Einführung – Definition – Epidemiologische Daten
Laut der Weltgesundheitsorganisation ist die venöse thromboembolische Erkrankung, zu der die tiefe Venenthrombose (
venöse Thromboembolie – VTE) und die
Lungenembolie (LE) gehören, für 3 % aller Todesfälle in Schwangerschaft und
Wochenbett weltweit verantwortlich und gehört zu den Hauptursachen für nichtgeburtshilflichen mütterlichen Tod in der entwickelten Welt (Knight Marian et al.
2015; Say et al.
2014).
Das relative Risiko für venöse thromboembolische Erkrankungen ist bei schwangeren Frauen etwa 5-mal höher als bei nichtschwangeren Frauen derselben Altersgruppen und steigt während des
Wochenbetts noch einmal an. Dies ist auf Veränderungen der hämostatischen Mechanismen und des Venensystems zurückzuführen, welche während der Schwangerschaft und Geburt auftreten. Das absolute Risiko bleibt jedoch mit rund 1 von 1000 Schwangerschaften gering (Andersen et al.
1998).
Eine
VTE kann sich in jedem Trimenon ereignen, tritt aber in über 50 % der Fälle in den ersten 20 Schwangerschaftswochen auf. Die Zeit des
Wochenbetts, das sich über 6 Wochen postpartal erstreckt, ist der Zeitraum mit dem höchsten Risiko und weist ein etwa 20fach erhöhtes relatives Risiko auf (Heit et al.
2005). Etwa 80 % der VTE-Episoden im Wochenbett treten in den ersten 3 Wochen nach der Entbindung auf, was wahrscheinlich ursächlich mit dem Trauma und der anschließenden endothelialen Schädigung der Beckengefäße bei der Geburt zusammenhängt (Heit et al.
2005; Jacobsen et al.
2008b). Obwohl sich die biochemischen und hämatologischen Veränderungen, welche während der Schwangerschaft auftreten, bis 6 Wochen nach der Geburt normalisieren, scheint das Risiko einer Venenthrombose über 7–12 Wochen postpartal etwa doppelt so hoch zu sein wie ein Jahr später (
Odds Ratio [OR]: 2,2; 95 %iges
Konfidenzintervall [CI] 1,4–3,3) (Jacobsen et al.
2008b; Kamel et al.
2014).
Behandlung von Thrombosen in der Schwangerschaft
Die Behandlung der akuten Thrombose in der Schwangerschaft besteht in der systemischen Antikoagulation mit Heparinen, da diese nicht plazentagängig sind. Bei hämodynamisch stabilen Patientinnen ist in der Akutphase als Erstlinientherapie die Gabe von niedermolekularem Heparin (LMWH) oder nichtfraktioniertem Heparin (UFH
) die Therapie der Wahl. Die Verabreichung von LMWH
, als subkutane Applikation, ist jedoch aufgrund der besseren
Bioverfügbarkeit, des kleineren Blutungsrisikos und der vergleichsweisen geringeren Wahrscheinlichkeit, eine
heparininduzierte Thrombozytopenie oder Osteopenie zu entwickeln, dem UFH vorzuziehen (Bates et al.
2018; Greer und Nelson-Piercy
2005; Lepercq et al.
2001; Pettilä et al.
2002).
Bezüglich der Notwendigkeit, die Wirkung von LMWH zu überwachen, gibt es Vorbehalte, da sich das Plasmavolumen und das Körpergewicht während der Schwangerschaft dynamisch ändern, was dazu führt, dass die Verteilung von Arzneimitteln, einschließlich Heparin, einer erheblichen
Varianz unterliegt. Obwohl eine labortechnische Überwachung gemäß den aktuellen Richtlinien nicht empfohlen wird, wird die Anti-FXa-Aktivität in der Praxis normalerweise wöchentlich für die ersten 2–3 Wochen nach Beginn der Behandlung und dann alle 3 Monate sicherheitshalber gemessen. Dies, weil Schwangere bis zu 30 % mehr Heparin benötigen können, um den gleichen Spiegel zu erreichen. Die LMWH-Wirkung wird als Heparinaktivität in Anti-FXa-Einheiten/ml mittels spezifisch kalibrierter Tests gemessen. Therapeutische Anti-FXa-Spiegel im
Plasma ca. 4 h nach subkutaner LMWH-Gabe betragen normalerweise 0,5–1,1 Einheiten/ml (Peak-Spiegel). Es ist jedoch anzumerken, dass für diese Zielwerte bislang keine spezifischen großen Studien bezüglich Effektivität in der Schwangerschaft vorliegen, die Richtwerte werden aus Studien mit nichtschwangeren Kohorten abgeleitet (Bates
2011).
Unfraktioniertes Heparin (UFH) wird als kontinuierliche intravenöse Infusion verabreicht und während der Schwangerschaft eher selten verwendet. Es kommt bei Nierenfunktionsstörungen sowie bei Patientinnen mit ausgedehnter Thrombose, die möglicherweise eine Thrombolyse benötigen, zum Einsatz. Aufgrund seiner kurzen
Halbwertszeit und der Möglichkeit, die Wirkung akut aufzuheben, kann es bei Bedarf auch um den Entbindungstermin Anwendung finden (Bates
2011; Greer und Nelson-Piercy
2005).
Die Therapiedauer bei einer Thrombose beträgt mindestens 3 Monate, auf jeden Fall bis Ende der Schwangerschaft. Angesichts der Tatsache, dass während des
Wochenbetts das höchste Thromboserisiko besteht, wird empfohlen, die Heparinbehandlung mindestens 6 Wochen nach der Entbindung fortzusetzen (Kearon et al.
2016).
Cumarinderivate
(Vitamin-K-Antagonisten, VKA) werden während der frühen Schwangerschaft nicht verwendet, da sie die Plazenta passieren und teratogenes Potenzial haben (hauptsächlich in der 6.–12. Schwangerschaftswoche). Das Risiko für angeborene Anomalien bei Einnahme von VKA in dieser Zeit liegt zwischen 3,7 % und 6,4 %. In der zweiten Hälfte der Schwangerschaft können VKA
eine fetale Hepatopathie oder intrauterine Blutungen auslösen. Da LMWH und UFH verfügbar und bei gleicher Wirksamkeit sicherer sind, ist die Verwendung von VKA während der Schwangerschaft meistens nicht gerechtfertigt. Eine Ausnahme besteht bei Patientinnen mit künstlichen Herzklappen, bei denen die Verwendung von LMWH möglicherweise nicht gleich effizient gegen die Bildung von Klappenthromben wirken kann (D’Souza et al.
2016). Diese erhalten dann entweder durchgehend VKA gemäß INR-Bestimmung (
International Normalized Ratio) mit dem Risiko der Cumarinembryopathie oder meistens therapeutisch dosiertes LMWH bis zur 12. Schwangerschaftswoche und danach Umstellung auf VKA, welche gemäß INR-Wert gesteuert werden. Je nach Fall kann hier aber auch LMWH durchwegs bis zum Ende der Schwangerschaft fortgesetzt werden.
Mit Ausnahme des Warfarin
können VKA (Acenocoumarol
, Phenprocoumon
) in geringen Mengen in die Muttermilch übertreten, gelten aber im Allgemeinen für die Verwendung während des
Stillens als weitgehend sicher. Es sollte jedoch eine regelmäßige Vitamin-K-Substitution beim gestillten Säugling erfolgen (z. B. 2 mg
Vitamin K 1-mal pro Woche). Manche Therapeuten machen dies von INR-Messungen beim Säugling abhängig. Wenn künstliche Säuglingsmilch zum Einsatz kommt, erübrigt sich die proaktive Vitamin-K-Substitution, da diese Produkte meisten mit Vitamin K supplementiert sind. Bezüglich des Beginns oder der Umstellung auf eine Cumarinbehandlung wird empfohlen, diese um mindestens 5 Tage nach der Entbindung zu verschieben. Dies weil die Einstellbarkeit optimaler wird (stabile Ernährung, Konsolidierung des totalen Blutvolumens, Abklingen allfälliger Akute-Phasen-Reaktionen) (Bates et al.
2012,
2018).
Neuere direkte orale Antikoagulanzien (DOAC
, direkte Thrombin- oder
Faktor-Xa-Inhibitoren) werden heute häufig zur Behandlung und Prävention von
VTE eingesetzt. DOAC sind plazentagängig und Tierstudien haben ein erhöhtes Risiko für angeborene fetale Anomalien und Blutungen während der Schwangerschaft festgestellt. Daher sind DOAC während der Schwangerschaft kontraindiziert (Bapat et al.
2014; Bates
2021; Beyer-Westendorf et al.
2016; Cohen et al.
2016; Lameijer et al.
2018; Middeldorp und Ganzevoort
2020). Es liegen keine ausreichenden Daten für die Sicherheit und Wirkung der DOAC auf Säuglinge vor. Basierend auf Tierstudien scheint es, dass DOAC in die Muttermilch übergehen und daher auch bei stillenden Frauen kontraindiziert sind (Bates et al.
2018). DOAC können somit nur nichtstillenden Frauen während des
Wochenbetts als Alternative zu LMWH oder VKA verabreicht werden (Middeldorp und Ganzevoort
2020).
Fondaparinux
(synthetisches Pentasaccharid) und Danaparoid (Dermatansulfat, Heparinanalogon) sind indirekte Faktor-Xa-Hemmer, haben eine lange
Halbwertszeit von 21 h und werden renal eliminiert. Beide können als Antithrombotika eingesetzt werden und werden subkutan verabreicht. Sie sind bei Patienten mit einer Heparinallergie oder der Anamnese einer
heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) indiziert. Aufgrund der ungünstigen Darreichungsform ist Danaparoid
für therapeutische Dosierungen weniger geeignet und wird daher zunehmend seltener verwendet. Fondaparinux wurde aufgrund von guten randomisierten Studien für die Prophylaxe und Therapie einer Thrombose außerhalb der Schwangerschaft als effizient und sicher zugelassen. Im Kontext der Schwangerschaft ist es in geringen Mengen plazentagängig (etwa 10-mal geringere Konzentrationen im fetalen als im mütterlichen Kreislauf) (Dempfle
2004; Middeldorp und Ganzevoort
2020). Es wurden jedoch Fälle erfolgreicher Verabreichung in der Schwangerschaft bei Frauen mit schwerer Heparinallergie berichtet. Somit kann es als „Off-Label-Indikation“ und unter bestimmten Bedingungen in der Schwangerschaft verabreicht werden (Bates et al.
2018; Dempfle
2004; Greinacher
2015; Knol et al.
2010). Es liegen keine ausreichenden Daten zur Ausscheidung von Fondaparinux in die Muttermilch und deren Auswirkungen auf das Kind während der Stillphase vor. Theoretisch wird erwartet, dass oral aufgenommenes Fondaparinux, als negativ geladenes Oligosaccharid, nur in geringen Mengen die Darmepithelbarriere überschreitet, was eine starke Absorption von gestillten Kindern unwahrscheinlich macht (Bates et al.
2018).
Schwangere Frauen mit Hochrisikolungenembolie, die hämodynamisch instabil oder stark hypoxämisch sind, können mit therapeutischer systemischer Thrombolyse behandelt werden, wenn keine weiteren Kontraindikationen vorliegen. Hier scheint der Gewebeplasminogenaktivator (t-PA) das am besten geeignete Thrombolytikum zu sein (Bates
2021; Dado et al.
2018; Heavner et al.
2017; Middeldorp und Ganzevoort
2020).
Vena-cava-inferior(IVC)-Filter
sind sehr selten indiziert und sollten im Allgemeinen nur individuellen Fällen vorbehalten werden, z. B. Patientinnen mit nachgewiesener Thrombose und rezidivierender
Lungenembolie, trotz einer angemessenen Antikoagulationstherapie, oder solchen, die aufgrund von absoluten Kontraindikationen keine Antikoagulation erhalten können (Middeldorp und Ganzevoort
2020). Jeder Fall sollte individuell im Hinblick auf die Indikationsstellung abgewogen werden. Zu den Risiken bei der Filtereinlage gehören die Filtermigration, die bei 20 % der Patienten auftritt, Filterbrüche (5 %) und Vena-cava-Rupturen, die bei bis zu 5 % der Patienten auftreten (Greer
1999). Darüber hinaus ist die Platzierung eines IVC-Filters eine Indikation für eine fortgesetzte Dauerantikoagulation in therapeutischer Höhe nach der Intervention (Harris et al.
2016), außer es handelt sich um einen entfernbaren
Filter, der spätestens 2 Wochen nach Einlage mittels Katheters wieder entfernt wird (Tab.
2).
Tab. 2
Sicherheit der Antikoagulanzien in Schwangerschaft und
Wochenbett/Stillzeit
Heparin (UFH, LMWH) | Ja | Ja | Nicht plazentagängig, langjährige Beobachtungszeit in Studien |
VKAs | Nein | Ja | Plazentagängig (Ausnahme Warfarin), teratogen, wenn in der 6.–12. SSW eingenommen, fetale Blutungen im 3. Trimenon, Neuroentwicklungsstörungen des Fetus |
DOACs | Nein | Nein | Plazentagängig, teratogen |
Fondaparinux | Ja, bedingt | Ja | Zu einem kleinen Grad plazentagängig, wenig bis kaum fetale Blutungen in kleinen Beobachtunsgsstudien |
Danaparoid | Ja | Ja | Nicht plazentagängig |
Prävention von Thrombosen in der Schwangerschaft
Eine Thromboseprophylaxe
während der Schwangerschaft ist angezeigt, wenn einer oder mehrere relative Risikofaktoren vorliegen und der Nutzen der Prophylaxe das mit einer solchen Behandlung verbundene Blutungsrisiko überwiegt. Die Methoden zur Bewertung des VTE-Risikos sind jedoch nicht für schwangere Frauen adaptiert. Somit bleibt die Schätzung des absoluten Risikos im Rahmen der Schwangerschaft eine Herausforderung. Dies erklärt teilweise die großen Unterschiede in den Empfehlungsrichtlinien zur Prävention von
VTE in der Schwangerschaft, wie in Tab.
3 gezeigt (z. B. ACCP: American College of Chest Physicians, ACOG: American College of Obstetrics and Gynecology, RCOG: Royal College of Obstetrics and Gynecology, ASH: American Society of Hematology) (Bates et al.
2012; RCOG
2015b). Darüber hinaus basieren diese Empfehlungen hauptsächlich auf Expertenmeinungen, da gut konzipierte klinische Studien mit ausreichendem Evidenzgrad nur eingeschränkt verfügbar sind. Dies erklärt auch die Heterogenität der Vorgehensweisen in der klinischen Realität (Dado et al.
2018; Villani et al.
2017).
Tab. 3
Vergleich der bekanntesten Empfehlungen für Thromboseprophylaxe in Schwangerschaft und
Wochenbett gemäß ACCP (Bates et al.
2012), ACOG (ACOG
2011,
2018), RCOG (RCOG
2015a,
b), ASH 2018 (Bates et al.
2018)
Anamnese mit Einzel-VTE | ACCP 2012 | Klinische Überwachung | LMWH |
Transienter Risikofaktor (NH) | | Klinische Überwachung | LMWH |
| | Nach Fallprophylaxe oder klinische Überwachung | LMWH |
ASH 2018 | Klinische Überwachung | LMWH |
Anamnese mit Einzel-VTE | ACCP 2012 | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Transienter Risikofaktor (H) | | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Keine Thrombophilie | | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
ASH 2018 | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Anamnese mit Einzel-VTE | ACCP 2012 | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Idiopathisch | | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Keine Thrombophilie | | Medikamentöse Prophylaxe Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
ASH 2018 | LMWH |
Einzel-VTE | ACCP 2012 | Medikamentöse Prophylaxe oder klinische Überwachung | LMWH |
Niedrig-Risiko Thrombophilie | | Medikamentöse Prophylaxe oder klinische Überwachung | Überwachung oder LMWH |
| Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
ASH 2018 | Klinische Überwachung | LMWH |
Einzel-VTE | ACCP 2012 | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Hochrisikothrombophilie | | Medikamentöse Prophylaxe Medikamentöse Prophylaxe Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
| LMWH |
ASH 2018 | LMWH |
Anamnese rezidivierende VTE ohne langzeitige Thromboseprophylaxe | ACCP 2012 | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
| Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
| Medikamentöse Prophylaxe Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
ASH 2018 | LMWH |
Ohne VTE Anamnese | ACCP 2012 | Klinische Überwachung bei negativer Familienanamnese | LMWH |
NiedrigrRisikothrombophilie | | Klinische Überwachung oder medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
| Potenzielle Prophylaxe | LMWH |
ASH 2018 | Klinische Überwachung | Überwachung |
Ohne VTE Anamnese | ACCP 2012 | Medikamentöse Prophylaxe bei positiver Familienanamnese | LMWH bei positiver Familienanamnese |
Hochrisikothrombophilie | | Medikamentöse Prophylaxe bei pos Familienanamnese | LMWH bei positiver Familienanamnese |
| Potenzielle Medikamentöse Prophylaxe bei positiver Familienanamnese | LMWH bei positiver Familienanamnese |
ASH 2018 | Medikamentöse Prophylaxe | LMWH |
Die Entscheidung zur Thromboprophylaxe sollte auf einer individuellen Risikobewertung basiert werden. Dabei gilt es folgende Risikofaktoren für
VTE in der Schwangerschaft zu beachten: Alter über 35 Jahre,
Adipositas (BMI>29 kg/m
2), Multiparität, Thrombosen in der persönlichen Anamnese, Präeklampsie, schwere venöse Insuffizienz der unteren Extremitäten mit Varikosis, Komorbiditäten wie
Diabetes, Autoimmunerkrankungen, Hämoglobinopathien und erbliche
Thrombophilien. Das Risiko ist höher, wenn eine Kombination von mehreren Risikofaktoren vorliegt.
Im Allgemeinen sollten Frauen mit einem hohen Risiko für eine
VTE im Rahmen der Schwangerschaft bei Symptomen und klinischen Anzeichen einer VTE unmittelbar abgeklärt werden. Eine frühe Mobilisierung nach der Geburt und elastische Kompressionsstrümpfe werden generell allen Schwangeren empfohlen (Bates et al.
2016).
Die Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe betreffen: a) den Zeitraum der Schwangerschaft und b) den Zeitraum des
Wochenbetts.
Als repräsentatives Beispiel, beschreiben die ACCP-Richtlinien
für die Thromboseprophylaxe in Schwangerschaft und
Wochenbett indikativ Empfehlungen, die von der einfachen klinischen Überwachung bis zur prophylaktischen Antikoagulation mit intermediären subtherapeutischen Dosierungen hinreichen, je nach Fall, unter Berücksichtigung von anamnestischen und anderen Risikofaktoren.
Die ACCP-Richtlinien (9th edn.) umfassen Folgendes (Bates et al.
2012):
-
Im Allgemeinen sollten Frauen mit
VTE in der persönlichen Anamnese bei Einnahme östrogenhaltiger Präparate oder Frauen mit einer einzelnen oder mehreren VTE in der Anamnese, die keine Dauerantikoagulation haben, während der Schwangerschaft und Geburt eine medikamentöse Thromboprophylaxe mit LMWH in prophylaktischer oder intermediärer subtherapeutischer Dosierung erhalten (Evidenzgrad 2C).
-
Bei schwangeren Frauen mit einer provozierten VTE in der persönlichen Anamnese (z. B. posttraumatisch, postoperativ, jedoch nicht in Zusammenhang mit Einnahme östrogenhaltiger Präparate) wird eine klinische Überwachung während der Schwangerschaft und eine medikamentöse thromboseprophylaktische Behandlung während des
Wochenbetts empfohlen (Evidenzgrad 2C, 2B).
-
Bei asymptomatischen schwangeren Frauen, die homozygot für die Faktor-V-Leiden- oder für die Prothrombin-G20210A-Mutation sind und eine Thrombose in der Familienanamnese aufweisen, wird eine medikamentöse Thromboprophylaxe während der Schwangerschaft und im Wochenbett über 6 Wochen empfohlen (Evidenzgrad 2).
-
Bei asymptomatischen schwangeren Frauen, die homozygot für die Faktor-V-Leiden- oder für die Prothrombin-G20210A-Mutation sind und keine Thrombose in der Familienanamnese aufweisen, sowie bei Frauen mit allen anderen
Thrombophilien oder mit einer Thrombose in der Familienanamnese ohne Thrombophilie wird eine medikamentöse Thromboseprophylaxe nur während des Wochenbetts empfohlen (Evidenzgrad 2B und 2C entsprechend).
-
Bei Frauen mit bestätigtem
Antiphospholipidsyndrom wird während der Schwangerschaft eine medikamentöse Thromboseprophylaxe mit LMWH in prophylaktischer oder intermediärer Dosis und einer niedrigen Dosis Aspirin empfohlen (Evidenzgrad 1B).
-
Bei Frauen mit allen anderen Thrombophilien, bei denen keine Thrombose in der persönlichen oder familiären Anamnese aufgetreten ist, wird eine klinische Verlaufskontrolle empfohlen (2C) (Bates et al.
2018; Robertson et al.
2006).
Prävention und Therapie von Thrombosen im Wochenbett
Venöse thromboembolische Ereignisse (
VTE) im
Wochenbett umfassen die tiefe Venenthrombose (TVT), die
Lungenembolie (LE) sowie die seltenere puerperale Ovarialthrombose (POT). Insgesamt beträgt die Inzidenz dieser Ereignisse im Rahmen von Schwangerschaft und Wochenbett ein Vielfaches der nichtschwangeren Allgemeinbevölkerung. In der Literatur wird häufig ein 5- bis manchmal 15-fach erhöhtes Risiko genannt (Encke
2015; Heit et al.
2005; Romero et al.
2005). Obwohl die Häufigkeit der VTE in absoluten Zahlen relativ gering ist, kommt dieser Erkrankung als eine der führenden maternalen Todesursachen (9,2 % der maternalen Todesfälle in Schwangerschaft und Wochenbett) besondere Bedeutung zu (ACOG
2018; Creanga et al.
2017). Eine systematische Übersichtsarbeit beschreibt eine Erkrankungsinzidenz für das erstmalige Ereignis einer VTE von 118 Fälle per 100.000 Personenjahre für die Schwangerschaft und einen Anstieg in der postpartalen Periode auf 424 pro 100.000 Personenjahre (Abdul Sultan et al.
2013). Das Risiko ist dabei in den ersten Tagen bis Wochen nach der Geburt besonders erhöht (Abdul Sultan et al.
2013; ACOG
2018; Sultan et al.
2012). In Anbetracht des relativ niedrigen absoluten Risikos bei jüngeren Frauen muss jedoch der mögliche Benefit einer Thromboseprophylaxe gegen ein potenzielles Blutungsrisiko abgewogen werden (Kotaska
2018). Damit besteht grundsätzlich keine allgemeine Indikation zur Thromboseprophylaxe nach der Entbindung. Diese ist weitgehend vom individuellen Risikoprofil der Schwangeren abhängig (ACOG
2018; Encke
2015; RCOG
2015a).
Zu den wesentlichsten Risikofaktoren, die eine Thromboseprophylaxe erfordern, zählen anamnestische
VTE (insbesondere wenn diese spontan und ohne besonderer Risikokonstellation wie Operationen aufgetreten sind), eine schwerwiegende
Thrombophilie (wie die homozygote
Faktor-V-Leiden-Mutation oder homozygote Faktor-II-Mutation) sowie kombinierte Thrombophilien oder längerfristige Immobilisation (Bates et al.
2018; Rodger
2014). Da diese besonderen Risikokonstellationen bereits eine antenatale medikamentöse Thromboseprophylaxe erfordern, sollte diese im
Wochenbett bis mindestens 6 Wochen nach der Geburt fortgesetzt und zusätzlich durch eine physikalische Prophylaxe (Thromboseprophylaxestrümpfe) unterstützt werden werden (ACOG
2018; Bates et al.
2018; RCOG
2015a). Die medikamentöse Thromboseprophylaxe kann bei Patientinnen ohne weiteres Blutungsrisiko ab 4–6 h nach vaginaler Geburt sowie 6–12 h nach Schnittentbindung eingeleitet bzw. wiederaufgenommen werden (ACOG
2018). Die Wertigkeit einer kurzfristigen Thromboseprophylaxe nach Kaiserschnitt wird vielfach diskutiert (Kotaska
2018). Zusätzlich zu einer frühen Mobilisation und der genannten Prophylaxestrümpfe wird eine medikamentöse Thromboseprophylaxe bei Patientinnen nach elektiver Schnittentbindung besonders dann empfohlen, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Diese wird in der Regel über 5–10 Tage belassen (RCOG
2015a). Dieselbe Vorgehensweise kann auch bei Patientinnen mit multiplen Risikofaktoren (s. Tab.
1) Sinn machen und muss individuell abgewogen werden (ACOG
2018; Bates et al.
2018).
Niedrigmolekulares Heparin (LMWH) ist dabei bei stillenden Müttern zumeist das Mittel der ersten Wahl, wobei auch Warfarin und Acenocoumarol, Fondaparinux und Danaparoid als weitgehend sicher angesehen werden, da diese nicht (oder nur in geringem Ausmaß) in die Muttermilch übergehen. Darüber hinaus werden Heparine nicht oral resorbiert und haben daher keinen Effekt beim Neugeborenen (Bates et al.
2018). Insbesondere bei Patientinnen, die eine längerfristige Antikoagulation über 6 Wochen hinaus (z. B. Patientinnen mit mechanischer Herzklappe) oder eine therapeutische Antikoagulation benötigen (z. B. bei Vorliegen einer
VTE) kann frühzeitig eine Umstellung auf Warfarin erfolgen. Anders als Warfarin geht Phenprocoumon in die Muttermilch über (auch wenn die nachweisbare Dosis in der Muttermilch eher gering ist) (RCOG
2015a; von Kries et al.
1993).
Die
puerperale Ovarialthrombose (POT) ist eine seltene Form der
VTE im
Wochenbett, tritt als Komplikation bei etwa 0,01–0,18 % der Schwangerschaften auf, wobei eine Schnittentbindung (insbesondere bei
Mehrlingsschwangerschaft) als Risikofaktor angesehen wird (Ben Oun et al.
2020; Riva und Calleja-Agius
2021). In der Mehrzahl der Fälle (70–90 %) ist die rechte Seite betroffen (Ben Oun et al.
2020). Klinisch manifestiert sich die POT meist in den ersten Tagen bis Wochen nach der Entbindung als abdominelle Schmerzsymptomatik,
Fieber, Erbrechen und Ileussymptomatik (Bannow und Skeith
2017; Ben Oun et al.
2020). Aufgrund der möglicherweise lebensbedrohlichen Komplikationen (die Rate an
Lungenembolien beträgt 25 %) ist eine rasche Bildgebung erforderlich (Dougan et al.
2016; Ribeiro et al.
2019), die sich nach der zeitnahen Verfügbarkeit richten sollte (Bannow und Skeith
2017). Dabei erreicht eine Magnetresonanztomografie des Beckens die höchste Testgenauigkeit (Bannow und Skeith
2017). Des Weiteren sollte eine frühzeitige Dopplersonografie in Betracht gezogen werden.
Nach Diagnosestellung sollte eine therapeutische Antikoagulation (LMWH oder VKA) über 3 Monate neben einer breiten antibiotischen Therapie erfolgen (Bannow und Skeith
2017; Ben Oun et al.
2020). Letztere ist auch nötig um lokalen Komplikationen wie Ovarialabszess und
Sepsis vorzubeugen.