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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 15.09.2015

Geriatrische Syndrome: Inkontinenz

Verfasst von: Klaus Becher
Das Standardisierungskomitee der International Continence Society (ICS) hat im Jahr 2002 die Definition von Harninkontinenz als jeglichen ungewollten Verlust von Urin festgelegt (Abrams P, Cardozo L, Fall M, Griffiths D, Rosier P, Ulmsten U, van Kerrebroeck P, Victor A, Wein A (2002) The standardisation of terminology of lower urinary tract function: report from the Standardisation Sub-committee of the International Continence Society. Am J Obstet Gynecol 187(1):116–126). Diese Definition gilt für alle Erwachsenen. Es wird heute zwischen vier verschiedenen Inkontinenzformen unterschieden. Der Symptomenkomplex der Dranginkontinenz oder auch als überaktive Blase mit Inkontinenz bezeichnet, ist die weitaus häufigste Einzelform. Die Belastungsinkontinenz: Beim Husten, Lachen, Nießen und schweren Heben (Grad I), beim Hüpfen, Laufen und anderen Bewegungen (Grad II) oder beim einfachen Wenden im Bett (Grad III nach Stamey) geht Urin verloren. Daneben sehen wir häufig Mischformen aus Belastungs- und Dranginkontinenz sowie die Überlaufblase.

Harninkontinenz

Definition und Formen der Harninkontinenz

Das Standardisierungskomitee der International Continence Society (ICS) hat im Jahr 2002 die Definition von Harninkontinenz als ungewollter Verlust von Urin festgelegt (Abrams et al. 2002). Diese Definition gilt für alle Erwachsenen. Es wird dabei heute zwischen vier verschiedenen Inkontinenzformen unterschieden. Bei der Belastungsinkontinenz führt eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur und des Schließapparates an der Blase zu ungewollten Urinverlust. Die Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz wird in Tab. 1 dargestellt.
Tab. 1
Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz nach Stamey
Gradeinteilung der Belastungsinkontinenz nach Stamey
Beschreibung
Grad 1
Bei Husten, Niese, Lachen und schweren Heben wird Urin verloren
Grad 2
Bei körperlicher Belastung wie Hüpfen, Laufen oder Springen geht Urin verloren.
Grad 3
Beim einfachen Wenden im Bett wird bereits Urin verloren
Steht der Drang, Urin zu lassen, im Vordergrund und ist mit einem Harnverlust verbunden, spricht man von einer Dranginkontinenz. Letztere wird heute als Sonderform der „Symptome des unteren Harntraktes“ oder „Lower Urinary Tract Symptoms“ (LUTS) unter dem Begriff der überaktiven Blase („overactive bladder“, OAB) subsummiert. Bei der OAB kommt es zu einem übermäßigen, imperativen und häufigen Harndrang – v. a. auch in der Nacht (Nykturie) – der sich entweder als trockene OAB ohne Inkontinenz oder eben als nasse OAB mit Inkontinenzepisoden (etwa ein Drittel aller OAB-Patienten) manifestieren kann. Die überaktive Blase mit oder ohne Detrusorüberaktivität, aber Relaxierungsstörung der Urethra, sind als nähere ätiologische Spezifikation zu nennen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Mischformen aus den bislang erwähnten Formen der Belastungs- und Dranginkontinenz am häufigsten zu finden sind. Als 4. Form der Harninkontinenz ist die Überlaufblase zu nennen, die durch eine Obstruktion des Blasenauslassystems entsteht und bei entsprechender intravesikaler Druckerhöhung zu einem unkontrollierten Harnabfluss – beim Mann häufig auch zum Harnträufeln – führt. Als klassisches Beispiel kann hier der ältere Mann mit einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) genannt werden, bei dem die Hyperplasie der Prostata zur Obstruktion der Urethra führen und sowohl irritative Symptome einer Drangsymptomatik oder eines benignen Prostatasyndroms (BPS) als auch eine obstruktive Form mit Harnverhalt und Inkontinenz bei Überschreitung des Blasenauslasswiderstandes hervorrufen kann. Weitere mögliche Ursachen einer Überlaufblase und in Abgrenzung zu einer neurogenen Blasenschwäche werden nachfolgend aufgelistet.
  • Blasendetrusorschwäche oder Atonie des muskulären Reservoirs durch: Medikamentennebenwirkung unter:
    • Spasomolytika
    • Haloperidol
    • Opiate
    • Trizyklika
    • Antihistaminika der ersten Generation und
    • α-adrenerge Substanzen, z. B. in Nasensprays
  • Abgrenzung zu der neurogenen Inkontinenz: Störung der Innervation der Blase und des Blasenverschlusses in unterschiedlich ausgeprägtem Grad:

Pathophysiologie

Die Belastungsinkontinenz erkennt man daran, dass der unfreiwillige Urinverlust dann auftritt, wenn das Blasenschließmuskelsystem nicht mehr dem intraabdominellen Druck standhält. Das Zusammenspiel zwischen der Harnblase und dem Großhirn wird durch die peripheren rückenmarksnahen und zentralen vom Großhirn gesteuerten Nervenbahnen gesteuert und unterliegt damit einer willkürlichen und einer unwillkürlichen Komponente: Die neuronale Steuerung umfasst parasympathische, sympathische und somatische Nervenbahnen. Das Miktionszentrum findet sich im frontalen Kortex und im Hypothalamus. Bei der reifen autonomen Blasenregulation erhalten Neurone im sakralen Spinalmark afferente Signale der Blase, antworten auf Dehnung oder Kontraktion und kommunizieren mit dem Blasenzentrum, das wiederum vom Großhirn moduliert wird. Neuronale Reize bewirken eine Aktivierung des Parasympatikus mit nachfolgender Blasenkontraktion, inhibitorische Neurone bewirken eine Blasenrelaxation und Sphinkterkontraktion. Typisch für eine normale Blasenfunktion ist ein langsamer Druckanstieg ohne Kontraktion während der Blasenfüllung und eine koordinierte Entleerung. In der Gruppe der älteren und hochbetagten Menschen, insbesondere in der Gruppe der gebrechlichen älteren Menschen („frail elderly“), beeinflussen die Störung der Mobilität, die möglichen kognitiven Einbußen und eine potentielle Sturzneigung als geriatrische Syndrome mittelbar oder unmittelbar die Ausprägung und Entwicklung einer Harninkontinenz, ohne dass sie mit dem Urogenitaltrakt direkt in Verbindung stehen müssen (ICS Textbook 2009; Inouye et al. 2007; DuBeau 2007). Oftmals interagieren eine Vielzahl unterschiedlicher zusätzlicher Risikofaktoren (sog. Kontextfaktoren), wie eine zunehmende Schwäche der Beckenbodenmuskulatur oder eine neurodegenerative Grunderkrankung mit neu auftretenden anderen begünstigenden Risiken, z. B. einem akuten oder chronischen Harnwegsinfekt oder einer Medikamentennebenwirkung und bilden die multifaktorielle oder polyätiologische Genese der Harninkontinenz.

Epidemiologie

Etwa 12 % aller erwachsenen Männer und 25 % aller Frauen sind einmal in ihrem Leben von einer Harninkontinenz betroffen. Je nach befragter Population variieren die allgemeinen Prävalenzangaben für eine Harninkontinenz zwischen 5 % in der jüngeren Population unter 60 Jahre und der selbstständig Lebenden und 85 % und mehr bei über 90-jährigen pflegebedürftigen Menschen in Pflegeeinrichtungen. Urininkontinenz ist allgemein häufiger bei Frauen zu beobachten. Die Häufigkeit der überaktiven Blase mit Inkontinenz (wet OAB) wächst mit zunehmendem Alter und liegt für Frauen bei ca. 31 % und für Männer über 75 Jahre bei ca. 42 % Betroffener (Milsom et al. 2001). In Altenheimen sind ca. 50 % Betroffene mit Harninkontinenz zu erwarten (Aggazzotti et al. 2000; Irwin et al. 2006; Ouslander 1992; Fantl et al. 1996). Zusätzlich gewinnen allgemein die Beschwerden im Bereich des unteren Harntraktes („Lower Urinary Tract Symptoms“, LUTS) eine zunehmende Bedeutung. Die Prävalenzangaben für diese Gruppe von Betroffenen variieren bei Erwachsenen zwischen 17 % mit sog. Harntraktsymptomen und >75 % bei über 80-Jährigen (Goepel et al. 2002) (Abb. 1).

Diagnostik

Die unterschiedliche Symptompräsentation, verbunden mit häufig ungenauen Angaben bei der Anamneseerhebung, macht es grundsätzlich notwendig, bei älteren Patienten ein Screening nach Harninkontinenz bei Erstkontakt in der Hausarztpraxis durchzuführen (Becher et al. 2013). Dies sollte in Form eines systematisierten Vorgehens zur Erfassung und zur weiteren Differenzierung der Art und des Schweregrades einer Harninkontinenz erfolgen (AWMF-Leitlinie Harninkontinenz). Es empfiehlt sich hierzu ein abgestuftes Vorgehen:
  • allgemeines Assessment, das die generelle Frage nach Harnkontinenz als ein Item beinhaltet (z. B. Screening nach Lachs, Barthel-Index)
  • ein weiteres spezielles Assessment in Form von Symptomfragebogen und einer Frage zum Leidensdruck bei bestehender Inkontinenz
Ist eine Funktionseinschränkung im Bereich der Urinkontrolle festzustellen, sollte ein erweitertes Assessment folgen, das Art und Häufigkeit sowie auch den Leidensdruck und damit indirekt die mögliche Therapiekonsequenz beurteilen kann. Ein bewährtes Instrument hierfür ist der International Consultation of Incontinence Questionaire – ICIQ (Abb. 2).
Die Basisdiagnostik umfasst jedoch:
  • gezielte Anamnese inklusive der Medikamentenanamnese
  • körperliche Untersuchung mit Augenmerk auf Gewicht, Genitalstatus und rektal digitalen Tastbefund
  • Restharnsonographie
  • Trink- und Miktionsprotokoll oder -tagebuch (Beispiel Abb. 3) über 48–72 h
Die Notwendigkeit weiterer diagnostischer Schritte mit urologischer und/oder gynäkologischer Spezialdiagnostik ist gegeben, wenn sich aus der Basisuntersuchung und dem Assessment Hinweise ergeben auf:
  • eine Mischinkontinenz
  • eine Störung der Blasenentleerung mit Zeichen einer Überlaufblase
  • eine neurologische Grund-/Begleiterkrankung
  • einen frustranen konservativen Therapieversuch nach 4–12 Wochen

Differenzialdiagnostische Abwägungen bei Harninkontinenz

Physiologische Veränderungen im Alter (Tab. 2) können als eigenständige Risikofaktoren der Entwicklung, dem Weiterbestehen und der Verschlechterung einer Harninkontinenz gelten. Allerdings sind diese Veränderungen der unteren Harnwege nicht ausschließlich ursächlich für eine manifeste Harninkontinenz oder LUTS.
Tab. 2
Physiologische Veränderungen des unteren Harntraktes im Alter. (Modifiziert nach ICI Textbook 2009)
Physiologische Altersveränderungen
Möglicher Einfluss auf Kontinenz
Degeneration der Neuromuskulären Endplatten
Rückbildung von Muskel- und Nervenfasern
Blasenüberaktivität und Dranginkontinenz
Reduzierte Blasenkontraktilität
Erhöhter Restharn
Reduzierte Blasenkapazität
Blasenfunktion:
- reduzierte Blasenkapazität
- erhöhte Detrusorüberaktivität
- reduzierte Detrusorkontraktilität
- erhöhter Restharn
Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Urininkontinenz und Harnwegssymptome
Urethra:
- erniedrigter Verschlussdruck bei Frauen
Erhöhter Wahrscheinlichkeit für Belastungs- und Dranginkontinenz
Prostata:
- erhöhte Inzidenz der BPO
- erhöhte Inzidenz eines Prostatakarzinoms
Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Urininkontinenz und Harnwegssymptome
Östrogendefizit (Frau)
Erhöhte Inzidenz einer atrophen Vaginitis und ähnlichen Symtomen
Erhöhte Inzidenz rezidivierender Harnwegsinfekte
Erhöhte nächtliche Urinproduktion
Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Nykturie und Enuresis nocturna
Veränderte zentrale und periphere Konzentration der Neurotransmitter und deren Aktionspotentiale
Erhöhte Wahrscheinlichkeit für Störungen im Bereich des funktionellen Zusammenspiels der unteren Harnwege
Veränderte Abwehrfunktion
Erhöhter Wahrscheinlichkeit für rezidivierende Harnwegsinfekte
Der natürliche Verlauf ultrastruktureller Veränderungen der Harnblase wurde sowohl histomorphologisch als auch in urodynamischen Messungen bei älteren und hochbetagten Personen untersucht (Elbadawi et al. 1993; Pfisterer et al. 2006). Aufschlussreich war die Beobachtung bei jüngeren Frauen, deren Symptomatik einer Detrusorüberaktivität mit einer erhöhten Kontraktilität der Detrusormuskulatur einherging, wohingegen bei den gebrechlichen älteren Damen diese Überaktivität nicht mit einer Steigerung der Muskelkontraktilität verbunden war, also Symptome einer überaktiven Blase ohne erhöhte Blasenkontraktilität beobachtet werden konnten (Pfisterer 2006). Folgerichtig zeigen viele Ältere im Rahmen ihrer Harninkontinenz eine Detrusorüberaktivität in der Füllungsphase der Blase, aber eine verminderte Kontraktilität in der Miktionsphase, wobei Letzteres zu bedeutenden Restharnvolumina führen kann. Wie sich physiologische Veränderungen im Alter im Bereich des Harntraktes auf die Kontinenz auswirken können, ist aus Tab. 2 zu entnehmen.

Kontextfaktoren innerhalb und außerhalb des Harntraktes

Kormorbititäten

Die asymptomatische Bakteriurie als auch symptomatische Harnwegsinfekte nehmen mit dem Alter zu und können im Rahmen einer Harninkontinenz unterschiedlichster Art auftreten. Bei gebrechlichen Hochbetagten können beide Entitäten durch Mischflora auch gleichzeitig vorkommen. Allerdings ist in dieser Gruppe der Zusammenhang zwischen einer Harninkontinenz und einer asymptomatischen Bakteriurie nicht eindeutig belegt. Die antibiotische Behandlung der asymptomatischen Bakteriurie bei harninkontinenten älteren Menschen wird daher nicht empfohlen, da sie die Symptomausprägung der Harninkontinenz nicht beeinflusst. Der Diabetes mellitus stellt hinsichtlich einer unzureichend eingestellten glykämischen Kontrolle und einer autonom-neuropathischen Störungen im Sinne einer neurogenen Dranginkontinenz einen Risikofaktor dar. Andere Risikofaktoren sind degenerative Gelenkerkrankungen, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (erhöhter intraabdomineller Druck beim Husten und folgende Belastungsinkontinenz), ein Schlaf-Apnoe-Syndrom (über eine nächtliche Stressreaktion – Produktion von atrialem natriuretischem Hormon mit Steigerung der Urinproduktion). Im Bereich der neurologisch-psychiatrischen Begleiterkrankungen ist der Schlaganfall mit möglicher Beeinträchtigung der Mobilität durch Hemiplegie im funktionalem Bereich, aber auch durch eine deutlich häufiger auftretende Dranginkontinenz und, wenn auch seltener, durch eine Retentionsblase ein bedeutendes Krankheitsbild, das mit Harninkontinenz einhergeht. Das Parkinsonoid und der Morbus Parkinson bewirken ähnliche Einschränkungen im Bereich der Mobilität, aber auch die häufig einhergehende Obstipation erschwert die Harnkontrolle. Besonders eindrucksvoll ist die sog. Hakim Trias, die sich durch eine Gangunsicherheit und Sturzneigung, einer zunehmenden kognitiven Störung und einer Harninkontinenz manifestiert. Ist diese Konstellation gegeben, ist differenzialdiagnostisch an einen Normdruckhydrozephalus zu denken, der nach diagnostischer Absicherung in der Bildgebung durch eine Entlastungspunktion des Liquor spinalis und in seltenen Fällen durch Anlage eines ventrikuloperitonealen Shunts behandelt werden sollte. Bei Demenzpatienten tritt Harninkontinenz häufig im mittleren und fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung auf. Die zerebrale Schädigung bei der Demenz vom Alzheimertyp (DAT) führt zur Beeinträchtigung der zerebralen Hemmung bis hin zum kompletten Ausfall des Miktionsreflexes. In den meisten Fällen resultiert das klinische Bild einer Dranginkontinenz. Etwa ein Fünftel der Patienten können aber durch die noch funktionierende willkürliche Innervation des äußeren Schließmuskels den ungewollten Harnabgang über das medulläre Kontinenzzentrum und das zerebrale sensorische Zentrum verhindern. Die Detrusor-Sphinkter-Koordination ist in der Regel nicht betroffen. Das Problem entsteht also im Kopf der meist älteren Menschen, nicht an oder in der Blase.

Medikation

Die Polymedikation kann ebenfalls ein potenzieller Auslöser oder Beteiligter bei einer neu diagnostizierten Harninkontinenz sein. Mit der Anzahl der verordneten Medikamente steigen auch die möglichen Interaktionen und damit die Möglichkeit von unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen. Folglich sollte bei jedem älteren Menschen mit Harnwegsproblemen auch die Medikation überprüft werden. Eine Vielzahl üblicher Wirkstoffe kann unter individuellen Umständen dazu beitragen, eine Harninkontinenz auszulösen oder Symptome einer LUTS zu provozieren. Tabelle 3 zeigt mögliche Zusammenhänge zwischen Drang verstärkenden und Belastungsinkontinenz fördernden Medikamenten.
Tab. 3
Häufig verordnete Medikamentenwirkstoffe mit Einfluss auf die Kontinenz. (Aus Becher und Sieber 2011)
Wirkstoffgruppe
Einfluss auf die Kontinenz
Begünstigen Stressinkontinenz durch Husten
Ödembildung durch venöse Vasokonstriktion und nächtliche Rückbildung der Ödeme mit Nykturie, Urinretention
Verursachen möglicherweise Harnverhalt, Überlaufinkontinenz, Verwirrtheit, Verstopfung
Anticholinerge Wirkung, Sedierung
α-Blocker, Sympatholytika
Harnretention mit Gefahr der Überlaufblase
Antiparkinsonmittel
Anticholinerge Wirkung, Sedierung
Erhöhung der Detrusorkontraktilität
Digitalis
Steigerung der Blasenkontraktilität
Polyurie, Verstärkung eines imperativen Harndrangs
Anticholinerge Wirkung, Verminderung der Detrusorkontraktilität
Opioide, Narkotika, Sedativa, Alkohol
Dämpfung der Dehnungsrezeptoren und des zentralen Miktionsreflexes
Muskelrelaxation des Beckenbodens
Muskelrelaxantien
Verminderung des Auslasswiderstands am Blasenhals

Funktionelle Einschränkung (Aktivitäten des täglichen Lebens, ADL) und Harninkontinenz

Defizite in den alltagspraktischen Fähigkeiten können einen erheblichen Anteil an der Entstehung aber auch an der Aggravierung einer Harninkontinenz haben. Dazu sind weitere geriatrische Syndrome, wie das Sturzsyndrom, das Delir, die altersbedingte Sehstörung und die Presbyakusis zu zählen (Cigolle 2007). Die Verschlechterung der Sehkraft kann z. B. die Fähigkeit vermindern, im Alltag schnell eine geeignete Toilette zu finden. Die Presbyakusis verhindert möglicherweise eine Teilnahmeentscheidung an Blasentrainingsprogrammen, wenn sie in Gruppensettings stattfinden.

Umwelt

In Senioreneinrichtungen und Krankenhäusern sollte auf folgende Aspekte geachtet werden:
  • barrierefreie Wege zu den Toiletten bereithalten
  • Hilfsmittel, wie z. B. Haltegriffe, Sitzerhöhungen und Vorlagenspender installieren
  • optische Hilfen zur Orientierung anbringen
  • Aufklärung von Angehörigen, Pflegepersonal und Laienhelfern, dass die Unterstützung beim Toilettengang eine zielführende und sinnvolle Maßnahme zur Vermeidung oder Behebung einer Inkontinenz sein kann
  • zweckmäßige Kleidung für die Patienten verwenden, um Barrieren auf dem Weg zum Kontinenzerhalt zu reduzieren

Multimodale Therapiestrategien

Für die unterschiedlichen Formen der Harninkontinenz stehen für den Hochbetagten teils spezifische, nur für eine bestimmte Form der Harninkontinenz effektive Therapien zur Verfügung, teils stellen sie für alle Formen der Inkontinenz empfohlene Therapieergänzungen dar. Aufgrund fehlender gut kontrollierter Studien in der Gruppe der Hochaltrigen sind allerdings nur wenige spezifische Empfehlungen möglich. Die operative Vorgehensweise stellt meist eine nachgeordnete Option dar. Unter konservativen Maßnahmen versteht man:
  • Verhaltensmodifikation
  • Blasentraining
  • physikalische Therapie in Form von:
    • Beckenbodengymnastik
    • TENS, Elektrostimulation, Vaginalkonen, Magnetfeldtherapie
  • die Anwendung von Hilfsmitteln, wie:
    • körpernahe Hilfsmittel
      • aufsaugende Hilfsmittel (Einlagen, Windel und Windelhosen)
      • ableitende Hilfsmittel (Kondomurinal, Blasenkatheter – transurethral, suprapubisch) oder
      • vaginale Ringe oder Pessare, Tampons bei Beckenprolaps
    • körperferne Hilfsmittel (Bettflaschen, Betteinlagen und Steckbecken)
  • Umgebungsanpassung
  • medikamentöse Therapie
Bei der Durchführung der verschiedenen Formen des Kontinenztrainings können patientenabhängige (Blasentraining) und von der Pflege abhängige Formen (festgelegte, individuelle Entleerungszeiten, angebotener Toilettengang) unterschieden werden. Eine Blasenkatheterisierung sollte nur unter strenger Indikationsstellung z. B. bei obstruktiver Überlaufblase oder zum Schutz vor irritativen Hautschäden bei bestehender Inkontinenz erfolgen. Kenntnisse der Pflegenden und die personelle Besetzung in den Institutionen wirken sich auf die Effektivität dieser Methoden aus (Wagg et al. 2008).

Medikamentöse Therapie bei Harninkontinenz

Haben verhaltensmodifizierende Maßnahmen nicht ausreichend zu einer Reduktion der Inkontinenzepisoden geführt oder bestehen weiterhin Drangsymptome ohne obstruktive Komponente und sind ein Infekt und irritative lokale Störungen mit den Basismaßnahmen ausgeschlossen worden, so ist der medikamentöse Therapieversuch mit einem drangreduzierenden Pharmakon indiziert. Der Einsatz von Antimuskarinika erfolgt im Hinblick auf eine Reduktion der Drangepisoden, der nächtlichen Miktionen, der möglichen Inkontinenzepisoden, der Reduktion der Toilettengänge insgesamt und einer Vergrößerung des Miktionsvolumens. Die International Consultation on Incontinence (ICI) beurteilt den Einsatz dieser Substanzen mit einem Evidenz-Level I und einem Empfehlungsgrad A (ICI Textbook 2009 Seiten 640 und 1797). Dabei sollten neben einer zu großen Restharnmenge relevante Kontraindikation, wie z. B. ein Glaukom, ein Delir, eine relevante QT-Zeit-Verlängerung sowie Tumore und Infekte der Harnblase ausgeschlossen worden sein. Bei kognitiver Einschränkung empfehlen sich bei der Anwendung anticholinerger Substanzen wegen der potenziellen Gefahr einer Verschlechterung der kognitiven Funktionen und der Begünstigung einer Delirentwicklung engmaschige Kontrollen (Campbell et al. 2009; Robinson und Cardozo 2012) von Wirksamkeit und möglichen Nebenwirkungen. Die verschiedenen Substanzen unterscheiden sich aufgrund ihrer chemischen Struktur in tertiäre Amine (Darifenacin, Fesoterodin, Oxybutynin, Propiverin, Solifenacin, Tolterodin,) und quartäre Amine (Trospiumchlorid). Dieses Strukturmerkmal begründet auch die unterschiedliche Liquorgängigkeit betrifft insbesondere tertiäre Amine, hier v. a. Trospiumchlorid). In Bezug auf relevante und häufige Nebenwirkungen ist in diesem Zusammenhang besonders auf Mundtrockenheit, verschwommenes Sehen, Obstipation und Schwindel sowie Verwirrtheit zu achten. Bei kognitiv bereits eingeschränkten Menschen sollten diese Pharmaka daher nur unter regelmäßiger Kontrolle der Kognition und der Vigilanz verordnet werden. Die fehlende Bindung an zentrale M1-Rezeptoren, die für die Beeinflussung der kognitiven Leistung zuständig sind, ist je nach Substanz unterschiedlich und stellt einen Vorteil dar. Die Einführung direkt an der Blase wirkender β-ardrenerger Substanzen bei überaktiver Blase steht in Deutschland erst an (Mirabegron). Ist eine Belastungskomponente als Auslöser einer Inkontinenz bei hochbetagten älteren Menschen zu vermuten, sind fast ausschließlich verhaltensmodfizierende Maßnahmen und physiotherapeutische Interventionen zur Verbesserung der Beckenbodenmuskulatur indiziert. Der Einsatz von Duloxetin als Hemmer für die Wiederaufnahme von Serotonin- und Noradrenalin kann nur bei ansonsten gesunden Frauen anstelle einer chirurgischen Therapie bei mittlerer bis schwerer Belastungsinkontinenz erwogen werden (Evidenzgrad Ib).
Medikamente, die zur Behandlung der obstruktiven Überlaufinkontinenz zur Verfügung stehen und überwiegend bei BPH eingesetzt werden, sind die selektiven α1-Rezeptorblocker (Doxazosin, Tamsulosin, Alfuzosin,Terazosin, Sildosin) und 5α-Reduktasehemmer (Finasterid, Dutestarid). Bei entsprechender Neigung zu Tachykardien und hypotoner Dysregulation, ist bei den α1-Rezeptorblocker eine Therapieeinschränkung zu beachten.

Operative Therapie

Die Überwindung eines obstruktiven Hindernisses am Blasenausgang in Form einer BPH oder eines Prostatakarzinoms, ist wohl die häufigste Indikation zu einer operativen Intervention bei obstruktiven Inkontinenzproblemen. Dabei stehen neben der transurethralen Resektion (TUR-Prostata, TUR-P; Evidenz Ia, Empfehlungsgard A) oder der transabdominellen Resektion (radikale Prostatektomie) zumindest für die Behandlung der BPH auch minimalinvasive Alternativ- oder Ergänzungsverfahren zur Verfügung. Diese Verfahren können zumindest eine Symptomreduktion bewirken, wie die Thermotherapie (transurethrale Mikrowellentherapie TUMT), der hochintensiv-fokussierende Ultraschall (HIFU) oder die transurethrale Nadelablation (TUNATM) bzw. Laserverfahren, wie die Holmium-Laser-Enukleation der Prostata (HoLEP).
Bei einer Belastungsinkontinenz der Frau sind Schlingenoperationen als sog. vaginale Suspensionsplastiken die operative Methode der Wahl (TVT-ension-free-vaginal tape; TOT – transobturatorisches Tape). (Evidenzgrad IIa, Empfehlungsklasse C). Hierbei werden Kunststoffbänder von transvaginal oder transobturatorisch als zuglose Haltebänder um den Blasenhals eingesetzt und die Blase damit angehoben. Der transobturatorische Weg wird bei hochbetagten Patienten aufgrund geringerer Risiken bezüglich Blutung und einer postoperativen Obstruktion favorisiert (Leitlinie Harninkontinenz 2009) (Tab. 4).
Tab. 4
Konservative, operative und medikamentöse Therapieoptionen bei Harninkontinenz
 
Belastungsinkontinenz
Dranginkontinenz
Konservativ
Physiotherapie
Verhaltensintervention
Physiotherapie
Verhaltensintervention
Medikamentös
Medikamentös
Duloxetin
Antimuskarinika
β3-Adrenorezeptoragonist
GAG-Ersatz
Operativ
Unterspritzung
Bänder
Artifizieller Sphinkter
Harnblasenersatz
Botulinumtoxin

Inkontinenzassoziierte Pflegestrategien und Beratung

In Deutschland ist der/die Stomatherapeut/in die pflegerische Fachkraft auch bei den von Harn- und Stuhlinkontinenz betroffenen Menschen. Seit 2007 existiert der Expertenstandard „Förderung der Harninkontinenz in der Pflege“, herausgegeben und erstellt von einem Gremium des Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Für die sichere und professionelle Pflege in Krankenhäusern, aber v. a. in Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten werden hierzu spezielle Kenntnisse bei der Erkennung, Versorgung, Beratung und Behandlung von Menschen mit Inkontinenz vermittelt. Ziel ist, das höchstmögliche Maß an Selbstständigkeit und Kontinenz zu erreichen oder zu erhalten. Hierzu wurden sechs Kontinenzprofile eingeführt:
  • unabhängig erreichte Kontinenz
  • abhängig erreichte Kontinenz
  • unabhängig kompensierte Inkontinenz
  • abhängig kompensierte Kontinenz
  • nicht kompensierte Inkontinenz
Im Sinne eines Qualitätsmanagementprozesses wurden auf 6 Struktur-, Prozess- und Ergebnisebenen Voraussetzungen für das Erreichen der zu definierenden Ziele erstellt. Jedes geriatrische Team sollte mindestens eine speziell in Inkontinenz qualifizierte Pflegefachkraft haben. Zu ihrem Aufgabenbereich gehören:
  • die Schulung und Anleitung der Teammitglieder im Umgang mit dem Thema Inkontinenz
  • die Beratung von Betroffenen und deren Angehörigen und in Zusammenarbeit mit Ärzten
  • die Steuerung und Umsetzung von Diagnostik und Therapie
Dies kann entweder in speziellen Beratungsstellen innerhalb geriatrischer Zentren oder Alterszentren oder aber in primär urogynäkologisch geprägten Beckenboden- und Kontinenzzentren umgesetzt werden.

Verlauf und Prognose

Im klinischen Alltag begegnet man auf Seiten der Betroffenen und ebenfalls auf Seiten der fürsorgenden medizinischen Berufsgruppen einer Zurückhaltung, einem verstecktem Schamgefühl und einer Tabuisierung, wenn die Problematik einer Harninkontinenz vorliegt. Häufig werden die möglichen Ursachen nur sehr zögerlich angesprochen und nicht aktiv dem behandelnden Hausarzt berichtet (Horrocks et al. 2004). Die Diagnosefindung ist im weiteren Verlauf zusätzlich erschwert weil:
  • häufig Mischformen vorliegen
  • Inkontinenzsymptome vom Betroffenen unterschiedlich intensiv wahrgenommen und die Diagnosestellung verschleppt werden
  • von den behandelnden Ärzten Inkontinenz vor dem Hintergrund der geriatrietypischen Komorbidität nicht als eigenständiges Syndrom identifiziert wird
Die Prognose richtet sich nach Art der Inkontinenz und den beeinflussenden Kontextfaktoren sowie der Bereitschaft und den Möglichkeiten der therapeutischen Intervention. So sind v. a. Mischformen der Harninkontinenz mit einer schlechteren Prognose zu bewerten als reine Formen. Inkontinenz aufgrund von Immobilität und fehlender pflegerischer Versorgung hingegen kann unter entsprechender Optimierung der Unterstützungssysteme mit einer sehr guten Prognose bewertet werden.

Stuhlinkontinenz

Definition

Mit einem noch größeren Tabu ist das Symptom der Stuhlinkontinenz oder das „Unvermögen den Stuhl zu halten“ (WHO-Definition) belegt.

Pathophysiologie

Die willkürliche Kontrolle über die Entleerung des Enddarmes (äußerer Analsphinkter) wird (wie auch die Kontrolle der Harnblase, s. o.) über den N. pudendus gesteuert, die unwillkürliche Steuerung erfolgt über die Nn. pelvici aus dem Sakralmark der Segmente S2–4 und vermitteln so wichtige Informationen über den Dehnungsgrad des Enddarms. Störungen der Innervation an diesem System aber vor allem die Veränderung des muskulären Halteapparates um den M. puborectalis mit seiner Schlingenfunktion im Becken und der richtigen Einstellung des sog. puborektalen Winkels nehmen Einfluss auf die Entleerung des Enddarms. Somit stehen Störungen der nervalen Steuerung durch degenerative Prozesse aber auch Traumata sowie medikamentöse Einflüsse (Anticholinergika, Muskelrelaxantien, Opiode und Antidepressiva) im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Stuhlinkontinenz. Gerade der Verlust der Stuhlkontrolle wird als äußerst entwürdigend empfunden und deshalb noch mehr verschwiegen als eine Harninkontinenz (Problem des Underreportings).

Epidemiologie

In der Allgemeinbevölkerung ist mit bis zu 15 % stuhlinkontinenten Menschen zu rechnen (Macmillan et al. 2004). Eine Prävalenzzunahme mit dem Alter ist dabei offensichtlich (Nelson 2004). Aufgrund der gemeinsamen nervalen Steuerung im Beckenboden ist dabei eine Doppelinkontinenz besonders im Alter häufig die Regel. So ist eine Doppelinkontinenz im Alter rund 12-mal häufiger als eine isolierte Stuhlinkontinenz – sofern gezielt danach gefragt wird (Nelson et al. 1998). Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind in unterschiedlichen Untersuchungen mit >50 % sowohl von Stuhl- als auch Harninkontinenz betroffen und auch auf Pflegestationen mit Personen, die an Demenz erkrankt sind, leiden häufig mehr als 70 % der Bewohner an einer Doppelinkontinenz (Tariq et al. 2003). Schlaganfall, Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas sind besonders häufig mit Harn- und Stuhlinkontinenz assoziiert. Weitere Risikofaktoren für eine Doppelinkontinenz beim Mann sind eine Operation und Bestrahlung wegen Prostatakrebs (Shamliyan et al. 2007).

Klinisches Bild

Die Symptomenpalette der Stuhlinkontinenz im Alltag reicht vom einfachen Stuhlschmieren über den unwillkürlichen Abgang von Darmgasen mit Hinterlassen von Stuhlspuren in der Unterwäsche oder der Einlage bis hin zum Verlust breiig dünnen Stuhlgangs bei Durchfallsymptomatik sowie dem vollständigen Verlust von festgeformten Stuhl über das anale Schließmuskelsystem. Stuhlinkontinenz bleibt dabei immer nur ein Symptom oder eine klinische Erscheinungsform einer zugrunde liegenden Pathologie und ist damit keine Diagnose per se. Als Incontinentia alvi wird allgemein im Umkehrschluss zu der WHO-Definition für Stuhlkontinenz das Unvermögen bezeichnet, keine willentlich und zeitlich kontrollierte Stuhlentleerung am richtigen Ort zu beherrschen.
Neben vielen möglichen Unterteilungen der Schweregrade einer Stuhlinkontinenz ist die Einteilung entsprechend der klinischen Symptomatik eine der gebräuchlichsten:
  • Grad I entspricht einer Inkontinenz für Winde
  • Grad II für flüssigen und/oder breiigen Stuhl
  • Grad III besteht bei einer Inkontinenz für festen Stuhl

Formen der Stuhlinkontinenz

Als mögliche Ursachen, die einen Verlust der Stuhlkontrolle bei älteren Menschen bewirken, können in der Fachliteratur unterschiedliche Einteilungen gefunden werden. Gängig ist die Unterteilung in sensorische, neurogene und motorisch/muskuläre und funktionelle Formen, in der chirurgischen Literatur wird alternativ die idiopathische von der iatrogenen Form unterschieden:
  • Neurogen: zerebrale Ischämie, Tumoren/Metastasen, degenerative zentrale und spinale Prozesse (Demenzen, Multiple Sklerose, Polyneuropathien, Cauda-equina-Syndrom), Antimuskarinika, Antidepressiva,
  • Sensorisch: Folge operativer Eingriffe, chronische Entzündungsprozesse
  • Muskulär: Sphinkterdefekte, Analprolaps, Beckenbodenschwäche
  • Funktionell: Laxantienabusus, Überlaufinkontinenz (paradoxe Diarrhö, Overflow-Inkontinenz) bei Koprostase, auch im Zusammenhang mit Opioden.

Diagnostik

Am Beginn der Diagnostik steht neben der allgemeinen Anamnese eine gezielte Stuhlanamnese, die sich mit der Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz, den Zusammenhang mit Krankheiten und der damit verbundenen Medikamenteneinnahme beschäftigt. Verletzungen des Schließmuskels können durch eine rektal-digitale Untersuchung weitgehend ausgeschlossen werden. Neben einem abdominellen Ultraschall gehört zur Abklärung die lokal-neurologische Befunderhebung inklusive Reflexstatus. Fakultativ stehen zur weiterführenden Diagnostik instrumentelle Untersuchungsmöglichkeiten, z. B. die Sphinkter- und Rektummanometrie (erniedrigter Basaldruck <45 mmHg, Druck beim Pressen <75 mmHg), die Proktoskopie und Rektoskopie sowie die rektale Sonographie zur Verfügung.

Therapiestrategien

Nach Feststellung der zugrunde liegenden Ursachen der Stuhlinkontinenz kann auch im höheren Lebensalter die Grunderkrankung genauso in die Therapiestrategie einbezogen werden wie die begleitenden Störfaktoren (z. B. entgleister Diabetes mellitus, inadäquate Medikation, fehlende Anleitung und Zeit bei Toilettengängen, ungünstige Ernährung). Da ca. 30 % der über 60-Jährigen Menschen an einer Obstipation leiden, und ca. 70 % der Laxantienverordnungen an Menschen über 55 Jahre gehen oder frei verkäuflich über den Thekentisch verkauft werden, nimmt die Mobilisierung und Regulierung der Darmtätigkeit einen hohen Stellenwert ein und sollte in der Therapieplanung der Stuhlinkontinenz beachtet werden.
Osmotisch wirkende Substanzen:
  • Magnesium- und Natriumsulfatlösungen (Glaubersalz)
  • Laktulose, Mannit oder Sorbit
  • Diphenole wie: Natriumpicosulfat und Bisacodyl
  • Quellstoffe wie Makrogol, indischer Flohsamen oder Agar
Die o. g. Substanzen können bei entsprechender Anwendung eine hartnäckige Obstipation beheben und paradoxe Diarrhöen mit Inkontinenzepisoden reduzieren. Beckenbodentraining zur Kräftigung der Muskelgruppe um die puborektale Schlinge und den M. levator ani kann von entsprechend kooperationsfähigen und therapietreuen älteren Menschen begleitend zu anderen Maßnahmen erfolgreich sein. Biofeedback in Zusammenhang mit Beckenbodentraining bewirkt elektrisch induzierte Muskelkontraktionen mit zusätzlichem Nutzen, insbesondere wenn durch die optische Rückkopplung die erfolgreiche Stimulation der richtigen Muskelgruppen gezeigt werden kann. Die operative Beseitigung von Hämorrhoiden oder von tief sitzenden Adenomen ist bei transanalem Zugang auch bei geriatrischen Patienten im Einzelfall zu berücksichtigen. Die paradoxe Diarrhö mit Inkontinenz, auch als Overflow-Inkontinenz bezeichnet, stellt besonders in Altenheimen die häufigste Form einer Stuhlinkontinenz bei geriatrischen Patienten dar. Hier sollte ebenfalls die Stuhlregulierung durch regelmäßige, individuell angepasste Stuhlentleerungszeiten – ähnlich dem Blasentraining bei Harninkontinenz – angestrebt werden.
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