Pharmakokinetische Veränderungen
Die physiologischen Veränderungen, die bei der
Adipositas auftreten, können die
Pharmakokinetik von Medikamenten nachhaltig beeinflussen. Der Einfluss der Adipositas auf die
Absorption und
Bioverfügbarkeit ist nicht ganz klar. Im Gegensatz zu der erwarteten Verminderung der
Bioverfügbarkeit aufgrund der bei Adipositas erhöhten Splanchnikusperfusion (Alexander et al.
1962) zeigten Studien zu Midazolam (Greenblatt et al.
1984) und Propanolol (Bowman et al.
1986), beide mit moderater bis hoher hepatischer
Extraktion, keine signifikanten Unterschiede der Bioverfügbarkeit gegenüber Normalgewichtigen. Ebenso zeigte sich für
Ciclosporin bei Patienten nach
Nierentransplantation keine Änderung der Bioverfügbarkeit (Flechner et al.
1989). Insgesamt scheint also die Absorption oraler Medikamente nicht signifikant gestört zu sein, obwohl einige Autoren über eine Verzögerung der Magenentleerung bei Adipositas berichten (Maddox et al.
1989).
Das
Verteilungsvolumen eines Medikamentes ist, wie bereits erörtert, von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Diese Faktoren können wiederum durch Erkrankungen beeinflusst werden. Bei
Adipositas kommt es sowohl zur Zunahme von Fettgewebe als auch fettfreiem Gewebe im Vergleich zu Nichtadipösen. Die Zunahme des Fettgewebes liegt deutlich über der der fettfreien Masse, die 20–40 % der Gesamtzunahme ausmacht. Somit resultiert eine relative Abnahme des prozentualen Anteils von fettfreier Masse und Wasser bei Adipösen gegenüber Nichtadipösen mit Veränderung des
Verteilungsvolumens der Medikamente.
Generell kann festgestellt werden, dass das
Verteilungsvolumen bei lipophilen Medikamenten stärker durch die
Adipositas beeinflusst wird als bei weniger lipophilen Medikamenten. Hier kommt es nur zu geringer oder auch keiner Veränderung des Verteilungsvolumens. Es gibt aber auch Ausnahmen zu dieser Verallgemeinerung:
Ciclosporin, stark lipophil, zeigte in mehreren Untersuchungen ein vergleichbares Verteilungsvolumen für adipöse und normalgewichtige Individuen (Flechner et al.
1989; Uchino et al.
2005).
Der Einfluss der
Adipositas auf die
Plasmaproteinbindung ist noch immer unklar. Änderungen der Konzentration der
Plasmaproteine oder Veränderungen der
Affinität der Plasmaproteine für Substrate können eine Verschiebung von Medikamenten in das Gewebe bewirken. Bei der Bindung an
Albumin (z. B. Thiopental,
Phenytoin) bei Adipösen kommt es zu keiner signifikanten Änderung der Plasmaproteinbindung (Cheymol
1987). Außerdem liegt aufgrund von Studien die Vermutung nahe, dass sich bei Adipositas die Affinität der Plasmaproteinbindung ändern kann ohne nachweisbare Änderung der Plasmaproteinkonzentration (Derry et al.
1995).
Bei Adipösen können erhöhte Spiegel an
Lipoproteinen, Triglyceriden, Cholesterol und freien
Fettsäuren nachgewiesen werden. Diese binden sich an die Serumproteine und hemmen somit die Bindung von Medikamenten. Als Folge davon steigt der freie Anteil der Medikamente im
Plasma an. Diese Veränderungen sind noch wenig untersucht und Gegenstand der Forschung.
Trotz der häufig vorkommenden fettigen Degeneration der Leber bei Adipösen ist die Clearance der meisten hepatisch eliminierten Medikamente nicht vermindert. Bei einigen Medikamenten aber, wie Methylprednisolon oder Propranolol, ist die hepatische Clearance deutlich reduziert. Vor allem die Phase-II-Metabolisierung von Medikamenten (wie Lorazepam) ist erhöht, während die Phase-I-Reaktionen substratabhängig und normalerweise erhöht oder unverändert sind.
Bei Adipösen ist eine höhere
glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beobachtet worden, somit werden primär glomerulär filtrierte Medikamente vermehrt ausgeschieden. Grund hierfür ist der Anstieg des Nierengewichts mit vermehrter renaler Durchblutung. Bei Adipösen mit Nierenfunktionseinschränkungen sollte die Dosierung nach der gemessenen, nicht einer aus Formeln berechneten GFR erfolgen.
Bei der Dosierung von Medikamenten stellt sich immer wieder die Frage, welches Gewicht als Grundlage für die Dosisberechnung zugrunde gelegt werden soll. Entsprechend wurde eine Vielzahl von Größen entwickelt, um der Beschreibung der Zusammensetzung des Körpers aus Fettmasse und fettfreier Masse gerecht zu werden (Tab.
5).
| Aktuelles Gewicht (TBW)/Größe 2 | kg/m 2 |
| TBW 0,425 × Größe 0,725 × 0,007184 | m 2 |
Idealgewicht (IBW) | 45,4 + 0,89 × (Größe–152,4) [+4,5 (für Männer)] | kg |
Lean body weight (LBW) | 1,1 × TBW–0,0128 × BMI × TBW (für Männer) 1,07 × TBW–0,0148 × BMI × TBW (für Frauen) | kg |
Angepasstes Gewicht (ABW) | IBW + KF×(TBW IBW) KF = Korrekturfaktor von 0,4 | kg |
Prozentualer Anteil des IBW (%IBW) | TBW/IBW × 100 oder (TBW–IBW)/IBW × 100 | % |
Vorhergesagtes Normalgewicht | 1,57 × TBW–0,0183 × BMI × TBW–10,5 (für Männer) 1,75 × TBW–0,0242 × BMI × TBW–12,6 (für Frauen) | kg |
Der
BMI, der am häufigsten zur Definition der
Adipositas herangezogen wird, steigt mit dem Körpergewicht an, kann aber nicht zwischen Fett- oder Muskelgewebe unterscheiden. Er ist nicht geschlechtsspezifisch, und sein Vorhersagewert für Erkrankungen wurde nicht an Frauen evaluiert.
Die Bestimmung der Körperoberfläche erscheint ein plausibles Körpermaß zu sein, da Größe und Gewicht eingehen, das Geschlecht aber nicht. Sie wird meist zur Dosierung von Chemotherapeutika eingesetzt, wobei ab einer KOF von 2 m2 die Dosis gekappt wird.
Für die Dosierung von
Antibiotika, speziell den Aminoglykosiden, wurde das
angepasste Gewicht (ABW) entwickelt, in dessen Formel ein Korrekturfaktor, entsprechend der Lipophilie des Medikamentes (Aminoglykoside z. B. 0,3) eingeht.
Keines dieser einzelnen Körpermaße ist besser geeignet als ein anderes, um die
Pharmakokinetik von Medikamenten beim Adipösen zu beschreiben. Bei chronischer Gabe von Medikamenten, bei der v. a. die Clearance eine Rolle spielt, sollte die Dosis nicht auf das aktuelle Gewicht, sondern eher auf das LBW bezogen werden. Für das
Verteilungsvolumen stark lipophiler Substanzen sollte das TBW herangezogen werden, und bei chronischer Gabe sollte die Dosierung eher nach der LBW erfolgen (Green und Duffull
2004).