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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 23.12.2014

Arterielle Hypertonie - Diagnostik und Risikostratifizierung

Verfasst von: Friedhelm Sayk
Der arterielle Blutdruck ist ein Produkt aus kardialer Auswurfleistung und systemischem Gefäßwiderstand. Ein optimaler Blutdruck entspricht dem Druck, der eine adäquate systemische Perfusion gewährleistet, ohne unnötige kardiale Arbeit oder Gefäßschäden in den Endorganen (z. B. Herz, Niere, Gehirn) zu verursachen. Eine arterielle Hypertonie entspricht demnach einem inadäquat hohen systemischen Blutdruck, der zu Endorganschäden führt.

Definition und Einführung

Der arterielle Blutdruck ist ein Produkt aus kardialer Auswurfleistung und systemischem Gefäßwiderstand. Ein optimaler Blutdruck entspricht dem Druck, der eine adäquate systemische Perfusion gewährleistet, ohne unnötige kardiale Arbeit oder Gefäßschäden in den Endorganen (z. B. Herz, Niere, Gehirn) zu verursachen. Eine arterielle Hypertonie entspricht demnach einem inadäquat hohen systemischen Blutdruck, der zu Endorganschäden führt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht die arterielle Hypertonie als eine der führenden Todesursachen weltweit an, da sie einen signifikanten kardiovaskulären Risikofaktor darstellt. Die Höhe des Blutdrucks und das kardiovaskuläre Gesamtrisiko stehen in einem engen linearen Zusammenhang. Jede numerische Definition und Klassifikation der Hypertonie ist daher willkürlich und wesentlich von Praktikabilität und Konvention beeinflusst. Die Hypertonie sollte daher als diejenige Blutdruckhöhe definiert werden, ab welcher weiterführende Diagnostik und Behandlung für den Patienten unter Berücksichtigung seines individuellen kardiovaskulären Risikos von Vorteil sind. Entsprechend den Empfehlungen aktueller internationaler (European Society of Hypertension und European Society of Cardiology ESH/ESC 2013) und deutschsprachiger Leitlinien (Deutsche Hochdruckliga 2008 sowie update 2011) sollten die im nachfolgenden Schema angegebenen Schwellenwerte für die Hypertonie daher als Richtwerte betrachtet werden, die an das kardiovaskuläre Gesamtrisiko des jeweiligen Patienten adaptiert werden müssen. Im Vergleich zu starren Schemata dürfte diese individualisierte Betrachtung in den meisten Fällen zu einer intensiveren und besseren Blutdruckkontrolle führen.
Nach wie vor gilt als Richtwert für eine arterielle Hypertonie ein systolischer Blutdruck >140 mmHg und ein diastolischer Blutdruck >90 mmHg. Darüber liegende Blutdruckwerte werden in 3 Hypertonieschweregrade eingeteilt (Tab. 1). Zudem werden früher pauschal als normal bezeichnete Blutdruckwerte in den aktuellen Leitlinien (2008) in „optimal“, „normal“ und „hochnormal“ unterteilt. Optimal hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos ist ein Blutdruck <120/80 mmHg. Daher empfehlen die aktuellen Leitlinien, besonders gefährdete Patienten (z. B. mit Diabetes mellitus oder eingeschränkter Nierenfunktion) schon bei einem hochnormalen Blutdruck antihypertensiv zu behandeln. „Hochnormale“ Blutdruckwerte werden in der angloamerikanischen Terminologie als „Prähypertonie“ klassifiziert. Die bei der ambulanten 24-h-Blutdruckmessung (s. u.) erhobenen Werte sind grundsätzlich etwas niedriger als die Messwerte in der Praxis. Die obere Grenze für den 24-h-Mittelwert liegt systolisch bei 125–130 mmHg und diastolisch bei 80 mmHg. Für einen normalen Tagesmittelwert (7.00–22.00 Uhr) gelten obere Normwerte von 135/85 mmHg, für den Nachtmittelwert liegen sie bei 120/75 mmHg.
Tab. 1
Klassifikation der Praxisblutdruckwerte und Einteilung der Hypertonie. (Nach den Leitlinien der ESH/ESC 2013, s. Mancia et al. 2013)
Kategorie
Systolisch (mmHg)
Diastolisch (mmHg)
Optimal
<120
<80
Normal
120–129
80–84
Hochnormal
130–139
85–89
Hypertonie Grad 1 (leicht)
140–159
90–99
Hypertonie Grad 2 (mittelschwer)
160–179
100–109
Hypertonie Grad 3 (schwer)
≥180
≥110
Isolierte systolische Hypertonie
≥140
<90
Diagnose aufgrund des Durchschnitts aus 2–3 Messungen im Sitzen an verschiedenen Tagen. Bei hochgradiger Hypertonie und hohem Risiko jedoch sofortiger Therapiebeginn sinnvoll. Fallen bei einem Patienten systolischer und diastolischer Blutdruck in unterschiedliche Kategorien, erfolgt die Einstufung in die höhere Kategorie. Die isolierte systolische Hypertonie wird anhand der systolischen Werte ebenfalls in Grad 1–3 untergliedert.

Zirkadianes Blutdruckprofil – Dipping/Non-Dipping

Im 24-h-Verlauf zeigt das Blutdruckniveau eine charakteristische zirkadiane Rhythmik mit Absenkung um 10–20 % gegenüber dem Tagesmittelwert während des Nachtschlafes, genannt Dipping. Drei Hauptmechanismen (körperliche Aktivität, renale Natrium-Wasser-Effekte und sympathovagales Baroreflex-Resetting) sind vorrangig für das Dipping verantwortlich, die durch zahlreiche „behaviorale“, hormonelle und physikalische Faktoren beeinflusst werden. Für die zirkadian unterschiedliche Kopplung der Einflussfaktoren und Hauptmechanismen dürften Uhren-Gene („clock-genes“) von zentraler Bedeutung sein (Agarwal 2010). Die Bedeutung hormoneller Oszillatoren wie Melatonin, Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, Renin-Angiotensin-Aldosteron oder Wachstumshormon, die charakteristische schlafbezogenen Änderungen zeigen, ist noch unvollständig untersucht. Das nächtliche Blutdruckniveau scheint konsolidierend für die Blutdruckhomöostase während der Tagperiode zu sein. Eine fehlende nächtliche Blutdruckreduktion (Non-Dipping) kann ein wichtiger Hinweis auf eine sekundäre Hypertonie, eine (diabetische) autonome Neuropathie oder das Vorliegen einer Schlafstörung (z. B. Schlafapnoesyndrom) sein. Non-Dipper haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Albuminurie; das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko ist ebenfalls deutlich erhöht.

Hypertensive Entgleisung

Die hypertensive Entgleisung bezeichnet einen krisenhaften plötzlichen Anstieg des Blutdrucks auf Werte >230/120 mmHg. Dies stellt ein akutes Regulationsversagen dar und hat bei adäquater Notfallbehandlung kurzfristig eine gute Prognose. Hypertensive Entgleisung ist der Oberbegriff für krisenhaft erhöhte Blutdruckwerte, ob ohne (hypertensive Krise) oder mit Symptomen der akuten Endorganschädigung. Zeichen einer akuten hypertensiven Organschädigung können neurologische Ausfälle (Enzephalopathie), pektanginöser Brustschmerz oder Atemnot bis hin zum Lungenödem sein. Ihr Auftreten kennzeichnet den hypertensiven Notfall.

Ätiologie und Pathophysiologie

Ätiologisch wird die Hypertonie in zwei Gruppen unterteilt: in die essentielle oder primäre Hypertonie (ca. 85 % der Fälle), die auf dem Boden polygenetischer und Umweltfaktoren entsteht, und in sekundäre Hypertonieformen, die aufgrund definierter endokriner, renaler oder vaskulärer Einzelursachen entsteht. Faktoren, die zu einer Pseudo- bzw. einer echten therapieresistenten Hypertonie führen, sind unten erwähnt. Diese einfache Unterscheidung dürfte in Zukunft weiter modifiziert werden, da auch bei sog. essentieller Hypertonie zunehmend genetische, konstitutionelle und organbezogene Faktoren identifiziert werden, die auf die pathogenetische Beteiligung dysregulierter (neuro-)endokriner Prozesse hinweisen. Dies gilt insbesondere für die adipositasassoziierte Hypertonie, bei der eine Hyperleptinämie vorliegt. Diese wiederum gilt als wichtiger Faktor für eine Aktivierung der vasokonstriktorischen und renalen Sympathikusäste mit konsekutiver Verschiebung des Baroreflexniveaus zu einem höheren Blutsollwert (Schlaich et al. 2014). Insgesamt verfestigt sich die Auffassung, dass für die langfristige Blutdruckhomöostase ein (zentralnervöser) Sollwert hinterlegt ist, der bei den meisten Formen der arteriellen Hypertonie auf ein pathologisches Niveau verschoben ist, so dass schädliche Drücke nicht nur toleriert, sondern regulativ „eingefordert“ werden. Darüber hinaus bestehen Störungen der endothelialen Funktion, die mit dem jeweiligen angiopathischen Organschaden in einen Circulus vitiosus münden.

Epidemiologie

Die Prävalenz der Hypertonie hat sich in der deutschen Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren nicht wesentlich verändert. Der Anteil der Personen mit Blutdruckwerten im normalen Bereich (hier 130/85 mmHg) beträgt bei Männern weniger als 40 %, bei Frauen unter 60 %. Es kann davon ausgegangen werden, dass ab dem 50. Lebensjahr jeder Zweite in der Bevölkerung hyperton (>140/90 mmHg) ist. Deutschland belegt damit im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz. Unverändert bestehen noch erhebliche Defizite nicht nur in der Erkennung, sondern auch in der (Wolf-Maier et al. 2003) Behandlung des Hochdrucks; dies haben die hochgradig standardisierten Studien des Monika-Projekts sowie die HYDRA-Studie (Sharma et al. 2004) gezeigt. Demnach wird die Hypertonie (>140/90 mmHg) in der ambulanten Versorgung nur in ca. zwei Drittel der Fälle diagnostiziert und laut HYDRA-Studie nur bei ca. 1/5 der Patienten ausreichend behandelt.
Allerdings liegt nur in 4–19 % aller Hypertonuspatienten eine echte therapieresistente Hypertonie vor. Sie ist definiert als Nichterreichen des Zielblutdrucks trotz allgemeiner Therapiemaßnahmen (Lebensstilintervention) und der ausreichend hoch dosierten Kombination von mindestens 3 Antihypertensiva inklusive eines Diuretikums. Häufigste Ursachen hierfür sind ein unbehandeltes obstruktives Schlafapnoesyndrom oder das Vorliegen sekundärer Hypertonieformen. In den meisten Fällen beruht eine unzureichende Blutdruckkontrolle jedoch auf mangelnder (Calhoun et al. 2008) therapeutischer Adhärenz (inkl. Lebensstilintervention) und/oder inadäquater antihypertensiver Medikation (Pseudoresistenz). Weitere Faktoren für eine Pseudoresistenz sind Medikamenteninteraktionen (z. B. NSAR, Steroide inkl. östrogenhaltiger Kontrazeptiva, Ciclosporin etc.) sowie Lebensstilfaktoren (erhöhter Kochsalzkonsum, Glyzyrrhetinsäure – Lakritzkonsum), Alkoholabusus, psychosozialer Stress, Schichtarbeit). Eine falsche Messtechnik (z. B. zu kleine Manschette) kann ebenso wie ein sog. „Weißkittel“-Hypertonus falsch-hohe Messwerte erzeugen. Unter der „Weißkittel“-Hypertonie versteht man zu hohe Blutdrücke aufgrund einer durch die Messsituation psychogen getriggerte Sympathikusaktivierung. Typischerweise besteht dieses Phänomen bei Messungen durch medizinisches Personal; in der ambulanten 24-h-Messungen zeigen sich hingegen häufig normotensive Werte. Ob die „Weißkittel“-Hypertonie einen Krankheitswert besitzt, ist nicht abschließend geklärt. Diese Patientengruppe scheint ein höheres Risiko für die spätere Entwicklung einer essentiellen Hypertonie zu haben.

Klinik

Oft bleibt eine arterielle Hypertonie jahrelang klinisch inapparent. Allenfalls bestehen unspezifische subjektive Beschwerden wie (morgendliche) Kopfschmerzen, ungerichteter Schwindel, Ohrensausen, Herzklopfen, Palpitationen, Epistaxis oder Belastungsdyspnoe. Bei krisenhaftem Blutdruckanstieg – insb. wenn erstmalig auftretend – zeigen sich Symptome der akuten Endorganschädigung (hypertensiver Notfall, s. oben.), im langfristigen Verlauf dominieren die jeweiligen Symptome der chronischen kardiovaskularen Organschädigung.

Risikostratifizierung

Die unbehandelte Hypertonie hat zahlreiche Organschädigungen zur Folge, wodurch die Lebenserwartung deutlich vermindert wird. Umgekehrt senkt eine langjährige Behandlung der Hypertonie das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko im Vergleich zu unbehandelten Patienten um bis zu 60 %. Die Risikostratifizierung nach dem Schweregrad der Blutdruckerhöhung, Endorganschäden, Begleiterkrankungen, Vorliegen eines Diabetes mellitus und etablierter Risikofaktoren ist in Tab. 2 dargestellt. Das kardiovaskuläre Gesamtrisiko wird als Wahrscheinlichkeit definiert, innerhalb eines definierten Zeitraumes einen Schlaganfall, Myokardinfarkt oder kardiovaskulären Tod zu erleiden und zielt auf eine individualisierte Indikationsstellung zur antihypertensiven Therapie. (Tab. 3). Zur Berechnung dieses Risikos können verschiedene Scores (z. B. PROCAM-Score: http://www.heartscore.org, http://www.chd-taskforce.com) herangezogen werden. Die WHO-Graduierung orientiert sich weniger an Blutdruckniveaus, sondern unterscheidet zwischen einer Hypertonie ohne (WHO-Grad I) und mit Endorganschäden (WHO-Grad II) und mit kardiovaskulären Folgeerkrankungen (WHO-Grad III). Mit jedem Blutdruckanstieg um 20/10 mmHg verdoppelt sich das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko. Das Schlaganfallrisiko eines Patienten mit hypertonen Blutdruckwerten ist im Mittel um das 6-fache erhöht. Das gemeinsame Vorliegen einer arteriellen Hypertonie und eines Diabetes mellitus stellt eine besondere Risikoerhöhung dar. So weisen Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus und Hypertonie eine 2,5-fach höhere Gesamtmortalität auf als Diabetiker ohne Hypertonie. Auch die Daten der HYDRA-Studie zeigen eine deutliche Risikoerhöhung durch das gemeinsame Auftreten von Diabetes und Hypertonie: eine KHK kommt beispielsweise bei Patienten mit Diabetes mellitus doppelt so häufig und bei Patienten mit Hypertonie 2,7-mal so häufig vor wie bei Patienten ohne die beiden Erkrankungen. Bei gleichzeitigem Vorliegen der Erkrankungen erhöht sich das KHK-Risiko um den Faktor 4,9, das Risiko einer Nephropathie steigt um den Faktor 4,6, eine Retinopathie kommt sogar 46-mal häufiger vor als bei Personen ohne Hypertonie und Diabetes. Von besonderer Bedeutung ist eine renale Funktionseinschränkung insb. bei Vorliegen bereits einer geringen Mikroalbuminurie (Tab. 4); die derzeit gültigen Kriterien für eine relevante Mikroalbuminurie dürfen neueren prospektiven Studien zufolge als zu hoch angenommen werden. In den letzten Jahren wurde zudem eine umfangreiche Datenbasis für neue Risikomarker erarbeitet, die jedoch noch keinen Eingang in die Leitlinien gefunden haben. Hierzu gehören Parameter des Gefäßalters (z. B. Augmentationsindex), Quantifizierung des arteriellen Kalks und die Messung der Endothelfunktion.
Tab. 2
Faktoren, die die Prognose beeinflussen. (Nach den Leitlinien der ESH/ESC 2013, s. Mancia et al. 2013, bzw. der Deutschen Hochdruckliga 2014)
Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankung
(Subklinische) Endorganschaden
Diabetes mellitus
Klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankung
-Höhe des systolischen und diastolischen Blutdrucks
-Alter (m >55 Jahre; w >65 Jahre)
-Nikotinabusus
-Dyslipidämie (Gesamtcholesterin >4,9 mmol/l (>190 mg/dl) oder LDL-Cholesterin >3,0 mmol/l (>115 mg/dl) oder HDL-Cholesterin M <1,0, w <1,2 mmol/l (m <40, w <46 mg/dl) oder Triglyceride >1,7 mmol/l (150 mg/dl)
-Familienanamnese für frühzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen (m <55 Jahre; w <65 Jahre)
-Viszerale Adipositas (Bauchumfang m ≥102 cm, w ≥88 cm)
-Plasmaglucose nüchtern 5,6–6,9 mmol/l (102–125 mg/dl) oder pathologische Glucosetoleranz
-Linksherzhypertrophie (Elektrokardiogramm: Sokolow-Lyon-Index >38 mm; Cornell >244 mV•ms; Echokardiogramm: LVMI M ≥115, w ≥95 g/m2
-Sonographische Arterienwandverdickung oder atherosklerotische Plaques
-Serumkreatinin leicht erhöht: m 115–133, W 107–124 μmol/l (m 1,3–1,5, W 1,2–1,4 mg/dl)
-Mikroalbuminurie (s. Tab. 4)
-Erhöhte Pulswellengeschwindigkeit, erhöhter Augmentationsindex
-Verminderter Knöchel-Arm-Index (<0,9)
-Plasmaglucose nüchtern >7,0 mmol/l (126 mg/dl) oder
-Plasmaglucose postprandial >11,0 mmol/l (198 mg/dl)
Zerebrovaskuläre Erkrankungen:
-Ischämischer Schlaganfall
-Zerebrale Blutung
-Transitorisch-ischämische Attacke
Herzerkrankungen:
-Myokardinfarkt
-Angina pectoris
-Koronarer Bypass, PCI
Nierenerkrankung:
-Chronische Niereninsuffizienz (Serumkreatinin: M >133 μmol/l, W >124 μmol/l; M >1,5 μmol/dl, W >1,4 mg/dl)
-Proteinurie (>150mg/24 h)
Periphere Gefäßerkrankungen
Fortgeschrittene Retinopathie:
-Hämorrhagie oder Exsudate, Papillenödem
w weiblich, m männlich
Tab. 3
Kardiovaskuläres Gesamtrisiko: Risikostratifizierung nach dem Schweregrad der Hypertonie, Begleiterkrankungen, Endorganschäden und Risikofaktoren. (Nach den Leitlinien der ESH/ESC 2013, s. Mancia et al. 2013, und der Deutschen Hochdruckliga 2014)
Andere Risikofaktoren und Vorerkrankungen
Normal
SBD 120-129 oder
DBD 80–84 mmHg
Hoch Normal
SBD 130-139 oder
DBD 85–89 mmHg
Grad 1
SBD 140-159 oder
DBD 90–99 mmHg
Grad 2
SBD 160-179 oder
DBD 100–109 mmHg
Grad 3
SBD ≥180 oder
DBD ≥110 mmHg
Keine anderen Risikofaktoren
Durchschnittliches Risiko
Durchschnittliches Risiko
Leicht erhöhtes Risiko
Mäßig erhöhtes Risiko
Stark erhöhtes Risiko
1–2 Risikofaktoren
Leicht erhöhtes Risiko
Leicht erhöhtes Risiko
Mäßig erhöhtes Risiko
Mäßig erhöhtes Risiko
Sehr stark erhöhtes Risiko
3 oder mehr Risikofaktoren oder Endorganschäden oder DM oder MS
Mäßig erhöhtes Risiko
Stark erhöhtes Risiko
Stark erhöhtes Risiko
Stark erhöhtes Risiko
Sehr stark erhöhtes Risiko
Klinisch manifeste kardiovaskuläre Erkrankung
Sehr stark erhöhtes Risiko
Sehr stark erhöhtes Risiko
Sehr stark erhöhtes Risiko
Sehr stark erhöhtes Risiko
Sehr stark erhöhtes Risiko
Risiko = 10-Jahres-Risiko für Schlaganfall, Myokardinfarkt oder Tod: niedrig = 15 %, mittel = 15–20 %, hoch = 20–30 %, sehr hoch = 30 %
SBD systolischer Blutdruck, DBD diastolischer Blutdruck, DM Diabetes mellitus, MS Metabolisches Syndrom
Tab. 4
Normwerte für die Eiweißausscheidung im Urin sowie Definition von Mikroalbuminurie und Albuminurie
Eiweißgehalt
 
24-h-Sammelurin (mg/Tag)
Kurzzeiturinsammlung (mg/l)
Spontane Urinprobea
(mg/g Kreatinin)
Normalwert
30
20
<22 (Männer) <31 (Frauen)
Mikroalbuminurie
30–299
20–199
30–299
Albuminurie
300
200
300a
aNach Möglichkeit der zweite Morgenurin.
Entgegen früherer Annahmen, die eine stärkere Bedeutung des diastolischen Blutdrucks postulierten, zeigen neuere Untersuchungen die prognostische Bedeutung des systolischen Blutdrucks überdeutlich. Deshalb sollten für die Klassifikation der Hypertonie, die Risikobeurteilung, Behandlungsindikation sowie Definition des Zielblutdrucks immer systolische und diastolische Blutdruckwerte gleichwertig berücksichtigt werden. Eine Ausnahme stellen alte Patienten dar. Der systolische Blutdruck steigt mit zunehmendem Lebensalter, während der diastolische Blutdruck nach einem Maximum in der 7. Dekade mit fortschreitendem Alter wieder abfällt. Dieses Phänomen beruht auf Veränderungen der Blutgefäße und erklärt den Zusammenhang zwischen einer erhöhten Blutdruckamplitude (Pulsdruck = systolischer minus diastolischer Blutdruck) und einem gesteigerten kardiovaskulären Risiko in der älteren Bevölkerung. In dieser Altersgruppe ist ein niedriger diastolischer Blutdruck (60–70 mmHg) prognostisch ungünstig.

Diagnostik

Ziel der differenzierten Diagnostik ist neben der eventuellen Klärung der Hochdruckursache die Abschätzung des individuellen kardiovaskulären Gesamtrisikos. Hierzu müssen vorhandene, evtl. noch subklinische Endorganschäden sowie Begleiterkrankungen erfasst werden. Neben den etablierten müssen auch eventuelle zusätzliche Risikofaktoren wie Alkoholkonsum oder interferierende Medikation geklärt werden.

Blutdruckmessung

Die Blutdruckmessung sollte im Sitzen nach mindestens 5-minütiger Ruhepause erfolgen; die Arme müssen entblößt und auf Herzhöhe gelagert sein. Wichtig ist die Verwendung der passenden Manschettengröße (Standardmanschette für Erwachsene nur bis 32 cm Armumfang). Die Ablassgeschwindigkeit sollte 2–3 mmHg/s betragen. Empfohlen werden zwei Messungen im Abstand von 2 min; ergeben sich dabei Abweichungen von mehr als 5 mmHg, müssen weitere Messungen vorgenommen werden. Da bei diabetischen und betagten Patienten aufgrund einer autonomen Neuropathie Störungen der orthostatischen Blutdruckregulation häufig sind, sollte der Blutdruck auch im Stehen gemessen werden (1 und 5 min nach Aufstehen). Ferner muss der Blutdruck zumindest beim ersten Kontakt an beiden Armen ermittelt werden.
Die morgen- und abendliche Blutdruckselbstmessung durch den Patienten liefert, sofern korrekt durchgeführt, genauere Ergebnisse als die Messung in Klinik oder Praxis. In bestimmten Fällen (z. B. Verdacht auf eine sog. Sprechstundenhypertonie) kann eine 24-h-Blutdruckmessung indiziert sein. Der routinemäßige Einsatz bei jedem Patienten mit Hypertonieverdacht wird nicht empfohlen. Bei Diabetikern, Verdacht auf Schlafapnoesyndrom, therapieresistenter Hypertonie und Verdacht auf sekundäre Hypertonieformen ist die 24-h-Messung jedoch sinnvoll in der weiterführenden Diagnostik, da bei diesen Patienten die zirkadiane Blutdruckrhythmik häufig aufgehoben ist (Non-Dipping).

Basisdiagnostik nach Feststellung einer Hypertonie

Ist eine Hypertonie gesichert, erfolgt ein diagnostisches Basisprogramm mit drei Hauptzielen:
  • Klärung der Hochdruckursache (primär, sekundär)
  • Abschätzen des Krankheitsausmaßes (Nachweis von Endorganschäden)
  • Identifikation von Risikofaktoren und Begleiterkrankungen
Tab. 5 fasst die Hochdruckbasisdiagnostik zusammen, wie sie von der Deutschen Hochdruckliga empfohlen wird. Von zentraler Bedeutung sind dabei die ausführliche Anamneseerhebung und die körperliche Untersuchung, um Verdachtsmomente für sekundäre Hochdruckursachen sowie Begleiterkrankungen, Risikofaktoren und Endorganschäden aufzudecken. Neben der Familienanamnese und der Erfassung einer zentralen Adipositas („body mass index“ – BMI), Bauchumfang) müssen interferierende Medikamente (z. B. NSAR, Steroide) bzw. Substanzen (z. B. Lakritz, Alkohol) und Zeichen eines Schlafapnoesyndroms erfragt werden. Wichtige Basislaboruntersuchungen umfassen Blutbild, Elektrolyte, Serumkreatinin, Nüchternblutzucker, Harnsäure und Lipide (Nüchterntriglyzeride, Gesamt-, HDL- und LDL-Cholesterin). Apparative Untersuchungen umfassen EKG, Belastungs-EKG, Echokardiographie, sonographische Beurteilung von Nierengröße und -parenchym sowie die Doppler-Sonographie der Bauchaorta und Karotiden. Darüber hinaus sollte bei schweren Hochdruckformen eine Untersuchung des Augenhintergrunds (Fundoskopie) veranlasst werden. Bei schwerer Hypertonie (Grad 3) darf die Komplettierung der Diagnostik den Behandlungsbeginn allerdings nicht verzögern.
Tab. 5
Hochdruckbasisdiagnostik. (Modifiziert nach den Diagnoseleitlinien der Deutschen Hochdruckliga 2014)
Mögliche Hochdruckursachen
Diagnostik
Mögliche kardiovaskuläre Komplikationen
Anammese
 
Dauer des Hochdrucks
 
 
Höhe der Blutdruckwerte
 
Genetische Belastung
Hochdruck familiär
 
Krisenhafte Blutdruckanstiege
→selbst/familiär
 
Nierenkrankheiten
Diabetes mellitus
 
Zerebrovaskuläre Insuffizienz
Angina pectoris, Myokardischämie
Koronare Herzkrankheit
Belastungsdyspnoe, Ödeme
Herzinsuffizienz, diastol. Dysfunktion
Claudicatio intermittens
Gewichtsverlauf, körperliche Aktivität, Sport, Schichtarbeit
 
Rauchgewohnheiten
 
Schlafapnoe
Schnarchen, Tagesmüdigkeit
 
Bisher verordnete Antihypertensiva: Therapieerfolg, Nebenwirkungen
 
„Begleiterkrankungen“ und deren Therapie, z. B. Hyperlipidämie
 
Temporäre Blutdrucksteigerung
Alkohol, Psychosoziale Belastungen,
 
Medikamentös, Substanzmissbrauch
Sexualhormone, Sympathomimetika
Steroide, NSAR, Lakritz, Ciclosporin, Amphetamine, Kokain,
Körperliche Untersuchung
Blutdruck an beiden Armen
 
Blutdruck im Stehen
 
Cushing, Hypothyreose
Habitus
 
Gewicht, Größe
 
Herz, Lunge
Herzinsuffizienz
Karotiden
Karotisstenose, Karotisverschluss
Nierenarterienstenose
Abdomen (Auskultation)
 
Zystennieren, Harnstauung
Nierenlager, Blase, Prostata
 
Aortenisthmusstenose
Arm-, Leisten-, Fußpulse
PAVK
 
Lähmungen, Aphasie, Demenz
Zerebrovaskuläre Insuffizienz
Familiäres Phäochromozytom
 
Laboruntersuchungen
Renovaskulärer Hochdruck
Serum-Creatinin
Nephrosklerose
Primärer Aldosteronismus
Kalium, Cholesterin (HDL, LDL), Triglyzeride, Harnsäure, Natrium, Glucose im Plasma
 
Renoparenchymatöser Hochdruck
Protein im Urin
Nephrosklerose
Renoparenchmymatöser Hochdruck
Korpuskuläre Bestandteile im Urin
 
Bei Patienten über 60 Jahre oder anamnestisch-klinischen Hinweisen wird empfohlen:
  
TSH
 
Hyperparathyreoidismus
Kalzium
 
Apparative Untersuchungen
Aortenisthmusstenose
Röntgenthorax
Herzinsuffizienz
EKG
Arrhythmie, KHK
Sonographie der Aorta
(Bauch-)Aortenaneurysma
Renaler Hochdruck
Sonographie der Nieren
 
Endokriner Hochdruck
Sonographie Nebennieren
 

Albuminurie-Screening

Der Nachweis einer Mikroalbuminurie ist ein wichtiger Risikomarker für eine erhöhte Morbidität und Mortalität bei Hochdruckpatienten. Eine frühe und rasche Senkung der Albuminurie verbessert die Prognose. Trotzdem sind in der (Brantsma et al. 2008) neuen europäischen Leitlinie (2013) die Zielwerte der Blutdrucksenkung bei Vorliegen einer Mikroalbuminurie nicht niedriger anzusiedeln als bei Patienten mit normaler Eiweißausscheidung, da sich in größeren Studien kein Vorteil nachweisen ließ. Die Punktprävalenz der Mikroalbuminurie in deutschen Arztpraxen liegt für Hypertoniker ohne Diabetes mellitus bei 20–25 % und für diabetische Hypertoniker bei 35–42 % (HYDRA 2004, s. Sharma et al. 2004). Das Albuminurie-Screening ist deshalb insbesondere beim hypertensiven Diabetiker unverzichtbar. Zunächst wird dabei eine einfache Urinanalyse mittels Teststreifen durchgeführt. Ist das Ergebnis positiv, erfolgt eine weitere quantitative Messung – auch zur Klärung nichtdiabetischer Ursachen der Nephropathie. Bei negativem Testergebnis auf Eiweiß muss der Urin auf eine Mikroalbuminurie untersucht werden. Auch dafür gibt es Teststreifen, die eine akzeptable Sensitivität und Spezifität aufweisen; dennoch muss der Befund im positiven Fall mit speziellen Methoden (Nephelometrie) bestätigt werden. Die Albuminausscheidung wird durch innere und äußere Einflüsse wie körperliche Aktivität, kurzdauernde Hypoglykämie, Fieber etc. beeinflusst; daher müssen zwei von drei Urinproben in einem Zeitintervall von 3–6 Monaten positiv sein, um eine Mikroalbuminurie zu diagnostizieren. Die Normwerte für die Eiweißausscheidung im Urin sowie die Werte, die eine Mikroalbuminurie bzw. eine Albuminurie (Proteinurie) definieren, sind in Tab. 5 wiedergegeben.

Indikationen zur weiterführenden Diagnostik

Eine weiterführende Diagnostik kann erforderlich sein, wenn das Alter der Patienten, Anamnese, körperliche Untersuchung, Labor- oder apparative Untersuchungsbefunde auf eine sekundäre Hypertonie hinweisen, wenn eine Hypertonie Grad 3 vorliegt, wenn der Blutdruck unzureichend auf die Behandlung anspricht (echte Therapieresistenz), nach längerer Zeit guter Einstellung zu steigen beginnt oder ein massiver Hochdruck plötzlich neu auftritt. Die Diagnostik klassischer endokriner Ursachen wird in Kap. Nebenniereninsuffizienz erörtert. Wegen der Häufigkeit und der hohen Dunkelziffer eines Schlafapnoesyndroms (s. Kap. Schlafbezogene Atmungsstörungen: Obstruktive und zentrale Schlafapnoe) sollte die Indikation zur somnologischen Abklärung großzügig gestellt werden. Obschon die Prävalenz der Nierenarterienstenose im Gesamtkollektiv hypertensiver Patienten nicht sehr hoch ist (1–2 %), sollte bei schwer einstellbarer Hypertonie eine farbkodierte Duplexsonographie der Nierenarterien als Screening-Verfahren erwogen werden. Dies gilt insbesondere bei jungen Frauen (fibromuskuläre Stenose) und älteren Patienten mit koronarer und peripherer Arteriosklerose (Prävalenz der Nierenarterienstenose 30–50 %). Als Alternativverfahren kommt die Angio-MRT in Betracht. Wird hierbei der Verdacht auf eine Nierenarterienstenose gestellt, ist eine interventionelle Therapie (DSA in PTA-Bereitschaft oder Angioplastie) nur dann sinnvoll, wenn die Niere auf der stenosierten und auf der kontralateralen Seite keine Zeichen einer höhergradigen Parenchymschädigung (größer als 8,5–9 cm, Resistenzindex (RückIauf der kontralateralen Seite <0,80) zeigen. Bei einem RI >0,80 ist ein therapeutischer Benefit sowohl bezüglich der Blutdruckeinstellung als auch des Nierenfunktionserhalts nicht zu erwarten. Neuere Studien (ASTRAL und CORAL) haben bei atherosklerostischen Nierenarterienstenosen keinen Benefit einer Angioplastie gegenüber der medikamentösen Therapie zeigen können.

Differenzialdiagnostik

Die Differenzialdiagnostik der Hypertonie ist von elementarer Bedeutung. Eine schwere Hypertonie mit kurzer Anamnese, eine fehlende physiologische Nachtabsenkung im 24-h-Profil sowie eine echte Therapieresistenz können auf eine sekundäre Ursache hinweisen und sollten zu entsprechenden diagnostischen Maßnahmen führen (z. B. Schlafapnoe-Screening, Duplexsonographie der Nierenarterien). Auf endokrine Hochdruckformen wird in Kap. Nebenniereninsuffizienz ausführlich eingegangen.
Literatur
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