Angeborene Stoffwechselerkrankungen („inborn errors of metabolism“, IEM) gehören zu den
seltenen Erkrankungen, d. h., die
Prävalenz jeder einzelnen Erkrankung liegt unter 1:2000 Einwohner in Europa. Kumulativ ist allerdings mehr als 1 % der europäischen Bevölkerung von einer IEM betroffen. Die meisten IEM manifestieren sich im Kindesalter, jedoch kennt man inzwischen für viele Erkrankungen spätmanifeste Formen, die erst im Erwachsenenalter symptomatisch werden. Zudem führen verbesserte Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten dazu, dass immer mehr Kinder mit IEM bis ins Erwachsenenalter überleben.
Stoffwechselerkrankungen des Nervensystems (oder neurometabolischen Erkrankungen) liegen genetisch bedingte Anomalien von
Enzymen oder ein Mangel an Kofaktoren zugrunde, in deren Folge es zu einer Störung der Entwicklung oder Funktion des Nervensystems kommt. Die Bandbreite dieser Stoffwechselstörungen ist groß, ebenso wie das daraus resultierende Spektrum der klinischen Syndrome. Zu den klinischen Erscheinungsformen neurometabolischer Störungen gehören Ataxien,
Bewegungsstörungen,
Epilepsien oder periphere Neuropathie, jedoch auch eine neurologische
Regression. Der klinische Verlauf im Erwachsenenalter kann sich erheblich von dem im Kindesalter unterscheiden. Die Kenntnis dieser Erkrankungen als mögliche Differenzialdiagnose ist daher insbesondere in der neurologischen Praxis von entscheidender Bedeutung.
In den letzten 20 Jahren hat sich unser Verständnis der genetischen und metabolischen Grundlagen für viele neurologische Erkrankungen erheblich erweitert. In einigen Fällen sind heute spezifische Behandlungen möglich oder werden gerade entwickelt. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über klassische Vertreter der neurometabolischen Erkrankungen und beschreibt die pathophysiologischen Grundlagen, die klinische Präsentation, das diagnostische Vorgehen sowie die therapeutischen Optionen. Für die vielen weiteren Erkrankungen des Intermediärstoffwechsels, die sekundäre neurologische Symptome verursachen, verweisen wir auf die entsprechende Fachliteratur.
Metabolische Leukodystrophien
Leukodystrophien sind genetisch bedingte, meist progrediente Erkrankungen des Myelins
im Zentralnervensystem. Es handelt sich um eine heterogene Gruppe mit unterschiedlicher Pathogenese, klinischem Verlauf und diagnostischen Biomarkern. Obwohl sie häufig bereits im Kindesalter beginnen, sind für alle Erkrankungen auch spätmanifeste Verlaufsformen bekannt, bei denen erste Symptome im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter auftreten. Es liegt eine Leitlinie zu Leukodystrophien vor (s.
AWMF.org).
Metachromatische Leukodystrophien (MLD)
Metachromatische Leukodystrophien (MLD) sind autosomal-rezessiv vererbte degenerative lysosomale Speicherkrankheiten, die durch eine Akkumulation von Sulfatiden im zentralen (ZNS) und peripheren Nervensystem (PNS) bedingt sind. In den meisten Fällen liegen den MLD Varianten im
ARSA-Gen zugrunde, die zu einem Mangel an Arylsulfatase A führen. Deutlich seltener ist eine Defizienz des Sphingolipid-Aktivator-Proteins Saposin B, verursacht durch Varianten im
PASP-Gen. Auch ein multipler Sulfatase-Mangel
, verursacht durch Varianten im
SUMF1-Gen, der eine Beeinträchtigung verschiedener Sulfatasen zur Folge hat, resultiert im klinischen Bild einer MLD, wobei in unterschiedlichem Maße auch Aspekte einer Mukopolysaccharidose dazukommen. Pathophysiologisch führt die Akkumulation von Sulfatiden in den myelinproduzierenden Oligodendrozyten zu einer ausgeprägten Demyelinisierung, vermutlich über eine Aktivierung inflammatorischer
Zytokine, die apoptotische Vorgänge einleiten. Die kumulative Inzidenz der MLD wird mit 1:50.000 bis 1:100.000 angegeben.
Morbus Krabbe (Globoidzell-Leukodystrophie)
Der
Morbus Krabbe ist eine seltene autosomal-rezessive lysosomale Speichererkrankung, verursacht durch Varianten des
GALC-Gens, die zu einer Defizienz der β-Galaktozerebrosidase
führt. Die Inzidenz wird mit 1:100.000 bis 1:250.000 angegeben. Der β-Galaktozerebrosidase-Mangel bewirkt eine Akkumulation von Galaktosylceramid und Psychosin, die die Oligodendrozyten zerstört. Im cMRT zeigt sich eine ausgedehnte Demyelinisierung, die die U-Fasern einschließt. Neuropathologisch finden sich zahlreiche mehrkernige PAS-positive Riesenzellen (Globoidzellen). Die häufigste klassisch-infantile Form zeigt ein stereotypes, rasch progredientes Krankheitsbild, das im Alter von 4–6 Monaten mit Irritabilität, opisthotoner Überstreckung und Krampfanfällen beginnt. Im Verlauf kommen eine Hyperakusis mit Schreckhaftigkeit, Optikusatrophie und bulbäre Störungen hinzu. Betroffene Kinder versterben meist im ersten Lebensjahr. Spätvarianten sind in ihrer Ausprägung variabel. Die juvenile Form manifestiert sich mit Visusverlust, Ataxie und sensomotorischer
Polyneuropathie, während das Leitsymptom bei den seltenen adulten Formen eine spastische Paraparese oder Tetraparese ist. Nur bei einem Teil der Erwachsenen bestehen zusätzlich Symptome der juvenilen Form.
Die Diagnose wird über eine verminderte
Enzymaktivität der β-Galaktozerebrosidase in
Leukozyten gestellt, jedoch finden sich insbesondere bei Spätvarianten manchmal erhebliche Restenzymaktivitäten, sodass bei typischen klinischen Symptomen und cMRT-Befunden unabhängig vom Ergebnis der Enzymatik eine molekulargenetische Diagnostik erfolgen sollte. Die bislang einzige therapeutische Möglichkeit ist die allogene HSCT, die allerdings nur dann erfolgversprechend ist, wenn sie bei präsymptomatischen Patienten erfolgt.
X-chromosomale Adrenoleukodystrophie (X-ALD)
Die
X-chromosomale Adrenoleukodystrophie ist ein X-chromosomal vererbter Defekt des ALDP-Proteins, eines ATP-abhängigen peroxisomalen Membrantransporters, der durch Varianten im
ABCD1-Gen (Xq28) verursacht wird. Die Inzidenz wird auf 1:20.000 geschätzt. Der ALDP-Defekt führt zur Akkumulation überlangkettiger
Fettsäuren (VLCFA) im
Plasma und allen Geweben, die wiederum oxidativen Stress und
Apoptose der Astrozyten und Oligodendrozyten zur Folge hat, was entweder in zerebraler Demyelinisierung oder axonaler Schädigung resultieren kann.
Folgende Verlaufsformen werden unterschieden:
Im cMRT der zerebralen Formen sind die Demyelinisierungen zunächst im Splenium corpus callosi und dann in der parietookzipitalen weißen Substanz nachzuweisen. In den Randbereichen zeigt sich ein typisches Gadolinium-Enhancement in den T1-Sequenzen. Erhöhte Konzentrationen der VLCFA bestätigen die Diagnose, können insbesondere bei Frauen aber auch normal sein, sodass zusätzlich eine molekulargenetische Diagnostik erfolgen sollte. Es gibt keine Korrelation des Genotyps, der Höhe der VLCFA und des Phänotyps. Auch intrafamiliär kann die Erkrankung unterschiedlich verlaufen. Bei allen männlichen X-ALD-Patienten sollte eine Abklärung der NNR-Funktion erfolgen, da 80 % im Krankheitsverlauf eine NNR-Insuffizienz entwickeln. Die derzeit einzig wirksame Therapie bei männlichen Patienten mit zerebraler X-ALD ist die HSCT. Diese hat eine umso bessere Prognose, wenn die MRT-Veränderungen noch gering sind und keine neurologischen Auffälligkeiten bestehen, weil die Erkrankung nach erfolgreicher HSCT noch 6–9 Monate fortschreitet. Erste Ergebnisse von Ex-vivo- und In-vivo-Gentherapien sind vielversprechend, sie werden allerdings noch nicht in der klinischen Routine eingesetzt.
Metabolische Epilepsien
Glukosetransporter-Typ-1-Mangel-Syndrom (Glut1-DS)
Der
Glukosetransporter Typ 1 (Glut1) an der Blut-Hirn-Schranke vermittelt den energieunabhängigen erleichterten Transport von
Glukose, dem wichtigsten Energieträger für das Gehirn. Das Glukosetransporter-Typ-1-Mangel-Syndrom (Glut1-DS) wird durch Varianten im
SLC2A1-Gen hervorgerufen. Die meisten der
SLC2A1-Varianten sind dabei heterozygote Missense-Varianten mit einem autosomal-dominanten Effekt.
Nichtketotische Hyperglycinämie (NKH)
Die
nichtketotische Hyperglycinämie (NKH) ist eine angeborene Störung im Glycinstoffwechsel, die durch einen enzymatischen Defekt im Glycincleavage-System
(GCS) zu einer Akkumulation großer Mengen von Glycin in allen Körpergeweben einschließlich des Gehirns führt. Das Glycincleavage-System besteht aus 4 Einheiten: Genetisch bedingte Defekte der P- und T-Proteinuntereinheit (kodiert durch
GLDC und
AMT) verursachen typischerweise eine NKH. Die H-(
GCSH-kodiert) und L-Proteinuntereinheit sind selten betroffen.
Vitamin-B6-abhängige Epilepsien
Die Vitamin-B
6-(Pyridoxin-) abhängige
Epilepsie ist eine seltene autosomal-rezessive Störung, die klassischerweise mit neonatalen Anfällen einhergeht und auf pharmakologische Dosen von Pyridoxin anspricht. Die berichtete Inzidenz variiert zwischen 1:20.000 und 1:783.000. Pathophysiologisch führt eine Variante im
ALDH7A1-Gen, welches die α-Aminoadipinsemialdehyd-Dehydrogenase (auch bekannt als Antiquitin [ATQ]) kodiert, zu einer Akkumulation von
α-Aminoadipinsemialdehyd (α-AASA) und konsekutiv zu einer chemischen Inaktivierung von Pyridoxalphosphat (PLP).
Genetisch bedingte metabolische Polyneuropathien
Angeborene Stoffwechselerkrankungen sind nur sehr selten Ursache einer
Polyneuropathie. Dennoch ist es wichtig, diese Erkrankungen und ihre charakteristischen weiteren Symptome zu kennen, da es effektive Behandlungsmöglichkeiten gibt, die umso wirkungsvoller sind, je früher sie eingesetzt werden. Eine frühe Diagnosestellung ist daher essenziell und kann das Leben der Patienten entscheidend beeinflussen. Zur Diagnostik bei
Polyneuropathien existiert eine Leitlinie (s.
AWMF.org).
Morbus Refsum (Adulte Refsum-Krankheit, ARD)
Der
Morbus Refsum ist ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt der peroxisomalen Phytanoyl-CoA-Hydroxylase, der durch Varianten des Gens
PHYH/PAXH verursacht wird und mit Akkumulation von
Phytansäure einhergeht. Auch Varianten im
PEX7-Gen, kodierend für den Peroxin-7-Rezeptor, der die Aufnahme von Phytansäure in die Peroxisomen ermöglicht, führen zu Morbus Refsum. Das Manifestationsalter ist variabel, von Beginn in der Kindheit bis zu ersten Symptomen in der 5. Dekade. Der erste Hinweis auf einen Morbus Refsum ist oft eine Retinitis pigmentosa mit zunehmender Beeinträchtigung des Visus, insbesondere im Dunkeln. Fast alle Patienten haben zudem eine Anosmie. Im Verlauf kommen weitere Symptome, wie sensorineurale Hörstörung, Gangataxie,
Polyneuropathie, Fatigue, Ichthyosis, kardiale Arrhythmien und
Kardiomyopathie hinzu. Das cMRT ist häufig normal, jedoch können Signalveränderungen der tiefen weißen Substanz und des Hirnstamms auftreten. Die Polyneuropathie ist sensomotorisch, asymmetrisch und progressiv.
Die Diagnose wird über den Nachweis einer erhöhten Phytansäurekonzentration im
Plasma gestellt und sollte mittels molekulargenetischer Untersuchung bestätigt werden.
Therapeutisch führt eine Phytansäure-reduzierte Diät zur Senkung der Phytansäurekonzentrationen und zu einer Stabilisierung des Krankheitsverlaufs. Bei akuten oder diätrefraktären Verläufen können Plasmaseparationsverfahren wie Plasmapherese oder Lipidapherese hilfreich sein.
Morbus Fabry (Anderson-Fabry-Krankheit)
Dem
Morbus Fabry liegt ein X-chromosomal vererbter Mangel des lysosomalen
Enzyms α-Galaktosidase A zugrunde, verursacht durch Varianten im
GLA-Gen. Dies führt zur Speicherung von Globotriaosyl-Ceramid (Gb3) in verschiedenen Zelltypen, die eine Kaskade zellulärer Störungen auslöst. Die Inzidenz für den klassischen männlichen Phänotyp wird mit 1:30.000 bis 1:80.000 angegeben. Aus Pilotprojekten zum Neugeborenen-Screening ergeben sich allerdings deutlich höhere Fallzahlen für männliche Neugeborene mit 1:4600 bis 1:13.000, wobei die Mehrzahl dieser Patienten genetische Varianten aufweist, die mit einem attenuierten Phänotyp einhergehen.
Akute hepatische Porphyrien
Die akuten
Porphyrien umfassen 4 Defekte der Hämbiosynthese: die
akute intermittierende Porphyrie, verursacht durch Varianten im
HMBS-Gen, die
hereditäre Koproporphyrie, verursacht durch Varianten im
CPOX-Gen, die
Porphyria variegata, verursacht durch Varianten im
PPOX-Gen und die 5-Aminolävulinsäure-Dehydratase-Defizienz. Bis auf die 5-Aminolävulinsäure-Dehydratase-Defizienz, die autosomal-rezessiv vererbt wird und auf Varianten im
ALAD-Gen zurückzuführen ist, ist der Erbgang autosomal-dominant. Durch porphyrinogene Arzneimittel, exogen-toxische Einflüsse, Hormone, Alkohol oder Nahrungskarenz kommt es zu einer Induktion der δ-Aminolävulinsäure-Synthase, die eine erhöhte Synthese von δ-Aminolävulinsäure und
Porphobilinogen zur Folge hat und zu einem akuten Porphyrie-Syndrom führt.
Extrapyramidale Störungen
Störung der Dopamin- und Serotonin-Neurotransmitter
Die Funktion des Gehirns ist abhängig von neuronalen Verbindungen in synaptischen Schaltkreisen. Die Gruppe der „Neurotransmitter“ vermittelt die synaptische Übertragung im zentralen (ZNS) und peripheren Nervensystem (PNS). Die prominentesten Vertreter der
Neurotransmitter sind die biogenen Amine
Dopamin und
Serotonin. Angeborene Störungen dieser Neurotransmitter
sind selten. Sie sind verursacht durch eine gestörte Biosynthese (Defekt der
Tyrosin- oder
Tryptophanhydroxylase und der
aromatischen
Aminosäurendecarboxylase), einen defekten Abbau
(Dopamin-β-Hydroxylase- oder
Monoaminoxidasemangel) oder einen gestörten Transport
(Dopamintransportermangelsyndrom oder Defekt des
vesikulären Monamintransporters [VMAT2]) der Metabolite. Alternativ kann eine gestörte Biosynthese oder Recycling des essenziellen Kofaktors
Tetrahydrobiopterin (BH
4) vorliegen (GTP-Cyclohydrolase-I-, 6-Pyruvoyltetrahydrobiopterin-,
Sepiapterinreduktase- und Dihydropteridinreduktase-Mangel).
Der
GTP-Cyclohydrolase-I-Mangel ist die häufigste
Ursache in der Gruppe der Dopa-responsiven
Dystonien (DRD). Diese Gruppe ist durch tageszeitabhängige
Dystonien, die sehr gut auf die Behandlung mit Levodopa (L-Dopa) ansprechen, charakterisiert.
Glutarazidurie Typ I (GA-I)
Die Glutarazidurie Typ I
(GA-I) ist eine autosomal-rezessiv vererbte zentrale Organoazidurie mit einer geschätzten weltweiten Inzidenz von 1:110.000. Infolge eines Defekts des
Enzyms Glutaryl-CoA-Dehydrogenase verursacht durch Varianten im
GCDH-Gen kommt es zu einer Akkumulation der organischen Säuren
Glutarsäure und 3-OH-Glutarsäure sowie von Glutarylcarnitin im Körper. Anhand der Ausscheidung von spezifischen Metaboliten im
Urin werden biochemisch zwei Subtypen unterschieden: „low“ und „high excreter“. Beide Subtypen zeigen einen ähnlichen klinischen Verlauf und ein hohes Risiko für die Entwicklung striataler Schädigung bei fehlender Behandlung.
Metallstoffwechselstörungen
Morbus Wilson
Beim
Morbus Wilson kommt es aufgrund einer autosomal-rezessiv vererbten Variante des
ATP7B-Gens zu einer Störung im Kupferstoffwechsel
.
ATP7B kodiert eine kupfertransportierende p-ATPase, die eine zentrale Rolle in der Regulation des hepatischen Kupferstoffwechsels spielt.
Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn (NBIA)
Unter dem Überbegriff Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn
(NBIA) ist eine Gruppe von seltenen neurodegenerativen Erkrankungen zusammengefasst, bei denen es durch Störungen im Eisenstoffwechsel des Gehirns zu einer überschüssigen Eisenakkumulation im Globus pallidus und in geringerem Maße in der Substantia nigra kommt. Die geschätzte
Prävalenz liegt bei 1:1.000.000. Ursächlich wurden bisher ca. 10 mit NBIA assoziierte genetische Varianten beschrieben (einschließlich
PANK2, PLA2G6, FA2H, C19orf12, ATP13A2 und
COASY).
Klinisch stellen sich die NBIA als neurodegenerative Erkrankungen mit progressiven hypo- und/oder hyperkinetischen
Bewegungsstörungen dar, häufig kombiniert mit einem variablen Maß an pyramidaler, zerebellärer, autonomer, kognitiver und psychiatrischer Beteiligung. Eine visuelle Dysfunktion ist nicht selten.
Diagnostisch sind übermäßige Eisenablagerungen im cMRT, insbesondere im Globus pallidus, hinweisend.
Aktuell gibt es keine krankheitsmodifizierende Therapie für NBIAs, sodass das medikamentöse Vorgehen symptomatisch ist und die laufende Betreuung den allgemeinen Empfehlungen für Menschen mit einer chronisch fortschreitenden Krankheit folgt.
Diffuse Beteiligung des Nervensystems
Zerebrotendinöse Xanthomatose (CTX)
Die zerebrotendinöse Xanthomatose
ist ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt der Sterol-27-Hydroxylase, einem
Enzym der Gallensäuresynthese. Der CTX liegen Varianten im
CYP27A1-Gen zugrunde, die zur Bildung abnormer Gallenalkohole und zu einer Speicherung von
Cholestanol und Cholesterol in den Geweben und im ZNS führt. Die Inzidenz wird in der europäischen Bevölkerung auf 1:50.000 geschätzt.
Morbus Gaucher (Gaucher disease, GD)
Der
Morbus Gaucher ist eine autosomal-rezessiv vererbte lysosomale Speichererkrankung, der eine Defizienz des
Enzyms Glukozerebrosidase
, verursacht durch Varianten im
GBA1-Gen, zugrunde liegt. Die Inzidenz liegt bei 1:60.000. Sehr selten ist ein Mangel an Aktivatorprotein Saposin C ursächlich (kodiert durch das
PSAP-Gen), der ebenfalls das klinische Bild einer GD verursacht. Als Folge beider Enzymdefekte kommt es zu einer Akkumulation von Glukosylceramid in
Makrophagen, die dann zu sog. „Gaucher-Zellen“ transformiert werden und primär das
Knochenmark, Milz und Leber, aber auch andere Organe infiltrieren. Die pathophysiologischen Grundlagen der neurologischen Beteiligung sind noch nicht vollständig geklärt, da eine relevante Akkumulation von Glukosylceramid in Neuronen nur bei wenigen genetischen Varianten mit drastisch verminderter
Enzymaktivität nachweisbar ist. Diskutiert werden eine Beeinträchtigung der Autophagie im ZNS oder die toxische Wirkung von Glukosylsphingosin, eines aus Glukosylceramid entstehenden Metaboliten.
Glukozerebrosidase und Parkinson-Syndrom
Sowohl Patienten mit manifester GD als auch heterozygote
GBA1-Anlageträger haben ein erhöhtes Risiko, an einem Parkinson-Syndrom zu erkranken. Der Pathomechanismus ist bislang noch unklar, es scheint aber eine umgekehrte Korrelation zwischen Glukozerebrosidase-Aktivität und α-Synuclein-Konzentrationen zu bestehen. Auch bei Patienten mit sporadischem Parkinsonsyndrom ohne pathogene
GBA1-Varianten wurde eine erniedrigte Glukozerebrosidase-Aktivität nachgewiesen. Jedoch erkrankt die Mehrzahl der Personen mit
GBA1-Varianten nicht an
Morbus Parkinson, sodass weitere noch unbekannte Risikofaktoren eine Rolle spielen.
Morbus Niemann-Pick Typ C (NPC)
Der
Morbus Niemann-Pick Typ C ist ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt des intrazellulären Cholesterintransports, der zu intralysosomaler Speicherung von unverestertem
Cholesterin und Gangliosiden sowie Beeinträchtigung des Sphingomyelinstoffwechsels führt. Zugrundeliegend sind zumeist Varianten im
NPC1-Gen, nur bei etwa 5 % der Fälle Varianten im
NPC2-Gen. Die Gesamtinzidenz wird auf 1:200.000 geschätzt.
Der NPC ist eine progrediente neurodegenerative Erkrankung mit erheblicher klinischer Variabilität. Die Symptome bei Manifestation sind dabei abhängig vom Lebensalter, wobei viszerale Symptome zeitlich immer vor der ZNS-Beteiligung auftreten, bei Erwachsenen aber subklinisch sein können. Eine neonatale Form geht mit cholestatischer Hepatopathie und Leberversagen einher, bei den infantilen und juvenilen Formen bestehen eine moderate Hepatosplenomegalie und eine ataktische oder dystone Bewegungsstörung sowie Verhaltensauffälligkeiten und ein kognitiver Abbau. Charakteristisch für den NPC im Jugendlichen- und Erwachsenenalter ist die vertikale supranukleäre Blickparese. Bei Erwachsenen sind psychiatrische Störungen wie Zwangshandlungen,
Halluzinationen, depressive Verstimmung und Psychose oft erstes Zeichen der Erkrankung, dann folgen eine zerebelläre Ataxie und ein demenzieller Abbau. Zudem können weitere
Bewegungsstörungen wie
Dystonie,
Chorea und Parkinsonismus auftreten. Das cMRT ist zunächst unauffällig, erst im Spätstadium der Erkrankung zeigen sich eine zerebelläre Atrophie, eine Verschmächtigung des Corpus callosum und T2-Hyperintensitäten im Bereich der periventrikulären weißen Substanz.
Die Diagnose kann über die Untersuchung der Oxysterole im
Plasma gestellt werden, jedoch sind sowohl falsch-negative als auch falsch-positive Ergebnisse möglich, sodass zusätzlich immer eine molekulargenetische Untersuchung angeschlossen werden sollte. Die sehr aufwendige Filipinfärbung in Fibroblasten hat heute keinen Stellenwert mehr in der Diagnostik.
Bislang gibt es keine effektive Therapie für den NPC. Die intrathekale Applikation von Cyclodextrin zeigte in ersten Studien jedoch positive Ergebnisse.
GM1-Gangliosidose
Die
GM1-Gangliosidose ist ein autosomal-rezessiv vererbter Defekt der
β-Galaktosidase, der auf Varianten im
GLB1-Gen zurückzuführen ist. Die Inzidenz wird mit 1:100.000 bis 1:200.000 angegeben. Die β-Galaktosidase ist für den Abbau von
Glykoproteinen, Glykolipiden und Keratansulfat verantwortlich und ihr Defekt hat eine Akkumulation v. a. von GM1-Gangliosid in Neuronen zur Folge, die wiederum zu Neuronenverlust, Gliosen und morphologischen Auffälligkeiten der Neuriten führt, wobei die genaue Pathogenese noch unklar ist. Abhängig von der verbleibenden
Enzymaktivität und der Menge an akkumuliertem Substrat werden verschiedene Schweregrade unterschieden.
Der häufigste infantile Typ 1 hat den schwersten Verlauf mit rasch progredienter neurologischer Verschlechterung, die zu Spastik, Taubheit, Blindheit und Dezerebration führt und im Kleinkindalter letal ist.
Der spätinfantile Typ 2 verläuft etwas langsamer, jedoch versterben die Patienten meist noch im Kindesalter.
Der attenuierte Typ 3 manifestiert sich in der 2.–3. Dekade mit generalisierter
Dystonie, die Gang- und Sprachschwierigkeiten zur Folge hat. Typisch ist eine Beteiligung der Gesichts- und Schlundmuskulatur mit Grimassieren und lebensbedrohlichen Schluckstörungen. Die
Sprachstörungen bestehen aus einer kombinierten hyperkinetischen Dysarthrie und einer Sprechapraxie, die bis zum dysarthrischen Mutismus führen kann. Im Verlauf bildet sich eine parkinson-ähnliche akinetisch-rigide Bewegungsstörung aus. Im cMRT zeigen sich in den T2-Sequenzen Hyperintensitäten der posterioren Putamina. Da zudem eine Herzklappenbeteiligung vorliegen kann, sollte immer auch eine Echokardiografie durchgeführt werden.
Die Diagnose wird über eine Bestimmung der β-Galaktosidase-Aktivität im
Trockenblut oder in
Leukozyten gestellt, die mittels molekulargenetischer Analyse bestätigt wird.
GM2-Gangliosidosen
Die
GM2-Gangliosidosen sind autosomal-rezessiv vererbte Defekte der β-Hexosaminidase
. Das
Enzym besteht aus zwei
Untereinheiten, die durch die Gene
HEXA und
HEXB kodiert werden. Varianten in
HEXA verursachen die Tay-Sachs-Erkrankung
, während Varianten in
HEXB zur Sandhoff-Erkrankung führen.
Ein Defekt im GM2-Aktivator-Protein (kodiert durch
GM2A) beeinträchtigt beide Untereinheiten. Der Mangel an β-Hexosaminidase führt zur Speicherung von GM2- und GA2-Gangliosiden in Lysosomen der Neurone, was zur Beeinträchtigung des Neuritenwachstums, einer veränderten intrazellulären Signalübertragung und einer ZNS-Inflammation führt. Die Gesamtinzidenz der GM2-Gangliosidosen liegt weltweit bei 1:100.000, ist in der Bevölkerungsgruppe der Ashkenazi-Juden allein für die Tay-Sachs-Erkrankung allerdings mit 1:2500 deutlich höher.
Klinisch werden auch die
GM2-Gangliosidosen entsprechend dem Alter bei Manifestation in drei Subtypen eingeteilt. Der häufigste Typ 1 beginnt im ersten Lebensjahr mit rasch fortschreitender diffuser neurologischer Verschlechterung und Tod im Kleinkindalter. Bei den Typen 2 (juvenil) und 3 (late-onset) handelt es sich um langsamer fortschreitende neurologische Erkrankungen, deren klinische Symptome davon abhängen, welcher Bereich des ZNS betroffen ist. Bei Erwachsenen zeigt sich ein komplexes neurologisches Bild mit zerebellärer Ataxie, motorischer Schwäche und peripherer Neuropathie. Etwa 30–50 % der Patienten haben
Bewegungsstörungen, wie Tremor, generalisierte oder
fokale Dystonie,
Chorea und Parkinsonismus. Weiterhin sind psychotische Symptome, autonome Dysfunktion, Pyramidenbahnzeichen und eine vertikale supranukleäre Blickparese beschrieben. Im Gegensatz zu den kindlichen Formen sind ein demenzieller Abbau oder visuelle Beeinträchtigung für adulte Formen nicht typisch, auch ist die Lebenserwartung vermutlich nicht signifikant vermindert, allerdings verlieren die meisten Patienten ihre körperliche Unabhängigkeit und benötigen pflegerische Unterstützung. Im cMRT findet sich eine zerebelläre Atrophie und gelegentlich eine Hypointensität des Thalamus.
Die Diagnose wird über die Aktivitätsbestimmung der β-Hexosaminidase in
Trockenblut,
Plasma oder
Leukozyten gestellt und sollte über molekulargenetische Analyse gesichert werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Therapie mit nachgewiesener Wirksamkeit, jedoch werden Studien zur Chaperon-Therapie und zur Gentherapie durchgeführt. Die Patienten profitieren von intensiver physiotherapeutischer und logopädischer Behandlung.
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