Antiemetische Therapie
Übelkeit und Erbrechen sind bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorleiden mit in bis zu 70 % der Fälle häufig. Diese Symptome belasten den Patienten erheblich und reduzieren den ohnehin schwierigen Allgemeinzustand. Die Ursachen der Emesis sind vielfältig: gastrointestinal, metabolisch, toxisch, pharyngeal, psychosomatisch, (Hirn-)Metastasen, Arzneimittel (besonders
Opioide) oder
Schmerzen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Arzt der Chemotherapie- oder Strahlentherapie-induzierten Nausea
und Emesis
schenken. Die wichtigsten Informationen der Konsensusempfehlungen der Multinational Association of Supportive Care in Cancer sind in Tab.
1 und
2 für häufige in der Urologie verwendete Chemotherapeutika zusammengefasst. Es gilt hier, die unterschiedlichen Chemotherapeutika in 4 verschiedene Emesisrisikogruppen einzugliedern und den Patienten dementsprechend suffizient prophylaktisch zu behandeln.
Tab. 1
Einstufung der Zytostatika Substanzen in die Emesisrisikogruppen bei intravenöser (iv) Monotherapie
4 = hoch (bei >90 % der Patienten) | Carmustin Cisplatin >50 mg/m2 KOF Cyclophosphamid ≥1500 mg/m2 KOF | Dacarbazin Mechlorethamin Melphalan Streptozotocin |
3 = moderat (bei 30–90 % der Patienten) | Carboplatin AUC <4 Cytarabin >1000 mg/m2 KOF Cyclophosphamid ≤1500 mg/m2 KOF Doxorubicin Daunorubicin | Epirubicin Idarubicin Ifosfamid Irinotecan Oxaliplatin |
2 = gering (bei 10–30 % der Patienten) | Bortezomib Cetuximab Cytarabin <100 mg/m2 KOF Docetaxel Durvalumab Etoposid 5-Fluorouracil Gemcitabin Nivolumab/Ipilimumab Mitomycin Mitoxantron Paclitaxel Pemetrexed | Radium-223 Temsirolimus Topotecan Trastuzumab Vinflunin |
1 = minimal (bei <10 % der Patienten) | Atezolizumab Avelumab Bevacizumab Bleomycin Busulfan 2-Chlorodeoxy-adenosin Estramustin Fludarabin | Nivolumab Pembrolizumab Vincristin Vinblastin Vinorelbin |
Tab. 2
Einstufung der Zytostatika Substanzen in die Emesisrisikogruppen, orale Monotherapie
Hoch | Hexamethylmelamin Procarbazin |
Moderat | Cyclophosphamid Etoposid Imatinib | Niraparib Temozolomid Vinorelbin |
Gering | Axitinib Capecitabin Estramustin Etoposid Flutamid | Lenvatinib Olaparib Pazopanib Sunitinib Thalidomid Tivozanib |
Minimal | Abirateron Cabozantinib Chlorambucil Erlotinib Gefitinib Hydroxharnstoff L-Phenylalanine mustard | Methotrexat Sorafenib 6-Thioguanin Tamoxifen |
Zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen (bis zu 24 h nach Chemotherapie) sind Konsensusempfehlungen publiziert worden (Tab.
3). Für das verzögerte Erbrechen und Übelkeit (>24 h nach Chemotherapie) gelten die in Tab.
4 dargestellten Maßnahmen.
Tab. 3
Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen (bis zu 24 h) nach Chemotherapie
Hoch (nicht AC) | >90 % | 5-HT3 + DEX + NK1 ggf. mit Olanzapin 5 mg Tag 1–4 |
Anthrazykline + Cyclophosphamid (AC) | | 5-HT3 + DEX + NK1 ggf. mit Olanzapin 5 mg Tag 1–4 |
Carboplatin | | 5-HT3 + DEX + NK1 |
Moderat (ohne Carboplatin) | 30–90 % | 5-HT3 + DEX |
Gering | 10–30 % | 5-HT3 oder DEX oder DOP |
Minimal | <10 % | keine Routineprophylaxe |
Tab. 4
Prophylaxe von verzögerter Übelkeit und verzögertem Erbrechen (>24 h nach Chemotherapie
Hoch (nicht AC) | DEX + APR oder MCP + DEX |
Hoch AC | DEX oder APR |
Carboplatin | APR |
Oxaliplatin/Anthrazyklin/Cyclophosphamid | DEX |
Moderat | keine Routineprophylaxe |
Gering und Minimal | keine Routineprophylaxe |
Bei einer mehrtägigen Gabe von Cisplatin sehen die Leitlinien eine Kombination eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten (5-HT3-RA) mit Dexamethason vor. Hier reicht es aus, Palonosetron an den Tagen 1, 3 und 5 zu geben, andere 5-HT3-RA sind täglich zu verabreichen.
Zur Prävention von akuter Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie mit hohem
Emesisrisiko wird ein Kombinationsregime bestehend aus Einzeldosen eines
5-HT
3-Antagonisten, Dexamethason und
Aprepitant vor und bis zu 72 Stunden nach der Chemotherapie empfohlen. Die Dosierungen sind aus Tab.
5,
6 und
7 zu entnehmen. Wichtig ist eine genügend hohe Dexamethason Dosierung (12 mg einmal bei Aprepitant oder Fosaprepitant an Tag 1).
Tab. 5
Dosierungsempfehlung für
Serotonin Rezeptor (5-HT3) Antagonisten bei akuter Emesis
Ondansetron (Zofran) | 8 mg oder 0,15 mg/kg kg | 16 mg (2-mal 8 mg) |
Granisetron (Kevatril) | 1 mg oder 0,01 mg/kg kg (auch transdermal alle 3 Tage) | 2 mg oder 1 mg |
Dolasetron (Anemet) | 100 mg oder 1,8 mg/kg kg | 100 mg |
Tropisetron (Navoban) | 5 mg | 5 mg |
Palonosetron (Aloxi) | 0,25 mg | 0,5 mg |
Tab. 6
Dosierungsempfehlungen für Dexamethason und Aprepitant
Dexamethason |
Hohes Risiko | Akute Emesis | 20 mg einmalig 12 mg mit Aprepitant |
Verzögerte Emesis | 8 mg 2-mal tgl. für 3–4 Tage 8 mg mit Aprepitant |
Moderates Risiko | Akute Emesis | 8 mg einmalig |
Verzögerte Emesis | 8 mg tgl. für 2–3 Tage oder 4 mg 2-mal tgl. |
Geringes Risiko | Akute Emesis | 4–8 mg einmalig |
Aprepitant (Emend) |
| Akute Emesis | 125 mg oral, 1-mal |
| Verzögerte Emesis | 80 mg oral, 1-mal an 2 Tagen |
Hoch | Ganzkörperbestrahlung | 5-HT3-Antagonist plus Dexamethason |
Moderat | Oberes Abdomen, Kraniospinale Achse | 5-HT3-Antagonist |
Gering | Untere Thorax Region, Becken, ZNS | 5-HT3-Antagonist |
Minimal | HNO, Extremitäten, ZNS, Brust | Dopamin Antagonist oder 5-HT3-Antagonist |
In den aktualisierten ASCO Leitlinien wird zudem Olanzapin (5 mg po) für 4 Tage auf der Basis einer Phase III Studie empfohlen. Allerdings ist diese Empfehlung kritisch zu diskutieren, da nunmehr zeitgleich 4 Medikamente zur Prophylaxe eines Nebenwirkungskomplexes eingesetzt werden sollen. Olanzapin ist ein atypisches Neuroleptikum und wird unter anderem zur Therapie der
Schizophrenie und bei
bipolaren Störungen eingesetzt. Praktikabel ist die Gabe von 5 mg, da 10 mg häufiger zu einer Sedierung führt.
Seit 2005 ist als fünfter 5-HT
3-Rezeptorantagonist Palonosetron (Aloxi, Onicit, Paloxi) erhältlich. Palonosetron (Palonosetron-Hydrochlorid) ist ein 5-HT
3-Rezeptorantagonist der zweiten Generation zur Vorbeugung chemotherapieinduzierter Übelkeit und Erbrechen (CINV) bei Krebspatienten mit einer langen
Halbwertszeit von 40 Stunden und einer Rezeptorbindungsaffinität, die mindestens 30-mal höher ist als bei Präparaten der ersten Generation. Palonosetron zeigt in klinischen Studien und im klinischen Alltag eine lang anhaltende Wirkung bei der Vorbeugung von CINV. Die einmalige intravenöse Gabe von Palonosetron schützt die Patienten länger vor CINV als 5-HT
3-Rezeptorantagonisten der ersten Generation. Die Ergebnisse der MASCC/ESMO-Antiemetik-Leitlinien können unter
https://www.mascc.org/assets/Guidelines-Tools/mascc_antiemetic_guidelines_2016_german_v1.2.pdf eingesehen werden. Diese beinhalten, dass MASCC und ESMO Palonosetron in Kombination mit einer mehrtägigen Dexamethasongabe zur Vorbeugung akuter und verzögerter Emesis bei moderater Chemotherapie (ohne AC) empfehlen.
Seit Januar 2008 ist ein intravenös applizierbarer selektiver hochaffiner
Human-Substanz-P-Neurokinin-1-(NK1)-Rezeptorantagonist
Fosaprepitant (IVEMEND 115 mg) verfügbar. Fosaprepitant ist eine Vorstufe (
Prodrug) von Aprepitant und wird nach intravenöser Anwendung rasch zu Aprepitant umgewandelt. Anwendungsgebiet besteht zur Prävention akuter und verzögerter Übelkeit und Erbrechen bei hoch emetogener, z. B. auf Cisplatin basierender Chemotherapie. IVEMEND wird als Teil einer Kombinationstherapie gegeben. Fosaprepitant ist eine lyophilisierte Vorstufe von Aprepitant zur intravenösen Anwendung, die Polysorbat 80 (PS80) enthält. Aprepitant ist in Form von Kapseln zum Einnehmen erhältlich. Fosaprepitant (115 mg) kann anstelle von Aprepitant (125 mg) vor der Chemotherapie, nur an Tag 1 des Therapieschemas gegen Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie (CINV, chemotherapy induced nausea and vomiting), als 15-minütige Infusion gegeben werden. Das 3-Tages-CINV-Therapieschema schließt Fosaprepitant (115 mg) 30 Minuten vor der Chemotherapie oder Aprepitant (125 mg) eine Stunde vor der Chemotherapie an Tag 1 sowie Aprepitant (80 mg) an den Tagen 2 und 3 ein, zusätzlich zu einem Kortikosteroid und einem 5-HT
3-Antagonisten. Folgendes Therapieschema in Tab.
8 wird empfohlen, basierend auf klinischen Studien mit Aprepitant, zur Prävention von Übelkeit und Erbrechen bei emetogener Chemotherapie. In der Praxis hat sich bewährt, den NK1-Rezeptorantagonist einzusetzen, wenn bei der ersten Gabe der hoch emetogenen Chemotherapie festgestellt wurde, dass Dexamethason und ein 5-HT
3-Rezeptorantagonist nicht ausreichend wirksam sind. Patienten, die über mehrere Tage Cisplatin erhalten, sollten zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und Erbrechen einen 5-HT
3-Antagonisten plus Dexamethason und gegen verzögerte Übelkeit und Erbrechen Dexamethason erhalten.
Tab. 8
Therapieschema – hoch emetogene Chemotherapie (z. B. PEB). Wichtig ist die konsequente Vortführung der Antiemese noch bis zu 72 Stunden (Tag 6–8) nach der Chemotherapie (verzögertes Erbrechen)
Fosaprepitant | 115 mg i.v. | – | – | – | – |
Aprepitant | (125 mg p.o.) | 80 mg | 80 mg | 80 mg | 80 mg |
Dexamethason | 12 mg | 8 mg | 8 mg | 8 mg | 8 mg |
5-HT3 RA | i.v. | i.v. | i.v. | i.v. | i.v. |
Zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen bei moderat emetogener Chemotherapie (MEC) wird vom ersten Zyklus an ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist plus Dexamethason vor der Chemotherapie empfohlen. Bei der Prophylaxe von akuter Übelkeit und Erbrechen gibt es im Hinblick auf die Wirksamkeit keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen den 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten, wenn diese gemäß den Richtlinien im ersten Zyklus der MEC verabreicht werden. Die empfohlene Dosis von Dexamethason zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen bei MEC ist die intravenöse Einmalgabe von 8 mg.
Bei Patienten, die Substanzen mit geringem Emesisrisiko erhalten, wird eine Einzelsubstanz (z. B. eine niedrige Dosis eines Kortikosteroids) empfohlen.
Bei
antizipatorischer Übelkeit und antizipatorischem Erbrechen sollten psychologische Methoden angewendet werden. Alternativ oder zusätzlich zu psychologischen Methoden wird der Gebrauch von
Benzodiazepinen empfohlen.
Patienten, die eine
hoch emetogene Strahlentherapie erhalten, sollten prophylaktisch mit einem 5-HT
3-Antagonisten plus Dexamethason behandelt werden. Bei Patienten, die eine moderat emetogene
Strahlentherapie erhalten, sollte prophylaktisch ein 5-HT
3-Antagonist gegeben werden. Patienten unter Strahlentherapie mit minimalem Emesisrisiko sollten eine Rescue-Behandlung mit einem Dopaminantagonisten oder einem 5HT
3-Antagonisten erhalten.
Das Brechzentrum koordiniert die komplexen reflektorischen Vorgänge, die über motorische und vagale Afferenzen zum Erbrechen führen. In den für die Emesis verantwortlichen Strukturen ist die Aktivierung oder Blockierung spezifischer Rezeptoren für die Auslösung oder Unterdrückung der Symptome entscheidend. Tab.
9,
10 und
11 zeigen die Lokalisation der unterschiedlichen Rezeptoren in den Organen und die spezifischen Wirkungen der Antiemetika.
Tab. 9
Lokalisationen der unterschiedlichen Rezeptoren: muskarinerge Acetylcholinrezeptoren (mAch), Dopamin-Typ-2-Rezeptoren (D2), Histamin-Typ-1-Rezeptoren (H1), 5-Hydroxytryptamin 2-Rezeptoren (5-HT2), 5-Hydroxy-Tryptamin-3-Rezetoren (5-HT3) im Vestibularapparat, in der Chemorezeptorentriggerzone (CTZ), im Brechzentrum und im Magen-Darm-Trakt
Vestibularapparat | X | | | X | |
CTZ | X | | X | X | |
Brechzentrum | X | | X | X | |
Magen-Darm-Trakt | | X | | | X |
Tab. 10
Wirkungen von Antiemetika auf die Chemorezeptorentriggerzone (CTZ) und den Magen-Darm-Trakt
Metoclopramid (Paspertin) | ++ | (+) | ++ |
Domperidon (Motilium) | ++ | 0 | 0 |
Alizaprid (Vergentan) | 0 | 0 | +++ |
Ondansetron (Zofran) | 0 | +++ | 0 |
Tab. 11
Wirkungen von Antiemetika auf die Rezeptoren des Vestibularapparates, des Brechzentrums und der Chemorezeptorentriggerzone (CTZ )
Hyoscinbutylbromid (Buscopan) | +++ | 0 | 0 | 0 |
Haloperidol (Haldol) | 0 | +++ | 0 | 0 |
Promethazin (Atosil) | + | ++ | ++ | 0 |
Levomepromazin (Neurocil) | ++ | ++ | +++ | +++ |
Die Kausaltherapie ist die Grundlage der Antiemese. Kleinere, appetitlich zubereitete Mahlzeiten sollte dem Kranken angeboten werden. Hier ist besonders auf Nahrung zu verzichten, die beim Patienten durch den Anblick oder Geruch selbst schon Übelkeit oder Erbrechen auslösen können.
Antiemetika sind nach einem Zeit- und Stufenschema zu verabreichen. Die Applikation sollte möglichst initial rektal, subkutan oder intravenös erfolgen.
Die Auswahl der Antiemetika in Bezug auf den vermeintlichen Wirkort ist in der Übersicht zusammengestellt.
Therapie und Prophylaxe der Obstipation
Die
Obstipation ist neben der Emesis ein häufiges Symptom beim Tumorpatienten. Sie kann direkt
tumorbedingt, durch mechanische Obstruktion oder eine fortschreitende Peritonealkarzinose, oder
therapiebedingt, als Folge der
Schmerztherapie mit
Opioiden, antidepressiver Behandlung, regelmäßiger Gabe von Chemotherapeutika (besonders Vinkaalkaloide) oder die gesteigerte Gabe von
Diuretika sein.
Weitere Ursachen sind in Tab.
12 zusammengestellt.
Tab. 12
Ursachen der Obstipation beim Tumorpatienten
Tumorbedingt | Mechanische Obstruktion Peritonealkarzinose |
Tumorassoziiert | Immobilität Schwäche Geringe Flüssigkeitsaufnahme Veränderung der Nahrungsaufnahme |
Therapiebedingt | Opioide Anticholinerg wirkende Sustanzen Zytostatika (Vinkaalkaloide) Diuretika |
Begleiterkrankungen | |
Grundsätzlich führen alle
Opioide zur
Obstipation! Daher sollte immer ein Laxans bei Beginn der Therapie mit Opioiden verordnet und der Patienten mit seinen Angehörigen auf diese Tatsache hingewiesen werden. Neben der Obstipation treten fast immer Übelkeit, Inappetenz und Tenesmen auf.
Abgesehen von der prophylaktischen Gabe der entsprechenden Medikamente ist bei neu auftretenden Symptomen einer Verstopfung zu klären, ob es sich um eine passagere Opioid bedingte Problematik handelt, oder ob die weiter fortschreitende Tumorerkrankung zu einem
Ileus führt oder geführt hat. Tab.
13 soll hier neben der Anamnese und allgemeinen körperlichen Untersuchung gezielt bei der rektal-digitalen Untersuchung weiterhelfen.
Tab. 13
Untersuchung bei
Obstipation und nachfolgende gezielte Behandlung.
Rektal-digitale Untersuchung | Rektum voll mit hartem Fäzes | Applikation eines stuhlaufweichenden Suppositoriums (Gycerin-Supp.) Beginn mit oralen Peristaltik fördernden und stuhlerweichenden Laxanzien |
| Rektum voll mit weichem Fäzes | Applikation eines Peristaltik fördernden Suppositoriums (Bisacodyl-Supp.) Beginn mit einem Peristaltik fördernden Laxans |
| Rektum leer | Ausschluss einer Obstruktion Mikroklist, ggf. hoher Schwenkeinlauf Orale Laxanzien (stuhlaufweichend und Peristaltik fördernd) |
Obligat – Anamnese – Allgemeine körperliche Untersuchung |
Fakultativ – Übersichtsröntgenaufnahme des Abdomens, ggf. mit Kontrastmittelgabe – Ggf. CT Abdomen/Becken |
In Tab.
14 sind die vielseitigen Möglichkeiten der
Laxanzien mit deren Hauptwirkprinzip zusammengestellt. Als Prophylaxe der Opioid bedingten
Obstipation hat sich das
Macrogol bewährt; initial und in der Dauerprophylaxe reichen 1–2 Beutel pro Tag. Allerdings reagieren die Patienten sehr unterschiedlich auf Laxanzien, sodass nicht selten mit mehreren Präparaten „experimentiert“ werden muss. Die Anwendung von
Gastrografin,
Prostigmin oder Takus sollte als Ultimo ratio verstanden werden, also der akuten Situation, wobei allerdings der mechanische
Ileus unbedingt ausgeschlossen sein sollte.
Tab. 14
Übersicht stuhlaufweichender und/oder Peristaltik fördernder Laxanzien.
Hydragog durch Bindung von Wasser im Darm (Vermehrung der Stuhlmasse) |
| Agiolax | 10 g | 12–24 h | Mit viel Flüssigkeit! |
Aufweichende Substanzen durch Osmose (Wasserresorption) Stimulation der Peristaltik |
Salinisch | Glaubersalz | | | Natriumresorption |
Natriumsulfat | 10–20 g | 2–4 h | Hyperhydratation |
| 10–20 gtt. | 2–4 h | |
Zucker | Lactulose (Bifiteral) | 2- bis 3-mal 15 ml | 8–12 h | Meteroismus bei Pankreas-NPL oder hepatobiliäre Metastasen |
Sorbit (Microklist) | 1 Klysma | 1 h | |
Natriumhydro-gencarbonat | Lecicarbon | 1 Supp. | 0,5–1 h | |
Stimulierende Substanzen mit Förderung der Darmperistaltik und Elektrolytumkehr |
Phenolphtalein | Bisacodyl (Dulcolax) | 1-mal 10 mg rektal | 0,5 h | |
| | 1-mal 10 mg p.o. | 6–8 h | |
Glycosid | Sennosid (Liquidipur) | 15 ml | 10 h | |
Gleitmittel mit Erhöhung der Gleitfähigkeit ohne Osmose |
| Paraffin (Agarol) | 1–2 Esslöffel (5–10 mg) | 12–36 h | Kombination mit Rhizinus sehr wirksam! |
Hyperosmolare Röntgenkontrastmittel, starke Wasserbindung |
| Gastrografin | 50–100 ml | 1–2 h | |
Förderung der Peristaltik (Kontraktion der glatten Muskulatur) |
| Neostigmin (Prostigmin) | 2–4 mg in 500 ml G5 % | | Über 24 h geben |
| Ceruletid (Takus) | 0,3 μg/kg KG i.m., i.v. | | |
Füllsubstanz mit Wasserbindung und Durchdringen der Stuhlsäule |
| Macrogol (Movicol) | 1–2 Btl. | 6–8 h | Gut wirksam bei opioidbedingter Obstipation |
Weit fortgeschrittene Tumoren mit Peritonealkarzinose erfordern in der Palliation besondere Vorgehensweise: eine Kombination von Bifiteral, Laxoberal und Rhizinus fördert die Peristaltik und den weichen Stuhl, zusätzlich ist bei chronischer Übelkeit eine Medikation mit Haloperidol (3-mal 5 mg) und Dexamethason (initial 20 mg, dann 1-mal 2 mg tgl.) sinnvoll.
Empfehlenswert für den Patienten, der noch ausreichend essen und trinken kann, ist eine regelmäßige auf 5–6 auf den Tag verteilte ballaststoffreiche Mahlzeiten, viel Flüssigkeit (1–1,5 l), ein propulsiv wirkendes Laxans (Bisacodyl) und ein osmotisch wirksames Laxans (Macrogol, Lactulose). Kann der Patient nicht mehr ausreichend Nahrung oder Flüssigkeit zu sich nehmen, sollte Paraffin und/oder Sennosid (1–2 Esslöffel) gegeben werden. Zusätzlich hilft ein zweites Bisacodyl-Suppositorium. Bleibt hier der Erfolg aus, sollte ein Mikroklysma oder der Einlauf versucht werden. Als weitere Möglichkeit gibt es die orale Gabe von Gastrografin (50–100 ml) oder die intravenöse Gabe von Neostigmin/Ceruletid. Eine vorherige Überprüfung des Füllungszustandes der Rektumampulle (Tab.
13) erfordert gegebenenfalls die manuell-digitale Ausräumung unter leichter Sedierung bei sehr hartem Stuhl/Skybala.
Ernährung während der Tumortherapie, enterale und parenterale Ernährung
Tumorerkrankungen und deren Therapie führen häufig zur Änderung der Ernährung
sgewohnheiten. Entscheidend für die
Lebensqualität während der Therapie und für die Prognose einer Erkrankung sind in einem erheblichen Maße der Gewichtsverlust und die Mangelernährung. Besonders therapiebedingte Nebenwirkungen, wie Schluckstörungen,
Schluckauf, Mundsoor, Gastritis, Übelkeit, Erbrechen,
Obstipation oder Durchfälle, beeinflussen die Nahrungsaufnahme oder Nahrungsverwertung ganz erheblich.
Als Anhaltspunkt für eine relevante Belastung des Ernährungszustandes gilt ein Gewichtsverlust um 5 % innerhalb von 3 Monaten oder der 10 %-ige Gewichtsverlust des Ausgangsgewichtes vor der Tumordiagnose. Ein Verlust von bis zu 40 % der Körpermasse ist mit einem erheblichen Mortalitätsrisiko verbunden. Der Energiebedarf eines Tumorpatienten wird mit ca. 30 kcal/kg Körpergewicht geschätzt. Eine dauerhaft verminderte Nahrungsaufnahme unter 75 % des rechnerischen Bedarfes zeigt ein signifikantes Nahrungsdefizit an.
Bei Tumorpatienten ist die Lipidverwertung gegenüber der Normalsituation erhöht. Es gibt Hinweise, dass eine erhöhte Glukoseverwertung im Tumorgewebe stattfindet und somit dem Gesamtorganismus entzogen wird.
Empfohlen wird aus diesen Gründen eine fettbetonte und kohlenhydratreduzierte Ernährung: 1–1,5 g Eiweiß, 3–5 g
Glukose und 1–1,5 g Fett pro kg Körpergewicht.
Da ω6-Fettsäuren proinflammatorische Wirkung über die Eicosanoidmediatoren vermitteln, sollten einfach ungesättigte
Fettsäuren (Ölsäure), ggf. mittelkettige Triglyceride und ω3-Fette bevorzugt werden.
Bei Kau- und Schluckstörungen sollten zuerst hochkalorische Trinknahrungen angeboten werden. Hierbei sollte besonders auf die Wünsche und das Verlangen des Krebskranken eingegangen werden: möglich ist das Einfrieren von z. B. geschälten Orangenscheiben, die der Kranke lutschen kann. Ebenso ist gefrorene Sahne oder Speiseeis erfolgreich, da häufig bei Läsionen im Mundbereich die kalte Nahrung als lindernd und angenehm empfunden wird. Genauso können orale Medikamente in eine Trägersubstanz gemischt werden, z. B. Aspirin in Sahne (ASS wird lokal schmerztherapeutisch bei Defekten im HNO-Bereich, die Sahne wirkt anhaftend und verlängert die Wirkpassage).
Um den Appetit zu beeinflussen, können passager Dexamethason (4–8 mg, i.v., p.o., i.m.) täglich oder Anabolika (Nandrolon = Decadurabolin, 25–50 mg) alle 3–4 Wochen i.m. verabreicht werden. Bei Unmöglichkeit der oralen Nahrungsaufnahme sollte die enterale Sondenernährung (Nasensonde, transkutane Sonde = PEG) der parenteralen Ernährung vorgezogen werden. Hintergrund ist die schnell einsetzende Zottenatrophie im Dünn- und Dickdarm bei der frühen und länger andauernden parenteralen Ernährung.
Fatigue bei Tumorerkrankungen
Fatigue bezeichnet ein Gefühl von körperlicher und geistiger Müdigkeit, das mit reduzierten Energiereserven und Muskelkraft einhergeht. Anhand einer Symptomcheckliste der Fatigue Coalition kann die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Fatigue-Syndroms geprüft werden.
Mehr als 80 % der Tumorpatienten erleben unter der Chemo- oder
Strahlentherapie dieses Syndrom. Die Ursachen dieser Müdigkeit und Erschöpfung sind multifaktoriell und auch durch paraneoplastische Mechanismen bedingt. Es wird angenommen, dass der Tumor selbst Substanzen produziert (sog. „Asthenine“), die zu pathologischer Ermüdbarkeit, Kraftverlust und Schwäche führen. Eine Ursache des Fatigue-Syndroms stellt die
Anämie dar, wobei ungeklärt ist, welcher Grad der Anämie mit der Fatigue assoziiert ist.
In allen Abschnitten der Tumorbehandlung, wie Diagnostik, Therapie, Nachkontrollen und Palliation kommt der Fatigue eine für den Patienten besondere Rolle zu. Ein häufiges Syndrom ist der „Leistungsknick“ vor der Diagnose der Tumorerkrankung. Unter der Therapie ist die Erschöpfung die Hauptbelastungsstörung. Neben durch Übelkeit und Erbrechen bedingter Mangelernährung spielen Stoffwechselveränderungen und besonders die
Anämie, tumor- und therapiebedingt, eine wichtige Rolle. Nicht zu unterschätzen sind die Abgeschlagenheit und die Rezidiv Angst bei Patienten in der Nachsorge.
Therapieansätze beim Fatigue-Syndrom
Die Behandlung des Fatigue-Syndroms sollte sich auf die einzelnen Fatigue-bestimmenden Begleitfaktoren (
Schmerzen,
Anämie, Übelkeit,
Schlafstörungen, Aktivitätslevel, Ernährung) konzentrieren. Ziel bleibt immer die Verbesserung der
Lebensqualität.
Voraussetzung für die Therapie ist das Erkennen von Fatigue als Symptom der Tumorerkrankung mit eigenständigem Krankheitswert. Bereits beim Aufklärungsgespräch sollte der Arzt auf das Syndrom hinweisen.
Psychoedukative Methoden spielen zur Verbesserung der Krankheitsverarbeitung eine wichtige Rolle. Patienten profitieren von regelmäßigem körperlichem Training (Ausdauer- und Krafttraining). Selbstverständlich ist die Korrektur der tumorbedingten
Anämie (Zielwert Hb 9–11 g/dl). Erkannt und Behandelt werden sollten mögliche begleitende Stoffwechselstörungen, wie ein neu aufgetretener
Diabetes mellitus (Steroiddiabetes), eine Schilddrüsendysfunktion oder Depressionen.
Medikamentöse Hilfsmittel sollten konsequent und frühzeitig genutzt werden. Hier ist es wichtig,
Stimulanzien wie Steroide einzusetzen, z. B. in der Therapie der Appetitlosigkeit oder beim kachektischen Tumorpatienten.