Angeborene Enzymdefekte der adrenalen Steroidhormonsynthese (AGS = andrenogenitales Syndrom oder kongenitale adrenale Hyperplasie)
Das klinische Erscheinungsbild hängt maßgeblich davon ab, welches
Enzym der adrenalen Steroidhormonsynthese betroffen und wie stark es in seiner Funktion eingeschränkt ist. Die klinische Symptomatologie variiert von Neugeborenen mit einem schweren Salzverlust,
Addison-Krisen,
Störungen der sexuellen Differenzierung bis zu oligosymptomatischen Frauen mit Hirsutismus
oder Zyklusstörungen.
In 90–95 % liegt ein Defekt der 21-Hydroxylase
vor. Durch die 21-Hydroxylase wird
17-Hydroxyprogesteron zu 11-Desoxycortisol katalysiert. Je nachdem wie stark die
Enzymaktivität (klassisches oder nicht-klassisches bzw. late onset AGS) eingeschränkt ist, resultiert neben einer Akkumulation von 17-Hydroxyprogesteron ein mäßig oder stark ausgeprägter Kortisol-bzw. Aldosteronmangel
(Mineralokrotikoidmangel) und eine vermehrte Bildung adrenaler Sexualhormone.
Beim klassischen AGS ist die
Enzymaktivität der 21-Hydroxylase
<2 %. Ein kompletter Enzymausfall führt bei Neugeborenen zum Salzverlust und unbehandelt zu einer lebensbedrohlichen Nebenniereninsuffizienz
innerhalb der ersten beiden Lebenswochen (=klassisches AGS mit Salzverlust). Eine 1–2 % Restaktivität der 21-Hydroxylyse ermöglicht eine minimale Aldosteronbildung, wodurch eine Nebenniereninsuffizienz im Neugeborenenalter verhindert wird (=klassisches AGS ohne Salzverlust) (Speiser und White
2003; El-Maouche et al.
2017). Das klassische AGS führt bei Mädchen bereits intrauterin zur Virilisierung der äußeren Genitalien. Der postnatale Androgensexzess
vor der
Pubertät führt zur Virilisierung,
Klitorishypertrophie,
prämaturer Adrenarche/Pubarche und beschleunigtem
Knochenwachstum. Bei den nicht klassischen AGS-Formen (late onset) findet sich anstelle eines kompletten Enzymausfalles ein partieller Enzymmangel (20–50 % 21-Hydroxylase-Enzymaktivität). Die Klinik ist milder, der klinisch manifeste Erkrankungsbeginn tritt erst bei älteren Kindern bzw. Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf (Hirsutismus,
Akne, Klitorishypertrophie, androgenetischem Haarausfall, primäre oder sekundäre Amenorrhoe, Oligomenorrhoe,
Kleinwuchs im Erwachsenenalter bei vorzeitigem Epiphysenfugenschluss). In manchen Fällen eines nicht klassischen
21-Hydroxylase-Defektes ist das klinische Erscheinungsbild unauffällig und die Patienten fallen zufällig im Rahmen von familiären Genuntersuchungen auf (=Kryptogene Adrenale Hyperplasie) (Nandagopal et al.
2011).
Durch die 11 ß-Hydroxylase
wird 11-Deoxycortisol und Deoxycorticosteron zu Cortisol bzw. Corticosteron hydroxyliert. Ein Defekt der 11ß-Hydroxalyase führt zu einem Kortisol- und Aldosteronmangel mit vermehrter ACTH-Produktion und vermehrter Synthese adrenaler
Androgene. Deoxycorticosteron hat eine mineralokortikoide Wirkung und wird ebenfalls ACTH-bedingt vermehrt gebildet. Analog dem
21-Hydroxylase-Defekt kommt es auch beim 11ß-Hydroxylase Defekt durch den Exzess adrenaler Androgene zu einer Virilisierung. Es liegt aber kein Salzverlust vor, sondern die mineralokortikoide Wirkung von Deoxycorticosteron führt zu einer
Hypertonie und Hypokalämie. Klinisch zeigt sich eine Virilisierung weiblicher Neugeborener,
Pseudopubertas praecox bei beiden Geschlechtern sowie eine
arterielle Hypertonie. Beim 11ß-Hydroxylase-Defekt überwiegt im Unterschied zum 21-Hydroxylase-Defekt die klassische Form, nicht-klassische Formen sind extrem selten (Reisch et al.
2013).
Beim 17-alpha-Hydoxylase/17,20-Lyase-
Defekt ist die Bildung von Dehydroepiandrosteron (DHEA), der Grundsubstanz der adrenalen Androgensynthese blockiert und gleichzeitig die Synthese von Deoxycorticosteron und Corticosteron erhöht. Hohe Konzentrationen an Deoxycorticosteron führen zu einer Natriumretention,
Hypertonie und Hypokaliämie. Die
glukokortikoide Potenz von Corticosteron verhindert auch bei fehlender oder erniedrigter Kortisolbildung eine
Addison-Krise. Knaben und Mädchen haben bei der Geburt ein weibliches äußeres Genitale. Das äußere Geschlecht bleibt weiblich, sekundäre Geschlechtsmerkmale bilden sich nicht aus.
Beim 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase
-Defekt besteht ein Aldosteron-, Kortisol- und Androstendionmangel. DHEA,
Renin und ACTH sind erhöht. Salzverlust, Addisonkrisen, weibliche äußere Genitalien bzw. eine
Hypospadie bei Knaben kennzeichnen das klinische Erscheinungsbild im Neugeborenenalter. Nicht klassische Formen mit vorzeitiger Pubarche, Hirsutismus, Oligomenorrhoe/Amenorrhoe sind sehr selten.
Mithilfe des StAR-Proteins
(steroidgenic acute regulatory protein) passiert
Cholesterin von der äußeren in die innere Mitochondrienmembran. Das StAR-Protein ist daher ein Schlüsselenzym der adrenalen Steroidhormonsynthese. Eine Mutation dieses
Enzym führt zur Anreicherung von Cholesterin in den Nebennieren (kongenitale Lipidhyperplasie). Alle
Steroidhormone sind vermindert bzw. fehlend,
Renin ist erhöht. Der StAR-Protein-Defekt führt zur Feminisierung der äußeren Genitale und zum Salzverlust. Nicht klassische Formen mit verzögerten Krankheitsbeginn ab dem ersten Lebensjahr sind gekennzeichnet durch Nebenniereninsuffizienz und in Abhängigkeit von der Einschränkung des Enzymdefektes unterschiedlich ausgebildeten Genitalien bei Knaben.
Die P450-Oxidreduktase-Defizienz führt zur Untervirilisierung männlicher Neugeborener und Virilisierung von Mädchen. Zudem können auch kraniofasziale Skelettfehlbildungen bestehen.
Tumoren mit vermehrter Bildung von adrenalen Sexualhormonen
Östrogen-sezernierende Tumore führen bei Männern zu einer
Gynäkomastie, Hodenatrophie und dem Verlust der Libido. Bei Frauen erzeugt der Östrogenexzess eine Mastodynie und vaginale Blutungen (Goto et al.
1996).
Klinische Zeichen eines Androgenexzesses
bei Frauen sind Hirsutismus,
Akne, Alopezie, Virilisierung, Tieferwerden der Stimmlage,
Klitorishypertrophie, Oligomenorrhoe oder Amenorrhoe. Bei erwachsenen Männern hat der adrenale Androgenexzess meist wenig Effekt auf Haarwachstum und Muskelmasse. Durch die Hemmung der Gonadotropinsekretion kommt es jedoch zur Hodenatrophie, Verminderung der testikulären Testosteronsekretion und Störung der Spermatogenese. Die klinische Symptomatologie einer vermehrten Androgenproduktion im Jugend- und Kindesalter ist ähnlich wie bei Kindern mit einer nicht klassischen Form eines 21-Hydroxylase-Mangels ohne Kortisol- und Aldosteronmangel. Bei beiden Geschlechtern ist das Längenwachstum initial beschleunigt mit vorzeitiger Pubesbehaarung und durch den schnelleren Verschluss der Wachstumsfugen leichtem Minderwuchs im Verlauf. Mädchen fallen durch Hirsutismus, Akne, Menstruationsstörungen und sekundärer Amenorrhoe auf, bei Jungen finden sich vorzeitiger Bartwuchs, Peniswachstum und Stimmbruch. Die insgesamt sehr seltenen kindlichen
Nebennierentumoren sezernieren häufig
Androgene. Auch bei kindlichen Nebennierenraumforderungen mit einer vermehrten Bildung von Sexualhormonen ist das
Nebennierenkarzinom die häufigere Ursache als Adenome (Michalkiewicz et al.
2004). Ein adrenaler Progesteronexzess
führt zu Amenorrhoe. Diese Tumore sind Raritäten (Duan et al.
2019).