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Leitlinien in der antiemetischen Prophylaxe und Therapie – Medikamentöse Tumortherapie

Verfasst von: Franziska Jahn und Karin Jordan
Durch den Einsatz moderner Antiemetika wie 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten in Kombination mit Steroiden können Übelkeit und Erbrechen selbst bei Patienten unter hoch emetogener Tumortherapie in 70–90 % der Fälle effektiv verhindert werden. Optimale Ansprechraten lassen sich jedoch nur dann realisieren, wenn die antiemetische Prophylaxe entsprechend der Empfehlungen aktueller Leitlinien umgesetzt wird. Wichtigster Risikofaktor für das Entstehen der Zytostatika-induzierten Nausea und Emesis ist das emetogene Potenzial der applizierten Therapie. Man unterscheidet zwei bzw. vier Risikoklassen, in die orale bzw. intravenös verabreichte Substanzen im Hinblick auf den Anteil an Patienten, die ohne entsprechende Prophylaxe unter Erbrechen leiden würden, eingeteilt werden. Diese Klassifizierung in hoch/moderat oder gering/minimal bei oralen Substanzen bzw. in hoch, moderat, gering oder minimal emetogene intraventöse Substanzen ist die Grundlage für die Wahl der Prophylaxestrategie. Bei anhaltendem Erbrechen trotz optimaler Prophylaxe muss differenzialdiagnostisch nach einer anderen Ursache gesucht werden. Rescue-Medikamente stellen eine weitere Therapiestrategie dar.

Einleitung

Waren noch bis Anfang der 1990er-Jahre Erbrechen und Übelkeit die meist gefürchteten Nebenwirkungen einer Chemo- oder Strahlentherapie, können diese Komplikationen mittlerweile durch eine kombinierte antiemetische Prophylaxe selbst bei Patienten, die eine hoch emetogene Tumortherapie erhalten, in 70–90 % der Fälle verhindert werden. Möglich ist dies durch die modernen Antiemetika, wie 5-HT3-Rezeptorantagonisten (5-HT3-RA) und Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten (NK1-RA) in Kombination mit Steroiden. Um möglichst optimale Ansprechraten zu realisieren, sollte die antiemetische Prophylaxe gemäß der aktuellen Leitlinien erfolgen, die regelmäßig z. B. vom Leitlinienprogramm Onkologie (S3-Leitlinien), der MASCC/ESMO und ASCO aktualisiert werden (Jordan et al. 2017a).

Definitionen

Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen nach medikamentöser Tumortherapie sind ein zusammenhängender Symptomkomplex. Nach dem Zeitpunkt des Auftretens der Symptomatik werden empirisch drei Formen des Chemotherapie- bzw. Strahlentherapie-induzierten Erbrechens unterschieden:
  • Akute Erbrechen/Übelkeit tritt definitionsgemäß innerhalb der ersten 24 Stunden nach Chemo- oder Strahlentherapie auf. Bedingt wird diese Phase hauptsächlich durch die Freisetzung von Serotonin aus enterochromaffinen Zellen des Dünndarms.
  • Verzögertes Erbrechen/Übelkeit tritt nach 24–121 Stunden nach Gabe der Chemo- oder Strahlentherapie auf. Hier spielt insbesondere die Vermittlung durch die Substanz P eine Schlüsselrolle.
  • Antizipatorische Erbrechen/Übelkeit bezeichnet eine Form „erlernter“ Symptomatik, die als Folge einer klassischen Konditionierung erst nach der negativen Erfahrung von Erbrechen und Übelkeit unter einer vorangegangenen Chemo- oder Strahlentherapie auftritt.

Pathophysiologie

Erbrechen ist ein komplexer Vorgang. Dem motorischen Reflex des Erbrechens geht in der Regel eine unterschiedlich lange und unterschiedliche intensive Phase von Übelkeit und abdominellem Unwohlsein voraus. Bei der medikamentösen Tumortherapie kann Erbrechen pathophysiologisch durch unterschiedliche Mechanismen ausgelöst werden (Hesketh 2008):
  • Der periphere Signalweg induziert vor allem das akute Erbrechen: Peripher durch Freisetzung von Serotonin aus den enterochromaffinen Zellen des Dünndarms. Serotonin bindet an die 5-HT3-Rezeptoren der benachbarten afferenten Vagusnerven und leitet stimulierende Impulse an den „Central Pattern Generator“, früher Brechzentrum genannt, in der Medulla oblongata weiter.
  • Zentral durch Freisetzung von Substanz P, einem Peptid aus der Gruppe der Neurokinine, und Bindung an NK1-Rezeptoren im Gehirn. Die Substanz P/NK1-Rezeptorbindung spielt auch eine zentrale Rolle in der Schmerzwahrnehmung und ist insbesondere für das verzögerte Erbrechen nach medikamentöser Tumortherapie verantwortlich.
Die Rolle und Interaktion anderer Signaltransduktionswege unter Beteiligung von Dopamin, Histamin oder Acetylcholin ist nicht vollständig geklärt.

Risikofaktoren für Übelkeit und Erbrechen

Therapiebezogene Risikofaktoren

Der wichtigste Risikofaktor für Zytostatika-induziertes Erbrechen (CINV) ist das emetogene Potenzial der applizierten Therapie. Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für Erbrechen oder Übelkeit bei
  • intravenöser Applikation,
  • hoher Dosierung oder
  • schneller Applikationsgeschwindigkeit.
Unter Berücksichtigung des akuten und verzögerten Erbrechens werden bei den medikamentösen Tumortherapien zwei (bei oraler Applikation) bzw. vier (bei intravenöser Applikation) Risikoklassen unterschieden. Sie reichen von minimalem emetogenen Risiko bis zu hohem emetogenen Risiko, bei dem ohne eine Prophylaxe das Risiko zu Erbrechen größer als 90 % ist (Hesketh et al. 2017; Jordan et al. 2017a).
Tab. 1
Emetogenes Potenzial intravenös applizierter antineoplastischer Substanzen
Emetogenes Potenzial
Substanzen
Hoch > 90 %
Anthrazyklin/Cyclophosphamid Kombinationa
Carboplatin AUC ≥ 4, Risikofaktoren
Carmustin
Cisplatin > 50 mg/m2
Cyclophosphamid ≥ 1500 mg/m2
Dacarbazin
Mechlorethamin
Melphalan (Hochdosistherapie)
Streptozotocin
Moderat > 30–90 %
Alemtuzumab
Epirubicin
Arsentrioxid
Idarubicin
Azacitidin
Ifosfamid
Bendamustin
Irinotecan
Busulfan
Irinotecan, liposomal
Carboplatin
Midostaurin
Cisplatin < 50 mg/m2
Oxaliplatin
Clofarabin
Romidepsin
Cyclophosphamid < 1500 mg/m2
Temozolomidb
Cytarabin > 1000 mg/m2
Thiotepac
Daunorubicin
Trabectedin
Daunorubicin, liposomal
Treosulfan
Doxorubicin
 
Gering 10–30 %
Aflibercept
Ibritumumab Tiuxetan Yttrium-90
Inotuzumab Ozogamicin
Asparaginsäure, pegyliert
Ipilimumab
Avelumab
Ixabepilon
Belinostat
Blinatumomab
Mitomycin
Bortezomib
Mitoxantron
Brentuximab Vedotin
Nab-Paclitaxel
Cabazitaxel
Necitumumab
Carfilzomib
Nelarabin
Catumaxumab
Nivolumab/Ipilimumab
Cetuximab
Paclitaxel
Cytarabin < 1000 mg/m2
Panitumumab
Decitibin
Pemetrexed
Docetaxel
Pentostatin
Doxorubicin, liposomal pegyliert
Pertuzumab
Durvalumab
Radiuim-223
Elotuzumab
Temsirolimus
Eribulin
Topotecan
Etoposid
Trastuzumab-Emtansin
Fluorouracil
Vinflunin
Gemcitabin
 
Minimal <10 %
Atezolizumab
Olaratumab
Bevacizumab
Pembrolizumab
Bleomycin
Pixantron
Busulfan
Pralatrexat
2-Chlorodeoxyadenosin
Ramucirumab
Cladribin
Rituximab
Daratumumab
Siltuximab
Fludarabin
Trastuzumab
Nivolumab
Vinblastin
Obinutuzumab
Vincristin
Ofatumumab
Vinorelbin
aDie Kombination von Anthrazyklin und Cyclophosphamid bei Patientinnen mit Brustkrebs wird als hoch emetogen eingestuft
bFür die intravenöse Gabe von Temozolomid gibt es keine Evidenz; die Bewertung der Emetogenität basiert auf den Daten zu oralem Temozolomid
cDie Bewertung der Emetogenität erfolgte anhand von Studien mit pädiatrischen Patienten
Nachdem sowohl intravenöse und orale Zytostatika als auch hormonelle und biologische Substanzen nach diesen vier bzw. zwei Risikoklassen eingestuft sind (Tab. 1 und 2) (Jordan et al. 2017a), erfolgt die Auswahl des jeweiligen antiemetischen Therapieregimes entsprechend der Zugehörigkeit zur emetogenen Gruppe. Bei Kombinationschemotherapien ist das Agens mit dem höchsten emetogenen Potenzial für die Festlegung der Emesisprophylaxe maßgebend. Bei der Kombination zweier Substanzen mit demselben emetogenen Potenzial wird das Emesisrisiko nicht potenziert (Ausnahme Anthrazyklin/Cyclophosphamid-basierte Chemotherapie bei Patientinnen mit Mammakarzinom).
Tab. 2
Emetogenes Potenzial oral applizierter antineoplastischer Substanzen
Emetogenes Potenzial
Orale Tumortherapeutika
Hoch/Moderat (≥ 30 %)
Abemaciclib
Imatinib
Avapritinib
Lomustin
Binimetinib
Midostaurin
Bosutinib
Mobocertinib
Cabozantinib
Niraparib
Ceritinib
Procarbazin
Crizotinib
Ribociclib
Cyclophosphamid oral
Rucaparib
Enasidenib
Selinexor
Fedratinib
Temozolomid
Hexamethylmelamin
Trifluridin/Tipiracil
Vinorelbin, oral
Gering/Minimal (< 30 %)
Abarelix
Ixazomib
Abemaciclib
Lapatinib
Abirateron
Larotrectinib
Acalabrutinib
Lenalidomid
Afatinib
Lenvatinib
Alectinib
Letrozol
Alltransretinolsäure
Lorlatinib
Alpesilib
Melphalan, oral
Anagrelid
Mercaptopurin
Anastrozol
Apalutamid
Neratinib
Asciminib
Nilotinib
Axitinib
Nindetanib
Bexarotene
Olaparib
 
Bicalutamid
Osimertinib
Brigatinib
Palbociclib
Busulfan, oral
Panobinostat
Capecitabin
Pazopanib
Capmatinib
Pemigatinib
Chlorambucil
Pexidartinib
Cobimetinib
Polatuzumab Vedotin
Dabrafenib
Pomalidomid
Dacomitinib
Ponatinib
Darolutamid
Pralsetinib
Dasatinib
Regorafenib
Degarelix
Relugolix
Duvelisib
Ripretinib
Encorafenib
Ruxolitinib
Entrectinib
Selpercatinib
Enzalutamid
Sonidegib
Erdafitinib
Sorafenib
Erlotinib
Sotorasib
Estramustin
Sunitinib
Etoposid
Talazoparib
Tamoxifen
Exemestan
Tazemetostat
Fludarabin, oral
Tegafur/Uracil
Flutamid
Tepotinib
Gefitinib
Thalidomid
Gilteritinib
Thioguanin/6-Thioguanin
Glasdegib
Tivozanib
Hydroxyurea
Topotecan, oral
Ibrutinib
Trametinib
Idelasilib
Treosulfan
Infigratinib
Trifluridine/Tipiracil
Ivosidenib
Tucatinib
Umbralisib
Vandetanib
Vemurafenib
Venetoclax
Vismodegib
Vorinostat
Zanubrutinib
Tab. 3
Patientenindividuelle Risikofaktoren
Faktor
Risiko für Übelkeit und Erbrechen
Geschlecht
Höher bei Frauen
Alter
Höher bei jüngeren Patienten
Reisekrankheit
Höher bei Patienten mit dieser Vorbelastung
Vorgeschichte von Übelkeit und Erbrechen
Höher bei Patienten mit Vorbelastung, auch in einer vorherigen Chemotherapie
Alkoholkonsum
Niedriger bei Patienten mit chronischem Alkoholkonsum
Ängstlichkeit
Erhöht das Risiko

Individuelle Risikofaktoren

Das Risiko, infolge einer medikamentösen Tumortherapie zu erbrechen, ist für jeden Patienten unterschiedlich stark ausgeprägt. Entscheidend ist in erster Linie das emetogene Potenzial der Tumortherapie, aber auch individuelle Faktoren beeinflussen das Risiko. In zahlreichen, in der Mehrzahl retrospektiven Studien wurde der Einfluss patientenindividueller Faktoren auf das Risiko des Auftretens von Übelkeit und Erbrechen untersucht, wie in Tab. 3 dargestellt.
Tab. 4
Ursachen für Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten (Jordan et al. 2009)
Intraabdominell
Extraabdominell
Medikamente/Metabolische Störung
Obstruktiv
Kardiopulmonal
Pharmaka
Pylorusobstruktion
Dünndarmobstruktion
Antiarrhythmika
Dickdarmobstruktion
Digitalis
Arteria-mesenterica-superior-Syndrom
Labyrintherkrankungen
Eisenpräparate
Infektion
Reisekrankheit
Levodopa
Entzündliche Erkrankung
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Malignom
Orale Antidiabetika
Cholezystitis
Zyklisches Erbrechen
Orale Kontrazeptiva
ZNS
Opiate
Hirndruck
Endokrine Ursachen/Metabolische Erkrankung
Hepatitis
Malignom
Schwangerschaft
Gestörte Motorik
Gastroparese
Blutung
Urämie
Psychiatrische Erkrankungen
Erkrankungen der Schilddrüse/Nebenschilddrüse
Gallenkolik
Antizipatorisches Erbrechen
Toxine
Abdominelle Bestrahlung
Leberversagen
Depression
Alkohol
Postoperatives Erbrechen (PONV)
Die patientenindividuellen Risikofaktoren können in Scores zusammengefasst werden, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens vorhersagen (Dranitsaris et al. 2017). Aktuell sind die patientenindividuellen Risikofaktoren noch nicht Bestandteil der Empfehlungen nationaler und internationaler Leitlinien, möglicherweise werden entsprechende Scores zukünftig aber berücksichtigt.

Differenzialdiagnose

Zahlreiche Ursachen können bei Tumorpatienten zu Übelkeit und Erbrechen führen, vor allem bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung. Andere Ursachen als die Tumortherapie sind insbesondere dann zu bedenken, wenn kein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Tumortherapie und dem Auftreten von Übelkeit und Erbrechen besteht oder wenn bei länger andauernder Tumortherapie Übelkeit und Erbrechen als neues Symptome auftreten. Andere Ursachen für Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen sind in Tab. 4 aufgelistet.
Tab. 5
Wirkungsmechanismus verschiedener Antiemetika auf das Tumortherapie-induzierte Erbrechen
Wirkort
Substanzgruppe
Wirkstoff (Beispiele)
Antiemetische Wirkung
   
Akutes Erbrechen
Verzögertes Erbrechen
5-HT3-Rezeptor
5-HT3-Rezeptorantagonisten
 
+ +
+*
  
Granisetron
  
  
Ondansetron
  
  
Tropisetron
  
  
Palonosetron
  
Multipel
Dexamethason, Methylprednisolon
+ (+)
+ (+)
Neurokinin1-Rezeptor
Neurokinin-1-Rezeptorantagonist
 
+
+ +
  
Aprepitant
  
  
Fosaprepitant
  
  
Netupitant**
  
  
Fosnetupitant**
  
Dopamin-D2-Rezeptor
Substituierte Benzamide
Metoclopramid, Alizaprid
(+)
+
GABA-Chloridkanal-Rezeptorkomplex
Lorazepam, Diazepam
(+)
(+)
Dopamin-D2-Rezeptor
Promethazin, Haloperidol
(+)
(+)
Multipel
Atypisches Neuroleptikum
Olanzapin
+
+
CB1-Rezeptor, 5-HT3-Rezeptor (?)
Dronabinol
(+)
(+)
*Antiemetischer Effekt in der verzögerten Phase insbesondere für Palonosetron erwiesen, weniger für die anderen 5-HT3-RA
**nur in fixer Kombination mit Palonosetron

Antiemetische Medikamente

Die wesentlichen antiemetisch wirksamen Substanzklassen sind die 5-HT3-RA, die NK1-RA und die Steroide. Dagegen haben die langjährig angewandten substituierten Benzamide (z. B. Metoclopramid) wesentlich an Bedeutung verloren und finden ausschließlich als Rescue-Medikamente ihre Berechtigung (Kris et al. 2006; Roila et al. 2006; Jordan et al. 2007). Eine Übersicht über die derzeit verfügbaren Antiemetika mit ihren jeweiligen Angriffspunkten ist in Tab. 5 dargestellt.
Tab. 6
5-HT3-Rezeptorantagonisten
5-HT3-RA
Empfohlene Dosis intravenös (mg)
Empfohlene Dosis oral (mg)
Granisetron*
1
2
Ondansetron
8
16
Palonosetron
0,25
0,5
Tropisetron
5
5
*Auch als transdermales Pflaster mit 3,1 mg/24 h im Handel

5-HT3-Rezeptorantagonisten (5-HT3-RA)

5-HT3-RA sind hoch wirksam in der Prophylaxe akuter Übelkeit und Erbrechen unter medikamentöser Tumortherapie. Vier 5-HT3-RA sind in Deutschland, Österreich und Schweiz in dieser Indikation verfügbar und mit den entsprechenden empfohlenen Dosierungen in Tab. 6 aufgeführt.
Tab. 7
NK-1-Rezeptorantagonisten
NK1-RA
Applikation
Empfohlene Dosis (mg)
Tag
Aprepitant
Oral
125
1
80
2–3
Fosaprepitant
Intravenös
150
1
*Fosnetupitant
Intravenös
235
1
Netupitant + Palonosetron (NEPA)
Oral
300 + 0,5
1
Fosnetupitant + Palonosetron
Intravenös
235 + 0,25
1
*in fixer Kombination mit Palonosetron
Bei Anwendung der 5-HT3-RA sind folgende Grundsätze zu beachten:
  • Die geringste wirksame Dosis ist ausreichend.
  • Die tägliche Einmalgabe ist ausreichend.
  • Die orale Gabe ist der intravenösen Gabe unter Berücksichtigung der Bioverfügbarkeit ebenbürtig.
In direkt vergleichenden Studien zwischen den 5-HT3-RA zeigte sich weitgehende Äquieffektivität bezüglich der Prophylaxe akuter Übelkeit und Erbrechen bei hoch und moderat emetogener Tumortherapie. In der Prophylaxe des verzögerten Erbrechens ist ihr Stellenwert eher als gering einzuschätzen. Eine Ausnahme stellt Palonosetron dar, das auch in der verzögerten Phase wirksam ist. Dies konnte mit signifikantem Ergebnis in den Zulassungsstudien demonstriert werden, wobei der überwiegende Anteil der Patienten kein Steroid zur Prophylaxe erhielt. In einer Phase-III-Studie wurde die Wirksamkeit von Palonosetron in der verzögerten Phase bei hoch emetogener und AC-basierter Chemotherapie untersucht (Saito et al. 2009). Im Vergleich zu Granisetron konnte durch die Gabe von Palonosetron eine signifikant bessere Symptomkontrolle in der verzögerten Phase erzielt werden (verzögerte komplette Kontrolle: 73,3 % vs. 44,5 %; p=0,0001).
Nebenwirkungen, die als Substanzklasseneffekte bei mehr als 5 % der Patienten in großen randomisierten Studien auftraten, sind Kopfschmerzen (10–20 %), Obstipation (10–20 %), Diarrhö (5–15 %), Anorexie, Fatigue und Fieber. In den meisten Fällen lagen die Nebenwirkungen im Schweregrad 1 und 2. Unter der Therapie mit 5-HT3-RA kann es zu asymptomatischen und transienten EKG-Veränderungen mit Verlängerung der PR- und der QTc-Zeit sowie zur Verbreiterung des QRS-Komplexes kommen. Diese EKG-Veränderungen sind nicht für Palonosetron beschrieben.

Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten (NK1-RA)

NK1-RA sind besonders wirksam in der Prophylaxe verzögerter Übelkeit und Erbrechen unter medikamentöser Tumortherapie. Die empfohlenen Dosierungen der in Europa zugelassenen NK1-RA sind Tab. 7 zu entnehmen.
Tab. 8
Kortikosteroide: Dexamethason bei intravenöser Tumortherapie
Risikogruppe
Ziel
Applikation
Empfohlene Dosis*
Tag
Hoch emetogen
Akute Übelkeit und Erbrechen
Oral oder intravenös
1x 20 mg oder
1x 12 mg**
1
Verzögerte Übelkeit und Erbrechen
Oral oder intravenös
1x 8 mg
2–4
Moderat emetogen
Akute Übelkeit und Erbrechen
Oral oder intravenös
1x 8 mg
1
Verzögerte Übelkeit und Erbrechen
Oral oder intravenös
1x 8 mg
2–3
Gering emetogen
Akute Übelkeit und Erbrechen
Oral oder intravenös
1x 4–8 mg
1
*Die Äquivalenzdosis von 8 mg Dexamethason sind 50–80 mg Prednison bzw. Prednisolon
**Wenn in Kombination mit Aprepitant, Fosaprepitant oder Netupitant/Palonosetron (NEPA)
NK1-RA sind gut verträglich. Weil sie in der Regel in Kombination mit 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Dexamethason eingesetzt werden, sind medikamentenspezifische Nebenwirkungen nicht immer klar zuzuordnen. Nebenwirkungen, die bei mehr als 5 % der Patienten in großen randomisierten Studien unter Aprepitant und Fosaprepitant auftraten, sind Fatigue (17 %) und Aufstoßen (14 %). Eine relativ spezifische Nebenwirkung ist der Schluckauf (4,5 %). Unter der Therapie kann es zu einem asymptomatischen Anstieg von Leberenzymen kommen. Die fixe Kombination Netupitant/Palonosetron (NEPA) in oraler und intravenöser Form ist ebenfalls gut verträglich. Hauptnebenwirkungen sind Kopfschmerzen (3,6 %), Obstipation (3,0 %) und Fatigue (1,2 %).
Alle NK1-RA sind moderate Cytochrom-3A4-(CYP3A4-)Inhibitoren. Daher ist bei kombinierter Anwendung mit Dexamethason, das ebenfalls über CYP3A4 metabolisiert wird, die Dosis von Dexamethason zu halbieren. Diese Empfehlung trifft jedoch ausschließlich auf die 20-mg-Dexamethason-Dosierung zu, nicht auf die 8-mg- oder 12-mg-Dexamethason-Gaben. Vermutete Interaktionen von Aprepitant (bisher existieren nur Daten zu Aprepitant) mit Zytostatika wie Docetaxel, Vincristin oder Etoposid konnten in Pharmakokinetikstudien bislang nicht bestätigt werden.

Kortikosteroide

Steroide werden sowohl für die Prophylaxe der akuten als auch der verzögerten Form des Erbrechens eingesetzt. Der Wirkmechanismus ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Sowohl Dexamethason als auch Prednison oder Prednisolon können eingesetzt werden. Da in fast allen großen randomisierten Studien Dexamethason als Kortikosteroid verwendet wurde, gilt Dexamethason als Standard. In Tab. 8 sind die empfohlenen Dosierungen aufgeführt.
Tab. 9
Therapieempfehlungen der aktuellen Leitlinien
Emetogenität
Medikament (Beispiele)
Antiemetika
Akute Übelkeit und Erbrechen
Antiemetika
Verzögerte Übelkeit und Erbrechen
Hoch
(> 90 %)
Cisplatin, Anthrazyklin/Cyclophaphamid
5-HT3-RA + DEX + NK1-RA (+ OLA)*
DEX + APR** (+ OLA)*
Moderat
(30–90 %)
Carboplatin
5-HT3-RA + DEX + NK1-RA
Keine oder APR**
Andere als Carboplatin, z. B. Oxaliplatin, Irinotecan, Bendamustin
5-HT3-RA + DEX
Keine Routineprophylaxe
Niedrig
(10–30 %)
Docetaxel, Etoposid, Gemcitabin, Pemetrexed, Paclitaxel
5-HT3-RA oder DEX oder DOP
Keine Routineprophylaxe
Minimal
(< 10 %)
Vincristin, Checkpointinhibitoren, Bleomycin
Keine Routineprophylaxe
Keine Routineprophylaxe
APR, Aprepitant; DEX, Dexamethason; DOP, Dopamin-Rezeptorantagonist; 5-HT3-RA, Serotonin-3-Rezeptorantagonist; NK1-RA, Neurokinin-1-Rezeptorantagonist; OLA, Olanzapin;
*Bei Patienten, die mit einer hoch emetogenen Chemotherapie behandelt werden, kann Olanzapin mit einem 5-HT3-RA plus Dexamethason plus einem NK1-RA in Betracht gezogen werden (MASCC/ESMO-Leitlinien Update 2017); in den ASCO-Leitlinien wird Olanzapin in diesem Setting empfohlen
**Wird APR 125 mg bei akuter Übelkeit und Erbrechen eingesetzt, ist kein NK1-RA an Tag 2 und 3 notwendig
Die Kombination aus einem Setron und einem Kortikoid ergibt einen Effektzugewinn von 10–30 % gegenüber der Setron-Monotherapie. Akute Nebenwirkungen der prophylaktischen Gabe von Dexamethason sind häufig. In einer prospektiven Studie mit Fokus auf die Nebenwirkungen wurden Schlafstörungen (45 %), Verdauungsbeschwerden (27 %), innere Unruhe (27 %), gesteigerter Appetit (19 %), Gewichtzunahme (16 %), Akne (15 %) und eine Gesichtsrötung beobachtet (Vardy et al. 2006).

Neuroleptika, Dopamin-Rezeptorantagonisten und weitere Reserveantiemetika

Neuroleptika wirken als Dopamin-Rezeptorantagonisten gegen Übelkeit und Erbrechen. Einzelne Substanzen wirken auch als Antagonisten an H1-Rezeptoren oder anticholinerg, sodass mehrere Mechanismen gleichzeitig gegen Übelkeit und Erbrechen adressiert werden. Eine antiemetische Therapie sollte mit maximal einem Neuroleptikum gleichzeitig durchgeführt werden, kann aber mit Substanzen kombiniert werden, die andere Rezeptoren als Dopamin-Rezeptoren ansprechen. Bei allen Neuroleptika sind mögliche kardiale Nebenwirkungen und natürlich andere bekannte Nebenwirkungen (s. unten) zu beachten.

Olanzapin

In den letzten Jahren gewann das atypische Neuroleptikum Olanzapin als antiemetische Medikation an Bedeutung (Navari et al. 2016). In der Studie zur Rescue-Therapie mit Olanzapin vs. Metoclopramid konnte eine deutliche Überlegenheit von Olanzapin gezeigt werden. Die empfohlene Dosierung liegt bei 5–10 mg in einer täglichen Einmalgabe.
Extrapyramidale Nebenwirkungen werden bei Olanzapin aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den „Atypika“ nur sehr selten beobachtet, allerdings besteht eine sedierende Wirkung (Hashimoto et al. 2019).
Eine Zulassung von Olanzapin für CINV existiert nicht. Olanzapin wird in den ASCO-2020-Leitlinien in der Primärprophylaxe reflektiert. Dies ergibt sich aus positiven Studiendaten in der hoch emetogenen Tumortherapie. Hier wurde Olanzapin zusätzlich zur etablierten Dreifachprophylaxe im randomisierten Design geprüft. Besondere Wirksamkeit ergibt sich in der Verhinderung von Übelkeit nach Tumortherapie (Navari et al. 2016; Rumyantsev et al. 2019). In den aktuellen Leitlinien der ASCO und MASCC/ESMO kann die zusätzliche Gabe von Olanzapin zu NK1-RA und 5-HT3-RA erwogen werden (Roila et al. 2016; Hesketh et al. 2020).

Haloperidol

Haloperidol wirkt ganz überwiegend als Dopamin-Rezeptorantagonist gegen Übelkeit und Erbrechen (Climent et al. 1998). Die Gabe von Haloperidol in niedrigen Dosierungen findet zur Rescue-Antiemese eine weite Verbreitung, da bei typischen Startdosierungen kaum eine relevante Sedierung auftritt. In höheren Dosierungen können sich neben einer Sedierung auch extrapyramidalmotorische Störungen finden. Im Dezember 2017 lag ein Rote-Hand-Brief vor, der aufgrund unzureichender Datenlage bzw. eines negativ bewerteten Nutzen-Risiko-Verhältnisses die Indikationen für Erbrechen terminierte.

Metoclopramid (MCP)

In niedrigen Dosierungen wirkt Metoclopramid über eine D2-Rezeptorblockade, in höheren Dosierungen tritt ein zusätzlicher 5-HT3-Rezeptorantagonismus auf. MCP kann zur Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen bei gering emetogener Tumortherapie eingesetzt werden. Es wird ebenfalls als Rescue-Antiemetikum eingesetzt, ist aber dem Olanzapin unterlegen.
Häufig auftretende Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Durchfall und innere Unruhe. Seltenere, aber belastende Nebenwirkungen sind extrapyramidale Bewegungsstörungen und tardive Dyskinesien, die häufiger bei jungen Patienten beobachtet werden. Seit 2014 empfiehlt die EMA die Anwendungsdauer und die Tageshöchstdosis von MCP aufgrund potenziell schwerwiegender Nebenwirkungen auf 0,5 mg/kg Körpergewicht mit maximal 30 mg (3x 10 mg) pro Tag zu beschränken (Jordan et al. 2015).

Levomepromazin

Die Wirkung erklärt sich über den kombinierten Antagonismus an Dopamin-, H1- und Acetylcholinrezeptoren. Über den H1-Antagonismus erklärt sich eine oft erwünschte sedierende Wirkung. Levomepromazin spielt nur eine Rolle als Reserve-Antiemetikum.

Benzodiazepine

Benzodiazepine (z. B. Lorazepam, Diazepam) haben keine primäre antiemetische Wirkung. Allerdings sollte diese Substanzgruppe nicht unterschätzt werden, da sie durch ihre anxiolytische Wirkung und ihren sedierenden Effekt insbesondere beim antizipatorischen und beim unstillbaren Erbrechen sehr wirkungsvoll sein kann (Hesketh 2008). Studien mit Lorazepam haben eine hohe Patientenakzeptanz bewiesen. Da Lorazepam jedoch objektiv nur einen kleinen Beitrag zur antiemetischen Wirksamkeit leistet, wird die Verwendung als Monoantiemetikum nicht empfohlen.

Cannabinoide

Es liegen mehrere Übersichtsarbeiten vor, die den Einsatz von Cannabinoiden bei Chemotherapie-induziertem Erbrechen untersuchten (Tramèr et al. 2001; Whiting et al. 2015; Chow et al. 2022). Als Vergleich wurde überwiegend Placebo oder die vor der Einführung der 5-HT3-Antagonisten verfügbaren Antiemetika eingesetzt. Nur in einer Studie wurde Dronabinol gegenüber Ondansetron untersucht (Meiri et al. 2007). Beide Substanzen und die Kombination waren vergleichbar in Bezug auf die Kontrolle der Chemotherapie-induzierten Übelkeit und Erbrechen.
Problematisch zeigen sich potentielle Nebenwirkungen der Cannabinoide, wie Sedation aber auch Euphorie bis zu Halluzination und Dysphorie. Zudem wird in Studien, die Cannabinoide als Schmerzmedikation einsetzen, Nausea als eine der häufigen Nebenwirkungen beschrieben.

Ingwer

Die nachgewiesene antiemetische Potenz von Ingwer beruht auf einem Antagonismus am 5-HT3-Rezeptor (Abdel-Aziz et al. 2006; Walstab et al. 2013). In Zusammenschau der bisher vorliegenden Studien ist die Wirkung von Ingwer bei Tumortherapie-induziertem Erbrechen nicht überzeugend (Bossi et al. 2017).

Antiemetische Prophylaxe und Therapie

Wichtig ist die Festlegung der antiemetischen Strategie für die akute und verzögerte Phase mit Vorbereitung und vor Beginn der Tumortherapie. Eine erst im Verlauf der Therapie einsetzende symptomorientierte Behandlung ist nur noch bedingt wirksam, insbesondere für die Prophylaxe der verzögerten Phase des Erbrechens. Bei ambulant behandelten Patienten ist die schriftliche Erstellung und Aushändigung eines Medikamentenplans unverzichtbar.
Zunächst wird das emetogene Potenzial der Tumortherapie festgelegt. Hierbei ist das Zytostatikum mit dem höchsten emetogenen Potenzial ausschlaggebend; es ergibt sich kein additiver Effekt durch weitere Zytostatika. Die Erstlinienprophylaxe richtet sich nach dem emetogenen Potenzial der geplanten Therapie, s. Tab. 9 (Jordan et al. 2017b). Das Vorgehen orientiert sich an den Leitlinien der ASCO und MASCC/ESMO und der S3-Leitlinie Supportive Therapie.

Hoch emetogene Tumortherapie

In diese Gruppe fallen vor allem intravenös applizierte Zytostatika wie Cisplatin. Die Kombination von Anthrazyklinen und Cyclophosphamid bei Patientinnen mit Mammakarzinom wird ebenfalls als hoch emetogen eingestuft. Das CHOP-Regime allerdings gilt nach wie vor als moderat emetogen (Hesketh et al. 2020).

Akute Phase

Die Kombination eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten mit einem NK1-Rezeptorantagonisten und Dexamethason ist bei hoch emetogener Chemotherapie Voraussetzung und als Standardprophylaxe anzusehen. In den aktualisierten ASCO-Leitlinien wird zudem Olanzapin für vier Tage empfohlen. Allerdings ist diese Empfehlung auch kritisch zu sehen, da nunmehr zeitgleich vier Medikamente zur Prophylaxe eines Nebenwirkungskomplexes eingesetzt werden sollen (Hesketh et al. 2020).

Verzögerte Phase

In den nachfolgenden Tagen treten Übelkeit und Erbrechen gehäuft bei den Patienten auf, die auch unter akuter Übelkeit und Erbrechen gelitten haben. Die wirksamsten Substanzen zur Vermeidung verzögerter Übelkeit und Erbrechen sind NK1-Rezeptorantagonisten und Dexamethason. In den aktualisierten ASCO-Leitlinien wird zudem Olanzapin an den Tagen 2–4 empfohlen. Die Gabe von 5-HT3-Rezeptorantagonisten in der verzögerten Phase erfolgt nicht. Die Applikationsformen unterscheiden sich bei den zugelassenen NK1-Rezeptorantagonisten. Bei Einsatz von Aprepitant an Tag 1 wird eine Fortsetzung des Arzneimittels an Tag 2 und 3, und zusammen mit Dexamethason, empfohlen. Bei Fosaprepitant und bei den fixen Kombinationen Fosnetupitant/ Palonosetron und Netupitant/Palonosetron (NEPA) erfolgt die Gabe des NK1-Rezeptorantagonisten nur an Tag 1. Die Applikation von Dexamethason wird an den Tagen 2 und 3 fortgeführt.

Moderat emetogene Tumortherapie

In diese Gruppe fallen Zytostatika sehr unterschiedlicher Substanzklassen wie Alkylanzien, Anthrazykline und die Platinderivate Carboplatin und Oxaliplatin. Mittlerweile nimmt Carboplatin eine Sonderrolle ein, da hier eine von der moderat emetogenen Prophylaxe abweichende Prophylaxe sinnvoll und empfohlen ist, da das emetogene Potenzial als hoch moderat einzuschätzen ist. Aufgrund dessen wird eine Prophylaxe bei Einsatz von Carboplatin mit AUC ≥ 4 mit der Dreifachkombination empfohlen.

Akute Phase

Die empfohlene Kombination ist die Gabe eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten mit Dexamethason bei moderat emetogener Tumortherapie. Zusätzlich wird bei Carboplatin als hoch moderat emetogene Subkategorie eine Prophylaxe mit einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten, einem NK1-Rezeptorantagonisten und Dexamethason empfohlen.

Verzögerte Phase

Eine generelle routinemäßige Prophylaxe mit Dexamethason kann nicht empfohlen werden. Allerdings kann bei Tumortherapien mit höher emetogenem Potenzial, wie Oxaliplatin, Doxorubicin oder Cyclophosphamid, die Gabe von Dexamethason in der verzögerten Phase an den Tagen 2 und 3 sinnvoll sein. Bei Einsatz von Palonosetron ist der Wert einer verlängerten Dexamethason-Gabe an den Tagen 2 und 3 nicht gesichert.
Bei Carboplatin-haltiger Therapie (AUC ≥ 4) wird die Gabe von Aprepitant an den Tagen 2 und 3 empfohlen, sofern dieser NK1-Rezeptorantagonist an Tag 1 gegeben wurde. Die Gabe von Fosaprepitant, Fosnetupitant/ Palonosetron oder NEPA soll nicht wiederholt werden. Zur Gabe von Dexamethason liegen keine gesicherten Daten zum zusätzlichen Nutzen in Kombination mit einem NK1-Rezeptorantagonisten vor, sodass die Gabe von Dexamethason an den Tagen 2 und 3 nicht empfohlen wird.

Gering emetogene Tumortherapie

Zur Prophylaxe von Übelkeit und Erbrechen bei einem geringen Risiko für Übelkeit und Erbrechen liegen keine Daten aussagekräftiger, randomisierter Studien vor. Die Gabe von Dexamethason, eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten oder Metoclopramid kann prophylaktisch an Tag 1 erwogen werden.

Minimal emetogene Tumortherapie

Bei minimalem Risiko wird in der Erstlinientherapie keine Prophylaxe empfohlen.

Kontinuierliche orale Tumortherapie

Das emetogene Potenzial der oralen Tumortherapie ist auch hier maßgebend. Eine Herausforderung stellt die Gabe dieser Medikamente meist über einen längeren Zeitraum dar, die eine kontinuierliche antiemetische Begleittherapie hinterfragen lässt und zur Individualisierung der Therapie führt. Bislang fehlen randomisierte Studien in diesem Bereich, daher basieren die Empfehlungen zumeist auf einem Expertenkonsens (Jahn et al. 2022).

Orale hoch/moderat emetogene Tumortherapie

Typische Vertreter sind Bosutinib, Temozolomid oder Cyclophosphamid oral. Zur antiemetischen Prophylaxe wird eine Kombination aus 5-HT3-RA (Tag 1–7) und Dexamethason 4–8 mg (Tag 1–3) empfohlen. Sollten nach einem Auslassversuch ab Tag 8 der Therapie Nausea und Emesis auftreten, kann die Prophylaxe erneut gegeben werden.
Procarbazin, ein orales Tumortherapeutikum mit sehr hohem Emesis-Risiko, stellt eine Ausnahme dar. Hier ist eine Dreifachkombination aus 5-HT3-RA mit einem NK1-RA und Dexamethason sinnvoll.

Orale gering/minimal emetogene Tumortherapie

Zu den Therapeutika mit geringem oder minimalem Emesis-Risiko werden alle Checkpointinhibitoren gezählt. In dieser Risikokategorie ist nur dann eine antiemetische Prophylaxe notwendig, wenn eine besondere Neigung zu Nausea und Emesis besteht – das Vorliegen eines einzelnen Risikofaktors, wie z. B. weibliches Geschlecht, ist eher nicht ausreichend. Wie bei der parenteralen Tumortherapie gilt: Sollten Symptome auftreten ist eine Rescue-Therapie notwendig und eine Prophylaxe ab dem nächsten Zyklus erforderlich.

Hoch emetogene Mehrtageschemotherapie

Bei der Mehrtageschemotherapie liegen fast ausschließlich Studiendaten zur Chemotherapie mit PEB (Cisplatin, Etoposid, Bleomycin) vor. Empfohlen wird die Kombination eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten mit einem NK1-Rezeptorantagonisten und Dexamethason. Bei mehrtägiger Cisplatin-Therapie wird bei Verwendung von Palonosetron dieses nur an den Tagen 1, 3 und 5 empfohlen. Über optimale Dauer und Regime der antiemetischen Prophylaxe ist keine belastbare Aussage möglich.

Hochdosischemotherapie

Bei einer Hochdosistherapie mit Melphalan wird die Kombination eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten mit einem NK1-Rezeptorantagonisten und Dexamethason empfohlen (Schmitt et al. 2014). Bei anderen Hochdosiskonzepten sind die Chemotherapieprotokolle in den Einzelstudien sehr heterogen, sodass eine klare Empfehlung für weitere Einzelprotokolle nicht möglich ist. Insgesamt war die Dreifachkombination der Zweifachkombination allerdings in den vorliegenden Studien in der Wirksamkeit überlegen, sodass eine Dreifachprophylaxe sehr sinnvoll erscheint.

Therapie des antizipatorischen Erbrechens

Ist es zur „erlernten“ Form – dem antizipatorischen Erbrechen – gekommen, lassen sich die Symptome mit den klassischen Antiemetika kaum beherrschen. Hier steht demzufolge das Vermeiden des Auftretens insbesondere durch eine gut abgestimmte Prophylaxe vom ersten Tag des ersten Zyklus der Chemotherapie oder Bestrahlung im Vordergrund.
Therapeutisch stehen beim antizipatorischen Erbrechen als einem kognitiven Prozess primär psychologische Interventionen zur Diskussion. Hier seien die progressive Muskelrelaxation, die systemische Desensibilisierung, die Hypnose und die kognitive Distraktion als Beispiele genannt (Aapro et al. 2005), ihre Umsetzung in die Praxis ist allerdings häufig nur begrenzt möglich. Eine Behandlung mit niedrig dosierten Benzodiazepinen kann ebenfalls erwogen werden.

Therapie der Tumortherapie-induzierten Nausea und Emesis

Kommt es trotz antiemetischer Prophylaxe zu Übelkeit und/oder Erbrechen, ist zu überprüfen, ob der Patient eine leitliniengerechte Antiemese erhalten hat. Bei anhaltender Übelkeit und/oder Erbrechen nach der Tumortherapie trotz optimaler Antiemese und sichergestellter Therapieadhärenz sind parallel zur medikamentösen Therapie andere Ursachen, wie z. B. emetogene Komedikation, intrakranieller Druck oder gastrointestinale Obstruktionen, zu bedenken (s. auch Tab. 4). Bei unzureichend kontrollierter Übelkeit und/oder Erbrechen trotz antiemetischer Prophylaxe während eines Therapiezyklus sollte keine Dosiserhöhung der 5HT3-RA/NK1-RA über die empfohlene Tagesdosis hinaus erfolgen. Die Gabe eines Antiemetikums der gleichen Substanzklasse ist nicht zielführend. Im Folgezyklus sollte ein alternatives antiemetisches Schema angewandt werden.
Bei Übelkeit und/oder Erbrechen trotz optimaler Antiemese sollte Olanzapin als Rescue-Antiemese dem Metoclopramid vorgezogen werden (Off-Label-Anwendung), wobei die sedierende Komponente zu beachten ist. In einer Phase-III-Studie (n = 276) wurden Patienten mit hoch emetogener Chemotherapie nach Versagen der antiemetischen Prophylaxe (Fosaprepitant, Palonosetron und Dexamethason) randomisiert. Als Rescue-Antiemese erhielten die Patienten in einem Arm Metoclopramid für drei Tage und im anderen Arm Olanzapin für drei Tage. Kein Erbrechen oder Übelkeit traten bei 70 % bzw. 68 % in der Olanzapin-Gruppe und nur zu 31 % bzw. 23 % in der Metoclopramid-Gruppe auf (Navari et al. 2013).
Bei Übelkeit und/oder Erbrechen trotz optimaler Antiemese sind folgende Medikamente als Rescue-Antiemetika einsetzbar (Beispiele):
  • Neuroleptika und andere Dopamin-Rezeptorantagonisten:
    • Olanzapin, initial 1x 5 mg p.o. (im Vgl. höchste Wirksamkeit, Off-Label-Anwendung)
    • Metoclopramid, 3x 10 mg p.o. (Tageshöchstdosis 0,5 mg/kg KG bis maximal 30 mg) über 5 Tage
    • Levomepromazin, initial 3x 1–5 mg p.o.
    • Alizaprid, initial 3x 50 mg
  • Benzodiazepine:
    • Lorazepam, initial 1x 1–2 mg p.o.
    • Alprazolam, initial 1x 0,25–1,0 mg p.o.
  • H1-Blocker:
    • Dimenhydrinat, initial 3x 50–100 mg p.o. oder 1–2x 150 mg rektal
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