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Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie – Bedeutung, Identität, Situation und Perspektiven eines großen medizinischen Fachgebietes

Verfasst von: Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Peter Falkai, Wolfgang Maier, Jürgen Fritze und Hans-Peter Kapfhammer
Das vorliegende Werk will kompaktes „State-of-the-Art-Wissen“ wissenschaftlich fundiert und dennoch praxisnah des aus der Nervenheilkunde entwachsenen Faches Psychiatrie, psychosomatische Medizin und Psychotherapie darstellen. In diesem medizinischen Gebiet sind derzeit über 17.000 Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie (ca. 10.000), Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (ca. 4000) und ca. 3000 Fachärzte für Nervenheilkunde (meist ohne Psychotherapie) tätig. Die von diesen Fachärzten zu versorgenden psychischen Erkrankungen sind zahlreich: Ihre 1-Jahres-Prävalenz (im Erwachsenenalter unter 65 Jahren) beträgt knapp 28 % (Jacobi et al. 2014). Diese Erkrankungshäufigkeit (mehr als ¼ der deutschen Erwachsenenbevölkerung!) ist so hoch, dass die verfügbaren spezifischen Fachärzte nicht ausreichen, um psychisch Kranke zu versorgen. Daher hat sich zusätzlich der Berufsstand Psychologischer Psychotherapeuten etabliert, durch die psychische Störungen ausschließlich mit Psychotherapie behandelt werden. Diese Berufsgruppe umfasst derzeit da. 40.000 examinierte Psychologische Psychotherapeuten, wobei ca. 14.000 über einen ambulanten Kassensitz verfügen (Vertragspsychotherapeuten; Bundespsychotherapeutenkammer 2015). Besonders häufige psychische Störungen, wie Depressionen und Demenzen, werden zudem mehrheitlich von Haus- und Allgemeinärzten behandelt. Damit nimmt das Gebiet psychischer Störungen eine zentrale Position im Gesamtbereich der klinischen Medizin ein. Nur wenige Fachgebiete der Medizin haben in den vergangenen 40 Jahren (nach der „Psychiatrie-Enquete“) derart deutliche Veränderungen in den Augen der Öffentlichkeit, der Medien und in der Behandlungsrealität in den stationären, ambulanten und komplementären Versorgungsektoren aufzuweisen wie die Psychiatrie und Psychotherapie. Das Wissen um Ätiologie, Pathogenese und Einflussfaktoren und die Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Erkrankungen hat sich enorm erweitert durch eine breit angelegte Forschungsaktivität von den Grundlagen (genetisch, molekular, zellulär, systemisch) über die klinische Neurobiologie (Bildgebung, Biomarker) und die Humanwissenschaften (Kognition, Emotion, soziale Umwelt) bis zu den Interventionsmethoden (Pharmakotherapie, Hirnstimulation, Psychotherapie, Verhaltensmedizin). Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Strukturveränderung, ökonomischer und personeller Engpässe, hohem Versorgungsbedarf bei divergierenden konzeptuellen Versorgungsmodellen und Spezialisierungsbestrebungen ist das Fachgebiet hinsichtlich Zukunft und Weiterentwicklung mit großen Herausforderungen konfrontiert.

Bedeutung psychischer Störungen und Krankheiten (Möller, Maier, Fritze, Laux)

Psychische Erkrankungen sind von großer Bedeutung für die Betroffenen, ihre Angehörigen und die Gesellschaft. Während für die Betroffenen und die Angehörigen insbesondere die Krankheitssymptomatik und das Leiden an der Erkrankung und ihren psychosozialen Konsequenzen im Vordergrund stehen, sind für die Gesellschaft v. a. die Kosten für Krankheitsbehandlung, Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung und ggf. frühes Ausscheiden aus dem Erwerbsprozess durch vorzeitigen Tod (als körperliche Folge der Grunderkrankung oder durch Suizid) von Relevanz. Je nach Versicherungsstatus und Vermögensverhältnissen können aber auch die finanziellen Konsequenzen für Betroffene und Angehörige zu einer erheblichen Bürde werden, wenn man z. B. an längerdauernde Arbeitsunfähigkeit, an langjährige, indirekt durch die Krankheit mitbedingte Arbeitslosigkeit, an die Schrumpfung des Einkommens durch Frühberentung sowie an die von Krankenkassen, Renten-versicherung, Pflegeversicherung nicht voll oder gar nicht getragenen Kosten für Rehabilitationsmaßnahmen oder Heimunterbringung denkt.
Die Mehrfachbelastung mit Krankheitssymptomatik und damit einhergehendem subjektiven Leiden sowie psychosozialen Folgen aller Art einschließlich Stigmatisierung und häufig schweren ökonomischen Konsequenzen lässt psychische Erkrankungen oft zu einer menschlichen Tragödie für den Betroffenen und seine Familie werden. Diese menschliche Tragödie des „Einzelfalls“ wird durch die Art der wissenschaftlichen/objektivierenden Krankheitsdarstellung in medizinischen/psychiatrischen Lehrbüchern und noch mehr in epidemiologischen und gesundheitsökonomischen Darstellungen, in denen subjektives Leid in der Regel keinerlei Erwähnung oder Beachtung findet, verschleiert. Um dieser Missachtung subjektiven Leids und persönlicher Belastung entgegenzuwirken soll hier am Anfang dieses Kapitels ein Einzelfall stehen, der paradigmatisch die menschliche Tragödie verdeutlicht.
Beispiel
Eine junge Studentin erkrankt im Alter von 20 Jahren an einer schizophrenen Psychose. Die anfänglich noch unsichere Diagnose wird durch die schon im Alter von 21 Jahren, nach Absetzen der remissionsstabilisierenden Antipsychotikatherapie wegen subjektiv unerträglicher Nebenwirkungen, auftretende 2. akute schizophrene Episode bestätigt. Die junge Frau sieht sich im weiteren Verlauf genötigt, wegen chronischer kognitiver Leistungseinschränkung und weiteren Rezidiven mit der Notwendigkeit längerer stationärer Behandlungen ihr Studium abzubrechen. Trotz längerdauernder Rehabilitationsmaßnahmen verschiedener Art und Intensität gelingt es ihr in den folgenden Jahren nicht, einen Beruf zu erlernen oder als Hilfskraft auf dem primären Arbeitsmarkt integriert zu werden. Zunehmend erlebt sie die Stigmatisierung im Rahmen ihres Freundes- und Bekanntenkreises und bei alltäglichen Besorgungen und Aktivitäten. Sie lebt zunächst noch für viele Jahre bei ihren Eltern, allerdings mit zunehmend stärker werdenden Konflikten, teils durch die immer wieder auftretende akute und im weiteren Verlauf chronisch-residuale Krankheitssymptomatik, teils durch die psychologisch ungute Situation der fehlenden Autarkie und selbständigen Entwicklungsmöglichkeiten. Die aus diesen Gründen von ihr selbst und den Eltern angestrebte Unterbringung in einer therapeutischen Wohngemeinschaft ist nur von kurzer Dauer, da die chronisch residuale paranoide Symptomatik wie auch eine erhebliche Negativsymptomatik zu nicht lösbaren Problemen mit den Mitbewohnern führen. Es kommt schließlich zu einer Unterbringung in einem Pflegeheim, weil das vorübergehend versuchte eigenständige Wohnen in einer von den Eltern angemieteten Wohnung nicht auf Dauer realisierbar war. Die Tätigkeit in einer beschützen Werkstätte lehnte die Patientin nach einigen Monaten wegen der aus ihrer Sicht zu einfachen Tätigkeiten ab, konnte allerdings wegen ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen auch keine anspruchsvolleren Tätigkeiten ausführen. Immer wieder war die Patientin in den letzten Jahren neben zeitweisen Verschlechterungen ihrer Produktiv- und Negativsymptomatik gequält von Selbstzweifeln, Depressivität, Lebensunlust und zunehmenden suizidalen Gedanken. Die Beziehung zu den Eltern, die sich ihrerseits wegen Unverständnis für die Krankheitsentwicklung und Krankheitssymptomatik von der Tochter immer mehr zurückzogen, zumal die Mutter als Reaktion auf die Belastung eine behandlungsbedürftige chronische Depression entwickelte und der Vater sein aus der Erkrankung der Tochter resultierendes Leid durch zunehmenden Alkoholkonsum „behandelte“, nahm im Laufe der Erkrankung immer mehr ab. Auch die anfangs noch bestehenden Beziehungen zu Schul-/Jugendfreunden brachen im Laufe der Jahre ab. Die Patientin war nicht fähig, neue Beziehungen aufzubauen und fühlte sich zunehmend völlig vereinsamt. In dieser Situation sah sie immer mehr als einzigen Ausweg den Suizid. Sie sprang im Alter von 32 Jahren im Rahmen einer schweren depressiven Verstimmung in suizidaler Absicht aus der 4. Etage eines Hauses. Sie war danach polytraumatisiert, konnte aber durch intensive chirurgische Behandlung soweit „wiederhergestellt“ werden, dass sie im Rollstuhl ein relativ autarkes Leben führen konnte. Sie konnte sich aber nicht mit dem Leben eines nun auch noch schwer körperlich Behinderten abfinden und setzt ihrem Leben 1 Jahr später mit einer langfristig geplanten schweren Tablettenintoxikation (vorrangig trizyklische Antidepressiva) ein Ende.
Ähnliche tragische Einzelschicksale wären auch für andere schwere psychische Erkrankungen möglich wie z. B. Depression, bipolare Erkrankung, Demenz, Alkohol- oder Drogensucht. Je nach Art der Erkrankung würden sich unterschiedliche Besonderheiten, dem charakteristischen klinischen Erscheinungsbild und Verlauf der einzelnen Erkrankungen entsprechend, ergeben. Bei allen Patienten würden aber, sofern ungünstig verlaufend, ähnliche prinzipielle Muster erkennbar werden: Therapieresistenz, Medikamentennebenwirkungen und ggf. daraus resultierende Nichtadhärenz, multiple Rezidive bzw. Chronifizierung, schwere psychosoziale Folgen im privaten und beruflichen Bereich, suizidale Krisen und ggf. Suizid.
Was sich im Einzelfall als menschliche Tragödie darstellt, auf die jeder Mensch mit Betroffenheit und Mitleid reagiert, lässt sich auch im Rahmen wissenschaftlicher, mit standardisierten Beurteilungsskalen durchgeführten Untersuchungen an Gruppen von Patienten mit bestimmten Diagnosen zeigen.
In Abb. 1a und b werden z. B. die ausgeprägten und vielfältigen Beeinträchtigungen der sozialen Adaptation im Langzeitverlauf (15-Jahres-Katamnese nach Ersthospitalisierung) von Patienten mit schizophrenen und affektiven Erkrankungen, erkennbar.
Die Ergebnisse zum Langzeitverlauf der Krankheitssymptomatik zeigen die Vielgestaltigkeit und teilweise Persistenz der Symptomatik und dass Patienten mit schizophrenen Psychosen im Vergleich zu Patienten mit affektiven Erkrankungen eine größere Wahrscheinlichkeit eines ungünstigen Krankheitsverlauf zeigen (Möller et al. 2010, 2011; Bottlender et al. 2010). Bei solchen gruppenstatistischen Auswertungen, ausgedrückt als Mittelwerte oder Prozentangeben, wird aber die menschliche Tragödie der einzelnen Betroffenen neutralisiert und gerät in die wissenschaftliche Distanz. Deshalb sollte der Arzt bei der Lektüre der Ergebnisse solcher wissenschaftlicher Untersuchungen sich immer wieder die Einzel-Schicksale der einbezogenen Patienten vor Augen zu führen versuchen.
Erfreulicherweise ist das Gesamtbild nicht so dramatisch, wie die anfängliche Darstellung vermuten lassen könnte – ein nicht unerheblicher Prozentsatz psychischer Erkrankungen ist prognostisch positiv, nimmt einen günstigen Verlauf. Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich erheblich verbessert, sowohl in der Psychopharmakotherapie als auch durch die Entwicklung einer breiten Palette evidenzbasierter psychotherapeutischer Verfahren..
Psychische Störungen haben in der Allgemeinbevölkerung eine hohe Prävalenz (Kap. Epidemiologie psychischer Störungen).
Berechnungen der Weltbank und der Harvard University zum „Global Burden of Disease“ ergaben, dass im Jahr 2020 unter den 10 wichtigsten Erkrankungen die folgenden 5 psychischen Erkrankungen rangieren: unipolare Depression, Alkoholmissbrauch, Demenz, Schizophrenie, bipolare affektive Störung.
Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung medizinischer Krankheiten wird konventionellerweise durch 2 Kriterien beurteilt: (a) krankheitsbedingte Mortalität („years of life lost due to premature mortality“, YLL) und (b) krankheitsbedingte Einschränkung der Lebensqualität („years lost due to disability“, YLD).
Beide Kriterien belegen die hohe Relevanz psychischer Erkrankungen:
a.
Schwere psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, affektive Psychosen, Alkoholabhängigkeit, Drogenabhängigkeit und Demenz gehen mit einer reduzierten Lebenserwartung einher: So fand eine Metaanalyse (Walker et al. 2015) eine durchschnittliche Reduzierung der Lebenserwartung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen von über 10 Jahren. Weltweit zählen psychische Erkrankungen zu den häufigen Todesursachen (ca. 14 % aller Todesfälle, ca. 8 Mio. pro Jahr, ca. 67 % natürliche Todesursachen, 17,5 % nichtnatürliche Todesfälle).
 
b.
Unter den 25 weltweit am stärksten zu Behinderungen (gemessen durch „years lost due to disability“, YLD) führenden Erkrankungen befinden sich Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie, bipolare Erkrankungen, alkoholbedingte Störungen und Alzheimer-Demenz. Psychische Erkrankungen (inkl. Abhängigkeitserkrankungen) stellen mit 21,2 % die größte Gruppe der Ursachen für Behinderungen dar (Global Burden of Disease Study 2013 Collaborators 2015). Eine große zusammenfassende Analyse von Studien zur Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der EU, unter Einschluss der Demenzen, ergab eine 1-Jahres-Prävalenz von insgesamt 38 %, ohne – abgesehen von den Abhängigkeitserkrankungen – relevante Ländervarianz (Wittchen et al. 2011). Am häufigsten sind in absteigender Reihenfolge Angststörungen (14 %), unipolare Depression (7 %), Demenzen, somatoforme Störungen, Alkoholismus, Belastungsstörungen (PTBS) und psychotische Störungen (Abb. 2).
 
Die Ergebnisse der jüngsten Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland sind im Kap. Epidemiologie psychischer Störungen detailliert dargestellt. Abb. 3 gibt eine Zusammenfassung wieder.
Auch in dieser Studie sind depressive Störungen und Angststörungen am häufigsten. Krankenkassendaten aus Deutschland zeigen, dass ca. 1/3 der deutschen Bevölkerung innerhalb von 3 Jahren wegen einer ICD-Diagnose F0 bis F5 Kontakt mit dem Gesundheitssystem hatte. Häufigster Grund war eine depressive Störung (Gaebel et al. 2013). Neben einigen traditionell als „schwer“ eingestuften psychischen Erkrankungen gibt es eine Reihe leichterer Störungen mit großer Häufigkeit. Die in den jüngsten epidemiologischen Bevölkerungsstudien angegebenen hohen Morbiditätszahlen bedürfen allerdings einer gewissen Relativierung, da dabei auch leichtere Störungen mit grenzwertigem Krankheitswert – wie z. B. leichtgradige Phobien oder Schlafstörungen – mitgezählt wurden. Eine echte Zunahme psychischer Störungen, wie sie immer wieder dramatisierend in Massenmedien dargestellt wird, scheint nicht vorzuliegen (Richter et al. 2008; Wittchen et al. 2011). Ein Problem der vergleichenden Bewertung epidemiologischer Daten ist, dass sie sich auf unterschiedliche Diagnosesysteme beziehen wie ICD-10, DSM-IV, DSM-5 und in Zukunft ICD-11. Gerade DSM-5 (Möller et al. 2015a, b) weicht z. T. erheblich von DSM-IV und ICD-10 ab und schafft dadurch erhebliche Schwierigkeiten in der Interpretation epidemiologischer Daten.
Neben der Häufigkeit psychischer Erkrankungen ist, insbesondere bei gesundheitsökonomischer Betrachtung, die Schwere und Gesamtdauer einzelner Episoden bzw. eine auftretende Chronifizierung sowie psychosoziale Folgen und vorzeitiger Tod von Bedeutung. Bei einer solchen Betrachtung, die z. B. die durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit/Behinderung oder Tod „verlorenen Lebensjahre“ („disability-adjusted life years“, DALYs) ins Zentrum rückt, wie z. B. die „Global Burden of Disease Studie“ (GBD) der WHO (Murray et al. 2015; Whiteford et al. 2013), kann die Relevanz bestimmter psychischer Erkrankungen gegenüber der reinen Häufigkeitsbetrachtung erheblich divergieren (Abb. 4). Plass et al. (2014) haben basierend auf den Ergebnissen der GBD-Studie die Entwicklung der Krankheitslast mittels DALYs in Deutschland analysiert. Zu den wichtigsten Verschiebungen im europäischen Vergleich zählen Depressionen.
Psychische Störungen sind auch im Zusammenhang mit somatischen Krankheiten von hoher, oft deutlich unterschätzter oder gar verkannter Relevanz:
  • Psychische Störungen können häufig in Folge schwerer somatischer Störungen wie KHK, Schlaganfall, M. Parkinson, Krebserkrankungen und Diabetes vorkommen; dabei beeinträchtigen sie nicht nur zusätzlich die Lebensqualität und Rekonvaleszenzchancen der somatischen Krankheiten, sie erhöhen auch die Mortalität (Kang et al. 2015; Gallo et al. 2015).
  • Psychische Krankheiten, v. a. unipolare Depressionen, stellen auch im bidirektionalen Sinne Risikofaktoren für spätere somatische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und Diabetes dar (Saylor und Friedmann 2015).
Die Behandlung solcher komorbider somatischer Krankheiten wird qualitativ schlechter durchgeführt als bei derselben somatischen Diagnose ohne psychische Komorbidität. Die beobachtete, substantielle Lebenszeitverkürzung (Mortalität) bei psychisch Kranken ist eine Konsequenz dieses behebbaren Defizits.

Gesundheitsökonomie psychischer Störungen und Krankheiten

Gemäß der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) nahm die Bundesrepublik Deutschland bei den direkten Gesundheitsausgaben (das sind die Gesamtausgaben, also nicht nur die der Gesetzlichen Krankenversicherung, GKV) 2013 mit 11 % der Ausgaben im Gesundheitssektor (OECD-Durchschnitt: 8,9 %) einen der Spitzenplätze ein und liegt damit an Rang 5 hinter den USA, den Niederlanden, der Schweiz und Schweden.
Nach Kalkulationen des Statistischen Bundesamtes (2015) beliefen sich die direkten Krankheitskosten für psychische und Verhaltensstörungen im Jahre 2008 auf 28,7 Mrd. € (2002: 22,4 Mrd. €) und damit 11,3 % der gesamten Krankheitskosten aus der Kostenträgerperspektive (also Ausgaben von Kranken- und Pflegeversicherung, unter Vernachlässigung von z. B. krankheitsbedingten Produktionsausfällen, Berufsunfähigkeit und häuslicher Pflege durch Familienangehörige). Davon entfielen auf
  • Depressionen 5,2 Mrd. € (2002: 3,9 Mrd. €),
  • Schizophrenien 2,9 Mrd. € (2002: 2,6 Mrd. €),
  • Demenzen 9,4 Mrd. € (2002: 7,1 Mrd. €).
Von 2002–2008 sind die direkten Kosten von psychischen Störungen um etwa 23 % gestiegen, die Gesundheitsausgaben insgesamt um (lediglich) 16,2 %. Unter den Krankheitskosten für psychische und Verhaltensstörungen entfallen 7,7 % auf die ambulante vertragsärztliche Behandlung (zum Vergleich: bei den Krankheitskosten insgesamt 15,8 %), 10,8 % (15,1 %) auf Arzneimittel, 25,9 % (26,2 %) auf die Krankenhausbehandlung, 7,1 % (3,1 %) auf Vorsorge und Rehabilitation, 6,1 % (3,4 %) auf die ambulante Pflege, 26,3 % (7,8 %) auf die stationäre Pflege, 3,8 % (3,1 %) auf die privaten Haushalte. Der höhere Anteil der Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen resultiert u. a. aus der Entwöhnungsbehandlung Suchtkranker. Der bedeutend höhere Anteil der stationären Pflege ist im Wesentlichen den Demenzen geschuldet.

Stationäre und teilstationäre Behandlung

Die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen stellt das größte Kostensegment (25,9 %) der Gesamtkosten dar. Dabei erfährt nur ein kleiner Teil psychisch kranker Menschen jemals im Leben eine stationäre/teilstationäre Behandlung!
Im Rahmen der Diskussionen um ein neues Entgeltsystem (PEPP) wurden Berechnungen angestellt, wie viel Personal und damit welche Kosten für eine leitliniengerechte stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung notwendig wären (Hauth 2016). Diese überstiegen die derzeitigen Psych-PV-Grundlagen bei weitem, sie sollen vom G-BA bis 2020 neu kalkuliert werden. Auch eine ethische Analyse der Problem- und Spannungsfelder wurde vorgelegt (Vollmann 2014).
Zum 1.1.2017 ist das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) in Kraft getreten. Es sieht ein individuelles Budgetsystem vor, das die regionalen und strukturellen Besonderheiten der Krankenhäuser berücksichtigen soll. Verbindliche Mindestpersonalvorgaben sollen für eine leitliniengerechte Versorgung psychisch Kranker sorgen. Die Kliniken werden zudem verpflichtet, jährlich nachzuweisen, inwieweit sie die Personalvorgaben einhalten. Mit dem PsychVVG soll außerdem eine stationsäquivalente Akutbehandlung im häuslichen Umfeld (Home-Treatment) als Krankenhausleistung für schwer psychisch Kranke eingeführt werden.
Die amtlichen Klassifikationen ICD-10-GM und die Operation- und Prozedurenschlüssel OPS, werden vom Deutschen Institut zur Medizinischen Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegeben. Anpassungen erfolgen auf Basis von Vorschlägen, v. a. von Fachgesellschaften und der Selbstverwaltung. Die Entgeltsysteme werden von der Selbstverwaltung auf Basis von Vorschlägen des Institutes für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) vereinbart.
Die einschlägigen OPS-Bereiche „Behandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen (9–60 … 9–64)“ bzw. bei Kindern und Jugendlichen „(9–65 … 9–69)“ sind durch Vorschläge der entsprechenden Fachgesellschaften geprägt. Auf Ebene der Primärcodes werden „Regelbehandlung“ und „Intensivbehandlung“ unterschieden, bei Erwachsenen zusätzlich „psychotherapeutische Komplexbehandlung“ und „psychosomatisch-psychotherapeutische Komplexbehandlung“. „Intensivbehandlung“ grenzt sich durch definierte Merkmale von der „Regelbehandlung“ ab. Für Einrichtungen der psychosomatischen Medizin wurde der Primärcode „psychosomatisch-psychotherapeutische Komplexbehandlung“ geschaffen. Zusatzcodes mit Tagesbezug codieren unter anderem erhöhter Betreuungsaufwand (1:1-Betreuung; 9–640.*)
Allein im Code-Bereich für Erwachsene resultieren für den OPS 2015 etwa 310 endständige OPS-Codes. Insgesamt enthält der Entgeltkatalog 2015 77 PEPPs und einen Katalog von 87 Zusatzentgelten. Die in den OPS-Codes genannten Mindestmerkmale sollen wohl Mindeststandards der Strukturqualität erzwingen.
Die ausführliche Darstellung des Systems findet sich im Anhang unter A3.
Von Seiten der Gesundheitspolitik wird des Weiteren erwogen als weiteren ökonomischen Parameter die Bezahlung nach Qualität (Pay-for-Performance, P4P) einzuführen. Eine kritische Bewertung hierzu findet sich bei Maio (2015).
Die Krankenhaushäufigkeit (Fälle je 10.000 Einwohner) mit psychiatrischer Hauptdiagnose (Kapitel F der ICD-10-GM) ist von 1994–2013 um 70 % gestiegen (Abb. 5), wobei jährlich knapp 70 % auf Einrichtungen der Psychiatrie und Psychotherapie entfallen. Diese Krankenhaushäufigkeit variiert zwischen den Bundesländern mit einem Variationskoeffizienten von 17 % (2013) erheblich. Die Verweildauer ist in dieser Periode um etwa 50 % gesunken und betrug 2013 im Durchschnitt aller Einrichtungstypen 20,3 Tage. Die Verweildauer variiert zwischen den Bundesländern mit einem Variationskoeffizienten von 17 % (2013) erheblich. Die vollstationären Krankenhausbelegungstage mit psychiatrischer Hauptdiagnose (Kap. F ICD-10) je 10.000 Einwohner liegen im Durchschnitt aller Einrichtungstypen 2013 um 23 % niedriger als 1994 (Abb. 5); seit 2005 steigen sie wieder. Diese Krankenhausbelegungstage je 10.000 Einwohner variieren zwischen den Bundesländern mit einem Variationskoeffizienten von 8 % (2013) erheblich.
Die Verkürzung der Verweildauer wurde dabei auch durch den Ausbau teilstationärer Versorgungsstrukturen (sog. Tageskliniken) möglich. So erhöhte sich die Zahl von Tages- und Nachtklinikplätzen in psychiatrischen Fachabteilungen von 10.789 im Jahr 2004 auf 18.753 im Jahr 2014.

Ambulante fachärztliche Behandlung

Niedergelassene Psychiater und Nervenärzte behandeln im Durchschnitt 300–400 Fälle mit psychischen Störungen pro Quartal. Auf 1 Jahr gerechnet ergibt dies über 6 Mio. Behandlungsfälle. Hinzu kommen über 1 Mio. Patienten in Richtlinien-Psychotherapie, welche von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten versorgt werden (hierzu gehört auch die Mehrzahl der Fachärzte für Psychosomatik und Psychotherapie aber auch eine zunehmende Anzahl der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die in die Richtlinienpsychotherapie wechseln). Darüber hinaus wird ein Großteil der Menschen mit psychischen Erkrankungen von Hausärzten behandelt, sie stellen beispielsweise über 80 % aller unspezifischen Depressionsdiagnosen.

Behandlung mit Psychopharmaka

Psychopharmaka sind diagnosespezifisch zugelassen und können in Deutschland von allen Ärzten verordnet werden. Eine professionelle, kompetente Psychopharmakotherapie gehört zu den Grundpfeilern des Fachgebietes.
Gemäß Arzneiverordnungs-Report 2016 (Schwabe und Paffrath 2016) liegen die Psychopharmaka (denen hier – abweichend vom Report – Neuroleptika, Lithium, Antidepressiva und Anxiolytika sowie Hypnotika und Antidementiva zugeordnet werden) mit ca. 48 Mio. Verordnungen auf Platz 2 der verordnungsstärksten Arzneimittel. Wie in Abb. 6 zusammengefasst, haben die Verordnungen von Antidepressiva in den letzten 10 Jahren sich fast verdoppelt. Diese Entwicklung dürfte durch die Verbreitung der „Volkskrankheit“ Depression, den Rückgang von Tranquilizerverordnungen (sedierende Antidepressiva auch als Hypnotikaersatz) aber auch Indikationserweiterungen (z. B. Behandlung von Angstkrankheiten) bedingt sein. Die Verordnung von Tranquilizern ist weiter rückläufig (2004–2013 um -32 %). Die Zahl der Verordnungen von Neuroleptika/Antipsychotika stieg zwischen 2004 und 2013 um rund 37 %, seitdem nur noch gering. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Neuroleptika oft (ungerechtfertigterweise) jenseits ihrer zugelassenen Indikationsgebiete – „off-label“ – verordnet werden (z. B. zur Regulierung von Agitation bei demenziell erkrankten Patienten). Das Verordnungsvolumen der Psychostimulantien ist für Methylphendiat seit 2008 weitgehend gleich geblieben und hat im Jahre 2014 etwas abgenommen, die Verordnung von Atomoxetin erfolgt wesentlich seltener, sie hat 2014 etwas zugenommen. Trotz steigender Bedeutung dementieller Erkrankungen haben die Verordnungen von Antidementiva seit dem Jahr 1992 kontinuierlich abgenommen. Cholinesterasehemmer und Memantin haben im Verordnungsvolumen leicht zugenommen. Aufgrund der Verordnungsdaten kann kalkuliert werden, dass nur ca. 260.000 Patienten von ca. 700.000 Alzheimer-Patienten in Deutschland mit Antidementiva behandelt werden.
Die Verordnung des bisher als einziges Mittel zur Entwöhnung von Alkohol zugelassenen Acamprosat sinkt seit Jahren, obwohl gemäß Arzneimittelrichtlinien (AMR) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ausdrücklich bei Alkoholkrankheit „als Zusatztherapeutikum im Rahmen einer psychosozial betreuten Abstinenzbehandlung“ verordnungsfähig. Allenfalls 5 % der geeigneten Patienten werden erreicht. Zwischen den Bundesländern finden sich erhebliche Unterschiede in den Psychopharmakaverordnungen je Versicherten, für die unklar ist, ob sie tatsächlich Unterschieden der Morbidität zuzuschreiben sind (Fritze 2014).

Behandlung mit Psychotherapie

1.165.965 Patienten nahmen im Jahr 2009 in Deutschland ambulante psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch, das entspricht einem Anteil von 1,7 % der gesetzlich Versicherten. Mehr als 2/3 dieser Patienten (70 %) waren Frauen, das Alter der Patienten bei Behandlungsbeginn lag zwischen 27 und 50 Jahren (Median: 40 Jahre). Ambulant durchgeführte Psychotherapien werden vorzugsweise nach der sog. Richtlinienpsychotherapie durchgeführt: Für jeden Behandlungsfall ist ein Antrag an die Kostenträger (Krankenversicherung) zu stellen. Die notwendige Anzahl der Therapiesitzungen wird dabei spezifiziert. Drei verschiedene Behandlungsverfahren (Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische Therapie und Gesprächstherapie) werden derzeit von den Kostenträgern als Einzel- oder Gruppentherapie erstattet.
Menschen ab 60 Jahren nahmen unproportional selten psychotherapeutische Leistungen in Anspruch (8 %). 97,4 % der Patienten befand sich in einem der 3 Richtlinienverfahren: dabei wurden v. a. Verhaltenstherapien (50 %) und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien (45 %) durchgeführt, nur 2,4 % der abgerechneten Psychotherapien waren analytisch. Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen wurden im Jahr 2014 15 % der Kassenleistungen für Therapien für die Psychoanalyse, 17 % für Verhaltenstherapie ausgegeben. Nach Berechnungen der KBV kostet eine Psychoanalyse knapp 7000 €, eine Verhaltenstherapie etwa 3650 €, eine tiefenpsychologisch fundierte Langzeittherapie etwa 4000 €. Das Krankenkassenkontingent für eine Verhaltenstherapie beträgt 30–50 h, für eine tiefenpsychologische Psychotherapie 50–80 h, für die Psychoanalyse 160–300 h. Abgeschlossen wurden die meisten Psychotherapien im Rahmen von bis zu 25 Sitzungen, wobei große Unterschiede zwischen den Richtlinienverfahren bestanden. Gruppentherapien machten weniger als 1 % der beantragten Psychotherapien aus. Während wissenschaftliche Leitlinien inzwischen bei allen Diagnosen grundsätzlich den Einsatz von Psychotherapie empfehlen, fanden sich bei der Behandlung durch Richtlinienverfahren v. a. neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen sowie affektive Störungen wieder (F3: 70 % bzw. F4: 82 %). Ein Viertel der Psychotherapiepatienten war nur über eine Diagnose der F-Gruppe (ICD-10) kodiert, während die Mehrheit zwei und mehr Diagnosen besaß (45 % bzw. 40 %).
Psychotherapie ist inzwischen in den psychiatrischen Versorgungskliniken fest etabliert (Laux et al. 2015), die Wirksamkeit der stationären Psychotherapie ist gut belegt, dennoch profitieren 20–30 % der Patienten nicht von der Behandlung, knapp 13 % beenden sie vorzeitig (Spitzer et al. 2016).

Rehabilitation

Während die Zahl der medizinischen Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung von 1991–2013 bei Männern generell – wenn auch nicht stetig – um ca. 8 % gestiegen ist, ist sie für psychische Krankheiten um 74 % gestiegen, deren Anteil von 11 % auf 17 %; bei Frauen ist sie um 42 % gegenüber 101 % gestiegen, sodass psychische Krankheiten hier 22 % im Jahr 2013 gegenüber 15 % im Jahr 1991 betrugen. Im Jahr 2013 erfolgten 186.502 stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wegen psychischer Krankheit und 51.211 zum Zwecke der Entwöhnungsbehandlung, also 20 % bzw. 5 % aller Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Entsprechend dem Willen des Gesetzgebers entwickelt sich auch die ambulante Rehabilitation: Im Jahr 2013 erfolgten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wegen psychischer Krankheit in 4 % ambulant.

Berentung und Arbeitsunfähigkeit

Die Möglichkeiten zur Teilhabe am Berufsleben nach abgelaufener Krankheit sind stark von den Anforderungen am Arbeitsplatz abhängig. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Spezialisierung der Arbeitsplätze enorm zugenommen, so dass die Arbeitsanforderungen gleichermaßen gewachsen sind. Die Chancen zur Wiederaufnahme von Arbeit nehmen mit überdauernden kognitiven oder emotionalen Einschränkungen und krankheitsbedingt verbleibender erhöhter Stresssensitivität ab – was bei schweren psychischen Erkrankungen relativ häufig ist. Diese Entwicklung bildet sich in den Daten zu Frühberentungen ab.
Während in der Zeit von 2000–2014 die Zahl der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit insgesamt um 20,4 % abgenommen hat, ist die Zahl der Rentenzugänge infolge psychischer und Verhaltensstörungen (ICD-10-Codes F00-F99) von 2000–2014 um 42,4 % gestiegen, sodass psychische Krankheiten 2014 einen Anteil von 43,1 % gegenüber 24,1 % im Jahr 2000 betragen, womit sie die mit Abstand häufigste Ursache für Frühverrentungen darstellen (Statistik der Deutschen Rentenversicherung 2015).
Die Arbeitsunfähigkeiten (AU-Tage und AU-Fälle) hängen von vielfältigen, auch miteinander interagierenden Faktoren ab und variieren u. a. nach Alter, Geschlecht, Bundesland, Berufszugehörigkeit und Art der Krankenversicherung. Während die Arbeitsunfähigkeiten seit Jahren rückläufig sind, nehmen die Arbeitsunfähigkeiten wegen psychischer Krankheiten seit Jahren relativ und absolut zu, wobei der Rückgang insbesondere die unverändert führenden muskuloskelettalen Krankheiten und hier insbesondere den Rückenschmerz betrifft. Die Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Gesundheitsstörungen hat von Mitte der 1990er-Jahre bis heute kontinuierlich zugenommen und lag 2014 bei den AU-Tagen bei ca. 17 %. Psychische Erkrankungen sind nach den muskuloskelettalen Krankheiten der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeitstage. Die weitaus meisten Fehltage werden durch Depressionen verursacht, sie sind die dritthäufigste Einzeldiagnose und verursachen alleine 3 % aller Fehltage. Psychische Erkrankungen sind für die Kassen v. a. aufgrund der Länge der Krankschreibung von Relevanz (durchschnittliche Krankschreibungsdauer bei psychischen Erkrankungen 2013 bei 34,5 Tagen im Vergleich zu 18,5 Tagen bei Muskel-Skelett-Erkrankungen; BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit 2015). Wahrscheinlich signalisiert die Zunahme eine wachsende Akzeptanz psychischer Störungen auf Seiten der Betroffenen wie auch der Ärzteschaft und damit verbunden eine höhere Erkennensrate und eine höhere Rate, angemessene spezifische Hilfe in Anspruch zu nehmen – ist also im Sinne einer Entstigmatisierung zu begrüßen.
Fazit
Psychische Krankheiten zählen zu den häufigsten Erkrankungen. Sie haben eine hohe Relevanz für die Versorgung mit auch gesundheitsökonomischer Bedeutung. Die Fallzahlen und Belegungstage stationärer Behandlungen nehmen zu trotz eines politischen und gesamtgesellschaftlichen Konsenses, die Kranken bevorzugt in ihrem Lebensfeld, also ambulant, zu behandeln. Auch die medizinischen Rehabilitationen nehmen zu, psychische Krankheiten nehmen bei Krankschreibungen/Arbeitsunfähigkeit und Frühberentungen wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit eine Spitzenposition ein. Psychopharmaka gehören zu den meistverordneten Medikamenten.

Identität des Faches Psychiatrie, Rolle des Psychiaters (Falkai, Laux, Maier)

Wahrnehmung der Psychiatrie in der Öffentlichkeit und durch das Fach selber – Problematik der „Stigmatisierung“

Trotz der oben skizzierten immensen Bedeutung psychischer Krankheiten und dem Wechsel von einem randständigen Thema zur Medienpräsenz – psychologische Themen nehmen in der Ratgeberliteratur, populärwissenschaftlich und in Spielfilmen heute einen relativ großen Platz ein – ist das Wissen der Bevölkerung zum Themenkreis Psychiatrie nach wie vor gering und nicht sachgerecht (Angermeyer et al. 2004, 2013; Schomerus et al. 2012). Keine andere klinisch-medizinische Disziplin erhielt in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit wie das Fach Psychiatrie und Psychotherapie. Das beruht einerseits auf der vermehrten Wahrnehmung psychischer Probleme im Alltagsleben (z. B. „Psychoboom“ in Zeitschriften und sozialen Netzwerken, „Burnout“ in der Arbeitswelt), aber auch auf zwischenmenschlichen Gewalttaten im Kontext psychischer Erkrankungen, über die jeweils breit berichtet wird. Trotz des Wissenszuwachs über psychische Störungen und aufwendiger Anti-Stigma-Kampagnen („open the doors“, „psychenet“) konnten das negative Stereotyp und die soziale Exklusion psychisch Kranker nicht entscheidend verbessert werden (Angermeyer et al. 2014; Möller-Leimkühler et al. 2016; Mnich et al. 2015; Kap. Soziologische und sozialpsychologische Aspekte psychischer Erkrankungen). Das gilt insbesondere für schwere psychische Störungen wie Psychosen. Diese diskriminierende, ausgrenzende Haltung z. B. durch Nachbarn und Arbeitskollegen bzw. der Öffentlichkeit allgemein wird als „Stigma“ bezeichnet. Beschämung über und Verschweigen von psychiatrischer Krankheit sind die Folgen. Ein wichtiger Grund für diese Stigmatisierung ist, dass psychisch und v. a. psychotisch kranke Menschen als gefährlich wahrgenommen werden. Eine andere diskriminierte Gruppe sind demenziell erkrankte Menschen. Das Verfehlen des gesellschaftlichen Ideals von Selbstständigkeit und Autonomie stellt eine wichtige Teilursache der Stigmatisierung dar.
Die Psychiatrie hat auch die Aufgabe der Abwehr von Gefahren, die dem Erkrankten (Selbstgefährdung), teilweise auch anderen Personen (Fremdgefährdung) durch die psychische Erkrankung drohen. Vor allem können manche psychischen Störungen unter herausfordernden oder anderen schwierigen Lebensbedingungen zwischenmenschliche Gewalt provozieren (Maier et al. 2016). Obwohl psychische Krankheit oft die Schuldfähigkeit für Straftaten aufhebt oder herabsetzt und obwohl Fremdgefährdung nur bei einer kleinen Minderheit von psychisch Kranken vorkommt (<1 %), hat dieser Zusammenhang doch schwerwiegende Folgen für alle psychisch Kranken: Schwere psychische Störungen führen zu einer Gefährdung unbeteiligter Personen und der Öffentlichkeit (Angermeyer et al. 2013). Dieses Vorurteil wird wesentlich durch die mediale Berichterstattung vermittelt (von Heydendorff und Dreßling 2016). Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit hat jüngst Handlungsempfehlungen für Journalisten zur Berichterstattung herausgegeben: „Fair Media – für die Menschen gegen Ausgrenzung“ heißt die Aufklärungskampagne (www.fairmedia.seelischegesundheit.net; zugegriffen am 13.09.2016).
Manche Autoren sehen in manchen Ländern die Gefahr, dass sich die Stigmatisierung psychisch Kranker auch auf ihre Behandler überträgt (Möller-Leimkühler et al. 2016). Dabei ist die Gruppe der Behandler heterogen – Begriffe wie Psychiater, Psychotherapeut, Psychologe oder Psychosomatiker und ihre jeweiligen Rollen und ihr Aufgabenspektrum in der Versorgung können angesichts ihrer, sich überlappenden Kompetenzen nicht eindeutig differenziert werden. Das befürchtete Stigma trifft besonders die Behandler für die schwerst psychisch Kranken, bei denen manchmal restriktive Maßnahmen zur Gefahrenabwehr getroffen werden müssen. Viele nichtärztliche Berufsgruppen, v. a. psychologische Psychotherapeuten drängen in das klassisch medizinische Feld von Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie und behandeln v. a. ambulante „psychotherapiefähige“ Patienten. In der stationären Behandlung werden stigmafreie, aus dem großzügigen Rehabilitationsfeld kommende jetzt akut versorgende „Stand-alone-Psychosomatik-Kliniken“ (vgl. „Burn-out“) gerne präferiert. Diese Situation gilt insbesondere für Deutschland, weniger aber für andere europäische/außereuropäische Länder; denn außerhalb Deutschlands gibt es weder ein gesondertes Fach Psychosomatik innerhalb der Medizin noch eine regelhafte Kostenerstattung für nichtärztliche Psychotherapie durch die Krankenkassen.
Bei Medizinstudenten und bei Jungärzten wird das Fach bei der Wahl der eigenen Fachrichtung weniger präferiert. Das ist vermutlich u. a. auf eine diesem Fach eigene Komplexität zurückzuführen: Psychische Erkrankungen sind zwar Krankheiten des Gehirns und haben somit eine klare somatische Grundlage. Andererseits stellen sie gleichzeitig Abwandlungen des subjektiven Erlebens („Seelenlebens“) dar und sind durch zwischenmenschliche Beziehungen sowie den sozialen Kontext stark beeinflusst bzw. wirken auf diesen zurück. Diese Themen sind auch im Zusammenwirken mit einigen Bereichen von Sozial- und Geisteswissenschaften (v. a. Psychologie) zu bearbeiten. Diese Komplexität wird im sog. biopsychosozialen Modell psychischer Erkrankungen dargestellt (Engel 1977). Daraus resultiert auch das Erfordernis zur Entwicklung psychotherapeutischer und sozialtherapeutischer Kompetenzen, die auch von nichtmedizinischen Berufsgruppen vertreten werden. In anderen klinischen Disziplinen der Medizin liegt der Schwerpunkt dagegen ausschließlich bei somatischen, also biologisch verursachten Krankheiten, was eine klarere Zuordnung zur Medizin erlaubt.
Obwohl die Psychiatrie eine der ältesten medizinischen Disziplinen ist, ist das Gefühl einer ärztlichen Identifikation mit dem Fach häufig unzureichend ausgeprägt. Die professionell selbstkritische (z. T. über-selbstkritische) bzw. -reflexive Haltung vieler Psychiater spielt hier eine wichtige Rolle. So relativieren Psychiater in Umfragen oft ihre eigenen Kompetenzen bei der Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen (Möller-Leimkühler et al. 2016). Neben dem Phänomen der Selbststigmatisierung der Psychiater ist die Bedeutung der Sprache für die Stigmatisierung psychisch Kranker und psychiatrischer Institutionen zu erwähnen – Sprache ist Ausdruck der jeweiligen sozial-kulturellen Atmosphäre, des Zeitgeistes (Helmchen 2013), eine unreflektierte, diskriminierende Wortwahl bezüglich psychisch Kranken, psychiatrischen Kliniken und Psychiatern gehört nach wie vor – auch in den Medien – zum Alltag.
Fazit
Es ist wichtig die Fortschritte zu erkennen, welche die Psychiatrie als verhaltensmedizinische Disziplin par excellence insbesondere im Bereich der Therapie (z. B. innovative, evidenzbasierte Psychotherapieverfahren, personalisierte Pharmakotherapie, nichtinvasive Stimulationsverfahren, etc.) in den vergangenen Jahren vorangetrieben hat.

Methodenvielfalt, breites Therapiespektrum

Das Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie zeichnet sich durch seine Methodenvielfalt und sein breites Therapiespektrum aus. Diese Breite ist dem biopsychosozialen Modell psychischer Erkrankungen geschuldet. Schon 1954 signalisierte der renommierte niederländische Psychiater O. Rümke in seiner Rektoratsrede eine Krise in der Identität der Psychiatrie aufgrund der großen Fülle der wissenschaftlichen Teilgebiete und praktischen Anwendungen bezüglich der reklamierten fachlichen Kompetenz für die verschiedensten menschlichen Lebens- und Problemlagen. Um den heutigen neurobiologisch-naturwissenschaftlichen und psychologisch-sozialwissenschaftlichen Konzepten im Sinne des ganzheitsmedizinischen biopsychosozialen Modell („brain meets mind“, „mind-body-medicine“) zu genügen, muss sich die Psychiatrie Methoden und Befunden anderer Disziplinen innerhalb und außerhalb der Medizin bedienen (Neuroradiologie, Endokrinologie, Immunologie, Psychologie, Sozialwissenschaften etc.).

Professionelle Identität

Psychiatrie und Psychotherapie ist eine medizinische Disziplin, nimmt jedoch eine Sonderstellung in der Medizin ein. So nutzt sie in Diagnostik und Therapie psychologische Methoden (gesprächsbasierte Explorationstechniken, psychologische Tests, fokussierte ärztliche Gesprächsführung und Psychotherapien, Analysen von biographischer Entwicklung und sozialer Umwelt) neben somatischen Prozeduren (Bildgebung, Pharmakologie, Hirnstimulationstechniken, Liquoranalyse, Schlafmedizin). Folglich bestehen enge Verbindungen mit anderen Fächern, was einerseits befruchtend wirkt, anderseits die Eigenständigkeit des Faches bedroht, welche insbesondere durch die Neurologie einerseits und die psychologischen Psychotherapien andererseits eine Konkurrenzsituation beinhaltet. Psychische Störungen werden zunehmend als Gehirnfunktionsstörungen charakterisiert, was die Grenze zur Neurologie mit Subdisziplinen wie „Verhaltensneurologie“ oder „Neuropsychosomatik“ aufweicht. Die einstmals das Fach prägenden Konzepte der Psychogenese sind aufgrund neurobiologischer Erkenntnisse nicht mehr als umfassende Erklärungsmodelle akzeptiert (Maier 2002). Andererseits wandert die Entwicklung psychotherapeutischer Grundprinzipien bzw. Behandlungstechniken, deren Grundprinzipien früher von Medizinern (Freud, Jung, Wolpes, Beck) begründet wurden, zunehmend in die Hände von Psychologen. Schon 2002 beschrieb Maier, dass die Eigenständigkeit des Faches zwischen der Neurologie und der psychotherapeutischen Medizin zerrieben zu werden drohe. Katschnig (2010) befürchtet, dass die Psychiatrie von anderen Disziplinen absorbiert werden könnte und vom „Aussterben bedroht“ sei. Andererseits liegen profunde integrative Modelle wie das der „social neuroscience“ vor (Maj 2014). Die Suche nach einer professionellen Identität lässt sich auch aus den immer wieder aufkeimenden Diskussionen und Anträgen auf die Führung neuer (oder alter) Gebietsbezeichnungen erkennen: vorgeschlagen wurde u. a. der „Facharzt für Psychische Erkrankungen“, geklagt die „Dekonstruktion des Nervenarztes“ mit Plädoyers für die kombinierte nervenärztliche Tätigkeit anstelle des „zunehmenden Facharztspezialisierungssyndroms“. Die zunehmende Spezialisierung verführe zu einer Erhebung einer Fülle sozialmedizinisch unwichtiger pathologischer Befunde („Fortschrittsfalle“) und zu massivem Ressourcenverbrauch ohne Verbesserung der Versorgung im Sinne der ICF (Baron und Linden 2008). Immer wieder wird vor einem „psychiatrischen Biologismus“ gewarnt sowie diskutiert, ob die Sozialpsychiatrie als eigenständiges Gebiet abgeschafft werden kann (Stier et al. 2013; Bauer 2013; Wancata 2013).
Die wechselvolle Geschichte der Psychotherapie in der Psychiatrie und Überlegungen zur Zukunft der Psychotherapie in der Psychiatrie wurden jüngst von Freyberger (2015) dargelegt. Aktuell besteht eine Tendenz, die professionelle Identität des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie v. a. im Felde der Psychotherapie zu sehen bzw. zu entwickeln.
Ein spezifisch deutsches Phänomen ist die Separierung der psychosomatischen und psychotherapeutischen Medizin durch ein 2-strangiges Facharztsystem basierend auf angeblich unterschiedlichen Ätiopathogenesemodellen – für die psychosomatische Medizin soll die Frage nach den psychischen Ursachen von Körperstörungen das identitätsstiftende Paradigma sein, für die Psychiatrie die Frage nach körperlichen Ursachen für psychische Erkrankungen. Berufspolitisch propagiert werden hieraus für die psychosomatische Medizin weitreichende Zuständigkeitsfelder („F3–F6“). Tatsächlich ergab eine neue Studie über Behandlungspfade für Patienten mit Angst und Depression (F3 und F4) große Überschneidungen zwischen psychiatrischer und psychosomatischer Versorgung. Die differenzielle Zuweisung erfolgte u. a. nach Krankheitsschwere und Sozialstatus – u. a. prädizierten höherer Bildungsstatus und höheres Einkommen eine Behandlung in der Psychosomatik (Bichescu-Burian et al. 2016).
International wird die psychosomatische Medizin richtigerweise in Anbetracht der komplexen somatopsychischen Interaktionen in der Konsiliarpsychiatrie lokalisiert (vgl. Fachzeitschrift Psychosomatics), Beispiele hierfür sind die Psychokardiologie, die Psychoonkologie und die gynäkologische Psychosomatik. Darüber hinaus bedürfen alle Patienten im Sinne der Ganzheitsmedizin eines psychosomatischen, biopsychosozialen Krankheitsverständnisses. In somatischen Kliniken gibt es einen großen Bedarf an Ärzten mit Kompetenz für psychosomatische Medizin, sie sollte als „Serviceleistung den anderen Fachgebieten zur Verfügung stehen vergleichbar mit der Anästhesie“ (IGSF 2005).
Das Fach Psychiatrie und seine „Nachbarfachgebiete“ sowie das Positionierungsspektrum sind in den Abb. 7 und 8 dargestellt:
Fazit
Die beiden Komponenten des Faches Psychiatrie und Psychotherapie sind:
  • ein klinisch-neurowissenschaftlicher Zugang zur Krankheit und
  • ein verstehender (seelenheilkundlicher) Zugang zur Person des Kranken und seiner Lebenswelt.
Als „Seelen- und Nervenheilkunde“ kann sie als die am stärksten „humanistisch“ geprägte medizinische Disziplin bezeichnet werden (Müller-Spahn 2004).
Es ist eine zentrale Aufgabe des Faches, beide Komponenten komplementär zu betrachten, ein ganzheitliches Konzept für psychische Leidenszustände unter einem biopsychosozialen Modell stellt die Kernidentität dieses Faches dar. Ein solches Konzept entspricht auch den Wünschen und Bedürfnissen der Patienten. Auf der Grundlage dieser Identität sind in dem zu bewältigenden, umfassenden Aufgabenspektrum auch spezifische Profilierungen möglich und notwendig (z. B. Neuropsychiatrie, Sozialpsychiatrie, Psychotherapie, biologische Therapie, forensische Psychiatrie).

Identität und Rolle des Psychiaters

Der Psychiater muss seine Berufsidentität in einem Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, im Kreuzungspunkt naturwissenschaftlichen und humanwissenschaftlichen Denkens und Handelns, also zwischen Neuro-, psychosozialer und subjektorientierter Geistes- und Sozialwissenschaft, zwischen Molekular- und Sozialengineering („Braindoctor“ und Philosoph) finden (Richartz 2000). Der Vorstand des Niederländischen Vereins für Psychiatrie publizierte 1994 eine Profilskizze des Psychiaters als Diskussionspapier. Aufgrund des schwierigen Spagats zwischen einerseits Psychiatrie als subjektorientierte Erlebenswissenschaft und andererseits Psychiatrie als objektivierende empirische Verhaltens- sowie Neurowissenschaft wurde das Bild eines sog. biopsychosozialen Generalisten entworfen. Auch Häfner sieht den Psychiater als breit geforderten Generalisten anstelle reduktionistischer Weltbilder biologischer, sozialer oder psychodynamischer Psychiater. Konkret müsse er in erster Linie Offenheit gegenüber der persönlichen Situation und der Geschichte des Kranken zeigen. Er gerate nicht selten zwischen die Fronten von Kranken und ihren Angehörigen, der Beruf sei belastend durch das Miterleben und Mitfühlen im Sinne einer Betroffenheit. Verstand, Klugheit, Mitgefühl und ein hohes Maß an Verlässlichkeit in der therapeutischen Begleitung des psychisch kranken Menschen macht für ihn einen guten Psychiater aus (Häfner 2002); Dörner (2003) hat in seinem Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung skizziert, dass die Beziehungsgestaltung für ihn im Zentrum steht. Gabbard führte 1999 aus, „psychiatrists occupy a „unique niche“ unter den medizinischen Fachgebieten und beschreibt sie als „biopsychosoziale Generalisten“, als Integratoren biologischer und psychosozialer Faktoren in Diagnose und Therapie“ (Gabbard 1999; Gaebel et al. 2010).
Von Sydow (2007) hat in ihrem Überblick dargelegt, dass basierend auf aktuellen Datenbankrecherchen und eigenen empirischen Studien in den Augen der Öffentlichkeit ein relativ undifferenziertes „Psycho-Stereotyp“ existiert, das sich gleichermaßen auf Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater bezieht und sich deutlich von Stereotypien über organmedizinische Ärzte absetzt. Die Berufe Psychiater, Psychologe oder Psychotherapeut werden meist synonym verwendet, die Haltung zur Psychotherapie ist positiver als die zur Psychiatrie, Psychopharmaka werden eher als schädlich eingeschätzt (Riedel-Heller et al. 2005).
Säkularisierung und nachlassende Bedeutung christlicher Pastoralangebote lassen den Psychiater heute im Sinne der humanistischen Psychologie z. T. auch die Rolle eines Seelsorgers einnehmen. Auch auf dem Hintergrund sich verändernder kulturell-gesellschaftlicher Entwicklungen mit unterschiedlichen religiös-weltanschaulich-spirituellen Kulturen und Überzeugungen kommt der kultursensiblen Psychotherapie mit der Heilkraft religiöser Werte und Tugenden wachsende Bedeutung zu. Im Einzelfall ist allerdings zu eruieren, ob Spiritualität Teil des Problems ist oder zur Lösung beitragen kann, ob ein krankmachender Glaube vorliegt oder ob sich heilsame religiöse oder spirituelle Ressourcen aktivieren lassen (Utsch und Frick 2015).
Im Rahmen der Diskussion zur Behandlung psychiatrischer Patienten gegen ihren Willen (UN-Behindertenrechtskonvention) wurde die Frage nach dem Berufsethos des Psychiaters im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung, Rechten Dritter und Zwangsbehandlung gestellt und die Doppelfunktion der Psychiatrie (Patientenrechte – Ordnungspolitik) (erneut) problematisiert (Pollmächer 2015).
Die Union Européenne de Médecins Spécialistes (UEMS) hat die Rolle von Psychiatern in Europa exemplifiziert (Hermans 2014), vonseiten der European Psychiatric Association (EPA) wurde jüngst ein Guidance-Papier zur Rolle der Psychiater veröffentlicht (Bhugra et al. 2015a, b), die UEMS-Sektion für Psychiatrie hat in ihrem Trainingsprogramm für medizinische Spezialisten in der EU folgende Schlüsselrollen für Psychiater publiziert.
Schlüsselrollen des Psychiaters
  • Caring for patients (dt. Krankenversorgung)
  • Managing complexity and severity (dt. Umgang mit Komplexität und Schweregrad der Erkrankungen)
  • Assessing and managing risk (dt. Einschätzung und Umgang mit Risiken)
  • Teaching and training (dt. Lehren und Ausbilden)
  • Research and innovation (dt. Forschung und Innovation)
  • Advocate/Facilitator/Enabler (dt. Fürsprechen/Vermitteln/Umsetzen)
  • Clinical leadership (dt. klinische Führung)
  • Public mental health (dt. psychiatrische Versorgung in der Öffentlichkeit)
Für die fachgerechte Ausübung des Berufes als Psychotherapeut werden folgende Schlüsselkompetenzen und Lernziele als notwendig erachtet (Fydrich et al. 2015):
1.
Verständnis von menschlichem Erleben und Verhalten,
 
2.
Störungslehre,
 
3.
Diagnostik,
 
4.
Indikationsstellung und Intervention,
 
5.
psychotherapeutisches Handeln,
 
6.
Wissenschaft und Wissenschaftstransfer,
 
7.
Rahmenbedingungen und Qualitätssicherung,
 
8.
Reflexion professionellen Handelns.
 

Psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutische Versorgung (Maier, Fritze, Laux, Falkai, Kapfhammer)

Die Mehrzahl psychisch Kranker wird in Deutschland durch Haus- bzw. Allgemeinärzte versorgt. Dieser Umstand ist allein aufgrund der Vielzahl von hilfesuchenden Patienten gefordert (denn nach dem letzten Gesundheitssurvey sind ca. 10 % der Allgemeinbevölkerung, also ca. 8 Mio. Menschen, wegen psychischer Probleme in Behandlung). Überweisungen in die spezialärztliche Versorgung – bzw. umgekehrt – erfolgen derzeit ohne klar definierte Prozeduren. Patienten mit ausgeprägter Symptomatik und schwer zu behandelnde, chronische Patienten werden jedoch meist in den spezialärztlichen Sektor überwiesen.
Die spezialärztliche Versorgung psychischer Krankheiten erfolgt in Deutschland heute durch spezialisierte Ärzte und Psychologen mit folgenden Approbationen bzw. Anerkennungen:
  • Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie,
  • Nervenärzte (auch „Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie“ genannt),
  • Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
  • ärztliche Psychotherapeuten,
  • Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
  • psychologische Psychotherapeuten,
  • Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Durch die Separierung des nervenheilkundlichen Facharztgebietes in die Fächer Neurologie und Psychiatrie sind zwei eigenständige Facharztbereiche mit gesonderten Weiterbildungen (vor mehr als 40 Jahren) entstanden. Seither nimmt die Zahl der Nervenärzte, die zugleich Neurologie und Psychiatrie vertreten (Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie) ab. Als weltweit einmalige Besonderheit ist zudem in Deutschland (in den 1980er-Jahren, historisch und berufspolitisch bedingt) der Facharzt für Psychosomatische Medizin etabliert worden; außerhalb Deutschlands gehört dieser Bereich zur Psychiatrie. Die jeweils behandelten Erkrankungen unterscheiden sich jedoch zwischen beiden Facharztgebieten nicht wesentlich. Für die Öffentlichkeit ist es damit zumindest schwierig zu erkennen, bei welchen Krankheitsbedingungen welcher der genannten Fachärzte bevorzugt zu konsultieren wäre. Eine ähnlich unsichere Abgrenzung besteht im ambulanten Bereich gegenüber den ärztlichen und den psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (aufgrund des Psychotherapeutengesetzes nehmen seit 1999 auch approbierte Psychologen an der Versorgung teil). Ärzte (z. B. Allgemeinärzte, Internisten) können die Zusatzbezeichnungen bzw. Qualifikationen Psychotherapie, Psychoanalyse bzw. Psychosomatische Grundversorgung erwerben (Berger et al. 2005).
Die Zahl bei den Ärztekammern in Deutschland registrierter Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie mit ärztlicher Tätigkeit betrug 2014 10.088, davon waren 5294 Ärztinnen und Ärzte stationär und 3900 ambulant tätig, die Zahl registrierter Fachärzte für Nervenheilkunde betrug 3073. 4123 Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie waren mit ärztlicher Tätigkeit registriert. An der vertragsärztlichen Versorgung nahmen 2014 5813 ärztliche Psychotherapeuten, 16.664 psychologischen Psychotherapeuten und 4648 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten teil. Die Zahl ärztlich tätiger Neurologen lag bei 6095. Die stetig wachsende Zahl von approbierten Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten beträgt zurzeit knapp 40.000.
In Abb. 9 ist die Entwicklung der Zahl berufstätiger Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, verwandter Facharztgruppen und Psychotherapeuten von 1993–2015 dargestellt.
An der Versorgung von Patienten mit psychischen Störungen in Österreich sind aktuell sowohl Ärzte als auch Psychologen und Psychotherapeuten beteiligt. Die traditionell enge Verflechtung von Neurologie und Psychiatrie bis Anfang der 1990er-Jahre führte sehr häufig zum Erwerb eines Doppelfacharztes von Psychiatrie und Neurologie („Nervenarzt“). An manchen Orten kam es erst in dieser Zeit zu einer eigenständigen Etablierung einer Universitätsklinik für Psychiatrie neben einer Universitätsklinik für Neurologie (z. B. in Graz). Eine zuvor von Neurologen und Psychiatern gemeinsam gestaltete Fachgesellschaft differenzierte sich erst jetzt in eine eigenständige „Österreichische Gesellschaft für Neurologie“ (ÖGN) einerseits, in eine „Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie“ (ÖGPP) andererseits. Die Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie orientierte sich auch schon vor 2007 an einem biopsychosozialen Modell psychischer und psychosomatischer Störungen. Eigenständige Weiterbildungsinhalte in Psychotherapie sowie Kenntnisse und Erfahrungen in Diagnose und Therapie von psychosomatischen und somatopsychischen Krankheitsbildern waren jedoch noch nicht obligat. Trotzdem war die Anzahl jener Psychiater und Psychiaterinnen hoch, die in einem umfassenderen Selbstverständnis ihrer Profession eigenständig psychotherapeutische Qualifikationen erwarben. Gleichsam als Gegenbewegung zum historisch lange dominanten Paradigma einer „Neuropsychiatrie“ waren auf universitärer Ebene ab den 1970er-Jahren zunächst Institute, später Kliniken für Medizinische Psychologie und Psychotherapie gegründet worden, die in der Folgezeit entscheidenden Einfluss auf die Verbreitung von Konzepten einer „sprechenden Medizin“, einer „Einführung des Subjekts in die Medizin“ sowie auf die Gründung von außeruniversitären Instituten für Psychotherapieausbildung nahmen. Wenngleich diese Gegenbewegung mehrheitlich von Psychiatern getragen war, erfolgte ein prononcierter Fokus auf psychologische und psychotherapeutische Ansätze doch weitgehend in strikter Abgrenzung zur Psychiatrie (Pieringer und Schüßler 2004). Die sowohl von der Österreichischen Ärztekammer als auch von den einzelnen Landesärztekammern getragene Ausbildungsinitiative zum Erwerb sog. „Psy-Diplome“ (Psy-I: psychosoziale Medizin, Psy-II: Psychosomatik, Psy-III: psychotherapeutische Medizin) stellte trotzdem für junge Psychiaterinnen und Psychiater die überwiegende Basis dar, psychotherapeutische Grundkenntnisse und -kompetenzen neben der offiziellen Facharztweiterbildung und außerhalb der klinischen Tätigkeit zu erlernen. Das „Psychotherapiegesetz“ von 1990/1991, das erstmalig in Europa die Ausbildung zum „Psychotherapeuten“ regelte und als eigenständige Berufsbezeichnung schützte, kann wohl als soziokulturelle Errungenschaft allgemein gewürdigt werden; es weist jedoch mehrfache Defizite auf. Mit diesem Gesetz erlangten zwar über 20 psychotherapeutische Verfahren/Schulen in Österreich eine gesetzliche Basis und Anerkennung. Eine notwendige Differenzierung der einzelnen psychotherapeutischen Ansätze nach empirisch erprobten Indikationen innerhalb eines differenzierten medizinischen Versorgungssystems unterblieb jedoch, ebenso wie auch eine Bestimmung von Richtlinienverfahren mit gesicherter Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkassen. Psychotherapieangebote stellen auch nach wie vor keine Regelleistungen von österreichischen Krankenkassen dar. Die Aufnahme einer Psychotherapie ist daher immer noch mit einem bedeutsamen finanziellen Selbstbehalt seitens der Patienten verbunden. In der Regelversorgung gerade für Patienten mit chronischen psychischen Erkrankungen bedeutet dies z. T. einen dramatischen Mangel an psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. In der inneruniversitären Fächerdifferenzierung hatte diese Parallelentwicklung ferner zur Folge, dass das in den Kliniken für Medizinische Psychologie und Psychotherapie hoch gehaltene Ideal einer „sprechenden Medizin“ in betonter Abhebung gegenüber einer vermeintlich nur „psychopharmakologisch agierenden“ Psychiatrie die Entwicklung einer fächerübergreifenden integrativen psychosomatischen Disziplin eher behinderte als förderte (Kapfhammer 2010). Auf der Ebene von Universitäts- und Schwerpunktkrankenhäusern bedingte dies im günstigen Fall zwar parallel sich ergänzende, aber nur selten konzeptuell stimmig koordinierte CL-psychosomatische versus -psychiatrische Organisationsformen (Mayr et al. 2015). Durch die sukzessiv in die stationäre Versorgung von Patienten in die Krankenhäuser miteinbezogene dritte Berufsgruppe von klinischen und Gesundheitspsychologen komplizierte sich ein an Vernunft, Empirie und Kooperation ausgerichtetes integratives Psy-Versorgungskonzept noch zusätzlich. Eine bundesgesetzlich geregelte autonome Berufsbezeichnung einerseits, ein durch das sog. Krankenanstaltengesetz prinzipiell jedem Patienten zugestandener Anspruch auf klinisch-psychologische und gesundheitspsychologische Unterstützung während eines Krankenhausaufenthalts anderseits garantieren de facto eine von Psychiatrie und Psychosomatik unabhängige Behandlungspraxis von klinischen und Gesundheitspsychologen in österreichischen Krankenhäusern (Kap. Psychosomatische Medizin und Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie).
Mit 2007 wurde die Facharztbezeichnung „Psychiatrie“ zu „Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin“ erweitert. Sie sah entsprechend eines multifaktoriellen biopsychosozialen Modells fortan auch obligat den Erwerb von psychotherapeutischen Wissensinhalten, Erfahrungen und Kompetenzen im Rahmen der fachärztlichen Weiterbildung vor. Die verbindliche Neufassung dieses Facharztes 2015 spezifiziert nunmehr, zumindest prinzipiell, die geforderte psychotherapeutische Qualifikation auch im Hinblick auf Störungsorientiertheit und Integration in einer versorgungswirksamen Gesamtbehandlung. Sie sieht ferner in einem eigenständigen Spezialmodul nach einer 3-jährigen psychiatrischen Grundausbildung die Möglichkeit eines Erwerbs profunder Erfahrungen und Kompetenzen in psychosomatischer Medizin vor. Durch Bundesministerium und österreichische Ärztekammer wurde dem langjährigen Bestreben nach einer separaten Facharzt- bzw. Zusatzfacharztbezeichnung für „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“ hingegen eine Absage erteilt. Das Österreichische Gesundheitssystem beinhaltet auch keine Doppelstrukturen einer „psychiatrischen“ vs. „psychosomatischen“ Versorgung, wie sie die Versorgungslandschaft in Deutschland charakterisiert. Für die psychiatrisch-psychosomatische Versorgung in Österreich sind aktuell knapp 1400 Fachärzte verfügbar (GÖG 2015a).
In der Schweiz sind derzeit ca. 3000 Psychiater und ärztliche Psychotherapeuten berufstätig (in Relation doppelt so viele wie in Deutschland).

Ambulante Versorgung

Die ambulante spezialärztliche Versorgung erfolgt durch sog. Vertragsärzte. Die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) definiert Fachärztegruppen und zwar derart, dass in die Gruppe der „Nervenärzte“ Fachärzte für „Nervenheilkunde“, für „Psychiatrie und Psychotherapie“ und für „Neurologie“ subsumiert sind. Die Zahl dieser Gruppe hat in den vergangenen Dekaden in Deutschland stark zugenommen. 2014 nahmen 5747 Nervenärzte an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Hinzu kommen die bei der KBV gesondert geführten Psychotherapeuten, die nach der sog. Richtlinientherapie arbeiten, und aktuell 5813 ärztliche und 21.312 psychologische Psychotherapeuten (mit Kassensitz, wobei die Mehrheit dieser Berufsgruppe keinen Sitz hat) umfassen (Multmeier 2014) (Abb. 10). Die Dichte der niedergelassenen Nervenärzte (Gesamtgruppe inkl. Psychiater und Neurologen) liegt dabei mit ca. 16.800 Einwohnern pro Nervenarzt deutlich niedriger als die Dichte der ärztlichen (ca. 17.300) und psychologischen Psychotherapeuten (ca. 6300 Einwohner pro Psychotherapeut). Hier ist eine Variabilität des Versorgungsgrades zwischen den Bundesländern und auch innerhalb der Länder (hier imponiert insbesondere ein Stadt-Land-Gefälle) bemerkenswert (Melchior et al. 2014).
Die fachspezifische ambulante Versorgung von Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen wird größtenteils von niedergelassenen Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Nervenärzten sowie von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung geleistet. Darüber hinaus sind Psychiatrische Institutsambulanzen (PiA), Hochschul- und Weiterbildungsambulanzen, psychiatrische oder psychosomatische Tageskliniken sowie psychosoziale Beratungsstellen Teil des ambulanten Hilfesystems. Berufspolitisch werden die niedergelassenen Fachärzte v. a. durch den Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN), den Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP) und den Berufsverband der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Deutschlands (BPM) vertreten. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat sich medienwirksam als Sprachrohr der (psychologischen) Psychotherapeuten etabliert.
In der Psychiatrie ist durch den Gesetzgeber (mit einer Novelle zu § 118 Abs. 2 SGB V im Jahr 2000) ein besonderes ambulantes Versorgungsangebot an den psychiatrischen Fachkrankenhäusern und Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern (soweit sie an der regionalen Pflichtversorgung teilnehmen) geschaffen worden – die psychiatrische Institutsambulanzen (PIA). Ziel dieser Maßnahme ist es, für psychisch kranke Menschen mit einem besonderen Behandlungsbedarf ein niederschwelliges (leicht zugängliches) Versorgungsangebot zu schaffen; dabei sollen v. a. komplexe Therapieangebote vorgehalten werden (medizinisch-pharmakologische kombiniert mit psychotherapeutischen oder ergo- oder physiotherapeutischen). In Regionen mit einer unzureichenden ambulant-vertragsärztlichen Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen sind die PIAs auch genötigt, ersatzweise vertrauensärztliche Aufgaben zu übernehmen. Trotzdem ist bislang eine flächendeckende ambulante Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland nur in einzelnen Regionen gewährleistet. Der „Faktencheck Depression“ der zeigte ein West-Ost- sowie ein Stadt-Land-Gefälle in der regionalen Verteilung der psychiatrischen und psychosomatischen Fachärzte sowie der Psychotherapeuten. Dabei wiesen Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die geringste und Berlin, Bremen und Hamburg die höchste Versorgungsdichte auf.
Die Variabilität des Versorgungsgrades zwischen den Bundesländern und auch innerhalb der Länder (hier imponiert insbesondere ein Stadt-Land-Gefälle) dürfte kaum mit dem Anspruch der gesetzlich Versicherten auf eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung gemäß § 70 SGB V vereinbar sein.
In einer in Oberbayern durchgeführten, vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Studie (Melchinger et al. 2006) wurde ermittelt, wer wie viel Geld für welche Leistungen an welche Leistungserbringer bezahlt. Danach trug die GKV etwa 69 % der Gesamtausgaben für psychiatrische Versorgung, die Sozialhilfe 31 %. 58 % der Ausgaben der GKV für psychiatrische Versorgung gingen an Krankenhäuser, 38 % an die Vertragsärzte, 2 % an Institutsambulanzen und 2 % an die Versicherten als Lohnersatzleistungen (Krankengeld). Drei Viertel der Ausgaben für vertragsärztliche (inkl. psychologische Psychotherapeuten) entfielen auf psychotherapeutische Leistungen, davon wiederum 80 % auf Richtlinienpsychotherapie. 52 % der Ausgaben gingen dabei an psychologische bzw. ärztliche Psychotherapeuten, nur 18 % an Nervenärzte und Psychiater. Gemäß einem Gutachten zur ambulanten Versorgung, das Melchinger (2008) im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erstellt hat, ergab sich anhand aktuellerer Daten, dass 65,3 % der GKV-Ausgaben auf psychologische und ärztliche Psychotherapeuten für die ambulante Versorgung von 25,1 % der Fälle entfielen, demgegenüber nur 34,6 % der GKV-Ausgaben auf niedergelassene Nervenärzte und Psychiater (23,3 %) sowie Institutsambulanzen (11,3 %) für die ambulante Versorgung von 74,9 % (Vertragsärzte 64,6 %, Institutsambulanzen 10,3 %) der Fälle (Abb. 11). Die „Verwerfungen“ in der ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung haben zwischenzeitlich noch zugenommen (Melchinger 2015). Obwohl in Deutschland ein im Vergleich sehr gutes Versorgungssystem im Rahmen der Psychotherapie besteht ist neben strukturellen Versorgungsdefiziten der Zugang zum Versorgungssystem für spezifische Personengruppen schwierig. Aktuelle Vorschläge zur Verbesserung dieser Situation finden sich bei Strauß (2015).
Die Zahl der im Grenzbereich subsyndromaler „Subtreshold-Störungen“ sowie im Coaching-Consulting-Bereich tätigen Psychologen (z. B. Prophylaxe und Therapie des Burn-out-Syndroms), von Sozialpädagogen u. a. in der Psychotherapie-Lebensberatungs-Szene Tätigen ist unbekannt. Die Zahl der in Deutschland registrierten Heilpraktiker liegt bei ca. 43.000.
Mit Stand Juli 2015 führen 1396 Ärzte in Österreich die Facharztqualifikation „Psychiatrie“, davon 669 die Bezeichnung „Psychiatrie“, 588 die Bezeichnung „Psychiatrie und Neurologie“ sowie 753 die Bezeichnung „Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin“ (GÖG 2015a). Die Mehrheit der österreichischen Psychiater ist primär in einem Angestelltenverhältnis, d. h. an psychiatrischen Kliniken/Abteilungen tätig (n = 934). In der ambulanten psychiatrischen Versorgung sind 810 Fachärzte engagiert. Davon arbeiten aber nur 152 Psychiater als Vertragsärzte, also auf fest zugewiesener Kassenarztbasis, hingegen 658 auf Wahlarztbasis, die lediglich eine Teilrefundierung durch die Krankenkassen und einen notwendig aufzubringenden Selbstbehalt durch die Patienten selbst vorsieht. Werden übliche Konzentrationen von psychiatrischen Fachärzte vorrangig in Städten, auffällige Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern, v. a. aber die starke Kontingentierung von festen Kassenfacharztstellen berücksichtigt, dann sind in vielen Regionen Österreichs bedeutsame Defizite einer ambulanten psychiatrischen Regelversorgung festzuhalten. Auch wenn die Anzahl jener psychiatrischen Fachärzte mit psychotherapeutischer Qualifikation seit 2007 v. a. auch durch die neue Facharztweiterbildungsordung mittlerweile sukzessiv angestiegen ist, beinhaltet die übliche ambulant-psychiatrische Praxis nur in seltenen Fällen auch angezeigte psychotherapeutische Ansätze neben psychopharmakologischen Interventionen. Das heißt die psychotherapeutische Versorgung der großen Mehrheit von Patienten mit psychischen Störungen erfolgt in Österreich nichtärztlich und liegt in den Händen von Psychotherapeuten oder klinischen und Gesundheitspsychologen. Nähere Angaben über Indikationen, Behandlungsfrequenzen und Therapiemethoden etc. gerade für Patienten mit chronischen psychischen Störungen existieren aber nicht (Eggert et al. 2010). Dies trifft wahrscheinlich auch auf jene Patientengruppe mit somatopsychischen Störungen zu, also auf Patienten mit somatischen Krankheiten und psychischen Komorbiditäten. Mit dem „Psychosomatischen Netzwerk Österreich“ wurde zwar eine wertvolle Initiative begründet, die ambulanten psychotherapeutischen Behandlungsangebote für Patienten mit unterschiedlichen psychosomatischen Krankheitsbildern auch unter regionalen Versorgungsgesichtspunkten zu verbessern (Fazekas und Leitner 2012). Sie erfolgte jedoch weitgehend unkoordiniert mit den ambulanten psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten vor Ort.

Stationäre Versorgung

Die Bundesrepublik Deutschland hatte 2013 mit ca. 67,5 Betten je 100.000 Einwohner in der Erwachsenenpsychiatrie (405 Fachabteilungen und -krankenhäuser) und 7,4 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP; 142 Fachabteilungen) einen auch heute im internationalen Vergleich relativ niedrigen Bettenstand. Die Einrichtungen der Psychiatrie und Psychotherapie verfügten 2013 über 54.433 (2008: 53.061) vollstationäre Planbetten, die der KJP über 5941 (2008: 5168). Dabei unterscheiden sich die einzelnen Bundesländer beträchtlich voneinander: Variationskoeffizient 12 % für Erwachsene, 34 % für Kinder und Jugendliche. Die insgesamt 9679 (2008: 6228) vollstationären Planbetten in den 220 psychosomatischen Akutkrankenhausabteilungen zeigen eine regionale Verteilung, die mit einem akutmedizinischen Versorgungsauftrag unvereinbar ist: 0 Betten in Brandenburg, 1,5 Betten je 100.000 Einwohner in Thüringen, bis zu 24,7 in Schleswig-Holstein und 32,7 in Bayern.
Berufspolitisch werden die Kliniken vertreten durch die Bundesdirektorenkonferenz (BDK), den Verband leitender Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie e.V. und den Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa).
Die stationäre Versorgung von Patienten mit depressiven, neurotischen, Angst- und somatoformen Störungen (ICD-10 F3/F4) erfolgt in unterschiedlichen Settings mit großen Überschneidungen (Borrmann-Hassenbach et al. 2012). Die differenzielle Zuweisung zu psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken erfolgt u. a. nach Krankheitsschwere und Sozialstatus (Bichescu-Burian et al. 2016). Die stationären psychiatrischen Versorgungsstrukturen konkurrieren auch mit einer großen Zahl Einrichtungen im Bereich der Rehabilitation: Dort werden 223 Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie mit 14.824 (also etwa 20 % aller) Betten und 171 Fachabteilungen für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin mit 16.973 (also 65 %) Betten vorgehalten.
Eine von der Aktion Psychisch Kranke (2007) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführte Erhebung hat objektiviert, dass die Personalausstattung von stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychotherapie für Erwachsene ebenso wie für Kinder und Jugendliche die als Mindeststandard zu verstehenden Vorgaben der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) erheblich unterschreitet. Für die Erhebung der Aktion Psychisch Kranke musste eine Umfrage durchgeführt werden, da die Grunddaten der Krankenhäuser des Statistischen Bundesamtes keine hinreichend detaillierten Informationen bieten. Soweit eine Zuordnung möglich ist, waren gemäß diesen Grunddaten im Jahr 2014 in den 273 Krankenhäusern mit ausschließlich psychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychiatrischen, psychotherapeutischen und neurologischen und/oder geriatrischen Betten insgesamt 8261 Ärzte tätig, darunter 4140 mit abgeschlossener Weiterbildung, davon 2733 Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie (1364 Männer/1369 Frauen), 343 (167/176) Ärzte für psychotherapeutische Medizin, 341 (203/138) für Neurologie, 20 (13/17) für Nervenheilkunde und 371 (134/237) Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (in 64 Kliniken). In den 205 Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern (und weiteren Fachabteilungen, insgesamt 261) waren im Jahr 2008 im Fachbereich Psychiatrie und Psychotherapie 1907 (1162/745) Ärzte tätig, im Fachbereich Nervenheilkunde 37 (20/17).
Auf ca. 20.000 Einwohner kommt etwa ein Klinikfacharzt. Der Versorgungsgrad mit Ärzten in psychiatrischen stationären Einrichtungen variiert zwischen den Bundesländern erheblich (Abb. 12).
Entsprechend des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (2012) werden 47 psychiatrische und psychosomatische Fachkrankenhäuser bzw. -abteilungen aufgeführt. Bedarfsrichtwerte sind in Form von Mindest- und Höchstbettenmessziffern (systematisierte Akutbetten pro 1000 Einwohner) sowie in Form von Erreichbarkeitskriterien festgelegt (GÖG 2015b). In der Planung des Bundesministeriums wird hierbei einerseits eine durchschnittliche Bettenmessziffer von 0,51 (Range: 0,34–0,57) für die psychiatrische, eine BMZ von 0,05 für die psychosomatische Versorgung zugrunde gelegt. 3460 Betten werden für die allgemeinpsychiatrische Versorgung vorgehalten, darunter insgesamt 390 tagesklinische Plätze. Dies entspricht einer tatsächlich realisierten, durchschnittlichen Bettenmessziffer von 0,41. Die Bettendichte schwankt allerdings in den einzelnen Bundesländern zwischen 0,18 und 0,55 beträchtlich. Für die längerfristige Versorgung von Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen sind insgesamt 883 Betten verfügbar, was einer tatsächlichen Bettenmessziffer von 0,1 entspricht und damit unter dem Planungsrichtwert von 0,16 liegt. Es existieren ferner 343 kinder- und jugendpsychiatrische Betten. Damit ist tatsächlich eine bundesweite Bettenmessziffer von 0,04 realisiert, die wiederum klar unterhalb des BMZ-Soll-Intervalls von 0,08–0,13 liegt. Derzeit stehen bundesweit 425 Betten für die psychosomatische Versorgung im Erwachsenenalter zur Verfügung, diese realisierte Bettenmessziffer entspricht auch den Planungswerten. Die analoge stationäre psychosomatische Versorgung von Kindern und Jugendlichen beinhaltet 120 Betten. Hiermit ist eine Bettenmessziffer von 0,014 erreicht, die wiederum deutlich unter dem Planungssollwert von 0,02 liegt. Psychosomatische Fachkrankenhäuser und Abteilungen halten meist ein differenziertes psychotherapeutisches Behandlungsangebot vor. Eine spezialisierte störungsorientierte und integrative Therapie von Patienten mit klinisch definierten psychosomatischen bzw. somatopsychischen Krankheitsbildern, für die prinzipiell ein enormer Versorgungsbedarf besteht, erfolgt hier jedoch vergleichsweise seltener.

Teilstationäre und komplementäre Versorgung

Die durchschnittliche, in der Bundesrepublik mit 1,3 Plätzen je 10.000 Einwohner vorgehaltene Zahl an tagesklinischen Plätzen variiert zwischen den Bundesländern erheblich. Gemäß der Länderumfrage der Arbeitsgruppe Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) verfügten die Einrichtungen der Psychiatrie und Psychotherapie am 01.01.2008 über etwa 350 Tageskliniken für Psychiatrie und Psychotherapie mit 10.572 Behandlungsplätzen, also durchschnittlich etwa 13 Plätze je 100.000 Einwohner.
Der Versorgungsgrad mit komplementären Einrichtungen (betreutes Wohnen, Heime, Werkstätten usw.) variiert regional und zwischen den Bundesländern massiv. Einzig öffentlich zugängliche Datenquellen sind die Berichte (2003, 2007; 2012 ohne Zahlen) der Arbeitsgruppe Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) im Auftrag der Gesundheitsministerkonferenzen. Die Daten sind Ergebnis von Umfragen der Arbeitsgruppe, sodass ihre Validität Fragen offen lässt. Es kann nur vermutet werden, dass der Versorgungsgrad jeweils Ausdruck lokaler Initiativen ist, sodass seine Bedarfsgerechtigkeit offen bleiben muss (Kunze 1998; Richter 2010).
Fazit
In der stationären Versorgung kam es in den letzten Jahrzehnten zu einem deutlichen Bettenabbau, in den letzten Jahren aber wieder einer Zunahme. Parallel stiegen die Fallzahlen an. Die Zahl der überwiegend in öffentlicher Trägerschaft stehenden (großen) Fachkrankenhäuser war leicht rückläufig, die Zahl forensischer Betten nahm massiv zu, die fachliche Spezialisierung wurde ausgebaut und weiterentwickelt (Suchtmedizin, Gerontopsychiatrie, Psychosomatik-Psychotherapie, Mutter-Kind-Einheiten etc.). Die Zahl psychiatrischer Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern nahm deutlich zu und liegt nun in der Größenordnung der Fachkrankenhäuser. In manchen Regionen etablierten sich aus dem Rehabilitationsbereich kommende, meist in privater Trägerschaft stehende psychosomatische Kliniken als Akutversorger. Die komplementäre Versorgung (z. B. betreutes Wohnen) ist ausgebaut worden; Transparenz über die Strukturqualität fehlt. In der ambulanten Versorgung liegt die Dichte der niedergelassenen Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie deutlich unter der psychologischer Psychotherapeuten. Psychiatrische Leistungen sind im Vergleich zu psychotherapeutischen Leistungen infolge unterschiedlicher Steuerungsmechanismen unterfinanziert. Der sich bereits insbesondere in den neuen Bundesländern abzeichnende (Fach-)Ärztemangel lässt eine zunehmende Unterversorgung psychisch Kranker ambulant und auch stationär erwarten. Angesicht knapper finanzieller Ressourcen gewinnt die Versorgungsforschung große Bedeutung, um eine evidenzbasierte Optimierung des fragmentierten, z. T. intransparenten Systems mit Parallelstrukturen zu erreichen.
Tagesklinische Einrichtungen sind in Österreich nur in der Minderzahl an stationäre psychiatrische Einrichtungen angegliedert. Im extramuralen Bereich haben hierfür v. a. psychosoziale Dienste eine grundlegende Versorgungsfunktion übernommen. Sie werden von unterschiedlichen privaten Organisationen und Vereinen z. B. von Pro Mente unterhalten. Multiprofessionelle Teams unter psychiatrischer Leitung leisten gerade für Patientengruppen mit chronischen psychischen Störungen eine diversifizierte psychiatrisch-psychotherapeutische und auch rehabilitative Arbeit mit dem Angebot einer Tagesstruktur (Wancata et al. 2007). In den letzten Jahren hat sich in Österreich auch eine spezialisierte psychiatrische Rehabilitation vorrangig mit der Neugründung von psychiatrischen Rehabilitationskliniken, in derzeit noch selteneren Fällen auch mit der Eröffnung ambulanter Rehabilitationszentren etabliert. Diese neuen psychiatrischen Rehabilitationsangebote wurden im Hinblick auf die führende Rolle psychischer Störungen als Ursachen für anhaltende Krankenstände, Berufsunfähigkeiten und Frühpensionierungen auch in Österreich als sozialmedizinisch unbedingt notwendige Konsequenz gefordert (Lenz und Schosser 2015). Eine 2012 in Kraft getretene Sozialrechtsgesetzänderung hat diesen gesundheitspolitischen Trend noch zusätzlich verstärkt. Geplant sind insgesamt ca. 1100 psychiatrische Rehabetten, von denen derzeit knapp über die Hälfte realisiert sind (GÖG 2015b).

Wissenschaft und Forschung (Falkai, Maier)

Die Psychiatrie erfährt derzeit erneut wissenschaftlich eine konzeptionelle Neuausrichtung und erfordert nunmehr statt eines psychiatrischen Generalisten vielmehr den wissenschaftlichen Spezialisten. War bis vor kurzem noch das Profil des Faches durch eine biologische, psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Differenzierung geprägt, bewirken in jüngster Zeit verschiedene Entwicklungen eine Hinwendung zu grundlagenwissenschaftlich orientierten Neurowissenschaften, eine stärkere Berücksichtigung klinischer Evidenzen durch Leitlinien und eines wachsenden Versorgungsbedarfs bei gleichzeitiger Einschränkung der ökonomischen Ressourcen. So zeichnen sich inzwischen als globale Schwerpunkte die neurobiologische, grundlagenorientierte Forschung, die klinische Forschung mit pharmakologischer und/oder psychotherapeutischer Schwerpunktsetzung sowie die epidemiologische bzw. Versorgungsforschung ab.

Neuroscience – Grundlagenforschung und Translationsforschung: (Molekular-)Genetik, Bildgebung, Therapieentwicklung

In den letzten 2 Jahrzehnten bediente sich die Psychiatrie Untersuchungsmethoden, die v. a. in den Grundlagenwissenschaften entwickelt wurden. Die genetische Epidemiologie, systemische Neurowissenschaften, funktionelles Neuroimaging, Genomic Imaging oder die Proteomik bzw. genomweite Expressionsstudien haben das Wissen über psychische Erkrankungen erheblich erweitert: Schwere psychische Erkrankungen (Schizophrenie, bipolare Störung, Alzheimer-Krankheit) sind bevorzugt genetisch determiniert. Ein Großteil der genetischen Bedingungsfaktoren ist auf genomischer Ebene durch DNA-Sequenzvarianten mittlerweile kartiert; die Auswirkungen auf die Genexpression (Epigenetik; Kap. Genetik bei psychischen Erkrankungen) und die funktionellen Auswirkungen auf neuronale Netzwerke werden derzeit intensiv erforscht.
Mit Methoden der strukturellen Bildgebung (Erkennung von Mustern hirnstruktureller Veränderungen) sind Voraussagen über die weiter Symptomentwicklung möglich geworden: Solche Methoden demonstrieren z. B. eine gute Sensitivität und Spezifität von > 80 % bei der Voraussage des Übergangs von einem Risikostadium für eine Psychose in das Vollbild einer Schizophrenie (Koutsouleris et al. 2009). Darüber hinaus ergibt sich eine befriedigende Prädiktion von > 75 % des Langzeitverlaufs nach 1 Monat und 1 Jahr bei Patienten mit einer Erstmanifestation einer Schizophrenie.
Die Aufdeckung der genomischen Variabilität und deren Einflüsse auf die neuronalen Netzwerke haben ein verbessertes Verständnis der neurobiologischen Grundlagen der Vulnerabilität für Psychosen und affektive Störungen geschaffen. So hat die Untersuchung von Verhaltensauffälligkeiten im genetisch modifizierten Tiermodell mittels gentechnologischer Methoden zu einem bedeutenden Erkenntniszuwachs geführt (transgene Modelle); von besonderem Interesse sind dabei tierexperimentelle Phänotypen, die krankheitsassoziierten Phänotypen (Endophänotypen) analogisiert werden können (siehe hierzu auch Abschn. 4.5). Für die Zukunft erscheint vielversprechend, zellbiologische Modelle mittels der Stammzelltechnologie zu entwickeln. Diese können helfen, die Lücke zwischen komplexen Systemen wie des Menschen oder des Tiermodells zu schließen.
Die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung ist für die Entwicklung neuer Wirkmechanismen für innovative Therapien entscheidend. Die Gewährleistung des schnellen Transfers grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in klinischen Studien wird durch die sog. Translationsforschung geleistet. Translationsforschung ist v. a. für psychische Störungen von größter Relevanz, denn die Wirkstoffentwicklung hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verzögert. Die sog. Pipelines der pharmazeutischen Industrie sind mittlerweile stark ausgedünnt, denn die wirkstoffentwickelnde Industrie hat sich wegen zu hoher Entwicklungskosten und zu langer Entwicklungsdauer aus dem ZNS-Bereich zurückgezogen (Gründer 2016). Die Identifikation neuer Zielstrukturen (z. B. krankheitsassoziierte neuronale Netzwerke und Gene bzw. Genfamilien) ist heute durch die kombinierte Anwendung molekularbiologischer, gentechnologischer, zellbiologischer und systemischer (z. B. Bildgebung) Methoden möglich geworden. Diese Forschungsstrategie wird von internationalen akademischen Forschergruppen im Interesse besserer Therapiestrategien intensiv verfolgt.

Früherkennung – Frühintervention

Die stärkere Einbeziehung der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung nährte die Hoffnung auf Fortschritte bei einer der größten Herausforderungen der Psychiatrie, nämlich der Früherkennung und -intervention, wenn nicht gar der Prävention psychiatrischer Erkrankungen. Insbesondere Erkenntnisse aus der strukturellen Bildgebung, aber auch die Identifikation von Risikogenen und Liquormarkern, z. B. bei der Demenz, gelten hier als vielversprechend. In Bezug auf Voraussage späterer Krankheitssyndrome ist die klinische Forschung bei den demenziellen Erkrankungen sehr weit entwickelt. Wahrscheinlich wird durch die Kombination aus Neuropsychologie, Bildgebung (MRT, FDG-PET, Amyloid-PET) und Liquormarkern in Zukunft eine Prädiktion möglich sein. Biomarker für schizophrene und bipolare Störungen fehlen bislang, sind Thema umfangreicher Forschungsarbeiten.
Da eine verzögerte Behandlung psychotischer Erkrankungen zu schweren Nachteilen für die Patienten in Form einer schlechteren Verlaufsprognose und deutlichen Minderung der sozialen und beruflichen Funktionsfähigkeit führt, müssen derzeit primär klinische Merkmale zur Früherkennung einer Psychose herangezogen werden. Studien verdeutlichen, dass Menschen mit einem „clinical-high-risk“ (CHR) für eine Psychose eine messbare Beeinträchtigung in sozialen Beziehungen, Arbeits- oder schulischen Leistungen und der Erfüllung alltäglicher Aufgaben aufweisen. Als klinische Vulnerabilitätsindikatoren gelten schizophrene Erkrankungen in der Familie, eine schizotypische Persönlichkeitsstörung, Geburtskomplikationen und hirnstrukturelle bzw. -funktionelle Auffälligkeiten. Während der im Schnitt ca. 5 Jahre dauernden Prodromalphase tritt schließlich neben kognitiven Beeinträchtigungen eine zunächst unspezifische oder Negativ- bzw. affektive Symptomatik auf, bis dann ca. 12 Monate vor Manifestation des Vollbildes Positivsymptome hinzukommen.
Um solche Patienten frühzeitig identifizieren zu können, wurden an vielen Standorten in Deutschland mittlerweile Früherkennungs- bzw. Frühbehandlungszentren (vielfach als spezielle Ambulanzen an Universitätskliniken) sowie unter Ägide des Kompetenznetzes Schizophrenie (KNS) das sog. Awareness-Projekt mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung eingerichtet.
In Zukunft wird die Früherkennung, v. a. durch die weltweit langfristig angelegten prospektiven Kohortenstudien, in der Allgemeinbevölkerung profitieren (in Deutschland z. B. nationale Kohorte). Hierbei werden auch bei Gesunden bzw. Nochgesunden über diverse biologische Strategien (z. B. Immunologie, Sensorik, Bildgebung, Kognition, Emotion) pathogenetische Prozesse für spätere psychische Störungen identifizierbar. Damit werden Wege für effizientere, weil kausal angreifende Präventionsmaßnahmen geschaffen. Jüngere kontrollierte Studien lassen auf eine hohe Effektivität einer Kombinationsbehandlung aus niedrig dosierter Antipsychotikagabe nebst einer spezifischen kognitiven Psychotherapie in der initialen Prodromalphase schließen (Übersicht in Klosterkötter 2013).
Darüber hinaus zeigt eine aktuelle kontrollierte, randomisierte Studie unter dem Dach des KNS bei schizophrenen Patienten mit einer Ersterkrankung signifikant bessere Behandlungserfolge durch eine kontinuierliche Antipsychotikabehandlung vs. intermittierende Behandlung sowie signifikant bessere Ergebnisse bei einer Behandlungsdauer von 1 Jahr und mehr gegenüber derjenigen von 6 Monaten einer Vorgängerstudie.

Neue Perspektiven: soziale Umwelt und Gehirn

Die Ursachenforschung hat bei allen psychischen Erkrankungen soziale Einflussfaktoren gesichert – neben den genetischen und anderen biologischen Bedingungskomponenten. Diese sozialen Determinanten verteilen sich über die gesamte Lebensspanne. Sie beginnen mit sozialen Stressoren bei der schwangeren Mutter und setzen sich in frühkindliche sozial aversiven Bedingungen (wie emotionale Vernachlässigung durch Eltern, Traumatisierungen, aversive Beziehungen zu Gleichaltrigen) fort. Globale soziale Bedingungen wie Armut, soziale Exklusion oder „Aufwachsen in Großstädten“ wirken ebenso risikosteigernd für psychische Störungen. Technologische Fortschritte machen zunehmend deutlich, dass sich sozial-emotionale Lebensbedingungen (auf globaler wie auf individuell-familiärer Ebene) v. a. im Zeitfenster von Kindheit und Adoleszenz auf die Hirnentwicklung auswirkt (auf molekularer, zellulärer und systemischer Ebene). Daraus erwachsen spätere Erkrankungsrisiken. Dieses neu entstehende Forschungsfeld sozialer Neurowissenschaften stellt eine Explikation des biopsychosozialen Modells dar. Damit entwickelt sich ein für das Verständnis psychischer Störungen besonders attraktives Forschungsfeld (Tost et al. 2015).

Evidenzbasierte Psychiatrie

Die Entwicklung und Anwendung optimaler Therapien und Präventionsstrategien für psychisch Kranke ist ein zentrales Anliegen der Psychiatrie. Somit gilt heute auch hier die evidenzbasierte Medizin fraglos als allgemeinverbindlicher Standard für Diagnostik und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen. Wie in allen medizinischen Fächern ergeben sich auf der Basis einzelner Studien keine klaren Empfehlungen für die klinische Praxis. Denn die Ergebnisse, auch der nach bestem methodischen Standard durchgeführten Studien, stimmen oft nicht überein (was aufgrund der Abhängigkeit von spezifischen Settings, Patientenpopulationen und der probabilistischen Natur von klinischen Studien auch gar nicht anders zu erwarten ist). Mit der statistischen Methode der Metaanalysen können die beobachteten Therapieeffekte aller verfügbaren und vergleichbaren, randomisierten und kontrollierten klinischen Studien, die einem methodischen Mindeststandard genügen, gewichtet und zusammengefasst werden. Auf dieser Grundlage können summerische Evidenzgrade und Empfehlungen für die Behandlungspraxis abgeleitet werden (Maier und Möller 2007).
Allein in Deutschland liegen inzwischen für mehr als 10 psychische Erkrankungen Manuale (sog. S3-Behandlungsleitlinien der Arbeitsgemeinschaft medizinisch wissenschaftlicher Fachgesellschaften, AWMF) verschiedener Evidenzgrade und Empfehlungen vor.
Als überdenkenswert muss die kritiklose Übernahme von Leitlinien und den zugrunde liegenden Metaanalysen betrachtet werden.
Bedingt durch den hohen Aufwand bei der Durchführung klinischer Studien ist es nachvollziehbar, dass für viele wichtige Fragestellungen nur wenige, häufig qualitativ schlechte Studien vorliegen. Hier können Metaanalysen zu verwirrenden Ergebnissen führen und ein Expertenreview hilfreich sein (z. B. Maier und Möller 2007).

Weiterentwicklung der Klassifikationssysteme

Die Diagnostik psychischer Störungen ist durch das Fehlen pathogenetisch bzw. ursächlich informativer Biomarker oder Indikatoren erschwert (Ausnahme: sog. neurokognitive Störungen wie Alzheimer-Krankheit). Dieser Mangel bedingt eine Orientierung der Diagnostiksysteme an subjektiven, vom Patienten berichteten Veränderungen des Selbsterlebens und am beobachtbaren äußeren Verhalten. Diagnosen psychischer Störungen stellen also eher Beschreibungen von Beschwerden und Beeinträchtigungen dar, die sich als klinisch nützlich erwiesen haben. Natürliche Krankheitskategorien ergeben sich daraus nicht; stattdessen müssen hierzu ersatzweise Konventionen über Schwellenwerte für jede Diagnosekategorie eingeführt werden (was oft nicht ohne eine relative Willkür möglich ist). Die Krankheitskategorien sind in den Diagnosesystemen ICD und DSM niedergelegt. Aufgrund fehlender „Goldstandards“ sind solche beschreibenden Charakterisierungen von Symptommustern häufigen Reformulierungen unterworfen, was sich in den verschiedenen Revisionen von ICD und DSM niederschlägt.
Die Psychiatrie bedient sich in der Diagnostik psychischer Erkrankungen seit Jahrzehnten der Klassifikationssysteme der Weltgesundheitsorganisation (WHO: ICD) und der American Psychiatric Association (APA: DSM). Diese haben sich hinsichtlich einer international einheitlichen Sprache als sehr nützlich erwiesen und damit eine verständliche Kommunikation unter Psychiatern weltweit erleichtert, in ihrer letzten Auflage, ICD-10 bzw. DSM-5, fanden sich aber erhebliche Unterschiede bezüglich der Definition identischer psychiatrischer Erkrankungen, wodurch internationale Forschungsanstrengungen erschwert wurden (First 2009).
Aus diesem Grund streben sowohl die WHO als auch die APA eine Harmonisierung der Klassifikationssysteme in den Neuauflagen dieser Klassifikationssysteme an (ICD-11, geplante Veröffentlichung 2017; DSM-5, Veröffentlichung 2013, deutsche Übersetzung 2015), die mit Hilfe einer von der WHO zusammengesetzten Koordinationsgruppe aus Mitgliedern beider Arbeitsgruppen erreicht werden soll (First 2009). Diese Initiative scheint höchst sinnvoll, da die Revision des DSM-5 von kritischen Stimmen begleitet wurde. So galt die Überarbeitung ohne das Vorliegen biologischer Diagnosekriterien nicht nur als verfrüht (Möller 2015a), der Entwicklungsprozess als intransparent wegen möglicherweise industrieller Einflussnahme, und die Terminologie der Neuauflage als diskussionswürdig (Miller und Holden 2010).
In den letzten Jahren hat sich in der neurobiologischen Erforschung psychischer Störungen ein deutliches Unbehagen an diesen diagnostischen Gewohnheiten eingestellt. Die Vorbehalte gegen die gängige, am psychopathologischen Verlauf basierte Diagnostik setzen an folgenden Überlegungen an:
  • mangelnde diagnostische Spezifität neurobiologischer Befunde,
  • fehlender Bezug auf Biomarker bei Diagnosestellungen,
  • relative Willkür bei diagnostischer Schwellendefinition von kategorialen Diagnosedefinitionen,
  • der Vermutung, dass die gängige Diagnostik die Entwicklung wirksamer Therapien behindert,
  • Probleme in der Entwicklung von diagnosebezogenen Tiermodellen.
Diese Mängel sollen ein vom NIMH (das größte psychiatrische Forschungsinstitut in den USA) für Forschungszwecke vorgeschlagenes Diagnosesystem RDoC (Research Domain Criteria) lösen, das quantitativ, statt kategorial angelegt ist. Das RDoC-System erleichtert zudem die Entwicklung von Tiermodellen für Verhaltensabweichungen, die mit psychischen Störungen verbunden sind; denn die meisten in RDoC abgebildeten Verhaltensdimensionen sind speziesübergreifend darstellbar. Das NIMH verknüpfte dieses Projekt mit einem darauf fußenden Programm zur Entwicklung innovativer Therapiestrategien (Insel 2014). Es besteht die begründete Hoffnung, dass mit diesem forschungsbasierten, alternativen Klassifikationssystem die Translation grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in klinischen Studien erleichtert und beschleunigt wird (Translationsforschung, Abschn. 4.1).

Versorgungsforschung

Medizinisch-wissenschaftliche Fortschritte und ihre Integration in die evidenzbasierten Leitlinien sind nur bedingt in der Lage, die Versorgungsangebote für Patienten zu optimieren. Darum fokussieren sich gezielte Forschungsansätze auf die Bedarfsanalyse und eine ständige Verbesserung der Bedarfsanpassung an die Versorgungsstrukturen, -angebote und -strategien (wie z. B. partizipative Therapieentscheidungen). Ebenso gilt es, neu entwickelte medizinische Kompetenz und Erkenntnisfortschritte unter Berücksichtigung der ökonomischen Konsequenzen in die Praxis zu implementieren (Implementierungsforschung).
In Deutschland ist die Versorgungsforschung erst im Aufbau; das gilt auch für psychische Störungen. Verschiedene Ausschreibungen des BMBF haben geholfen, kompetenzhaltige Strukturen aufzubauen. In der Psychiatrie waren zusätzlich andere Fördermaßnahmen des BMBF unterstützend, z. B. für Kompetenznetze zu spezifischen Krankheiten (Schizophrenie, Depression, Demenz), die erfolgte Ausschreibung der „Forschungsnetze für psychische Erkrankungen“ 2014.
Nachdem die Methoden der klassischen, deskriptiven und analytischen Epidemiologie in der Psychiatrie in den letzten 4 Jahrzehnten hervorragende Erfolge zeitigen konnten: Es konnten Personengruppen mit erhöhtem Risiko und Interventionsbedarf oder mit ungedeckten Versorgungsbedarfen identifiziert werden. Hier hat sich v. a. die sozialpsychiatrische Forschung hinsichtlich der Verbesserung von Versorgungsangeboten und Lebensqualität chronisch Kranker als praktisch unmittelbar bedeutsam erwiesen. So konnten stationäre Krankenhausbetten zugunsten einer komplementären ambulanten Versorgung und mehr Lebensqualität für die Patienten reduziert werden. Unzureichend abgedeckt sind jedoch derzeit noch wichtige Bereiche mit hoher, unmittelbar praktischer Relevanz wie die Pharmakoepidemiologie oder die Präventionsforschung. Als große Chance für die Psychiatrie ist – auch unter politischen Aspekten – neben den universitären und außeruniversitären Einrichtungen die Einbindung einer breiteren Versorgungslandschaft zu betrachten. Allerdings darf hier die zunehmende Entwicklung der Pflegewissenschaften hin zu einer akademischen Disziplin nicht aus den Augen gelassen werden, um zu verhindern, dass der Psychiatrie mangels substanzieller eigener Beiträge die Kompetenz im Bereich der Versorgungsforschung abgesprochen wird.

Finanzierungssysteme in Versorgung und Forschung

Die Ablösung der Kostenerstattung per Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) durch das im März 2009 in Kraft getretene Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) leitete in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Krankenhausbehandlung einen Paradigmenwechsel ein. Ab dem Jahr 2015 entstand eine erweiterte Dokumentationspflicht (OPS-Erweiterung durch das DIMDI, Einstufung aller Patienten nach Psych-PV). Ab 2017 soll ein neues Entgeltsystem als Budgetsystem für stationäre und teilstationäre Leistungen eingeführt werden, das Krankenhaus-individuell unter Berücksichtigung leistungsbezogener struktureller Besonderheiten (z. B. regionale Versorgungsverpflichtung) vereinbart wird. Vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sollen bis 2020 auf Basis der Psych-PV und wissenschaftlicher Behandlungsleitlinien verbindliche Mindestvorgaben für die personelle Ausstattung der Kliniken festgelegt werden.
Psychiatrische Forschung in Deutschland wird wesentlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) getragen. Auch wenn z. B. die DFG vom Einzelverfahren bis hin zu vernetzten Instrumenten eine Reihe von effizienten Fördermaßnahmen vorhält, muss die psychiatrische Forschung in Deutschland effizienter und themenfokussierter werden. So wurde und wird an Universitätskliniken bei der vorhandenen bescheidenen Ausstattung versucht, das gesamte Spektrum psychiatrischer Erkrankungen zu bearbeiten. Zielführender ist eine Fokussierung pro Zentrum auf 1–2 Krankheitsbilder und Techniken. Darüber hinaus sollte aber auch Freiraum bleiben zur Methodenweiterentwicklung, um als Kooperationspartner interessant zu bleiben. Diese Fokussierungsbemühungen sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass aus der Psychiatrie heraus mehr Drittmittelanträge gestellt werden müssen, um die kritische Masse für eine internationale Sichtbarkeit zu erreichen. 2015 wurden beispielsweise von der DFG für die Neurologie 24,6 Mio. € und für die Psychiatrie 12 Mio. € bewilligt (Quellen: DFG, eigene Berechnungen).
Problematisch ist aber, dass beispielsweise in den USA im Rahmen der Förderung des NIH (Tab. 1) erheblich mehr Gelder für Versorgungsforschung oder klinische Studien für die Psychiatrie fließen im Vergleich zur Förderung des BMBF für die gesamte Medizin.
Tab. 1
Vergleich Fördersummen jährlich NIMH-, DFG- und BMBF-Förderungen für Psychiatrie (2015). (Quellen: DFG, eigene Berechnungen; https://www.bmbf.de/foerderungen/; http://www.nimh.nih.gov/funding/funding-strategy-for-research-grants/the-anatomy-of-nimh-funding.shtml)
 
NIMH (National Institute of Mental Health)
BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung)
DFG (Deutsche Forschungsgesellschaft)
Versorgungsforschung
1,43 B$ (1,274 Mrd. €)
Ca. 7,9 Mio. €a
Ca. 12 Mio. €
Klinische Studien
davon ca. 20 %
Ca. 1,1 Mio. €b
davon ca. 100.000 €
aProgramme: Versorgungsforschung
bBei klinischen Studien BMBF/DFG-Programm + Forschungsnetze psychische Erkrankungen

Nachwuchs in der Psychiatrie: Braindrain und Braingain

Wie die gesamte Medizin in Deutschland leiden auch die klinischen Fächer Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, wenn auch in geringerem Maße, an einem „Braindrain“. Eine hohe Zahl von Studienabbrechern als auch die vermehrte Abwanderung junger Mediziner und Nachwuchswissenschaftler in Bereiche außerhalb der Krankenversorgung bzw. ins Ausland führt zu Problemen in der Besetzung ärztlicher Stellen in der Krankenversorgung. Zwar hat die Gesamtzahl der Psychiater in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich zugenommen, gleichwohl ist diese Entwicklung nicht ausreichend, um der gleichzeitig wachsenden Nachfrage nach psychiatrisch-psychotherapeutischen Leistungen zu begegnen und die Reduktion durch die Berentung insbesondere der geburtenstarken Jahrgänge aufzufangen. Die DGPPN hat deshalb jüngst eine Nachswuchsinitiative („Generation PSY“, www.generation-psy.de) gestartet.
Ursächlich werden im internationalen Vergleich v. a. niedrige Gehälter, strenger erlebte Hierarchien und hohe Arbeitsbelastung diskutiert. Auch die letzte Gesundheitsreform mit einhergehendem Kostendruck und steigender Bürokratisierung zu Lasten des Arzt-Patienten-Verhältnisses gilt für den medizinischen Nachwuchs vielfach als unattraktiv. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) fordert, dieser Entwicklung mit interdisziplinären Lösungsansätzen sowie fachspezifischen Förderprogrammen zu begegnen und hat in diesem Sinne selbst erste Maßnahmen zur Nachwuchsförderung mittels eines Mentoringprogramms für die Facharztweiterbildung ins Leben gerufen, sowie zahlreiche Stipendien bzw. Förderpreise für Nachwuchswissenschaftler vergeben. Auch erfordert die gegenüber der Medizin generell vergleichsweise hohe Zahl weiblicher Studienabsolventen spezielle Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für weitere fachübergreifende Maßnahmen steht die DGPPN derzeit in engem Austausch mit den verschiedenen relevanten Akteuren (Schneider 2010a, b; Voderholzer et al. 2012).

Entwicklungsperspektiven – Quo vadis, psychiatria? (Laux, Falkai, Maier, Fritze)

40 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete, historisch eine der erfolgreichsten und tiefgreifendsten Medizinreformen hat die Psychiatrie eine positive Entwicklung erfahren wie kein anderes Gebiet der Medizin. Das nach der Chirurgie und inneren Medizin drittgrößte bettenführende Fach ist gesellschaftspolitisch aus dem Schatten getreten, ist aktuell gesundheitsökonomisch sogar ins Zentrum gerückt. Wachsende Ausgaben für psychische Störungen lassen Gesundheitspolitiker und Kostenträger gerade im Bereich der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung neue Finanzierungssysteme zur Effizienzsteigerung überprüfen. Das fraktionierte System mit Fehlsteuerung von Patientenströmen soll u. a. durch Regionalbudgets, Rabatt-/Selektivverträge, Budgetierung, Managed-Care-Organisationen effizienzoptimiert werden (Roick und König 2005; Roick et al. 2005; Weatherly und Lägel 2009). Im Rahmen des gesundheitspolitischen Diskussionsprozesses erwähnens- und beachtenswert ist die Einstellung der Bevölkerung zu psychischen Erkrankungen: Eine repräsentative Befragung ergab, dass im Vergleich zu anderen Krankheiten die deutsche Bevölkerung nicht bereit ist, erhebliche finanzielle Ressourcen für die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erbringen (Matschinger und Angermeyer 2004).
In Deutschland waren die letzten Jahre von vielfältigen Initiativen des Gesetzgebers mit unmittelbarer Relevanz für die Versorgung psychisch Kranker geprägt, insbesondere Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, integrierte Versorgung, Disease-Management (DMP), zuletzt Auftrag zur Entwicklung eines neuen Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen (Übersicht: Fritze 2009; Godemann et al. 2013).

Zukunft der ambulanten Versorgung

Im Zentrum der Strukturveränderungen steht die ambulante Versorgung: ihr soll einerseits künftig ein wesentlich höherer Stellenwert zukommen, andererseits sorgen hier Richtgrößen, Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Budgetierung für ein Spannungsfeld zwischen niedergelassenen Ärzten, medizinischen Versorgungszentren, psychiatrischen Institutsambulanzen sowie nichtärztlichen „Leistungserbringern“. Wie oben skizziert ist einerseits die Zahl der niedergelassenen Psychiater und Psychotherapeuten erheblich angestiegen, andererseits findet sich eine höchst unterschiedliche regionale Versorgungsdichte und eine Verschiebung der Versorgung in Richtung Psychotherapie u. a. aufgrund einseitiger Honorarverteilungsmechanismen, Regelleistungsvolumina und Regressdrohungen. In wenigen Jahren ist infolge Nachwuchsmangel mit einem „Praxissterben“ zu rechnen. Die Strukturen psychiatrischer Praxen werden zunehmend heterogen (Spezialisierungen, Schwerpunktpraxen, Konsiliarpraxen), an die Stelle von Einzelpraxen treten Gemeinschaftspraxen oder medizinische Versorgungszentren; Selektivverträge und Verträge zur integrierten Versorgung werden die Tätigkeitsspektren zunehmend determinieren. Unterfinanzierung führt schon jetzt dazu, dass die Konsiliartätigkeit z. B. in Heimen ebenso eingeschränkt wird wie die aufwendige Behandlung von Demenz-, Abhängigkeits- und Psychosekranken. 10 Jahre nach der Etablierung des fast gleichberechtigten Berufsstandes der Psychologischen Psychotherapeuten ist es zu „Verteilungskämpfen“ und zur oben dargestellten Versorgungsverschiebung gekommen. Jüngst hat der G-BA eine Strukturreform der ambulanten Psychotherapie beschlossen, die zur zeitnahen Abklärung die (freiwillige!) Einrichtung von Sprechstunden mit anschließender antragsfreier Akutbehandlung vorsieht. Als positiver Entwicklungsaspekt sei die geschaffene Möglichkeit der Teilzulassung erwähnt – hierdurch wird ermöglicht, teilzeitig als selbständiger Vertragsarzt und auch als angestellter Krankenhausarzt tätig zu sein. Aktuelle Statistiken belegen, dass die Zahl der angestellten Vertragsärzte steigt. Das Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG) sieht die Einrichtung von Portalpraxen an Krankenhäusern vor – dies wird von Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) kritisiert.

Zukunft der stationären Versorgung

Die stationäre Versorgung hat seit der Psychiatrie-Enquete bahnbrechende Veränderungen erfahren (Kap. Sozialpsychiatrische Aspekte psychischer Erkrankungen; Becker et al. 2008). Die ideologieträchtige Kontroverse zwischen „abseits platzierten Großkrankenhäusern/Anstalten“ vs. „gemeindenahen psychiatrischen-psychotherapeutischen Abteilungen/Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern“ ist an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Beine et al. 2008; Laux 2003; Eikelmann und Harter 2006; Kap. Sozialpsychiatrische Aspekte psychischer Erkrankungen). Konsequenzen und Erfahrungen mit der Regionalisierung z. B. in Form von „Satellitenstationen“ wurden u. a. von Gebhardt und Schmidt-Michel (2002), Silberbauer und Rittmannsberger (2002) und Eichberger (2001) beschrieben. Die z. T. ideologische Kontroverse sollte inzwischen einer sachgerechten Lösung gewichen sein – beide Versorgungsformen sind sinnvoll und notwendig, die Grenzen zwischen beiden sind fließend, die Unterschiede hinsichtlich Größe, Patientenstruktur und Verweildauer haben sich in vielen Fällen verwischt. Berufspolitisch existieren aber noch zwei getrennte Organisationen – die Konferenz der leitenden Ärzte von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie (sog. Bundesdirektorenkonferenz, BDK) und der Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa). Die Integration der Psychiatrie in „normale“ somatische Krankenhäuser ist im Sinne der psychosomatischen Versorgung absolut zu begrüßen. Im Sinne des Sondervotums zum Enquete-Schlussbericht von Häfner ist allerdings für künftige Planungen erneut zu überlegen, ob analog zum sonstigen Krankenhauswesen anstelle der einstufigen eine „kompetenzgestufte“ Versorgung auch für psychiatrische Krankenhäuser, also eine Gliederung nach Grund-/Regelversorgung und Schwerpunktversorgung im Sinne der Funktionsteilung, Spezialisierung und höheren Behandlungsstandards sinnvoll ist. Fachkrankenhäuser als (verkleinerte, kompakte) Zentralkliniken haben analog zur somatischen Medizin inzwischen spezialisierte Fachbereiche/Abteilungen und Spezialstationen mit differenzierten Settings aufgebaut. Geklärt dürfte inzwischen sein, dass psychiatrische Abteilungen eine Mindestgröße von 100 Betten aufweisen müssen, um v. a. personell eine adäquate fachliche Versorgung und eine innere Differenzierung angesichts heutiger spezialisierter Diagnose- und Therapiestandards vornehmen zu können (Wolfersdorf 1999).
Die problematische Finanzierung weiterer psychiatrischer Betten wird noch übertroffen durch die erwähnte Etablierung psychosomatischer Akutbetten im Sinne der 2-Klassen-Versorgung. Tatsächlich wurden inzwischen in fast allen psychiatrischen Landes-/Bezirkskrankenhäusern ausreichende Kapazitäten für Psychotherapie/Psychosomatik in Form von Spezialstationen geschaffen (Wolfersdorf und Küthmann 2008). Eine Befragung psychiatrischer Versorgungskliniken ergab, dass heute psychotherapeutische Behandlungsangebote (Entspannungsverfahren, Psychoedukation, Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie, Krisenintervention, soziales Kompetenztraining) in den meisten psychiatrischen Kliniken zum Standard gehören (Laux et al. 2015). Der Finanzierungsumweg über psychosomatische Betten sollte durch die ausreichende Finanzierung eines Konsiliar-/Liaisondienstes abgelöst werden. Dieser ist die Stätte der „psychosomatischen Psychiatrie“ im besten Sinne.
Ein weiteres wichtiges Entwicklungsfeld ist die klinische Tätigkeitsdefinition und -abgrenzung des Psychiaters von der (in Zeiten des Ärztemangels) wachsenden Zahl von Psychologen, aber auch von der sich differenzierenden psychiatrischen Fachpflege (Raueiser und Becker 2010). Ärztemangel und Pflegemanagementqualifikation führen auf dem Hintergrund des neuen Entgeltsystems zu neuen Konzepten wie das pflegegestützte Case-Management. Der Case-Manager soll „als Dirigent im Orchester der Akteure“ durch den Behandlungsprozess führen, für den Patienten wie in den USA und auch in Großbritannien neue Orientierungsperson und kompetenter Begleiter sein mit dem Schwerpunkt auf der berufsübergreifenden Gesamtverantwortung für die Fallführung (Schnieders und Pilz 2015).
Das neu verabschiedete Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG) sieht u. a. vor, dass Krankenhäuser, die sehr gute Qualität erbringen, künftig Zuschläge erhalten. Hierfür soll das neu geschaffene Institut zur Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) Bewertungskriterien festlegen. Die jüngst verabschiedeten Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Psych-Entgeltsystems sehen u. a. eine Stärkung der sektorenübergreifenden Versorgung durch Einführung einer komplexen psychiatrischen Akutbehandlung im häuslichen Umfeld (Hometreatment, „Krankenhausbehandlung ohne Bett“) vor. Dies impliziert eine entsprechende Bettenreduktion.
Internationale Perspektiven klinischer Versorgungsmodelle finden sich bei Marks (2009); Becker et al. (2008) und Lang et al. (2015).

Teilstationäre Versorgung

In der teilstationären Versorgung dürfte die Zahl der Tageskliniken weiter zunehmen, auch hier hat eine Binnendifferenzierung mit Spezialangeboten stattgefunden und das Behandlungsspektrum sich in Richtung Akutversorgung verändert (Kap. Versorgung in der Psychiatrie).

Komplementäre, gemeindepsychiatrische Versorgung

Die umfängliche Enthospitalisierung chronisch psychisch Kranker in gemeindepsychiatrische Einrichtungen ist wie von der Psychiatrie-Enquete gefordert abgeschlossen, mancherorts kam es aber zu einer „Umhospitalisierung“ mit Entstehen großer Heimstrukturen und langen dortigen Verweildauern. Das fraktionierte sozialpsychiatrische Hilfesystem mit begrenzter Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, selbstlimitiertem funktionalen Selbstverständnis („Komm-Struktur“) muss mangels Koordination als wenig effizient bezeichnet werden (Bastiaan 2001; Semmler 1999). Perspektivisch sollte eine formale Versorgungsverpflichtung definiert werden, die Federführung der Koordination dieser Verbünde sollte in einer fachärztlich geleiteten Koordinierungsstelle z. B. an den Institutsambulanzen der psychiatrischen Kliniken oder an Gesundheitsämtern eingerichtet werden. Vorgelegt wurde ein funktionales Basismodell der gemeindepsychiatrischen Versorgung schwer psychisch Kranker, das die vielfältigen existierenden Versorgungslandschaften berücksichtigt und die „Fallsteuerungs“-Optionen im intersektoralen Kontext beschreibt (Kap. Versorgung in der Psychiatrie).

Integriert-vernetzte Versorgung

Perspektivisch wird es zu neuen Anläufen für integrierte Versorgung gemäß § 140a ff SGB V kommen, möglicherweise in Verbindung mit Disease-Management-Programmen. Eine Aufgabe wird es sein, die Kosteneffektivität integrierter Versorgungsmodelle in Verbindung mit der Implementierung von Qualitätsstandards adäquat zu evaluieren. Der Aufbau effektiver vernetzter Versorgungsstrukturen muss das vorrangige Ziel der Sozialpsychiatrie sein, Beispiele für Netzwerkmodelle sind in Abb. 13a, b dargestellt. Innovative Ansätze werden zusammenfassend von Lang et al. (2015) vorgestellt. Ein aktuelles Forschungsprojekt des AQUA-Institutes konnte zeigen, dass in gemeindepsychiatrischen Netzen versorgte Patienten weniger Krankenhaustage und eine höhere Lebensqualität wiesen. Die vernetzte Versorgung rentierte sich aber im Vergleich zur Regelversorgung nicht.

Versorgungsbedürfnisse

Neue Herausforderungen für die Versorgung und ihre Finanzierung werden die wachsende Zahl multimorbider Alterspatienten, die sog. Heavy Users, die Flüchtlinge aus anderen Kulturen, das Wachstum forensisch-psychiatrischer Bereiche sowie die Zunahme psychosomatischer Störungen sein (Baca-Garcia et al. 2008; Marks 2009; Kap. Epidemiologie psychischer Störungen, Soziologische und sozialpsychologische Aspekte psychischer Erkrankungen und Transkulturelle Aspekte psychischer Erkrankungen). Mit letzten ist der Problemkreis „Krankheitsbegriff und Anspruch an medizinische Leistungen“ (Helmchen 2003) verknüpft. Der Anspruch der Bevölkerung auf Hilfe nicht nur bei Krankheit, sondern auch bei mannigfaltigen Lebensproblemen ist enorm gewachsen („Versorgungsmentalität“), was eine Inflation von nichtprofessionellen Angeboten („Psycho-Boom“) zur Folge hatte und die Frage nach der Grenze zwischen alltäglichem Leid und behandlungsbedürftiger Krankheit aufwirft (Häfner 2002; Remschmidt 2013).
Die Unschärfe des Gesundheits-/Krankheitsbegriffs gerade im psychosomatischen Feld wird in den letzten Jahren am Phänomen des „Disease Mongering“ deutlich – das Erfinden und Verkaufen von Krankheiten im Sinne einer Pathologisierung von nur grenzwertig krankhaften Symptomen (Franke 2010; Moynihan et al. 2002; Frances 2013). Die Erweiterung der psychosomatisch-psychiatrischen Diagnosepalette (z. B. soziale Phobie, Chronic-Fatigue-Syndrom, Mobbing, Burn-out-Syndrom, ADHS bei Erwachsenen, Colon irritabile, prämenstruelle dysphorische Störung, pathologisches Horten) birgt die Gefahr unrealistischer Behandlungsbedürftigkeiten („Lifestyle-Pharmako-Mentalität“) aber auch des Verlustes der Glaubwürdigkeit psychiatrischer Diagnosen. Neben der Gefahr übersteigerter Ansprüche auf psychotherapeutische Hilfeleistungen hat sich als „Modetrend“ der Wunsch nach medikamentöser psychischer Leistungssteigerung („Neuroenhancement“) entwickelt.
Mit der Einführung von DSM-5 wurde in der Öffentlichkeit verstärkt die Frage diskutiert, wie psychische Krankheit zu definieren ist, was im Januar 2015 auch seinen Niederschlag in einem Schwerpunktheft des Der Nervenarzt fand. Hier wurde der Beitrag der Neurowissenschaften zum psychiatrischen Krankheitsbegriff vor dem Hintergrund der biologischen Psychiatrie und der Philosophie des Geistes, d. h. die Frage was mentale (geistige, psychische) Prozesse eigentlich sind, skizziert (Walter und Müller 2015). Da eine Diagnose keine Aussage über die Schwere der vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigung, ihre Folgen und ihre Therapie erlaubt, ist die Erhebung des funktionalen Gesundheitsstatus (Funktionsstörungen, Fähigkeitsbeeinträchtigungen, Teilhabeeinschränkungen) entscheidend. Der Krankheitsstatus kann mit der ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) operationalisiert werden, für psychische Störungen wurde das Mini-ICF-APP (Mini-ICF-Rating für psychische Störungen) entwickelt (Linden 2015). Eine Krankheitsdefinition im Bereich der Psychiatrie als medizinisches Fach sollte den allgemeinen Kriterien eines Krankheitsbegriffes genügen, wonach eine Erkrankung dann vorliegt, wenn eine für das Leben und Überleben des Individuums relevante Störung einer Organfunktion („Störung wesentlicher Funktionen“; Schramme 2015) vorliegt („Disease“). Eine Person sollte jedoch nur dann als krank gelten, wenn sich aus dieser Organfunktionsstörung ein Schaden ergibt nämlich das individuelle Leiden an der Störung der Funktionsfähigkeit („Kranksein“ bzw. „Illness“) oder die Beeinträchtigung der für die soziale Teilhabe relevanten alltäglichen Fähigkeiten („Sickness“; Heinz 2015). Diesen engen Krankheitsbegriff im Gegensatz zum Begriff der Störung (Leidenszustände ohne Beeinträchtigung lebenswichtiger Funktionsfähigkeiten) hat Heinz (2014) mit Bezug auf Ansätze der philosophischen Anthropologie und der traditionellen Psychopathologie differenziert dargestellt. Das Buch gibt wichtige Impulse für weitere Diskussionen.

Zukunft des Fachgebietes

Das ideologieanfällige Fach Psychiatrie ist auf dem Hintergrund der „Dekade des menschlichen Gehirns“, den bis zur „Neuropsychotherapie“ reichenden Erkenntnissen der Neurobiologie, Neurophilosophie und Neuroethik auf dem Weg zum integrativen biopsychosozialen Fachgebiet. Richtungskämpfe zwischen sog. biologischer Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Psychoanalyse und Verhaltenstherapie können als überwunden gelten (Walter et al. 2009; Kap. Geschichte der Psychiatrie und Ätiopathogenetische Konzepte und Krankheitsmodelle in der Psychiatrie). Wie sehen nun Visionen zur Zukunft des Psychiaterberufes aus? Kisker prognostizierte 1973, dass man mit dem „Allroundpsychiater“ nicht mehr auskommen werde und 3 unterscheidbare Spezialisten zu bedienen habe: den Allgemeinpsychiater, den Psychosomatiker und den Sozialpsychiater. Die Konvergenz zwischen neurobiologischen und psychosozialen Sichtweisen werde zu Kompetenz- und Identitätsproblemen führen. Für Payk (2000) ist die künftige Psychiatrie gekennzeichnet durch eine fachübergreifende Integration von Erkenntnissen aus Pharmakologie, Neurophysiologie, Gentechnologie, Informatik, Psychologie, Anthropologie und Philosophie. Für ihn kommt dem künftigen Psychiater „die Rolle des steuernden Dirigenten“ zu, er wäre somit ein „Ganzheitsmediziner“, Arzt im Sinne der „Psychosomatik“. Priebe (2013) sieht die Zukunft der akademischen Psychiatrie im sozialen Feld, für Wieland als Arzt und Philosoph wird das Fach Psychiatrie dadurch zur medizinischen Disziplin, dass es ein Modell ärztlichen Denkens und Handelns zugrunde legt. Jäger et al. (2016) kommentierten diese Überlegungen dahingehend, dass die Individualität des einzelnen Patienten und die Grenzen des Faches als medizinische Disziplin zu beachten seien.
Spitzer (2000) karikierte in seinem Rückblick aus dem Jahre 2020, dass die Psychiatrie zwischen Neurologie, psychologischer Psychotherapie und Sozialarbeit zerrieben werde und eigentlich nur der „Facharzt für chronische Schizophrenie“ übrigbleibe (zu ergänzen wären sicherlich die Bereiche Forensik und Abhängigkeiten)! Tatsächlich hat nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes eine Übernahme fachärztlicher Leistungen durch Psychologen stattgefunden.
Wie könnte die professionelle Identität des Psychiaters aussehen? Nicht nur in der Grundlagenforschung tätige Psychiater bezeichnen sich immer mehr als „klinische Neurowissenschaftler“, auch in den USA werden Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie angesichts der fortschreitenden wissenschaftlichen Kenntnisse z. T. wieder viel näher zusammengerückt, die Attraktivität des neuropsychiatrisch-psychosomatischen Fachgebiets in integrativen Ansätzen gesehen (Cowan und Kandel 2001; Martin 2002). Die klinische Neuropsychiatrie sei zu definieren als „the application of neuroscientific principles to psychiatric practice thereby claiming all of psychiatry“ (Sachdev 2002, S. 626). Es handle sich um eine „Hybriddisziplin“ von neurologischen Erkrankungen mit psychiatrischen Manifestationen. Das Alleinstellungsmerkmal der Psychiatrie sei das sich Befassen mit der subjektiven Welt des Patienten und die Vermittlung zwischen „mind and brain“ (Yudofsky und Hales 2002, Abb. 14). Von Oudenhove und Cuypers (2010) diskutieren auf dem Hintergrund des philosophischen „mind-body problems“ völlig unterschiedliche Identitäts-Konzepte für die Psychiatrie.
2012 beschrieb Insel, ehem. Direktor des NIMH, die Zukunft der Psychiatrie als „Clinical Neuroscience“ im Sinne der Behandlung von Erkrankungen des Gehirns. Dies wurde jüngst von Ross et al. mit der Forderung aufgegriffen, die Erkenntnisse der Neuroscience in die psychiatrische Weiterbildung zu implementieren (Insel 2012; Ross et al. 2015). Maj (2014) sieht „Social Neuroscience“ als die ideale wissenschaftliche Basis für die Psychiatrie.
Analog zu den großen Fächern Chirurgie und innere Medizin hat die Diskussion um die Facharztstruktur auch in der Psychiatrie erneut die Frage nach Integration des wachsenden Wissens in ein homogenes Gebilde oder einen Basisfacharzt mit einer Subspezialisierung aufgeworfen („Common-Trunk-Modell“). Schon jetzt sehen die Weiterbildungsordnungen den Schwerpunkt forensische Psychiatrie sowie die Zusatzweiterbildung Geriatrie, Schlafmedizin, Sozialmedizin, spezielle Schmerztherapie und suchtmedizinische Grundversorgung vor. Zu Debatte stehen jetzt die Gerontopsychiatrie, Suchtpsychiatrie und die Konsiliarpsychiatrie.
Es ist in diesem Kontext hilfreich, wenn man das biopsychosoziale Modell als Grundlage für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie nimmt. Ein Facharzt, der darauf aufbaut, sollte logischerweise ein neurobiologisches Grundverständnis für die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen haben, was gleichrangig durch die Kenntnis zu sozialen Risikokonstellationen und dem individuellen psychologischen Bedingungsgefüge des Patienten ergänzt werden muss. Der Psychiater ist im Kern der Verhaltensmediziner für psychische Erkrankungen. Er muss gesundes Verhalten kennen und in der Lage sein, davon abweichendes Verhalten zu erkennen, um hierauf bei Krankheitswert eine Diagnose aufzubauen. Mit geeigneten psychotherapeutischen und pharmakologischen Methoden wird er dann das veränderte Verhalten modifizieren bzw. den Betroffenen anleiten, einen Weg aus der Verhaltensstörung zu finden. Psychiater sollten alle relevanten psychischen Erkrankungen kennen und darüber hinaus Spezialwissen für ein Teilgebiet z. B. Gerontopsychiatrie oder eine Erkrankungsgruppe z. B. affektive Störungen haben. Ein Psychiater muss die diagnostischen Möglichkeiten des Faches von der Erhebung eines suffizienten psychopathologischen Befundes bis zur Interpretation eines Liquorbefundes für die Demenzdiagnose kennen. Er muss psychotherapeutische Verfahren kennen und selber durchführen können. Selbstverständlich sollte eine profunde Kenntnis der Psychopharmakologie sein. Solche Fachärzte werden psychisch kranke Menschen medizinisch evidenzbasiert und individuell im Sinne der psychologischen Anthropologie versorgen.
Derzeit wird ein Gesetzentwurf zur Reform der psychotherapeutischen Ausbildung erarbeitet. Diese Ausbildungsreform sieht ein 11-semestriges Hochschulstudium der Psychotherapie auf Masterniveau anstelle der bisherigen postgradualen Ausbildung mit Staatsexamensabschluss und Approbation und anschließender 5-jährigen Weiterbildung zum Fachpsychotherapeuten vor. Angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der Psychologen würde dies die (fach-)ärztliche Psychotherapie in den Hintergrund rücken und die derzeitige berufliche Priorisierung der Psychotherapie für den Psychiater relativieren.
Jüngst hat Freyberger (2015) basierend auf der gegenwärtigen Diskussion um die präferenzielle Rolle der Psychotherapie in der Psychiatrie Vorschläge zur (modularen) Psychotherapie in der Psychiatrie gemacht. Er sieht u. a. erheblichen klinischen und wissenschaftlichen Nachholbedarf in den Bereichen Alters- und Transitionspsychotherapie, der Kombinationsbehandlung Psychotherapie und Psychopharmakotherapie sowie bezüglich Fragen der Chronifizierung und Therapieresistenz. Weitere Zukunftsaufgaben betreffen das Thema Migration und Psychotherapie.
Unzweifelhaft muss das fachliche Profil der Psychiatrie als praktische Heilkunde und klinische Neurowissenschaft weiterentwickelt werden – eine andere Perspektive ist die Entwicklung eines „Gehirn und Seele, Körper und Geist“-integrierenden Generalisten, der im Rahmen einer evidenzbasierten, empirisch-wissenschaftlich fundierten Medizin neurobiologisch-psychopharmakologische Untersuchungs- und Therapieverfahren pragmatisch mit system- und schulenübergreifender, manualorientierter evidenzbasierter Psychotherapie kombiniert. Trotz getrennter bzw. interdisziplinärer Wege in Lehre und Forschung würde sich so der Psychiater in der Versorgung als klinischer Neuropsychiater im Sinne des „alten Nervenarztes“ definieren.
Welche Prinzipien sollten die Arbeit des Psychiaters/Psychotherapeuten prägen?
  • Psychisch erkrankte Menschen können ihr Kranksein meist nicht in ein Körperorgan lokalisieren; sie fühlen sich umfassend krank (meist auch mit einem starken körperlichen Krankheitsgefühl – selbst wenn keine körperliche Krankheit vorliegt). Die Zukunftsprojektionen sind eingeschränkt. Eine umfassende, ganzheitliche Behandlung ist darum für psychisch Kranke erforderlich.
  • Psychische Krankheit ist meist geprägt von einem veränderten Selbsterleben. In dieser inneren Not möchten Patienten von ihren Ärzten angesprochen werden. Die Subjektivität und Lebensgeschichte des Patienten ist ein nicht vernachlässigbares Medium und Ziel für ärztliches Handeln. Hierfür ist als persönliche Eignung die Empathie des Arztes erforderlich. Biographie-orientierte und hermeneutische Arbeitsrichtungen haben daher eine Berechtigung im Fach.
  • Der Psychiater/Psychosomatiker wird in Zukunft angesichts der sich abzeichnenden Möglichkeiten prädiktiver Diagnostik bzw. Frühintervention, sich auch in der Prävention engagieren müssen – obwohl diese heute noch nicht in die Kostenerstattung der Krankenkassen fällt.
  • Die Subjektivität des Patienten ist nur über vertrauensvolle Kommunikation erreichbar. Kommunikative Kompetenzen haben zwar in der gesamten klinischen Medizin einen hohen Stellenwert, sind bei psychischen Störungen allein deshalb schwieriger einzubringen, da diese Erkrankungen häufig mit Störungen im Aufbau und in der Aufrechterhaltung von Beziehungen generell und zum Therapeuten im Besonderen einhergehen.
    Psychische Krankheit neigt oft zu Chronifizierungen und längerfristigen einschränkenden Restsymptomen. Die Teilhabe und Recovery bei längerfristig beeinträchtigten Patienten muss neben der Herstellung und Symptomfreiheit ein Hauptziel des Psychiaters/Psychotherapeuten sein. Wichtige Behandlungsziele sind die Wiederintegration in das soziale Umfeld und in die Arbeitswelt durch gezielte psychosoziale Hilfsangebote.
  • Somatische Erkrankungen und psychische Störungen stehen in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Eine kollegiale gemeinsame Diagnostik und Therapie zwischen den beiden Behandlungssettings ist unerlässlich, denn Lebensqualität und die Vermeidung von Todesfolgen für den Patienten sind oberstes Ziel medizinischen Handeln. Dieses Handlungsfeld setzt für den Psychiater umfassende medizinische Kompetenz voraus, ebenso wie sichere pharmakologische Kompetenzen angesichts gängiger Polypharmazie.
  • Diese neurowissenschaftliche Betrachtung ermöglicht heute nicht nur das Verständnis für die Wirkung von Psychopharmaka. Gleichermaßen wirken die durch Psychotherapie „von außen“ angestoßenen Aktivierungen im Gehirn gleichsinnig mit der Pharmakotherapie in denselben Hirnregionen (übrigens wie die EKT). Die Therapie der Zukunft verspricht daher einen Synergismus verschiedener Interventionsmodalitäten an krankheitssteuernden Hirnarealen. Integrativen Therapien wird die Zukunft gehören. Sie erfordern vom Psychiater neurowissenschaftliche Kompetenz, die psychopathologische Phänomene, Diagnostik- und Therapiestrategien neurobiologisch erklären kann.
  • Psychiatrie ist in besonderem Maße aufgerufen, die Selbstbestimmung, Autonomie und Selbstständigkeit ihrer Patienten zu schützen. Alterserkrankungen und Akuterkrankungen bei Jugendlichen und Erwachsenen schränken die Handlungs- und Einsichtsfähigkeit ein, blockieren die Verhaltenskontrolle, führen zum umfassenden Verlust von kognitiven Fähigkeiten. Es ist eine dauernde Aufgabe der Psychiatrie, restriktive Maßnahmen (die letztlich in der Regel juristisch entschuldigte Menschenrechtsverletzungen darstellen) möglichst zu vermeiden, durch geeignete Hilfsmaßnahmen zu ersetzen und die freie Entscheidungsfähigkeit möglichst weitgehend zu ermöglichen. Hierzu sind Mitgefühl und humanitäre Einstellungen nötig.
  • Die Durchführung genannter Aufgaben geht nur mit enger Vernetzung mit grundlagennahen und klinischen Fächern und Disziplinen (Hirnforschung, Subjektivitätstheorien, Verhaltensmedizin, Bildgebung, Bioanalytik/-marker, soziale Unterstützungssysteme, Psychologie, Ethik, Fächer der somatischen Medizin).
    Das Fach arbeitet in Prävention, in ambulanter und stationärer Krankenversorgung, in der Rehabilitation und im komplementären Versorgungssystem – und zwar möglichst mit patientengerechten flexiblen Sektorgrenzen. Psychiatrie/Psychotherapie ist daher eine Vernetzungsaufgabe, mehr als andere klinische Fächer in der Medizin und über die Grenzen der Medizin hinaus.
  • Zur Neurologie wird sich eine breitere Schnittfläche und Überlappung entwickeln: aufgrund des gemeinsamen Organs des Gehirns und der im Zug der Alterung der Gesellschaft wachsenden Zahl neuropsychiatrischer Patienten (z. B. Demenzen), die von beiden Berufsgruppen behandelt werden.
  • Diese Breite des Wissens- und Handlungsfeldes und die Vernetzung mit anderen Disziplinen erfordert Differenzierung. Es braucht ein gestuftes System, es braucht Generalisten und Spezialisten; Spezialisierungen müssen sich nach den wachsenden Bedürfnissen der Patienten und der Versorgungspraxis auch wandeln können – aber immer nur im Rahmen einer ganzheitlichen Orientierung, die nach evidenzbasierten Leitlinien stets alle Therapieoptionen individualisiert auswählen kann.
  • E-Health und in diesem Zusammenhang die Internet-Psychotherapie erlauben in Zukunft, die Verfügbarkeit von Wissen breiter zur Anwendung zu bringen. Gedacht ist hier z. B. die Verfügbarkeit für Patientengruppen die eine ambulante Kurzpsychotherapie zur Bewältigung einer Krise brauchen und diese im Rahmen von E-Health auf Facharztniveau erhalten können. Andererseits ist ein großer Bedarf für eine ambulante Psychotherapie im Anschluss an eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung gegeben, die häufig die Fortführung der Psychotherapie erforderlich macht. Bei sich reduzierender Liegezeit verringert sich in der Regel nicht die Zeit bis zur Remission, die dann teilstationär bzw. ambulant erzielt werden muss.
Die moderne Psychiatrie befindet sich im Rahmen aktueller gesundheitspolitischer Weichenstellungen in einem gravierenden, durch Medizin-Controlling supervidierten Transformationsprozess. Maio (2015) hat zurecht auf die psychiatrische Berufsethik hingewiesen, für eine „Medizin der Zuwendung“ plädiert und vor einer entindividualisierten, überformalisierten, rein positivistisch-algorithmus-gesteuerten „Produktionslogik“ gewarnt.
Abschließend sei die Frage nach der Grenze der Leistungsfähigkeit des Psychiatriesystems, nach dem Verantwortungsbereich der Disziplin aufgeworfen. Als Disziplin im Grenzbereich zwischen evidenzbasierter Medizin und ideologisch/wirtschaftlich begründeten Ansprüchen (Versorgung des „suffering sick“ oder „worried well“) stellt sich die Frage, ob die Psychiatrie für sämtliche seelische Leiden zuständig werden soll, wo die Grenze zum (esoterischen) Coaching-Sektor zu ziehen ist sowie zur Eigenverantwortung im Zeitgeist der Versorgungsmentalität (Hellweg und Lang 2015). Zurecht wird eine Diskussion darüber gefordert, welches zukünftig die Kernaufgaben von Psychiatern und Nervenärzten sein sollen (Köchert 2015).
Fazit
Gesundheitsökonomische Zwänge, rasante forschungstechnologische Entwicklungen und gravierende gesellschaftspolitische Strukturveränderungen lassen für das Fachgebiet Psychiatrie – PsychotherapiePsychosomatische Medizin herausragende Zukunftsperspektiven erwarten.
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