Der plötzliche Kindstod wird in den offiziellen Statistiken von Ländern mit gut ausgebauter Gesundheitsversorgung als häufigste Todesart im Säuglingsalter jenseits der Neugeborenenzeit angegeben. Obwohl bereits in der Bibel erwähnt (1. Buch Könige 3:19), wurde erst vor ca. 50 Jahren der Versuch unternommen, ihn als eigenständige Entität zu definieren.
Risikofaktoren
Epidemiologische Untersuchungen konnten eine Vielzahl von Faktoren aufdecken, die bei am plötzlichen Kindstod Verstorbenen bzw. deren Eltern signifikant häufiger auftreten. Ende der 1980er-Jahre wurden mehrere Risikofaktoren identifiziert, die einer Modifikation zugänglich waren. Hierzu gehörte vor allem die Bauchlage, eine zu starke Bedeckung des Kindes,
Rauchen in der Schwangerschaft und frühes
Abstillen. Über diese Risikofaktoren wurde daraufhin die Öffentlichkeit in mehreren Staaten gezielt informiert, mit der Folge, dass vor allem die
Prävalenz der Bauchlage – und mit ihr die Inzidenz des plötzlichen Kindstodes – stark abnahm. Dieser Rückgang der Inzidenz ging einher mit einer Zunahme der Bedeutung sozialer Faktoren in dem Sinne, dass der plötzliche Kindstod inzwischen noch mehr als früher signifikant häufiger bei sozial Unterprivilegierten und – z. B. in den USA und Neuseeland – bei ethnischen Minderheiten auftritt. Tab.
2 gibt eine Auswahl von Daten zur quantitativen Bedeutung einiger Risikofaktoren in Ländern, aus denen Daten nach Durchführung von Interventionskampagnen zur Risikoreduktion vorliegen.
Tab. 2
Typischer Effektschätzer (
Odds Ratio) für einige Einflussfaktoren auf den plötzlichen Kindstod nach Durchführung von Kampagnen zur Risikoreduktion
Elterliche Faktoren |
- Rauchen in der Schwangerschaft (>30 vs. 0 Zigaretten/Tag) | 3,3 | (1,8;6,0) |
- Drogeneinnahmeb der Mutter in der Schwangerschaft | 4,3 | (1,5;12,4) |
- Drogeneinnahmeb des Vaters nach Geburt | 4,2 | (2,1;8,5) |
- Junges Alter der Mutter (< 20 vs. 25–29 Jahre) | 7,0 | (4,2;11,9) |
- Höheres Alter der Mutter (>34 vs. 25–29 Jahre) | 0,3 | (0,2;0,6) |
- Wenige Schwangerenvorsorgeuntersuchungen (0–4 vs. >9) | 3,1 | (1,9;5,2) |
- Mutter ohne Berufsausbildung | 7,6 | (3,6;16,2) |
- Niedrige soziale Schicht (IV–V) | 1,9 | (1,0;3,2) |
- Mutter alleinstehend | 2,8 | (1,9;4,0) |
Kindliche Faktoren |
- Männliches Geschlecht | 1,5 | (1,1;1,9) |
| 3,6 | (2,7;4,9) |
- Flaschenernährungc | 4,5 | (1,4;14,7) |
- Kind zum Schlafen in Bauchlage gelegt (vs. Rücken) | 13,1 | (8,5;20,2) |
- Zum Schlafen in Seitlage gelegt | 1,3 | (0,9;1,9) |
- Schlafen im Bett der Eltern (Mutter Nichtraucherin) | 2,4 | (1,2;4,6) |
- Schlafen im Bett der Eltern (Mutter Raucherin) | 27,0 | (13,3;54,9) |
- Schlafen im Raum der Eltern (im eigenen Bett) | 0,3 | (0,2;0,4) |
- Kopf durch Bettzeug bedeckt | 12,5 | (6,5;24,1) |
- Schlafen mit Schnuller | 0,4 | (0,3;0,7) |
- Schlafen unter dicker Bettdecke | 3,5 | (1,7;7,1) |
Wie in Tab.
2 gezeigt, bleiben auch nach den oben genannten Interventionskampagnen das
Schlafen in Bauchlage, mangelnde Möglichkeit zur Wärmeabgabe (z. B. aufgrund dicker Bettdecke oder Kopfbedeckung),
Rauchen der Eltern und eine ausschließliche Flaschenernährung signifikante Risikofaktoren. Zusätzlich konnten noch einige andere Faktoren aufgedeckt werden, die gleichfalls beeinflussbar sind. Hierzu gehören das Schlafen in Seitlage, das Schlafen im Bett der Eltern (vor allem wenn dort geraucht wird) und die Verwendung von Bettzeug, bei dem die Kinder unter die Bettdecke rutschen können (zu vermeiden z. B. durch Verwendung eines Schlafsacks oder dadurch, dass das Kind an das Fußende des Bettes gelegt wird). Gleichzeitig konnten das Schlafen im Zimmer der Eltern (im eigenen Bett) und die Benutzung eines Schnullers als Faktoren mit protektivem Einfluss (Effektschätzer < 1) herausgearbeitet werden.
Diese Risikofaktoren sagen über die Pathogenese des plötzlichen Kindstodes zunächst wenig aus. Mehr Aufschluss geben allerdings Beobachtungen zur Interaktion zwischen verschiedenen Risikofaktoren. So konnte z. B. gezeigt werden, dass die Bauchlage vor allem in Kombination mit einer weichen Unterlage, einer hohen Umgebungstemperatur oder festem Einwickeln des Kindes risikoerhöhend wirkt, oder dass die Verwendung einer dicken Zudecke bei gleichzeitigem Vorliegen eines Atemwegsinfektes zu einer Potenzierung des Kindstodrisikos führt. Dies hat zu der Hypothese geführt, dass einer Rückatmung von CO2 und/oder einer Überwärmung des Kindes eine pathogenetische Rolle beim plötzlichen Kindstod zukommt. Gestützt wird diese Hypothese durch tierexperimentelle Daten, nach denen es in Bauchlage zur Rückatmung mit letalen CO2-Konzentrationen kommen kann, und die Beobachtung, dass sich gesunde Säuglinge in Bauchlage wesentlich schlechter als in Rückenlage von einer über ihren Kopf gelegten Bettdecke befreien können. Auch ist die Wärmeabgabe über den Kopf in Bauchlage eingeschränkt und es kommt seltener zu Aufwachreaktionen. Zusammengenommen suggerieren diese Daten, dass es in Bauchlage eher als in Rückenlage zu Situationen mit eingeschränktem Gasaustausch und/oder Hyperthermie kommen kann und dass Säuglinge sich in Bauchlage aus derartigen Situationen schlechter wieder befreien können.
Für Frühgeborene ist dagegen die Bauchlage eher günstig: Sie oxygenieren in Rückenlage schlechter und zeigen eine abgeschwächte CO
2-Antwort sowie eine ungünstigere Atemmechanik als in Bauchlage. Für diese Patienten ist daher in den ersten Lebenswochen auch weiterhin die Bauchlage eindeutig zu bevorzugen – sie sind in diesem Alter aber noch in der Klinik und monitorüberwacht. Etwa 1 Woche vor der geplanten Entlassung sollten auch Frühgeborene in Rückenlage
schlafen gelegt werden, um den Eltern ein Vorbild zu geben und die ggf. zunächst mit dieser Umstellung verbundenen
Schlafstörungen noch in der Klinik abzufangen.
Die starke – und in den letzten Jahren offenbar noch zunehmende – Bedeutung sozialer Faktoren ist dagegen schwierig zu interpretieren. Es erscheint denkbar, dass diese Faktoren mit einer geringer ausgeprägten elterlichen Fähigkeit assoziiert sind, auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes einzugehen oder subtile Änderungen seiner Befindlichkeit wahrzunehmen; dies ist aber zum einen schwer durch Daten zu belegen und erlaubt zum anderen keinen direkten Rückschluss auf die Pathogenese dieser Todesfälle.
Für die Praxis lassen sich aus den oben genannten Daten konkrete Handlungsanweisungen ableiten, die seit Anfang der 1990er-Jahre u. a. von den Sozialministerien verschiedener Bundesländer, Elternselbsthilfegruppen, der Akademie für Kinder- und
Jugendmedizin, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) und zuletzt von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) herausgegeben wurden und allen Eltern von jungen Säuglingen zugänglich gemacht werden sollten:
-
Legen Sie Ihr Kind zum
Schlafen auf den Rücken; benutzen Sie dabei eine feste Unterlage.
-
Achten Sie auf eine rauchfreie Umgebung für Ihr Kind auch schon während der gesamten Schwangerschaft.
-
Vermeiden Sie Überwärmung: Während der Nacht ist eine Raumtemperatur von 18 °C optimal, anstelle einer Bettdecke empfiehlt sich die Verwendung eines Babyschlafsacks in altersentsprechender Größe. Im Zweifelsfall fühlen Sie zwischen den Schulterblättern, ob sich die Haut warm, aber nicht verschwitzt anfühlt: dann ist es Ihrem Kind weder zu warm noch zu kalt.
-
Falls Sie keinen Schlafsack verwenden möchten, achten Sie darauf, dass Ihr Kind nicht mit dem Kopf unter die Bettdecke rutschen kann, indem Sie es so ins Bett legen, dass es mit den Füßen am Fußende anstößt. Verzichten Sie auf Kopfkissen, Fellunterlagen, „Nestchen“, gepolsterte Bettumrandungen und größere Kuscheltiere, mit denen sich Ihr Kind überdecken könnte und wickeln Sie es zum Schlafen nicht fest ein.
-
Lassen Sie Ihr Kind bei sich im Zimmer, aber im eigenen Kinderbett schlafen; dies gilt vor allem für die ersten 3 Lebensmonate und wenn die Eltern
Raucher sind.
-
Stillen Sie im 1. Lebensjahr, solange es Ihnen möglich ist.
-
Bieten Sie Ihrem Kind zum Schlafengehen einen Schnuller an (kein Zwang, d. h. keine Replatzierung des Schnullers beim schlafenden Kind!).