Zirkadianer Rhythmus, Schlaf und Laborparameter
Es kann davon ausgegangen werden, dass nicht wenige Laborparameter sich aufgrund einer zirkadianen Rhythmik verändern. Für viele Laborparameter ist der Nachweis oder Ausschluss einer solchen Modulation bisher jedoch nicht erfolgt. Um den zirkadianen Einfluss von dem Einfluss des ultradianen Schlafrhythmus zu trennen, sind mehrwöchige Untersuchungen unter einem streng standardisierten Protokoll erforderlich, das beispielsweise unter Bunkerbedingungen und unter völliger Isolation von äußeren Einflüssen im Rahmen einer sogenannten „constant routine“ oder „forced desynchrony“ durchgeführt werden kann. Die Trennung der beiden Einflüsse kann dabei mittels einer Technik der Bildung von Zeitreihen aus Mittelwerten erfolgen.
Eine deutliche zirkadiane Rhythmik konnte beispielsweise für die endokrinologischen Parameter
Melatonin und
Kortikosteroide nachgewiesen werden. Das Melatonin zeigt einen nächtlichen
Peak, der bei in Zeitreihen durchgeführten Verlaufsmessungen unabhängig vom Schlaf-Wach-Verhalten im Sputum oder Blut nachweisbar ist. Die Kortikosteroide erreichen schlafunabhängig einen Peak am Morgen sowie einen zweiten in den Abendstunden und einen Tiefstwert (Nadir) frühmorgens um 3:00 Uhr. Von diesen chronobiologischen Veränderungen der Kortisolspiegel gehen unter anderem eine immunmodulatorische sowie eine metabolische Schlüsselfunktion aus. Ein veränderter Glukokortikoidspiegel hat vielfältige Veränderungen weiterer Laborparameter zur Folge („Endokrinium“).
Die Hormone haben ihrerseits Auswirkungen auf den Schlaf. So ist bekannt, dass der abendliche Anstieg des
Melatonins das Einschlafen fördert und dass dieses Hormon die Schlafkontinuität verbessert.
Kortikosteroide führen hingegen zu einer Störung der Schlafkontinuität mit vermehrten Wachzeiten sowie zu einer Reduktion von
REM-Schlaf, was sich biopsychologisch vor allem beim Fehlen des Kortisolnadirs infolge eines Depressiven Syndroms auswirkt („Stress und Hyperarousal“). Der physiologische morgendliche Kortisolanstieg fördert das Erwachen und die Leistungsbereitschaft des Organismus am Tage.
Der REM-NREM-Zyklus kann als ultradianer Rhythmus die Freisetzung von Hormonen bestimmen. So steigt beispielsweise die Freisetzung von
Renin im
NREM-Schlaf an, während sie im
REM-Schlaf abfällt („Mineralstoffwechsel und Volumenregulation“). Das „Wachstumshormon“ („growth hormone“, GH) wird bevorzugt während der ausgedehnten Tiefschlafphasen (Stadium N3) in den ersten beiden Schlafzyklen sezerniert. Mangel an Tiefschlaf beeinträchtigt daher das Wachstum von Kindern (siehe „Kindesalter“).
Es ist kein Laborparameter bekannt, der alleine das Zustandekommen von Schlaf vorhersagt oder bestimmt. Vielfältige Faktoren und deren Zusammenspiel beeinflussen das Schlaf-Wach-Verhalten. Eine Reihe von Einflussfaktoren wie die genannten Hormone sowie „Neuropeptide“, „Neurotransmitter“ und biochemische, metabolische oder immunologische Parameter sind identifiziert und lassen sich beispielsweise im Liquor oder Blut nachweisen. So konnte unter anderem durch Injektion von Liquor schlafdeprivierter Hunde in die Ventrikel nicht schlafdeprivierter Hunde Schlaf induziert werden. Eine Reihe von im Liquor enthaltenen Substanzen wurden daraufhin hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Schlaf-Wach-Verhalten untersucht. Dabei wurde unter anderem die schlaffördernde Wirkung von Substanzen wie Enkephalin, β-Endorphin,
Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH),
Somatostatin, Kortistatin, Galanin,
Serotonin und Prostaglandin D
2 festgestellt. Erst vor Kurzem wurde die Bedeutung des Hypocretin/Orexin-Systems und dessen Nachweis im Liquor im Zusammenhang mit der REM-Schlafregulation erkannt (Nishino et al.
2000). Die Freisetzung von „Prolaktin“ nimmt im Verlauf des Nachtschlafs zu; als Ursache wird dafür die schlafinduzierte Unterdrückung der Freisetzung des hypothalamischen Prolaktin-inhibierenden Faktors angesehen.
Auch im Blut finden sich Substanzen, denen insbesondere eine (tief-)schlaffördernde Wirkung zugeschrieben wird. Dazu zählen
Insulin, Cholezystokinin,
Serotonin aus den Blutplättchen, Muramylpeptide, das Deltaschlaf-induzierende Peptid sowie GnRH,
Leptin,
Ghrelin und
Zytokine, insbesondere Interleukin-1β und
Tumornekrosefaktor-α. Teilweise liegen zu den aus Blut sowie Liquor gewonnen Laborparametern kontroverse Ergebnisse vor, die auch durch fehlende Miterfassung der zirkadianen Rhythmik erklärbar sind.
Siehe auch „Schlafregulation“; „Wachheit und Schlaf“; „Endokrinium“; „Hypophyse und Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse“; „Narkolepsie“.
Auswirkungen von Schlafentzug auf Laborparameter
Es kann zwischen kurzzeitigem und chronischem sowie zwischen vollständigem oder partiellem „Schlafentzug“ unterschieden werden. Bei komplettem
Schlafentzug über wenige Tage und Nächte lassen sich bei den meisten Laborparametern keine signifikanten Änderungen feststellen. So wurden keine Veränderungen der
Glukokortikoide, der
Katecholamine, des
Hämatokrits, der
Glukose sowie des
Kreatinins nachgewiesen. Die Schilddrüsenhormone (Thyreoidea-stimulierendes Hormon, Thyroxin und Trijodthyronin) waren bei kurzzeitigen Schlafentzugsexperimenten jedoch erhöht,
Prolaktin und GHRH waren hingegen erniedrigt (siehe „Schilddrüsenerkrankungen“; „Wachstumshormon“). Auch Untersuchungen, die unter Protokollbedingungen der „constant routine“ und verschobenem Schlaf-Wach-Rhythmus mit erhaltener Dauer der Schlafperiode durchgeführt wurden, bestätigen die bevorzugte Freisetzung der beiden letzteren Hormone im Schlaf.
Bei einer Reihe von Studien, die den Einfluss einer partiellen mehrtägigen Schlafverkürzung mit einer längeren Schlafzeit verglichen, fand sich bei Schlafverkürzung eine Verringerung der Spiegel von Thyreoidea-stimulierendem Hormon (TSH), Thyroxin, Trijodthyronin und der Leptinwerte sowie eine erniedrigte Glukosetoleranz. Der abendliche
Peak der Kortisolwerte war hingegen erhöht. Auch die natürlichen Killerzellen sowie
Interleukin-6 und der
Tumornekrosefaktor-α-1-Rezeptor verändern sich bei chronischem
Schlafentzug. Der Schlafentzug erfolgte zumeist ohne polysomnographische Kontrolle oder Kontrolle der zirkadianen Phasenlage. Oftmals wurden nur wenige Messungen der Laborparameter durchgeführt. Es zeichnet sich jedoch bereits aus den Untersuchungen ab, dass Schlafentzug die Immunabwehr schwächen sowie zu einer Gewichtszunahme führen kann („Körpergewicht“).
Schlafmedizinische Erkrankungen und Laborparameter
Keine Diagnose einer schlafmedizinischen Erkrankung lässt sich ausschließlich aus der Analyse von Laborparametern stellen. Jedoch sollten bei Verdacht auf eine sekundäre Genese der schlafmedizinischen Erkrankung entsprechende Laborparameter, die für eine Grunderkrankung sprechen können, untersucht werden. So sollten beispielsweise bei
Schlafbezogenen Atmungsstörungen („Schlafbezogene Atmungsstörungen“) und zusätzlichem Verdacht auf eine Akromegalie das
Wachstumshormon oder bei Verdacht auf eine „Hypothyreose“ TSH, Thyroxin und Trijodthyronin bestimmt werden. Bei Verdacht auf symptomatische
Hypersomnie oder
Insomnie sollten ebenfalls für die Diagnostik der Primärerkrankung notwendige Laboruntersuchungen durchgeführt werden.
Routinemäßig sollten beim „Restless-Legs-Syndrom“ sowie bei „Periodic Limb Movement Disorder“ (
PLMD) Bestimmungen von Blutbild,
Ferritin,
Transferrin, Serumeisen,
Magnesium, den Nierenfunktionswerten
Harnstoff und
Kreatinin sowie TSH, gegebenenfalls auch Thyroxin und Trijodthyronin, erfolgen. Ferner sollte ein „Diabetes mellitus“ mittels Bestimmung von Nüchternglukose oder HbA1c beziehungsweise oraler Glukosebelastung ausgeschlossen werden. Bei klinischem Verdacht auf
Anämie sollten im Rahmen der Anämiediagnostik
Vitamin B12 und
Folsäure bestimmt werden. Die Entstehung
schlafbezogener Bewegungsstörungen wird häufig durch Anämie,
Niereninsuffizienz, Schilddrüsenfunktionsstörungen oder
Diabetes mellitus beeinflusst.
Niedrige Hypocretinwerte konnten bei
Narkolepsie nachgewiesen werden. Auch die Untersuchung eines genetischen Parameters, des HLA DQB1*0602, kann helfen, die Diagnose Narkolepsie zu festigen. Die genetischen Parameter werden in Zukunft voraussichtlich bei der Diagnostik von
schlafmedizinischen Erkrankungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Auf diesem Gebiet wird zurzeit intensiv geforscht. Insbesondere bestehen Hinweise auf genetische Faktoren beim
Restless-Legs-Syndrom, bei „Zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen“ wie beim Vorverlagerten oder Verzögerten Schlafphasensyndrom sowie bei „Parasomnien“ und bei
Schlafbezogenen Atmungsstörungen (siehe „Chronobiologie“).
Auch als unmittelbare Folge von
schlafmedizinischen Erkrankungen können Veränderungen von Laborwerten festgestellt werden. Beispielsweise kann es bei „Insomnien“ zu einer Erhöhung der Glukokortikoidspiegel beziehungsweise zum Ausbleiben des frühmorgendlichen Nadir der
Glukokortikoide kommen. Ein Beispiel für Parameter, die durch schlafmedizinische Erkrankungen beeinflusst werden, sind hohe Hämoglobinwerte (
Polyglobulie) und hohe Hämatokritwerte bei Patienten mit
schlafbezogener Hypoventilation beziehungsweise
Hypoxämie („Schlafbezogene Hypoventilationssyndrome“). Bei jedem Polyglobuliebefund ist daher die schlafmedizinische Anamnese zu erheben; bei Anhalt für das Vorliegen von schlafbezogener Hypoventilation ist eine diagnostische „Kardiorespiratorische Polysomnographie“ durchzuführen und falls die Anamnese leer bleibt, ist wenigstens eine Langzeitoxymetrie über 24 Stunden zu empfehlen (siehe „Differentialdiagnostischer Leitfaden“). Bei Obstruktiver Schlafapnoe („Obstruktive Schlafapnoe“) gelten ein erhöhter Wert des C-reaktiven Proteins (CRP) sowie Änderungen der Parameter des oxidativen Stresses als sicher und werden als Ausdruck des erhöhten kardiovaskulären Risikos bei dieser Erkrankung gewertet (siehe „Endotheliale Dysfunktion“; „Kardiovaskuläre Folgen der Obstruktiven Schlafapnoe“; „Atherosklerose und Obstruktive Schlafapnoe“). Es besteht weiterhin Forschungsbedarf, um die Konsequenzen von schlafmedizinischen Erkrankungen auf den gesamten Organismus besser einschätzen zu können.