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Pädiatrie
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Publiziert am: 20.06.2020

Angeborene Immundefekte mit vorwiegender Störung der Antikörperproduktion

Verfasst von: Johannes Trück und Mathias Hauri-Hohl
Angeborene Immundefekte, welche überwiegend mit einer quantitativ oder funktionell eingeschränkten Antikörperantwort einhergehen (Antikörperdefekte), zählen zu den häufigsten Formen primärer Immundefizienz mit einer geschätzten Inzidenz zwischen 1:400 und 1:100.000. Gemäß der aktualisierten Klassifizierung der IUIS (International Union of Immunological Societies) werden diese Störungen in 4 verschiedenen Untergruppen eingeteilt, basierend v. a. auf der Ausprägung des Antikörpermangels sowie nummerischer Veränderungen der B-Zellen. Antikörper-Defekte sind durch Störungen der B-Zell-Entwicklung im Knochenmark bzw. durch Einschränkung der Proliferation, Differenzierung oder Ausreifung von B-Zellen verursacht. Patienten mit Antikörperdefekten leiden typischerweise unter rezidivierenden Infektionen, welche in der Regel durch (kapseltragende) Bakterien, wie z. B. H. influenzae oder S. pneumoniae, verursacht werden. Charakteristischerweise kommt es bei betroffenen Patienten zu sogenannten Schleimhaut-assoziierten Infektionen, wie Otitiden, Pneumonien und bei älteren Patienten auch Sinusitiden. Die Therapie besteht in einer frühzeitigen und konsequenten Therapie von Infektionen und bei schweren Verlaufsformen in der regelmäßigen prophylaktischen Gabe von intravenös oder subkutan verabreichten Immunglobulinen vom Typ G (IgG).

Klassifikation

Angeborene Immundefekte mit überwiegend eingeschränkter Antikörperantwort gehören zu den häufigsten Formen primärer Immundefizienz (PID) mit einer geschätzten Inzidenz zwischen 1:400 und 1:100.000. Gemäß der aktualisierten Klassifizierung der IUIS (International Union of Immunological Societies) werden diese Störungen in 4 verschiedenen Untergruppen eingeteilt (Tab. 1), basierend vor allem auf der Ausprägung des Antikörpermangels sowie nummerischer Veränderungen der B-Zellen. Antikörperdefekte sind durch Störungen der B-Zell-Entwicklung im Knochenmark bzw. durch Einschränkung der Proliferation, Differenzierung oder Ausreifung von B-Zellen verursacht (Abb. 1). Patienten mit Antikörperdefekten leiden typischerweise unter rezidivierenden Infektionen, welche in der Regel durch (kapseltragende) Bakterien verursacht werden, wie z. B. H. influenzae oder S. pneumoniae. Charakteristischerweise kommt es bei betroffenen Patienten zu sog. Schleimhaut-assoziierten Infektionen, wie Otitiden, Pneumonien und bei älteren Patienten auch Sinusitiden. Defekte, welche vor allem das T-Zell-System betreffen, werden als kombinierte Immundefekte bezeichnet (Kap. „T-zelluläre und kombinierte Immundefekte bei Kinder und Jugendlichen“).
Tab. 1
Angeborene Immundefekte mit vorwiegend eingeschränkter Antikörperantwort (nach Picard et al. 2017)
Krankheit
Betroffenes Genprodukt
Vererbung
Anzahl peripherer B-Zellen
Immunglobulin-Konzentrationen im Serum
Besondere Merkmale
OMIM
1. Agammaglobulinämie; starke Verminderung aller Immunglobulin-Klassen, Anzahl B-Zellen stark reduziert oder fehlend
X-chromosomale Agammaglobulinämie (XLA)
BTK
XL
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
300300
μ-Schwerketten-Mangel
Igμ (IGHM)
AR
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
147020
λ5-Mangel
IGLL1
AR
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
146770
Igα-Mangel
Igα (CD79a)
AR
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
112205
Igβ-Mangel
Igβ (CD79b)
AR
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
147245
BLNK-Mangel
BLNK
AR
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
604515
PIK3R1-Mangel
PIK3R1
AR
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Schwere bakterielle Infektionen
171833
Defekt des Transkriptionsfaktors E47
TCF3
AD
↓↓↓
Alle Klassen ↓↓↓
Rezidivierende bakterielle Infektionen
147141
2. CVID-Phänotyp; starke Verminderung von mindestens 2 Immunglobulin-Klassen, Anzahl B-Zellen normal oder leicht vermindert
Variables Immundefektsyndrom (CVID, common variable immunodeficiency) ohne bekannten Gendefekt
Unbekannt
Variabel
↓/N
IgG ↓, IgA ↓ und/oder IgM ↓
Variabler Phänotyp: meist rezidivierende Infektionen, teilweise polyklonale Lymphoproliferation, Autoimmunzytopenien und/oder granulomatöse Erkrankung
-
PIK3CD-Mutation
(GOF)
PIK3CD
AD
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓/N, IgM N/↑
Schwere bakterielle Infektionen, schwere/chronische EBV-Infektion, Autoimmunität
602839
PIK3R1-Mangel
(LOF)
PIK3R1
AD
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓, IgM ↓/N/↑
Schwere bakterielle Infektionen, schwere/chronische EBV-Infektion, Wachstumsretardierung bzw. Kleinwuchs
616005
PTEN-Mangel
PTEN
AD
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Rezidivierende bakterielle Infektionen, Lymphoproliferation, Autoimmunität, Makrozephalie, psychomotorischer Entwicklungsrückstand
601728
CD19-Mangel
AR
N
IgG ↓, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Rezidivierende Infektionen, Glomerulonephritis möglich
107265
CD81-Mangel
CD81
AR
N
IgG ↓, IgA ↓/N, IgM N
Rezidivierende Infektionen, Glomerulonephritis möglich
186845
CD20-Mangel
MS4A1
AR
N
IgG ↓, IgA ↓/N, IgM N
Rezidivierende Infektionen
112210
CD21-Mangel
CR2
AR
N
IgG ↓, IgA ↓, IgM ↓/N
Rezidivierende Infektionen
120650
TACI-Mangel
TNFRSF13B (TACI)
AD oder AR
↓/N/↑
IgG ↓, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Variabler Phänotyp, Mutationen wurden auch bei asymptomatischen Individuen und bei Patienten mit selektivem IgA- und IgG-Subklassen-Mangel gefunden
604907
BAFF-Rezeptor-Mangel
TNFRSF13C (BAFF-R)
AR
↓/N
IgG ↓, IgA ↓, IgM ↓
Variabler Phänotyp, Mutationen wurden auch bei asymptomatischen Individuen und bei Patienten mit selektivem IgA- und IgG-Subklassen-Mangel gefunden
606269
TWEAK-Mangel
TNFSF12
AD
↓/N
IgG/N, IgA ↓, IgM ↓
Pneumonien, bakterielle Infektionen, Warzen, Thrombozytopenie, Neutropenie
602695
MOGS-Mangel
(Mannosyl-oligosaccharide glucosidase)
MOGS (GCS1)
AR
N/↑
IgG ↓, IgA ↓, IgM ↓
Bakterielle und virale Infektionen, schwere neurologische Defizite, entspricht kongenitaler Glykosilierungsstörung (CDG) Typ IIb
601336
TRNT1-Mangel
TRNT1
AR
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Angeborene sideroblastische Anämie, Taubheit, Entwicklungsverzögerung
612907
TTC37-Mangel
TTC37
AR
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Rezivierende bakterielle und virale Infektionen, Haarauffälligkeiten: Trichorrhexis nodosa
614589
NFKB1-Mangel
NFKB1
AD
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Rezidivierende sinopulmonale Infektionen, COPD, schwere/chronische EBV-Infektion, Autoimmunzytopenien, Alopezie, Autoimmunthyreoiditis
164001
NFKB2-Mangel
NFKB2
AD
↓/N
IgG ↓/N, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Rezidivierende sinopulmonale Infektionen, Alopezie, Endokrinopathien (NNR-Insuffizienz, ACTH-Mangel)
615577
IKAROS-Mangel
IKZF1
AD
↓/N
IgG ↓, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Rezidivierende sinopulmonale Infektionen
603023
IRF2BP2-Mangel
IRF2BP2
AD
N
IgG ↓, IgA ↓, IgM ↓
Rezidivierende Infektionen; Autoimmunität und inflammatorische Erkrankungen möglich
615332
ATP6AP1-Mangel
ATP6AP1
XL
?
IgG ↓, IgA ↓/N, IgM ↓/N
Hepatopathie, Leukozytopenie, erniedrigtes Kupfer
300197
3. Hyper-IgM; starke Verminderung von Serum-IgG und -IgA mit normalem oder erhöhtem Serum-IgM, Anzahl B-Zellen normal
(Bemerkung: Die klassischen (und deutlich häufigeren) Formen eines Hyper-IgM-Syndroms werden durch Mutationen in CD40L und CD40 verursacht. Diese Erkrankungen werden (neu) als kombinierte Immundefekte angesehen und sind deshalb in der Tabelle nicht dargestellt, werden jedoch im Text der Vollständigkeit halber behandelt.)
AID-Mangel
(activation induced cytidin deaminase)
AICDA
AR
N
IgG ↓, IgA ↓, IgM N/↑
Bakterielle Infektionen; vergrößerte Lymphknoten und Keimzentren
605257
UNG-Mangel
(Uracil-N-Glykosylase)
UNG
AR
N
IgG ↓, IgA ↓, IgM N/↑
Vergrößerte Lymphknoten und Keimzentren
191525
INO80-Defekt
(INO80 complex subunit)
INO80
AR
N
IgG ↓, IgA ↓, IgM N/↑
Schwere bakterielle Infektionen
610169
MSH6-Defekt
(mutS homolog 6)
MSH6
AR
N
IgG ↓/N, IgA N, IgM N/↑
Erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Malignome
600678
4. Isotypen-, Leichtketten- oder sonstige funktionelle B-Zell-Defekte mit meist normaler Anzahl an B-Zellen
Defekt der schweren Immunglobulinkette
14q32 (Mutation oder Deletion)
AR
N
≥1 IgG/A Subklasse oder IgE ↓
Teilweise asymptomatisch
147100
κ-Leichtketten-Mangel
IGKC
AR
N
IgG/A/M ↓/N (alle Ig mit λ-Leichtkette)
Asymptomatisch
147200
Isolierter IgG-Subklassen-Mangel
Unbekannt
Unbekannt
N
IgG N, IgA N, IgM N, ≥1 IgG Subklasse ↓
Meist asymptomatisch, selten rezidivierende bakterielle/virale Infektionen, teilweise verminderte Bildung spezifischer Antikörper
-
IgA-Mangel mit IgG-Subklassen-Mangel
Unbekannt
Unbekannt
N
IgG N, IgA ↓, IgM N, ≥1 IgG Subklasse ↓
Meist rezidivierende bakterielle Infektionen
-
Unbekannt
Unbekannt
N
IgA ↓/fehlend
Meist asymptomatisch, selten rezidivierende Infektionen, leicht erhöhtes Risiko für Autoimmunität
-
Spezifischer Antikörpermangel mit normalen Serumimmunglobulinen, B-Zell-Zahl normal
Unbekannt
Unbekannt
N
N
Verminderte Bildung spezifischer Antikörper, z. B. gegen Polysaccharide
-
Unbekannt
Unbekannt
N
IgG ↓, IgA ↓
Meist asymptomatisch, normale Bildung spezifischer Antikörper
-
CARD11-Defekt
(caspase recruitment domain)
(GOF)
CARD11
AD
IgG N/↑, IgA N, IgM ↓/N
Splenomegalie, Lymphadenopathie, verminderte Bildung spezifischer Antikörper
607210
Selektiver IgM-Mangel
Unbekannt
Unbekannt
N
IgG N, IgA N, IgM ↓
Bakterielle Infektionen, z. B. mit Pneumokokken
-
AR autosomal-rezessiv; AD autosomal-dominant; BTK Bruton-Tyrosinkinase; CVID variables Immundefekt-Syndrom; GOF Gain-of-function-Mutation (Verstärkung der Genaktivität oder neue Funktion des Gens); LOF Loss-of-function-Mutation (Funktionsverlust des Genproduktes); XL X-chromosomal; BLNK B-Zell-Linker-Protein; PIK3R1 phosphatidylinositol 3-kinase regulatory subunit 1; PIK3CD phosphatidylinositol-4,5-bisphosphate 3-kinase catalytic subunit deltakinase, regulatory subunit 1; PTEN phosphatase and tensin homolog; TACI transmembrane activator and CAML interactor; BAFF B-Zell-aktivierender Faktor; TWEAK TNF-related weak inducer of apoptosis; TRNT1 CCA-adding transfer RNA nucleotidyl transferase; TTC37 tetratricopeptide repeat domain containing protein 37; NFKB1 nuclear factor kappa B subunit 1; IKAROS ikaros family zinc finger protein 1; IRF2BP2 interferon regulatory factor 2 binding protein 2; ATP6AP1 ATPase H+ transporting accessory protein 1
Zur initialen Diagnostik bei Verdacht auf Erkrankungen des B-Zell-Systems gehören neben einem Blutbild mit Differenzierung die Messung der Antikörperkonzentrationen im Serum (IgA, IgG, IgE, IgM) und die Messung der Anzahl peripherer B-Zellen (gegebenenfalls auch der B-Zell-Subpopulationen) mittels Durchflusszytometrie, wobei altersabhängige Normwerte zu beachten sind. Als funktionelle Testung des B-Zell-Systems kann eine Bestimmung spezifischer Antikörper im Serum, meist Impfantikörper, gegenüber Protein- und Polysaccharid-Antigenen erfolgen. Die Interpretation der Impfantikörper ist im Einzelfall nicht immer einfach und u. a. abhängig von der Anzahl und dem Zeitpunkt der erhaltenen Impfdosen, gelegentlich auch von der Art des Impfstoffes. Bei tiefen oder unklaren Werten sollten spezifische Antikörperkonzentrationen gegen Impfantigene 4–6 Wochen nach (erneuter) Impfung bestimmt werden. Teilweise kommt es nach einer initial adäquaten Impfantwort zu einem Abfall der Impfantikörperkonzentrationen innerhalb von Wochen oder weniger Monate, sodass in gewissen Fällen eine erneute Messung 6–9 Monate nach Impfung sinnvoll sein kann.
Das Auftreten von schweren oder rezidivierenden (bakteriellen) Infektionen ist bei Kindern und Jugendlichen meist der Auslöser, um nach einer Erkrankung des B-Zell-Systems zu suchen. Da eine Infektionsanfälligkeit auch bei anderen Erkrankungen auftreten kann, kann es – vor allem im hoch spezialisierten Setting, z. B. im Immundefekt-Zentrum – sinnvoll sein, bereits früh eine breitere Diagnostik durchzuführen. Neutrophilen-Funktionsstörungen (z. B. septische Granulomatose) sind insbesondere bei Auftreten von Abszessen oder invasiven Infektionen mit Pilzen in Betracht zu ziehen. Komplementdefekte sind insgesamt sehr selten, führen aber ebenfalls zu schweren invasiven Infektionen und sollten insbesondere bei Infektionen mit Meningokokken bedacht werden. Schlussendlich können sich auch Defekte der natürlichen Immunität, kombinierte Immundefekte, Erkrankungen mit Immundysregulation oder auch autoinflammatorische Syndrome klinisch ähnlich wie Antikörperdefekte präsentieren, sodass eine phänotypische Unterscheidung anhand klinischer Charakteristika nicht immer gelingt.
Die in diesem Kapitel besprochenen Antikörperdefekte (Tab. 1) sind durch eine vorwiegende Störung des B-Zell-Systems gekennzeichnet und müssen bei nachgewiesenem Antikörpermangel differenzialdiagnostisch von anderen Immundefekten und alternativen Erkrankungen abgegrenzt werden, bei denen es ebenfalls zu einer Störung des humoralen Immunsystems oder Hypogammaglobulinämie kommen kann, ohne dass ein intrinsisches Problem der Antikörperproduktion besteht. Dazu gehören kombinierte Immundefekte und Immundefizienzen im Rahmen von komplexen Syndromen, Erkrankungen mit Proteinverlust (nephrotisches Syndrom, intestinales Proteinverlustsyndrom, intestinale Lymphangiektasie), katabole Zustände (als Folge von Tumoren, chronischen Krankheiten, Traumen, schwere Verbrennungen), virale Infektionen (EBV, CMV, Masern, HIV) und medikamentöse Einwirkungen (Kortikosteroide, Antikonvulsiva, Immunsuppressiva, Zytostatika).

Agammaglobulinämien

Agammaglobulinämien (AG) sind angeborene genetische Defekte, die zu einer starken Verminderung der Konzentrationen aller Immunglobulin-Klassen im Serum und zu einem (fast) vollständigen Fehlen der peripheren B-Zellen führen. Bei diesen Erkrankungen ist weder die Bildung noch die Funktion der T-Zellen beeinträchtigt. Die Inzidenz der Agammaglobulinämie wird auf ungefähr 1:100.000 geschätzt. Da Antikörper der Klasse IgG diaplazentar von der Mutter auf den Feten übertragen werden, ist das Neugeborene trotz geringer Eigenproduktion an Antikörpern vorübergehend gegen Infektionen geschützt und es kommt erst nach Abfall der mütterlichen Antikörper im Alter von 3–6 Monaten zu klinischen Symptomen. Manche Patienten sind erstaunlicherweise trotz schwerem Antikörpermangel über längere Zeit wenig symptomatisch. Agammaglobulinämien können wie andere B-Zell-Differenzierungsstörungen durch die Analyse der Immunglobulin K-deleting recombinant excision circles (KREC) im Rahmen eines Neugeborenenscreenings erfasst werden. KREC sind kleine ringförmige DNA-Fragmente, die während der Reifung von B-Zellen bei der somatischen Rekombination des B-Zell-Rezeptor-Genlokus als Abfallprodukt entstehen. KREC werden von der Zelle nicht repliziert und bei einer Zellteilung lediglich auf eine der beiden Tochterzellen übertragen. Die Zahl der KREC im Blut korreliert sehr gut mit der Zahl der frisch entstehenden, naiven B-Lymphozyten.

X-chromosomal vererbte Agammaglobulinämie

Diagnose und klinische Symptome
Die X-chromosomal vererbte Agammaglobulinämie (XLA, Bruton-AG oder BTK-Defizienz) ist mit rund 85 % der diagnostizierten Fälle die häufigste Form der Agammaglobulinämien. Die Erkrankung wird durch Mutationen im Gen der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) verursacht, die zu einem Funktionsverlust des BTK-Proteins und damit zu einem Block in der B-Zell-Entwicklung führen. In ca. 1/3 der Fälle handelt es sich um de novo Mutationen, während in den anderen Fällen das defekte Gen von der (gesunden) Mutter auf deren Söhne übertragen wird. Bei Patienten mit XLA finden sich im Knochenmark bei normaler Anzahl an Pro-B-Zellen eine Reduktion von Prä-B-Zellen und im peripheren Blut eine drastische Verminderung von reifen B-Zellen und der Konzentrationen aller Immunglobulinklassen. T-Zellen von XLA-Patienten haben eine normale Funktion, können aber in erhöhter Frequenz im peripheren Blut dieser Patienten nachgewiesen werden, sodass die Gesamt-Lymphozytenzahl meist nicht erniedrigt ist. Durch den Mangel an reifen B-Zellen bleibt die Bildung von Keimzentren in sekundären lymphatischen Geweben aus. So sind Lymphknoten und das organisierte lymphatische Gewebe von Tonsillen und Peyer-Plaques sowie die weiße Pulpa der Milz nur dürftig ausgebildet. Dies kann diagnostisch genutzt werden, da bei diesen Patienten kaum Tonsillengewebe sichtbar ist und auch bei Infektionen keine Lymphknoten palpabel sind.
Klinisch manifestiert sich die XLA häufig erst in der zweiten Hälfte des 1. Lebensjahres nach Abfall transplazentar erworbener maternaler IgG im Serum des Säuglings. Typischerweise entwickeln XLA-Patienten chronisch bakterielle Infektionen wie Otitiden, Pneumonien, Bronchitiden und Sinusitiden, aber auch systemische Infektionen wie Sepsis, Meningitis, Osteomyelitis und septische Arthritis. Bekapselte Bakterien wie H. influenzae, S. pneumoniae, S. aureus und Pseudomonas spp. gelten bei XLA als typische Pathogene. Ferner scheint bei diesen Patienten eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen des Urogenitaltrakts durch Mykoplasmen, Chlamydien und Giardiasis zu bestehen. Außerdem besteht eine Prädisposition gegenüber chronischen ZNS-Infektionen durch Enteroviren, die nicht selten tödlich verlaufen. Unbehandelt steht als Komplikation bei XLA-Patienten die Ausbildung von Bronchiektasen im Vordergrund, die auch im frühen Alter zu Lungenversagen und schließlich zum Tod führen können.
Im Rahmen akuter Infektionen können XLA-Patienten eine ausgeprägte Neutropenie aufweisen, da BTK auch in myeloiden Zellen exprimiert wird und in neutrophilen Granulozyten eine wichtige, z. T. noch ungeklärte Rolle, spielt. Der Mangel an BTK führt aber nur bei erhöhtem Umsatz im Rahmen von Infekten zu einem Mangel an neutrophilen Granulozyten im peripheren Blut. Die Neutropenie verschwindet rasch nach Einleitung einer adäquaten antibiotischen Therapie. Eine substanzielle Neutropenie wird unter intravenöser Immunglobulin-Therapie in der Regel nicht beobachtet.
Therapie
Das primäre Ziel der Behandlung ist die Verhinderung von Lungenschäden. Als wichtigste prophylaktische und therapeutische Maßnahme ist dabei die Substitution mit intravenös oder subkutan verabreichten Immunglobulinen vom Typ G (IgG) anzusehen. Die Frequenz und Dosis wird entsprechend der klinischen Symptomatik und dem IgG-Serumspiegel individuell festgesetzt. Eine frühe Diagnose und die konsequente Therapie haben zu einer deutlichen Erhöhung der Lebenserwartung von XLA-Patienten geführt, auch wenn viele Patienten nicht komplett symptomfrei sind. Ferner weisen XLA-Patienten ein erhöhtes Risiko für Dickdarmkarzinome auf. Auf Impfungen wird aufgrund der eingeschränkten Immunantwort und der IgG-Substitution meist verzichtet, gegebenenfalls kann eine jährliche Influenzaimpfung in Betracht gezogen werden.

Autosomal vererbte Agammaglobulinämie

Epidemiologie und Ätiologie
Autosomal-rezessiv vererbte Formen der AG sind deutlich seltener als die XLA. Molekulare Defekte sind bislang nur bei rund der Hälfte der im Detail abgeklärten Fälle nachgewiesen worden und betreffen vor allem Mutationen in Genen für die einzelnen Bestandteile des Prä-B-Zell-Antigenrezeptors. Diese Mutationen, die zu einem Funktionsverlust des Genprodukts führen, hemmen die weitere Ausreifung von B-Zellen, was schließlich zu einem Fehlen von reifen B-Zellen führt. Eine weitere autosomal-rezessive Form der AG wurde kürzlich bei einer einzigen Patientin gefunden, welche eine homozygote Mutation im Gen Phosphatidylinositol 3-kinase regulatory subunit 1 (PIK3R1) aufwies, was zu einem noch früheren Stopp in der B-Zell-Entwicklung mit fehlenden Pro-B-Zellen führt. Als einzige autosomal-dominante Form der AG sind bei wenigen Patienten de novo Mutationen im Gen Transcription factor 3 (TCF3) beschrieben, was ebenfalls zu einem frühen Stopp in der B-Zell-Entwicklung führt und mit einem ausgeprägten Mangel an reifen B-Zellen vergesellschaftet ist.
Verlauf und Therapie
Im Vergleich zur XLA manifestieren sich die autosomal vererbten Formen der AG meist früher (Altersdurchschnitt bei Diagnosestellung <1 Jahr vs. 3 Jahre) und weisen einen schwerwiegenderen klinischen Verlauf auf. Sowohl die Infekt-assoziierte Neutropenie als auch enterovirale Infektionen kommen bei diesen Formen der AG häufiger vor. Die Therapie der autosomal vererbten Formen der AG entspricht jener der XLA.

Störungen mit schwerem Mangel an zwei oder mehr Immunglobulin-Klassen mit normaler oder leicht verminderter Anzahl von zirkulierenden B-Zellen

Diese Erkrankungsgruppe bzw. Laborkonstellation ist klinisch am ehesten mit dem Bild des variablen Immundefektsyndroms zu vereinbaren und umfasst eine heterogene Gruppe von (meist erwachsenen) Patienten. Durch Fortschritte in der genetischen Diagnostik werden bei Patienten mit diesem Krankheitsbild regelmäßig Mutationen in neuen Genen entdeckt, wobei weiterhin der Großteil der Patienten keine molekulare Diagnose aufweist. Die jeweiligen Besonderheiten der genetischen Untergruppen sind in stichwortartig in Tab. 1 aufgelistet und werden punktuell auch in Abschn. 3.1 abgehandelt.

Variables Immundefektsyndrom

Klinische Symptome
Das variable Immundefektsyndrom (CVID, common variable immunodeficiency) ist mit einer Inzidenz von 1:25.000–1:60.000 der häufigste primäre Immundefekt, der einer gezielten medizinischen Intervention bedarf. Diese Erkrankungsgruppe manifestiert sich in der Regel erst im 2. oder 3. Lebensjahrzehnt und betrifft häufig Störungen der peripheren B-Zell-Differenzierung. CVID-Patienten fallen meist als Jugendliche oder junge Erwachsene auf und leiden unter rezidivierenden Infektionen der Atemwege (Sinusitis, Otitis, Bronchitis, Pneumonie). Atemwegsinfektionen werden typischerweise durch kapseltragende Bakterien wie H. influenzae und S. pneumoniae verursacht. Bei Vorliegen von Bronchiektasen können auch Staphylokokken oder P. aeruginosa isoliert werden. Ein kleiner Anteil der Patienten entwickelt auch Infektionen mit Enteroviren, Mykobakterien, P. jirovecii oder Pilzen, die sonst eher als Pathogene bei T-Zell-Defekten gelten. Bei einem Drittel der CVID-Patienten kann eine follikuläre Hyperplasie und eine Lymphoproliferation mit Splenomegalie nachgewiesen werden, welche gelegentlich zur Entwicklung lymphoretikulärer Malignome führen. Ungefähr jeder 5. CVID-Patient leidet unter Autoimmunerkrankungen, wie eine autoimmune hämolytische Anämie, autoimmune Neutropenie und Thrombozytopenie, Arthritis oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Diagnose
Die klinische Diagnose eines CVID umfasst
1.
das Vorhandensein von typischen Symptomen (Infektionsanfälligkeit, Autoimmunerkrankung, granulomatöse Erkrankung, unerklärte polyklonale Lymphoproliferation oder eine positive Familienanamnese in Bezug auf Antikörpererkrankungen) bei
 
2.
gleichzeitigem Vorliegen eines schweren Mangels an IgG und IgA oder IgM,
 
3.
einer verminderten spezifischen Immunantwort auf Impfantigene oder einen Mangel an B-Gedächtniszellen im peripheren Blut,
 
4.
einen Ausschluss von sekundären Ursachen des Antikörpermangels und
 
5.
das Fehlen eines schwerwiegenden T-Zell-Defekts.
 
Außerdem sollte die Diagnose erst ab einem Alter von 4 Jahren gestellt werden, auch wenn bereits vorher Symptome vorhanden sein können. Die Serum-Immunglobulinkonzentrationen sind bei CVID-Patienten in der Regel höher als jene bei Agammaglobulinämien, und die Hälfte der Patienten weist normale IgM-Konzentrationen auf. Die Zahl der im peripheren Blut nachweisbaren B-Zellen ist normal bzw. leicht vermindert bei häufig verminderter Anzahl an B-Gedächtniszellen. Ferner können bei einer Untergruppe von CVID-Patienten (25–30 %) vermehrt CD8+-T-Zellen im peripheren Blut nachgewiesen werden, während eine normale bzw. sogar leicht verminderte Anzahl von naiven CD4+-T-Zellen bei diesen Patienten dokumentiert wird. Die Ursache für diese Veränderungen scheint eine Zunahme der zyklischen Adenosinmonophosphat-Konzentrationen und eine verstärkte Aktivierung der Proteinkinase A zu sein, was wiederum über eine verminderte IL-10-Produktion zu einer gestörten B- und T-Zell-Funktion führt. Diese Untergruppe von CVID-Patienten zeigt klinisch häufig eine Splenomegalie und Bronchiektasen.
Genetik
Die klinische Entität CVID ist genetisch heterogen und die genaue molekulare Ursache ist nur bei einem geringen Prozentsatz der Patienten bekannt. Gewisse klinische Befunde oder auch Laborkonstellationen können im Einzelfall Hinweise auf den zugrunde liegenden Defekt geben (Tab. 1), jedoch werden selbst in diesen Fällen die Patienten heutzutage meist einer breiten genetischen Diagnostik zugeführt. Bei bis zu 10 % der CVID-Fälle liegt eine familiäre Belastung als Hinweis auf einen autosomal-dominanten bzw. autosomal-rezessiven Erbgang vor. Eine Korrelation von CVID mit der häufigen, aber meist klinisch inapparenten selektiven IgA-Defizienz wurde beschrieben.
Therapie und Prognose
Die Therapie der CVID besteht in einer intravenös oder subkutan verabreichten IgG-Substitution. Damit kann die Häufigkeit von Infektionen vermindert werden. Selbst bei Patienten mit bestehenden Bronchiektasen kann eine Verbesserung der Lungenfunktion erreicht werden, wobei bei diesen Patienten meist ein höherer IgG-Spiegel angestrebt wird als bei Patienten ohne chronische Lungenveränderungen. Infektionen sollten früh und aggressiv mit Antibiotika therapiert werden. Meist ist eine empirische Therapie mit Wirkstoffen gegen kapseltragende Bakterien wie H. influenzae und S. pneumoniae ausreichend, beim Vorliegen von Bronchiektasen oder langdauernden Infektionen sollte unbedingt eine Erregerisolation angestrebt werden, da bei diesen Patienten auch Staphylokokken oder Pseudomonaden krankheitsauslösend sein können. Nicht selten sind eine längere Therapiedauer und die intravenöse Gabe von Antibiotika erforderlich. Die im Rahmen der CVID diagnostizierten Autoimmunerkrankungen und die lymphoide Hyperplasie kann einer gelegentlichen, kurzzeitigen Gabe von Steroiden bedürfen, doch sollte auf eine längere immunsuppressive Therapie verzichtet werden. Die konsequente Anwendung dieser therapeutischen Maßnahmen hat die Prognose für CVID-Patienten wesentlich verbessert. Dessen ungeachtet entwickeln aber weiterhin viele Patienten schwere Bronchiektasen und chronische Lungenerkrankungen, welche neben Lymphomen die hauptsächliche Ursache für die eingeschränkte Lebenserwartung sind.

Störungen mit schwerem IgG- und IgA-Mangel bei normaler oder erhöhter IgM-Serumkonzentration und normaler Anzahl von zirkulierenden B-Zellen

Einleitung

Diese Erkrankungsgruppe wird auch als Hyper-IgM-Syndrom (HIGM) bezeichnet, wobei nicht bei allen Patienten tatsächlich eine erhöhte IgM-Konzentration im Serum zu finden ist. Die bei weitem häufigsten (und klassischen) Formen des HIGM betreffen Mutationen in Genen aus der CD40-Ligand:CD40-Achse. Phänotypisch sind diese Formen des HIGM als kombinierte Immundefekte anzusehen und werden mittlerweile auch als solche klassifiziert. Der Vollständigkeit halber werden sie jedoch in diesem Kapitel diskutiert. Beim HIGM finden sich üblicherweise eine normale Anzahl an zirkulierenden B-Zellen bei gleichzeitig sehr tiefen oder nichtmessbaren IgG- und häufig auch IgA-Serumkonzentrationen. Wie der Name impliziert, sind die IgM-Konzentrationen im Serum im Vergleich dagegen nicht beeinträchtigt, d. h. sie sind insgesamt in normaler oder erhöhter Konzentration vorhanden. Ursächlich für alle HIGM-Formen ist ein gestörter Klassenwechsel von IgM zu IgA, IgG und IgE. Teilweise ist auch die somatische Hypermutation im Rahmen der Antikörperaffinitätsreifung eingeschränkt. Da die Entwicklung von naiven B-Zellen und die T-Zell-unabhängige Differenzierung in IgM+-Plasmazellen nicht beeinträchtigt ist, wird fast ausschließlich IgM gebildet. Man nimmt an, dass erhöhte IgM-Konzentrationen als Folge einer polyklonalen Expansion von IgM+-B-Zellen auftreten. Differenzialdiagnostisch sollten jedoch bei Hypogammaglobulinämie mit normalen oder erhöhten IgM-Konzentrationen auch weitere Immundefekte in Betracht gezogen werden, insbesondere autosomal-dominante Mutationen in PIK3CD und PIK3R1, welche sich ähnlich präsentieren können.

Störungen der CD40L:CD40-Signalachse

Definition und Ätiopathogenese
In den weitaus häufigsten Fällen (rund zwei Drittel der betroffenen Patienten) liegen dem klinischen Bild des HIGM Mutationen im Gen CD40LG zugrunde, welches für den CD40-Ligand (CD40L, auch als CD154 bezeichnet) kodiert und auf dem langen Arm des X-Chromosoms lokalisiert ist. CD40L wird auf aktivierten CD4+-T-Zellen exprimiert und gehört zur Familie der Tumornekrosefaktoren. Dessen Ligand CD40 kann auf den meisten B-Zellen, aber auch auf dendritischen Zellen sowie weiteren hämatopoietischen Zellen und Epithelzellen nachgewiesen werden. Die Interaktion zwischen CD40L auf T-Zellen und CD40 auf B-Zellen stellt Signale bereit, welche für den Immunglobulin-Klassenwechsel benötigt werden. Infolge des Ausbleibens eines Klassenwechsels sind typischerweise keine oder kaum IgA-, IgG-, und IgE-exprimierende CD27+-B-Gedächtniszellen im peripheren Blut nachweisbar und es fehlt die Bildung von Keimzentren im lymphatischen Gewebe. Im Gegensatz zu Patienten mit Agammaglobulinämie sind Lymphknoten und Tonsillen jedoch klinisch nachweisbar und teilweise sogar vergrößert. Der Mangel an CD40L hat meist kaum Einfluss auf die Anzahl oder die Verteilung der T-Zell-Subpopulationen. Unter physiologischen Bedingungen stimulieren aktivierte T-Zellen mittels ihrer CD40L-Expression auch Makrophagen und dendritische Zellen zur Produktion von Interleukin-12. Dieses Zytokin verstärkt über eine Rückkopplung in T-Zellen die Sekretion von Interferon-γ. Der Mangel an funktionellem CD40L hat deshalb zur Folge, dass nur eine geringe Menge an IFN-γ gebildet werden kann.
Bei Patienten mit Mutationen in CD40 kommt es ähnlich wie beim CD40L-Defekt zu einer eingeschränkten Funktion der CD40L:CD40-Interaktion und damit dem Ausbleiben des Klassenwechsels von B-Zellen. Obwohl es sich bei dem CD40-Mangel vorwiegend um einen Defekt der B-Zellen handelt, ist bei dieser Erkrankung die Funktion der T-Zellen ebenfalls eingeschränkt. Dies wird einer Störung in der Reifung dendritischer Zellen zugeschrieben, was wiederum zu einer fehlenden Aktivierung von T-Zellen und einem damit verbundenen Mangel an IFN-γ führt. Der CD40-Mangel wird autosomal-rezessiv vererbt und entspricht in Klinik und Schweregrad dem CD40L-Mangel.
Ein weiterer X-chromosomal vererbter Defekt, welcher sich gelegentlich als HIGM präsentiert, wird durch Mutationen im Gen IKBKG des NF-κB essential modulators (NEMO) verursacht und als ektodermale Dysplasie mit Immundefizienz (EDA-ID) bezeichnet. NF-κB ist unter anderem für den intrazellulären Signalweg bei der CD40-induzierten Aktivierung von Bedeutung, sodass damit die Störung im Klassenwechsel von IgM zu anderen Isotypen erklärbar ist. Patienten mit NEMO-Defekt können außerdem unter opportunistischen Infektionen leiden, was auf eine nur geringe Antwort auf die Stimulation mit TNF oder über Toll-like-Rezeptoren zurückgeführt wird. Zudem hat die gestörte Signaltransduktion auch Bedeutung für die Organentwicklung. Ein überlappendes klinisches Bild mit EDA-ID findet sich bei Patienten mit autosomal-dominanten Mutationen im Gen NFKBIA.
Angesichts des zugrunde liegenden oder assoziierten T-Zell-Defekts werden Erkrankungen mit Störung in der CD40L:CD40-Achse den kombinierten Immundefekten zugeordnet.
Klinische Symptome
Patienten mit HIGM durch Störungen in der CD40L:CD40-Achse präsentieren sich mit bakteriellen und opportunistischen Infektionen, wobei Patienten mit EDA-ID einen sehr variablen Phänotyp aufweisen können. Die meisten Patienten leiden unter rezidivierenden Infektionen der oberen und unteren Atemwege. Opportunistische Infektionen werden durch Pneumocystis jirovecii, Toxoplasmen oder Cryptosporidien verursacht. Weiterhin können schwere Infektionen mit Zytomegalievirus (CMV), Adenovirus, Cryptococcus neoformans oder Mykobakterien auftreten. Ein Teil der Patienten leidet unter Autoimmunerkrankungen wie Arthritis, entzündlicher Darmerkrankung oder Zytopenien. Schwere chronische oder intermittierende Neutropenien, welche oft auch zusammen mit oralen Schleimhautulzerationen auftreten, können vor allem bei Patienten mit CD40L-Mangel nachgewiesen werden, wobei der Pathomechanismus hierzu unzureichend aufgeklärt ist. Patienten mit CD40L-Mangel zeigen ferner ein erhöhtes Risiko, an einer Zirrhose der Leber und der Gallenwege sowie an Malignomen der Leber, der Gallenwege und des Pankreas zu erkranken.
Die Symptomatik von Patienten mit EDA-ID umfasst neben rezidivierenden bakteriellen und opportunistischen Infektionen klinische Auffälligkeiten des Ektoderms. Diese beinhalten dünnes und spärliches Haar, konische Schneidezähne und eine inadäquate Schweißproduktion mit An- oder Hypohidrose.
Therapie
Wichtigste Maßnahme zur Reduktion der Häufigkeit und Schwere von Infektionen ist die intravenöse oder subkutane IgG-Substitution. Patienten mit CD40L- und CD40-Defekt erhalten zudem eine Prophylaxe mit Trimethoprim-Sulfomethoxazol gegen Pneumocystis-Pneumonien. Schwere Neutropenien können mit G-CSF behandelt werden und bei Autoimmunerkrankungen werden meist Immunsuppressiva eingesetzt. Besonderes Augenmerk sollte auch auf Leber- und Gallenwegsveränderungen zur Früherkennung von Zirrhosen und maligner Entartung gelegt werden.
Wie bei anderen kombinierten Immundefekten stellt die allogene Stammzelltransplantation eine kurative Therapieform dar.

HIGM-Formen mit vorwiegender Störung des B-Zell-Systems

Definition und Ätiopathogenese
Diese Erkrankungen zeichnen sich durch eine starke Verminderung der Konzentration an klassengewechselten Isotypen (IgA, IgG, IgE) bei normalen oder erhöhten IgM-Konzentrationen und normaler Anzahl peripherer B-Zellen aus (Abb. 2). Im Gegensatz zu Patienten mit Störungen der CD40L:CD40-Signalachse kommt es nicht zu einem T-Zell-Defekt und es treten keine opportunistischen Infektionen auf. Aktuell sind als Ursache dieser Formen genetische Veränderungen in 4 Genen bekannt, und zwar in AICDA (AID-Mangel), UNG, INO80 und MSH6. Alle diese Erkrankungen werden autosomal-rezessiv vererbt. Es gilt jedoch zu bedenken, dass die genetische Ursache von zahlreichen anderen Patienten mit HIGM nicht bekannt ist, sodass in Zukunft wahrscheinlich weitere verantwortliche Gene entdeckt werden. AID wird in Keimzentren lokalisierten B-Zellen vorübergehend und selektiv in Antwort auf CD40- und Zytokin(IL-4, IL-10)-vermittelter Signale exprimiert und ist dort gemeinsam mit UNG sowohl für den Immunglobulin-Klassenwechsel als auch für Punktmutationen in den variablen Abschnitten der Antikörpergene erforderlich. Dieser als somatische Hypermutation bezeichnete Prozess erfolgt im Rahmen einer antigenspezifischen Immunantwort in Keimzentren und resultiert in der Produktion von B-Zellen, die Antikörper mit höherer Bindungsstärke für das für sie spezifische Antigen exprimieren. Diese Affinitätsreifung ist beim AID- und UNG-Mangel eingeschränkt, da für die Konversion von Cytosin zu Uracil AID benötigt wird und UNG für die Entfernung von Uracil zur DNA-Reparatur essenziell ist.
Defekte im Gen INO80 führen zu einem verminderten Isotypen-Klassenwechsel, da durch eine gestörte Reparatur des Chromatin-Remodelings der Rekombinationsregionen eine vermehrte Apoptose klassengewechselter B-Zellen ausgelöst wird. Die somatische Hypermutation ist bei dieser Erkrankung nicht beeinträchtigt.
Defekte im Gen MSH6 resultieren in einem etwas verminderten Klassenwechsel und einer Einschränkung der somatischen Hypermutation. Bei den wenigen beschriebenen Patienten fand sich eine leichte Verminderung der IgA- und IgG-Konzentrationen bei erhöhten IgM-Konzentrationen.
Klinische Symptome und Therapie
Die Patienten leiden, wie viele andere Patienten mit Antikörpermangel, an rezidivierenden bakteriellen Infektionen, vor allem der Atemwege. Im Gegensatz zu Erkrankungen mit Einschränkung der CD40L:CD40-Signalachse besteht keine Anfälligkeit für opportunistische Infektionen und der Schweregrad ist generell leichter, sodass Patienten meist später im Kleinkind- oder Schulalter diagnostiziert werden. Patienten mit AID- und UNG-Mangel weisen eine ausgeprägte Lymphknoten- und Tonsillenhyperplasie auf, welche durch eine drastische Vergrößerung der Keimzentren infolge proliferierender B-Zellen bedingt ist. Auch leiden ca. ein Viertel dieser Patienten unter Autoimmunerkrankungen, wie Autoimmunzytopenien und -hepatitis.
Aufgrund der geringen Anzahl von bislang diagnostizierten Patienten lässt sich der klinische Phänotyp von INO80- und MSH6-Defekten nicht eindeutig definieren. Patienten mit INO80-Mutationen weisen vor allem rezidivierende Atemwegsinfektionen auf, während ein MSH6-Mangel vorwiegend das Krebsrisiko erhöht.
Therapeutisch steht bei all diesen Patienten die frühe und aggressive Therapie von Infektionen und eine intravenös oder subkutan applizierte IgG-Substitution im Vordergrund.

Isotypen-, Leichtketten- oder sonstige funktionelle B-Zell-Defekte mit meist normaler Anzahl an B-Zellen

In dieser Gruppe finden sich klinische Erkrankungsformen, die eine große Anzahl von PID-Patienten betreffen. Die genetische Ursache ist jedoch nur bei einem kleinen Anteil der Patienten bekannt und es besteht eine schlechte Phänotyp-Genotyp-Korrelation. Im Folgenden wird auf ausgewählte klinische Krankheitsbilder dieser Erkrankungsgruppe näher eingegangen.

IgG-Subklassen-Mangel

Pathologie, Diagnose und klinische Symptome
Man spricht von einem IgG-Subklassen-Mangel, wenn eine oder mehrere IgG-Subklassen in deutlich verminderter Konzentration im Serum vorhanden sind, bei gleichzeitig normalen Gesamt-IgG- und IgM-Konzentrationen. Dabei gilt zu beachten, dass kleine Kinder physiologischerweise tiefe Konzentrationen der einzelnen IgG-Subklassen aufweisen und Normwerte unzuverlässig sind, weshalb bei Kleinkindern unter 1–2 Jahren die Testung nicht empfohlen ist und diese Diagnose nicht gestellt werden kann. Es werden 2 Entitäten des IgG-Subklassen-Mangels unterschieden, je nachdem ob ein zusätzlicher IgA-Mangel vorliegt oder nicht (Tab. 1). Isolierte Subklassen-Defekte ohne Nachweis einer eingeschränkten Antikörperantwort auf Impfungen mit Protein- oder Polysaccharid-Antigen haben in der Regel keine klinische Relevanz. Symptomatische Patienten weisen meist rezidivierende Infektionen der oberen und unteren Atemwege auf. Sehr selten kommt es zur Ausbildung von Bronchiektasen und dem Auftreten von invasiven Infektionen.
Die molekulare Ursache für den IgG-Subklassen-Mangel ist unbekannt.
Therapie und Prognose
Asymptomatische Kinder mit IgG-Subklassen-Mangel bedürfen keiner Therapie. Bei symptomatischen Patienten mit oder ohne assoziiertem IgA-Mangel werden meist ausschließlich situativ bei Auftreten von Infektionen Antibiotika eingesetzt. Selten kann auch mal eine prophylaktische Antibiotikatherapie in Erwägung gezogen werden. Eine IgG-Substitutionstherapie sollte nur bei Patienten mit rezidivierenden schweren Infektionen in Erwägung gezogen und die Wirksamkeit und Notwendigkeit dieser Therapie im Verlauf regelmäßig evaluiert werden.
Die Prognose des IgG-Subklassen-Mangels ist variabel und vor allem kleine Kinder zeigen nicht selten eine Spontanremission. Bei älteren Kindern und Jugendlichen kann ein IgG-Subklassen-Mangel ein früher diagnostischer Hinweis auf eine CVID sein.

Spezifischer Antikörpermangel mit normalen Serumimmunglobulinen

Bei dieser Entität handelt es sich um eine isoliert auftretende Störung der Produktion spezifischer Antikörper gegenüber Protein- und/oder Polysaccharid-Antigenen. Dabei lassen sich nach Impfung oder nachgewiesener Infektion keine, nur sehr niedrige oder transient vorhandene antigenspezifische Antikörper im Serum nachweisen. Die restlichen immunologischen Untersuchungen sind bei diesem Krankheitsbild normal, insbesondere finden sich normale Konzentrationen aller Antikörperklassen und -subklassen sowie eine normale Anzahl und Verteilung peripherer B- und T-Zellen. Die klinische Relevanz mancher Befunde sowie die Abschätzung der Prognose sind häufig schwierig und die Therapie sollte dementsprechend individuell angepasst werden. Teilweise kann eine begrenzte Immunantwort durch zusätzliche Auffrischimpfungen erreicht werden. Bei symptomatischen Patienten kommt es häufig zu Infektionen der Atemwege, aber auch invasive bakterielle Erkrankungen können auftreten. Meist reicht die situative Gabe von Antibiotika aus, nur bei sehr häufigen, schweren oder komplizierten Infektionen ist auch eine IgG-Substitution in Erwägung zu ziehen. Ähnlich wie beim IgG-Subklassen-Mangel kann es beim spezifischen Antikörpermangel zu einer Spontanheilung kommen oder dieser auch die Erstmanifestation einer CVID sein, weshalb eine regelmäßige Evaluation der klinischen Symptomatik und der Laborbefunde indiziert ist.

Selektiver IgA-Mangel

Definition und Ätiopathogenese
Mit einer Prävalenz von 1:600 bei Personen europäischer Herkunft finden sich nicht messbare IgA-Konzentrationen im Serum oder Speichel, was den selektiven IgA-Mangel zum häufigsten Immundefekt überhaupt macht. Definitionsgemäß sind die restlichen immunologischen Parameter unauffällig, insbesondere finden sich normale IgG- und IgM-Konzentrationen im Serum und eine adäquate Antikörperantwort auf Impfungen. Meist handelt es sich um einen Zufallsbefund, ohne dass gesundheitliche Probleme bestehen. Bei eindeutig symptomatischen Patienten, vor allem kleinen Kindern, sollte die Diagnose mit Vorsicht gestellt werden, da diese Kinder nicht selten im Verlauf weitere Auffälligkeiten im Labor entwickeln und der Übergang in das klinische Bild einer CVID möglich ist. Genetisch lassen sich beim selektiven IgA-Mangel selten Mutationen in TNFRSF13B (TACI) nachweisen, bei den meisten Patienten bleibt die Ursache jedoch unklar.
Klinische Symptome
Klinische Symptome bei Patienten mit selektivem IgA-Mangel betreffen vor allem Schleimhaut-assoziierte Infektionen, da IgA ein wesentlicher Bestandteil der Schleimhautimmunität darstellt. Insbesondere kann es zu rezidivierenden Infektionen der oberen und unteren Atemwege kommen wobei kapseltragende Bakterien wie H. influenzae und S. pneumoniae isoliert werden können. Weiterhin kann es zu Durchfallerkrankungen kommen und es besteht zudem ein erhöhtes Auftreten von Allergien und Autoimmunerkrankungen.
Therapie
Nur selten erfordert der selektive IgA-Mangel eine dauerhafte Therapie. Die symptomatische Behandlung beschränkt sich meist auf die gezielte Gabe von Antibiotika beim Auftreten von bakteriellen Infektionen. Patienten mit selektivem IgA-Mangel sollten jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Erhalt von Blutprodukten zu schweren Transfusionsreaktionen führen kann. Dies tritt dann auf, wenn exogen zugeführtes IgA als fremd erkannt wird und die dagegen gebildeten Antikörper makromolekulare Komplexe bilden, welche zu schweren, anaphylaktischen Transfusionsreaktionen führen können.

Transiente Hypogammaglobulinämie des Säuglingsalters

Die transiente Hypogammaglobulinämie des Säuglings ist durch eine verminderte IgG-Konzentration im Serum gekennzeichnet und tritt meist in den ersten 3 Lebensjahren auf. Physiologischerweise kommt es nach Abfall mütterlicher Antikörper im Alter von 4–6 Lebensmonaten zu einem Abfall der IgG-Konzentrationen, bevor dann durch die Eigenproduktion im Säugling die Konzentrationen wieder ansteigen. Der Vergleich zu altersentsprechenden Normwerten ist deshalb von großer Bedeutung. Diese Form des Antikörpermangels wird insgesamt sehr selten diagnostiziert und wird wahrscheinlich durch eine verzögerte physiologische Reifung des humoralen Immunsystems verursacht. Merkmal ist eine spontane Normalisierung der Befunde meist zwischen dem 4.–6. Lebensjahr. Die Diagnose einer transienten Hypogammaglobulinämie wird bei Säuglingen in Betracht gezogen, welche an gehäuften Atemwegsinfekten leiden oder welche im Rahmen einer Familienabklärung untersucht werden. Bei der immunologischen Abklärung finden sich bei diesen Patienten neben den für das Alter zu tiefen Antikörperspiegeln aber eine normale Anzahl von regelrecht differenzierten Lymphozyten sowie eine unauffällige T-Zell-Funktion, welche eine normale Impfreaktion gewährleisten.
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