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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 13.01.2015

Medikamententoxische Kardiomyopathie

Verfasst von: Arne Hansen und Thomas Eschenhagen
Das Thema medikamententoxische Kardiomyopathien hat in den letzten 10 Jahren aus 2 Gründen an Bedeutung gewonnen. Erstens nimmt aufgrund der verbesserten Therapie kindlicher Malignome die Zahl von Spätüberlebenden einer Anthrazyklintherapie und damit von Spätwirkungen dieses bekannten Kardiotoxins zu. Zweitens steigt seit der Zulassung von Trastuzumab (Herceptin) im Jahr 1998 die Zahl der sogenannten „targeted therapies“ mit potenziellen toxischen Wirkungen auf das Herz dramatisch an. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) definiert Kardiomyopathien als strukturelle oder funktionelle Erkrankungen der Herzmuskulatur in Abwesenheit von koronarer Herzerkrankung, Bluthochdruck, Veränderungen der Herzklappen oder angeborenen Herzerkrankungen. Etwa 50 % dieser Kardiomyopathien sind angeborene Formen (dilatative Kardiomyopathie: 36/100.000, hereditärer Anteil 35 %; hypertrophe Kardiomyopathie: 200/100.000, hereditärer Anteil 50 %). Die andere Hälfte setzt sich aus erworbenen Formen zusammen (Richard et al. 2006). Wichtige Ursachen für erworbene Kardiomyopathien sind neben viralen und bakteriellen Infektionen, Speichererkrankungen, maligne Infiltrationen und Beteiligung bei autoimmunologischen Erkrankungen vor allem medikamentös/toxische Schädigungen des Herzens. Dafür verantwortlich sind am häufigsten Anthrazykline, Tyrosinkinase-Inhibitoren, monoklonale Antikörper, Ethanol, Kokain, Amphetamine, anabole Hormone, Wachstumshormone oder Schwermetalle. Die Erkrankung kann innerhalb von Tagen/Wochen nach Expositionsbeginn oder erst nach Monaten/Jahren eintreten.

Einleitung

Das Thema medikamententoxische Kardiomyopathien hat in den letzten 10 Jahren aus 2 Gründen an Bedeutung gewonnen. Erstens nimmt aufgrund der verbesserten Therapie kindlicher Malignome die Zahl von Spätüberlebenden einer Anthrazyklintherapie und damit von Spätwirkungen dieses bekannten Kardiotoxins zu. Zweitens steigt seit der Zulassung von Trastuzumab (Herceptin) im Jahr 1998 die Zahl der sogenannten „targeted therapies“ mit potenziellen toxischen Wirkungen auf das Herz dramatisch an. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) definiert Kardiomyopathien als strukturelle oder funktionelle Erkrankungen der Herzmuskulatur in Abwesenheit von koronarer Herzerkrankung, Bluthochdruck, Veränderungen der Herzklappen oder angeborenen Herzerkrankungen. Etwa 50 % dieser Kardiomyopathien sind angeborene Formen (dilatative Kardiomyopathie: 36/100.000, hereditärer Anteil 35 %; hypertrophe Kardiomyopathie: 200/100.000, hereditärer Anteil 50 %). Die andere Hälfte setzt sich aus erworbenen Formen zusammen (Richard et al. 2006). Wichtige Ursachen für erworbene Kardiomyopathien sind neben viralen und bakteriellen Infektionen, Speichererkrankungen, maligne Infiltrationen und Beteiligung bei autoimmunologischen Erkrankungen vor allem medikamentös/toxische Schädigungen des Herzens. Dafür verantwortlich sind am häufigsten Anthrazykline, Tyrosinkinase-Inhibitoren, monoklonale Antikörper, Ethanol, Kokain, Amphetamine, anabole Hormone, Wachstumshormone oder Schwermetalle. Die Erkrankung kann innerhalb von Tagen/Wochen nach Expositionsbeginn oder erst nach Monaten/Jahren eintreten.

Pathophysiologie

Entsprechend der Vielfalt schädigender Substanzen ist auch die Pathophysiologie der medikamententoxischen Kardiotoxizität vielschichtig und nur in Einzelfällen wirklich geklärt. Kardiomyozyten sind als postmitotische Zellen im Vergleich beispielsweise zu Knochenmarks- oder Darm(stamm)zellen relativ resistent gegenüber Störungen der Zellproliferation. Aus demselben Grund ist aber der Verlust von Kardiomyozyten praktisch irreversibel und schränkt die kontraktile Reserve des Herzens ein. Dies muss sich akut nicht bemerkbar machen, führt aber zur klinischen Manifestation, wenn die kontraktile Reserve beispielsweise aufgrund von Bluthochdruck gebraucht wird. Die Tatsache, dass Kardiomyozyten postmitotische Zellen sind, weist auch darauf hin, dass das Herz effiziente Mechanismen braucht, seine Proteine regelmäßig auszutauschen. Dies könnte erklären, warum Störungen des Ubiquitin-Proteasom-Wegs (UPS) und der Autophagie ursächlich für medikamententoxische Kardiomyopathien sein können. Auf der anderen Seite sind Herzmuskelzellen aufgrund des dauerhaft hohen Energiebedarfs in extremer Weise abhängig von einer adäquaten Blutzufuhr und einem funktionierenden oxidativen Metabolismus in den in hoher Dichte vorhandenen Mitochondrien.
Die wichtigsten Kardiotoxine sind die Anthrazykline/Anthraquinone, z. B. Doxorubicin. Sie haben ein akutes und verzögertes kardiotoxisches Potenzial. Trotz tausender Studien ist der Schädigungsmechanismus bis heute nicht klar. Seit Langem weiß man, dass Anthrazykline Komplexe mit Eisen bilden, die zur Bildung schädigender Sauerstoffradikale und dadurch zum Zelltod führen. Für die Bedeutung dieses Mechanismus spricht, dass die einzige wirksame und für die Anwendung am Menschen zugelassene Prophylaxe einer Kardiotoxizität, Dexrazoxan, freies Eisen abfängt und damit die Bildung der toxischen Anthrazyklin-Eisen-Komplexe verhindern kann. Andererseits hat der Eisenchelator Desferoxamin keine protektive Wirkung gegenüber der Doxorubicin-Herzschädigung. Eine Erklärung für dieses scheinbare Paradox könnte sein, dass Dexrazoxan im Gegensatz zu Desferoxamin in die Mitochondrien gelangt, die mit großer Wahrscheinlichkeit die zentralen Orte der Anthrazyklin-Eisen-Schädigung sind. Alternativ wurde kürzlich postuliert, dass die in Kardiomyozyten exprimierte Topoisomerase II-beta eine zentrale Rolle in der Anthrazyklin-Kardiotoxizität spielt, weil Knockout-Mäuse gegenüber Doxorubicin geschützt waren und keine Herzinsuffizienz entwickelten (Zhang et al. 2012). Mechanistisch könnte eine Hemmung der durch Topoisomerase II-beta vermittelten Mitochondrien-Biosynthese eine Rolle spielen.
Eine weitere Form von potenziell lebensbedrohlichen Schädigungen des Herzens wird durch den Antimetaboliten 5-Fluoruracil hervorgerufen. Berichte über Ischämiezeichen im EKG legen einen primär vaskulären Angriffspunkt nahe, z. B. über Schädigung des Endothels oder einen direkten durch Proteinkinase C vermittelten Vasospasmus. Ähnliche akute Formen mit Remission nach Expositionsende wurden für Cyclophosphamid beschrieben. Auch der Proteasom-Inhibitor Bortezomib zur Therapie des multiplen Myeloms ist mit Kardiomyopathien assoziiert worden (Herzinsuffizienz bei 2 % der behandelten Patienten). Der Mechanismus ist unklar und angesichts der vielfältigen Konsequenzen einer Hemmung des Protein-Turnovers wahrscheinlich komplex.
Ein neues Kapitel der Kardiotoxizität von Antitumor-Substanzen ist aufgeschlagen worden, als in einer großen klinischen Studie gezeigt wurde, dass der monoklonale Antikörper Trastuzumab bei Patientinnen mit Mammakarzinom die Kardiotoxizität von Doxorubicin von etwa 3 auf 16 % erhöhte (Suter et al. 2004). Trastuzumab ist gegen den bei vielen Mammakarzinomen hochexprimierten ErbB2-Rezeptor (HER2) gerichtet und gilt als Paradebeispiel einer sogenannten zielgerichteten Therapie. Tatsächlich aber exprimieren auch normale Herzmuskelzellen ErbB2, und genetische Deletion dieses Rezeptors führt bei Mäusen zu embryonaler Letalität aufgrund schwerer Herzschäden. Folgeuntersuchungen zeigten, dass das Herz diesen Rezeptor und seinen Liganden Neuregulin ebenso wie andere aus der Tumorbiologie bekannte Wachstumswege vor allem dann braucht, wenn es unter vermehrter Belastung steht. Diese Beobachtungen führten zur Formulierung eines neuen Paradigmas – das Herz benötigt dieselben Signalwege, die der Tumor für Zellproliferation braucht, zum Schutz gegen Zelluntergang unter Belastung, z. B. Doxorubicin. Diese Theorie könnte gut erklären, warum viele der neuen Anti-Tumor-Substanzen inklusive der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) kardiotoxisch wirken. Im Einzelnen ist der Mechanismus aber nicht geklärt und wahrscheinlich uneinheitlich. Diskutiert werden Veränderungen der Autophagieaktivität und Inhibition von protektiven Signalkaskaden. Beispiele sind:
  • Phosphoinositid-3-Kinase-/Akt- oder „mammalian target of rapamycin“ (mTOR)-Signalweg
  • RAS-, RAF-1-, BRAF-, MEK1-/2- oder ERK1-/2-Signalweg
  • Calcineurin-/NFAT-Signalweg
  • Januskinase-/STAT-Signalweg (Eschenhagen et al. 2011).
Ebenfalls von Bedeutung ist wahrscheinlich die Homöostase der kardialen Mikrovaskularisierung. Während man früher annahm, dass Endothelzellen und Gefäße im Herzen relativ statisch sind, weiß man heute aus Versuchen an Mäusen, dass die kardiale Expression eines Antagonisten des „vascular endothelial growth factor“ (VEGF) in relativ kurzer Zeit zu einer Rarifizierung des kardialen Gefäßbetts und kontraktilen Störungen führt (May et al. 2008). Dies könnte erklären, warum monoklonale Antikörper gegen VEGF (Bevacizumab) das Risiko für eine Herzinsuffizienz 4-fach erhöhen. Dazu kommt, dass VEGF-Antagonisten relativ häufig eine arterielle Hypertonie und vermehrte Thromboseneigung verursachen. Dies gilt auch für die Multi-TKI Sunitinib und Sorafenib, die unterhalb des Rezeptors ebenfalls in die Signalkaskade von VEGF eingreifen. Die Tatsache, dass sie darüber hinaus bis zu 50 weitere Kinasen mit ähnlicher Affinität hemmen, erklärt ihr besonders hohes kardiotoxisches Potenzial. Imatinib, das ein deutlich schmaleres Wirkspektrum hat (Tab. 1), ist auch mit Fällen von Kardiomyopathie assoziiert worden, allerdings seltener.
Tab. 1
Darstellung der Häufigkeit einer medikamententoxischen Kardiomyopathie unter der Therapie mit typischen kardiotoxischen Arzneimitteln laut Fachinformation
Wirkstoff
Zielstruktur/Klasse
Indikation
Kardiomyopathie (laut Fachinformation oder Literatur)
Doxorubicin
Mitochondrien
Topoisomerase II
Kleinzelliges Bronchialkarzinom
Fortgeschrittenes oder metastasiertes Harnblasenkarzinom
Fortgeschrittenes Weichteilsarkom
Akute myeloblastische Leukämie
Fortgeschrittenes multiples Myelom
Fortgeschrittenes oder rezidivierendes Endometriumkarzinom
Wilms-Tumor
Anaplastisches, papilläres, follikuläres Schilddrüsenkarzinom
Fortgeschrittenes Neuroblastom
1–2 %, unter 300mg/m2
5–25 %, ≥ 550mg/m2 (Lipshultz et al. 2010; Lipshultz et al. 2013)
Liposomales Doxorubicin
Siehe oben
Metastasiertes Mammakarzinom
Kumulative Dosis x 0,67 = Doxorubicin-Äquivalent-Dosis (Ewer und Ewer 2010)
Daunorubicin
Siehe oben
Akute lymphoblastische bzw. lymphatische Leukämie
Kumulative Dosis x 0,83 = Doxorubicin-Äquivalent-Dosis (s. Kommentar oben)
Epirubicin
Siehe oben
Mammakarzinom
Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom
Kleinzelliges Bronchialkarzinom
Fortgeschrittenes Magenkarzinom
Fortgeschrittenes Weichteilsarkom
Urothelkarzinom
Kumulative Dosis x 0,67 = Doxorubicin-Äquivalent-Dosis (s. Kommentar oben; Ewer und Ewer 2010)
Idarubicin
Siehe oben
Akute myeloische Leukämie
Kumulative Dosis x 5 = Doxorubicin-Äquivalent-Dosis (s. Kommentar oben)
Mitoxantron
Siehe oben
Fortgeschrittenes und/oder metastasiertes Mammakarzinom
Intermediäre und hochmaligne Non-Hodgkin Lymphome (NHL)
Akute myeloische Leukämie
Fortgeschrittenes und hormonresistentes Prostatakarzinom
Kumulative Dosis x 4 = Doxorubicin-Äquivalent-Dosis (s. Kommentar oben; Ewer und Ewer 2010)
Sunitinib
Multi-TKI
Metastasiertes Nierenzellkarzinom
Pankreatische neuroendokrine Tumoren
Häufig
Sorafenib
Multi-TKI
Leberzellkarzinom
Nierenzellkarzinom
Häufig
Imatinib
BCR-ABL-Kinase
c-Kit
Chronisch myeloische Leukämie
Dermatofibrosarcoma protuberans
Gastrointestinale Stromatumoren
Gelegentlich
Trastuzumab
HER2-Rezeptor
Mammakarzinom
Metastasiertes Magenkarzinom
Häufig
Bevacizumab
VEGF
Metastasiertes kolorektales Karzinom
Metastasiertem Mammakarzinom
metastasiertes oder rezidivierendes nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom
Metastasiertes Nierenzellkarzinom
Fortgeschrittenes epitheliales Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primäres Peritonealkarzinom
Häufig
Bortezomib
Proteasom
Multiples Myelom
Gelegentlich
5-Fluoruracil
Anti-Metabolit
Fortgeschrittenes kolorektales Karzinom
Fortgeschrittenes Magenkarzinom
Fortgeschrittenes Pankreaskarzinom
Fortgeschrittenes und/oder metastasiertes Mammakarzinom
Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereichs
Fortgeschrittenes Ösophaguskarzinom
Gelegentlich
Cyclophosphamid
Alkylanzien
Akute lymphatische Leukämie
Hodgkin-/Non-Hodgkin-Lymphome
Chronisch lymphatische Leukämie
Plasmozytom
Mammakarzinom
Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom
Kleinzelliges Bronchialkarzinom
Ewing-Sarkom
Neuroblastom
Rhabdomyosarkom
Osteosarkom
Keine Angaben
Häufig: 1–10 %, gelegentlich: 0,1–1 %, selten: 0,01–0,1 %
TKI Tyrosinkinase-Inhibitor
Neben Medikamenten spielen Alkohol, Kokain, Amphetamine und verwandte Drogen eine zahlenmäßig wichtige Rolle als Kardiotoxine. Ethanol kann bei Kardiomyozyten eine Apoptose induzieren und hat vor allem langfristig schädigende Wirkungen, deren Mechanismus aber nicht bekannt ist. Der Alkohol-Metabolit Acetaldehyd hat eine kardiodepressive Wirkung (mitochondriale Dysfunktion, Störung der Kalziumhomöostase). Das Auftreten einer alkoholischen Kardiomyopathie korreliert mit dem kumulativen Alkoholkonsum. Während geringe Dosen (Frauen 20g/d, Männer 30g/d) wahrscheinlich langfristig einen protektiven kardiovaskulären Effekt haben, treten bei höheren Dosen unerwünschte Wirkungen in den Vordergrund. Genaue Schwellenwerte liegen nicht vor, ein deutlich erhöhtes Risiko besteht bei einem Konsum von > 80g/d für mehrere Jahre.
Kokain und Amphetamin sowie Verwandte wie 3,4-Methylendioxymethylamphetamin (MDMA/Ecstasy) oder Methylamphetamin (Crystal Meth) haben anders als Alkohol eine hohe akute kardiotoxische Wirkung, die plötzliche Herztodesfälle, Herzinfarkte, tödliche Rhythmusstörungen und schwer beherrschbare Kardiomyopathien einschließt. Ursächlich spielt die ausgeprägte Sympathikusaktivierung durch diese indirekten Sympathomimetika eine zentrale Rolle. Kokain hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt, Amphetamine führen zur vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin. Die (regional unterschiedlich) ausgeprägte Zunahme der Noradrenalinkonzentration führt zu Vasospasmen, Myokardischämien und Nekrosen ebenso wie ischämisch bedingten Rhythmusstörungen. Bei Kokain kommt die direkte Hemmung des schnellen Natriumeinstroms (Klasse-I-Antiarrhythmika oder Lokalanästhetika-Wirkung) am Kardiomyozyten hinzu. Dies kann wie alle Klasse-I-Antiarrhythmika proarrhythmisch und kardiodepressiv wirken. Für anabole Steroide, Wachstumshormone und Kobalt liegen ebenfalls Daten zur Induktion einer Kardiomyopathie vor, die Mechanismen sind nicht näher geklärt.

Epidemiologie, Alter und Gender

Man schätzt aktuell die Zahl der Langzeit-Überlebenden eines Kindheitsmalignoms in den USA auf 300.000 oder auf 1/640 in der Altersklasse von 20–39 Jahren. In dieser Gruppe ist gegenüber Geschwistern das 30-Jahres-Risiko für Herzinsuffizienz 15-fach, für KHK 10-fach und für Schlaganfälle 9-fach erhöht. Die verzögerte Kardiotoxizität ist ein zunehmender Grund für Herztransplantationen (Lipshultz et al. 2010). Mit Abstand wichtigste Ursache ist die Behandlung mit Doxorubicin. Die Häufigkeit einer verzögerten Doxorubicin-vermittelten Kardiomyopathie ist positiv assoziiert mit weiblichem Geschlecht, Gabe in frühem Lebensalter und hohen individuellen und kumulativen Dosen. Sie steigt mit der Länge des Beobachtungszeitraums, was für den o. g. Mechanismus spricht, dass eine einmal stattgefundene Schädigung, insbesondere der Verlust von Kardiomyozyten, irreversibel ist und mit steigendem Lebensalter, sinkender kontraktiler Reserve des Herzens und zunehmenden externen Schädigungen manifest wird. Die Datenlage zu den TKI und Antikörpern ist aufgrund der kleineren Zahlen deutlich schlechter als bei Doxorubicin, sodass keine spezifischen Angaben zur Alters- und Geschlechtsabhängigkeit gemacht werden können. Ein wichtiger Unterschied zu den Anthrazyklinen könnte aber die Reversibilität sein. Die Schädigung bei Doxorubicin ist in der Regel mit Zelltod und Anstieg von Markern des Zelluntergangs (z. B. Troponin I/T im Serum) verbunden und irreversibel (Typ-I-Toxizität). Dagegen bleibt bei den „gezielten Therapien“ in der Regel ein Anstieg von Troponin I/T im Serum aus, der Schaden ist wahrscheinlich überwiegend reversibel (Typ-II-Toxizität).
Trotz der alarmierenden Zahlen bei den Langzeit-Überlebenden eines Kindheitsmalignoms bleibt die medikamententoxische Kardiomyopathie absolut gesehen relativ selten. Sie wird aufgrund des großen zeitlichen Abstands zwischen Tumortherapie, klinischer Manifestation und häufiger anderer Ursachen nicht immer als solche gedeutet. Dies mag erklären, warum viele Ärzte und insbesondere Onkologen das Problem eher unterschätzen. In der Kardiologie wird die medikamententoxische Kardiomyopathie zunehmend als wichtiges Problem erkannt (Eschenhagen et al. 2011). Eine naturgemäß hohe Dunkelziffer besteht bei Kokain- und Amphetamin-induzierten Kardiomyopathien und plötzlichen Herztodesfällen. Es ist aber angesichts des weltweit zunehmenden Gebrauchs dieser Drogen anzunehmen, dass die Bedeutung zunimmt.

Klinik

Die klinische Symptomatik ist vielgestaltig und umfasst Überleitungsstörungen, Arrhythmien, ventrikuläre Dysfunktion und akutes Koronarsyndrom. Der Schweregrad der klinischen Symptomatik umfasst asymptomatische Verläufe mit eingeschränkter Ejektionsfraktion bis zu schweren Herzinsuffizienzsyndromen mit komplizierten Arrhythmien. Die medikamententoxische Kardiomyopathie kann als (sub-)akute (innerhalb von Wochen bis Monaten) oder chronische Form (innerhalb von Jahren bis Jahrzehnten) auftreten. Die (sub-)akute Form zeigt häufiger einen reversiblen Verlauf (Typ II), während die chronische einen progredienten Verlauf zeigt (Typ I). Es gibt keine klaren Hinweise, dass eine (sub-)akute Kardiomyopathie die Wahrscheinlichkeit für eine chronische Form deutlich erhöht.

Diagnostik

Die Diagnostik der medikamententoxischen Kardiomyopathie basiert vor allem auf einer sorgfältigen Anamnese und in Bezug zur Exposition gegenüber potenziell kardiotoxischen Substanzen. Dazu gehört bei Chemotherapie mit Anthrazyklinen vor allem die genaue Kenntnis der akut verabreichten und kumulativen Dosis. Die häufige asymptomatische linksventrikuläre Dysfunktion wird vor allem echokardiographisch und ggf. mit MRT diagnostiziert, am besten im zeitlichen Verlauf. Im Stadium der klinisch manifesten Herzinsuffizienz (NYHA II–IV) werden neben der klinischen Untersuchung EKG, Echokardiographie und laborchemische BNP Bestimmung eingesetzt. Zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen können Stressechokardiographie, mikrobiologische Untersuchung auf kardiomyotrope Viren/Bakterien und MRT von Bedeutung sein.

Differenzialdiagnostik

Als wichtige Differenzialdiagnosen müssen hereditäre Formen und Kardiomyopathien als Folge von koronarer Herzerkrankung, Bluthochdruck, Herzklappenfehlern, angeborenen Herzerkrankungen, infektiösen Kardiomyopathien oder Speichererkrankungen unterschieden werden. Wichtige Indikatoren, die für eine medikamententoxische Kardiomyopathie sprechen, sind der zeitliche Zusammenhang mit einer Exposition und der Ausschluss anderer Faktoren.

Therapie

Die fortgeschrittenen Formen der medikamententoxischen Kardiomyopathie im Stadium der Herzinsuffizienz werden stadiengerecht durch Hemmung der neurohumoralen Überstimulation (ACE-Hemmer, Beta-Blocker, Aldosteronrezeptorantagonisten) und Kontrolle des Flüssigkeitshaushalts (Thiazide oder Schleifendiuretika) behandelt. Das Monitoring der kardialen Funktion vor, während und nach der Behandlung mit einem kardiotoxischen Wirkstoff ist wichtig, um kardiale Funktionsverschlechterungen frühzeitig zu erfassen.
Die einzige zur Prophylaxe einer Anthrazyklin-induzierten Kardiomyopathie zugelassene Substanz ist der Eisenchelator Dexrazoxan. Sein Einsatz ist kürzlich von der EMA und der FDA eingeschränkt worden, weil in einer Studie eine Abschwächung der onkologischen Wirksamkeit der Anthrazykline und vermehrte Sekundärneoplasien nahegelegt worden war. Auf der anderen Seite gibt es neuere Studien und Metaanalysen, die weder das eine noch das andere bestätigen und eine klare Protektion gegenüber den kardiotoxischen Nebenwirkungen von Doxorubicin, besonders bei Mädchen belegen (Lipshultz et al. 2010). Diese neueren Daten legen trotz der EMA/FDA Empfehlungen den konsequenten Einsatz von Dexrazoxan nahe, insbesondere bei kumulativen Gesamtdosen von 300mg/m2 und mehr. Weniger umstritten ist der Einsatz von liposomalen Formulierungen von Doxorubicin und Daunorubicin, deren kardiotoxisches Potenzial geringer ist. Allerdings sind Doxorubicin und liposomales Doxorubicin wegen eines unterschiedlichen onkologischen Zulassungsspektrums nicht gegeneinander austauschbar.

Verlauf und Prognose

Die fortgeschrittenen Stadien der medikamententoxischen Kardiomyopathie Typ I sind durch einen chronisch progredienten Verlauf und eine eher schlechte Prognose gekennzeichnet. Der Verlauf der Typ-II-Toxizität von Trastuzumab, Bevacizumab und den TKI ist wahrscheinlich günstiger. Allerdings sind die Datenbasis und insbesondere die Nachbeobachtungszeit bislang nicht ausreichend, um sichere Aussagen machen zu können. Die Alkoholkardiomyopathie ist durch Abstinenz zumindest partiell möglich.
Literatur
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