Zu bedenken ist bei den WHO-Empfehlungen insbesondere, dass sie eine Art Weltgültigkeit aufweisen müssen. Im Hinblick auf einen Therapieerfolg müssen insofern auch mit einfachen Mitteln gemäß der jeweiligen Verfügbarkeit von Medikamenten möglichst große Erfolge in der Behandlung erzielt werden können. So kann die grundsätzliche Empfehlung für die ganze Welt, zuerst mit eher gut verfügbaren Nichtopioidanalgetika zu behandeln, im Durchschnitt mehr Erfolgsaussichten haben als ein primär mechanismenorientierter Ansatz.
In Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz, in denen die Nichtverfügbarkeit der Medikation eine eher untergeordnete Rolle spielt, können die WHO-Empfehlungen jedoch einer bestmöglichen Therapie in einzelnen Situationen sogar im Wege stehen. In Gebieten mit sehr guter Medikamentenverfügbarkeit sollte eine an den diagnostizierten (oder wenigstens vermuteten) Mechanismen der jeweiligen
Schmerzen ausgerichtete Therapie dem WHO-Stufenplan vorgezogen werden. So kann beispielsweise ein
neuropathischer Schmerz zunächst ausschließlich mit
Koanalgetika behandelt werden, ohne dass ein systemisches Schmerzmittel eingesetzt wird. Dies kann durchaus einen besseren Erfolg bei weniger unerwünschten Wirkungen bedeuten. Die jeweils folgerichtigen Therapieansätze für die verschiedenen Mechanismen der Schmerzursache werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels beschrieben.
Applikationsweg
Der orale Applikationsweg ist einfach und unkompliziert und belastet den Patienten am wenigsten. Mit der Vielzahl der verfügbaren Präparate und Applikationsformen ist eine orale Zufuhr oder eine Applikation über eine Ernährungssonde auch bei Patienten mit Schluckstörungen und Passagebehinderungen möglich. Die subkutane oder parenterale Zufuhr führt zu einem schnelleren Anstieg der Plasmakonzentration, dies bringt bei einer Dauertherapie aber keinen Vorteil. Die Effektivität oder die Nebenwirkungsrate wird durch den Wechsel auf die parenterale Zufuhr nicht verbessert.
Wenn Patienten Morphin nicht oral zu sich nehmen können, ist der bevorzugte Applikationsweg der subkutane Zugang oder ein Pflaster mit einem transdermal freisetzenden Wirkstoff. Eine intramuskuläre Zufuhr ist für den Patienten unangenehm und deshalb in der Tumorschmerztherapie obsolet.
Vorteil der subkutanen Injektion ist zum einen, dass die benötigten Nadeln dünner sind und die Gefahr von Nervenschäden geringer ist, sodass die Wahl der Injektionsstelle nicht so wichtig ist. Ein zweiter Vorteil ist die bessere Sichtbarkeit der Venen, sodass die Gefahr einer versehentlichen intravenösen Injektion geringer ist. Die Absorption ist ähnlich, Spitzenplasmakonzentrationen werden nach 15–30 min erreicht, mit einem schnelleren Anfluten der Wirkung im Vergleich zur oralen Applikation.
Während Schmerzspitzen bei den meisten Patienten mit einer oralen Zusatzmedikation gut durchbrochen werden können, treten bei einigen Patienten Schmerzattacken so schnell und kurz auf, dass die Wirkung der oralen Zusatzmedikation erst einsetzt, wenn die Schmerzattacke schon wieder vorbei ist. Hier kann beispielsweise Fentanyl auch als rasch wirksames,
transmukosal appliziertes Opioid hilfreich sein. Fentanyl steht in Zubereitungen für eine bukkale, sublinguale und auch nasale Anwendung zur Verfügung. Alternativ kann die subkutane Applikation oder sogar die intravenöse Gabe über eine patientenkontrollierte Pumpe mit Bolusfunktion sinnvoll sein, um ein schnelles Anfluten von beispielsweise Morphin oder
Hydromorphon zu ermöglichen.
Das durchschnittliche Verhältnis der relativen Potenz von oral appliziertem zu subkutanem Morphin liegt zwischen 1 : 2 und 1 : 3 (d. h. 20–30 mg Morphin oral entspricht 10 mg subkutan).
Nach parenteraler Applikation umgehen die verabreichten Medikamente die präsystemische Metabolisierung in der Leber („first-pass effect“). Die relative Wirkstärke von parenteralem Morphin im Verhältnis zur oralen Dosis wird kontrovers diskutiert. Anscheinend bestehen nicht nur interindividuelle Variationen, sondern zusätzliche Schwankungen in Abhängigkeit von den Umständen, unter denen Morphin eingesetzt wurde. Bei der Umrechnung von oraler auf subkutane Applikation sollte 1/3 der Dosierung gewählt werden, um eine grob äquianalgetische Wirkung zu erreichen, jedoch können Dosisanpassungen nach unten oder oben erforderlich sein.
Die
intravenöse Infusion kann bei Patienten bevorzugt werden, die bereits einen intravenösen Zugang haben, Patienten mit generalisierten
Ödemen, Patienten, die unter der subkutanen Infusion Erytheme, Hautläsionen oder sterile
Abszesse entwickeln, Patienten mit Störungen der Blutgerinnung und Patienten mit peripheren Durchblutungsstörungen. Die relativen Wirkstärken bei intravenöser und subkutaner Applikation sind gleich. Bei der Umstellung von oraler Gabe auf intravenös appliziertes Morphin sollte 1/3 der Dosis verabreicht werden.
Alternative
Opioide, insbesondere
Hydromorphon, können für die parenterale Anwendung bevorzugt werden, da aufgrund der höheren Lösbarkeit gegenüber Morphin geringere Injektionsvolumina erforderlich sind.
Transdermal appliziertes Fentanyl oder
Buprenorphin kann eine nützliche nichtinvasive Alternative für Patienten mit stabilem Opioidbedarf sein.
Die
rektale Applikation kann von manchen Patienten bevorzugt werden. Die
Bioverfügbarkeit und die Wirkdauer entsprechen der oralen Applikation, die Dosierung bei oraler und rektaler Gabe ist äquianalgetisch.
Applikationszeiten
Tumorschmerzen sind in der Regel Dauerschmerzen und erfordern eine
Dauermedikation . Die Applikationszeiten sollten der Wirkdauer der
Analgetika angepasst werden. Nichtretardierte Morphinpräparate wie auch
Metamizol müssen deshalb alle 4 h verabreicht werden, retardierte Präparate können alle 8–12 h gegeben werden. Wenn die
Schmerzen immer wieder auftreten, bevor die nächste Dosis fällig ist, sollte die Dosis der Dauermedikation erhöht werden. Für Morphin sind mehrere Applikationsformen mit retardierter Freisetzung verfügbar, wobei keine Hinweise dafür vorliegen, dass die verschiedenen Applikationsformen für die 12-stündliche Anwendung (Tabletten, Kapseln oder Lösung) in ihrer Wirkdauer oder ihrer relativen analgetischen Potenz wesentliche Unterschiede aufweisen. Das Gleiche gilt für die 24-stündliche Anwendung, obwohl hierzu weniger Daten vorliegen.
Mehr als die Hälfte der Tumorschmerzpatienten benötigt neben der Dauermedikation eine Bedarfsmedikation zur Behandlung von Schmerzattacken. Diese Bedarfsmedikation, in der Regel ein nichtretardiertes Morphinpräparat, kann auch zur Dosisfindung bei der Einstellung der Therapie genutzt werden. Die Bedarfsmedikation soll möglichst eine schnell wirksame Form des gleichen Opioids sein, das auch für die Dauertherapie eingesetzt wird, wenn eine solche Form zur Verfügung steht: also z. B. nichtretardierte Morphinlösung oder Tabletten bei einer Dauermedikation mit retardierten Morphintabletten oder Fentanyl in verschiedenen transmukosalen Applikationsformen bei einer Dauertherapie mit transdermalem Fentanyl.
Allerdings ist bekannt, dass bei 2 von 3 Patienten Schmerzattacken nach bereits 30 min auch spontan wieder abgeklungen sind (Gómez-Batiste et al.
2002). Bei diesen 2/3 der Patienten sind die meisten nichtretardierten
Opioide mit einem Wirkeintritt nach ungefähr 30 min nach oraler Gabe schlichtweg zu langsam. Daher ist in Zukunft zu überlegen, ob nicht für die Behandlung von spontanen Durchbruchschmerzen eher rasch freisetzendes Fentanyl in unterschiedlicher, nichtinvasiver Applikationsform bei einer bestehenden kontinuierlichen Opioidtherapie empfohlen werden sollte, auch wenn das Basisopioid nicht Fentanyl ist. Bei einem solchen Vorgehen ist allerdings die Indikation sehr genau und kritisch zu stellen, da ein nicht unerhebliches Missbrauchspotenzial insbesondere bei Tumorpatienten besteht, die als geheilt gelten und eine längerfristige Lebenserwartung haben.
Die Dosis der Bedarfsmedikation richtet sich nach der Dauermedikation und muss bei Erhöhung der Dauermedikationsdosis entsprechend angepasst werden. Als Richtwert gilt 1/6 der Tagesdosis der Dauermedikation. Bei einer täglichen Dauertherapie mit 180 mg retardiertem Morphin oral kann also eine Bedarfsmedikation von 30 mg nichtretardierter Morphinlösung oral oder 10 mg subkutan appliziertes Morphin (1/3 der oralen Dosis) sinnvoll sein. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht durch Untersuchungen belegt. Die effektive und verträgliche Bedarfsdosis beim einzelnen Patienten kann von diesem Richtwert nach oben oder unten abweichen.
Insbesondere für die unterschiedlichen Applikationsformen von Fentanyl wird deshalb eine individuelle
Titration der benötigten Dosis für die Bedarfsmedikation empfohlen.
Analgetika
Die Auswahl der
Analgetika erfolgt nach dem analgetischen Stufenplan der WHO (Tab.
1). Die Bezeichnungen „niederpotente“ und „hochpotente“
Opioide für die WHO-Stufen 2 und 3 ist weit verbreitet, obwohl diese Begriffe aus pharmakologischer Sicht nicht sinnvoll sind. Eine Monotherapie mit Opioiden ist bei vielen
Schmerzsyndromen nicht ausreichend effektiv. Die Kombination von Opioiden mit Nichtopioiden auf den Stufen 2 und 3 führt zu einer deutlichen Verbesserung der Effektivität. Auf allen Stufen können die Analgetika mit
Koanalgetika oder adjuvanten Medikamenten zur Behandlung von Nebenwirkungen und anderen Symptomen des Tumors kombiniert werden.
Tab. 1
Analgetischer WHO-Stufenplan zur Tumorschmerztherapie
3 | Opioide für mittlere bis starke Schmerzen ± Nichtopioide |
2 | Opioide für mäßige bis mittlere Schmerzen ± Nichtopioide |
1 | Nichtopioidanalgetika |
Der WHO-Stufenplan soll nicht als starres Schema angewendet werden, das von unten nach oben durchlaufen werden muss.
Bei mittleren oder starken
Schmerzen kann die analgetische Behandlung auf Stufe 2 oder 3 begonnen werden. In einer großen Fallserie mit mehr als 2000 Patienten durchliefen nur 10 % der Patienten alle 3 Stufen.
Nichtopioidanalgetika (Antipyretika, Antiphlogistika)
Bei leichten
Schmerzen sind Nichtopioidanalgetika wie
Metamizol,
Paracetamol oder
nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) effektiv. In einer älteren
Metaanalyse waren NSAIDs signifikant wirksamer als Placebo und genauso wirksam wie
Opioide der Stufe 2. Bei Knochen- oder Weichteilschmerzen sind NSAIDs wegen der meist entzündungsbedingten Schmerzen besonders wirksam.
Diclofenac (bis 150 mg/d) oder
Ibuprofen (bis 1800 mg/d) können mit gutem Effekt eingesetzt werden. Mit zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustandes sind die Patienten anfälliger für die Nebenwirkungen der NSAIDs. Wassereinlagerungen in den Beinen können bei der Mobilisation von bettlägerigen Patienten stören, gastrointestinale Beschwerden bei Patienten mit Kachexie und Appetitmangel besonderes unangenehm empfunden werden. Insbesondere bei sich verschlechternder Nierenfunktion sollen NSAIDs und Paracetamol wegen der Gefahr eines akuten
Nierenversagens nicht angewendet werden. Metamizol soll in dieser Situation mit Vorsicht und ggf. verringerter Dosis eingesetzt werden.
COX-2-selektive NSAIDs wie Celecoxib (2 × 100–200 mg/d) oder auch Etoricoxib (60–90 mg/d) verursachen weniger gastrointestinale Nebenwirkungen. Eine gastroprotektive Begleitmedikation, z. B. mit Omeprazol, ist nicht bei allen Patienten erforderlich. Insbesondere bei Risikopatienten, wenn beispielsweise gleichzeitig eine Corticoidtherapie durchgeführt wird, ist eine solche prophylaktische Gabe von Gastroprotektiva meist notwendig. Das Risiko von Nierenfunktionsstörungen ist bei exsikkierten Tumorpatienten sowohl nach Gabe von COX-2-selektiven als auch von nichtselektiven NSAIDs höher; die Nierenfunktion sollte daher durch regelmäßige Laborkontrollen überprüft werden.
Bei viszeralen
Schmerzen ist
Metamizol mit Dosierungen von 3000–6000 mg aufgrund der spasmolytischen Eigenschaften vorteilhaft, da häufig eine Affektion der glatten Darmmuskulatur mit dem Geschehen einhergeht. Die Applikation muss alle 4–6 h erfolgen, da keine retardierte Form verfügbar ist.
Der Einsatz von
Paracetamol ist auf Kinder mit Tumorschmerzen beschränkt, bei Erwachsenen ist die analgetische Wirksamkeit nicht ausreichend und die Tageshöchstmenge deutlich begrenzt.
Opioide der WHO-Stufe 2
Bei leichten bis mittleren
Schmerzen oder wenn die
Analgetika der Stufe 1 nicht ausreichend effektiv sind, können
Opioide der Stufe 2 wirksam sein. In Deutschland werden in erster Linie Dihydrocodein,
Tramadol und
Tilidin/Naloxon eingesetzt. Die Gabe von Dihydrocodein wird mit Dosierungen von 120 mg/d begonnen und kann bis 360 mg/d gesteigert werden. Es wird bei Tumorschmerzen aufgrund der oft ausgeprägten
Obstipation jedoch nur noch selten eingesetzt. Tramadol und Tilidin werden in Tagesdosierungen von 200–600 mg bei oraler Applikation eingesetzt; für beide Opioide sind retardierte und unretardierte Formen im Handel. Tramadol kann in Dosierungen bis 400 mg/d auch intravenös verabreicht werden. Für Tramadol ist neben der Opioidwirkung eine Hemmung der Wiederaufnahme von Noradrenalin und
Serotonin nachgewiesen. Dies bewirkt eine Aktivierung von aus dem Hirnstamm absteigenden Schmerzhemmsystemen. Möglicherweise ist dies vorteilhaft bei Patienten mit neuropathischen Tumorschmerzen. Allerdings wird bei Tramadol, v. a. bei Gaben in Tropfenform, häufig Übelkeit und Erbrechen als Nebenwirkung berichtet. Der Wechsel auf eine andere Applikationsform, z. B. retardierte Tabletten, kann diese Nebenwirkungen oft beseitigen.
Alle hier genannten
Opioide der WHO-Stufe 2 werden erst in der Leber zu den jeweils aktiven Hauptwirkmetaboliten aktiviert, sodass eine weitgehend erhaltene Leberfunktion Voraussetzung für eine gute Wirksamkeit ist.
Außerdem kann die Aktivierung in der Leber durch verschiedene andere und gleichzeitig eingenommene Medikamente gehemmt werden, was zu einer verringerten Schmerzlinderung führen kann.
Opioide der WHO-Stufe 3
Opioide der Stufe 3 sollten spätestens dann bei Tumorschmerzen eingesetzt werden, wenn die bisher genannten
Analgetika keine ausreichende Schmerzlinderung erzielen konnten. Auch auf der WHO-Stufe 3 kann das eingesetzte Opioid – in Abhängigkeit von den vermuteten Mechanismen – mit einem Nichtopioid und einem Koanalgetikum und auch Adjuvanzien kombiniert werden. Nach einer aktuellen Übersicht der EAPC (European Association for Palliative Care) von 2012 werden hier Morphin,
Hydromorphon und
Oxycodon gemeinsam als Opioide der ersten Wahl empfohlen. Weitere Substanzen sind Levomethadon, Tapentadol und transdermal appliziertes Fentanyl oder
Buprenorphin.
Morphin ist in vielen verschiedenen Applikationsformen und für viele Applikationswege verfügbar. Es ist das am längsten eingesetzte Opioid, mit dem die meisten klinischen Erfahrungen gesammelt wurden. Morphin kann deshalb als
Goldstandard in der Tumorschmerztherapie angesehen werden. Die Behandlung sollte mit 30–60 mg Tagesdosis begonnen und nach Bedarf gesteigert werden. Es gibt keine Obergrenze, wenn auch die Dosierung aus praktischen Gründen meist 600 mg als Tagesdosis nicht überschreitet.
Oxycodon und
Hydromorphon wurden erst vor wenigen Jahren als retardierte Applikationsformen eingeführt. Die Unterschiede zum Morphin sind in der klinischen Praxis eher gering, wenn auch für einzelne Patienten Vorteile von einer der Substanzen zu erwarten sind. So kann die geringe Plasmaeiweißbindung des Hydromorphon z. B. bei Patienten unter einer Chemotherapie das Risiko von
Arzneimittelinteraktionen verringern. Im Endstadium einer Tumorerkrankung ist der Plasmaeiweißspiegel oft sehr niedrig. Bei Hydromorphon wird dies die Wirkung und Nebenwirkungen weniger beeinflussen als bei
Opioiden mit einer höheren Plasmaeiweißbindung. Hydromorphon ist ca. 7,5-mal stärker analgetisch wirksam als Morphin. Die Behandlung wird mit 8 mg als Tagesdosis begonnen. Wie bei Morphin bestehen keine Obergrenzen, sodass Dosierungen von 200 mg oder mehr erreicht werden können.
Der Hinweis auf die geringere Inzidenz zentralnervöser Nebenwirkungen unter
Oxycodon im Vergleich zu anderen
Opioiden kann unserer klinischen Erfahrung nach bei Tumorpatienten nicht bestätigt werden. Die Evidenz klinischer Studien ist hierzu nicht eindeutig. Oxycodon ist analgetisch ca. 2-mal effektiver als Morphin. Als Anfangstagesdosis werden 20 mg gewählt und bei Ineffektivität gesteigert.
Für Patienten mit Schluckstörungen, z. B. aufgrund eines Passagehindernisses bei gastrointestinalen Tumoren oder aufgrund von therapieresistentem Erbrechen, stellt die sublinguale Therapie mit Fentanyl oder
Buprenorphin oder die transdermale Therapie mit Fentanyl oder Buprenorphin eine nichtinvasive parenterale Alternative dar. Das Opioid diffundiert aus dem Pflastersystem in die oberste Hautschicht und bildet dort ein Depot. Aus diesem Depot erfolgt die langsame systemische Resorption. Das intrakutane Depot führt zu gleichmäßigen Wirkstoffspiegeln über die Applikationszeit von 2–3 Tagen, bedingt aber auch eine eingeschränkte Steuerbarkeit des Systems, da sich Dosisänderungen erst nach 12–24 h auswirken.
Das Fentanylpflaster ist in mindestens 7 Wirkstärken erhältlich. Die Pflasterstärken entsprechen Tagesdosierungen von 0,3–3,6 mg (12–150 μg/h). Bei opioidnaiven Patienten kann die Behandlung mit dem kleinsten Pflastersystem begonnen werden, bei Patienten mit höher dosierter Opioidvorbehandlung wird die Tagesdosis mit dem Verhältnis von 100 : 1 (Morphin oral: Fentanyl transdermal) umgerechnet. Mehrere Pflastersysteme können kombiniert werden, mehr als 6 Pflaster sind allerdings kaum praktikabel.
Als Bedarfsmedikation für die transdermale Fentanyltherapie ist Fentanyl als oral applizierbare Schmelztablette oder Nasenspray verfügbar. Die Fentanyl-Schmelztablette wird als bukkale oder sublingual applizierte Tablette im Mund gehalten, über die Schleimhaut wird Fentanyl schnell in die systemische Zirkulation aufgenommen. Vergleichbar schnell wird Fentanyl nach einem Sprühstoß (ca. 50–200 μg pro Hub) von der Nasenschleimhaut resorbiert. Innerhalb von 10–20 min wird so eine ausreichende Analgesie erreicht. Diesen neuen Applikationsformen ist ebenfalls gemeinsam, dass ihre Wirkdauer in der Regel eine Stunde nicht überschreitet. So kommen diese Medikamente dem Anforderungsprofil einer möglichst schnellen, aber nicht zu lange anhaltenden Wirkung sehr nahe.
Das Buprenorphinpflaster ist in mehreren Stärken mit 5–70 μg/h erhältlich. Bei opioidnaiven Patienten mit starken
Schmerzen soll die Behandlung mit kleiner Pflasterstärke begonnen werden, evtl. kann das Matrixpflaster auch geteilt werden. Mehrere Pflastersysteme können kombiniert werden, allerdings ist die Anbringung von mehr als 3–4 Pflastern aufwendig und benötigt größere Hautflächen.
Buprenorphin ist ein partieller μ-Agonist mit hoher
Affinität zum Opioidrezeptor.
Der partielle Agonismus wurde im Tierversuch mit einem
Ceiling-Effekt in Verbindung gebracht. Ein Ceiling-Effekt ist erst bei hohen Dosierungen zu erwarten. Ob dies in der klinischen Praxis von Bedeutung sein kann, ist unklar. Die hohe Plasmaeiweißbindung über 90 % kann bei Tumorpatienten zu vermehrten Interaktionen mit anderen Medikamenten führen und zu Veränderungen der
Pharmakokinetik mit dem Fortschreiten der Erkrankung, wenn die Plasmaeiweißspiegel absinken. Sublinguale Buprenorphintabletten stehen als Bedarfsmedikation für die transdermale Buprenorphintherapie zur Verfügung.
Levomethadon wirkt an den μ-Opioidrezeptoren, aber auch über die δ-Opioidrezeptoren und als Antagonist am NMDA-Rezeptor. Diese Mechanismen bieten eine Erklärung für die Wirksamkeit von Levomethadon bei Patienten, die mit anderen
Opioiden keine ausreichende Wirkung oder intolerable Nebenwirkungen erfuhren. Die lange und variable Elimination mit einer
Halbwertszeit zwischen 13 und 100 h, die bei vielen Patienten nach einiger Zeit zu einer
Kumulation führt, und das Fehlen von sicheren Umrechnungsfaktoren lassen Levomethadon jedoch eher für die Therapie beim Spezialisten geeignet erscheinen. Für die Umstellung von einem anderen Opioid auf Levomethadon ist oft eine erneute Dosistitration erforderlich und in den ersten Tagen nach der Umstellung eine engmaschige Kontrolle.
Als neues Opioid der WHO-Stufe 3 verfügt Tapentadol über einen dualen Mechanismus und wirkt zum einen als μ-Agonist mit 2,5-fach geringerer
Affinität als Morphin am μ-Rezeptor, zum anderen zusätzlich auch als Noradenalin-Wiederaufnahmehemmer.
Häufige
Nebenwirkungen der Opioide sind Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen,
Verwirrtheit und
Obstipation. Zunehmend werden auch neurotoxische Nebenwirkungen wie Alpträume,
Halluzinationen, Myoklonien oder Hyperalgesien beschrieben. Bei den Therapiekontrollen sollten diese Nebenwirkungen kontrolliert und, falls notwendig, mit adjuvanten Medikamenten behandelt werden. Während Übelkeit und Müdigkeit meist nur in der Einstellungsphase und nach Dosiserhöhungen behandelt werden müssen, sollte die prophylaktische Therapie der Obstipation mit Laxanzien für die gesamte Dauer der Opioidtherapie fortgesetzt werden.
Opioidrotation
Bei den meisten Patienten sind mit fortschreitendem Tumorwachstum und zunehmenden
Schmerzen Dosissteigerungen der
Opioide erforderlich. Obergrenzen sind für die Opioide der Stufe 3 nicht bekannt, außer für
Buprenorphin. Das Auftreten von Nebenwirkungen kann jedoch weitere Dosissteigerungen verhindern. Durch den Wechsel auf ein anderes Opioid können die Nebenwirkungen reduziert und die Schmerzlinderung verbessert werden. Die Richtung des Wechsels – also von welchem Opioid auf welches neue Opioid gewechselt wird – scheint dabei von geringer Bedeutung zu sein. So wurde in einer Studie eine Verbesserung der Effektivität und Verträglichkeit nach dem Wechsel von Morphin auf
Hydromorphon ebenso wie von Hydromorphon auf Morphin beschrieben.
Die Dosierungen des neuen Opioids können oft deutlich unter den mit Hilfe der Umrechnungsfaktoren berechneten Dosierungen bleiben. Die Dosis des neuen Opioids wird deshalb nach den äquianalgetischen Umrechnungsfaktoren berechnet, diese berechnete Dosis sollte dann aber um 25–50 % reduziert werden. Diese Reduktion im Rahmen eines Opioidwechsels ist sinnvoll, da sich gegenüber dem zuerst eingesetzten Opioid eine gewisse
Toleranz entwickelt haben kann, die jedoch nicht gegenüber dem jetzt neu eindosierten Opioid bestehen muss (fehlende Kreuztoleranz). Alternativ kann eine Titrationsphase mit dem neuen Opioid zwischengeschaltet werden.
Die Opioidrotation ist als therapeutisches Konzept mittlerweile anerkannt. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass der Opioidwechsel nur eine Option zur Verbesserung der Effektivität und Verträglichkeit der analgetischen Therapie ist. Der Wechsel des Applikationswegs kann ebenso genutzt werden, um Nebenwirkungen zu reduzieren und die Analgesie zu verbessern. Möglich ist auch die Fortsetzung der Therapie mit intensiver adjuvanter Behandlung der Nebenwirkungen.
Vor allem ist beim Auftreten von Nebenwirkungen stets zu überprüfen, ob diese Symptome nur durch die Steigerung der Opioidmedikation ausgelöst worden sind oder ob eine ursächliche Behandlung möglich ist.
So kann die Senkung eines erhöhten Serumcalciumwertes durch Gabe von Bisphosphonaten Übelkeit und
Verwirrtheit reduzieren, ohne dass die Opioiddosis verändert werden muss.
Koanalgetika
Bei bestimmten Indikationen können zusätzlich zu den
Analgetika des WHO-Stufenplans andere Medikamente eingesetzt werden. Zu diesen
Koanalgetika gehören einige
Antidepressiva und Antikonvulsiva sowie Bisphosphonate, Steroide und
Muskelrelaxanzien. Antidepressiva aktivieren deszendierende Nervenbahnen, die die Schmerzleitung auf Rückenmarkebene hemmen; Antikonvulsiva stabilisieren die Zellmembranen der Nervenzellen. Beide Medikamentengruppen können deshalb bei Tumorschmerzen mit neuropathischen Komponenten sinnvoll sein. Antidepressiva werden bei brennenden Dauerschmerzen und schmerzhaften Parästhesien bevorzugt, während Antikonvulsiva v. a. bei einschießenden, elektrisierenden
Schmerzen eingesetzt werden.
Bisphosphonate hemmen die Aktivität der
Osteoklasten. Bei Patienten mit osteolytischen Metastasen wird das Wachstum dieser Metastasen gehemmt und so eine Schmerzreduktion erreicht. Eine direkte analgetische Wirkung der Bisphosphonate wird diskutiert. Es handelt sich dabei jedoch um einen Off-label-Use dieser sehr teuren Medikamente, der überdies mit dem Risiko der aseptischen Knochennekrose im Kieferbereich belastet ist.
Steroide wirken antiphlogistisch. Sie werden als
Koanalgetika eingesetzt, wenn ein Zusammenhang der Schmerzsymptomatik mit dem peritumorösen Ödem vermutet wird, z. B. bei Infiltration des Plexus lumbosacralis oder des Plexus brachialis, bei Tumorwachstum im Spinalkanal oder bei Leberkapselspannungsschmerz. Andere Wirkungen der Steroide wie Appetitsteigerung, Gewichtszunahme oder Euphorie werden von den Tumorpatienten oftmals als positiv empfunden.
Muskelrelaxanzien wirken lindernd auf einen gemischten Tumorschmerz mit zusätzlicher muskulärer Verspannungskomponente. Im Vordergrund stehen zentral wirksame Muskelrelaxanzien aus den Gruppen der GABA
A- und GABA
B-Antagonisten, die allein durch eine relaxierende Wirkung auf den Muskel wirken.
Adjuvanzien
Zur Behandlung von Nebenwirkungen der Schmerzmittel und von Begleitsymptomen der Therapie ist bei den meisten Patienten der Einsatz von weiteren Medikamenten erforderlich. Eine Obstipationsprophylaxe sollte bei allen Patienten mit
Opioiden der WHO-Stufe 3 verordnet werden, da die obstipierende Wirkung der Opioide bei fortgeschrittener Tumorerkrankung durch eine Reihe weiterer Faktoren wie z. B. Exsikkose, Bettlägerigkeit oder andere Medikamente verstärkt werden kann. Allerdings scheint die Häufigkeit der
Obstipation bei der transdermalen Anwendung geringer zu sein, sodass bei diesem Applikationsweg eine Anwendung nur bei Bedarf gerechtfertigt scheint.
Zumindest während der Einstellung auf eine Opioidmedikation benötigen viele Patienten Antiemetika. Die emetogene Wirkung der
Opioide wird über Dopaminrezeptoren vermittelt, sodass der antiemetische Einsatz von
Neuroleptika sinnvoll ist, die an diesen Rezeptoren ansetzen.