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Andrologie
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Publiziert am: 29.07.2022

Varianten der Geschlechtsentwicklung

Verfasst von: Isabel Viola Wagner und Olaf Hiort
Varianten (früher „Störungen“) der Geschlechtsentwicklung (DSD) sind angeborene Abweichungen zwischen chromosomalem, gonadalem und phänotypischen Geschlecht. Die Definition umfasst eine Vielzahl von klinischen Entitäten und ist teilweise unscharf in der Zuordnung einzelner Auffälligkeiten, da die Klassifikation sowohl eine klinische als auch eine (molekular-) genetische Einteilung erlaubt. Zudem ist die DSD-Komplexität mit der Definition übergreifender Versorgungskonzepte verknüpft, da Betroffene teilweise eine besondere geschlechtliche Selbstwahrnehmung haben, die auch eine sozio-kulturelle Herausforderung darstellt. Im folgenden Kapitel stellen wir daher die geltende Klassifikation und die momentane Diskussion zum Versorgungsauftrag an den Beginn, bevor wir auf einzelne definierte Bilder eingehen.

Einleitung

Die Definition von Varianten (früher „Störungen“) der Geschlechtsentwicklung (englisch „Differences or Disorders of Sex Development“ oder abgekürzt DSD) wurde auf einer Konsensuskonferenz in Chicago im Jahr 2005 mit einer Inkongruenz zwischen chromosomalem, gonadalem und phänotypischen Geschlecht festgelegt. Dahinter verbarg sich die Absicht, die früher verwendeten Begriffe wie Intersexualität oder (Pseudo-) hermaphroditismus zu ersetzen. Gerade daran hat sich aber ein gesellschaftlicher Disput entzündet, da die Definition ungenau ist und auch ohne Bezug zu einem sozio-kulturellen Kontext der Selbstwahrnehmung Betroffener steht. Daher hat sich in vielen Ländern, so auch in Deutschland, eine erweiterte Sichtweise etabliert, die einerseits die biologische Definition zugrunde legt, andererseits mit DSD aber auch ein besonderes Versorgungskonzept verbindet, das die medizinische Versorgung im gesellschaftlichen Kontext einer geschlechtlichen Vielfalt ermöglicht.1

Nomenklatur und Klassifikation

Die Definition von DSD erlaubt die Inklusion einer breiten Facette von möglichen biologischen Varianten der Geschlechtsentwicklung, wobei nach dem heutigen Wissensstand eine erhebliche Dynamik der entwicklungsbiologischen Prozesse der Geschlechtsentwicklung vorliegt, die eine Bandbreite der Expression geschlechtlicher Differenzierung zulässt. Bekannt ist die initiale Omnipotenz des Embryos, die keine Unterscheidung oder Kategorisierung des Geschlechts vorgibt. Erst mit der Differenzierung der Keimdrüsenanlage unter Kontrolle einer komplexen genetischen Regulation in eine testikuläre oder ovarielle Ausrichtung werden die Hauptrichtungen „männlich“ oder „weiblich“ vorgegeben. In der weiteren Entwicklung wird von einer Dominanz der testikulären Hormonsynthese ausgegangen, die über Transkriptionsregulation die Ausbildung der inneren und äußeren Genitalstrukturen bewirkt. Letztendlich erlauben diese Regulationsereignisse eine hohe Variabilität, die auch innerhalb der reproduktionsmedizinisch relevanten Kategorien „Mann“ und „Frau“ zu sehen ist. DSD als Varianten der Geschlechtsentwicklung habe daher vielfältige Ausprägungen, die sicherlich zukünftig auch differenzierter definiert werden müssen.

Die Klassifikation von DSD

Die Überlegung zur biologischen Klassifikation der DSD entstand aus dem Verständnis der genetischen und hormonellen Kaskaden der geschlechtlichen Entwicklung in ihrem zeitlichen Kontext und soll eine diagnostische Zu- und Einordnung erlauben. Sie dient nicht der geschlechtlichen Kategorisierung von Betroffenen, denn diese muss dann individuell unter Berücksichtigung vielfältiger weiterer biologisch-medizinischer aber auch sozio-kultureller Erkenntnisse erfolgen.
Die Klassifikation folgt dem entwicklungsbiologischen Verständnis, dass mit der Festlegung des chromosomalen Geschlechts die übliche Richtung vorgegeben wird. Somit erfolgt zunächst eine Einteilung in die Kategorien der numerischen chromosomalen Auffälligkeiten und der 46,XX bzw. 46,XY DSD. Mit dieser Einteilung gehören auch das Klinefelter-Syndrom und das Ullrich-Turner Syndrom in den Formenkreis von DSD, auch wenn gerade das Klinefelter-Syndrom eine häufige Variante darstellt (siehe Kap. 21) und sicherlich beide, sowohl Klinefelter- als auch Ullrich-Turner Syndrom, andere Facetten der Betreuung brauchen als dies für viele andere Formen von DSD angenommen wird. Weitere numerische Auffälligkeiten sind die gemischte Gonadendysgenesie mit 45,X/46,XY Karyotyp und die seltenen Fälle eines 46,XX/46,XY Chimerismus.
Innerhalb der numerisch unauffälligen Kategorien 46,XX und 46,XY DSD wird dann jeweils zwischen den kongenitalen Auffälligkeiten der Keimdrüsenentwicklung und den fassbaren Störungen der Androgenbiosynthese (mit vermehrter oder verminderter Androgenbildung) bzw. der Androgenwirkung unterschieden. Diese Unterteilung erlaubt, dass auch neue Erkenntnisse der molekulargenetischen oder biochemischen Ursachen in die Kategorien einfließen können. Zusätzlich werden aber in jeder Hauptkategorie auch die bislang noch nicht auf molekulargenetischer Ebene definierten klinischen Beschreibungen von genitalen Auffälligkeiten wie ausgeprägte Hypospadie oder aber komplexe Fehlbildungen wie Kloakenexstrophie zugelassen. Tab. 1 fasst die Klassifikation nach der Konsensusarbeit zusammen.
Tab. 1
Klassifikation der DSD, modifiziert nach Hughes et al. 2006 (aus Klinische Pathophysiologie (eds. Blum/Müller-Wieland), Holterhus & Hiort: Geschlechtsentwicklung, Tab. 14.14, Klassifikation von DSD)
DSD durch nummerische Aberrationen der Geschlechtschromosomen
46,XY-DSD
46,XX-DSD
A: 47,XXY
Klinefelter-Syndrom und Varianten
B: 45,X
C: 45,X/46XY Mosaik
Gemischte Gonadendysgenesie
D: 46,XX/46XY
Chimerismus
A: Störungen der Gonaden-/Hodenentwicklung
• Ovotestikuläre DSD
• Komplette oder partielle Gonadendysgenesie (z. B. SRY, SOX9, SF1, GATA4, WT1, DHH, WNT4-Duplikation, DAX1-Duplikation usw.)
• Gonadenregression
A: Störungen der Gonaden-/Ovarentwicklung
• Gonadendysgenesie
• Ovotestikuläre DSD
• Testikuläre DSD (z. B. SRY+, SOX9-Duplikation)
B: Störungen der Androgenbiosynthese oder der Androgenwirkung
• Störungen der Androgenbiosynthese
 – LH-Rezeptor-Mutationen
 – Smith–Lemli-Opitz-Syndrom
 – Steroidogenic Acute Regulatory Protein (STAR)
 – P450 Side Chain Cleavage (SCC)
 – 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase Typ-2
 – 17α-Hydroxylase/17,20-Lyase
 – P450-Oxidoreduktase
 – 17β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase- Typ-3
 – 5α-Reduktase-Typ-2
• Störungen der Androgenwirkung
 – komplette und partielle Androgenresistenz
B: Androgenexzess
• Fetaler Androgenexzess
 – 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Typ-2
 – 21-Hydroxylase
 – P450-Oxidoreduktase
 – 11β-Hydroxylase
 – Glukokortikoidresistenz
• Fetoplazentarer Androgenexzess
 – Aromatasemangel
 – P450-Oxidoreduktase
• Maternaler Androgenexzess
 – Virilisierender Tumor (Luteom)
 – Einnahme androgen wirksamer Substanzen
C: Andere
• Syndromale Formen
 – Kloakenfehlbildungen
 – Arskog-Syndrom
 – Hand-Foot-Genital Syndrom (HOXA13)
 – Robinow-Syndrom
 – u. a.
• Syndrom der persistierenden Müller-Gänge (Störungen von AMH und AMH-Rezeptor)
• Vanishing Testis Syndrom
• Isolierte Hypospadie
• Kryptorchismus
• u. a.
C: Andere
• Syndromale Formen
 – Kloakenfehlbildungen
 – u. a.
• Agenesie/Hypoplasie der Müller-Strukturen (MURCS)
• Vaginalatresie (McKusick-Kaufmann-Syndrom)
• Labiensynechie
• u. a.
An dieser Aufteilung wird deutlich, dass es bislang nicht klar definiert ist, ob jede genitale Auffälligkeit als DSD klassifiziert werden sollte. Denn z. B. der isolierte einseitige Hodenhochstand ist sicherlich eine genitale Auffälligkeit, wird aber nach heutiger Lesart nicht zu DSD gezählt. Ebenso ist nicht geklärt, ab welchem Grad eine Hypospadie als DSD gewertet werden sollte. Andererseits sollte eine klare Trennung von Entitäten der Geschlechtsdysphorie/Transidentität erfolgen. Ein Update des DSD-Konsens aus dem Jahr 2016 zieht die Grenze bei ausgeprägten Hypospadien in Kombination mit Kryptorchismus und gibt die Häufigkeit für DSD mit etwa 1:4000–5000 an (Lee et al. 2016). Damit ist aber sicherlich noch keine genau zufriedenstellende Klarheit erzielt. Hierzu sind weitere Konsensusarbeiten notwendig.

Klinische Untersuchung und medizinische Einordnung

Jeder Verdacht auf eine kongenitale Auffälligkeit der geschlechtlichen Entwicklung bedarf einer systematischen Anamnese, insbesondere hinsichtlich familiärer Besonderheiten, früheren Operationen und dem Verlauf der Pubertät. Aufgrund der Klassifikation verbirgt sich hinter DSD ein sehr breites phänotypisches Spektrum von genitalen Befunden, die nur zum Teil während der Kindheit auffällig werden. Hierzu gehören die offensichtlichen Befunde eines uneindeutigen Genitale bei der Geburt, oder aber eine Abweichung der Phallusstrukturen von der üblichen Referenz, eine ungewöhnliche Lokalisation oder ein Fehlen der Gonadenstrukturen, eine nur teilweise erfolgte Fusion der Labioskrotalstrukturen und eine abweichende Lokalisation des Meatus Urethrae. Zur vollständigen Erfassung eines Genitalbefundes im Kindesalter sind im Laufe der Zeit verschiedene Scoring-Systeme eingesetzt worden, die allerdings den Nachteil hatten, dass sie nicht für die Bandbreite der geschlechtlichen Ausprägung eingesetzt werden konnten, sondern sich an einem Geschlecht „männlich“ oder „weiblich“ orientierten. So beschreibt der Prader-Score die genitalen Auffälligkeiten beim 46,XX Adrenogenitalen Syndrom (Prader 1945), der Quigley-Score die Bandbreite der 46,XY Androgenresistenz (Quigley et al. 1995). Kürzlich wurde dieses Manko durch die Definition eines External Genitalia Scores (EGS) überwunden, der versucht, eine gemeinsame Beschreibung herzustellen (van der Straaten et al. 2020) (Tab. 2).
Tab. 2
Der „Externe Genitalia Score“ beschreibt die klinischen Befunde an fünf anatomischen Stellen des Genitale: Die Ausprägung der labioskrotalen Fusion, die Länge des Genitaltuberkels, die Lage der Urethalöffnung, sowie die Lokalisation der rechten und linken Keimdrüse. Der endgültige Score errechnet sich aus der Summe der Punkte aus allen fünf Befunden. EGS = External Genitalia Score; G = Genitaltuberkel (nach van der Straaten et al. 2020)
EGS
Labioskrotale Fusion
Länge des Genitaltuberkels (mm)
Urethralöffnung
Rechte Keimdrüse
Linke Keimdrüse
3
Fusioniert
>31
An der Spitze des GT
  
2,5
 
26–30
Koronar
  
2
  
Am Schaft
  
1,5
Partielle Fusion posterior
21–25
An der Basis des GT
Labioskrotal
Labioskrotal
1
 
10–20
Labioskrotal
Inguino-labioskrotal
Inguino-labioskrotal
0,5
   
Inguinal
Inguinal
0
Keine Fusion
<10
Perineal
Nicht palpabel
Nicht palpabel
Eine weitere Möglichkeit der klinischen Bewertung einer genitalen Auffälligkeit im Kindesalter ist die Bestimmung der ano-genitalen Distanz. Sie gilt als sensitiver Maßstab der Androgenwirkung während der embryonalen Entwicklung und ist geschlechtlich dimorph. Hierzu wird der Abstand des Anus von verschiedenen Genitalstrukturen gemessen (Abb. 1).
Manche Betroffene kommen erst im Jugendalter oder aber sogar im Erwachsenenalter in ärztliche Betreuung. Dann ist auch besonders auf die geschlechtliche Physiognomie und auf Behaarungsmuster, Brustentwicklung und Fettverteilungsmuster zu achten. Überhaupt gehört zu einer klinischen Abklärung bei Verdacht auf eine Variante der Geschlechtsentwicklung immer eine vollständige körperliche Untersuchung, die jegliche Auffälligkeiten beschreiben sollte, da einige DSD-Formen mit anderen Fehlbildungen des Skelettsystems, der inneren Organe, vornehmlich Herz und Nieren, oder auch des Nervensystems assoziiert sind.
Erwachsene mit DSD sind bislang nur wenig bezüglich ihrer Bedürfnisse zur medizinischen Versorgung untersucht worden. Die europäische Studie DSD Life hat jedoch, ebenso wie die zuvor durchgeführte bundesweite Studie des Netzwerks „Intersexualität“, eine hohe Unzufriedenheit mit der medizinischen Versorgung gerade von 46,XY DSD Menschen festgestellt. Dies kann an den besonderen Fragestellungen dieser Patientengruppe liegen. Dies betrifft unter anderem spezielle Hormonsubstitution während der Pubertät und im Erwachsenenalter. Hierzu gibt es wenig verlässliche Daten. Kürzlich konnten wir zeigen, dass bei 46,XY Frauen mit kompletter Androgenresistenz sowohl eine Therapie mit Östrogenen als auch mit Androgenen als sicher gelten kann, jedoch führt eine in der üblichen männlichen Substitutionsdosis durchgeführte Testosterontherapie zu einer signifikanten Verbesserung der Libido (Birnbaum et al. 2018). Ob und welche Bedingungen für die Einleitung der Pubertät sowie die Hormonsubstitution bei Erwachsenen, die im männlichen Geschlecht leben, zu bedenken sind, ist zurzeit ungeklärt. Ebenso sind Fragen zu Fertilitätsmöglichkeiten bislang nicht oder nur hypothetisch adressiert worden. Im Jahre 2015 hat die Bundesärztekammer hierzu eine ausführliche Stellungnahme abgegeben (Bundesärztekammer 2015). Zurzeit wird die leitliniengerechte Versorgung von Menschen mit DSD in Deutschland vom Bundesgesundheitsministerium adressiert und in einem Versorgungsforschungsprojekt sollen die Qualitätsindikatoren für die Bereitstellung spezifischer Zentren erarbeitet und überprüft werden.
Zudem treten manchmal herausfordernde Krankheitsentitäten auf, so ist z. B. eine Prostatitis bei einer 46,XY Frau mit einem Androgenbiosynthesedefekt denkbar. Wie sollten in solchen Fällen eine sowohl medizinisch als auch ganzheitlich sinnvolle Versorgung erfolgen? Ein häufig diskutiertes Thema ist die mögliche Tumorbildung und deren Dignitätsstatus bei 46,XY DSD. Hierzu sind wenig epidemiologische Daten vorhanden. Auch wenn Tumore beschrieben sind, so ist die Dignität meist unklar und nicht als lebensbedrohlich einzuschätzen. Dies hat dazu geführt, dass in Deutschland ein OP-Verbot jeglicher geschlechtlichen Angleichung bis ins einwilligungsfähige Alter das Bundeskabinett passiert hat, das wahrscheinlich noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten wird.
Im Folgenden werden wir auf die einzelnen Entitäten von DSD im Kontext dieses Buches eingehen. Die Verknüpfung von klinischer, biochemischer und (molekular-)genetischer Diagnostik zeigt Abb. 2.

Strukturelle Chromosomenanomalien

Das Klinefelter-Syndrom wird im Kap. „Klinefelter-Syndrom“ abgehandelt. Auch das Ullrich-Turner-Syndrom selbst spielt hier in einem Textbuch der Andrologie keine wesentliche Rolle. Die Betroffenen weisen einen weiblichen Habitus auf und werden in der Reproduktionsmedizin aufgrund der Ovarialinsuffizienz betreut.

Definition und Ätiologie

In diesem Beitrag möchten wir vornehmlich auf die für die Andrologie wichtigen Besonderheiten der numerischen Chromosomenauffälligkeiten mit einem Mosaik 45,X/46,XY Karyotyp eingehen. Die Häufigkeit von 45,X/46,XY Mosaiken wird mit etwa 1:15.000 Lebendgeburten angegeben (Nielsen und Wohlert 1991). Die 45,X Zelllinie resultiert wahrscheinlich von einem Verlust eines unauffälligen oder strukturell veränderten Y-Chromosoms während der frühen Meiose, die zu dem Mosaikbefund führt.

Diagnose

Die Diagnose wird durch die Chromosomenanalyse gestellt. Vielfach liegen auch Zufallsbefunde vor. Das klinische Bild kann höchst variabel sein und beinhaltet genitale Auffälligkeiten, Kleinwuchs, unterschiedliche Ausprägungen der Gonadendysgenesie und -funktion, sowie eingeschränkte Fertilität. Die phänotypische Variabilität reicht von einem typischen Befund eines Ullrich-Turner Syndroms zu nur leicht unterandrogenisierten Männern. Wahrscheinlich wird sogar die Mehrzahl der betroffenen Kinder als unauffällig männlich eingestuft zur Welt kommen (Lindhardt Johansen et al. 2012). Eine relevante Anzahl der Kinder weist Komorbiditäten wie Nieren- oder Herzfehlbildungen auf.

Therapie

Aus andrologischer Sicht sind das Risiko einer gonadalen Tumorbildung, einer Testosteronsubstitution zur Pubertätsinduktion und Behandlung eines hypergonadotropen Hypogonadismus, sowie die Einschätzung und Behandlung einer Fertilitätseinschränkung wichtig. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden Menschen mit 45,X/46,XY gemischter Gonadendysgenesie und männlicher Geschlechtszuordnung nachuntersucht (Ljubicic et al. 2019). Dabei zeigte sich, dass etwa die Hälfte der Kinder bei Geburt eine genitale Auffälligkeit mit Hypospadie und Hodenhochstand aufwies, während die andere Hälfte zunächst als genital unauffällig männlich eingestuft wurde. Während die Mehrzahl aller Betroffenen spontan in die Pubertät eintraten, wiesen die Kinder mit genitalen Auffälligkeiten meist einen relevanten hypergonadotropen Hypogonadismus auf, der als behandlungsbedürftig eingestuft wurde. Somit beinhaltet die Therapie neben einer möglichen operativen Korrektur des Genitale meist auch eine Pubertätsinduktion und dauerhafte Substitution mit Testosteron bei Zuordnung zum männlichen Geschlecht.
Die Gonadenhistologie weist einen variablen Anteil undifferenzierten Stromas auf, während im testikulären Anteil ein Sertolizell-only Syndrom vorliegen kann. Etwa ein Viertel der Patienten zeigen Spermatiden; daher ist eine Ferilitätseinschränkung sehr häufig zu erwarten. Eine Keimzellneoplasie wird in etwa 10 % der Fälle gesehen, meist als Keimzellneoplasia-insitu, ggfls. auch als Gonadoblastom (Lindhardt Johansen et al. 2012). Daher sollten regelmäßige sonografische Kontrollen der Gonaden erfolgen.

46,XX Männer (mit 21-Hydroxylase-Mangel)

Definition und Ätiologie

Auf die 46,XX testikuläre Form von DSD wird in einem anderen Kapitel eingegangen (siehe Kap. „XX-Mann“). Differenzialdiagnostisch sind hier jedoch auch die 46,XX stark androgenisierten Formen anderer Ursache zu bedenken. Dies können Kinder mit einer vermehrten Testosteronproduktion aufgrund eines Aromatasemangels oder einer Testosteronproduktion während der Schwangerschaft bei der Mutter bedingt durch ein Luteom sein. In diesem Fällen sollte eine genaue Anamnese der Schwangerschaft erfolgen, ob auch bei der Mutter eine Hyperandrogenämie vorlag.
Eine weitere, seltene Ursache einer 46,XX DSD mit ausgeprägter Androgenisierung und männlich imponierenden externen Genitale kann beim 21 Hydroxylase-Mangel vorkommen. Die Kinder weisen einen unauffällig männlichen Phallus auf, das Skrotum ist jedoch leer und Gonaden lassen sich nicht nachweisen. Bei einer abdominellen Sonografie fällt ein unauffälliges weibliches Genitale mit Uterus und Ovarien auf.

Diagnose

In Deutschland werden die Kinder durch das Neugeborenen-Screening entdeckt, jedoch konnten wir selbst mehrere 46,XX Kinder mit klassischem AGS und männlicher Geschlechtszuweisung erst spät identifizieren, da entweder der Screening-Befund von den Eltern nicht verstanden war und eine Aufklärung nicht erfolgte oder aber die Eltern sich bewusst für eine männliche Geschlechtszuordnung entschieden hatten aufgrund des klinischen Bildes des äußeren Genitale. Zudem konnten wir Kinder mit Migrationshintergrund identifizieren, in deren Heimatländern kein Neugeborenen-Screening erfolgt. Insgesamt ist die männliche Geschlechtszuweisung bei 46,XX Kindern mit adrenogenitalem Syndrom aber sehr selten und epidemiologische Zahlen existieren nicht.

Therapie

46,XX Männer mit adrenogenitalem Syndrom bedürfen einer lebenslangen Substitution mit Hydrocortison und Fludrocortison. Diese Behandlung führt dazu, dass zum einen die Nebennieren-insuffizienz behandelt wird, jedoch wird gleichzeitig die adrenale Hyperandrogenämie zurückgefahren. Daher muss für diese Menschen, wenn die männliche Geschlechtszuordnung beibehalten wird, dann im Jugendalter eine adäquate Testosterontherapie erfolgen. Diese führt gleichzeitig dazu, dass die Regelblutung unterbleibt und die ovarielle Funktion supprimiert wird. Insofern ist eine operative Entfernung der inneren Genitalstrukturen nicht unbedingt notwendig. Meist erfolgt das Vorgehen in Analogie zur Behandlung von Transmännern.

46XY-DSD

Gonadendysgenesie

Definition und Ätiologie

Der Begriff Gonadendysgenesie umfasst eine Gruppe genetisch bedingter Störungen der gonadalen Geschlechtsdifferenzierung. Mutationen, Deletionen oder Duplikationen von Transkriptionsfaktoren und Entwicklungsgenen der Gonadendeterminierung können zu einer kompletten oder partiellen Gonadendysgenesie führen. Bei einer kompletten Gonadendysgenesie liegen keine funktionsfähigen Gonaden vor, stattdessen finden sich bindegewebige Streak-Gonaden (Strang-Gonaden) ohne Restfunktion. Eine Streak-Gonade zeichnet sich histologisch durch Stromagewebe aus, also das Fehlen sowohl der Keimzellen als auch der von den Keimsträngen abgeleiteten Sertoli-/Granulosazellen. Bei der partiellen Gonadendysgenesie ist teilweise noch hormonaktives Gewebe vorhanden, welches bei einem männlichem Karyotyp zu einer Virilisierung führen kann.
Als Ursache wurden Mutationen in Genen identifiziert, die wie z. B. WT-1 und SF1 für die frühe Gonadendifferenzierung verantwortlich sind, und solche wie SRY, DMRT, SOX9, DHH, ATRX und ARX, die für die Hodendifferenzierung maßgeblich sind (Hughes 2008; Hughes et al. 2006). Mutationen in einigen dieser Gene führen zu sogenannten syndromalen Formen der Gonadendysgenesie. Zum Beispiel gehen Mutationen im WT-1-Gen auch mit einer Nephropathie und im SF1-Gen mit einer adrenalen Insuffizienz einher. Mutationen im SOX9-Gen führen zu einer kampomelen Dysplasie, im DHH-Gen zur Neuropathie, im ATRX-Gen und im ARX-Gen zu einer geistigen Behinderung.

Diagnose

Bei der kompletten Gonadendysgenesie kann – abgesehen von Patienten mit gesichertem 45,X/46,XY-Karyotyp – die Diagnose nur durch eine Laparoskopie mit Gonadenbiopsie gesichert werden. Bei der kompletten Gonadendysgenesie mit 46,XX-Karyotyp sind LH und FSH erhöht, Östrogen- und Gestagenspiegel erniedrigt. Manchmal handelt es sich um eine familiär auftretende Erkrankung. Die endokrine Situation bei einer Gonadendysgenesie mit 46,XY-Karyotyp ist identisch mit der 46,XX-Variante. Nach Mutationen in den geschlechtsdeterminierenden Genen muss gezielt gesucht werden (Hughes 2008). Diagnostisch sind bei der Gonadendysgenesie die Gonadotropine deutlich erhöht. Die Testosteronkonzentration ist häufig für Männer zu niedrig, für Frauen zu hoch. Nach hCG-Gabe, kommt es oft zu einem geringen, aber signifikanten Testosteronanstieg. Die Laparoskopie zeigt immer zumindest rudimentäre Reste der Müller-Gänge. Biopsien aus den intraabdominal gelegenen Streak-Gonaden bestehen histologisch fast ausschließlich aus bindegewebigem, ovariellem stromaähnliches Gewebe ohne Hinweis auf Germinalzellen. In der testikulären Biopsie zeigen sich vereinzelt vorkommende Vorstufen der Germinalzellen bei fehlenden oder kaum vorhandenen Sertoli-Zellen und einer Leydig-Zellhyperplasie. Eine Überprüfung des Chromosomenbefundes muss auf jeden Fall erfolgen. Es muss gezielt nach Mutationen in den geschlechtsbestimmenden Genen gesucht werden (Hughes 2008). Eine Anorchie oder ein beidseitiger Kryptorchismus könnten als Differentialdiagnosen in Betracht gezogen werden, allerdings sind bei diesen Kindern die äußeren Genitalien meist eindeutig männlich.

Therapie

Eine Hormonersatztherapie muss zum Zeitpunkt der erwarteten Pubertät begonnen werden. Bei uneindeutigen Genitalien sollten chirurgische Korrekturen die Geschlechtsidentität des Patienten berücksichtigen und sind derzeit bei Minderjährigen in mehreren Ländern verboten. Ein Risiko für gonadale Tumore (Gonadoblastome, Seminome, Dysgerminome, Carcinoma in situ) besteht bei allen Patienten, die eine Zelllinie mit einem Y-Chromosom (Savage und Lowe 1990) haben. Aus diesem Grund sollten die Gonaden dieser Patienten überwacht werden und in jedem Fall regelmäßige Kontrollen der Gonaden mittels Ultraschall erfolgen. Die Unfruchtbarkeit ist nicht kausal behandelbar. In Ländern mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen wurden bei Patienten mit reiner Gonadendysgenesie erfolgreiche Schwangerschaften nach In-vitro-Fertilisation mit Spendereizellen erzielt (Kalra et al. 2019).

Gonadendysgenesie aufgrund einer SRY-Mutation (Yp11.3)

Bei der kompletten Gonadendysgenesie liegt in etwa 10 % der Fälle eine Mutation im SRY-Gen vor. Diese Form der kompletten Gonadendysgenesie mit einem 46,XY Karyotyp wurde früher als Swyer-Syndrom bezeichnet. Während der Embryonalperiode können keine Androgene produziert werden, so dass die betroffenen Personen bei der Geburt äußerlich und innerlich ein weibliches Genitale haben. Einige Fälle weisen eine leichte Klitorishypertrophie auf. Da die AMH-Produktion ausbleibt, bilden sich die Müllerschen Strukturen nicht zurück, so dass Uterus und Eileiter bestehen bleiben. Später kommt es zu Hochwuchs und im Pubertätsalter bleibt die Thelarche aus und die Menarche tritt nicht ein.
Die Diagnose wird meist erst in der Pubertät gestellt, wenn sich Jugendliche aufgrund der fehlenden Pubertätsentwicklung, vorstellen. Der XY-Karyotyp und der Nachweis eines vorhandenen Uterus und Eileiters ohne Eierstöcke in der Sonografie weisen auf eine vollständige gonadale Dysgenesie hin und rechtfertigen die Suche nach einer Mutation im SRY-Gen oder anderen Entwicklungsgenen. Der Hormonstatus zeigt einen hypergonadotropen Hypogonadismus sowie erniedrigte AMH- und Inhibin B-Konzentrationen. Es besteht ein Entartungsrisiko der Gonaden mit erhöhtem Risiko einer Tumorbildung wie z. B. einem Gonadoblastom oder Dysgerminom.

Gonadendysgenesie aufgrund von SF1/NR5A1-Mutationen (9q33)

Während der Embryonalentwicklung wird das SF1/NR5A1-Gen sowohl in den Gonaden als auch in den Nebennieren, dem Hypothalamus und der Hypophyse exprimiert. Betroffene 46,XY-Individuen mit einer NR5A1-Mutation können eine Nebennierenhypoplasie aufweisen, die im Laufe der Zeit meist zu einer Nebenniereninsuffizienz und zu einer genitalen Virilisierungsstörung führt (Achermann et al. 1999). Der Phänotyp ist meist äußerlich weiblich mit persistierenden Müllerschen Strukturen und Streak-Gonaden. Der Phänotyp ist jedoch sehr variabel, und einige oder sogar die gleichen Mutationen führen nur zu einer teilweisen Unterandrogenisierung und einer teilweisen oder vollständigen Rückbildung der Müllerschen Strukturen.
Inhibin B und AMH sind in der Regel reduziert. Einige Patienten können bereits im Neugeborenenalter eine Nebenniereninsuffizienz aufweisen. Die Diagnose wird durch Sequenzierung des SF-1/NR5A1-Gens bestätigt.
Die Nebenniereninsuffizienz muss mit Glukokortikoiden und Mineralokortikoiden behandelt werden. Es besteht ein Restrisiko für die Entwicklung von Gonadentumoren. Während und nach der Pubertät ist mit ziemlicher Sicherheit eine Sexualhormonersatztherapie erforderlich.

Gonadendysgenesie aufgrund von WT-1-Mutationen (11p13)

Eine Mutation im WT-1-Gen (Wilms-Tumorsuppressor-1-Gen) beeinträchtigt die Entwicklung der Gonaden und Nieren mit dem Risiko, Wilms-Tumore und Gonadoblastome (wie bei 46,XY-Patienten) zu entwickeln. Diese Form der gonadalen Dysgenesie kann sowohl bei 46,XX als auch bei 46,XY Individuen auftreten, da das Gen seine Wirkung auf der Ebene der bipotenten Gonadenanlage entfaltet. Der Androgenmangel bei 46,XY-Individuen führt zu genitalen Fehlbildungen, wie z. B. der Hypospadie. Während der Pubertät kommt es zu fehlender oder verminderter Ausprägung sekundärer Geschlechtsmerkmale. Genveränderungen des WT-1-Gens führen zu unterschiedlichen Entitäten: z. B. dem Denys-Drash-Syndrom (mit partieller gonadaler Dysgenesie, Wilms-Tumoren), Frasier-Syndrom (mit kompletter gonadaler Dysgenesie und Glomerulosklerose, die zu Nierenversagen führt) oder WAGR-Syndrom (mit Wilms-Tumoren, Aniridie, atypischen Genitalien aufgrund der gonadalen Dysgenesie und geistiger Retardierung). Die Diagnose kann nur durch Sequenzierung des WT-1-Gens bestätigt werden.

Gonadendysgenesie aufgrund einer Deletion des DMRT1-Genlokus (9p-)

Die Deletion von Abschnitten des Chromosoms 9 (9p-) unter Einbeziehung des DMRT1-Genlokus führt zu einer Kombination aus 46,XY-DSD mit Virilisierungsdefizites des äußeren Genitales und oft zu einer partiellen Gonadendysgenesie und ist häufig mit einer mentalen Retardierung verbunden. Dies kann mit kraniofazialen Anomalien, Herzfehlern und Nierenfehlbildungen einhergehen, abhängig von der Größe des Rearrangements an diesem Genort, was zu einem Contiguous-Gen-Syndrom führt.
Bei Verdacht sollte eine Chromosomenanalyse oder eine FISH-Analyse durchgeführt werden. Die Diagnose wird durch Sequenzierung des DMRT1-Gens gestellt. Dies kann auch durch eine Array Comparative Hybridization Analysis (aCGH) unterstützt werden. Eine DMRT1-Deletion ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Gonadoblastoms assoziiert.

SOX9 (17q24), DAX1 (Xp21.3), DHH (12q13.1), WNT4 (1p35)

Das SOX9-Gen ist unmittelbar dem SRY-Gen nachgeschaltet und ist damit von zentraler Bedeutung für die Hodenentwicklung. SOX9 wird in embryonalen Sertoli-Zellen und in den Knorpelvorläuferzellen exprimiert. So führen heterozygote Mutationen von SOX9 zu campomelischer Dysplasie und aufgrund der Gonadendysgenesie zu 46,XY-DSD. Duplikationen des X-chromosomalen DAX-1-Gens führen zu einer Unterdrückung der normalen Hodenentwicklung. Seltene Mutationen wie z. B. im Desert Hedgehog (DHH)-Gen führen zur Gonadendysgenesie mit Polyneuropathie. Eine Duplikation von WNT4 kann ebenfalls zu einer Gonadendysgenesie führen.

46,XY-DSD verursacht durch Defekte in der Androgenbiosynthese

Bei der 46,XY-Variante der Geschlechtsentwicklung liegt ein Ausfall der Androgenbiosynthese vor mit einer normalen Sertoli-Zell-Funktion. Es besteht eine normale AMH-Sekretion und somit fehlen Uterus und Eileiter. Es kommt zur verminderte Androgenisierung der testosteronabhängigen Organstrukturen (äußere Genitalien, Samenblasen, Prostata). An den ersten Schritten der Steroidhormonsynthese sind Nebennieren und Keimdrüsen beteiligt, so dass es zu einer Kombination von DSD und Nebenniereninsuffizienz kommen kann.
Eine Störung der Testosteron-Biosynthese aus Cholesterin ist auf jeder Stufe möglich. Alle diese Enzymstörungen werden autosomal rezessiv vererbt. Neben dem obligaten Hypogonadismus kann es klinisch zu einer Nebenniereninsuffizienz oder einem Mineralokortikoidüberschuss kommen, da auch die 20,22-Desmolase, die 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase und 17α-Hydroxylase an der Synthese von Mineralokortikoiden bzw. Glukokortikoiden beteiligt sind. Enzymdefekte, die selektiv die Testosteron-Biosynthese beeinflussen, sind der 17,20-Desmolase-Defekt und der 17β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt. Der Mangel an 5α-Reduktase Typ 2 ist eine Besonderheit, da dieses Enzym in der peripheren Zielzelle exprimiert wird, um Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT) umzuwandeln, bevor es an den Androgenrezeptor bindet, um die Androgenwirkung zu ermöglichen.
Zum Zeitpunkt der zu erwartenden Pubertät sollten die Testosteron- und Östrogen-Serumspiegel engmaschig kontrolliert werden, um ggf. frühzeitig eine Hormonersatztherapie einzuleiten. Je nach phänotypischer Ausprägung erfolgt eine Östrogen- oder Testosteronsubstitutionstherapie für den Rest des Lebens des Patienten. Um die gonadale Funktionalität bei diesen Patienten zu erhalten, sollten nicht deszendierte Hoden frühzeitig in den Hodensack verlegt und durch Palpation und Sonografie engmaschig kontrolliert werden.

17ß-Hydroxysteroiddehydrogenase-Typ-3-Defekt (9q22)

Die Reduktion von Androstendion zu Testosteron wird durch den 17ß-Hydroxysteroiddehydrogenase-Typ-3-Defekt katalysiert. Sowohl bei homozygoten als auch bei compound-heterozygoten inaktivierenden Mutationen kann Testosteron nicht in ausreichender Menge produziert werden. Klinisch präsentieren sich die Individuen daher bei der Geburt oft mit nur leicht androgenisierten Genitalien (Hiort et al. 2017). Die Hoden liegen meist inguinal, die Wolff-Derivate sind nur teilweise entwickelt und die Vagina ist meist verkürzt und endet blind. Während der Pubertät kann es jedoch zu einer ausgeprägten Virilisierung mit Phalluswachstum kommen, die Stimme verändert sich und männliche Körperproportionen entwickeln sich. Diese Veränderungen können so stark ausgeprägt sein, dass in manchen Fällen ein Wechsel in die männliche Geschlechtsrolle stattfindet.
Der hCG-Test kann einen erhöhten Androstendion-Testosteron-Quotienten (A:T>1) zeigen. Um die Diagnose zu bestätigen, muss das HSD17ß3-Gen sequenziert werden. Meist wachsen die Kinder, zumindest anfänglich, in einer weiblichen Geschlechterrolle auf. Die Diagnose wird oft erst mit Einsetzen der Pubertät und zunehmender Virilisierung gestellt. Um Zeit für die Diagnose und Entscheidungsfindung zu gewinnen, kann die Pubertät mit GnRH-Analoga gestoppt werden. Wird die Beibehaltung der weiblichen Geschlechtsrolle gewünscht, kann nach Erreichen des Einwilligungsalters eine Gonadektomie durchgeführt werden. Wird ein Wechsel in die männliche Geschlechtsrolle gewünscht, muss eine Hypospadiekorrektur und eine Penisrekonstruktion chirurgisch durchgeführt werden. Das Risiko eines Gonadoblastoms wird als intermediär eingestuft.

5α-Reduktase Typ 2 Defekt (2p23) = perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina

Die sogenannte perineoskrotale Hypospadie mit Pseudovagina (PHP) ist eine Störung der Androgenwirkung, allerdings nicht auf der Rezeptorebene, sondern auf der metabolischen Ebene. Alle klinischen Manifestationen der PHP werden durch einen Mangel an Dihydrotestosteron in den Zielzellen des Genitaltrakts erklärt. Der grundlegende Defekt liegt in einer gestörten Konversion von Testosteron zu DHT durch das Enzym (Steroid-)5α-Reduktase (Griffin et al. 1995; Imperato-McGinley 2002; Imperato-McGinley et al. 1982). Da DHT für die Virilisierung der äußeren Genitalien verantwortlich ist, zeigen 46,XY-Neugeborene häufig weibliche äußere Genitalien oder – je nach Restaktivität der 5α-Reduktase – Virilisierungserscheinungen mit Klitoromegalie, Hypospadie und labioskrotaler Fusion. Uterus und Eileiter fehlen aufgrund der AMH-Wirkung des Hodens, so dass der Sinus urogenitalis bestehen bleibt oder eine blind endende Pseudovagina entsteht. Im Gegensatz dazu werden die Wolffschen Gänge durch die Testosteronwirkung gebildet. Die Prostata, deren Entwicklung vom DHT abhängig ist, wird als Rudiment dorsal der Harnröhre lokalisiert und bleibt klein. Die Keimdrüsen liegen oft extraabdominell, meist im Leistenkanal oder im Bereich der Labia majora. In der Pubertät treten die testosteronabhängigen Prozesse in Kraft. Es kommt zum Stimmbruch und zum typisch männlichen Muskelhabitus, während die DHT-abhängigen Prozesse wie Bartwuchs und Akne zurückgehen. Die Behaarung des Kopfes bleibt dicht, der Stirnhaaransatz gerade. In der Pubertät bleiben die Menarche und die Brustentwicklung aus, es kommt zu einer deutlichen Virilisierung. In vielen Fällen wird eine Umorientierung auf die männliche Geschlechtsrolle beobachtet (Hughes et al. 2006; Imperato-McGinley 2002; Imperato-McGinley und Zhu 2002).
Eine positive Familienanamnese liegt je nach ethnischem Hintergrund in etwa 40 % vor. Die DSD-Form wird autosomal rezessiv vererbt. In der endokrinologischen Diagnostik kann ein hCG-Test durchgeführt werden, wobei das Testosteron den erwarteten Anstieg zeigt, während das DHT niedrig bleibt. Die Spezifität dieses Tests ist jedoch gering. Die Östrogen-, LH- und FSH-Konzentrationen im Blut liegen im typischen männlichen Referenzbereich oder sind leicht erhöht. Ein Urin-Steroidprofil mit Gaschromatographie-Massenspektrometrie kann ebenfalls einen 5α-Reduktase-Typ-2-Mangel diagnostizieren. Die genetische Diagnose erfolgt durch Mutationsnachweis im entsprechenden Gen, SRD5A2 (Audi et al. 2018; Sinnecker et al. 1996).
Behandlungskonzepte sollten wie beim 17ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Typ-3-Defekt angewendet werden, da DHT derzeit nicht zur Therapie zur Verfügung steht. Chirurgische Maßnahmen sollten nur sehr zurückhaltend und frühestens nach der Pubertät durchgeführt werden.

Gonadotropin-Rezeptor-Mutationen

Spezifische Rezeptoren vermitteln die Wirkung der Gonadotropine LH und FSH auf die Leydig- bzw. Sertoli-Zellen. Solche Rezeptormutationen führen zu funktionellen Veränderungen in diesen Zellen mit vielfältigen klinischen Konsequenzen. Grundsätzlich muss zwischen inaktivierenden und aktivierenden Mutationen unterschieden werden. Während erstere zu einem Funktionsverlust führen, bewirken aktivierende Mutationen eine konstitutive, d. h. autonome Aktivität der Zielzellen, ohne dass eine Stimulation durch LH oder FSH erforderlich ist. Insgesamt sind diese DSD-Formen jedoch selten.

LH-Rezeptor-Defekt (2p21) oder inaktivierende LH-Rezeptor-Mutationen

Die Leydig-Zell-Hypoplasie oder Leydig-Zell-Agenesie ist eine sehr seltene autosomal-rezessiv vererbte Variante mit einer ungefähren Inzidenz von 1:1.000.000. Die Bezeichnung des Syndroms als Leydig-Zell-Agenesie ist insofern irreführend, als Leydig-Zellen zwar vorhanden sind, sich aber aufgrund von inaktivierenden Mutationen des LH-Rezeptors und damit fehlender Stimulation nicht entwickeln können (Huhtaniemi und Alevizaki 2006). Die Ausprägung des Phänotyps hängt entscheidend von dem Ausmaß der intrauterinen Testosteronsekretion ab. In Abhängigkeit hiervon entsteht entweder: 1. ein männlicher Phänotyp mit schwacher Virilisierung und Mikrophallus oder 2. Hypogonadismus mit verzögerter Pubertät oder 3. eine 46,XY-Variante der Geschlechtsentwicklung. Inaktivierende Mutationen des LH-Rezeptors führen zu einer isolierten Störung der gonadalen Testosteronproduktion und werden autosomal rezessiv vererbt. LH und hCG können nicht auf die Leydig-Zellen einwirken, was zur Hypoplasie der Leydig-Zellen führt. Dies führt zu einer verminderten Virilisierung bei einem 46, XY-Chromosomensatz. Der Phänotyp reicht von fast männlich mit Mikropenis bis hin zu einem äußerlich weiblichen Phänotyp. Die Wolff'schen Strukturen sind in der Regel rudimentär vorhanden, Müller-Derivate werden aufgrund der normalen AMH-Produktion rückgebildet. Die Hoden befinden sich im Leistenkanal oder Skrotum.
Ein Fall eines Patienten mit Leydigzellhypoplasie (LCH) Typ II, verursacht durch eine genomische Deletion, die zum vollständigen Fehlen von Exon 10 des LH-Rezeptors (LHR) führt, wurde von Gromoll et al. publiziert. Eine hCG-Behandlung führte zu einer Zunahme des Hodenvolumens und zum Auftreten von Spermatozoen im Ejakulat nach 16 Wochen Behandlung. Die Reaktion auf hCG weist auf einen möglichen dualen Mechanismus der Hormonbindung und Signaltransduktion für hCG und LH an einem LHR hin, dem das Exon 10 fehlt (Gromoll et al. 2000).
Es gibt keine adäquate Testosteronantwort im hCG-Test (siehe Kap. „Endokrine Labordiagnostik“). Während der Pubertät steigen die Gonadotropine an und zeigen ein vermehrtes Ansprechen im LHRH-Test. Die Diagnosesicherung erfolgt durch eine Biopsie, bei der hypoplastische Hoden nachgewiesen werden können, und durch Sequenzierung des LH-Rezeptor-Gens bestätigt.
Das klinische Management in der Pubertät sollte sich nach dem Ausmaß der Virilisierung und dem Alter bei der Diagnose richten. Eine Östrogensubstitution wird die Entwicklung einer weiblichen Körperform und weiblicher Geschlechtsmerkmale induzieren. Bei partiellen Formen mit ausgeprägter Virilisierung kann es auch zu einer männlichen Geschlechtszuweisung kommen, was eine Therapie mit Testosteron und chirurgische Korrekturmaßnahmen erfordern würde. Das Risiko eines Gonadoblastoms wird als sehr gering eingestuft.

Aktivierende LH-Rezeptor-Mutationen

Aktivierende Mutationen der LH-Rezeptoren bewirken eine LH-unabhängige Aktivität der Leydig-Zellen. Diese Aktivierung führt klinisch zu einer Pseudopubertas praecox, die sich meist vor dem 4. Lebensjahr manifestiert. Es besteht meist eine familiäre Häufung. Die Folge ist eine nicht zentral gesteuerte kontinuierlichen Testosteronproduktion, die auch als Testotoxikose bezeichnet wird. Unbehandelt führt sie zu einer sehr frühen pubertären Entwicklung und Kleinwuchs. Aktivierende LH-Rezeptor-Mutationen sind auch bei Leydig-Zell-Tumoren beschrieben worden.
Ziel der Behandlung ist es, die Testosteron-Biosynthese vorübergehend zu hemmen oder die Androgenrezeptoren zu blockieren, so dass nach Absetzen der Therapie eine normale pubertäre Entwicklung stattfinden kann und die Fruchtbarkeit nicht beeinträchtigt wird. Es gibt mehrere Behandlungsmöglichkeiten: die Behandlung mit Ketoconazol oder einer Kombination aus Spironolacton und Testolacton. Auch Behandlungen mit Cyproteronacetat und Anastrozol sind beschrieben worden.

Inaktivierende und aktivierende FSH-Rezeptormutationen

Inaktivierende Mutationen des FSH-Rezeptors können zu Subfertilität und Infertilität führen (Simoni et al. 1997). Diese sind jedoch extrem selten und treten hauptsächlich in der finnischen Bevölkerung auf. Meist ist das Hodenvolumen kleiner und der Fertilitätsstatus variabel.
Männer mit aktivierenden Mutationen des FSH-Rezeptors sind klinisch schwer zu identifizieren, da sie keine besonderen phänotypischen Merkmale zeigen. Ein Fall wurde dadurch entdeckt, dass er trotz Hypophysektomie aufgrund eines Adenoms nur eine intakte Spermatogenese mit Testosteronsubstitution zeigte (Simoni et al. 1997).

Störungen der Androgenwirkung

Definition und Ätiologie

Die Geschlechtsdifferenzierung ist das Ergebnis einer Kaskade aus dem Zusammenspiel von regulatorischen Genen, zellulären und hormonellen Signalen (siehe auch Kap. „Physiologie der Hodenfunktion“). In der ersten Phase der Geschlechtsentwicklung sind die sich entwickelnden Gonaden zunächst bipotent angelegt und es lassen sich sowohl Wolffsche als auch Müllersche Gänge nachweisen. Im typisch männlichen Verlauf, beginnend durch die Wirkung des SRY-Gens, differenzieren sich die indifferenten Gonaden zu Hoden. Die Sertoli-Zellen beginnen, das Anti-Müller-Hormon zu produzieren, das eine Rückbildung der Müllerschen Gänge bewirkt, die sich sonst zu Uterus, Ovarien und oberem Teil der Vagina entwickeln würden. Die Leydig-Zellen beginnen, Testosteron zu sezernieren, das die Differenzierung der Wolffschen Gänge in Ductus epididymis, Vasa deferentia, Samenblasen und einen Teil der Prostata stimuliert. Testosteron wird peripher zu Dihydrotestosteron umgewandelt, dass die Differenzierung der äußeren Genitalien bewirkt und die Entwicklung der Prostata anregt. Da Androgene ihre Wirkung nur dann entfalten können, wenn sie an einen funktionellen Rezeptor binden, führen Mutationen des Androgenrezeptor-Gens zu unterschiedlichen Graden der Androgeninsensitivität. Die Androgenwirkung wird durch einen einzigen intrazellulären Steroidhormonrezeptor vermittelt, der als Transkriptionsfaktor androgenregulierter Gene fungiert. Testosteron und DHT können über eine Ligandenbindungsdomäne an den Androgenrezeptor binden. Es folgt eine Translokation aus dem Zytoplasma in den Zellkern. Dort kommt es zu einer Rezeptordimerisierung und anschließend zur Bindung an die Promotorregion von androgenregulierten Zielgenen in Verbindung mit bisher weitgehend unbekannten Kofaktoren. Dadurch kommt es zu einer verstärkten oder verminderten Transkription der Zielgene, die nach Translation in die entsprechenden Proteine ihre biologische Wirkung entfalten.
Das Spektrum der Androgeninsensitivitäten reicht von einem -weiblichem Phänotyp bei der kompletten Androgeninsensitivität (CAIS) über nicht eindeutige Ausprägungen des Genitales bei der partiellen Androgeninsensitivität (PAIS) bis hin zu einem überwiegend männlichen Phänotyp mit Infertilität bei der minimalen Androgeninsensitivität (MAIS).
Nach der Klassifikation von Quigley werden 7 verschiedene Grade unterschieden (Quigley et al. 1995). Grad 1 ist durch ein typisch männliches Erscheinungsbild der äußeren Genitalien und die Grade 6 und 7 durch einen typisch weiblichen Phänotyp der äußeren Genitalien gekennzeichnet, wobei Grad 7 ein komplettes Fehlen und Grad 6 eine spärliche Achsel- und Schambehaarung in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter aufweist. Die Grade 2–5 beschreiben unterschiedliche Grade der Virilisierung der äußeren Genitalien.

Diagnose

Die Diagnose der Androgeninsensitivität wird heute typischerweise durch einen Mutationsnachweis im Androgenrezeptor-Gen im Rahmen eines Gentests gesichert (Gottlieb et al. 2004). Mittlerweile wurde eine AR-Mutations-negative Form der Androgeninsensitivität, die AIS Typ II, beschrieben, bei der der genetische Ursprung in unbekannten Kofaktoren der Androgenwirkungskaskade vermutet wird (Hornig et al. 2018).
Diese Mutationen können in 4 verschiedene Gruppen eingeteilt werden (Wieacker et al. 1998):
  • Komplette und größere partielle Deletionen
  • Deletionen und Insertionen von wenigen Nukleotiden
  • Punktmutationen, die als Missense-, Nonsense- oder Spleißmutationen wirken
  • Expansion des CAG-Repeats im Exon 1 bei der X-chromosomalen spinobulbären Muskelatrophie.
Im Androgenrezeptor finden sich fast alle Formen von inaktivierenden Mutationen, darunter Punktmutationen, Missense- und Nonsense-Mutationen, Splice-site-Mutationen als auch Deletionen und Insertionen. Sie vermindern die Transkriptionsregulation, die DNA-Bindung und die Ligandenbindung. Dementsprechend ist auch das klinische Bild sehr variabel. In etwa 1/3 der Fälle liegen bei Androgenresistenz eine Neumutationen vor, in 1/3 der Fälle treten die Neumutationen erst postzygotisch auf (Holterhus et al. 2001). Die komplette Androgenresistenz ist fast immer mit einer Mutation im Androgenrezeptor verbunden, während nur in 1/3 der Fälle eine Mutation bei vermuteter partieller Androgenresistenz gefunden wird. Die Mehrzahl der Mutationen ist familienspezifisch und nur wenige rekurrente Mutationen sind bisher beschrieben worden, so dass eine komplette Gensequenzierung zur Diagnose indiziert ist.
Die Androgeninsensitivität wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Eine 46,XX Trägerin einer AR-Mutation gibt das mutierte Erbmerkmal an die Hälfte der Kinder mit einem XY-Karyotyp weiter. Androgenbindungsstudien, die nach einer Hautbiopsie an genitalen Fibroblasten durchgeführt werden müssen, spielen bei der Bestätigung der Diagnose keine wesentliche Rolle mehr. Die Form der Androgenresistenz, die historisch als rezeptorpositiv galt, kann nun durch Mutationen in der DNA-Bindungsdomäne erklärt werden, in der die Steroidbindung erwartungsgemäß ungestört ist. Zusätzlich kann Androgeninsensitivität durch den APOD-Assay identifiziert werden, der das Expressionsmuster eines AR-regulierten Gens in genitalen Hautfibroblasten eines betroffenen Individuums misst. Seine Kombination mit dem Next-Generation-Sequencing des gesamten AR-Lokus deckte eine AR-Mutation-negative, neue Klasse der Androgenresistenz auf, deren Ätiopathogenese derzeit unbekannt ist (Hornig et al. 2016).

Therapie

Die Therapie ist individuell unterschiedlich und hängt vom Alter und der Gonadenfunktion ab. In der Regel ist vor der Pubertät und bis zur Gonadektomie keine Therapie notwendig. Danach kann eine Hormontherapie mit Östrogenen oder Testosteron angezeigt sein.

Komplette Androgenresistenz (CAIS)

Die Prävalenz von CAIS liegt bei etwa 1:20.000 unter Individuen mit einem XY-Karyotyp. Aufgrund der normalen Hodendifferenzierung produzieren die Sertoli-Zellen AMH, so dass Tuben und Uterus nicht vorhanden sind, was zu einer blind endenden Vagina führt. Die Leydig-Zellen produzieren Androgene mit Konzentrationen im typisch männlichen Bereich oder sogar darüber. Aufgrund der AR-Defekts können diese Androgene jedoch nicht wirken, so dass sich die Wolffschen Strukturen zurückbilden und ein Maldescensus testis entsteht. Im Falle einer kompletten Androgenresistenz können auch pränatal keine Androgene wirken, so dass bei der Geburt ein äußeres weibliches Genitale vorliegt. Die Hoden können intraabdominell, im Leistenkanal oder in den Labia majora lokalisiert sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Androgeninsensitivität bei phänotypisch weiblichen Kindern mit Leistenhernie liegt bei 1–2 % (Grumbach und Conte 1998). Die chirurgische Leistenhernienreparatur führt nicht selten zur Erkennung der Diagnose im Kindesalter.
Während der Pubertät wird Testosteron von den Leydig-Zellen synthetisiert. Klinisch fallen in der Pubertät eine primäre Amenorrhoe, fehlende (Grad 7) oder spärliche (Grad 6) Achsel- und Schambehaarung („hairless women“) bei normaler weiblicher Brustentwicklung auf. Die Brustentwicklung könnte durch die ausreichende Östrogenkonzentration aufgrund der Aromatisierung von Testosteron durch Aromatase und die fehlende Androgenwirkung erklärt werden. Die Körpergröße ist im Vergleich zu weiblichen Geschwistern erhöht, wahrscheinlich als Folge des verzögerten Verschlusses der Epiphysenfugen (Han et al. 2008). Individuen mit CAIS zeigen weibliches Spielverhalten und ein großer Teil der Frauen, bei denen CAIS diagnostiziert wird, zeigen eine eindeutige weibliche Geschlechtsidentität. Die fehlende Androgenwirkung bewirkt einen regulatorischen Anstieg von LH, dass die Leydig-Zellen stimuliert. Die daraus resultierende Hyperplasie der Leydig-Zellen kann als Pick’sches Adenom sichtbar werden. Bei postpubertären Patient*innen liegen die Testosteronspiegel im typisch männlichen Bereich und die Östradiolspiegel sind höher als bei Männern, aber niedriger als bei Frauen. LH kann deutlich erhöht sein, während FSH nur geringfügig erhöht sein kann oder im üblichen Referenzbereich liegt (Doehnert et al. 2015). Die Inhibin-B-Spiegel liegen im pubertären männlichen Bereich, aber es gibt keine Suppression der AMH-Spiegel, die im präpubertären männlichen Bereich bleiben, was die Rolle der Bindung von Testosteron an seinen Rezeptor für die negative Regulierung der AMH-Produktion zeigt (Johannsen et al. 2020). Bei CAIS ist sonografisch kein Uterus nachweisbar. Die Diagnose wird durch eine DNA-Sequenzierung des Androgenrezeptor-Gens bestätigt. Dieselben Mutationen können jedoch mit sehr unterschiedlichen Graden der reduzierten Androgenwirkung einhergehen, so dass eine genaue Prognose über den Verlauf der Erkrankung oft nicht möglich ist. Bei CAIS besteht ein erhöhtes Risiko für bösartige Keimzelltumore (Hughes et al. 2006; L. H. Looijenga et al. 2007; L. H. J. Looijenga et al. 2019).
Unter den Tumoren, die nicht von Keimzellen ausgehen, sind Sertoli-Zell-Adenome häufiger als Leydig-Zell-Adenome. Es wird vorgeschlagen, dass die morphologische und histologische Beurteilung des Gonadengewebes in Kombination mit OCT3/4- und TSPY-Doppelimmunhistochemie und klinischen Parametern am informativsten ist, um das Risiko für die Entwicklung eines Keimzelltumors beim einzelnen Patienten abzuschätzen, und in Zukunft zur Entwicklung eines Entscheidungsbaums für das optimale Management von Patienten mit DSD verwendet werden könnte (L. H. Looijenga et al. 2007; L. H. J. Looijenga et al. 2019). Die prophylaktische Gonadektomie wird zwar bei CAIS wegen des erhöhten Risikos für die Entwicklung maligner Keimzelltumoren in den intraabdominalen Gonaden seit vielen Jahren empfohlen, jedoch ist die Aussagekraft gering. Vor der Pubertät ist das Tumorrisiko sehr gering. Eine Gonadektomie sollte bei unauffälligen Gonaden frühestens nach der Pubertät erfolgen, um eine spontane Pubertät und die Beteiligung der Patienten an wichtigen Entscheidungen, die ihren Körper und ihre Gesundheit betreffen, zu ermöglichen. Auch nach der Pubertät wird die Gonadektomie noch kontrovers diskutiert (Dohnert et al. 2017). Derzeit kann das absolute Malignitätsrisiko für Personen mit CAIS nicht bestimmt werden und die endogenen Hormonprofile zeigen sehr spezifische Merkmale, die die Knochengesundheit, das psychosoziale Wohlbefinden und viele andere Aspekte beeinflussen. Für Frauen mit CAIS, die ihre Keimdrüsen behalten wollen, schlagen wir ein halbjährliches Screeningprogramm vor, dass in einer prospektiven Multicenterstudie evaluiert werden muss (Dohnert et al. 2017).
Bei CAIS muss bis zum Einsetzen der Pubertät keine Therapie durchgeführt werden, es sei denn, es liegt ein Leistenbruch vor. Das Risiko einer Hodendegeneration wird als eher gering eingeschätzt, so dass die Hoden so lange wie möglich in situ belassen werden sollten. In der Pubertät kann es dann zu einer spontanen pubertären Entwicklung kommen. Die Hoden produzieren dann Testosteron, das teilweise zu Östrogenen aromatisiert wird. In den meisten Fällen ist eine Hormonersatztherapie nicht notwendig, solange die Hoden in situ bleiben. Allerdings sollte alle 6–12 Monate eine Bildgebung der Gonaden durchgeführt werden (Dohnert et al. 2017).
Nach Gonadektomie ist eine Substitutionstherapie mit Östrogenen oder Testosteron notwendig (Birnbaum et al. 2018). Korrektive genitalchirurgische Eingriffe, wie z. B. eine Vaginoplastik, sollten idealerweise erst nach der Pubertät durchgeführt werden und sich nach den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen richten. Die Patienten identifizieren sich meist mit der weiblichen Geschlechtsrolle, es gibt aber auch selten Personen, die sich mit einer männlichen Geschlechtsidentität identifizieren (T’Sjoen et al. 2011).

Partielle Androgenresistenz (PAIS)

Der Phänotyp bei partieller Androgenresistenz umfasst ein breites Spektrum, das den Graden 2 bis 5 nach der Quigley-Klassifikation entspricht. Es reicht von einem überwiegend weiblichen Phänotyp mit Klitorishypertrophie, ambivalentem Genitalbefund mit partieller labioskrotaler Fusion bis zu einem fast männlichen Phänotyp mit Hypospadie und Mikropenis. In der Pubertät kommt es dann auch zu einer verstärkten Aromatisierung, was zu weiblichen Körperformen und oft zu einer belastenden und ausgeprägten Gynäkomastie führt. Achsel- und Pubesbehaarung sind in unterschiedlichem Ausmaß vorhanden.
Diagnostisch zeigt PAIS meist ein klinisch auffallendes, ambivalentes Genitale bei der Geburt. Die Hormonparameter bei PAIS sind vergleichbar mit denen bei CAIS. Der Hormonstatus zeigt ein erhöhtes LH und Testosteron, da der Regelkreis aufgrund des Rezeptordefekts nicht mehr funktioniert. Bei PAIS ist eine molekulargenetische Diagnose nur in 1/3 der Fälle möglich. Bei PAIS ist das Hodentumorrisiko offensichtlich von der Lokalisation der Hoden abhängig. Nach einem Consensuspapier (Hughes et al. 2006) wird für PAIS mit intraabdominalen Gonaden ein Malignitätsrisiko von ca. 50 % angegeben, wobei diese Risikoangabe auf einer kleinen Patientenzahl beruht. Bei PAIS mit skrotalen Keimdrüsen wird ein geringeres Risiko angenommen, wobei eine zuverlässige Quantifizierung derzeit nicht möglich erscheint. Bei PAIS ist auch das Brustkrebsrisiko erhöht. Bei 3 Patient*innen mit PAIS und Brustkrebs wurde eine Missense-Mutation in der DNA-Bindungsdomäne nachgewiesen (Lobaccaro et al. 1993; Wooster et al. 1992).
Die Behandlung von PAIS sollte interdisziplinär erfolgen, insbesondere bei Grad 3 und 4. Sie sollte sich an den Bedürfnissen des Patient*innen orientieren und u. a. das Risiko einer Degeneration der Keimdrüsen und die chirurgischen Möglichkeiten im Erwachsenenalter berücksichtigen.
Bei PAIS hängen die Maßnahmen vom Grad der klinischen Virilisierung und dem Geschlecht ab, in dem das Kind aufwachsen wird. Abhängig von der Restfunktion des Androgenrezeptors kann die Reaktion des Genitalgewebes auf Androgene während der Pubertät sehr unterschiedlich ausfallen. Bei ausgeprägter Gynäkomastie sollte ggf. eine plastische Operation angeboten werden. Wenn Patienten eine männliche psychosexuelle Orientierung haben, zielt die Therapie darauf ab, den Phänotyp in eine männliche Richtung zu beeinflussen. Chirurgische Maßnahmen zielen daher auf die Korrektur von Hypospadie, Kryptorchismus und Gynäkomastie ab. Nach der Orchidektomie muss eine exogene Androgensubstitution erfolgen. In Einzelfällen kann versucht werden, durch eine hoch dosierte Testosterontherapie eine gewisse Intensivierung der Androgenisierung zu erreichen. Das Entartungsrisiko der Gonaden ist deutlich höher als beim CAIS. Daher sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig. Eine prophylaktische Gonadektomie vor der Pubertät darf nicht mehr erfolgen. Eine Gonadektomie kann bei auffälligen Befunden im Jugend- oder Erwachsenenalter notwendig werden. Gerade Menschen mit PAIS sollen von einer zurückhaltenden chirurgischen Behandlung und neuen Behandlungskonzepten profitieren.

Minimale Androgeninsensitivität (MAIS)

Die minimale Androgeninsensitivität (MAIS) entspricht dem Grad 1 nach Quigley. Abgesehen von einem möglichen Mikropenis sind die äußeren Genitalien unauffällig männlich. Die Gynäkomastie tritt typischerweise in der Pubertät auf. Es besteht eine Infertilität aufgrund von Azoospermie oder schwerer Oligozoospermie. MAIS umfasst auch männliche Infertilität auf dem Boden einer Mutation im AR-Gen. Allerdings sind bisher nur wenige AR-Mutationen bei unfruchtbaren Männern gefunden worden. Auch die Verlängerung der variablen polymorphen CAG-Trinukleotidregion im N-terminalen Ende des AR-Gens wurde mit MAIS und männlicher Unfruchtbarkeit in Verbindung gebracht (Zitzmann et al. 2005). Endokrinologische Hinweise auf MAIS sind normale oder erhöhte Testosteronkonzentrationen mit erhöhtem LH.
Aus therapeutischer Sicht könnte die Fertilität gegebenenfalls durch eine Androgentherapie wiederhergestellt werden.

Syndrom der persistierenden Müller-Gänge

Das Syndrom der persistierenden Müllerschen Gänge resultiert aus einer fehlenden AMH-Sekretion oder auch Wirkung (über den AMH-Typ-2-Rezeptor). Betroffene 46,XY-Individuen haben unauffällige virilisierte Genitalien mit normal entwickelten Wolffschen Gängen (Ductus deferens, Nebenhoden) und normal entwickelten Hoden, die sich meist im Bauchraum befinden. Trotz des männlichen Phänotyps sind jedoch Uterus und Eileiter vorhanden (Imbeaud et al. 1996).
Diagnostisch finden sich nicht messbare AMH-Konzentrationen bei AMH-Gendefekten und normale oder sogar erhöhte AMH-Konzentrationen bei AMH-Rezeptordefekten.
Die Hoden sollten orchidopexiert werden. Laparoskopisch können die Müller-Derivate operativ entfernt werden. Da der Ductus deferens jedoch in der Regel mit dem Uterus verwachsen ist, muss das chirurgische Vorgehen bei Hodenabstieg und Uterusentfernung von einem erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden (Josso et al. 2005).

Vanishing-testis-Syndrom

Beim Vanishing-Testis-Sydrom lassen sich bei einem Chromosomensatz von 46,XY keine Gonaden nachweisen. Die äußeren Genitalien entsprechen in der Regel einem männlichen Phänotyp mit Anorchie. Das bedeutet, dass sich die Hoden mindestens bis zur 12. Schwangerschaftswoche pränatal normal entwickelt haben muss (siehe auch Kap. „Lageanomalien der Hoden“) und die Funktionsstörung sekundär ist.
Die Hormonmessungen zeigen erhöhte Gonadotropine bei sehr niedrigen bis nicht nachweisbaren AMH- und Inhibin-B-Spiegeln. Der hypergonadotrope Hypogonadismus tritt spätestens in der Pubertät auf. Im hCG-Test ist kein Testosteronanstieg festzustellen (siehe Kap. „Endokrine Labordiagnostik“). Bei Laparoskopien zeigen sich teilweise sog. „Nubbins“ („Körnchen“) und blind endende Blutgefäße sind im Ductus deferens sichtbar. Diese haben kein Entartungsrisiko, werden aber in der Regel entfernt und durch Hodenprothesen ersetzt. Die Pubertätsinduktion und die Hormonersatztherapie mit Testosteron müssen lebenslang durchgeführt werden.

Ovotestikuläre Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung

Definition und Ätiologie

Eine ovotestikuläre Besonderheit der Geschlechtsentwicklung (Hughes et al. 2006) liegt vor, wenn Ovarial- und Hodengewebe gleichzeitig vorhanden sind. Die Gonaden können ein- oder beidseitig aus Ovotestes mit beiden Gewebeteilen bestehen. Es können aber auch auf einer Seite ein Ovar und auf der anderen Seite ein Hoden vorhanden sein.
Die genaue Prävalenz der Erkrankung ist nicht bekannt, es sind aber bisher nicht mehr als einige hundert Patienten beschrieben worden. Etwa 2/3 aller Patienten haben einen 46,XX-Karyotyp, 10 % haben einen 46,XY-Karyotyp, und die restlichen Patienten haben ein Chromosomenmosaik mit mindestens einer Y-Zelllinie. Bei einem Teil der Patienten mit einem XX-Karyotyp ist SRY nachweisbar, bei dessen Vorhandensein sich die primär unbestimmte Keimdrüse in einen Hoden differenziert (McElreavey und Fellous 1997). Insgesamt handelt es sich um eine sehr seltene DSD-Diagnose.
Der genitale Phänotyp ist sehr variabel und kann von überwiegend männlichen über ambivalente Genitalbefunde bis hin zu weiblichen äußeren Genitalien reichen. Bei der Geburt weisen 90 % der Patienten mit einer ovotestikulären Störung der Geschlechtsentwicklung ein intersexuelles Genitale auf. Die restlichen 10 % der Fälle haben eindeutig weibliche oder männliche äußere Genitalien. Aufgrund der Asymmetrie der Gonaden finden sich auch asymmetrische Befunde für die Labioskrotalfalten, die Lage der Gonaden ist variabel.
Je nach Anteil an ovariellem bzw. testikulärem Gewebe und damit deren lokaler AMH- und Testosteronsekretion finden sich unterschiedliche Befunde für Wolffsche und Müllersche Strukturen. Häufig sind das obere Ende der Vagina und ein rudimentärer Uterus vorhanden. Bei bis zu 50 % der Betroffenen entwickeln sich Leistenbrüche, was manchmal der erste Grund für die Diagnose ist. Die Hormonproduktion während der Pubertät führt häufig zu Virilisierung und Gynäkomastie (verursacht durch Androgene und Östrogene). In einer Studie von Melardi et al. wurde die Pubertät bei 20 Patienten untersucht, wobei sie bei 12 von ihnen spontan auftrat. Vier Patienten mit partieller Gonadektomie im Säuglingsalter konnten spontan in die weibliche Pubertät kommen. Es wurde beobachtet, dass Patienten, bei denen Gonadengewebe erhalten war, häufiger spontan in die Pubertät kommen konnten (Kilberg et al. 2019; Melardi et al. 2020). Etwa die Hälfte der phänotypisch weiblichen Patient*innen hat einen Menstruationszyklus, und auch Schwangerschaften wurden bei einzelnen Patienten mit einem 46,XX- oder 46,XX/46,XY-Karyotyp beschrieben (Narita et al. 1975). In den Ovotestes kommt es nicht zur Ausbildung einer normalen Spermatogenese, während in den Testes bei jedem zehnten Patienten eine Spermatogenese beobachtet werden kann.

Diagnostik

Die Gonadotropine können normal oder erhöht sein. Die Höhe der Östrogen- und Progesteronkonzentration hängt von einem möglichen ovariellen Zyklus ab. Der Funktionsnachweis von Hodengewebe erfolgt durch den hCG-Test und von ovariellem Gewebe durch den hMG-Test. Zur Beurteilung der Hodenfunktion ist auch die Bestimmung von Inhibin B und AMH sinnvoll. Die Diagnose kann letztlich nur durch eine Biopsie der Hodenkanälchen, Follikel und des ovariellen Stromas in den Gonaden gestellt werden. Eine Karyotypisierung sollte in allen Fällen durchgeführt werden. Zur Differenzialdiagnose können die verschiedenen Formen der 46,XY- und 46,XX-DSD in Betracht gezogen werden.

Therapie

Die Geschlechtszuordnung bei ovotestikulären Störungen der Geschlechtsentwicklung muss eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigen. Aus ethischen und rechtlichen Gründen sollten Eingriffe und irreversible Maßnahmen so weit wie möglich zurückgestellt werden, damit die Betroffenen selbst entscheiden können (McElreavey und Fellous 1997). Die maligne Entartungstendenz der Gonaden bei ovotestikulären Störungen der Geschlechtsentwicklung ist mit 10 % bei Patient*innen mit Y-Chromosom und 4 % bei Patienten ohne Y-Chromosom deutlich geringer als bei Gonadendysgenesien. Die Entscheidung zur Exstirpation der Gonaden muss daher nicht nur den Karyotyp des Patienten berücksichtigen, sondern insbesondere auch den Fertilitätsstatus und den hormonellen Status des Patienten. Wenn die Gonaden belassen werden, ist eine engmaschige Ultraschallkontrolle der Gonaden empfehlenswert. Wenn die Keimdrüsen entfernt werden, muss eine lebenslange Östrogen- oder Androgenersatztherapie entsprechend dem Phänotyp durchgeführt werden.

Zusammenfassung

DSD beinhaltet sowohl eine biologische Definition von Varianten der Geschlechtsentwicklung als auch ein Betreuungskonzept für betroffene Menschen, die sich teilweise als intersexuell bezeichnen.
  • Die Klassifikation folgt einem biologischen Ordnungsprinzip, gibt aber keine Geschlechtszuordnung vor.
  • Individuen mit einem 45,X/46,XY-Karyotyp können ein sehr variables klinisches Bild aufweisen, von komplett männlich bis komplett weiblich.
  • 21-Hydroxylase-Mangel mit 46,XX DSD und ausgeprägter Androgenisierung kann sich mit männlich erscheinenden äußeren Genitalien und unauffälligen weiblichen inneren Genitalien mit Uterus und Ovarien präsentieren. Die Diagnose wird durch das Neugeborenenscreening gestellt. 46,XX-Männer mit adrenogenitalem Syndrom bedürfen einer lebenslangen Substitutionstherapie mit Hydrocortison und Fludrocortison.
  • Als Gonadendysgenesie bezeichnet man die unvollständige oder fehlende Entwicklung der Keimdrüsen. Man unterscheidet „gemischte Gonadendysgenesie“ mit einem 45,X/46,XY-Karyotyp und „partielle“ oder „komplette Gonadendysgenesien“ mit einem 46,XY-Karyotyp mit teilweiser oder fehlender Androgenisierung (Andrade et al. 2019). Als Ursache wurden Mutationen in Genen identifiziert, die für die frühe Gonadendifferenzierung verantwortlich sind, wie z. B. WT-1 und NR5A1, und solche wie SRY, DMRT, SOX9 und DHH, die bei der Hodendifferenzierung eine Rolle spielen. Die Diagnose wird durch Laparoskopie, Gonadenbiopsie und endokrine und genetische Analyse gestellt.
  • Bei einer 46,XY-Störung der Androgenbiosynthese kommt es aufgrund der gestörten Androgenproduktion zur Ausbildung eines weiblichen bzw. intersexuellen äußeren Genitales, während Uterus und Eileiter obligat fehlen. Ursache sind entweder Defekte in der Steroidbiosynthese, die dann auch zu einer behandlungsbedürftigen Nebenniereninsuffizienz führen können, oder Mutationen an den Gonadotropinrezeptoren. Im Verlauf werden bei weiblicher Geschlechtsidentität und -zuordnung meist eine Gonadektomie und eine Hormonersatztherapie durchgeführt.
  • Mutationen im Androgenrezeptor führen zu einer Störung der Androgenwirkung. Man unterscheidet die kompletten Androgeninsensitivität (CAIS) und uneindeutigen genitalen Manifestationen bei partieller Androgeninsensitivität (PAIS) und einem überwiegend männlichen Phänotyp mit Infertilität bei der minimalen Androgeninsensitivität (MAIS). Die Gonaden sollten wegen des Risikos der Degeneration regelmäßig per Ultraschall untersucht werden, aber so lange wie möglich in situ belassen werden, um von ihrer eigenen Hormonproduktion zu profitieren.
  • Eine ovotestikuläre Besonderheit der Geschlechtsentwicklung liegt vor, wenn gleichzeitig ovarielles und testikuläres Gewebe vorhanden sind. Der klinische Phänotyp, die Hormonkonzentration und die Gonadenfunktion ist höchst variabel, so dass für jedes Individuum individuelle Behandlungskonzepte entwickelt werden müssen.
Fußnoten
1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Beitrag die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter.
 
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