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Pädiatrie
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Publiziert am: 27.12.2018

Plötzlicher Kindstod

Verfasst von: Christian F. Poets und Gerhard Jorch
Der plötzliche Kindstod wird in den offiziellen Statistiken von Ländern mit gut ausgebauter Gesundheitsversorgung als häufigste Todesart im Säuglingsalter jenseits der Neugeborenenzeit angegeben. Obwohl bereits in der Bibel erwähnt (1. Buch Könige 3:19), wurde erst vor ca. 50 Jahren der Versuch unternommen, ihn als eigenständige Entität zu definieren.
Der plötzliche Kindstod wird in den offiziellen Statistiken von Ländern mit gut ausgebauter Gesundheitsversorgung als häufigste Todesart im Säuglingsalter jenseits der Neugeborenenzeit angegeben. Obwohl bereits in der Bibel erwähnt (1. Buch Könige 3:19), wurde erst vor ca. 50 Jahren der Versuch unternommen, ihn als eigenständige Entität zu definieren.
Definition
Im Jahre 1970 wurde die Diagnose plötzlicher Kindstod (engl. „sudden infant death, SID“), erstmals definiert. Die damals gegebene Begriffsbestimmung wurde mehrfach modifiziert, ist aber in ihren Grundzügen bis heute gültig und definiert SID als den „plötzlichen Tod eines Säuglings oder Kleinkinds, der aufgrund der Anamnese unerwartet ist und bei dem eine gründliche postmortale Untersuchung keine adäquate Todesursache zu zeigen vermag“. Obwohl diese Definition u. a. die Durchführung einer Obduktion für die Diagnosestellung voraussetzt, wird in Deutschland die Diagnose SID häufig ohne Obduktion gestellt; nur 20 % (Rheinland-Pfalz) bis 78 % (Niedersachsen) der plötzlichen Kindstodfälle werden obduziert. In den offiziellen Statistiken wird der plötzliche Kindstod unter den ICD-10-Codes R95, R96, R98 und R99 erfasst, SID im engeren Sinne als R95. Die Zuordnung hängt erheblich von der jeweiligen Untersuchungstiefe und der Interpretation der Befunde ab, sodass es sinnvoll ist, die unerwarteten und ungeklärten Todesfälle als Gesamtgruppe zu betrachten, mit plötzlicher Kindstod zu bezeichnen und die Verwendung des Begriffes SID auf eng definierte wissenschaftliche Untersuchungen zu beschränken. Es ist nicht gesichert und nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen eher unwahrscheinlich, dass es sich bei SID um eine eigenständige Entität mit spezifischer bisher unbekannter Ursache handelt. Eher bezeichnen wir mit plötzlicher Kindstod bzw. SID eine Gruppe von ätiologisch unterschiedlichen Todesfällen, deren gemeinsames Merkmal es ist, dass die Ursache nicht zugeordnet bzw. gefunden werden konnte.
Epidemiologie
Die Häufigkeit des plötzlichen Kindstodes schwankt erheblich zwischen einzelnen Staaten (Tab. 1). In Deutschland versterben unter dieser Diagnose jährlich ca. 250 Säuglinge, dies entspricht 0,4 auf 1.000 Geburten. In den USA, aber auch in anderen Ländern, wurden gravierende Unterschiede in der Sterblichkeitsrate zwischen einzelnen ethnischen Gruppen gefunden. So ist das Kindstodrisiko in den USA bei Indianern und Farbigen ca. 5-mal höher als bei Weißen, bei Asiaten dagegen ca. 30 % niedriger. Diese Differenzen können nicht ausschließlich durch sozioökonomische Unterschiede erklärt werden, was darauf schließen lässt, dass möglicherweise auch genetische Faktoren eine Rolle spielen.
Tab. 1
Inzidenz von SID (ICD-10: R95) und plötzlichem Kindstod (ICD-10: R95–R99) in ausgewählten Ländern (Angaben bezogen auf 1000 Lebendgeborene). Die Zuordnung zu R95 oder R96–R99 ist nicht einheitlich. Eine niedrige SID-Mortalität ist nur glaubhaft, wenn R96–R95 Todesfälle ebenfalls selten sind
Land
Jahr
R95
R95–99
BRD
2015
0,2
0,4
Neuseeland
2010
0,2
0,6
USA
2008
0,5
0,8
Japan
2010
0,1
0,5
UK
2009
0,3
0,4
Schweiz
2007
0,1
0,3
Österreich
2010
0,3
0,3
Schweden
2010
0,2
0,4
Polen
2009
0,2
0,3
Niederlande
2009
0,1
0,1
Italien
2008
0,1
0,1
Frankreich
2008
0,3
0,5
Spanien
2009
0,1
0,2
Anfang der 1970er-Jahre kam es in Ländern mit westlicher Zivilisation zu einer Zunahme der Kindstodraten, die parallel ging mit einem Anstieg der postneonatalen Mortalität, also nicht dadurch bedingt war, dass die Diagnose häufiger gestellt wurde. Als Erklärung fand sich eine Änderung in den Säuglingspflegepraktiken, vor allem die Einführung der Bauchlage (siehe unten). Nach Durchführung nationaler Aufklärungskampagnen mit dem Ziel, die Bauchlage zu vermeiden, nahm in den betreffenden Ländern die Inzidenz um jeweils 50–70 % ab.
Der plötzliche Kindstod zeigt eine charakteristische Häufigkeitsverteilung mit weitgehender Aussparung der Neonatalzeit und einem Gipfel im 2–4. Lebensmonat (ca. 75 % der Kinder sterben in diesem Zeitraum); knapp 95 % versterben vor dem 10. Lebensmonat. Diese Altersverteilung ist abhängig vom Reifealter, d. h. bei Frühgeborenen ist der Altersgipfel um einige Wochen nach hinten verschoben. Erst in den letzten Jahren wurde bekannt, dass auch in den ersten Tagen nach Geburt ein SIDS-Risiko besteht: So betrug die Häufigkeit von plötzlichen Todesfällen oder akuten Ereignissen mit Beatmungsbedarf in Deutschland in den ersten 24 Stunden postnatal 2,6/106; aus Australien wird eine Inzidenz für die 1. Lebenswoche von 10/106 Geburten gemeldet. Ferner gibt es tages- und jahreszeitliche Besonderheiten. So wurden in einer Hannoverschen Kindstodstudie 61 % der Säuglinge in den Morgenstunden (6–12 Uhr) gefunden; eine andere Untersuchung ergab, dass der geschätzte Todeszeitpunkt bei 58 % der Fälle zwischen Mitternacht und 8 Uhr morgens gelegen hatte. Der Tod tritt also überwiegend zu einer Zeit ein, in der die Kinder unbeobachtet sind; ob sie auch schlafen, lässt sich anhand dieser Daten nicht feststellen. Untersuchungen zur Inzidenz an einzelnen Wochentagen zeigen eine Häufung von Fällen an Wochenenden und Feiertagen. Unterbrechungen der täglichen Routine des Säuglings (lange Autofahrten, Besuch) wurden als mögliche Erklärung hierfür genannt. In einer Studie aus Neuseeland, die diesen Aspekt gezielt untersuchte, hatten Besuche von oder bei Freunden bzw. Verwandten allerdings eher einen protektiven Effekt (relatives Risiko 0,70). Bezüglich der jahreszeitlichen Verteilung fällt eine Bevorzugung der Wintermonate auf. Dieses Phänomen wurde mit der Häufung von Atemwegsinfekten in dieser Jahreszeit in Verbindung gebracht. So konnte in mehreren Studien eine Häufung von Kindstodfällen in Zeiten von Virus- oder Pertussisendemien gezeigt werden; Impfungen haben dagegen einen protektiven Effekt. Noch unklar ist die pathogenetische Bedeutung von Beobachtungen aus England und Neuseeland, die ein weitgehendes Verschwinden dieses „Wintergipfels“ nach Rückgang der Bauchlagenprävalenz zeigen.
Risikofaktoren
Epidemiologische Untersuchungen konnten eine Vielzahl von Faktoren aufdecken, die bei am plötzlichen Kindstod Verstorbenen bzw. deren Eltern signifikant häufiger auftreten. Ende der 1980er-Jahre wurden mehrere Risikofaktoren identifiziert, die einer Modifikation zugänglich waren. Hierzu gehörte vor allem die Bauchlage, eine zu starke Bedeckung des Kindes, Rauchen in der Schwangerschaft und frühes Abstillen. Über diese Risikofaktoren wurde daraufhin die Öffentlichkeit in mehreren Staaten gezielt informiert, mit der Folge, dass vor allem die Prävalenz der Bauchlage – und mit ihr die Inzidenz des plötzlichen Kindstodes – stark abnahm. Dieser Rückgang der Inzidenz ging einher mit einer Zunahme der Bedeutung sozialer Faktoren in dem Sinne, dass der plötzliche Kindstod inzwischen noch mehr als früher signifikant häufiger bei sozial Unterprivilegierten und – z. B. in den USA und Neuseeland – bei ethnischen Minderheiten auftritt. Tab. 2 gibt eine Auswahl von Daten zur quantitativen Bedeutung einiger Risikofaktoren in Ländern, aus denen Daten nach Durchführung von Interventionskampagnen zur Risikoreduktion vorliegen.
Tab. 2
Typischer Effektschätzer (Odds Ratio) für einige Einflussfaktoren auf den plötzlichen Kindstod nach Durchführung von Kampagnen zur Risikoreduktion
Einflussfaktoren
Odds Ratio, multivariat
(mit 95 % CI)a
Elterliche Faktoren
- Rauchen in der Schwangerschaft (>30 vs. 0 Zigaretten/Tag)
3,3
(1,8;6,0)
- Drogeneinnahmeb der Mutter in der Schwangerschaft
4,3
(1,5;12,4)
- Drogeneinnahmeb des Vaters nach Geburt
4,2
(2,1;8,5)
- Junges Alter der Mutter (< 20 vs. 25–29 Jahre)
7,0
(4,2;11,9)
- Höheres Alter der Mutter (>34 vs. 25–29 Jahre)
0,3
(0,2;0,6)
- Wenige Schwangerenvorsorgeuntersuchungen (0–4 vs. >9)
3,1
(1,9;5,2)
- Mutter ohne Berufsausbildung
7,6
(3,6;16,2)
- Niedrige soziale Schicht (IV–V)
1,9
(1,0;3,2)
- Mutter alleinstehend
2,8
(1,9;4,0)
Kindliche Faktoren
- Männliches Geschlecht
1,5
(1,1;1,9)
- Extreme Frühgeburt (24-27 Wochen)
3,6
(2,7;4,9)
- Flaschenernährungc
4,5
(1,4;14,7)
- Kind zum Schlafen in Bauchlage gelegt (vs. Rücken)
13,1
(8,5;20,2)
- Zum Schlafen in Seitlage gelegt
1,3
(0,9;1,9)
- Schlafen im Bett der Eltern (Mutter Nichtraucherin)
2,4
(1,2;4,6)
- Schlafen im Bett der Eltern (Mutter Raucherin)
27,0
(13,3;54,9)
- Schlafen im Raum der Eltern (im eigenen Bett)
0,3
(0,2;0,4)
- Kopf durch Bettzeug bedeckt
12,5
(6,5;24,1)
- Schlafen mit Schnuller
0,4
(0,3;0,7)
- Schlafen unter dicker Bettdecke
3,5
(1,7;7,1)
aCI Konfidenzintervall; multivariat = Risikoabschätzung nach Ausschluss potenzieller Einflussfaktoren (Confounder). Ist die Untergrenze des Konfidenzintervalls > 1,0, so bedeutet dies, dass die Risikoerhöhung durch den betreffenden Faktor signifikant ist.
bHeroin, Kokain, Cannabis, Amphetamine etc.
cKein signifikanter Risikofaktor in 2 anderen Studien
Wie in Tab. 2 gezeigt, bleiben auch nach den oben genannten Interventionskampagnen das Schlafen in Bauchlage, mangelnde Möglichkeit zur Wärmeabgabe (z. B. aufgrund dicker Bettdecke oder Kopfbedeckung), Rauchen der Eltern und eine ausschließliche Flaschenernährung signifikante Risikofaktoren. Zusätzlich konnten noch einige andere Faktoren aufgedeckt werden, die gleichfalls beeinflussbar sind. Hierzu gehören das Schlafen in Seitlage, das Schlafen im Bett der Eltern (vor allem wenn dort geraucht wird) und die Verwendung von Bettzeug, bei dem die Kinder unter die Bettdecke rutschen können (zu vermeiden z. B. durch Verwendung eines Schlafsacks oder dadurch, dass das Kind an das Fußende des Bettes gelegt wird). Gleichzeitig konnten das Schlafen im Zimmer der Eltern (im eigenen Bett) und die Benutzung eines Schnullers als Faktoren mit protektivem Einfluss (Effektschätzer < 1) herausgearbeitet werden.
Diese Risikofaktoren sagen über die Pathogenese des plötzlichen Kindstodes zunächst wenig aus. Mehr Aufschluss geben allerdings Beobachtungen zur Interaktion zwischen verschiedenen Risikofaktoren. So konnte z. B. gezeigt werden, dass die Bauchlage vor allem in Kombination mit einer weichen Unterlage, einer hohen Umgebungstemperatur oder festem Einwickeln des Kindes risikoerhöhend wirkt, oder dass die Verwendung einer dicken Zudecke bei gleichzeitigem Vorliegen eines Atemwegsinfektes zu einer Potenzierung des Kindstodrisikos führt. Dies hat zu der Hypothese geführt, dass einer Rückatmung von CO2 und/oder einer Überwärmung des Kindes eine pathogenetische Rolle beim plötzlichen Kindstod zukommt. Gestützt wird diese Hypothese durch tierexperimentelle Daten, nach denen es in Bauchlage zur Rückatmung mit letalen CO2-Konzentrationen kommen kann, und die Beobachtung, dass sich gesunde Säuglinge in Bauchlage wesentlich schlechter als in Rückenlage von einer über ihren Kopf gelegten Bettdecke befreien können. Auch ist die Wärmeabgabe über den Kopf in Bauchlage eingeschränkt und es kommt seltener zu Aufwachreaktionen. Zusammengenommen suggerieren diese Daten, dass es in Bauchlage eher als in Rückenlage zu Situationen mit eingeschränktem Gasaustausch und/oder Hyperthermie kommen kann und dass Säuglinge sich in Bauchlage aus derartigen Situationen schlechter wieder befreien können.
Für Frühgeborene ist dagegen die Bauchlage eher günstig: Sie oxygenieren in Rückenlage schlechter und zeigen eine abgeschwächte CO2-Antwort sowie eine ungünstigere Atemmechanik als in Bauchlage. Für diese Patienten ist daher in den ersten Lebenswochen auch weiterhin die Bauchlage eindeutig zu bevorzugen – sie sind in diesem Alter aber noch in der Klinik und monitorüberwacht. Etwa 1 Woche vor der geplanten Entlassung sollten auch Frühgeborene in Rückenlage schlafen gelegt werden, um den Eltern ein Vorbild zu geben und die ggf. zunächst mit dieser Umstellung verbundenen Schlafstörungen noch in der Klinik abzufangen.
Die starke – und in den letzten Jahren offenbar noch zunehmende – Bedeutung sozialer Faktoren ist dagegen schwierig zu interpretieren. Es erscheint denkbar, dass diese Faktoren mit einer geringer ausgeprägten elterlichen Fähigkeit assoziiert sind, auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes einzugehen oder subtile Änderungen seiner Befindlichkeit wahrzunehmen; dies ist aber zum einen schwer durch Daten zu belegen und erlaubt zum anderen keinen direkten Rückschluss auf die Pathogenese dieser Todesfälle.
Für die Praxis lassen sich aus den oben genannten Daten konkrete Handlungsanweisungen ableiten, die seit Anfang der 1990er-Jahre u. a. von den Sozialministerien verschiedener Bundesländer, Elternselbsthilfegruppen, der Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) und zuletzt von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) herausgegeben wurden und allen Eltern von jungen Säuglingen zugänglich gemacht werden sollten:
  • Legen Sie Ihr Kind zum Schlafen auf den Rücken; benutzen Sie dabei eine feste Unterlage.
  • Achten Sie auf eine rauchfreie Umgebung für Ihr Kind auch schon während der gesamten Schwangerschaft.
  • Vermeiden Sie Überwärmung: Während der Nacht ist eine Raumtemperatur von 18 °C optimal, anstelle einer Bettdecke empfiehlt sich die Verwendung eines Babyschlafsacks in altersentsprechender Größe. Im Zweifelsfall fühlen Sie zwischen den Schulterblättern, ob sich die Haut warm, aber nicht verschwitzt anfühlt: dann ist es Ihrem Kind weder zu warm noch zu kalt.
  • Falls Sie keinen Schlafsack verwenden möchten, achten Sie darauf, dass Ihr Kind nicht mit dem Kopf unter die Bettdecke rutschen kann, indem Sie es so ins Bett legen, dass es mit den Füßen am Fußende anstößt. Verzichten Sie auf Kopfkissen, Fellunterlagen, „Nestchen“, gepolsterte Bettumrandungen und größere Kuscheltiere, mit denen sich Ihr Kind überdecken könnte und wickeln Sie es zum Schlafen nicht fest ein.
  • Lassen Sie Ihr Kind bei sich im Zimmer, aber im eigenen Kinderbett schlafen; dies gilt vor allem für die ersten 3 Lebensmonate und wenn die Eltern Raucher sind.
  • Stillen Sie im 1. Lebensjahr, solange es Ihnen möglich ist.
  • Bieten Sie Ihrem Kind zum Schlafengehen einen Schnuller an (kein Zwang, d. h. keine Replatzierung des Schnullers beim schlafenden Kind!).
Pathologie
Entsprechend der oben genannten Definition findet sich bei der Autopsie kein Befund, der das Eintreten des plötzlichen Todes erklärt. Die Autopsie ist unabdingbar, um die Diagnose zu sichern und um andere mögliche Todesursachen, wie z. B. eine fulminant verlaufende Meningitis, eine kritische Aortenstenose oder Kindesmisshandlung auszuschließen. Zudem bleiben bei den Eltern ohne Autopsie oft über Jahre Zweifel bestehen, ob sie irgendetwas übersehen oder „falsch gemacht“ haben. Insofern liegt eine Autopsie auch und gerade im Interesse der Eltern. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass in nicht mehr als 15 % der obduzierten plötzlichen Kindstodfälle eine Todesursache bewiesen werden kann.
Bei der Autopsie finden sich aber auch in den anderen Fällen eine Reihe von charakteristischen Merkmalen. So weisen 85–99 % der am Kindstod verstorbenen Säuglinge intrathorakal petechiale Blutungen auf. Die typische Verteilung dieser Petechien ist wohl der einzige histopathologische Befund, der weitgehend spezifisch für den plötzlichen Kindstod ist. Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass Petechien bei erhöhter Atemarbeit mit protrahierter Hypoxämie und (noch) intaktem Kreislauf auftreten. Begünstigend wirken Infektionen, erhöhte Katecholaminkonzentrationen und ein stark negativer intrathorakaler Druck. Bereits 1897 zeigte der französische Pathologe Brouardel, dass bei Hunden, die durch Verschluss der oberen Atemwege erstickt wurden, Petechien erst mit Einsetzen der Schnappatmung auftraten, nicht jedoch bereits initial, wenn die Tiere kraftvolle Atemexkursionen zur Überwindung des Atemwegsverschlusses machten. Insofern geben Petechien möglicherweise nicht Hinweis auf einen bestimmten Pathomechanismus, sondern nur darauf, dass es im Rahmen des Versterbens zu Schnappatmung bei noch intakter Kreislauffunktion kam.
Ein weiterer charakteristischer Befund ist das Auftreten von rötlich tingiertem Schaum um Nase oder Mund, der bei ca. 60 % der Kinder gefunden wird. Dieser entsteht wahrscheinlich durch eine Kombination aus (hypoxischem) Lungenödem und starken intrathorakalen Druckschwankungen (z. B. durch Schnappatmung).
Schließlich wurde eine Reihe von Gewebsveränderungen identifiziert, die unter dem Begriff der „hypoxischen Gewebemarker“ zusammengefasst werden. Hierzu gehören u. a. die Retention periadrenalen braunen Fettgewebes, Hirnstammgliose, Hyperplasie der pulmonalen neuroendokrinen Zellen und eine vermehrte Wandstärke der pulmonalen Gefäße und Atemwege. Obwohl die Spezifität dieser Marker für den plötzlichen Kindstod umstritten ist, zeigt ihr Auftreten, dass diese Todesfälle möglicherweise nicht so plötzlich sind, wie ihr Name suggeriert. Daneben konnten Veränderungen in serotoninergen Regionen des Hirnstamms nachgewiesen werden. Für ein Serotonin-Transporter-Gen, für Ionenkanäle im Herzen oder für Inflammationsmediatoren kodierende Gene konnten zudem verschiedene Polymorphismen bei an SIDS Verstorbenen identifiziert werden. Aktuell zeigten sich darüber hinaus bei einem Drittel unter der Diagnose SIDS verstorbener Säuglinge auch im Serum und vor allem in Thrombozyten erhöhte Serotonin-Spiegel.
Zusammenfassend geben diese Autopsiebefunde Hinweise auf Faktoren, die möglicherweise zum Eintreten des plötzlichen Todes beitragen. Dies sind im Wesentlichen eine obere oder untere Atemwegsobstruktion und prolongierte bzw. rezidivierende Hypoxie. Diese Befunde vermögen jedoch nicht das finale Krankheitsgeschehen hinreichend zu erklären.
Pathophysiologie
Steinschneider veröffentlichte 1972 eine Untersuchung an 5 Kindern, von denen 2 später angeblich am plötzlichen Kindstod verstarben. Diese 5 Säuglinge wiesen alle Episoden mit einem Sistieren der Atembewegungen für 15 s und mehr auf (prolongierte Apnoen). Diese Untersuchung war nicht nur die Grundlage für die sog. Apnoehypothese, die besagt, dass der plötzliche Kindstod durch ein Sistieren der Atmung ausgelöst wird, sondern auch Anlass für mehrere Studien, in denen bei Tausenden von Kindern Atemaufzeichnungen durchgeführt wurden in der Hoffnung, Kinder mit prolongierten Apnoen und dadurch erhöhtem Kindstodrisiko prospektiv zu identifizieren. 25 Jahre später stellte sich heraus, dass die beiden Kinder in Steinschneiders Untersuchung von ihrer Mutter erstickt und ihre angeblichen Apnoen nie objektiv dokumentiert worden waren. Inzwischen waren allerdings bereits viele Millionen Dollar zur Erforschung von Apnoen ausgegeben und Zehntausende von Kindern mit Apnoemonitoren überwacht worden.
Im Rahmen dieser prospektiven Untersuchungen bei später am plötzlichen Kindstod verstorbenen Säuglingen fanden sich eine eingeschränkte Herzfrequenzvariabilität, höhere Herzfrequenzen im Schlaf, häufigere Phasen mit Sinustachykardie und weniger Körperbewegungen und Aufwachreaktionen im Schlaf. In einer Untersuchung fanden sich ferner vermehrt obstruktive Apnoen, definiert als ein Sistieren des nasalen Luftstroms für mindestens 3 s bei erhaltener Atemtätigkeit. Kürzlich wurde zudem gezeigt, dass spätere Kindstodopfer seltener nachts aufwachten. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass diese Kinder auch in Gegenwart von Hypoxie und/oder Hyperkapnie nicht aufwachen und sich daher nicht aus der dies auslösenden Situation befreien können. Insgesamt hat keiner der bislang erfassten Parameter einen ausreichenden Vorhersagewert, um den Einsatz der Polygrafie als Screeningmethode zur Identifizierung von Risikokindern zu rechtfertigen. Die klinische Einschätzung eines individuellen Kindstodrisikos sollte nie ausschließlich auf die Ergebnisse der Messung verschiedener Apnoeformen gegründet werden. Auch einer verlängerten QT-Zeit, die sich in einer neueren prospektiven Untersuchung bei 50 % der später verstorbenen Säuglinge fand, kann keine entscheidende prädiktive Bedeutung zukommen, da es keinerlei Anhaltspunkte gibt, dass Herzrhythmusstörungen in der Pathogenese des plötzlichen Kindstodes eine Rolle spielen. Dies ergibt sich zum einen aus der Auswertung von mittels Monitoraufzeichnung dokumentierten Fällen von plötzlichem Kindstod, zum anderen aus der Tatsache, dass sich bei 85–99 % aller Fälle Petechien finden, deren Auftreten die Persistenz eines intakten Kreislaufs noch im Stadium der Schnappatmung voraussetzt.
Aufzeichnungen von EKG und Atmung im terminalen Stadium eines plötzlichen Kindstodes geben Hinweise, dass in ca. 80 % der Fälle zunächst eine langsam progrediente Bradykardie auftritt. Fast zeitgleich kommt es zum Auftreten von Schnappatmung. Prolongierte Apnoen setzen dagegen erst etliche Minuten später ein. Da Schnappatmung bei einem arteriellen Sauerstoffpartialdruck (pO2) von unter ca. 10 mmHg auftritt, kann gefolgert werden, dass die Kinder beim Auftreten der Bradykardie bereits ausgeprägt hypoxämisch waren. Die Ursache für diese schwere Hypoxämie und der Grund, warum Schnappatmung bei diesen Kindern nicht wie sonst zu einer „Selbstwiederbelebung“ führte, bleiben bislang allerdings unklar.
Prävention
Die einzig gesichert wirksame Art, den plötzlichen Kindstod zu vermeiden, ist die Primärprävention, also die Vermeidung von Risikofaktoren wie Bauchlage oder Rauchen (siehe oben). In der klinischen Praxis hat sich jedoch darüber hinaus eine Art Sekundärprävention durchgesetzt, nämlich die Verordnung von Heimmonitoren bei Kindern mit erhöhtem Risiko. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme wurde nie durch kontrollierte Studien überprüft, die Verordnung erfolgte häufig unabhängig vom Kindstodrisiko (z. B. selten bei Kindern starker Raucherinnen, häufig dagegen bei Frühgeborenen), und es sterben immer wieder Kinder trotz Monitorüberwachung. Die Indikation zum Heimmonitoring sollte insofern weniger die Kindstodvermeidung zum Ziel haben als das Erreichen einer Diagnose (mittels Speichermonitor) bzw. die Vermeidung von Morbidität. Aufgrund der ungeprüften Wirksamkeit dieser Intervention darf eine Familie auf keinen Fall gegen ihren Willen zu einem Monitoring überredet werden. Eine Verordnung darf außerdem nur in Verbindung mit einer Schulung der Eltern in Säuglingsreanimation erfolgen.
Mögliche Indikationen zum Heimmonitoring
  • Monitoring als diagnostisches Instrument
  • Zustand nach anscheinend lebensbedrohlichem Ereignis (ALE) ohne erkennbare Ursache
  • Zwei oder mehr Geschwister am plötzlichen Kindstod verstorben
  • Monitoring als Warnung vor potenziell bedrohlicher Pathophysiologie
  • Technikabhängige Kinder: z. B. Frühgeborene mit Heimsauerstofftherapie, Säuglinge mit Tracheostoma oder Heimbeatmung
  • Frühgeborene, die zum Zeitpunkt der Klinikentlassung noch signifikante Apnoen bzw. Hypoxämien aufweisen
  • Säuglinge mit definierten Atemregulationsstörungen, wie z. B. bei Pierre-Robin-Sequenz oder Arnold-Chiari-Malformation
Anscheinend lebensbedrohliches Ereignis (ALE) bzw. kurze vorübergehende unerklärte Ereignisse (BRUE)
Ein ALE/BRUE ist definiert als eine Episode, bei der ein Säugling plötzlich blass oder blau, steif oder schlaff wird und die nur durch heftige Stimulation (z. B. Hochnehmen und kräftiges Rütteln) oder Reanimation beendet werden kann. Die differenzialdiagnostische Abklärung dieser Ereignisse richtet sich ganz wesentlich nach Anamnese und klinischem Befund (Tab. 3). Findet sich keine akut behandelbare Ursache und war heftige Stimulation/Reanimation notwendig, so ist das Risiko für den plötzlichen Kindstod auf ca. 1–3 % erhöht. Deshalb sollte hier nach Klinikentlassung eine Ursachenabklärung über ein Heimmonitoring mit Ereignisaufzeichnung angestrebt werden, um bei ggf. auftretenden weiteren Ereignissen doch noch zu einer Diagnose zu gelangen.
Tab. 3
Vorschläge zur Anamneseerhebung und Diagnostik bei Patienten mit ALE/BRUE. Die Liste ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit; vor allem können weitere Untersuchungen je nach Anamnese indiziert sein (z. B. obere Magen-Darm-Passage, pH-Metrie im Ösophagus, Echokardiografie)
Frage/Untersuchung
Grund für Frage/Untersuchung
1. Anamnese
Während/nach Ereignis
- Hautfarbe (blass/blau/grau)
Abschätzung der Schwere des ALE/BRUE
- Dauer (Sekunden/Minuten)
- Bewusstseinszustand (wach/schlafend/bewusstlos)
- Beendigung (spontan/Stimulation/Reanimation)
- Zeitraum bis zur vollständigen Erholung
Unmittelbar vor Ereignis
- Angst, Schreck
? Affektkrampf („breath-holding spell“)
- Plötzliches Geräusch, gefolgt von Schreckreaktion
? Hyperekplexie („startle disease“)
- Husten, Würgen, Erbrechen
? Aspiration, tracheoösophageale Fistel? laryngealer Chemoreflex
- Mahlzeit
- Augenverdrehen, Zuckungen, Steifwerden
? Krampfanfall
- Tremor, profuses Schwitzen
Stunden/Tage vor Ereignis
- Fieber, Erkältung, Durchfall
? Infektion (z. B. Rotavirus)
- Abnorme Schläfrigkeit/Irritabilität
? Meningitis, Reye-Syndrom
? Obstruktives Schlafapnoesyndrom
- Stridor
? Laryngo- oder Tracheomalazie
- Etliche Stunden ohne Nahrung (± Infektion)
? Fettsäurenoxidationsdefekt
- Zyanose beim Schreien oder Füttern
? Herzfehler, BPD
Wochen/Monate vor Ereignis
- Langsame Abnahme der motorischen Aktivität
? Spinale Muskelatrophie, Myopathie
- Pertussis- oder RSV-Infektionen in Umgebung
- Frühgeburtlichkeit, bronchopulmonale Dysplasie
? „BPD spells“
- SID/ALE bei Geschwister
? Stoffwechselstörung;? verlängerte QT-Zeit
- Weitere Ereignisse, immer in Gegenwart derselben Person beginnend
? Münchhausen-by-proxy-Syndrom
2. Spezielle Aspekte bei der körperlichen Untersuchung
- Blässe
- Stridor
? Laryngo-/Tracheomalazie; Gefäßring
- Mikrognathie
- Trockener Husten („TOF-cough“)
? Tracheoösophageale Fistel
- Dyspnoe, Giemen, Rasselgeräusche
? Bronchitis, Pneumonie
- Betonter 2. Herzton
? Rechtsherzbelastung; chronische Hypoxie
- Muskuläre Hypotonie, keine Muskeleigenreflexe
? Spinale Muskelatrophie
- Subkostale oder juguläre Einziehungen
? Erhöhte Atemarbeit, z. B. erhöhter Atemwegswiderstand, reduzierte Compliance
- Retinale Blutungen; Hämatome
3. Laboruntersuchungen
- Arterielle Blutgasanalyse (so bald wie möglich nach Ereignis)
Abschätzung der Schwere des Ereignisses;? metabolische Störung
? Anämie, Infektion
? Infektion
- Serumglukose (nüchtern)
? Hypoglykämie, metabolische Störung
- Serumkalzium und -magnesium
? Hypokalzämie, Hypomagnesämie
- Nasen-Rachen-Abstrich; Immunfluoreszenztest
? Pertussis, RSV, Adenovirus
- Organische Säuren im Urin
? Fettsäurenoxidationsdefekt
- Serumammoniak
? OTCD-Carrier, Organoazidurie, Carnitinmangel
4. Weitere Untersuchungen
- EKG
? Verlängerte QT-Zeit
- Thoraxröntgenaufnahme
? Aspiration, Pneumonie, kardiovaskuläre Anomalien, BPD
- EEG
? Krampfanfallinduzierte Ereignisse
- Kranialer Ultraschall
? Blutung; Hirnstamm-/Kleinhirnanomalie
- Polysomnografie
? Hypoventilation, Hypoxämie im Schlaf, krampfanfallinduzierte Ereignisse
- Dokumentiertes Monitoring
Erfassung weiterer ALE zu Hause
BPD bronchopulmonale Dysplasie; RSV Respiratory-syncytial-Virus; OTCD Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz; ALE anscheinend lebensbedrohliches Ereignis; BRUE kurze vorübergehende unerklärte Ereignisse, brief resolved unexplained event; SID sudden infant death; TOF tracheo-oesophageal fistula
Mittels derartiger Ereignismonitore lassen sich bei ca. einem Drittel der Kinder mit rezidivierenden, scheinbar idiopathischen ALE eine Reihe von Mechanismen identifizieren, die diesen Ereignissen zugrunde liegen können. Hierzu gehören u. a. zerebrale Krampfanfälle mit Zyanose als einzigem klinischem Symptom (sog. benigne Partialepilepsie), Durchblutungsstörungen der Haut, die Zyanose ohne Hypoxämie bewirken, und ein Vortäuschen bzw. bewusstes Verursachen dieser Ereignisse durch die Eltern (Stellvertreter-Münchhausen-Syndrom). Bleibt ein ALE trotz Ereignisaufzeichnung unerklärt, so zeigt sich meist eine ausgeprägte Hypoxämie, die aber nur in ca. einem Viertel der Fälle durch prolongierte Apnoen ausgelöst wird. Prolongierte Apnoen scheinen also auch in der Pathogenese von ALE nur eine untergeordnete Rolle zu spielen; unklar bleibt allerdings auch hier, was der Auslöser der Hypoxämie ist.
Nachgeborene Geschwister
Nach einem plötzlichen Kindstod ist die Sterberate für nachgeborene Geschwister etwa 1,6- bis 5-fach erhöht. Eine Monitorverordnung würde hier insofern eher aus psychologischen, nicht aus medizinischen Gründen erfolgen. Dies ist grundsätzlich abzulehnen. Vielmehr sollte den Eltern der Hinweis gegeben werden, dass bei Vermeidung der oben genannten beeinflussbaren Risikofaktoren das Kindstodrisiko extrem gering ist; hilfreich sind hier Zahlen aus Holland, wo kaum Monitore verordnet werden, die jährlichen Kindstodzahlen durch konsequente Aufklärung über die vermeidbaren Risikofaktoren aber dennoch von ca. 200 auf < 20 pro Jahr (0,10/1000) zurückgegangen sind.
Mit 4–5 Lebenstagen sollte zusätzlich zu einer gründlichen körperlichen Untersuchung (z. B. im Rahmen der U2) ein EKG abgeleitet werden. Weitere Untersuchungen wie z. B. ein Stoffwechselscreening im Urin sind bei erfolgtem Neugeborenenscreening mittels Tandemmassenspektroskopie nur bei Vorliegen entsprechender anamnestischer Hinweise notwendig sowie dann, wenn bereits 2 oder mehr Geschwister verstorben sind. Eine Polysomnografie braucht in der Regel nicht durchgeführt zu werden (siehe oben).
Sind bereits 2 oder mehr Kinder in einer Familie am plötzlichen Kindstod verstorben, so muss von einem deutlich erhöhten Kindstodrisiko für alle weiteren Geschwister ausgegangen werden, auch wenn sich unter diesen Fällen ein überproportional hoher Anteil an erklärbaren Todesursachen findet. Nach Ausschluss vermeidbarer, familiär gehäuft auftretender Todesursachen (z. B. Stoffwechselstörungen, Kindstötungen, verlängerte QT-Zeit) erscheint hier eine Heimüberwachung mit Ereignisaufzeichnung sinnvoll.
Ehemalige Frühgeborene
Nach älteren Studien steigt das Kindstodrisiko mit abnehmender Schwangerschaftsdauer, nach neueren Studien ist dieses Risiko auch bei Kindern, die nach 24–28 Wochen geboren werden, „nur“ um den Faktor 3–4 erhöht. Insgesamt ist die Datenlage nicht ausreichend, um für ansonsten gesunde ehemalige Frühgeborene eine Empfehlung zum Heimmonitoring zu geben. Grundsätzlich wird hier – ähnlich wie bei den SID-Geschwistern – daher inzwischen keine Indikation mehr zum Heimmonitoring gesehen.
Auch die Empfehlung, für Frühgeborene mit einer bronchopulmonalen Dysplasie (BPD) in jedem Fall einen Monitor zu verordnen, muss aufgrund neuerer Daten relativiert werden. Sie basiert vor allem auf einer Untersuchung von 1982, in der Frühgeborene mit BPD ein mit 11 % extrem hohes Risiko aufwiesen, plötzlich und unerwartet zu versterben. Mehrere zwischenzeitlich veröffentlichte Studien fanden jedoch keinen signifikanten Unterschied in den Kindstodraten von Frühgeborenen mit bzw. ohne BPD, was unter Umständen auf die großzügigere Verordnung von Heimsauerstoff in den neueren Studien zurückzuführen ist. Dennoch erscheint bei Frühgeborenen, die mit Sauerstoff nach Hause entlassen werden, ein Heimmonitor, möglichst als Pulsoximeter, zur Therapieüberwachung sinnvoll.
Für Säuglinge mit schweren Apnoen, Bradykardien oder Zyanosezuständen noch zum Zeitpunkt der geplanten Krankenhausentlassung liegen zwar keine Daten zum Kindstodrisiko vor, hier erscheint aber bis zum Sistieren der Symptomatik eine Überwachung erforderlich, um Schäden durch die damit unter Umständen verbundene Hypoxie zu vermeiden (sofern die Säuglinge nicht ohnehin bis zum völligen Sistieren der Symptomatik in der Klinik verbleiben). Frühgeborenenapnoen stellen keinen Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod dar.
Dauer und Art der Überwachung
Da ca. 95 % aller Kindstodfälle vor Ende des 9–10. Lebensmonats auftreten, kann die Überwachung fast immer zu diesem Zeitpunkt beendet werden. Sind 2 oder mehr Kinder in einer Familie verstorben, mag es gerechtfertigt erscheinen, die Überwachung bis einen Monat über das Sterbealter der Geschwister hinaus fortzusetzen. Bei Säuglingen mit ALE sprechen alle Daten dafür, dass das Risiko (auch für weitere ALE) nicht mehr signifikant erhöht ist, wenn für einen Monat keine weiteren Ereignisse aufgetreten sind. Daher kann die Überwachung hier meist bereits nach einem Monat beendet werden.
Bezüglich der Art der Überwachung kann mangels vergleichender, kontrollierter Studien keine eindeutige Aussage darüber getroffen werden, ob eine reine Überwachung der Atmung (Apnoemonitore) genauso sicher ist wie die kombinierte Überwachung von Herz- und Atemtätigkeit (Herz-Atem-Monitore) oder die Überwachung des Sauerstoffs (Pulsoximeter). Angesichts mangelnder Belege für die Apnoehypothese und des späten Auftretens von Apnoen im Rahmen dokumentierter Todesfälle ist die Wirksamkeit reiner Apnoemonitore allerdings fraglich. Ähnliches gilt auch für Herz-Atem-Monitore: Tritt ein Alarm erst auf, wenn das Kind bereits Schnappatmung macht, kann der Erfolg einer Reanimation durch medizinische Laien nicht sichergestellt werden. Insofern erscheint derzeit die Pulsoximetrie, bei der es in den letzten Jahren erhebliche Verbesserungen bezüglich der Fehlalarmhäufigkeit gab, aus pathophysiologischer Sicht als das sicherste Verfahren zur Heimüberwachung, auch wenn sich dies epidemiologisch wohl nie überprüfen lassen wird.
Verhalten beim Auftreten eines plötzlichen Kindstods in der Praxis
Wird der Pädiater zu einem Kind gerufen, das plötzlich verstorben ist, so sollten bei Vorliegen sicherer Todeszeichen keine Reanimationsversuche mehr unternommen werden. Wichtig ist dann vielmehr, den Eltern in klaren und eindeutigen Worten zu erklären, dass ihr Kind tot ist und was die vermutete Todesursache ist. Es sollte dann auch erklärt werden, warum als Todesart „nicht aufgeklärt“ auf dem Totenschein angegeben werden muss und dass dies zwar ein Einschalten der Polizei zur Folge haben wird, aber nicht Ausdruck irgendeines Misstrauens ist. Ferner sollten erste Informationen zum plötzlichen Kindstod gegeben und erläutert werden, dass ggf. von der Staatsanwaltschaft eine Obduktion angeordnet wird und warum diese auch im Interesse der Eltern ist. Sodann ist es für die meisten Eltern sehr wichtig, von ihrem Kind Abschied nehmen zu können; dies sollte man ihnen unbedingt ermöglichen. Schließlich sollte den Eltern eine Kontaktaufnahme mit anderen betroffenen Eltern, z. B. über die Selbsthilfegruppe GEPS (Gemeinsame Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod), ermöglicht werden.
Weiterführende Literatur
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