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Uroonkologie
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Publiziert am: 15.09.2022

Supportive Maßnahmen in der Uroonkologie

Verfasst von: Marcus Schenck
Unterstützende, roborierende Maßnahmen sind in der Therapie eines krebskranken Menschen mindestens ebenso wichtig für den Therapieerfolg wie Operation, Chemotherapie, Immuntherapie oder Strahlentherapie. Die Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin (ASORS) definiert die Supportivtherapie wie folgt: „Die Supportivtherapie in der Onkologie umfasst ein interdisziplinäres Spektrum von Maßnahmen, die dazu dienen, Voraussetzungen für die Durchführbarkeit einer Therapie zu verbessern, Nebenwirkungen zu reduzieren, der Zielstellung entsprechende Behandlungsergebnisse zu erreichen und insgesamt die Lebensqualität des Patienten zu erhalten oder zu verbessern.“ Der Tumorkranke ist als Individuum zu betrachten. Symptome wie Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen, Obstipation, Anämie, Schwäche, Antriebslosigkeit, Veränderung der Persönlichkeit belasten den Patienten und die Angehörigen in einem ganz erheblichen Maße. Es wird auf die Besonderheiten der Schmerztherapie unter palliativen Gesichtspunkten eingegangen.

Einleitung

Für den in der Onkologie tätigen Arzt ist nicht nur das Wissen um die eigentliche kurative oder palliative Therapie entscheidend, begleitende Maßnahmen, sowohl medikamentös als auch psychologisch, sind von weitreichender Bedeutung. Die Lebensqualität und individuelle Aufklärung über die Tumorsituation des Krebskranken sollte immer im Mittelpunkt ärztlichen Handels stehen.

Antiemetische Therapie

Übelkeit und Erbrechen sind bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorleiden mit in bis zu 70 % der Fälle häufig. Diese Symptome belasten den Patienten erheblich und reduzieren den ohnehin schwierigen Allgemeinzustand. Die Ursachen der Emesis sind vielfältig: gastrointestinal, metabolisch, toxisch, pharyngeal, psychosomatisch, (Hirn-)Metastasen, Arzneimittel (besonders Opioide) oder Schmerzen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Arzt der Chemotherapie- oder Strahlentherapie-induzierten Nausea und Emesis schenken. Die wichtigsten Informationen der Konsensusempfehlungen der Multinational Association of Supportive Care in Cancer sind in Tab. 1 und 2 für häufige in der Urologie verwendete Chemotherapeutika zusammengefasst. Es gilt hier, die unterschiedlichen Chemotherapeutika in 4 verschiedene Emesisrisikogruppen einzugliedern und den Patienten dementsprechend suffizient prophylaktisch zu behandeln.
Tab. 1
Einstufung der Zytostatika Substanzen in die Emesisrisikogruppen bei intravenöser (iv) Monotherapie
Risiko-Level
Substanzen
4 = hoch
(bei >90 % der Patienten)
Carboplatin AUC ≥4
Carmustin
Cisplatin
>50 mg/m2 KOF
Cyclophosphamid ≥1500 mg/m2 KOF
Dacarbazin
Mechlorethamin
Melphalan
Streptozotocin
3 = moderat
(bei 30–90 % der Patienten)
Carboplatin AUC <4
Cytarabin >1000 mg/m2 KOF
Cyclophosphamid ≤1500 mg/m2 KOF
Doxorubicin
Daunorubicin
Epirubicin
Idarubicin
Ifosfamid
Irinotecan
Oxaliplatin
2 = gering
(bei 10–30 % der Patienten)
Bortezomib
Cetuximab
Cytarabin <100 mg/m2 KOF
Docetaxel
Durvalumab
Etoposid
5-Fluorouracil
Gemcitabin
Nivolumab/Ipilimumab
Mitomycin
Mitoxantron
Paclitaxel
Pemetrexed
Radium-223
Temsirolimus
Topotecan
Trastuzumab
Vinflunin
1 = minimal
(bei <10 % der Patienten)
Atezolizumab
Avelumab
Bevacizumab
Bleomycin
Busulfan
2-Chlorodeoxy-adenosin
Estramustin
Fludarabin
Nivolumab
Pembrolizumab
Vincristin
Vinblastin
Vinorelbin
Tab. 2
Einstufung der Zytostatika Substanzen in die Emesisrisikogruppen, orale Monotherapie
Risiko-Level (Tab. 1)
Substanzen
Hoch
Hexamethylmelamin
Procarbazin
Moderat
Cyclophosphamid
Etoposid
Imatinib
Niraparib
Temozolomid
Vinorelbin
Gering
Axitinib
Capecitabin
Estramustin
Etoposid
Flutamid
Lenvatinib
Olaparib
Pazopanib
Sunitinib
Thalidomid
Tivozanib
Minimal
Abirateron
Cabozantinib
Chlorambucil
Erlotinib
Gefitinib
Hydroxharnstoff
L-Phenylalanine mustard
Methotrexat
Sorafenib
6-Thioguanin
Tamoxifen
Zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen (bis zu 24 h nach Chemotherapie) sind Konsensusempfehlungen publiziert worden (Tab. 3). Für das verzögerte Erbrechen und Übelkeit (>24 h nach Chemotherapie) gelten die in Tab. 4 dargestellten Maßnahmen.
Tab. 3
Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen (bis zu 24 h) nach Chemotherapie
Emesis Risiko Gruppe
Emesis Risiko
Antiemetika
Hoch (nicht AC)
>90 %
5-HT3 + DEX + NK1
ggf. mit Olanzapin 5 mg Tag 1–4
Anthrazykline + Cyclophosphamid (AC)
 
5-HT3 + DEX + NK1
ggf. mit Olanzapin 5 mg Tag 1–4
Carboplatin
 
5-HT3 + DEX + NK1
Moderat (ohne Carboplatin)
30–90 %
5-HT3 + DEX
Gering
10–30 %
5-HT3 oder DEX oder DOP
Minimal
<10 %
keine Routineprophylaxe
5-HT3 = Serotoninrezeptorantagonist, DEX = Dexamethason, NK1 = Neurokinin1-Rezeptor-Antagonist (Aprepitant oder Fosaprepitant oder Rolapitant oder Netupitant mit Palonosetron, DOP = Dopamin-Rezeptor-Antagonist
Tab. 4
Prophylaxe von verzögerter Übelkeit und verzögertem Erbrechen (>24 h nach Chemotherapie
Emesis Risiko Gruppe
Antiemetika
Hoch (nicht AC)
DEX + APR oder MCP + DEX
Hoch AC
DEX oder APR
Carboplatin
APR
Oxaliplatin/Anthrazyklin/Cyclophosphamid
DEX
Moderat
keine Routineprophylaxe
Gering und Minimal
keine Routineprophylaxe
DEX = Dexamethason, APR = Aprepitant. MCP = Metoclopramid
Bei einer mehrtägigen Gabe von Cisplatin sehen die Leitlinien eine Kombination eines 5-HT3-Rezeptorantagonisten (5-HT3-RA) mit Dexamethason vor. Hier reicht es aus, Palonosetron an den Tagen 1, 3 und 5 zu geben, andere 5-HT3-RA sind täglich zu verabreichen.
Zur Prävention von akuter Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie mit hohem Emesisrisiko wird ein Kombinationsregime bestehend aus Einzeldosen eines 5-HT3-Antagonisten, Dexamethason und Aprepitant vor und bis zu 72 Stunden nach der Chemotherapie empfohlen. Die Dosierungen sind aus Tab. 56 und 7 zu entnehmen. Wichtig ist eine genügend hohe Dexamethason Dosierung (12 mg einmal bei Aprepitant oder Fosaprepitant an Tag 1).
Tab. 5
Dosierungsempfehlung für Serotonin Rezeptor (5-HT3) Antagonisten bei akuter Emesis
Substanz
i.v.
oral
Ondansetron (Zofran)
8 mg oder 0,15 mg/kg kg
16 mg (2-mal 8 mg)
Granisetron (Kevatril)
1 mg oder 0,01 mg/kg kg (auch transdermal alle 3 Tage)
2 mg oder 1 mg
Dolasetron (Anemet)
100 mg oder 1,8 mg/kg kg
100 mg
Tropisetron (Navoban)
5 mg
5 mg
Palonosetron (Aloxi)
0,25 mg
0,5 mg
Tab. 6
Dosierungsempfehlungen für Dexamethason und Aprepitant
Substanz
Dosierung
Dexamethason
Hohes Risiko
Akute Emesis
20 mg einmalig
12 mg mit Aprepitant
Verzögerte Emesis
8 mg 2-mal tgl. für 3–4 Tage
8 mg mit Aprepitant
Moderates Risiko
Akute Emesis
8 mg einmalig
Verzögerte Emesis
8 mg tgl. für 2–3 Tage
oder 4 mg 2-mal tgl.
Geringes Risiko
Akute Emesis
4–8 mg einmalig
Aprepitant (Emend)
 
Akute Emesis
125 mg oral, 1-mal
 
Verzögerte Emesis
80 mg oral, 1-mal an 2 Tagen
Tab. 7
Emesisrisiko bei der Strahlentherapie
Risikostufe
Behandlungsort
Antiemese
Hoch
Ganzkörperbestrahlung
5-HT3-Antagonist plus Dexamethason
Moderat
Oberes Abdomen, Kraniospinale Achse
5-HT3-Antagonist
Gering
Untere Thorax Region, Becken, ZNS
5-HT3-Antagonist
Minimal
HNO, Extremitäten, ZNS, Brust
Dopamin Antagonist
oder 5-HT3-Antagonist
In den aktualisierten ASCO Leitlinien wird zudem Olanzapin (5 mg po) für 4 Tage auf der Basis einer Phase III Studie empfohlen. Allerdings ist diese Empfehlung kritisch zu diskutieren, da nunmehr zeitgleich 4 Medikamente zur Prophylaxe eines Nebenwirkungskomplexes eingesetzt werden sollen. Olanzapin ist ein atypisches Neuroleptikum und wird unter anderem zur Therapie der Schizophrenie und bei bipolaren Störungen eingesetzt. Praktikabel ist die Gabe von 5 mg, da 10 mg häufiger zu einer Sedierung führt.
Seit 2005 ist als fünfter 5-HT3-Rezeptorantagonist Palonosetron (Aloxi, Onicit, Paloxi) erhältlich. Palonosetron (Palonosetron-Hydrochlorid) ist ein 5-HT3-Rezeptorantagonist der zweiten Generation zur Vorbeugung chemotherapieinduzierter Übelkeit und Erbrechen (CINV) bei Krebspatienten mit einer langen Halbwertszeit von 40 Stunden und einer Rezeptorbindungsaffinität, die mindestens 30-mal höher ist als bei Präparaten der ersten Generation. Palonosetron zeigt in klinischen Studien und im klinischen Alltag eine lang anhaltende Wirkung bei der Vorbeugung von CINV. Die einmalige intravenöse Gabe von Palonosetron schützt die Patienten länger vor CINV als 5-HT3-Rezeptorantagonisten der ersten Generation. Die Ergebnisse der MASCC/ESMO-Antiemetik-Leitlinien können unter https://www.mascc.org/assets/Guidelines-Tools/mascc_antiemetic_guidelines_2016_german_v1.2.pdf eingesehen werden. Diese beinhalten, dass MASCC und ESMO Palonosetron in Kombination mit einer mehrtägigen Dexamethasongabe zur Vorbeugung akuter und verzögerter Emesis bei moderater Chemotherapie (ohne AC) empfehlen.
Seit Januar 2008 ist ein intravenös applizierbarer selektiver hochaffiner Human-Substanz-P-Neurokinin-1-(NK1)-Rezeptorantagonist Fosaprepitant (IVEMEND 115 mg) verfügbar. Fosaprepitant ist eine Vorstufe (Prodrug) von Aprepitant und wird nach intravenöser Anwendung rasch zu Aprepitant umgewandelt. Anwendungsgebiet besteht zur Prävention akuter und verzögerter Übelkeit und Erbrechen bei hoch emetogener, z. B. auf Cisplatin basierender Chemotherapie. IVEMEND wird als Teil einer Kombinationstherapie gegeben. Fosaprepitant ist eine lyophilisierte Vorstufe von Aprepitant zur intravenösen Anwendung, die Polysorbat 80 (PS80) enthält. Aprepitant ist in Form von Kapseln zum Einnehmen erhältlich. Fosaprepitant (115 mg) kann anstelle von Aprepitant (125 mg) vor der Chemotherapie, nur an Tag 1 des Therapieschemas gegen Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie (CINV, chemotherapy induced nausea and vomiting), als 15-minütige Infusion gegeben werden. Das 3-Tages-CINV-Therapieschema schließt Fosaprepitant (115 mg) 30 Minuten vor der Chemotherapie oder Aprepitant (125 mg) eine Stunde vor der Chemotherapie an Tag 1 sowie Aprepitant (80 mg) an den Tagen 2 und 3 ein, zusätzlich zu einem Kortikosteroid und einem 5-HT3-Antagonisten. Folgendes Therapieschema in Tab. 8 wird empfohlen, basierend auf klinischen Studien mit Aprepitant, zur Prävention von Übelkeit und Erbrechen bei emetogener Chemotherapie. In der Praxis hat sich bewährt, den NK1-Rezeptorantagonist einzusetzen, wenn bei der ersten Gabe der hoch emetogenen Chemotherapie festgestellt wurde, dass Dexamethason und ein 5-HT3-Rezeptorantagonist nicht ausreichend wirksam sind. Patienten, die über mehrere Tage Cisplatin erhalten, sollten zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und Erbrechen einen 5-HT3-Antagonisten plus Dexamethason und gegen verzögerte Übelkeit und Erbrechen Dexamethason erhalten.
Tab. 8
Therapieschema – hoch emetogene Chemotherapie (z. B. PEB). Wichtig ist die konsequente Vortführung der Antiemese noch bis zu 72 Stunden (Tag 6–8) nach der Chemotherapie (verzögertes Erbrechen)
 
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Fosaprepitant
115 mg i.v.
Aprepitant
(125 mg p.o.)
80 mg
80 mg
80 mg
80 mg
Dexamethason
12 mg
8 mg
8 mg
8 mg
8 mg
5-HT3 RA
i.v.
i.v.
i.v.
i.v.
i.v.
Zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen bei moderat emetogener Chemotherapie (MEC) wird vom ersten Zyklus an ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist plus Dexamethason vor der Chemotherapie empfohlen. Bei der Prophylaxe von akuter Übelkeit und Erbrechen gibt es im Hinblick auf die Wirksamkeit keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen den 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten, wenn diese gemäß den Richtlinien im ersten Zyklus der MEC verabreicht werden. Die empfohlene Dosis von Dexamethason zur Prophylaxe von akuter Übelkeit und akutem Erbrechen bei MEC ist die intravenöse Einmalgabe von 8 mg.
Bei Patienten, die Substanzen mit geringem Emesisrisiko erhalten, wird eine Einzelsubstanz (z. B. eine niedrige Dosis eines Kortikosteroids) empfohlen.
Bei antizipatorischer Übelkeit und antizipatorischem Erbrechen sollten psychologische Methoden angewendet werden. Alternativ oder zusätzlich zu psychologischen Methoden wird der Gebrauch von Benzodiazepinen empfohlen.
Patienten, die eine hoch emetogene Strahlentherapie erhalten, sollten prophylaktisch mit einem 5-HT3-Antagonisten plus Dexamethason behandelt werden. Bei Patienten, die eine moderat emetogene Strahlentherapie erhalten, sollte prophylaktisch ein 5-HT3-Antagonist gegeben werden. Patienten unter Strahlentherapie mit minimalem Emesisrisiko sollten eine Rescue-Behandlung mit einem Dopaminantagonisten oder einem 5HT3-Antagonisten erhalten.
Verantwortliche Strukturen für die Auslösung und Vermittlung von Emesis
  • Vestibularapparat
  • Zerebrale Kortex
  • Chemorezeptorentriggerzone (CTZ)
  • Brechzentrum
  • Vagale Afferenzen von Chemo- oder Mechanorezeptoren des Kopf-Hals-Bereiches, des Thorax, Abdomens oder Beckens
Das Brechzentrum koordiniert die komplexen reflektorischen Vorgänge, die über motorische und vagale Afferenzen zum Erbrechen führen. In den für die Emesis verantwortlichen Strukturen ist die Aktivierung oder Blockierung spezifischer Rezeptoren für die Auslösung oder Unterdrückung der Symptome entscheidend. Tab. 910 und 11 zeigen die Lokalisation der unterschiedlichen Rezeptoren in den Organen und die spezifischen Wirkungen der Antiemetika.
Tab. 9
Lokalisationen der unterschiedlichen Rezeptoren: muskarinerge Acetylcholinrezeptoren (mAch), Dopamin-Typ-2-Rezeptoren (D2), Histamin-Typ-1-Rezeptoren (H1), 5-Hydroxytryptamin 2-Rezeptoren (5-HT2), 5-Hydroxy-Tryptamin-3-Rezetoren (5-HT3) im Vestibularapparat, in der Chemorezeptorentriggerzone (CTZ), im Brechzentrum und im Magen-Darm-Trakt
Lokalisation
mAch
D2
H1
5-HT2
5-HT3
Vestibularapparat
X
  
X
 
CTZ
X
 
X
X
 
Brechzentrum
X
 
X
X
 
Magen-Darm-Trakt
 
X
  
X
Tab. 10
Wirkungen von Antiemetika auf die Chemorezeptorentriggerzone (CTZ) und den Magen-Darm-Trakt
Substanz
D2
5-HT3
5-HT4
Metoclopramid (Paspertin)
++
(+)
++
Domperidon (Motilium)
++
0
0
Alizaprid (Vergentan)
0
0
+++
Ondansetron (Zofran)
0
+++
0
Tab. 11
Wirkungen von Antiemetika auf die Rezeptoren des Vestibularapparates, des Brechzentrums und der Chemorezeptorentriggerzone (CTZ )
Substanz
mAch
D2
5-HT3
5-HT4
Hyoscinbutylbromid (Buscopan)
+++
0
0
0
Haloperidol (Haldol)
0
+++
0
0
Promethazin (Atosil)
+
++
++
0
Levomepromazin (Neurocil)
++
++
+++
+++
Die Kausaltherapie ist die Grundlage der Antiemese. Kleinere, appetitlich zubereitete Mahlzeiten sollte dem Kranken angeboten werden. Hier ist besonders auf Nahrung zu verzichten, die beim Patienten durch den Anblick oder Geruch selbst schon Übelkeit oder Erbrechen auslösen können.
Antiemetika sind nach einem Zeit- und Stufenschema zu verabreichen. Die Applikation sollte möglichst initial rektal, subkutan oder intravenös erfolgen.
Basisantiemetika bezogen auf den Wirkort
  • Darm: Metoclopramid
  • CTZ: Haloperidol
  • Brechzentrum: Levomepromazin
Die Auswahl der Antiemetika in Bezug auf den vermeintlichen Wirkort ist in der Übersicht zusammengestellt.
Auswahl der Antiemetika in Bezug auf den vermeintlichen Wirkort
  • Zerebraler Kortex
  • Chemorezeptorentriggerzone
    • D2-Antagonist (Haloperidol)
    • 5-HT3-Antagonist (Ondansetron, Granisetron, Tropisetron)
  • Brechzentrum
    • Acetylcholin-Antagonist (Scopolamin, Hyoscinbutylbromid)
    • H1-Antagonist (Dimenhydrinat)
    • 5-HT2-Antagonist (Levopromazin)
    • Neurokinin-Typ 1 (NK-1)-Rezeptor-Antagonist (Aprepitant, Fosaprepitant)
  • Gastrointestinaltrakt
    • 5-HT4-Antagonist, prokinetisch (Metoclopramid)
    • D2-Antagonist, prokinetisch (Domperidon)
    • 5-HT3-Rezeptorblockade, vagal (Ondansetron, Granisetron, Tropisetron)

Therapie und Prophylaxe der Obstipation

Die Obstipation ist neben der Emesis ein häufiges Symptom beim Tumorpatienten. Sie kann direkt tumorbedingt, durch mechanische Obstruktion oder eine fortschreitende Peritonealkarzinose, oder therapiebedingt, als Folge der Schmerztherapie mit Opioiden, antidepressiver Behandlung, regelmäßiger Gabe von Chemotherapeutika (besonders Vinkaalkaloide) oder die gesteigerte Gabe von Diuretika sein. Weitere Ursachen sind in Tab. 12 zusammengestellt.
Tab. 12
Ursachen der Obstipation beim Tumorpatienten
Ursache
Beispiele
Tumorbedingt
Mechanische Obstruktion
Peritonealkarzinose
Tumorassoziiert
Immobilität
Schwäche
Geringe Flüssigkeitsaufnahme
Veränderung der Nahrungsaufnahme
Therapiebedingt
Opioide
Anticholinerg wirkende Sustanzen
Zytostatika (Vinkaalkaloide)
Diuretika
Begleiterkrankungen
Divertikulose/Divertikulitis
Grundsätzlich führen alle Opioide zur Obstipation! Daher sollte immer ein Laxans bei Beginn der Therapie mit Opioiden verordnet und der Patienten mit seinen Angehörigen auf diese Tatsache hingewiesen werden. Neben der Obstipation treten fast immer Übelkeit, Inappetenz und Tenesmen auf.
Abgesehen von der prophylaktischen Gabe der entsprechenden Medikamente ist bei neu auftretenden Symptomen einer Verstopfung zu klären, ob es sich um eine passagere Opioid bedingte Problematik handelt, oder ob die weiter fortschreitende Tumorerkrankung zu einem Ileus führt oder geführt hat. Tab. 13 soll hier neben der Anamnese und allgemeinen körperlichen Untersuchung gezielt bei der rektal-digitalen Untersuchung weiterhelfen.
Tab. 13
Untersuchung bei Obstipation und nachfolgende gezielte Behandlung.
Untersuchung
Diagnose
Therapie
Rektal-digitale Untersuchung
Rektum voll mit hartem Fäzes
Applikation eines stuhlaufweichenden Suppositoriums (Gycerin-Supp.)
Beginn mit oralen Peristaltik fördernden und stuhlerweichenden Laxanzien
 
Rektum voll mit weichem Fäzes
Applikation eines Peristaltik fördernden Suppositoriums (Bisacodyl-Supp.)
Beginn mit einem Peristaltik fördernden Laxans
 
Rektum leer
Ausschluss einer Obstruktion
Mikroklist, ggf. hoher Schwenkeinlauf
Orale Laxanzien (stuhlaufweichend und Peristaltik fördernd)
Obligat
– Anamnese
– Allgemeine körperliche Untersuchung
Fakultativ
– Übersichtsröntgenaufnahme des Abdomens, ggf. mit Kontrastmittelgabe
– Ggf. CT Abdomen/Becken
In Tab. 14 sind die vielseitigen Möglichkeiten der Laxanzien mit deren Hauptwirkprinzip zusammengestellt. Als Prophylaxe der Opioid bedingten Obstipation hat sich das Macrogol bewährt; initial und in der Dauerprophylaxe reichen 1–2 Beutel pro Tag. Allerdings reagieren die Patienten sehr unterschiedlich auf Laxanzien, sodass nicht selten mit mehreren Präparaten „experimentiert“ werden muss. Die Anwendung von Gastrografin, Prostigmin oder Takus sollte als Ultimo ratio verstanden werden, also der akuten Situation, wobei allerdings der mechanische Ileus unbedingt ausgeschlossen sein sollte.
Tab. 14
Übersicht stuhlaufweichender und/oder Peristaltik fördernder Laxanzien.
Wirkprinzip
Substanz
Dosierung
Wirkeintritt
Hinweise
Hydragog durch Bindung von Wasser im Darm (Vermehrung der Stuhlmasse)
 
Agiolax
10 g
12–24 h
Mit viel Flüssigkeit!
Aufweichende Substanzen durch Osmose (Wasserresorption) Stimulation der Peristaltik
Salinisch
Glaubersalz
  
Natriumresorption
Natriumsulfat
10–20 g
2–4 h
Hyperhydratation
Natrium Picosulfat (Laxoberal)
10–20 gtt.
2–4 h
 
Zucker
Lactulose (Bifiteral)
2- bis 3-mal 15 ml
8–12 h
Meteroismus bei Pankreas-NPL oder hepatobiliäre Metastasen
Sorbit (Microklist)
1 Klysma
1 h
 
Natriumhydro-gencarbonat
Lecicarbon
1 Supp.
0,5–1 h
 
Stimulierende Substanzen mit Förderung der Darmperistaltik und Elektrolytumkehr
Phenolphtalein
Bisacodyl (Dulcolax)
1-mal 10 mg rektal
0,5 h
 
  
1-mal 10 mg p.o.
6–8 h
 
Glycosid
Sennosid (Liquidipur)
15 ml
10 h
 
Gleitmittel mit Erhöhung der Gleitfähigkeit ohne Osmose
 
Paraffin (Agarol)
1–2 Esslöffel (5–10 mg)
12–36 h
Kombination mit Rhizinus sehr wirksam!
Hyperosmolare Röntgenkontrastmittel, starke Wasserbindung
 
Gastrografin
50–100 ml
1–2 h
Förderung der Peristaltik (Kontraktion der glatten Muskulatur)
 
Neostigmin (Prostigmin)
2–4 mg in 500 ml G5 %
 
Über 24 h geben
 
Ceruletid (Takus)
0,3 μg/kg KG i.m., i.v.
  
Füllsubstanz mit Wasserbindung und Durchdringen der Stuhlsäule
 
Macrogol (Movicol)
1–2 Btl.
6–8 h
Gut wirksam bei opioidbedingter Obstipation
Weit fortgeschrittene Tumoren mit Peritonealkarzinose erfordern in der Palliation besondere Vorgehensweise: eine Kombination von Bifiteral, Laxoberal und Rhizinus fördert die Peristaltik und den weichen Stuhl, zusätzlich ist bei chronischer Übelkeit eine Medikation mit Haloperidol (3-mal 5 mg) und Dexamethason (initial 20 mg, dann 1-mal 2 mg tgl.) sinnvoll.
Empfehlenswert für den Patienten, der noch ausreichend essen und trinken kann, ist eine regelmäßige auf 5–6 auf den Tag verteilte ballaststoffreiche Mahlzeiten, viel Flüssigkeit (1–1,5 l), ein propulsiv wirkendes Laxans (Bisacodyl) und ein osmotisch wirksames Laxans (Macrogol, Lactulose). Kann der Patient nicht mehr ausreichend Nahrung oder Flüssigkeit zu sich nehmen, sollte Paraffin und/oder Sennosid (1–2 Esslöffel) gegeben werden. Zusätzlich hilft ein zweites Bisacodyl-Suppositorium. Bleibt hier der Erfolg aus, sollte ein Mikroklysma oder der Einlauf versucht werden. Als weitere Möglichkeit gibt es die orale Gabe von Gastrografin (50–100 ml) oder die intravenöse Gabe von Neostigmin/Ceruletid. Eine vorherige Überprüfung des Füllungszustandes der Rektumampulle (Tab. 13) erfordert gegebenenfalls die manuell-digitale Ausräumung unter leichter Sedierung bei sehr hartem Stuhl/Skybala.

Ernährung während der Tumortherapie, enterale und parenterale Ernährung

Tumorerkrankungen und deren Therapie führen häufig zur Änderung der Ernährungsgewohnheiten. Entscheidend für die Lebensqualität während der Therapie und für die Prognose einer Erkrankung sind in einem erheblichen Maße der Gewichtsverlust und die Mangelernährung. Besonders therapiebedingte Nebenwirkungen, wie Schluckstörungen, Schluckauf, Mundsoor, Gastritis, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation oder Durchfälle, beeinflussen die Nahrungsaufnahme oder Nahrungsverwertung ganz erheblich.
Als Anhaltspunkt für eine relevante Belastung des Ernährungszustandes gilt ein Gewichtsverlust um 5 % innerhalb von 3 Monaten oder der 10 %-ige Gewichtsverlust des Ausgangsgewichtes vor der Tumordiagnose. Ein Verlust von bis zu 40 % der Körpermasse ist mit einem erheblichen Mortalitätsrisiko verbunden. Der Energiebedarf eines Tumorpatienten wird mit ca. 30 kcal/kg Körpergewicht geschätzt. Eine dauerhaft verminderte Nahrungsaufnahme unter 75 % des rechnerischen Bedarfes zeigt ein signifikantes Nahrungsdefizit an.
Bei Tumorpatienten ist die Lipidverwertung gegenüber der Normalsituation erhöht. Es gibt Hinweise, dass eine erhöhte Glukoseverwertung im Tumorgewebe stattfindet und somit dem Gesamtorganismus entzogen wird.
Empfohlen wird aus diesen Gründen eine fettbetonte und kohlenhydratreduzierte Ernährung: 1–1,5 g Eiweiß, 3–5 g Glukose und 1–1,5 g Fett pro kg Körpergewicht.
Da ω6-Fettsäuren proinflammatorische Wirkung über die Eicosanoidmediatoren vermitteln, sollten einfach ungesättigte Fettsäuren (Ölsäure), ggf. mittelkettige Triglyceride und ω3-Fette bevorzugt werden.
Bei Kau- und Schluckstörungen sollten zuerst hochkalorische Trinknahrungen angeboten werden. Hierbei sollte besonders auf die Wünsche und das Verlangen des Krebskranken eingegangen werden: möglich ist das Einfrieren von z. B. geschälten Orangenscheiben, die der Kranke lutschen kann. Ebenso ist gefrorene Sahne oder Speiseeis erfolgreich, da häufig bei Läsionen im Mundbereich die kalte Nahrung als lindernd und angenehm empfunden wird. Genauso können orale Medikamente in eine Trägersubstanz gemischt werden, z. B. Aspirin in Sahne (ASS wird lokal schmerztherapeutisch bei Defekten im HNO-Bereich, die Sahne wirkt anhaftend und verlängert die Wirkpassage).
Um den Appetit zu beeinflussen, können passager Dexamethason (4–8 mg, i.v., p.o., i.m.) täglich oder Anabolika (Nandrolon = Decadurabolin, 25–50 mg) alle 3–4 Wochen i.m. verabreicht werden. Bei Unmöglichkeit der oralen Nahrungsaufnahme sollte die enterale Sondenernährung (Nasensonde, transkutane Sonde = PEG) der parenteralen Ernährung vorgezogen werden. Hintergrund ist die schnell einsetzende Zottenatrophie im Dünn- und Dickdarm bei der frühen und länger andauernden parenteralen Ernährung.
Indikation für die künstliche Ernährung
  • Defekt im oberen Gastrointestinalbereich → enterale Ernährung
    • Mukositis unter Radio- oder Chemotherapie
    • Kau- oder Schluckstörungen bei HNO-Tumoren
    • Tumor- oder therapiebedingte Enge in Ösophagus/Magen/Duodenum
    • Gastroparese
  • Defekt im Dünndarmbereich → parenterale Ernährung
    • Inoperable Jejunalenge
    • Peritonealkarzinose
    • Mesenterialinfiltration
    • Kurzdarm
  • Bestehende oder drohende unzureichende Nahrungsaufnahme für einen mittel- bis langfristigen Zeitraum von mehr als 2–3 Wochen

Tumorbedingte Anämie, Bluttransfusion und Erythropoetinsubstitution

Bluttransfusion versus Erythropoetingabe

Anämien bei Krebspatienten können durch Blutverlust, Hämolyse oder unzureichende Blutbildung bedingt sein. Es lassen sich vier Ursachengruppen für eine verminderte Blutbildung abgrenzen:
  • unzureichend verstandene immunologische Mechanismen, die unter der Bezeichnung „Tumor-“ oder „Infektanämie“ subsumiert werden,
  • Verdrängung des Knochenmarks durch infiltrierende Krebszellen,
  • therapiebedingte Myelosuppression und
  • die ineffektive Erythropoese bei Krebserkrankungen des blutbildenden Systems (Myelodysplasien).
Verschiedene Untersuchungen zeigen einen Zusammenhang zwischen Anämie und Lebensqualität. Niedrige Hämoglobinwerte korrelieren mit einer schlechteren Prognose bei Patienten unter Chemo- bzw. Radiotherapie. Die Anämie beeinflusst nicht nur die Lebensqualität negativ. Darüber hinaus fördert die insuffiziente Sauerstoffversorgung die Aggressivität des Tumors und vermindert die Effektivität einer Strahlen- bzw. Chemotherapie.
Für die Therapie der Anämie stehen zwei Optionen zur Verfügung: die Bluttransfusion und die Gabe von Erythropoetin (EPO). Der Vorteil der Bluttransfusion liegt darin, dass die Anämie schnell korrigiert wird. Sie ist die Therapie der Wahl bei chronischer Anämie ab einem Hb-Schwellenwert von 7 g/dl. Der Gesamtzustand des Patienten und nicht allein die Laborwerte ist das Kriterium für eine Bluttransfusion. So können Erythrozytentransfusionen bei höheren Hämoglobinkonzentrationen (9 g/dl) erforderlich sein wenn z. B. Symptome einer Anämie, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, eine chronische Lungenerkrankung oder Infektionen vorliegen. Die Nachteile sind das Infektionsrisiko, die Eisenüberladung, die nach 25–30 Infusionen nachweisbar ist, die Hemmung der Erythropoese sowie die nachlassende Wirksamkeit nach wiederholten Transfusionen. Es stellt sich ein „Jojo-Effekt“ ein, bei dem mit der Anzahl der Infusionen der Hb-Wert nach Bluttransfusion zunehmend schneller wieder abfällt.
Erythropoetin stellt den ersten klinisch eingesetzten Wachstumsfaktor dar. EPO steht seit 1986 nach der erfolgreichen Sequenzierung und Klonierung des EPO-Gens als rekombinantes EPO für eine breite klinische Anwendung zur Verfügung. Es ist das zentrale Zytokin der Erythropoeseregulation, ein 34-kD-Glykoprotein, das in bis zu 90 % in den Nieren und zu 10 % in der Leber synthetisiert wird (Tab. 15).
Tab. 15
Charakterisierung von Erythropoetin und des Erythropoetinrezeptors (HIF: „hypoxia-induced factor“; HAF: „hypoxia-associated factor“)
Parameter
EPO
EPO-Rezeptor
Molekulargewicht
34 kD
66 kD
Chromosomaler Lokus
7 q
19 p
Sialinsäure
Ja
Nein
Produktion
Niere, Leber
Knochenmark, Gehirn, Endothelien
Regulation
?
Promoter
HIF-1, HAF, NF-kB (?)
?
EPO expandiert die Menge der unreifen Progenitorzellen vom Typ BFU-E („erythroid burst forming unit“). Unter EPO-Einfluss werden diese Zellen in das Kompartiment der reiferen determinierten Progenitorzellen, den CFUE („erythroid colony forming unit“), überführt, die dann unter EPO-Stimulation beschleunigt ausreifen. Zusätzlich wird deren Apoptose durch EPO verhindert, so dass mehr Erythrozyten ausreifen können. In geringerem Maße kann EPO auch die Megakaryozytopoese stimulieren.
Im Hinblick auf die Erythropoetintherapie sind folgende Befunde von besonderer Bedeutung:
  • eine inadäquat niedrige Erythropoetinproduktion bei der „Tumoranämie“ und der therapieassoziierten Anämie,
  • eine Hemmung der Erythropoetinwirkung bei der Tumoranämie und der Anämie durch Knochenmarkinfiltration und
  • ein vermindertes Ansprechen abnormer erythropoetischer Vorläuferzellen auf physiologische Erythropoetinkonzentrationen bei den Myelodysplasien.

Dosierungsschema von Erythropoetin

Bei Patienten mit „Tumoranämie“, infiltrationsbedingter Anämie oder therapiebedingter Anämie ist ein häufig angewandtes und in ca. der Hälfte der Fälle erfolgreiches Therapieschema: 3 subkutane Erythropoetininjektionen von je 150 E/kg kg pro Woche (bei einem normgewichtigen Erwachsenen: 3-mal 10.000 E) mit Dosisverdopplung (3-mal 300 E/kg KG) bei Ausbleiben eines Hämoglobinanstiegs nach 4- bis 8-wöchiger Therapiedauer.
Das gentechnisch modifizierte Erythropoetin Darbepoetin-α enthält 5 sialinsäurehaltige Kohlenhydratanteile im Vergleich zu 3 bei r-HuEPO. Die Serumhalbwertszeit und somit die Wirksamkeit wird dadurch auf etwa das dreifache verlängert. Darbepoetin-α hat denselben rezeptorvermittelten Wirkmechanismus wie r-HuEPO. Deshalb bewirkt eine einmalige Wochendosis von 2,25 μg/kg kg s.c. einen vergleichbaren Hämoglobinanstieg.
Zahlreiche klinische Studien und Metaanalysen konnten nicht zeigen, dass die Behandlung mit EPO zu einer Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit führt. Das relative Risiko für thrombembolische Komplikationen unter EPO-Behandlung beträgt 1,55.

Eisensubstitution und Erfolgskontrolle der EPO-Gabe

Zur Überwindung des bei Krebspatienten häufig vorliegenden funktionellen Eisenmangels wird die gleichzeitige Verabreichung eines Eisenpräparates empfohlen. Daher wird bei allen Patienten mit Serumferritinwerten unter 100 μg/l oder einer Transferrinsättigung <20 % eine orale Eisensubstitution mit 200–300 mg Fe2+/Tag empfohlen. Der Hämoglobinanstieg entwickelt sich bei einer erfolgreichen Erythropoetinbehandlung sehr langsam (nach 14 Tagen Hb-Anstieg ca. um >0,5 g/dl). Um das Ansprechen zu überprüfen, wird ein Therapieversuch von mindestens 2-monatiger Dauer empfohlen.
Von den gegenwärtig klinisch eingesetzten Wachstumsfaktoren besitzt EPO das größte Indikationsspektrum, das nicht nur die Korrektur der renalen oder der Tumoranämie sowie die Verbesserung der Tumoroxygenierung beinhaltet, sondern auch eine Reihe neuerer Indikation umfasst (Tab. 16).
Tab. 16
Indikation von Erythropoetin (MDS = myelodysplastisches Syndrom AA = aplastische Anämie). (Nach Dempke und Schmoll 2001)
Indikation
Effekt
Stellenwert
Hb-Anstieg
Gesichert
Lebensqualität ↑
Fraglich
Knochenmarkinsuffizienz (MDS, AA, HIV)
Reduktion von Transfusionen
Stabilisierung des peripheren Blutbildes
Experimentell
Stammzellmobilisation
CD34-Ausbeute ↑
Fraglich
Tumoroxygenierung
Optimierung von Radiotherapie/Chemotherapie
Gesichert
Tumoranämie
Therapieansprechen ↑ Überlebensvorteil
Gesichert
Fraglich
Chemotherapie induzierte Anämie
Reduktion von Transfusion
Gesichert
Fatigue-Syndrom
Lebensqualität ↑
Experimentell
Proinflammatorische Zytokine ↓
Experimentell
Im Auftrag der Agency for Healthcare Research and Quality, U.S. Department of Health and Human Services, wurden alle relevanten Studien mit Erythropoetin bei Krebsbehandlung analysiert. Es zeigte sich ein signifikanter Anstieg des Hämoglobinwertes durch die Erythropoetintherapie nach Chemotherapie bei ca. 50 % der behandelten Patienten und eine Reduktion der Transfusionsfrequenz um 10 bis maximal 50 %.
In der letzten Zeit lösten Ergebnisse randomisierter, kontrollierter klinischer Studien, Metaanalysen und eines Cochrane-Reviews die Diskussion um folgende sicherheitsrelevante Aspekte aus:
  • erhöhtes Risiko venöser thromboembolischer Ereignisse bei Krebspatienten, die Erythropoese-stimulierende Arzneimittel (ESA) erhalten,
  • chronischer Niereninsuffizienz, wenn Hämoglobinkonzentrationen von 12 g/dl überschritten werden.
Nach Überprüfung aller verfügbaren Daten schlussfolgerte der wissenschaftliche Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMEA und seine Pharmakovigilanz Arbeitsgruppe (PhVWP), dass der Nutzen dieser Arzneimittel in den zugelassenen Anwendungsgebieten das Risiko überwiegt. Die Gebrauchsinformationen der ESA wurden, soweit zutreffend, wie folgt geändert:
  • Die Anwendung von ESA soll ausschließlich bei Patienten mit symptomatischer Anämie im Zusammenhang mit einer Niereninsuffizienz oder mit nicht-myeloischen malignen Erkrankungen erfolgen.
  • Die niedrigste ESA-Dosis ist zu wählen, um die Hämoglobinkonzentration in einem Bereich zwischen 10 und 12 g/dl einzustellen.
  • Die intravenöse Eisentherapie bei onkologischen Patienten führt zu signifikant höheren Hämoglobinanstiegen als die Therapie mit Erythropoese-stimulierenden Substanzen allein oder mit zusätzlichem oralem Eisen (EORTC Guidelines, www.onkosupport.de).
  • Evstatiev et al. zeigten 2011 mit einem vereinfachten Dosierungsschema zur Applikation von intravenösem Eisen die Effektivität der Substitution. Das Eisenpräparat „Ferric Carboxymaltose“ (ferinject) kann als Infusion über 15 Minuten mit 1000 mg appliziert werden. Tab. 17 zeigt das aktuelle Dosierungsschema.
Eine Zusammenfassung der Empfehlungen veranschaulicht Abb. 1.
Tab. 17
Dosierungsschema zur Applikation von intravenösem Eisen
Hb-Wert
35 bis <70 kg KG
≥70 kg KG
≥10 g/dl
1000 mg
1500 mg
<10 g/dl
1500 mg
2000 mg
Zusammenfassende Bewertung
Kostenanalysen zeigen, dass die Erythropoetintherapie deutlich teurer ist als die Erythrozytentransfusion. Ökonomische Überlegungen und finanzielle Ressourcen des Gesundheitssystems beeinflussen die Wahl zwischen den beiden Behandlungsoptionen entscheidend. Richtungsweisend für die Therapieoption sollte die individuelle Konstitution des Patienten sein. Da bei vielen Krebspatienten die Anämie erst in fortgeschrittenen Stadien auftritt, sind die Patienten auch wegen ihrer kurzen Lebenserwartung durch langfristige Transfusionsrisiken nicht gefährdet.
Im Gegensatz dazu ist bei anderen Patienten die Anämie nur ein vorübergehendes therapieinduziertes Problem. Da hier meist keine oder nur sehr wenige Bluttransfusionen benötigt werden, ist das Risiko eines langfristigen Transfusionsschadens gering. Die Behandlung mit Erythropoetin wäre besonders bei Patienten mit langer Lebenserwartung und chronischer Transfusionsbedürftigkeit indiziert.

Fatigue bei Tumorerkrankungen

Fatigue bezeichnet ein Gefühl von körperlicher und geistiger Müdigkeit, das mit reduzierten Energiereserven und Muskelkraft einhergeht. Anhand einer Symptomcheckliste der Fatigue Coalition kann die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Fatigue-Syndroms geprüft werden.
Diagnosekriterien des Fatigue-Syndroms (mindestens 6 der 11 Symptome müssen zutreffen)
  • Müdigkeit, Energiemangel, inadäquat gesteigertes Ruhebedürfnis
  • Gefühl der allgemeinen Schwäche, Gliederschwere
  • Konzentrationsstörungen
  • Motivationsmangel, Desinteresse an normalen Alltagsaktivitäten
  • Schlaflosigkeit, übermäßiges Schlafbedürfnis
  • Schlaf wird als wenig erholsam erlebt
  • Gefühl, sich zu jeder Aktivität zwingen zu müssen
  • Ausgeprägte emotionale Reaktion auf die empfundene Erschöpfung (Niedergeschlagenheit, Frustration, Reizbarkeit)
  • Schwierigkeiten in der Bewältigung des Alltags
  • Störungen des Kurzzeitgedächtnisses
  • Nach körperlicher Anstrengung lange andauerndes Unwohlsein
Mehr als 80 % der Tumorpatienten erleben unter der Chemo- oder Strahlentherapie dieses Syndrom. Die Ursachen dieser Müdigkeit und Erschöpfung sind multifaktoriell und auch durch paraneoplastische Mechanismen bedingt. Es wird angenommen, dass der Tumor selbst Substanzen produziert (sog. „Asthenine“), die zu pathologischer Ermüdbarkeit, Kraftverlust und Schwäche führen. Eine Ursache des Fatigue-Syndroms stellt die Anämie dar, wobei ungeklärt ist, welcher Grad der Anämie mit der Fatigue assoziiert ist.
In allen Abschnitten der Tumorbehandlung, wie Diagnostik, Therapie, Nachkontrollen und Palliation kommt der Fatigue eine für den Patienten besondere Rolle zu. Ein häufiges Syndrom ist der „Leistungsknick“ vor der Diagnose der Tumorerkrankung. Unter der Therapie ist die Erschöpfung die Hauptbelastungsstörung. Neben durch Übelkeit und Erbrechen bedingter Mangelernährung spielen Stoffwechselveränderungen und besonders die Anämie, tumor- und therapiebedingt, eine wichtige Rolle. Nicht zu unterschätzen sind die Abgeschlagenheit und die Rezidiv Angst bei Patienten in der Nachsorge.

Therapieansätze beim Fatigue-Syndrom

Die Behandlung des Fatigue-Syndroms sollte sich auf die einzelnen Fatigue-bestimmenden Begleitfaktoren (Schmerzen, Anämie, Übelkeit, Schlafstörungen, Aktivitätslevel, Ernährung) konzentrieren. Ziel bleibt immer die Verbesserung der Lebensqualität.
Therapieoptionen beim Fatigue-Syndrom und individuelle Behandlungsstrategien
  • Anämie Behandlung
  • Medikation überprüfen
  • Schlafregulierung
  • Ausgewogene Ernährung
  • Psychoonkologie
  • Neustrukturierung des Alltags
  • Verteilung von Aktivitäten
  • Regelmäßige Ruhephasen
  • Entspannungstechniken
  • Kraftquellen erkennen und nutzen
  • Dosiertes körperliches Training
  • Isolation verlassen
Voraussetzung für die Therapie ist das Erkennen von Fatigue als Symptom der Tumorerkrankung mit eigenständigem Krankheitswert. Bereits beim Aufklärungsgespräch sollte der Arzt auf das Syndrom hinweisen.
Psychoedukative Methoden spielen zur Verbesserung der Krankheitsverarbeitung eine wichtige Rolle. Patienten profitieren von regelmäßigem körperlichem Training (Ausdauer- und Krafttraining). Selbstverständlich ist die Korrektur der tumorbedingten Anämie (Zielwert Hb 9–11 g/dl). Erkannt und Behandelt werden sollten mögliche begleitende Stoffwechselstörungen, wie ein neu aufgetretener Diabetes mellitus (Steroiddiabetes), eine Schilddrüsendysfunktion oder Depressionen.
Medikamentöse Hilfsmittel sollten konsequent und frühzeitig genutzt werden. Hier ist es wichtig, Stimulanzien wie Steroide einzusetzen, z. B. in der Therapie der Appetitlosigkeit oder beim kachektischen Tumorpatienten.
Literatur
Dempke W, Schmoll HJ (2001) Neue Erythropoietin-Indikationen. Med Klin 96:467–474CrossRef