synthese des Kollagens Typ IV, welches in der GBM der Niere und in Innenohr und Auge exprimiert wird. Klinisch imponieren eine progressive Hämaturie, Proteinurie und Innenohrschwerhörigkeit bei fortschreitender Einschränkung der Nierenfunktion. Auch charakteristische Augensymptome können auftreten (Lentikonus, Makulopathie). Erstes Symptom ist meist die persistierende Mikrohämaturie (selten Makrohämaturie), die sich schon im Kindesalter zeigen kann. Bei Fortbestand der Erkrankung kommen regelhaft Proteinurie und eine chronische Niereninsuffizienz hinzu.
Aufgrund des meist X-chromosomalen Erbgangs sind überwiegend Jungen und Männer von der Erkrankung betroffen. Fast alle entwickeln im Verlauf ein terminales Nierenversagen. Häufig besteht eine arterielle Hypertonie. Die progrediente Schwerhörigkeit tritt bei bis zu 75 % der männlichen Patienten auf, sie beginnt meist schon im Kindesalter. Wenngleich meist deutlich schwächer betroffen, können heterozygote Mutationen im X-gebundenen COL4A5 aber auch bei Frauen (u. a. durch X-Inaktivierung) zu Hämaturie und Proteinurie führen – bis hin zum Vollbild des AS. Eine Dialysepflichtigkeit wird jedoch im Durchschnitt seltener und in deutlich höherem Alter erreicht. Das autosomal vererbte AS zeigt keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Diagnostisch lässt sich das AS durch eine Nierenbiopsie und/oder genetische Testung sichern. Bioptisch ist es durch charakteristische Anomalien der GBM gekennzeichnet – mit einer Aufhebung der trilaminären Strukturen, initialer Verdünnung und dann Verdickung und Aufsplitterung der Lamina densa (Abb. 3).
Differenzialdiagnostisch sind hier Überlappungen zu MYH9-assoziierten Erkrankungen der Niere in Erwägung zu ziehen (Makrothrombozytopenie, Innenohrschwerhörigkeit, Leukozyteneinschlüsse, Nephropathie).
Sowohl nach klinischer als auch genetischer Diagnosesicherung des AS sollte eine humangenetische Beratung erfolgen. Vor geplanter Lebendspende durch ein Familienmitglied ist der Anlageträgerstatus zu klären.
Eine kausale Therapie des AS ist nicht bekannt, Langzeitstudien belegen aber einen deutlich protektiven Effekt einer frühen antiproteinurischen Therapie mit ACE-Inhibitoren.
Vom AS abzugrenzen ist die isolierte familiäre Mikrohämaturie (früher benigne familiäre Hämaturie), die autosomal-dominant vererbt wird und mit heterozygoten Mutationen in COL4A3 oder COL4A4 bei Männern und Frauen assoziiert werden konnte. Histologisch zeigen sich typischerweise dünne Basalmembranen („thin basement membrane disease“), nur selten entwickelt sich eine Niereninsuffizienz. Verwechslungen mit dem Frühstadium eines AS sind möglich und insbesondere die Abgrenzung zu den (seltenen) autosomal-dominanten Alport-Erkrankungen kann schwierig sein. Eine klinische Überlappung zeigt sich auch zu der autosomal-dominant vererbten MYH9-assoziierten Nephropathie, die sich neben einer Alport-ähnlichen Symptomatik mit Innenohrschwerhörigkeit und auch Blutbildauffälligkeiten (Makrothrombozyten, May-Hegglin-Anomalie) präsentieren kann. Wichtig für die klinische und humangenetische Beratung bei Verdacht auf eine Erkrankung des Alport-Formenkreises ist die sorgfältige Erhebung des Familienstammbaums.
Weiterführende Literatur
Hoyer PF, Weber S (2012) Hereditäre Nierenerkrankungen. Nephrologe 7:339–355CrossRef
Weber S (2008) Genetik des nephrotischen Syndroms. Nephrologe 3:394–407CrossRef