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Beruflich verursachte Tumoren

Verfasst von: Joachim Schneider und Klaus Norpoth
Die Anzahl beruflich verursachter Krebserkrankung steigt kontinuierlich an. Es handelt sich um Technologiefolgen mit Latenzzeiten von etwa 30–40 Jahren. Hauptumweltorgan ist der Atemtrakt. Klinisch, röntgenologisch, histopathologisch oder auch molekularbiologisch unterscheiden sich Berufskrebserkrankungen nicht von denen anderer Ursachen. Die Arbeitsanamnese mit Kenntnis der Tätigkeitsbereiche und der Gefahrstoffeinwirkungen stellt einen unverzichtbaren Beitrag zur Kausalanalyse dar. Es ist von einer hohen Dunkelzifferquote auszugehen. In der Übersicht werden typische Tätigkeitsbereiche, krebserzeugende Gefahrstoffe und die zugehörigen Krebslokalisationen aufgeführt, damit der Arzt seiner Anzeigepflicht einer Berufskrankheit nachkommen kann. Synkanzerogene Risikofaktoren am Arbeitsplatz und im privaten Freiheitsraum führen zu einer überadditiven Risikosteigerung. Zigarettenrauchen schließt eine berufliche Krebserkrankung in keinem Fall aus. Ob der Arbeitsplatz eine zumindest wesentliche Teilursächlichkeit darstellt, ist gutachterlich zu klären.

Einführung

Bei den in der Bundesrepublik jährlich neu anerkannten Berufskrebserkrankungen ist ein Anstieg von 96 Fällen im Jahre 1978 auf 609 im Jahre 1990, auf 1761 im Jahre 2000 und auf 2144 im Jahre 2010 zu verzeichnen. Da die Zahl der insgesamt anerkannten Berufskrankheiten seit Mitte der 1990er-Jahre zurückging, stieg der Anteil der neu gewährten Renten für beruflich verursachte Krebserkrankungen kontinuierlich an und erreichte im Jahre 2007 den Höchstwert von 51,1 % (Butz 2012).
So eindrucksvoll diese Daten die berufliche Krebsgefährdung zu beleuchten scheinen, die Realität der beruflich bedingten Krebsverursachung kommt in ihnen nur andeutungsweise zum Ausdruck, denn nur eine Minderheit der im Beruf erworbenen Krebserkrankungen gelangt zur Anzeige und im Rahmen des Berufskrankheitenrechts zur Anerkennung.
1981 schätzten Doll und Peto den Anteil aller Krebserkrankungen in den USA Ende der 1970er-Jahre auf 2–8 % (Mittelwert 4 %). Die Annahme eines deutlichen Rückgangs zu Beginn unseres Jahrhunderts bei nur noch zunehmenden Erkrankungen an Mesotheliomen nach beruflicher Asbest-Exposition (Peto et al. 1995) bestätigte sich für nordatlantische Industrienationen nach neueren Schätzungen nicht.
Als einer der solidesten Schätzwerte gilt die von Nurminen und Karjalainen vom Jahr 2001 aus der validen Dokumentation der Arbeitsplatzverhältnisse in Finnland abgeleitete Annahme von 8 % aller Krebserkrankungen (14 % bei Männern, 2 % bei Frauen).
Steenland et al. gelangten 2003 zur Schätzung eines Anteils der Krebsmortalität von 2–5 % in den USA. Daten aus England lassen auf einen Anteil der Krebsinzidenz von 4,9 % (8 % bei Männern, 1 % bei Frauen) für 2004 schließen. Für 2003 werden 13.400 Erkrankungen in England angenommen, davon 7300 tödlich verlaufene (Perdue et al. 2014). Dies würde einer Inzidenz von etwa 18.000 Erkrankungen in Deutschland entsprechen, von denen mehr als die Hälfte zum Tode geführt hat. Bei nur 2144 anerkannten Fällen würde sich mithin eine Dunkelziffer von etwa 90 % ergeben. Sie ist noch höher zu veranschlagen, wenn es zutrifft, dass die Daten aus England das Risiko unterschätzen. Die Annahme einer wesentlichen Unterschätzung wird begründet mit der unzureichenden Berücksichtigung multipler synkanzerogener Expositionen, gefährdender Mischexpositionen gegenüber krebserzeugenden und die Kanzerogenese begünstigender Einwirkungen sowie der realen Existenz von Gefahrstoffen, deren krebserzeugende Potenz noch nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt ist (Clapp et al. 2008).
Als eine wesentliche Ursache der konstant gebliebenen Dunkelziffer gilt vor allem die Schwierigkeit, verwertbare Arbeitsanamnesen nach in der Regel jahrzehntelangem Abstand (Latenz) zwischen beruflicher Einwirkung am Arbeitsplatz und Krankheitsbeginn zu erheben. Nicht wenige Arbeitnehmer erkranken erst im fortgeschrittenen Alter, wenn die berufliche Tätigkeit nicht mehr besteht.
Die Anzeigepflicht besteht für jeden Arzt oder Zahnarzt nach § 202 SGB VII unverzüglich bei begründetem Verdacht einer Berufskrankheit, die in der Liste der Berufskrankheitenverordnung aufgeführt ist. Auch Unternehmer haben nach § 193 SGB VII bei Anhaltspunkten für eine Berufskrankheit diese binnen 3 Tagen dem Unfallversicherungsträger anzuzeigen.
Bei bösartigen Erkrankungen ist ein Urteil darüber, ob der Verdacht beruflicher Verursachung als begründet gelten kann, oft dadurch erschwert, dass für spezielle Manifestationen nur unzureichend valide Entscheidungskriterien bestehen. Im Sozialrecht genügt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung für eine Bejahung des Ursachenzusammenhanges der Krankheit mit der versicherten Tätigkeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer wesentlichen Mitverursachung der Krankheit. Zigarettenrauchen schließt daher eine Berufskrankheit nicht aus!
Die hier präsentierte Übersicht kann zur Erleichterung der Entscheidung dienen und soll die Ärzteschaft ermutigen, Gefährdungen an Arbeitsplätzen zu prüfen (Alderson 1986; IARC 1972). Zur Erleichterung soll von der Lokalisation des Tumorleidens ausgegangen werden. Dabei werden Übersichten berücksichtigt, die ebenfalls diesem Ordnungsprinzip folgen (Siemiatycki et al. 2006; Clapp et al. 2008; Norpoth und Woitowitz 1994).
Die in den einzelnen Abschnitten angeführten gefährdenden Tätigkeiten sind – wie z. B. nach dem Asbestverbot im Jahr 1993 – zum Teil heute nicht mehr gegeben, müssen aber für zurückliegende Zeiträume in Betracht gezogen werden. Ihre Kenntnis erlaubt darüber hinaus im Einzelfall bisweilen den Analogieschluss bei neuen Gefährdungen.
Die Übersicht gliedert sich wie folgt:
  • Tumoren des Atemtrakts
  • Bösartige Tumoren und Präneoplasien des blutbildenden und lymphatischen Systems
  • Tumoren der ableitenden Harnwege
  • Hauttumoren
  • Tumoren des Gastrointestinaltrakts
  • Sonstige Krebserkrankungen
  • Kombinationswirkungen bei der Verursachung beruflich bedingter Krebserkrankungen (Synkanzerogenese)
  • Liste der Berufskrankheiten
  • Literatur

Tumoren des Atemtrakts

Die Atemwege und die Lungen stellen wegen der inhalativen Gefährdungen ein Hauptumweltorgan dar. Tumoren des Atemtrakts, das heißt Karzinome der Nase und Nasennebenhöhlen, des Kehlkopfes und der Lunge, sollten stets Anlass sein, gezielte Fragen zur Arbeitsanamnese zu stellen. Der beruflich bedingte Anteil unter diesen Tumoren wird relativ hoch eingeschätzt. Tumoren des Atemtrakts stehen hinsichtlich ihrer Häufigkeit an der Spitze aller beruflich bedingten Krebserkrankungen. Nach Doll und Peto (1981) sind sie um etwa eine Zehnerpotenz häufiger als die beiden in der Rangfolge der Häufigkeiten nächstfolgenden Berufskrebslokalisationen, die Leukämien und die Urotheltumoren. Das diffuse maligne Pleuramesotheliom stellt einen „Signaltumor“ der Einwirkung von Asbestfaserstaub dar (Woitowitz et al. 1984), bei dem eine ärztliche Anzeige auf eine Berufskrankheit obligat ist.

Tätigkeitsbereiche

Der Verdacht, dass eine Tumorerkrankung des Atemtrakts ursächlich durch vor mehr als einem Jahrzehnt vorausgegangene Einwirkungen karzinogener Noxen am Arbeitsplatz bedingt ist, kann aus der anamnestisch gesicherten Tätigkeit in einem der in Tab. 1 aufgeführten Bereiche bereits hinlänglich begründet sein. In Anbetracht der bis zu 60-jährigen Latenzzeiten sind dabei auch Bereiche zu berücksichtigen, in denen möglicherweise heute die ehemals gegebenen Risiken gemindert oder gar eliminiert worden sind. Lässt sich eine entsprechend langjährige oder hohe Einwirkung am Arbeitsplatz eruieren, sollte unverzüglich die Verdachtsanzeige an den zuständigen Unfallversicherungsträger oder den staatlichen Gewerbearzt erstattet werden.
Tab. 1
Tätigkeiten in Branchen und Arbeitsbereichen, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung begründen können. Weitere Branchen und Tätigkeiten mit PAK-Einwirkungen siehe Tab. 7
Branche
Arbeitsbereich
Krebserzeugender Stoff
Krebslokalisation
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
Weinbau, Anwendung arsenhaltiger Insektizide
Arsenverbindung
Lunge, Haut
Nahrungs- und Genussmittelherstellung
Räucherei
PAK
Lunge, Kehlkopf
Bergbau
Arsengewinnung
Arsen(verbindungen)
Lunge
Asbestgewinnung
Asbestfaserstaub
Lunge, Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells, Kehlkopf, Eierstockkrebs
Uranbergbau
Radon(isotope)
Lunge
Kokerei, Teerraffinerien
PAK, Benzol, aromatische Amine
Lunge, Blase, Leukämien und Lymphome, Kehlkopf
Berg- und Tunnelbau
Gesteinsabbruch
Quarz
Lunge
Asbestproduktion und Bearbeitung von Asbestprodukten
Herstellung von Asbestzementprodukten für den Hoch- und Tiefbau, Isolationsmaterial, Filtermaterial, Asbesttextilien, Asbestdichtungen und -pappen, Asbestbrems- und -kupplungsbeläge
Asbestfaserstaub
Lunge, Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells, Kehlkopf, Eierstockkrebs
Metallerzeugung und -bearbeitung
Kupferschmelze
Arsen(verbindungen)
Lunge
Verchromung
Chromate
Lunge, Nase, Kehlkopf
Edelstahl-(Chrom-Nickel-)Produktion und Schweißen
Chromate, Nickelverbindungen
Lunge, Nasopharynx
Stahloberflächenbehandlung, Zinnmühlen
Schwefelsäure-haltige Aerosole
Kehlkopf, Lunge
Luftfahrtindustrie
Beryllium
Lunge
Nickelraffination, Herstellung von Nickellegierungen, Katalysatoren
Nickel und Nickelverbindungen
Nasopharynx, Lunge
Eisen- und Stahlerzeugung, Hochofen
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Gießerei
Formerei
Quarz
Lunge
Ausleerer-Arbeitsplatz (Hitzeschutz)
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Gießer-Arbeitsplatz (Stampfmassen, Walzwerke)
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Schiff- und Waggonbau
Schiffbau- und Dockarbeiten, Waggonbau
Asbestfaserstaub
Lunge, Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells, Kehlkopfs, Eierstockkrebs
Kunststoffindustrie, keramische Industrie, Farbstoffproduktion, Papierherstellung
Verwendung von asbesthaltigem Talkum als Füllstoff, Zuschlagstoff, Wirkstoffträger (Kosmetika, Arzneimittel), Hilfsmittel bei der Produktion, Abbau talkhaltiger Minerale
Asbestfaserstaub (Talkum?)
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Chemische Industrie
Produktion von Farben und Farbpigmenten
Cadmium und seine Verbindungen
Lunge
Produktion von Farben und Farbpigmenten
Chromate
Lunge
Pigmentherstellung
Ruß, PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Metallbeschichtung
Verchromung
Lunge, Kehlkopf
Herstellung von Benzoylchlorid
Technische Gemische aus Chlortoluolen und Benzoylchlorid
Lunge
Herstellung und Anwendung von Bis(chlormethyl)ether (BCME) und Monochlordimethylether (MCDME)
BCME, MCDME
Lunge (Haferzellkarzinom)
Herstellung von Isopropylalkohol („strong-acid process“)
Nicht identifiziert
Nasennebenhöhlen
Herstellung von Chromatpigmenten
Chromate
Lunge, Kehlkopf
Vinylchloridherstellung
Vinylchlorid
Leber, Lunge
Werkstoffe aus Kohlenstoff und Elektrografit
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Herstellung von Pestiziden und Herbiziden
Herstellung und Verpackung von arsenhaltigen Insektiziden
Arsen(verbindungen)
Lunge
Gasindustrie
Kokerei, Gaswerk
PAK, Pyrolyseprodukte (PAK), aromatische Amine, Benzol
Lunge, Kehlkopf, Blase, Leukämien und Lymphome
Baustoffherstellung, Grafitelektrodenherstellung, Brennstoffherstellung
Elektrodengrafit, Aluminium-Herstellung
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Herstellung, Erprobung und Vernichtung von Kampfstoffen
 
Lost (Senfgas), Blaukreuz (Arsenik)
Lunge, Pharynx
Glasindustrie
Glasschmelzen
Arsen(verbindungen)
Lunge
Hitzeschutz
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Holzbearbeitung und -verarbeitung (Buche, Eiche)
Werkstätten, Möbelproduktion, Schreiner, Zimmerer, Parkettverlegung, Kunstschreinerei
Buchen- und Eichenholzstäube
Nasennebenhöhlen
Holzimprägnierung
PAK, Kreosot, Carbolineum, Chromverbindungen
Lunge, Kehlkopf, Nase, Harnblase
Lederindustrie
Leder (Be- und Verarbeitung)
Lederstaub
Nasennebenhöhlen
Gerberei
Chromate
Lunge, Nase, Kehlkopf
Bauindustrie
Strahlmittel
Quarz
Lunge
Hochbau, Dachdecker
Asbestfaserstaub, PAK
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Tiefbau, AZ-(Asbestzement-)Rohre
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Tiefbau, Straßenbau
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Fassaden-, Lüftungsbau
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Brand-, Säureschutzbau
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Baustoffhandel
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Isoliergewerbe
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Abbrucharbeiten
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Schornsteinreinigung
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Ofenmaurer
Asbestfaserstaub, Quarz, PAK
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs, Harnblase
Steinbearbeitung, Feuerfestindustrie
Natursteinindustrie, Steinmetze
Quarz
Lunge
Schmucksteinbearbeitung
Quarz
Lunge
Keramikindustrie
Emaille, Tone, Porzellan
Quarz
Lunge
Mischen feuerfester Waren
PAK
Lunge, Kehlkopf, Harnblase
Textilindustrie
Asbesttextilien
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Kfz-Gewerbe
Bearbeiten von Reibbelägen
(Bremsen, Kupplungen)
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Gummiwerke
Herstellung von Gummi
Asbestfaserstaub, Nitrosamine
Lunge
Heizer, Installateure
 
Asbestfaserstaub
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs
Andere
Entsorgung
Asbestfaserstaub, PAK
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs, Harnblase
Transport von AZ-(Asbestzement-)Produkten, Strangpech
Asbestfaserstaub, PAK
Lunge, Kehlkopf, Mesotheliom, Eierstockkrebs, Harnblase
Passivrauchen (ETS)
PAK
Lunge
ETS, environmental tobacco smoke; PAK, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
In einer Reihe von explorativen Studien fallen die „Hilfsarbeiter“ durch besonders stark erhöhte Lungenkrebsraten auf. Obwohl hierfür auch Klassifikationsprobleme, schichtenspezifische und andere außerbetriebliche Faktoren verantwortlich sein können, sollte bei der Angabe „Hilfsarbeiter“ im gewerblichen Bereich immer nach Einzelheiten der Branchen und Arbeitsbereiche gefragt werden.
Arbeitsstoffe
Der Verdacht kann durch anamnestische Hinweise auf Einwirkungen der in Tab. 2 aufgelisteten Stoffe – unabhängig von der Beschäftigung in bestimmten Gewerbezweigen – begründet werden. Weiterhin sind auch Stoffe zu berücksichtigen, die unter Umständen in lange zurückliegenden Zeiträumen an Arbeitsplätzen inhaliert werden konnten (siehe Abschn. 2.2). Die Ermittlung einzelner Stoffe kann sich in der ärztlichen Praxis zeitaufwendig gestalten und an mangelnder Kenntnis der Beteiligten scheitern. Sie ist auch dadurch erschwert, dass oft Synonyme gebraucht werden, deren Bedeutung nur Fachkundigen verständlich ist. Daher empfiehlt es sich, im Zweifelsfall den technischen Aufsichtsbeamten (Präventionsdienst) der zuständigen Berufsgenossenschaft unter Hinweis auf Tab. 2 im Rahmen der Amtsermittlung um Auskunft zu bitten. Es sei ausdrücklich betont, dass die Nachforschungen sich nicht auf die Substanzen beschränken sollten, die als erwiesene Humankarzinogene gelten oder für die es eine entsprechende Nummer in der Berufskrankheitenverordnung (BKV) gibt. Nach früher § 551 Abs. 2 RVO bzw. jetzt § 9 Abs. 2 SGB VII sind Anerkennungen von Bronchialkarzinomen als Berufskrankheit nach Exposition gegenüber Nickel, Teerstaub und -dämpfen, Kokereirohgasen sowie bei Berufen wie Dampflokschlossern etc. erfolgt, bevor es zu einer Aufnahme entsprechender Berufskrankheitennummern in die Berufskrankheitenliste kam. Entsprechende Möglichkeiten sieht die Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII vor.
Tab. 2
Ergänzende Aufstellung krebserzeugender Noxen mit gesichertem oder vermutetem Kausalzusammenhang hinsichtlich beruflich bedingter Tumoren des Atemtrakts und des Peritoneums (vgl. Henschler 1993–1996; Greim 1993)
 
Nase und Nasennebenhöhlen
Kehlkopf
Lunge
Rippenfell, Bauchfell
A. Gesicherter Kausalzusammenhang
    
Arsentrioxid und Arsenpentoxid, arsenige Säuren, Arsensäure und ihre Salze
  
+
 
Asbestfaserstaub (Chrysotil, Krokydolith, Amosit, Anthophylit, Tremolit)
 
+
+
+
Beryllium und seine Verbindungen
  
+
 
Bis(chlormethyl)ether (Dichlordimethylether)
  
+
 
Carbobitumen (teer-, pech- oder teerölhaltig)
 
+
+
 
Cadmium und seine anorganischen Verbindungen (Cadmiumoxid, Cadmiumsulfat, ferner Cadmiumsulfid)
  
+
 
Chrom(VI)-Verbindungen (in Form von Stäuben/Aerosolen, ausgenommen die in Wasser praktisch unlöslichen, wie z. B. Bleichromat, Bariumchromat, Strontiumchromat)
+
+
+
 
Eichen- und Buchenholzstaub, Lederstaub
+
 
(+)
 
Hartmetalle
  
+
 
Monochlordimethylether (technisch mit bis zu 7 % Dichlordimethylether)
  
+
 
Nickel (in Form atembarer Stäube/Aerosole) von Nickelmetall, Nickelsulfid und sulfidischen Erzen, Nickeloxid und Nickelcarbonat
+
 
+
 
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), insbesondere in Pyrolyseprodukten
 
+
+
 
Quarzstaub bei Silikose 1/1 ILO
  
+
 
Radioaktive Stoffe, u. a. bei Radon, Uran und Thorium
  
+
 
Schweißrauche (bei Schweißern mit Chrom-Nickel-Elektroden, sog. Mantelelektroden)
  
+
 
Schwefelsäurehaltige Aerosole
 
+
+
 
Senfgas (ß,ß′-Dichlordiethylsulfid)/Lost
  
+
 
Stickstofflost (ß,ß′-Dichlordiethylalkylamin)
  
+
 
2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin
  
+
 
Passivrauchen (ETS)
  
+
 
Pyrolyseprodukte, insbesondere in Braunkohlenteer, Steinkohlenteer, Steinkohlenteerpech, Steinkohlenteerölen und Kokereirohgasen
 
+
+
 
Technische Gemische aus Chlortoluolen und Benzoylchlorid
  
+
 
Zinkchromat
+
 
+
 
B. Vermuteter Kausalzusammenhang aufgrund tierexperimenteller Befunde, die unter Bedingungen der menschlichen Exponierung erhoben wurden
Aluminiumoxid (Faserstaub)
Acrylnitril
Antimonverbindungen
Attapulgit (Faserstaub)
Bitumen (Dampf, Aerosol)
Bleiverbindungen (einatembare Fraktion)
Chloropren (2-Chlorbutadien)
Cobaltverbindungen
Dawsonit (Faserstaub)
Dieselmotoremissionen (DME)
Dimethylcarbamidsäurechlorid
Dimethylsulfat, Diethylsulfat
Epichlorhydrin (1-Chlor-2,3-epoxypropan)
Ethylenoxid
Glasfasern (Faserstaub)
Hexachlorcyclohexan
Holzstaub (außer Buchen- und Eichenholzstaub)
lsopropylöl (Rückstand bei der iso-Propylalkohol-Herstellung)
Kaliumtitanat (Faserstaub)
Keramikfasern (Faserstaub)
Kühlschmierstoffe, die Nitrit oder nitritliefernde Verbindungen und Reaktionspartner für Nitrosaminbildung enthalten
Siliciumcarbid (Faserstaub)
Steinwolle (Faserstaub)
2,4,7-Trinitrofluorenon
Vanadiumverbindungen (einatembare Stäube)
ETS, environmental tobacco smoke; ILO, International Labor Organisation

Einwirkungs- und Latenzzeiten

Für Humankarzinogene kann keine (noch) als unbedenklich anzusehende Konzentration angegeben werden. Mit ansteigender Gesamtdosis (Höhe der Einwirkung und Dauer) wird die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges größer. Wesentlich mitursächliche Einwirkungszeiten bei arbeitsbedingten Tumoren scheinen darüber hinaus in Verbindung mit der karzinogenen Potenz der Stoffe und ihrer Konzentration am Arbeitsplatz, mit dem Lebensalter, in dem die Einwirkung stattfand, mit individuellen (suszeptiblen) und anderen intervenierenden Faktoren zu variieren. Latenzzeiten beruflich verursachter Krebserkrankungen liegen im Median bei 30–40 Jahren, wobei sogar Latenzzeiten von über 60 Jahren beobachtet wurden. Daher erkranken im Allgemeinen Versicherte, die sich oftmals bereits im Rentenalter befinden.
In Tab. 3 sind die kürzesten empirischen Einwirkungszeiten bei Krebskrankheiten des Atemtrakts angegeben. Hinzuweisen bleibt auf die Tatsache, dass einer zentralen berufsgenossenschaftlichen Erfassungsstelle, genannt ODIN (Organisationsdienst für nachgehende Untersuchungen), grundsätzlich stets detaillierte Mitteilung über jeden Versicherten zu machen ist, der länger als 6 Monate der Einwirkung krebserzeugender Arbeitsstoffe ausgesetzt war. Ehemals Asbestfaserstaub-exponierte Beschäftigte werden in einer Zentralstelle (ZAs bzw. GVS) und im Uranerzbergbau Beschäftigte in der ZeBWis (Zentrale Betreuungsstelle Wismut) erfasst.
Tab. 3
Kürzeste Expositions- und Latenzzeiten (Mehrtens 2016; Versen 1979; Butz 2012)
 
Einwirkungszeiten
(Jahre)
Latenzzeit
(Jahre)
0,5
3
Asbest-induziertes Mesotheliom
1 Tag (wenn exzessiv)
~10
Asbest-induzierter Lungenkrebs
0,25
8
Bis(chlormethyl)ether
2
8
Eichen- und Buchenholzstaub
5
7
Monochlordimethylether
3
10
„Nickel“
1
5
„Radioaktive Stoffe“, ionisierende Strahlen
 
10
Senfgas
 
10
„Teere“, Peche
3
4
Vinylchlorid
5
11
„Chrom(VI)-Verbindungen“
2
4
Auch die minimalen Latenzzeiten (Tab. 3) variieren mehr oder minder stark, und zwar in Abhängigkeit von den schon bei den Einwirkungszeiten genannten Variablen (Koppisch et al. 2005).
Angaben über minimale Einwirkungs- und Latenzzeiten und damit auch die der Tab. 3 sind also immer Mitteilungen, bei denen im speziellen Einzelfall Abweichungen in Betracht zu ziehen sind.

Konkurrierende Risiken

Bei anamnestischen Hinweisen auf krebsgefährdende Tätigkeiten und Stoffe kann der Verdacht auf eine arbeitsbedingt verursachte Krebserkrankung auch dann begründet sein, wenn konkurrierende außerberufliche Ursachen stark überwiegen. Bei Tumoren des Atemtrakts wird eine Gewichtung konkurrierender Ursachen oftmals insbesondere im Hinblick auf die Rauchgewohnheiten erforderlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Raucher nicht aufgrund ihrer Genussgewohnheit bereits ihren Versicherungsschutz bei beruflich bedingten Krebserkrankungen verlieren. In Fällen nachgewiesener Kombinationswirkungen (z. B. inhalatives Rauchen und Asbestexposition) ist eine berufliche Exposition, die zur Krebsinduktion ausreicht, als wesentliche Teilursache der Erkrankung anzusehen. Da die Abwägung häufig zeitaufwendige Ermittlungen und schwierige Rekonstruktionen mit quantitativen Abschätzungen der Risiken voraussetzt, sollte die Verdachtsmeldung bereits im Zweifelsfall erfolgen. Passivrauchen (ETS, „environmental tobacco smoke“), zum Beispiel nach jahrzehntelanger Tätigkeit in stark verräucherten Räumen, erhöht insbesondere bei Nierauchern das Lungenkrebsrisiko.
Der Lungenkrebs nach langjähriger und intensiver Passivrauchexposition am Arbeitsplatz bei Versicherten, die selbst nie oder maximal bis zu 400 Zigarettenäquivalente aktiv geraucht haben ist unter der BK Nr. 4116 BKV neu in die Berufskrnakheitenliste aufgenommen worden.

Synkanzerogene Kombinationseffekte (vgl. Kap. 8)

Epidemiologisch gesichert ist der Kombinationseffekt von Rauchen und beruflicher Exposition gegenüber Radonisotopen, Asbestfaserstaub, Arsenverbindungen und Bischlordimethylether (BCME)/Monochlormethylether (MCDME). Dabei ergeben sich mindestens additive, teils überadditive (multiplikative) Effekte. Siehe dazu auch Abschn. 8.

Histologische Subtypen der beruflich bedingten Lungenkarzinome

Rauchen ist assoziiert mit allen histologischen Subtypen. Obwohl es vereinzelt Studien gibt, die die Dominanz bestimmter histologischer Subtypen mit bestimmten beruflichen Einwirkungen assoziieren, werden bei Lungenkrebserkrankungen sämtliche histologische Typen beobachtet, zumal sowohl Mischexpositionen (Rauchen!) als auch histologische Mischtypen präzise Abgrenzungen erschweren. Kausalanalytisch können daher weder die pathohistologische Diagnostik noch neuere molekularbiologische Untersuchungen zur Klärung der beruflichen Verursachung beitragen (Harrington und Weinberg 2000; Venitt 2000). Daher kommt der qualifizierten, detaillierten Ar beitsanamnese stets entscheidene Bedeutung zu.
Nach dem derzeitigen Kenntnisstand sind andere umweltrelevante Ursachen als Asbest und die vergleichbar biobeständige Mineralfaser Erionit für die Entstehung des diffusen malignen Mesothelioms der Pleura, des Perikards bzw. des Bauchfells beim Menschen bisher nicht gesichert. Wegen der hohen Wahrscheinlichkeit einer asbestbedingten Genese wird dieser Tumor nicht nur als „Signaltumor“ einer meist Jahrzehnte zurückliegenden arbeitsbedingten, sondern auch umweltbedingten Asbestfaserstaubeinwirkung zum Beispiel durch natürliche Asbest- bzw. Erionitvorkommen im Gestein in bestimmten Mittelmeerregionen, infolge Nachbarschaftsgefährdung bei Asbestgewinnungsbetrieben oder Asbestfabriken, aber auch bei der Reinigung asbestkontaminierter Arbeitskleidung und durch Innenraumgefährdung infolge locker gebundenen Asbests angesehen (Schneider und Woitowitz 1999).

Neuere Erkenntnisse

Weiterhin wird ein Kausalzusammenhang zwischen folgenden beruflichen Einwirkungen und bestimmten Krebskrankheiten diskutiert bzw. bereits angenommen (vgl. Clapp et al. 2008; Zhao et al. 2006):
  • Bronchialkarzinome bei Schuhmachern nach langjähriger Exposition gegenüber Lederstäuben
  • Bronchialkarzinome nach Einwirkung aromatischer Amine, wenn diese Urotheltumoren verursacht haben (Bronchialkarzinome als Zweittumoren bzw. als sog. sekundäre Primärtumoren)
  • Häufungen von Kehlkopfkarzinomen in bestimmten Arbeitsbereichen der Gummiindustrie
  • Atemwegskrebs durch Nitrosamine
  • Lungenkrebs infolge Pestizideinwirkungen (Organophosphate, Carbamate)
  • Bronchialkarzinome infolge von Lösungsmitteln (Toluol) oder allgemeiner Luftverschmutzung („air pollution“)
  • Bronchialkarzinome infolge Einwirkung granulärer biobeständiger Stäube (GBS), wie zum Beispiel Dieselmotoremissionen (DME)
  • Kehlkopfkrebs nach Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) am Arbeitsplatz (Aufnahme in BK-Liste 2017)
  • Nasenkrebs nach Einwirkung von Formaldehyd
  • Lungenkrebs infolge Einwirkung von Mineralölnebeln (z. B. Schneid- und Kühlölen)

Bösartige Tumoren und Präneoplasien des blutbildenden und lymphatischen Systems

Gesicherter Kausalzusammenhang

Benzol

Die Bundesregierung hat mit der Änderung der Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 11.06.2009 (BGBl. I S. 1273) in ihrer Anlage 1 mit der neuen Nr. 1318 „Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol“ die hämatologischen Erkrankungen aus der bisherigen Nr. 1303 „Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol“ ausgegliedert. Zusammengefasst wurden dadurch einerseits die toxischen Schädigungen (Knochenmarkdepression) – aplastische Anämie, Leukopenie (auch isolierte Verminderung einzelner Leukozytensubpopulationen, wie z. B. Lymphopenie, Granulozytopenie), Thrombozytopenie – sowie ihre Kombinationen (Panzytopenie/Panmyelophthise).
Zu den besonders relevanten malignen Erkrankungen zählen andererseits die Leukämien und die große Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome sowie die myelodysplastischen Syndrome und myeloproliferativen Erkrankungen.
Nicht einbezogen werden konnte der Morbus Hodgkin.
Pathophysiologisch besitzt Benzol die Potenz, sowohl den hämatopoetischen Stammzellenpool als auch die reiferen, immunkompetenten lymphatischen Zellformen zu schädigen. Insofern sind im Einzelfall alle malignen hämolymphatischen Erkrankungen, deren Zellreihen sich letztlich von der omnipotenten Stammzelle ableiten, kausalanalytisch auch im Hinblick auf eine Benzolverursachung zu überprüfen.
Tätigkeitsbereiche
Benzol wird aus Erdöl in Raffinerien, früher hauptsächlich auch aus Kohle in Kokereien, gewonnen. In der Vergangenheit erfolgte eine ubiquitäre Anwendung als Extraktions-, Entfettungs-, Reinigungs- und Lösungsmittel, beim Lackieren (meist enthalten in schnelltrocknenden Einkomponentenlacken der früheren Jahre), beim Lack- und Farbentfernen, bei der Oberflächenreinigung von Metallen sowie beim Abbeizen. Schwerpunkte lagen in Druckereien und metallverarbeitenden Betrieben. Auch bei der Herstellung von Gummi und Kunststoffen wurde Benzol eingesetzt, ferner als Lösungsmittel von Druckfarben, zum Vulkanisieren sowie zum Kleben von Gummi und Gummiprodukten. Benzol ist eine sehr wichtige Ausgangschemikalie für vielfältige Synthesen. Häufig wurde es in chemischen Laboratorien verwendet. Das Gleiche gilt auch zum Beispiel in der Uhrenindustrie zum Lösen von Leuchtfarben. Als Handelspräparat ist Benzol meist lediglich Rezepturbestandteil eines Gemisches. Schwierigkeiten bereitet arbeitsanamnestisch daher die Tatsache, dass Benzol in zahlreichen solcher Zubereitungen enthalten war, ohne dass deren Handelsname einen entsprechenden Verdacht ergab, weil eine Deklarationspflicht fehlte (z. B. Waschbenzin).
Zunehmend stringentere Schutzmaßnahmen wurden beginnend mit den 1960er-Jahren ergriffen. Lacke und Lösungsmittel enthielten beispielsweise bis ca. 1951 noch >0,5 %, bis ca. 1969 ca. 0,5 % und bis 1981 ca. 0,1 % Benzol. Benzolanteile waren ferner in technischem Xylol und Toluol, besonders aber auch in Benzin enthalten. Ottokraftstoff enthielt in den 1960er-Jahren bis zu 20 % Benzol. Hier darf der Anteil heute nur noch bis zu 1,0 % betragen (1985 ca. 2,5 %, 1986 ca. 1,8 %). Mit Benzolexposition ist somit unter anderem in der erdölverarbeitenden Industrie, bei der Herstellung und dem Vertrieb von Kraftstoffen sowie beim Betrieb, der Wartung und Reparatur von Verbrennungsmotoren von Kraftfahrzeugen und Flugzeugturbinen auch heute noch zu rechnen.
Besonders betroffen sind nach den bisherigen Erfahrungen der BK-Statistik Tätigkeiten als
  • Chemiearbeiter,
  • Kunststoffverarbeiter,
  • Schlosser,
  • Mechaniker,
  • Maler,
  • Lackierer,
  • Techniker und in
  • Verkehrs- und Bauberufen (Butz 2012).
An den Arbeitsplätzen erfolgte die Aufnahme von Benzol überwiegend inhalativ. Da es sich jedoch auch um einen gut hautresorptiven Gefahrstoff handelt, ist darüber hinaus stets die Aufnahme infolge von Hautresorption zu berücksichtigen.
Die Latenzzeit zwischen der Erstexposition und dem Erkrankungsbeginn beträgt mindestens 5 Jahre und liegt im Mittel bei 34,6 ± 14,2 Jahren (Butz 2012).
Manchmal lassen sich primär toxische Brückensymptome wie Anämie, Leukopenie oder Thrombopenie im Intervall nachweisen. Weitere Hinweise für einen BK-Verdacht können ggf. aus der Tatsache bzw. den Ergebnissen entsprechender arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen nach dem berufsgenossenschaftlichen Grundsatz G 8 „Benzol“ gewonnen werden.

Ionisierende Strahlen

Bei der Exposition gegenüber ionisierender Strahlung ist grundsätzlich zwischen einer Strahlenexposition von außen und einer Inkorporation zu unterscheiden. Hierunter wird die Aufnahme radioaktiver fester (z. B. Radium, Iridium) oder flüssiger bzw. kolloidaler radioaktiver Stoffe (z. B. Radiogold, Radiojod) in den menschlichen Körper verstanden.
Bei einer ganzen Reihe von Anwendungen ionisierender Strahlung kann nur eine externe Exposition auftreten. Dies betrifft beispielsweise alle Röntgenanwendungen zu medizinischen, diagnostischen und therapeutischen Zwecken, aber auch Elektronenbeschleuniger und Störstrahler bis zu einer Spannung von 1 MeV.
Im Vordergrund der Erkrankungen an bösartigen Tumoren und Präneoplasien des blutbildenden und lymphatischen Systems stehen aufgrund der besonderen Empfindlichkeit des Knochenmarks gegenüber ionisierender Bestrahlung die Leukämien (mit Ausnahme der chronischen lymphatischen Leukämie, CLL). Deutlich weniger empfindlich reagiert das Knochenmark bei ionisierender Bestrahlung mit der Entstehung von Lymphomen, dem multiplen Myelom sowie der chronischen lymphatischen Leukämie.
Tätigkeitsbereiche
Bei der Herstellung, Prüfung und Anwendung diagnostischer und therapeutischer Röntgengeräte sollte mehr als nur eine gelegentliche Einwirkung von Röntgenstrahlen vorgelegen haben. Eine besondere Gefährdung bestand bei Durchleuchtungsgeräten früherer Jahre ohne Bildverstärker oder bestimmten Radargeräten. Spezielle unfallartige Strahleneinwirkungen sind zu berücksichtigen.
Nach chronischen Teilkörperbestrahlungen verursachte Spätschäden in Form von
  • Hautatrophien,
  • Haarverlust,
  • Hodenschädigung oder
  • Nagelwachstumsstörungen
ist zu fahnden.
Zu beachten sind der technische Einsatz von Röntgenstrahlen (Industrie-Röntgen), zum Beispiel
  • zur Überprüfung von Schweißnähten,
  • bei Dichtemessgeräten,
  • Prüfstrahlern,
  • Eichstrahlern etc.
Das Gleiche gilt für Tätigkeiten in der Kerntechnik, in kerntechnischen Laboratorien und an Teilchenbeschleunigern.
Risiken bestanden auch im Böhmisch-Sächsischen Uranbergbau, das heißt im Bereich der Wismut AG und in den zugehörigen Aufbereitungsanlagen. Gleiches gilt für die Herstellung und Anwendung radioaktiver Stoffe in Technik und Forschung (z. B. als Leuchtfarben für Skalen und Zeiger von Uhren) oder für den Umgang mit Thoriumlegierungen.
Weitere Hinweise für einen BK-Verdacht können gegebenenfalls aus der Tatsache bzw. den Ergebnissen entsprechender Strahlenschutzuntersuchungen und dem Tragen von Strahlendosimetern gewonnen werden.

Zytostatika, Lost

Der Kausalzusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Stickstofflostderivaten als Zytostatika und Schwefellost (Senfgas) als halogeniertem Alkylsulfid (Nr. 1311 BKV) am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Leukämien und Lymphomen ist gesichert.
Tätigkeitsbereiche
Es sollte mehr als nur eine gelegentliche äußere Einwirkung von Zytostatika vorgelegen haben. Eine jahrelange Einwirkung ohne oder mit nur geringen Schutzmaßnahmen ist zu fordern. Dies gilt sowohl für die Herstellung, Erprobung und Entsorgung von Zytostatika in pharmazeutischen oder chemischen Betrieben als auch für die Behandlung von Erkrankten einschließlich der Entsorgung von Zytostatikaabfällen.
Bei der Einwirkung von Schwefellost am Arbeitsplatz sind sowohl Beschäftigungen bei der Herstellung als auch die Erprobung und Vernichtung von Lost als Giftgasmunition (z. B. in der Heeresmunitionsanstalt Münster) zu berücksichtigen.

1,3-Butadien

Seit der Aktualisierung der Liste der Berufskrankheiten im Juli 2017 können chronisch-myeloische oder chronisch-lymphatische Leukämien durch 1,3-Butadien bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 180 Butadien-Jahren (ppm x Jahre) unter der Nr. 1320 der BKV anerkannt werden.
Tätigkeitsbereiche
Die Verarbeitung von 1,3-Butadien erfolgt bei der Herstellung von Kautschuksorten (Chloropren-Kautschuk etc.), Methylmetacrylat-Butadien-Styrol als Kunststoff (Zahnprothesen etc.), Phthalsäureanhydrid in Weichmachern, Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS) für thermogeformte Teile, Motorradhelme, Spielzeug, Gehäuse von Elektrogeräten und Computer, Kantenbänder in der Möbelindustrie, Musikinstrumenten (Randeinfassungen von Gitarren), Skiern, Snowboards, 3D-Druckern, Adiponitril zur Weiterverarbeitung zu Polyamiden (Kunstfasern) und Treibstoffen für Feststoffraketen.
1,3-Butadien wird inhalativ aufgenommen und zeigte dosisabhängig einen Anstieg der Mortalität bei Leukämie.

Wahrscheinlicher Kausalzusammenhang

Asbestfaserstaub

Der Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung von Asbestfaserstaub am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen reifer (peripherer) B- und T-Zellen einschließlich Plasmozytomen wird aufgrund der Lymphotropie alveolar deponierter Asbestfasern und deren Anreicherung in den pulmonalen Lymphknoten von einer Reihe von Autoren für wahrscheinlich gehalten (Hausmann et al. 2000).
Tätigkeitsbereiche
Bezüglich gefährdender Tätigkeiten bei der Herstellung und Anwendung der zahlreichen Asbestprodukte wird auf Abschn. 2 und speziell auf Tab. 1 verwiesen.
Zum Nachweis einer Einwirkung von Asbestfaserstaub sollten diagnostizierbare Asbestinhalationsfolgen wie Pleuraplaques, Hyalinosis complicata, Rundherdatelektasen, aber auch Zeichen einer Lungenfibrose (Lungenasbestose) gegebenenfalls mit berücksichtigt werden.

Formaldehyd

Tätigkeitsbereiche
Formaldehyd, in wässeriger Lösung Formol oder Formalin genannt, übt als Gas, Dampf oder Aerosoltröpfchen eine akute Reizwirkung auf die Schleimhäute aus. Es ist zum Beispiel als Flächendesinfektionsmittel, etwa im Gesundheitswesen, im Gebrauch. Aufgrund der ätzenden und eiweißdenaturierenden Wirkung dient es unter anderem zur Konservierung menschlicher und tierischer Präparate in Instituten der Anatomie und Pathologie. Formaldehyd findet weiteste Verbreitung und vielfache Anwendungen unter anderem bei der Herstellung von Farbstoffen, Arzneistoffen, bei der Textilveredelung, Herstellung von Kunststoffen aus Phenolharzen (Bakelit), Harnstoff- und Melamin-Formaldehyd-Harzen (z. B. für Spanplatten), aber auch als Gießereiharze etc. Auch bei Verbrennungsprozessen (z. B. in Kraftfahrzeugmotoren oder beim Zigarettenrauchen) tritt Formaldehyd auf.
Eine Metaanalyse des epidemiologischen und toxikologisch-hämatologisch relevanten Kenntnisstands von Zhang et al. 2009 kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
  • 15 Studien an Berufsgruppen mit bekanntermaßen hoher Formaldehydexposition zeigten mit relativem Risiko (RR) von 1,54 (95 %-KI 1,18–2,00) signifikant erhöhte Leukämierisiken.
  • In 6 Studien erwiesen sich die höchsten relativen Risiken von 1,90 (95 %-KI 1,31–2,76) für die myeloische Leukämie als signifikant.
Es wird besonders auf die große Kohortenstudie des amerikanischen Krebsforschungsinstituts (NCI) verwiesen:
  • Hierbei zeigten sich für Beschäftigte mit der im Mittel höchsten Formaldehydkonzentration für Erkrankungen an myeloischer Leukämie RR-Werte von 2,49 (95 %-KI 1,03–6,03).
  • Bei Einbeziehung von Spitzenexpositionen wurden RR-Werte von 3,46 (95 %-KI 1,27–9,43) erreicht.
  • Beides mal bestand das Vergleichskollektiv aus Beschäftigten mit relativ niedrigerer Formaldehydexposition.
Um die pathomechanistische Frage der biologischen Plausibilität einer direkten Knochenmarkschädigung durch Formaldehyd oder alternativ durch eine Schädigung der im Blut vor ihrer Ansiedelung im Knochenmark zirkulierenden Stammzellen bzw. früher Vorläuferzellen zu klären, wurde empfohlen, für weitere Studien entsprechend geeignete Biomarker einzusetzen.
Diese biologische Plausibilität für chromosomale Veränderungen konnte in nachfolgenden Fall-Kontroll-Studien exponierter Personen untersucht werden. Es zeigten sich nicht nur toxische Effekte auf das Knochenmark, sondern auch signifikant vermehrte leukämiespezifische Chromosomenveränderungen der myeloischen Vorläuferzellen (Zhang et al. 2010).
Die Ergebnisse sprechen für einen adversen Effekt auf das hämatopoetische System der Stamm- und Vorläuferzellen als Zielzellen der Leukämieentstehung. Für arbeitsbedingte Expositionen wird die biologische Plausibilität einer spezifisch leukämogenen Wirkung angenommen. Signifikant herabgesetzt fand sich nach solchen Expositionen ein Verlust des Chromosoms 7 (Monosomie 7) und eine signifikante Zunahme von Trisomie des Chromosoms (Lowell Center for Sustainable Production 2007).

Herbizide

Von verschiedenen Autoren wird ein Kausalzusammenhang zwischen der Einwirkung von Herbiziden am Arbeitsplatz und dem Auftreten von Leukämien, Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphomen, einschließlich multiplen Myelomen diskutiert. Die Hinweise auf den Zusammenhang haben sich verdichtet (Lowell Center for Sustainable Production 2007).
Tätigkeitsbereiche
Chlorphenole und Phenoxysäuren werden mit anderen Herbiziden ubiquitär in der Landwirtschaft eingesetzt, meistens zusammen mit zahlreichen anderen Agrochemikalien. Eine Abgrenzung ist im Einzelfall kaum möglich. Mit einer Einwirkung ist insbesondere zu rechnen, wenn über Jahre hinweg Herbizide ohne genügenden Atemschutz in größeren Mengen angewendet, das heißt versprüht wurden. Chlorphenole wurden auch zum Holzschutz eingesetzt mit entsprechender Gefährdung von Holzarbeitern und Beschäftigten in holz- sowie papierverarbeitenden Betrieben. Eine Gefährdung bestand für Beschäftigte auch bei der Herstellung von Herbiziden in chemischen Betrieben.
Für weitere Stoffe (z. B. Ethylenoxid, Butadien) wurde über eine leukämogene bzw. lymphominduzierende Wirkung in Tierversuchen berichtet. Nach erheblicher Einwirkung von Ethylenoxid kommt daher ggf. eine Leukoseerkrankung als Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis (§ 9 Abs. 2 SGB VII) in Betracht.

Konkurrierende Risiken

Bei verschiedenen Erkrankungen und nach bestimmten therapeutischen Maßnahmen ist das Risiko für Leukämie- und Lymphomerkrankungen teilweise erheblich erhöht. Zu den Erkrankungen zählen unter anderem das Bloom-Syndrom, angeborene Immundefektsyndrome, Autoimmunerkrankungen (z. B. Kollagenosen), Thymussyndrome sowie HIV- und HTLV1-Infektionen. Auch nach Therapie mit Immunsuppressiva, Zytostatika, Radiophosphor und Antirheumatika (mindestens 5–10 Jahre andauernde Therapie bei rheumatoider Arthritis) treten gehäuft Leukämien und Lymphomerkrankungen auf, desgleichen nach vorangehender Therapie mit Röntgenstrahlen, Diagnostik mit Thorotrast und umfangreicher Röntgendiagnostik (weit mehr als 100 Aufnahmen oder Durchleuchtungen). Entsprechende Malignome werden ebenso nach jahrelanger Dialyse und nach Organtransplantationen beschrieben. Nach familiären Häufungen sollte ebenfalls gefragt werden. Die Verdachtsmeldung sollte im Zweifelsfall jedoch eher nicht zurückgehalten werden, da ein Zusammenwirken verschiedener beruflicher und außerberuflicher Ursachen für jeden Einzelfall qualifiziert beurteilt werden muss.

Urotheltumoren

Aufgrund einer ausführlich begründeten Datenanalyse schätzten Doll und Peto (1981), dass bei Männern 10 % und bei Frauen 5 % der Harnblasentumoren auf berufliche Expositionen zurückzuführen sind. Vineis und Pirastu (1997) betonten regionale Unterschiede des beruflichen Risikos, das zwischen 0–25 % schwankte. Kogevinas et al. (2003) gelangten zu einer Schätzung von 5–10 % für europäische Länder. Schätzungen aus England (Perdue et al. 2014) sprechen für einen Anteil von 11,6 % bei Männern und 2,0 % bei Frauen, wobei nur 1,3 % bei Männern und 0,6 % bei Frauen den beim Menschen als krebserzeugend gesicherten aromatischen Aminen und den inzwischen ebenfalls als ursächlich etablierten PAK zugeschrieben werden. Treffen die angestellten Analysen auch für Deutschland zu, folgt daraus zunächst, dass eine Dunkelziffer von mehr als 90 % bezüglich der aufgeklärten Berufskrebse besteht. Die eigentliche Herausforderung ergibt sich aber daraus, dass eine verbesserte Meldung und Aufklärung bei der Berufskrankheit nach Nr. 1301 BKV „Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der ableitenden Harnwege“ die Mängel der Erfassung beruflicher Urotheltumoren nur für eine Minderheit dieser Erkrankungen beheben kann. Die bestehende rechtliche Lage bei den Berufskrankheiten kann daher aus arbeitsmedizinischer Sicht keinesfalls befriedigen. Umso mehr gilt es, einstweilen die ärztliche Kenntnis der Voraussetzungen einer Verdachtsmeldung nach Nr. 1301 der BKV weiter zu verbessern.

Harnblasenkrebs durch aromatische Amine (Nr. 1301 BKV)

Tätigkeitsbereiche
Der Verdacht, dass eine Tumorerkrankung der Harnblase oder der ableitenden Harnwege ursächlich durch vorausgegangene Einwirkung kanzerogener Noxen am Arbeitsplatz verursacht ist, kann aus der anamnestisch gesicherten Tätigkeit in einem der in Tab. 4 aufgeführten Berufsfelder bereits hinlänglich begründet sein. In Anbetracht der oft langen Latenzzeiten sind dabei auch Tätigkeitsbereiche zu berücksichtigen, in denen möglicherweise heute die ehemals gegebenen Risiken gemindert oder eliminiert wurden. Lässt sich eine entsprechende langjährige Berufstätigkeit eruieren, sollte Anzeige erstattet werden.
Tab. 4
Tätigkeitsbereiche, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung im Bereich der Harnblase oder der ableitenden Harnwege begründen können (nähere Einzelheiten in BK-Report 2/2011 2011)
Industriezweig
Tätigkeitsbereiche
Chemische und pharmazeutische Industrie
Synthese, Produktion, Lagerung und Verteilung von Farbstoffen oder Produkten, die krebserzeugende Farbstoffe (u. a. als Verunreinigung) enthalten
 
Herstellung von Auramin
 
Herstellung von Fuchsin
 
Reparatur und Wartungsarbeiten mit spezifischer Einwirkung (siehe Arbeitsstoffe)
 
Laborarbeiten mit spezifischer Einwirkung (siehe Arbeitsstoffe).
Gummiindustrie
Fräsen
 
Latexproduktion
 
Reifenvulkanisation
 
Kalandern
 
Regeneratherstellung
 
Kabelproduktion
Farbanwendung im Malerhandwerk
Anstrich, insbesondere Spritzlackieren
 
Anmischen von Farben, insbesondere vor 1960
 
Entfernen älterer Farbschichten vor Neuanstrich
Textilindustrie
Färberei
 
Druckerei
 
Textilbehandlung und -zurichtung
Lederverarbeitung
Schuh- und Lederwarenhersteller
 
Lederfärbung
 
Verarbeitung gefärbten Leders
 
Gerber und Zurichter
Friseurhandwerk
Vorbereitung der Haarfarben, Färbung
 
Haarwäsche, Spülung, Conditioning
Sonstige Tätigkeiten
Druckindustrie und Druckgewerbe
 
Metallindustrie (Gießereien, Aluminiumherstellung nach dem Söderberg-Verfahren)
 
Mineralölverarbeitung
 
Kokereien
 
Gaswerke
 
Gasretortenhäuser
 
Großfeuerungsanlagen
 
Raffinerien
 
Straßenbau (Schwarzdeckenbau)
 
Verwendung von Teer, Carbobitumen, Mischbitumen, Asphalt (auch durch Dachdecker)
 
Schornsteinfeger (Gefährdung durch Ruß)
Im Malerhandwerk wurden in den 1930er- und 1940er-Jahren vielfach Pulverfarben unter Verwendung wasserlöslicher Azofarbstoffe im Betrieb selbst angemischt, die krebserzeugende aromatische Amine als Kopplungskomponenten enthielten. Nach dermaler Aufnahme konnten dann die kanzerogenen Komponenten im Organismus freigesetzt werden. Bei einem Kontakt bis 1950 gilt eine gefährdende Exposition grundsätzlich als gesichert. In der Zeit von 1951–1959 ist ein Kontakt zu Azofarbstoffen bei der Verwendung von Holzbeizen, Lasuren und Transparentlacken anzunehmen. Von 1960–1971 waren Gefährdungen durch Azofarbstoffe im Malerhandwerk in der Regel nur noch bei der Anwendung von Farbbeizen gegeben. Ausnahmsweise konnten aber immer noch Azofarbstoffe anstelle der nunmehr vorherrschenden Pigmentfarben verwendet werden.
Im Friseurhandwerk konnte in sog. Styling-Produkten Benzidin enthalten sein. Früher verwendete Haarfärbemittel konnten 2,4-Diaminoanisol, 2,4-Toluylendiamin, 2-Nitro-p-phenylendiamin, 2-Nitro-4-aminophenol, p-Phenylendiamin und m-Phenylendiamin enthalten. Epidemiologische Studien, die das erhöhte Urothelkrebsrisiko nach Verwendung dieser Mittel im Friseurhandwerk belegen (Gago-Dominguez et al. 2001; Golka et al. 2008), können als Beweis dafür angesehen werden, dass nicht nur die als gesicherte Humankanzerogene gelisteten aromatischen Amine (K1-Stoffe) Krebs der ableitenden Harnwege auslösen, sondern auch aromatische Amine anderer Kategorien (Tab. 5). Besondere Einwirkungen im Friseurhandwerk waren in der BRD bis 1978 gegeben. Weitere Beobachtungen belegen die Kontamination mancher Haarfärbemittel mit 4-Aminobiphenyl-Derivaten (Turesky et al. 2003).
Tab. 5
Arbeitsstoffe und Arbeitsprozesse, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung durch aromatische Amine im Bereich der Harnblase oder der ableitenden Harnwege begründen können, unterteilt nach dem Grad des bisher erforschten Kausalzusammenhangs
Gesicherter Kausalzusammenhang
Vermuteter Kausalzusammenhang aufgrund tierexperimenteller Befunde
Möglicher Kausalzusammenhang
• 4-Aminobiphenyl
• Benzidin
• 2-Naphthylamin
• 4-Chlor-o-toluidin
• 0-Toluidin
• Auraminherstellung
• Fuchsinherstellung
• Krebserzeugende Arzneistoffe (alkylierende Zytostatika)
• 4,4′-Methylen-bis(2-chloranilin) (MOCA): Anerkennung ausgesprochen aufgrund toxikologischer Begründung
• p-Chloranilin: Anerkennung aufgrund LSG-Urteil
• o-Aminoazotoluol
• 2-Amino-4-nitrotoluol
• 6-Amino-2-ethoxynaphthalin
• Auramin
• Azofarbstoffe aus doppelt diazotiertem Benzidin
• N,N-bis(2-chlorethyl)2-naphthylamin
• 4,4″-Carbonimidoyl-bis(N,N-dimethylanilin) und sein Hydrochlorid
• 4-Chlor-o-phenylendiamin
• p-Cresidin
• N,N′-Diacetylbenzidin
• 2,4-Diaminoanisol
• 4,4″-Diaminodiphenylmethan
• 1,5-Diaminonaphthalin
• 2,4-Diaminotoluol
• 3,3″-Dichlorbenzidin
• 3,3″-Dichlor-4,4″-oxydianilin
• 2,6-Diethoxy-2-naphthylamin
• 3,3″-Dimethylbenzidin
• 3,3″-Dimethoxybenzidin
• 3,3″-Dimethyl-4,4″-di-amino-diphenylmethan
• 2-Methoxyanilin (o-Anisidin)
• 4,4″-Methylen-bis(2-chloranilin)
• 4,4″-Methylen-bis(N,N-dimethylanilin
• 2-Nitroanisol
• 4-Nitrobiphenyl
• 2-Nitronaphthalin
• 4,4″-Oxydianilin
• m-Phenylendiamin
• o-Phenylendiamin
• N-Phenyl-2-naphthylamin
• 4,4″-Thiodianilin
• 2,4-Toluylendiamin
• 2,4,5-Trimethylanilin und sein Hydrochlorid
• Trinitrotoluol
• 2,4-Xylidin
• 2,6-Xylidin
• 4-Amino-3-nitrophenol
• Anilin
• Basic Violet 3 (Kristallviolett)
• 5-Chlor-o-toluidin
• 3,3″-Diaminobenzidin u. sein Tetrahydrochlorid
• 4,4″-Diaminodiphenylsulfon
• 4-Dimethylaminoazobenzol
• N,N-Dimethylanilin
• Dinitrobenzole (alle Isomeren)
• Dinitronaphthaline (alle Isomeren)
• Direct Blue 218
• Magenta (Fuchsin)
• 4-Methoxyanilin
• 4,4′-Methylen-bis(N,N′-dimethylanilin)
• 4,4′-Methylen-bis (N,N′-di-methylbenzylamin)
• 2-Methyl-l-nitro-anthrachinon
• 4-Nitroanilin
• 2-Nitro-4-aminophenol
• 1-Nitronaphthalin
• 5-Nitro-o-toluidin und sein Hydrochlorid
• 1-Nitro-p-phenylendiamin
• o-Phenylendiamin
• m-Phenylendiamin
• p-Phenylendiamin
• N-Phenyl-2-naphthylamin
• 2,2′-5,5′-Tetrachlorbenzidin
• p-Toluidin
• 2,4,7-Trinitrofluorenon
• N-Butyl-N (4-Hydroxybutyl- nitrosamin)
Da Kosmetika zur permanenten Haarfärbung bis 1978 grundsätzlich Komponenten mit der Fähigkeit enthalten konnten, Urothelkrebs auszulösen, ist es nicht notwendig, eine konkrete Exposition gegenüber einem speziellen aromatischen Amin nachzuweisen. Verlangt wird nur der Nachweis einer Exposition von in der Regel mindestens 10 Jahren vor 1987. Außerdem sollten die Arbeitstechniken der damaligen Situation entsprochen haben, das heißt Arbeiten ohne Handschuhe, etwa 6 Färbungen pro Schicht, 40 Stunden Arbeit pro Woche. Liegen diese Verhältnisse nicht vor, sind Einzelfallprüfungen erforderlich.
Im Druckgewerbe waren die verwendeten Pigmentfarben nicht bioverfügbar. Farbstoffe mit hinreichender Wasserlöslichkeit für die dermale Resorption kamen weniger im Buch- und Offsetdruck, Illustrationsdruck und Siebdruck als im Flexo- und Verpackungsdruck zur Anwendung. Bei Verdacht auf beruflich bedingten Harnblasenkrebs bei Druckern sind die Expositionsverhältnisse im Einzelfall zu prüfen.

Arbeitsstoffe

Der Verdacht kann ferner durch anamnestische Hinweise zu Gefährdungen durch bestimmte aromatische Amine, aromatische Nitro- und Azoverbindungen begründet sein. Tab. 5 kann als Hilfe zur Unterscheidung gesicherter oder potenzieller Kanzerogene dieser Stoffklassen von bisher nicht als kanzerogen verdächtigten aromatischen Verbindungen dienen. Wiederum sind auch Stoffe zu berücksichtigen, die in zurückliegenden Zeiträumen an Arbeitsplätzen über die Atemwege oder Haut aufgenommen werden konnten (siehe Abschn. 4.1.2). Die Ermittlung einzelner Stoffe kann in der ärztlichen Praxis zeitaufwendig werden und an mangelnder Kenntnis des Patienten scheitern. Sie ist auch dadurch erschwert, dass oft Synonyma gebraucht werden, deren Auflistung den Rahmen der Tabelle sprengen würde. Wichtig erscheint, dass 2-Naphthylamin auch als Komponente, Verunreinigung oder Metabolit aus anderen Arbeitsstoffen in den Organismus gelangen kann (Tab. 6).
Tab. 6
2-Naphthylamin als Komponente, Verunreinigung bzw. Metabolit anderer Arbeitsstoffe
Arbeitsstoff
Erläuterung
Nonox S
Verwendet in der Kautschuk- und Reifenindustrie, enthielt bis zu 2500 ppm 2-Naphthylamin, wurde bis Mitte der 50er- Jahre in der BRD verwendet; danach noch Einwirkungen aus Gummiprodukten (Reifen), die unter Verwendung von Nonox S hergestellt worden waren
1-Naphthylamin
Enthielt bis Ende der 60ger- Jahre 5 % 2- Naphthylamin
Phenyl-2-Naphthylamin
Enthielt bis zu 3 ppm 2-Naphthylamin als Verunreinigung; geringe Freisetzung von 2-Naphthylamin auch als Metabolit im Organismus
Methylthioharnstoff
Ausgangsprodukt bei der Herstellung eines Rattengiftes (ANTU), das beruflich (Kammerjäger) verwendet wurde
Tobias-Säure
Heute Importware (z. B. aus China), enthält unter 100 mg/kg 2-Naphthylamin; enthielt bis Ende der 1960er-Jahre bis zu 1 % 2-Naphthylamin
Carbolineum
Verwendung seit dem 01.04.1992 in der BRD verboten; davor über Jahrzehnte vor allem von Malern als Holzschutzmittel zur Imprägnierung von Zäunen, Pergolen, Scheunentoren, Eisenbahnschwellen, Hochleitungsmasten etc. verwendet; enthielt als Teerölprodukt mehrere Hundert ppm 2-Naphthylamin, das bei Hautkontakt dermal aufgenommen werden konnte
Kreosot
Aus Buchenholzteer; Kreosotöle aus Braunkohlen- oder Steinkohlenteer; Insektizide und Holzschutzmittel

Einwirkungs- und Latenzzeiten

Bei den berufsgenossenschaftlich als Berufskrebserkrankung anerkannten Fällen von Urotheltumoren in der BRD finden sich Einwirkungszeiten zwischen 0,3–33 Jahren. Als Mittelwert werden 20,1 Jahre angegeben. Die Angaben der mittleren Latenzzeiten liegen in der Literatur zwischen 12–50 Jahren. In Deutschland stiegen die mittleren Latenzzeiten von 1980–2002 um etwa 10 Jahre und erreichten damit fast 40 Jahre (Butz 2012). Bereits 1954 wurde über Fälle mit Latenzzeiten von weniger als 5 Jahren berichtet. Dabei dürfte es sich um hohe Einwirkungen gehandelt haben.

Brückensymptome und weitere Hinweise

Hinweise auf Einwirkungen, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrebserkrankung im Bereich der Harnblase oder der ableitenden Harnwege weiter begründen und bei der Individualbetrachtung von Bedeutung sein können:
1.
Schmerzen beim Wasserlassen, Hämaturie in zeitlichem Zusammenhang mit der beruflichen Exposition
 
2.
Wiederholte Methämoglobinämien in zeitlichem Zusammenhang mit der beruflichen Exposition
 
3.
Acetyliererstatus: im Allgemeinen höhere Empfindlichkeit bei „Langsam-Acetylierern“
 
4.
Zeitliche Vorverlegung des Erkrankungszeitpunkts gegenüber dem mittleren Alter bei Erkrankungen an Harnblasenkrebs (typisch sind ca. 10 Jahre; siehe Merkblatt des BMA zur BK Nr. 1301)
 
Auch die Vorstufen des Harnblasenkrebses wie Schleimhautveränderungen (Hyperplasie) sind bereits als Berufskrankheiten anzuzeigen und können Vorstufe einer manifesten Krebserkrankung darstellen.

Harnblasenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe

Seit der Aktualisierung der Liste der Berufskrankheiten im Juli 2017 können Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren unter der Nr. 1321 der BKV anerkannt werden.
Tätigkeitsbereiche
Branchen und Tätigkeiten nach Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen können Tab. 7 entnommen werden.
Tab. 7
Branchen und Tätigkeiten nach Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK)
Branchen
Tätigkeiten mit PAK-Einwirkung
Abbruchbetriebe
Abbruch und Schneidbrennen von Metallteilen, die mit SKTP beschichtet sind
Aluminiumindustrie
Verarbeitung von SKTP in der Elektrografitherstellung und in der Söderberg-Elektrolyse
Bauindustrie
Abdichten von Fundamenten mit SKTP
Bootsbauer
Abdichten mit SKTP
Bötchereibetriebe
Abdichten mit SKTP
Braunkohlenteerraffinerien
Destillation von Braunkohlenschwelteer
Braunkohlenschwelereien
Herstellung von Braunkohlenschwelteer
Brikettherstellung
Steinkohlenteerpech als Binder
Chemieindustrie
Herstellung von PAK-haltigen Beschichtungsstoffen
Dachpappenherstellung
Verarbeitung von SKTP
Dachdeckerbetriebe
Verlegung und Abriss von SKTP-haltigen Dachbahnen
Druckindustrie
Verarbeitung von PAK-haltigen Druckfarben
Elektrografitindustrie
Verarbeitung von SKTP zur Elektrografitherstellung
Feuerfestindustrie
Herstellung von SKTP-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen
Fischnetzherstellung
Herstellung von Netzen, die mit SKTP imprägniert wurden
Gaserzeugung
Steinkohlenteer- und Teeröl als Beiprodukt, Einwirkung von Kokereirohgasen
Gießereiindustrie
Verarbeitung von SKTP-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen, Pyrolyse von kohlenstoffhaltigen Glanzbildnern
Gummiindustrie
Verarbeitung von Kokerölen; Überführung von Altreifen zu aromatischen Rohstoffen (Recycling)
Hafenbetriebe
Hafenumschlag von SKTP
Holzimprägnierung
Imprägnierung mit Steinkohlenteeröl
Hüttenindustrie
Verarbeitung von SKTP-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen
Isolierbetriebe
Verarbeitung von SKTP
Korksteinherstellung
Verarbeitung von SKTP
Lackierereien
Verarbeitung SKTP-haltiger Beschichtungen
Metallindustrie
Verarbeitung von PAK-haltigen Kühlschmierstoffen
Mineralölraffinerien
Gewinnung von Kokerölen, Gewinnung von aromatischen Gemischen in Crackanlagen
Optische Industrie
Verarbeitung von Holzteer zum Einkitten von Linsenrohlingen
Parkett- und Holzpflasterverlegung
Verarbeitung von SKTP-haltigen Klebern
Räuchereien
Einwirkung von PAK-haltigem Räucherrauch
Schornsteinfeger
Umgang von PAK-haltigem Kaminruß
Schuhmacher
Verarbeitung von Schusterpech
Siliciumcarbidherstellung
Verarbeitung von SKTP
Steinkohlenkokereien
Einwirkung von Kokereirohgasen auf der Ofendecke und der Ofenseite
Steinkohlenteerraffinerien
Umgang mit Steinkohlenteer und SKTP
Straßenbau
Verarbeitung von SKTP als Bindemittel
Textilindustrie
Verwendung von PAK-haltigen Spindelölen
SKTP, Steinkohlenteerpech

Harnblasenkrebs durch Arsen

Die seit über 60 Jahren bekannte Verursachung von Harnblasenkrebs durch Arsen (Übersicht bei Erren et al. 2000) ist durch Untersuchungen im letzten Jahrzehnt als hochwirksam herausgestellt worden (IARC 2004; Kitshin und Conolly 2010). Yoshikawa et al. (2008) berichteten über einen signifikanten Anstieg der SMR („standardized mortality ratio“) bei Luftkonzentrationen oberhalb 1,77 ng/m3 Arsen.

Konkurrierende Risiken

Als konkurrierender Faktor für die Entwicklung von bösartigen Tumoren der Harnwege ist insbesondere Aktivrauchen von Tabakprodukten anzusehen.
Bei anamnestischen Hinweisen auf gefährdende Tätigkeiten und Stoffen ist eine Berufskrankheitenanzeige zu erstatten. Die Abwägung des Anteils außerberuflicher Einflüsse ist Aufgabe eines qualifizierten Fachgutachtens. In keinem Fall sollte bei Kenntnis o. g. Risiken die Verdachtsanzeige wegen einer Berufskrebserkrankung unterbleiben.

Synkanzerogene Kombinationseffekte

Bereits 1976 wurde auf den Kombinationseffekt von beruflicher Exposition und Rauchkonsum hingewiesen. Aus der neueren Literatur liegen Hinweise vor, dass es sich dabei um einen überadditiven Synergismus handelt.

Neuere Erkenntnisse

Die Annahme einer beachtlichen Dunkelziffer wird unter anderem dadurch gestützt, dass bis in die jüngste Zeit Arbeitsstoffe neu als Urothelkanzerogene erkannt werden, die bisher nicht als solche galten. Ein Beispiel ist o-Toluidin, dessen Kanzerogenität aufgrund gehäuft auftretender Erkrankungen an Urotheltumoren nachgewiesen wurde. Bei wasserlöslichen Azofarbstoffen aus doppelt diazotiertem Benzidin sowie verschiedenen Benzidinabkömmlingen liegen überzeugende Daten für die Annahme krebserzeugender Wirkungen beim Menschen vor. Diese Farbstoffe wurden nach dem Zweiten Weltkrieg im Malerhandwerk zum Teil als Pulver für das Anrühren von streichfertigen Farben verwendet und sind bis heute noch in der Arbeitswelt als Textil-, Leder- oder Papierfarbstoffe anzutreffen. Eine Aufzählung von Stoffen, aus denen humankanzerogene, tierexperimentell wirksame Kanzerogene und als kanzerogen-verdächtigte Metabolite gebildet werden können, wurde von Myslak 1990 veröffentlicht.
Literaturmitteilungen weisen auf ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen der ableitenden Harnwege bei Bergarbeitern, Motorfahrzeugführern und bei Beschäftigten in der Metallerzeugung und -bearbeitung sowie nach Inhalation von Dieselmotoremissionen hin. Hinweise ergeben sich aus der Literatur auch auf Lösemittel wie Tri- und Tetrachlorethen und elektromagnetische Felder (Übersicht bei Clapp et al. 2008).
Neben Nitronaphthalin können auch einige Nitrosamine wahrscheinlich Urotheltumoren induzieren. Verbindungen dieser Stoffklasse, wie N-Butyl-N(4 hydroxybutyl)nitrosamin), sind als hochwirksame Modellkanzerogene an der Blasenschleimhaut der Ratte bekannt. An Arbeitsplätzen der Gummiindustrie wurde bei Luftanalysen neben anderen Nitrosaminen N-nitroso-n-butylamin (NDBA) nachgewiesen, das bei 4 verschiedenen Tierspezies Harnblasenkrebs erzeugt hat.

Bösartige Tumoren der Haut

Die berufsbedingten bösartigen Tumoren der Haut lassen sich in solche
  • mechanischen,
  • thermischen und
  • chemischen Ursprungs
  • sowie in strahleninduzierte Tumoren
untergliedern, Kombinationen sind dabei möglich. Voraussetzungen sind berufliche Tätigkeiten, die den Arbeitnehmer in fortgesetzten Kontakt mit einer schädigenden Einwirkung über längere Zeit bringen. Genetische und durch Vorschädigung bedingte Prädispositionen sind bei der Individualbetrachtung zu berücksichtigen.

Tätigkeitsbereiche und Arbeitsstoffe

Als Hautkanzerogene kommen beruflicherseits überwiegend infrage:
  • Arsen und bestimmte Arsenverbindungen
  • UV-Strahlen
  • Ionisierende Strahlen
  • Mechanische und thermische Irritationen
  • Pyrolyseprodukte wie Teer, Pech, Ruß, Rohparaffin, Anthracen oder Teeröle
Eine Übersicht über typische Tätigkeitsfelder und entsprechenden Expositionen gegenüber Hautkanzerogenen findet sich in Tab. 8. In Tab. 9 finden sich Angaben zu typischen Pyrolyseprodukten und ihrem Vorkommen in der Arbeitswelt.
Tab. 8
Tätigkeitsbereiche und Arbeitsstoffe mit möglichem Bezug zum Auftreten von Hauttumoren
Wirkprinzip
Tätigkeitsfelder
Pyrolyseprodukte
Kohlevergasung, Kokereien, Stein- und Braunkohlenteerdestillation
Teeren und Asphaltieren von Straßen, Dächern, Schiffswänden
Herstellen von Bodenbelägen, Platten, Rohren und Kanistern; aus Gemischen von Silikaten und heißem Pech
Herstellung von Teer- und Bitumenpappe, von imprägnierten Textilien, Kohleelektroden
Textilien, Kohleelektroden
Imprägnierung von Holz mit Teer und Anthracenöl (z. B. Carbolineum)
Herstellen von Briketts aus Kohlestaub mit 8–10 % Pech
Wartung von Kaminen und Rauchabzügen
Petroleumindustrie
Landwirtschaft, Forstwirtschaft
Fischfang („Antifowling“-Farben für Schiffe)
Bergbau
Metallerzeugung (Kupferschmelze)
Mineralöle, ionisierende Strahlen
Metallverarbeitung
Textilindustrie, Spinnerei
Juteverarbeitung
Medizinische Berufe, Materialprüfung
Bergbau (Uran)
Sonderfall UV-Strahlen
Arbeiten im Freien: Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Seefahrt, Baugewerbe und Handwerk, Stahlbauschlosser, Schweißen an Brücken, Straßenarbeiter (Treier et al. 2000)
(BK-Nr. 5103 für Exposition durch natürliche UV-Strahlung)
Arbeiten an künstlichen UV-Strahlenquellen: Entkeimung, Lackhärtung, Fototherapie, Fotokopieren, Schweißen, Werkstoffprüfung, evtl. Mitarbeit im Sonnenstudio (Angenvoord und Schwaß 2008)
Tab. 9
Pyrolyseprodukte und ihr Vorkommen am Arbeitsplatz
Pyrolyseprodukt
Bemerkungen
Ruße
Herstellung von Tusche, Wachsen, Farben, Kunststoffen Verwendung in der Gummiindustrie; technische Ruße wie „Carbon Black“ sind heute nicht mehr kanzerogen, waren es aber teilweise vor 1982
Rohparaffin
Gewonnen aus bituminöser Braunkohle, Ölschiefer (Schieferöle), Erdöl und Erdwachs
Umgang mit Zündholz-, Papier-, Faserplatten-, Spanplatten- und Sprengstoffindustrie
Teer (Teeröle, Teerprodukte)
Teer ist Destillationsprodukt aus Stein- und Braunkohle, Torf, Holz; es wird in Kokereien und Gasfabriken gewonnen; Teeröle wurden eingesetzt unter anderem in Holzschutzmitteln (Carbolineum)
Anthracen
Wird aus Teer gewonnen; Rohstoff für Farbsynthesen; nicht kanzerogen; Anthracenöle enthalten kanzerogene Komponenten!
Pech
Rückstand der Steinkohlenteerdestillation; wird hauptsächlich verwendet zur Herstellung von Kohlenstoff- und Grafitelektroden
Ähnliche* Stoffe
Verschiedene Erdwachse, Asphalt, Masut, Mineral-, Schmier-, Zylinder-, Bohröle, die bei ca. 300 °C sieden; Kühlschmiermittel
*Ähnlich bezieht sich auf die Wirkung!
Die Berufskrankheit der Nr. 5102 beinhaltet Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Andrazen, Pech oder ähnliche Stoffe (siehe Tab. 9).
Histologisch handelt es sich um bowenoide Tumoren, Basaliome, Karzinome (Morbus Bowen), Keratome und spinozelluläre Karzinome.
Die Berufskrankheit der Nr. 5103 wird begrenzt auf die histologischen Typen der Plattenepithelkarzinome und multiplen aktinischen Keratosen der Haut (mehr als 5 einzelne Keratosen der Haut oder konfluierend mit einer Fläche von mehr als 4 cm2) durch natürliche UV-Strahlung. Die verschiedenen Subtypen des malignen Melanoms werden unterschiedlich durch UV-Expositionen beeinflusst. Die Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen einer arbeitsbedingten UV-Exposition und malignen Melanomen sind epidemiologisch nur unzureichend abzugrenzen gegenüber der UV-Exposition im Freizeitbereich. Deshalb werden Melanome und Basaliome derzeit nicht unter der BK anerkannt.
Tätigkeitsbereiche
  • Land- und Forstwirtschaft
  • Fischerei und Seefahrt
  • Baugewerbe und Handwerk (z. B. Dachdecker, Zimmerleute, Bauarbeiter, Maurer, Stahlbauschlosser, Schweißer an Brücken)
  • Straßenarbeiter
  • Bademeister, Bergführer etc.
  • Arbeiten im Ausland (in südlichen Ländern) und auf See
Gefährdete Berufsgruppen sind:
  • Bauarbeiter
  • Landarbeiter
  • Müllwerker
  • Kindergärtnerinnen
  • Sportlehrer
  • Glasreiniger/Fensterputzer

Narbenkarzinome

Falls Plattenepithelkarzinome oder Basaliome der Haut (seltener maligne Fibrohistiozytome, Leyomyosarkome, Melanome) infolge beruflich bedingter Narbenbildung entstanden sind (in der Regel Verbrennungsnarben), gelten sie als Unfallfolge. Die mittleren Latenzzeiten liegen beim vorherrschenden Plattenepithelkarzinom bei mehr als 30 Jahren, beim Basaliom bei 20 Jahren (Brüning und Fartasch 2009).
Andersartige Hauttumoren sprechen jedoch nicht unbedingt gegen eine berufliche Genese durch die genannten Stoffe.
Es erscheint besonders wichtig, Präkanzerosen in Bezug auf den Zusammenhang mit beruflichen Expositionen zu untersuchen; Tumoren treten meist nicht ohne Prodromalerscheinungen wie Keratosen oder chronisch-entzündliche Veränderungen auf. Zu berücksichtigen ist, dass im Fall der Hauttumoren der Ort der Kontamination bzw. Exposition meist mit dem Ort des Tumors übereinstimmt. Bei generalisiert einwirkenden Stäuben sind unter Umständen Hautfalten, Hautvertiefungen, Narben etc. mit dem Ort der Kontamination gleichzusetzen. Bei Arsen scheinen hämatogen oder andersartig generalisierte Auswirkungen möglich (z. B. disseminierte Basaliome bei oraler Aufnahme). Bezüglich der Genese maligner Lymphome der Haut sei auf den Abschn. 3 verwiesen.

Einwirkungs- und Latenzzeiten

Insbesondere bei chemisch induzierten und strahleninduzierten Hauttumoren sollte im Allgemeinen eine Exposition über längere Zeit gefordert werden. Bösartige Tumoren können nach längerer Latenzzeit (10 bis über 40 Jahre) im Falle von thermischen und mechanischen Reizen (z. B. akute Verbrennungen) auch nach einmaligen unfallartigen Expositionen auftreten (siehe Abschn. 5.2). Hinweise für frühere berufliche Einwirkungen lassen sich insbesondere durch Suchen nach objektiven Expositionszeichen finden (siehe Übersicht) Tab. 10.
Tab. 10
Expositionshinweise bei Hauttumoren
• Ekzeme
• Röntgenoderm (ionisierende Strahlen)
• Ulzerationen (ionisierende Strahlen)
• Atrophien (ionisierende Strahlen)
• Staubtätowierungen
• Tumoren anderer Organlokalisation
• Melanosen (Arsen)
• Keratosen (Pyrolyseprodukte, UV-Strahlen)
• Dyspigmentierungen (UV-Strahlen)
• „Landmannshaut“ (UV-Strahlen)
• Schwielen, Narben (thermische und mechanische Irritationen)
• Elastose im Nacken
• Teleangiektasien im Gesicht

Konkurrierende Risiken

Bei bei anamnestischen Hinweisen auf gefährdende Tätigkeiten und Stoffe kann der Verdacht auf eine beruflich verursachte Hautkrebserkrankung begründet werden, wenn konkurrierende außerberufliche Ursachen sehr stark überwiegen. Hierzu zählen zum Beispiel individuelle Dispositionen wie chronische Hautveränderungen (Wunden, Verbrennungsnarben, venöse Insuffizienz, Pigmentmale, angeborene Immundefekte, Autoimmunerkrankungen und chronische Infektionen, vor allem solche durch Viren mit viralen Kanzerogenen). Auch Alkohol- und Nikotinabusus und regelmäßiges Freizeit- und Urlaubsverhalten mit übermäßiger Exposition gegenüber UV-Strahlen (z. B. Gartenarbeit, Sport, Sonnenstudio) kommen hierfür infrage. Jedoch sollte die Risikoabwägung einem qualifizierten medizinischen Fachgutachter überlassen bleiben und die Verdachtsmeldung im Zweifelsfall nicht zurückgehalten werden.

Kombinationseffekte

Insbesondere für das Zusammentreffen von Pyrolyseproduktexposition und dem Einwirken von UV-Strahlen ist ein Kombinationseffekt bezüglich der Hautkanzerogenese bekannt.

Tumoren des Gastrointestinaltrakts

Zwischen 1978 und 2010 wurden in der Bundesrepublik 82 Fälle von Leberkrebs nach Einwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen als Berufskrankheit anerkannt, 2 nach Einwirken von Arsen und 18 nach Einwirkung ionisierender Strahlen. Es handelt sich hier um seltene Anerkennungen von Tumoren des Gastrointestinaltrakts als Berufskrankheiten. Dies liegt auch daran, dass Zusammenhänge zwischen Tumorerkrankungen des Gastrointestinaltrakts und beruflicher Exposition im Allgemeinen wesentlich weniger gut belegt sind, als dies für Tumoren des Respirationstrakts, der ableitenden Harnwege sowie des lymphatischen und hämatopoetischen Systems der Fall ist.

Tätigkeitsbereiche und Arbeitsstoffe

In verschiedenen Tätigkeitsbereichen sowie bei verschiedenen Arbeitsstoffexpositionen wurde, unterschiedlich gut belegt, über ein gehäuftes Auftreten von Tumoren des Magen-Darm-Trakts sowie der Leber berichtet. Eine ungewichtete Übersicht hierzu findet sich in Tab. 11.
Tab. 11
Tätigkeitsbereiche, Arbeitsstoffe und mögliche Tumorlokalisationen im Gastrointestinaltrakt
Arbeitsstoff
Tumorlokalisation
Tätigkeitsbereiche
Nitrosamine
Ösophagustumoren, Magen-Darm-Tumoren, Lebertumoren
Gummiindustrie, Metallbearbeitung
Ionisierende Strahlen
Magen-Darm-Tumoren, Ösophagustumoren, Lebertumoren
Medizinische Berufe
Asbest
Magen-Darm-Tumoren
Dachdecker, Isolierer, Asbestproduktherstellung, Schiffsbau, Werften
Pyrolyseprodukte
Magen-Darm-Tumoren
Metallverarbeitende Industrie (Kühlschmiermittel), Petroleumindustrie, Kokereien, Schwarzdeckeneinbau, Schornsteinfeger
Holzstäube
Magen-Darm-Tumoren
Bergarbeiter
Chrom(ate)
Magen-Darm-Tumoren
Zellstoff-, Papierindustrie, Schreiner
Magen-Darm-Tumoren, Lebertumoren
Verchromung, Eisenchromproduktion, Chromatherstellung, Schweißer, Zementindustrie
Vinylchlorid
Lebertumoren (besonders Angiosarkome)
Chemische Industrie, PVC-Herstellung
Zustand nach Hepatitis B oder Hepatitis C
Lebertumoren
Medizinische Berufe
Tetrachlorkohlenstoff
Lebertumoren
Metallindustrie, Reinigungsarbeiten
Tetrachlorethen
Lebertumoren
Chemischreinigung, Metallbearbeitung
Trichlorethylen
Nierentumoren, Lebertumoren
Chemischreinigung, Metallbearbeitung
Aflatoxine
Lebertumoren
Futtermittelherstellung, Verarbeitung von tropischen Nüssen
Nitrosamine
Ösophagustumoren
Gummiindustrie

Einwirkungs- und Latenzzeiten

Generell sollte eine langjährige und massive Exposition gegenüber den in Tab. 11 genannten Arbeitsstoffen gefordert werden, um eine Meldung als Berufskrankheit zu rechtfertigen. Hilfsweise kann zur Abschätzung der minimal erforderlichen Einwirkungs- und Latenzzeiten auf die Angaben der Tab. 3 im Fall einiger der genannten Stoffe zurückgegriffen werden.
Im Fall von Magen-Darm-Tumoren sind medizinische Röntgenbestrahlungen der betroffenen Region, Raucheranamnese (Ösophagus, Magen), Alkoholabusus (Ösophagus, Darm), Nahrungsfehler (Plummer-Vinson-Syndrom); perniziöse Anämie, wenig frisches Obst, Gemüse, Salate, faserarme und an tierischem Fett reiche Kost, Laxantienabusus als konkurrierende außerberufliche Ursachen anzusehen, die unter Umständen das Aufrechterhalten des Verdachts auf eine berufliche Genese nicht weiter rechtfertigen. Im Fall von Kolontumoren sprechen insbesondere Vorerkrankungen an Morbus Crohn, Colitis ulcerosa sowie Polyposis coli gegen eine berufliche Genese. Im Fall von Lebertumoren sprechen medizinische Röntgenbestrahlungen der betroffenen Region, Alkoholabusus, Vorbehandlungen mit Anabolika, Immunsuppressiva und eventuell langjähriger Kontrazeptivagebrauch gegen eine berufliche Verursachung des Tumors.
Im Falle einer umfangreichen und langjährigen Exposition gegenüber Arsen, Vinylchlorid und Aflatoxinen (vergleiche Tab. 11) sowie im Falle einer chronischen Hepatitis B bei medizinischem Personal sollte jedoch eine Berufskrankheitenmeldung nicht zurückgehalten werden und die Beurteilung einem qualifizierten Fachgutachter überlassen sein.

Neue Erkenntnisse

Ein gehäuftes Auftreten von Magen-Darm-Tumoren nach Exposition gegenüber Nitrosaminen in der Gummiindustrie konnte in neueren Untersuchungen nicht bestätigt werden. Dagegen erscheint die Verursachung von Magentumoren durch quarzhaltigen Kohlegrubenstaub sowie die Verursachung von Ösophaguskarzinomen durch Nitrosamine in der Gummiindustrie inzwischen gesichert.

Tumoren der Nieren

Das Auftreten von Nierenzellkarzinomen wurde nach entsprechend hoher Trichlorethenexposition auch beim Menschen beobachtet (bis 2010 37 anerkannte Nierentumoren bezüglich der BK-Nr. 1302 BKV). Trichlorethen ist ein leicht flüchtiges Lösemittel, das nicht nur inhalativ, sondern auch transdermal resorbiert wird. Trichlorethen wurde zum Entfetten in der Metallindustrie, aber auch in chemischen Reinigungen eingesetzt.

Sonstige Tumorformen

Tumorlokalisationen im Bereich weiterer Organe oder Organsysteme wurden bisher in der Bundesrepublik nicht als Berufskrankheiten anerkannt. Entsprechende Verdachtsmeldungen sollten sich daher auf Fälle mit besonders massiver und langjähriger Exposition beschränken, da derzeit aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Zusammenhangsbeurteilung sehr selten die nach der Öffnungsklausel des § 9 Abs. 2 SGB VII im Berufskrankheitenrecht erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit vorliegen dürfte.
Über folgende Zusammenhänge wurde in der Literatur berichtet:
Tumoren des ZNS (Clapp et al. 2008)
  • Vinylchlorid
  • Ethylenoxid
  • Lösemittel
  • Pestizide, insbesondere Carbamate
  • Haarfärbemittel
  • PCB (polychlorierte Biphenyle)
Knochentumoren
  • Ionisierende Strahlen
Mammatumoren
  • Ionisierende Strahlen
  • Fraglich aromatische Amine und Azofarbstoffe
  • Chlorpestizide
  • Elektromagnetische Felder
  • Passivrauchen (Clapp et al. 2008)
Prostatatumoren

Kombinationswirkungen bei der Verursachung arbeitsbedingter Krebserkrankungen (Synkanzerogenese)

Grundsätzlich kann bei gleichzeitiger Exposition gegenüber mehreren gesundheitsschädlichen Arbeitsstoffen eine unabhängige Wirkung der Einzelstoffe ohne gegenseitige Beeinflussung gegenüber Antagonismen (Abschwächung der Wirkung einer Substanz durch eine zweite) und Synergismen (Verstärkung der Wirkung einer Substanz durch eine zweite) unterschieden werden. Bei synergistischen und somit auch bei synkanzerogenen Wirkungen werden additive und überadditiven Effekten beobachtet.
Als Synkanzerogenese gilt nach Williams und Iatropoulos (2001) die Erhöhung der Kanzerogenese infolge aufeinanderfolgender oder gleichzeitiger Gabe zweier Kanzerogene, üblicherweise des DNA-reaktiven (gentoxischen) Typs. Diese Interaktion stellt im Falle von Kanzerogenen des gentoxischen Typs einen Summationseffekt der genetischen Defekte der Stoffe dar.
Gewöhnlich tritt die Erhöhung in einem Zielorgan auf, in dem beide Kanzerogene eine Tumorwirkung erzeugen.
Nach Streffer (2000) führen gentoxische Substanzen, die wie ionisierende Strahlen die initialen DNA-Schäden bei der Entwicklung von Krebs und Mutationen hervorrufen, nach kombinierten Expositionen im Allgemeinen zu additiven Effekten.
Substanzen, die die Reparatur von DNA-Schäden nach Exposition durch ionisierende Strahlen hemmen, können überadditive Effekte hervorrufen. Dies gilt zum Beispiel für die bekanntermaßen krebserzeugenden Schwermetalle.
Substanzen, die das Gleichgewicht zwischen Zellverlust und Zellerneuerung nach einer Strahlenwirkung stören, können überadditive Effekte verursachen. Eine der zahlreichen Störmöglichkeiten solcher Substanzen besteht darin, dass sie die Kontrollstationen des Zellzykluskontrollsystems ausschalten. Dadurch kann zum Beispiel eine bereits begonnene DNA-Verdoppelung ungehemmt fortschreiten, bevor die strahlenbedingten Schäden in den Elternsträngen repariert sind. Im Falle fehlerhaft reparierter, als Matrizen dienender DNA-Elternstränge kommt es dann zu weiteren krebsinduzierenden Veränderungen in den DNA-Tochtersträngen.
Nach Greim (2006) ist aufgrund der pathomechanistischen Erkenntnisse zur Krebsentstehung die Synkanzerogenese immer dann zu erwarten, wenn sich mehrere Kanzerogene aufgrund ihrer Mechanismen bei der Initiation oder Promotion in ihrer Wirkung verstärken. In jedem Falle ist davon auszugehen, dass eine gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Exposition gegenüber mehreren Initiatoren oder Initiatoren und Promotoren den kanzerogenen Effekt verstärkt. Bei entsprechender Exposition kommt es damit zu additiven Wirkungen mit dem Ergebnis
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Insgesamt ist hiernach bei der kombinierten DNA-reaktiven Einwirkung von ionisierender Strahlung und gentoxischen Arbeitsstoffen insbesondere auch beim Lungenkrebs von einer mindestens additiven Synkanzerogenese auszugehen (Schneider 2007). Dies gilt insbesondere für die im Uranerzbergbau tätigen Wismutbeschäftigten, die nicht nur gegenüber Alphastrahlen durch Radon und dessen Folgeprodukte exponiert waren, sondern auch gegenüber den im Gestein vorhandenen Quarzstäuben, Asbestfaserstäuben und Arsenverbindungen (Brüske-Hohlfeld et al. 2006).
Die für Berufskrebs vorliegenden Erfahrungen betreffen im Wesentlichen Kombinationswirkungen zweier gentoxischer (initiierender) Humankanzerogene (DFG 2016; Hallier 2004).
Erfahrungen der Praxis zeigen nach Expositionen gegenüber komplexen Gemischen, die Initiatoren enthalten, oftmals ein gehäuftes Auftreten von Krebserkrankungen (Tab. 12).
Tab. 12
Synkanzerogenese der kanzerogenen Wirkungen von 2 Stoffen (epidemiologisch eindeutig nachgewiesen). (Nach Henschler 2006)
Stoff 1
Stoff 2
Zielorgan
Additiv/überadditiv
Asbest
PAK
Lunge
Überadditiv
Asbest
Ionisierende Strahlen
Lunge
Mindestens additiv
Radon
PAK
Lunge
Mindestens additiv
Bischlormethylether
Monochlordimethylether
Lunge
Wahrscheinlich additiv
PAK, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
Synergistische Kombinationswirkungen sind aber auch zwischen krebserzeugenden und nicht krebserzeugenden, promovierenden Arbeitsstoffen zu erwarten. Dies gilt insbesondere bei Einflüssen auf
  • die Zellproliferation und Mitogenese,
  • die Toxikokinetik eines Kanzerogens,
  • die DNA-Reparaturprozesse,
  • die interzelluläre Kommunikation,
  • die Immunabwehr und
  • die hormonale Steuerung der Zielgewebe.
Bei kombinierten Einwirkungen partikelförmiger oder chemischer gentoxischer Kanzerogene gilt das „Multi hit“- und „Multi stage“-Prinzip der Kanzerogenese.
Hiernach erfolgt der DNA-reaktive, gentoxische Angriff nicht nur in der Eingangsstufe der Krebsinduktion (Initiation), sondern auch auf jeder der folgenden Stufen, das heißt der Promotion und Progression – bis hin zur metastasierenden Endmanifestation des malignen Tumors (Hanahan und Weinberg 2000). Initiations- und Progressionsphase gelten als irreversible Prozesse. Dagegen beobachtet man bei der Promotionsphase auch reversible Phänomene, und zwar in strenger Dosisabhängigkeit: Je geringer die Dosis und je begrenzter die zeitliche Einwirkung sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass nach Ende der Einwirkung eine Wiederherstellung des Ausgangszustands (Reversibilität) eintritt (Henschler 2000). Ob promovierende Faktoren immer auch als potenziell komplette Kanzerogene anzusehen sind, ist umstritten. Wesentlich erscheint ihre Berücksichtigung im Rahmen der Krebsverursachung durch kombinierte Einwirkungen aber auch dann, wenn eigenständige, primär DNA-reaktive, krebserzeugende Wirkungen nicht gesichert sind.

Sozialrechtliche Vorgaben zur Berücksichtigung der Synkanzerogenese durch die anzeigende Ärzteschaft

In der amtlichen Begründung zur zweiten BKV-Änderungsverordnung vom 11. Juni 2009 (BGBl. I, S. 1254) werden 2 gentoxische Arbeitsstoffe besonders herausgehoben. Es handelt sich um die neue BK-Nr. 4114 „Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht“. Damit wurde nicht nur der synkanzerogene Additionseffekt zweier primär gentoxischer Humankanzerogene, sondern auch das grundlegende Prinzip der Synkanzerogenese DNA-reaktiver Humankanzerogene erstmals in Deutschland im Bundesgesetzblatt verbindlich anerkannt.
Diese Sonderbehandlung speziell der beiden gentoxischen Arbeitsstoffe Asbest und PAK hat folgenden Grund: Aus sozialrechtlicher Sicht war sie für diejenige Gruppe von Patienten mit Lungenkrebs erforderlich, die zwar gegenüber beiden Humankanzerogenen synkanzerogen exponiert waren, ohne dass aber jeweils die kumulative Asbestfaserstaubdosis von 25 Faserjahren gemäß der dritten Alternative der Nr. 4104 BKV oder die kumulative Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren gemäß der Nr. 4113 BKV erreicht waren BMAS (2009).
Für die weiteren, gesichert gentoxischen, insbesondere Lungenkrebs-erzeugenden Humankanzerogene wurde sozialrechtlich auf die analog heranzuziehenden, höchstrichterlichen Vorgaben im Rahmen der hier anzuwendenden Rechtstheorie der wesentlich mitursächlichen Bedingung verwiesen. So ist es beispielsweise nach dem Stand der Rechtsprechung des BSG im Falle der arbeitsbedingten Einwirkung verschiedener Lungenfibrose-erzeugender BK-Listenstoffe ausreichend, dass die verschiedenen Noxen jedenfalls im Zusammenwirken den Körperschaden wesentlich mitursächlich hervorgerufen haben (BSG 1990). Eine derartige wesentliche Mitursächlichkeit der verschiedenen synkanzerogenen Noxen ist nach Keller (2006) sozialrechtlich daher auch für Krebserkrankungen, und somit für den Lungenkrebs, in Betracht zu ziehen. Bei diesen Fallkonstellationen sind die betreffenden Nummern der Berufskrankheiten-Liste dann gegebenenfalls nebeneinander erfüllt (Keller 2006).
Diejenige BK-Nr. sei vorrangig, die der am intensivsten einwirkenden Substanz entspricht. Lässt sich solch eine Wertigkeit nicht feststellen, ist nach den Regeln der sog. Wahlfeststellung vorzugehen, das heißt, bei der Feststellung der Berufskrankheit kann offenbleiben, welche von der in Betracht kommenden Nummer der Liste einschlägig ist. Dies gilt zum Beispiel für die synkanzerogene Einwirkung von Chromaten und Nickelverbindungen beim Schweißen hochlegierter Stähle. In solchen Fallkonstellationen werden die synergistisch zusammenwirkenden Noxen sozialrechtlich letztlich als Einwirkungseinheit betrachtet und gewertet (Koch 2002).
Zu beachten ist, dass nach Koch bezüglich der Ermittlung der Gruppentypik im Rahmen des § 9 Abs. 2 SGB VII keine wissenschaftsdogmatische Begrenzung auf die Epidemiologie besteht. Ist epidemiologische Evidenz methodenbedingt – wie hier bei der Synkanzerogenese – nicht oder nicht in vertretbarer Zeit hinreichend erzielbar, muss auf der Grundlage der gesamten verfügbaren wissenschaftlichen Forschungsergebnisse oder praktischer Erfahrungen entschieden werden (Koch in Lauterbach UV-SGB VII, § 9, Rn. 262 ff.).
Diese nunmehr auch BK-rechtlich gewürdigten grundlegenden Aussagen stützen sich nicht zuletzt auch auf eine beachtliche Anzahl tierexperimenteller Daten. Paradigmatisch für die arbeitsmedizinische Zusammenhangsbegutachtung ist derzeit die vorgenannte Synkanzerogenese durch Asbestfaserstaub und Abgase mit einem hohen Gehalt an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, die tierexperimentell eindrucksvoll nachgewiesen wurde (Heinrich et al. 1986; Yoshimara und Takemoto 1991). Aus weiteren Experimentalbefunden sowie aus dem Kenntnisstand der Pathomechanismen bei der kombinierten Einwirkung gentoxischer Kanzerogene auf dasselbe Zielgewebe lässt sich ableiten, dass es zu einer mindestens additiv synergistischen Synkanzerogenese kommt (Henschler 2000).
Neben den tierexperimentell gewonnenen Erkenntnissen existieren das Prinzip der Synkanzerogenese erkenntnistheoretisch bestätigende epidemiologische Feststellungen für folgende arbeitsbedingte und nicht arbeitsbedingte Konstellationen (Popp und Norpoth 1996; Woitowitz 2002). Sie sind berufskrankheitenrechtlich gegebenenfalls im Rahmen der Rechtstheorie der wesentlich mitwirkenden Bedingung als konkurrierend zu gewichten:
  • Krebs des oberen Aerodigestivtrakts nach chronischem Alkohol- und Zigarettenabusus*
  • Ösophaguskrebs nach chronischem Alkohol- und Zigarettenabusus*
  • Ösophaguskrebs nach chronischem Zigarettenabusus* und Exposition gegenüber N-Nitrosoverbindungen
  • Lungenkrebs nach Exposition gegenüber Asbestfaserstäuben und chronischem Zigarettenabusus*
  • Lungenkrebs nach Exposition gegenüber Radon (Uranbergarbeiter) und chronischem Zigarettenabusus*
  • Krebs der ableitenden Harnwege nach Exposition gegenüber Arylaminen und chronischem Zigarettenabusus*
* Bei chronischem Zigarettenabusus wird ca. 90 % der kanzerogenen Wirkung auf PAK zurückgeführt.

Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung: Liste der Berufskrankheiten, Stand August 2021, mit Kennzeichnung (x) der Berufskrankheiten, in deren Rahmen Krebserkrankungen anerkannt werden können

Nr.
Krankheiten
1
Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten
11
Metalle und Metalloide
x 1103
Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen
x 1104
Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen
1105
Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen
1106
Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen
1107
Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen
x 1108
Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen
1109
Erkrankungen durch Phosphor und seine anorganischen Verbindungen
x 1110
Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen
12
Erstickungsgase
1201
Erkrankungen durch Kohlenmonoxid
1202
Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff
13
Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe
x 1301
Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine
x 1302
Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe
x 1303
Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol
x 1304
Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge
1305
Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff
1306
Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol)
x 1307
Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen
1308
Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen
1309
Erkrankungen durch Salpetersäureester
x 1310
Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide
x 1311
Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide
1312
Erkrankungen der Zähne durch Säuren
1313
Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon
1314
Erkrankungen durch para-tertiär-Butylphenol
1315
Erkrankungen durch Isocyanate
1316
Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid
1317
Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische
x 1318
Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol
x 1319
Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen
x 1320
Chronisch-myeloische oder chronisch-lymphatische Leukämie durch 1,3-Butadien bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 180 Butadien- Jahren (ppm x Jahre)
x1321
Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren ([μg/m3) x Jahre)
 
Zu den Nummern 1101, 1110, 1201, 1202, 1303-1309 und 1315: Ausgenommen sind Hauterkrankungen. Diese gelten als Krankheiten im Sinne dieser Anlage nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper verursacht werden oder gemäß Nr. 5101 zu entschädigen sind
2
Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten
21
Mechanische Einwirkungen
2101
Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen oder Muskelansätze
2102
Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten
2103
Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen
2104
Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen
2105
Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck
2106
Drucklähmungen der Nerven
2107
Abrissbrüche der Wirbelfortsätze
2108
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung*
2109
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter*
2110
Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen*
2111
Erhöhte Zahnabrasionen durch mehrjährige quarzstaubbelastende Tätigkeit
2112
Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und eines Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht
2113
Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel (Carpaltunnel-Syndrom) durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke, durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen
2114
Gefäßschädigung der Hand durch stoßartige Krafteinwirkung (Hypothenar-Hammer-Syndrom und Thenar-Hammer-Syndrom)
2115
Fokale Dystonie als Erkrankung des zentralen Nervensystems bei Instrumentalmusikern durch feinmotorische Tätigkeit hohe Intensität
2116
Koxarthrose durch Lastenhandhabung mit einer kumulativen Dosis von mindestens 9500 Tonnen während des Arbeitslebens gehandhabten Lasten mit einem Lastengewicht von mindestens 20 kg, die mindesten zehnmal pro Tag gehandhabt wurden
22
Druckluft
2201
Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft
23
Lärm
2301
Lärmschwerhörigkeit
24
Strahlen
2401
Grauer Star durch Wärmestrahlung
x 2402
3
Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten
x 3101
Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war
3102
Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten
3103
Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis
3104
Tropenkrankheiten, Fleckfieber
4
Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells
41
Erkrankungen durch anorganische Stäube
4101
4102
Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Silikotuberkulose)
4103
Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura
x 4104
Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25x106 [Fasern/m3 x Jahren])
x 4105
Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells und des Perikards
4106
Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen
4107
Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung und Verarbeitung von Hartmetallen
4108
Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat)
x 4109
Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen
x 4110
Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase
4111
Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren ([mg/m3] x Jahre)
x4112
Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Silikotuberkulose)
x 4113
Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren ([μg/m3) x Jahre]
x 4114
Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischem Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens 50 % nach der Anlage 2 entspricht
4115
Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen (Siderofibrose)
x 4116
Lungenkrebs nach langjähriger und intensiver Passivrauchexposition am Arbeitsplatz bei Versicherten, die selbst nie oder maximal bis zu 400 Zigarettenäquivalente aktiv geraucht haben
42
Erkrankungen durch organische Stäube
4201
4202
Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose)
x 4203
Adenokarzinome der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen durch Stäube von Eichen- oder Buchenholz
43
Obstruktive Atemwegserkrankungen
4301
4302
5
Hautkrankheiten
x 5101
Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen
x 5102
Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthracen, Pech oder ähnliche Stoffe
x 5103
Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung
6
Krankheiten sonstiger Ursache
6101
Augenzittern der Bergleute
* die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionsstörungen geführt haben
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