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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 29.12.2023

Intoxikationen durch Drogen

Verfasst von: Sabrina Schmoll
Laut europäischem Drogenbericht 2022 gehören Innovationen der Drogenherstellung und des Drogenhandels, die Schaffung neuer Handelsrouten und das Wachstum der Online-Märkte zu den jüngsten Veränderungen auf dem Drogenmarkt. Im Jahr 2020 wurden in Europa rund 1 Mio. Sicherstellungen gemeldet, worunter Cannabisprodukte am häufigsten verzeichnet wurden. Den insgesamt sinkenden Sicherstellungen von Cannabisharz (− 72 %) und Heroin (− 52 %) stehen steigende Sicherstellungen von MDMA (+ 129 %) Metamphetamin (+ 107 %) und Cannabiskraut (+ 19 %) gegenüber. Auch die steigende Anzahl der als „neue psychoaktive Substanzen“ bezeichneten Drogen ist mit erheblichen gesundheitlichen und sozialen Bedrohungen für die Konsumierenden verbunden (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022).
Zu den neuen psychoaktiven Substanzen zählen neben synthetischen Cannabinoiden und Cathinonen auch synthetische, hochpotente Opioide, Benzodiazepine und LSD-Derivate. Das Kapitel beleuchtet die Symptomatik, Diagnostik und Behandlung der in Deutschland illegal gebrauchten Drogen.

Einleitung

Obwohl wir die neurobiologischen Effekte auf das zentrale Nervensystem der als „Drogen“ bezeichneten Substanzen erst seit kurzer Zeit zu verstehen beginnen, geht die Historie dieser weit zurück. Erste schriftliche Belege der analgetischen und sedativen Wirkung von Mohn gehen auf sumerische Tafeln des 3. Jahrtausends v. Chr. zurück (Escohotado und Syminton 1999). Von medizinischen Verwendungen über kommerzielle Anwendungen oder auch als „Aufputschmittel“ für Soldaten verwendet, erfordert der Umgang mit „Drogen“ eine sich stetig anpassende Rechtsprechung, um sozioökonomische und gesundheitliche Folgeschäden zu lindern. Von der einstig pflanzlichen Erzeugungsform hin zu hoch technisierten Laboratorien unterliegt auch der Herstellungsprozess einem stetigen Wandel.
Seit den 2000er-Jahren fluten hochpotente „synthetische“ Substanzen den europäischen Drogenmarkt und sind mit einer Vielzahl schwerwiegender Nebenwirkungen und hohen Todeszahlen assoziiert.
Laut europäischem Drogenbericht 2021 haben Schätzungen zufolge 83 Mio. der Erwachsenen in der Europäischen Union mindestens einmal im Leben illegale Drogen eingenommen, die am häufigsten konsumierte Droge ist Cannabis, gefolgt von Kokain, MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) und Amphetaminen (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2021).

Substanzen

Neue psychoaktive Substanzen

Mit der Bezeichnung „neue psychoaktive Substanzen“, häufig auch „Designerdrogen“ „legal highs“ oder „research chemicals“, werden synthetische Stoffe zusammengefasst, zu denen neben synthetischen Cannabinoiden auch Phenylethylamine, Cathinone, synthetische Benzodiazepine und Opiate sowie Tryptamine und Arylcyclohexylamine gehören.
Ende 2021 hat die EMCDDA (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction) etwa 880 neue psychoaktive Substanzen identifiziert, von denen 52 erstmalig im Jahr 2021 entdeckt wurden. Synthetische Cannabinoide und Cathinone bildeten mit 44 % die größte Gruppe (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022).
Um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, wurde in Deutschland das bestehende Betäubungsmittelgesetz (BtMG) durch das am 26. November 2016 in Kraft tretende Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz, NpSG, ergänzt. Dem Gesetzgeber ist es damit möglich, den Handel von ganzen chemischen Stoffklassen strafrechtlich zu verfolgen, um der stetigen chemischen Abwandlung der Substanzen und damit einhergehender Umgehung der Verbotsregelung entgegenzuwirken (Bundesministerium für Gesundheit 2022).

Synthetische Cannabinoide

Dem Bericht der EMCDDA folgend sind seit 2008 insgesamt 224 neue synthetische Cannabinoide entdeckt worden, 15 erstmals im Jahr 2021 (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022). Die Bezeichnung „Cannabinoide“ steht für die typischen terpenophenolischen C21-Verbindungen der Cannabispflanze, ihre Carbonsäuren, Analoga und Umwandlungsprodukte. Cannabinoide bilden heute durch ihre hohe chemische Variabilität, das gesamte Spektrum an natürlichen, endogenen und synthetischen Liganden am Cannabinoid-Rezeptor ab (Alves et al. 2020, S. 2). Der Konsum erfolgt inhalativ in Pfeifen oder in Tabak als Zigarette geraucht. In Internetforen wird die „Cannabis-ähnliche“ Wirkung von Konsumenten diskutiert und auch Auskunft über Beschaffungswege gegeben.

Allgemeines/Substanzeigenschaften

Cannabinoide können in drei Gruppen unterteilt werden: endogene Cannabinoide, Phytocannabinoide und synthetische Cannabinoide (Abb. 1). Endogene Cannabinoide bestehen aus langen ungesättigten Fettsäuren, Amiden, Estern und Ethern, die an den CB1- oder CB2-Rezeptor binden. Phytocannabinoide können aus der Cannabis-Pflanze extrahiert werden, hierzu zählen Δ9THC, Cannabidiol und Cannabinol. Synthetische Cannabinoide wurden als pharmakologisches Agens sowohl in vitro als auch in vivo genutzt, um ihren klinischen Nutzen zu evaluieren (Chakravarti et al. 2014). Erstmals gelang es einer Frankfurter Arbeitsgruppe 2009, das synthetische cannabisähnliche Aminoalkylindol (JWH 018) zu identifizieren, das als synthetischer Agonist mit bis zu 4-fach höherer Affinität am CB1-Rezeptor sowie mit 10-fach höherer Affinität am CB2-Rezeptor im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol (THC) bindet (Auwärter et al. 2009).

Wirkmechanismus

Nach aktuellem Wissensstand sind an der Cannabinoid-Wirkung mindestens zwei Cannabinoid-Rezeptoren (CB1 und CB2) beteiligt, an die die Substanzen mit unterschiedlicher Affinität binden. Bei beiden Rezeptoren handelt es sich um G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die an der Regulation physiologischer Prozesse beteiligt sind. CB1-Rezeptoren finden sich vermehrt an zentralen und peripheren Nervenfasern und hemmen die Signaltransduktion durch Hemmung der Neurotransmitterfreisetzung. In vitro besitzen CB1-Rezeptor-Agonisten die Fähigkeit zur Hypokinesie, Katalepsie und Analgesie. CB2-Rezeptoren liegen vermehrt auf Immunzellen vor, sie scheinen eine wichtige Rolle bei der Immunmodulation sowie der Migration von Immunzellen und der Zytokinfreisetzung zu spielen (Pertwee 2006).
Herstellung/Vertrieb
Die Herstellung und der Vertrieb der als illegal eingestuften Substanzen unterliegen keinen kontrollierten pharmakologischen Prozessen. Die synthetisch hergestellten Verbindungen werden meist in flüssiger Form auf Pflanzenreste aufgetragen und diese in kleine ansprechende Tüten mit fantasievollen Namen wie „Spice“ oder „Picobello“ verpackt (Abb. 2). Der Wirkstoffgehalt kann somit trotz identischem Namen und Vertreiber („Dealer“) von Verpackung zu Verpackung variieren und stellt ein Risiko für Intoxikationen bei gleichbleibendem Konsumverhalten dar.
Symptome
Synthetische Cannabinoide sind potente CB1-Rezeptor-Agonisten, die den psychotropen Effekt von Cannabis imitieren und mit höherer Affinität am Rezeptor binden. In den meisten Fällen hält die Wirkung weniger als 8 Stunden, in Ausnahmefällen bis zu 24 Stunden an. Das Wirk- bzw. Nebenwirkungsspektrum ist vielseitig und erstreckt sich von Euphorie und Entspannung hin zu Psychosen, Paranoia, Aggression und Organdysfunktionen (Tab. 1) (Alves et al. 2020).
Tab. 1
Übersicht der Wirkung synthetischer Cannabinoide. (Alves et al. 2020; Hohmann et al. 2014)
Organsystem
Symptome
Kardiovaskulär
Tachykardie/Bradykardie
Arrhythmien
Palpitationen
kardiale Ischämie
Neuropsychiatrisch
Agitation
Aggression
Paranoia
Krampfanfall
Psychose
Hyperreflexion
Metabolisch
Leukozytose
Hypokaliämie
metabolische/respiratorische Azidose
Nephrologisch
Gastrointestinal
Übelkeit/Erbrechen
Diarrhö
Xerostomie
Okkulär
Mydriasis
Muskulär
CK-Anstieg
Myalgie
Rhabdomyolyse
Aufgrund unvollständiger oder falscher Packungsangaben liegen dem Konsumenten keine ausreichenden Informationen über die enthaltenen Substanzen sowie deren Dosierung vor. Neben der Unklarheit über die Inhaltsstoffe, der längeren Wirkdauer und verstärkten Wirkintensität ist die persönliche Toleranz ein zusätzlicher Risikofaktor für das Auftreten von Nebenwirkungen (Alves et al. 2020).
Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem Beschwerdebild des Patienten. Ein spezifisches Antidot existiert nicht, eine symptomatische Therapie unter Monitoring der Vitalfunktionen auf einer Intermediate-Care-Station oder Intensive-Care-Station ist zu empfehlen. Nicht selten sind invasive Maßnahmen (z. B. Koronarangiografie oder Dialyse) bei auftretenden Komplikationen notwendig. Bei psychotischen Zuständen sowie Aggression empfiehlt sich die Anwendung von Benzodiazepinen. Sie haben eine hohe therapeutische Breite, sind gut verträglich, erlauben eine symptomorientierte Titration und dienen als Krampfprophylaxe. Außerdem beeinflussen diese im Gegensatz zu Neuroleptika nicht den Serotoninhaushalt und lösen keine extrapyramidalen Symptome oder Arrhythmien aus.

Synthetische Cathinone

Cathinone bilden die zweitgrößte Gruppe der psychoaktiven Stoffe in der EU (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022).
Weltweit als „legal highs“, „Badesalz“, „Pflanzendünger“ oder „research chemicals“ häufig mit der Aufschrift „not for human consumption“ vertrieben, werden diese zusätzlich zu den gängigen anderen Drogen konsumiert. Im süddeutschen Raum handelt es sich häufig um männliche Konsumenten zwischen 18 und 29 Jahren. Als häufigste Nebenwirkungen wurden von den Konsumenten eine zunehmende Gewaltbereitschaft, lang anhaltende Verwirrtheitszustände und ein sexuelles Risikoverhalten angegeben (Schmoll et al. 2018).
Vermutlich als Folge der gesetzlichen Neuregelung gehen die Sicherstellungen von synthetischen Cathinonen seit 2017 deutlich zurück (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2021).

Allgemeines/Substanzeigenschaften

Synthetische Cathinone sind ß-Keto-Analoga des natürlichen Cathinons, eines der psychoaktiven Alkaloidderivate aus den Blättern und Zweigen der Khat-Pflanze. Chemisch sind diese den Phenethylaminen zuzuordnen. Strukturell an klassische Amphetamine erinnernd, liegt der Hauptunterschied an der ß-Keto-Substitution der Aminoalkyl-Seitenkette (Abb. 3) (Coppola und Mondola 2012; Soares et al. 2021).
Die ersten synthetischen Cathinone wurden für medizinische Zwecke in den späten 1920er-Jahren synthetisiert und hauptsächlich als Antidepressivum und Appetitzügler eingesetzt. Methcathinon war das erste synthetische Cathinon, das in der Sowjetunion zunächst als Antidepressivum und später in den USA als Analeptikum verwendet wurde (Soares et al. 2021).
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten synthetische Cathinone aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit und erschwinglichen Preise den Einstieg in den Drogenmarkt gefunden.
Die Substanzen liegen meist in Pulverform vor (Abb. 4), werden aber auch in Kristallform oder in Kapseln verpackt vertrieben. Der Konsum kann oral, inhalativ, intravenös oder intramuskulär erfolgen. Die Injektion ist durch Verunreinigungen mit einem hohen Infektionsrisiko verbunden und führt z. T. zu gefährlichen Begleiterscheinungen wie kutanen Abszessformationen, Endokarditiden und potenziell letalen septischen Krankheitsbildern.

Wirkmechanismus

Synthetische Cathinone zeichnen sich durch ihre amphetaminähnliche Wirkung aus, indem sie die Wiederaufnahme von Neurotransmittern im zentralen Nervensystem hemmen oder zu einer vermehrten Freisetzung führen und somit eine erhöhte Konzentration der Neurotransmitter im synaptischen Spalt bedingen. Sie üben ihre Wirkung an Dopamin-, Noradrenalin- und Serotonintransportern aus (Coppola und Mondola 2012; Hohmann et al. 2014; Soares et al. 2021).
Ähnlich wie andere Phenethylamine besitzen synthetische Cathinone ein chirales Zentrum und können in zwei Stereoisomeren vorliegen, die sich hinsichtlich Wirkpotenz und Rezeptoraffinität unterscheiden (Soares et al. 2021).
Die Substanzen können in drei Gruppen eingeteilt werden (Hohmann et al. 2014):
  • Kokain-MDMA-mixed-Typ (Mephedron, Methylon, Ethylon, Butylon und Naphyron): unspezifische Monoamin-Wiederaufnahmehemmung.
  • Metamphetamin-ähnlicher Typ (Cathinon, Flephedron und Methcathinon): Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer sowie Freisetzung von Dopamin.
  • Pyrovaleron-Typ (Pyrovaleron, MDPV): selektiver Inhibitor der Katecholamin-Wiederaufnahme.
Konsumenten berichten von euphorischen Zuständen, Redseligkeit, Bewegungsdrang, Stimmungsaufhellung und sexueller Stimulation. Zahlreiche Nebenwirkungen wie Paranoia, akustische und optische Halluzinationen sowie psychotische Symptome, Krampfanfälle, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen und Rhabdomyolyse sind beschrieben und stellen für den Behandler eine Herausforderung dar (Hohmann et al. 2014).
Zudem beeinflusst der Reinheitsgrad, die konsumierte Menge sowie die Konsumart die Wirkdauer und Anflutgeschwindigkeit. Konsumenten im süddeutschen Raum bevorzugen die nasale und intravenöse Einnahme (Schmoll et al. 2018).
Herstellung/Vertrieb
Bis zur Anpassung der Rechtsprechung im Jahr 2016 konnten synthetische Cathinone in „headshops“ im Internet bestellt und als „chemical research drugs“ bezeichnet u. a. via Postweg zugestellt werden. Die Produktion für den europäischen Markt scheint überwiegend im chinesischen Raum sowie Indien zu erfolgen (Hohmann et al. 2014).
Symptome
Tab. 2 gibt einen Überblick über mögliche Intoxikationssymptome.
Tab. 2
Übersicht der Wirkung synthetischer Cathinone. (Caffrey und Lank 2017; Logan et al. 2017)
Organsystem
Symptome
Kardiovaskulär
Tachykardie
Arrhythmien
Palpitationen
Dyspnoe
kardiale Ischämie
Neuropsychiatrisch
Agitation
Paranoia
Krampfanfall
Psychose
Metabolisch
Hypokaliämie
Azidose
Nephrologisch
Rhabdomyolyse
Pulmonal
Hyper-/Hypoventilation
Dyspnoe
Okkulär
Mydriasis
Muskulär
CK-Anstieg
Myalgie
Kompartmentsyndrom
Andere
Hyperthermie

Therapie

Patienten nach Konsum von Cathinonen präsentieren sich häufig mit einem sympathomimetischen Toxidrom und neuropsychiatrischen Symptomen. Monitoring der Vitalfunktionen sowie Schutz vor Selbst- und Fremdgefährdung sind entscheidende Maßnahmen. Es existieren keine spezifischen Leitlinien für die Therapie von Patienten mit Intoxikation durch MDPV, Methylon oder Mephedron, dennoch empfiehlt sich aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zu Amphetaminen und MDMA ein analoges Behandlungsregime. Nach Sicherung der Vitalfunktionen sollten Unruhezustände präferenziell ebenfalls mit Benzodiazepinen (z. B. Midazolam oder Diazepam) therapiert werden. Bei Vorherrschen von psychotischen Symptomen kann eine Therapie mit hochpotenten Antipsychotika (z. B. Haloperidol) erwogen werden. Gelegentlich sind auch Kombinationstherapien aus Benzodiazepinen und Neuroleptika erforderlich. Sollte durch o. g. Maßnahmen keine ausreichende Sedierung erzielt werden können, kommen andere Sedativa unter intensivmedizinischem Monitoring (Propofol und/oder Esketamin) zum Einsatz.

Opiate/synthetische Opioide

Der Missbrauch von Opioiden stellt seit Jahrhunderten eine globale Bedrohung dar, im Jahr 2021 kam es nach Schätzungen in der Europäischen Union zu 5796 Todesfällen durch Überdosierungen mit illegalen Drogen, bei 74 % der drogeninduzierten Todesfälle konnten Opioide nachgewiesen werden. Zwischen 2020 und 2021 wurden 15 neue synthetische Opioide entdeckt, insbesondere hochpotente Benzimidazol-Opioide, die zu den Nicht-Fentanyl-Opioiden gehören. Die Beimengung oder Verunreinigung der auf dem Schwarzmarkt vertriebenen Opioide durch Fentanyl führte zu einem Anstieg der Überdosierungen. Neben den „neuen“ synthetischen Opioiden, spielen auch weiterhin „klassische“ Opiate und Opioide eine entscheidende Rolle. Allein im Jahr 2020 wurden 5,1 Tonnen Heroin in den EU-Mitgliedsstaaten sichergestellt. 2020 war Heroin laut Euro-DEN-Studie mit 18 % die dritthäufigste Ursache für akute Drogenintoxikationen (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022).

Allgemeines/Substanzeigenschaften

Synthetische Opioide ähneln in ihrer Struktur den Wirkstoffen Fentanyl oder Morphin, allerdings mit zahlreichen strukturellen Modifikationen, wodurch der laborchemische Nachweis erschwert ist. Natürliche Opiate werden aus dem getrockneten Saft des Schlafmohns gewonnen. Davon grenzt man halbsynthetische Opioide, die strukturelle Ähnlichkeit zu Morphin haben (z. B. Oxycodon, Hydrocodon und Heroin) und synthetische Opioide ab (Abb. 5). Diese ähneln strukturell dem Fentanyl und dessen Analoga (Piperidin-Derivate, Sufentanil, Remifentanil).
Eine neue Generation synthetischer Opioide kursiert seit ca. 2010 auf dem Schwarzmarkt. Von ihrer chemischen Struktur unterscheiden sie sich von den älteren synthetischen Opioiden. Sie werden in drei Gruppen unterteilt (Salle et al. 2019):
  • Benzamide z. B. U-47700,
  • Acetamide z. B. U-50488,
  • Piperazine z. B. MT-45.
Eine Übersicht zur Einteilung gibt Abb. 6.
Den Verbindungen wird häufig Heroin beigemischt oder sie werden als gefälschte Arzneimittel (z. B. als Hydrocodon oder Oxycodon) verkauft, wenngleich die Wirkung dem bis zu 4000-fachen des vermeintlichen Präparates entsprechen kann und damit für eine Vielzahl von Überdosierungen verantwortlich ist (Concheiro et al. 2018). Synthetische Opioide werden – genauso wie die älteren Präparate – oral, per Insufflation, intravenös, rektal oder inhalativ als flüssige Lösung sowie via Vaporisation konsumiert (Beardsley und Zhang 2018; Logan et al. 2017).

Wirkmechanismus

Sowohl Opiate als auch synthetische Opioide sind vorwiegend Agonisten am μ-Opioid-Rezeptor, gelegentlich werden auch Bindungen am ƙ- und δ-Rezeptor beschrieben (Tab. 3). Neben Euphorie und Wohlgefühl umfasst das Opioid-Toxidrom auch folgende Symptome: Atemdepression, Koma, Hypothermie, Übelkeit und Miosis (Salle et al. 2019). Ein Überblick der Symptomatik gibt Tab. 4. Klinisch ist keine Unterscheidung zwischen Vergiftungen mit synthetischen Opioiden und Opiaten möglich.
Tab. 3
Opioidrezeptoren. (Karow und Lang-Roth 2021)
Opioidrezeptor
μ MOR
κ KOR
δ DOR
Endogener Ligand
ß-Endorphin
Dynorphin
Enkephalin
Effekte
Starke Analgesie
Mäßige Analgesie
Analgesie
 
Starke Atemdepression
Sedierung
 
Miosis
Dysphorie
Abhängigkeit
 
Euphorie, Toleranz, starke Abhängigkeit
Atemdepression
 
Bradykardie
 
 
Obstipation, Übelkeit
 
Tab. 4
Übersicht der Wirkung synthetischer Opioide und nichtsynthetischer Opiate/Opioide
Organsystem
Symptome
Kardiovaskulär
Tachykardie
Bradykardie
Hypotonie
Neurologisch
Bewusstlosigkeit
Koma
Okkulär
Miosis
Pulmonal
Hypoventilation
Apnoe
Andere
Hypothermie
Die Toxizität ist von der Affinität zu den Rezeptoren und somit von deren Aktivierung oder Hemmung abhängig. Carfentanyl, ein synthetisches Opioid, das in der Tiermedizin zur Analgesie von Großtieren verwendet wird, zeigt im Vergleich zu Morphin eine 10.000-fach höhere Potenz (Beardsley und Zhang 2018).
Therapie
Die Therapie sollte symptomorientiert erfolgen. Insgesamt empfiehlt sich bei Patienten mit fehlenden Schutzreflexen die endotracheale Intubation sowie die Einleitung kreislaufstabilisierender Maßnahmen (Volumen, ggf. Katecholamine). Naloxon als kompetitiver Antagonist am Opioid-Rezeptor kann sowohl als Diagnostikum als auch zur Behandlung des Toxidroms verwendet werden. Zu beachten ist die deutlich kürzere Eliminationshalbwertszeit von Naloxon mit etwa 30 Minuten, im Vergleich zur deutlich längeren Eliminationshalbwertszeit von z. B. Fentanyl. Somit kann eine repetitive Antidot-Gabe erforderlich werden. Zudem kann die höhere Rezeptoraffinität synthetischer Opioide deutlich höhere Naloxon-Dosierungen zur Antagonisierung notwendig machen. Dosierungen zwischen 0,4–12 mg Naloxon, je nach konsumiertem Opioid, wurden zur Symptomkontrolle benötigt (Salle et al. 2019).
Bei Patienten mit vorbestehender Abhängigkeit von Opiaten/Opioiden ist aufgrund des Nebenwirkungsprofils von Naloxon (Entzugssyndrom oder Aggressivität) stets eine Abwägung zwischen Schutzintubation und fraktionierter Antagonisierung zu treffen.

GHB/GBL

Laut europäischem Frühwarnsystem wurden trotz nichtkonsequenter Überwachung von GHB (Gamma-Hydroxybutyrat) einschließlich der Vorläufersubstanz GBL (Gamma-Butyrolacton) aus 18 europäischen Ländern umfangreiche Sicherstellungen beider Substanzen gemeldet. Im Jahr 2020 war GHB laut Euro-DEN zudem die fünfthäufigste Droge, die bei 11 % der akuten Drogenintoxikationen und bei 35 % der Aufnahmen auf Intensivstationen nachgewiesen werden konnte (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022).
Nachdem Gamma-Aminobuttersäure (GABA) 1956 als dämpfender Neurotransmitter des zentralen Nervensystems identifiziert wurde, gelang im Rahmen von Forschungsarbeiten zunächst die Entdeckung von GHB und schließlich die erste Synthese. Medizinische Verwendung findet GHB seither in einigen Ländern zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms (Alcover©) sowie zur Behandlung von Narkolepsie (Bernstein 2021; Felmlee et al. 2021). Aufgrund der dämpfenden Eigenschaften macht die Substanz jedoch auch als missbräuchlich verwendete Partydroge oder „date rape drug“ (K.O.-Tropfen) Schlagzeilen (Gertzen et al. 2022).
Die einfache Verfügbarkeit der Vorläufersubstanzen sowie die einfache Synthese begünstigen den Missbrauch. Eine Vorläufersubstanz von GHB z. B. 1,4-Butanediol ist als Lösungsmittel im Handel erhältlich und kann in vivo durch die enzymatische Reaktion mittels Alkohol- und Aldehyddehydrogenase zu GHB verstoffwechselt werden (Abb. 7).

Allgemeines/Substanzeigenschaften

Gamma-Hydroxybutyrat (GHB), eine endogene kurzkettige Fettsäure des zentralen Nervensystems, entsteht aus Gamma-Aminobuttersäure (GABA), einem inhibitorischen Neurotransmitter im ZNS, durch enzymatische Prozesse der Aminotransferase und Bernsteinsäure-Semialdehyd-Reduktase (Felmlee et al. 2021).
In vivo zeigt GHB nach oraler Anwendung einen Serumpeak nach 15–45 Minuten, GHB ist fettlöslich und durchdringt die Blut-Hirn-Schranke. Die Distribution erfolgt zügig, dosisabhängig zeigt sich eine Eliminationshalbwertszeit von 20–53 Minuten (Mason und Kerns 2002).

Wirkmechanismus

GHB ist sowohl eine Vorläufersubstanz als auch ein Metabolit von GABA und liegt in μmolar-Konzentrationen im zentralen Nervensystem vor. GHB bindet an mindestens zwei unterschiedliche Rezeptoren: GHB-Rezeptoren werden mit hoher Affinität, GABAB-Rezeptoren mit niedriger Affinität gebunden. Die physiologischen Effekte werden durch Bindung an GHB-Rezeptoren vermittelt, die als exzitatorische GABAA-Rezeptoren identifiziert wurden und sich im zentralen Nervensystem (v. a. Hippokampus und Neokortex) sowie auf Herz-, Pankreas-, Leber- und Nierenzellen befinden. Im zentralen Nervensystem bewirkt die Rezeptorbindung eine vermehrte Freisetzung von Glutamat sowie Dopamin, Acetylcholin und 5-Hydroxytryptamine, zudem wird eine Interaktion mit Opioiden diskutiert.
Die resultierenden Effekte (Sedierung, Hypothermie, selten Atemdepression) treten durch Agonismus an GABAB-Rezeptoren auf, hier bindet GHB mit deutlich geringerer Affinität. GABAB-Rezeptoren sind heterodimere, G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die inhibitorische Effekte vermitteln (Felmlee et al. 2021; Mason und Kerns 2002).

Symptome

Patienten mit Intoxikation durch GHB präsentieren sich meist tief bewusstlos oder komatös bei erhaltener Kreislauffunktion. Eine Übersicht über mögliche Symptome gibt Tab. 5. Neben einer Vigilanzminderung und Bradypnoe sind auch EKG-Veränderungen im Sinne von U-Wellen, T-Wellen-Inversionen und vorübergehenden P-Inversionen beschrieben (Mason und Kerns 2002).
Tab. 5
Übersicht der Wirkung von Gamma-Hydroxybutyrat (GHB). (Mason und Kerns 2002)
Organsystem
Symptome
Kardiovaskulär
Bradykardie
Hypotonie
EKG-Veränderungen
Neurologisch
Euphorie
Bewusstlosigkeit
Myoklonie
Pulmonal
(sehr selten Atemdepression) Apnoe
Gastrointestinal
Übelkeit/Erbrechen
Andere
Die Symptome bilden sich meist binnen weniger Stunden zurück. Häufig wird ein plötzliches Erwachen der zuvor tief komatösen Patienten beschrieben, im Vergleich zum Konsum anderer Sedativa zeigt sich keine Verhangenheit, die Patienten sind mit Erwachen meist voll orientiert, typisch ist eine retrograde Amnesie.
Im Rahmen von GHB-Entgiftungen können schwere Entzugssymptome, ähnlich dem Alkoholentzugssyndrom, beobachtet werden, insbesondere ein schwer therapierbares Entzugsdelir. Die ersten Symptome können Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, Erbrechen sowie Diarrhö und Tachykardie sein, gefolgt von Paranoia, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Ein Entzugssyndrom tritt in der Regel rasch nach letzter Einnahme auf und kann bis zu 14 Tagen andauern. Therapeutisch wird – analog dem Alkoholentzugssyndrom – zur Anwendung von Benzodiazepinen geraten (Bernstein 2021).

Therapie

Es existiert kein Antidot, die Behandlung erfolgt symptomgetriggert. Je nach Schweregrad der Vergiftung kann eine endotracheale Intubation notwendig werden. In Tierversuchen konnte mithilfe von Flumazenil eine Anxiolyse erzielt werden, auf die ZNS-Depression zeigte sich kein Effekt. Auch Naloxon konnte im Tierversuch die ZNS- und Atemdepression nicht aufheben (Mason und Kerns 2002).

Kokain

Laut europäischem Drogenbericht nimmt der Konsum von Methamphetamin und Kokain rasant zu, zwischen 2010 und 2020 haben sich die Sicherstellungen von Metamphetamin fast verfünffacht, die von Kokain fast verdreifacht. Umfragen zeigen eine Jahresprävalenz für Kokain von 1,2% der 15- bis 64-Jährigen, die Lebenszeitprävalenz liegt bei 5,0 %. Von 22 Ländern, die Daten an die EMCDDA übermitteln, war Kokain – zumeist in Kombination mit Opioiden konsumiert – an 13,4 % der Todesfälle durch Überdosierung beteiligt (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022, S. 22, 28).

Allgemeines/Substanzeigenschaften

Kokain ist ein Tropan-Ester-Alkaloid aus den Blättern der Eryhtroxylum-Coca-Pflanze, einem Strauch, der in den Gebirgsregionen der Anden in Südamerika beheimatet ist. Die Blätter des Strauches wurden von Ureinwohnern bereits 3000 v. Chr. aufgrund seiner stimulierenden Wirkung gekaut, um Müdigkeit und Erschöpfung vorzubeugen und die körperliche Ausdauer zu steigern (Brent 2017).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde aufbereitetes Kokain nicht nur zur Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten verwendet, sondern war auch in der frühen Rezeptur von Erfrischungsgetränken enthalten. Vor der Entwicklung synthetischer Lokalanästhetika wurde Kokain zur lokalen Schmerzblockade benutzt und findet auch heute noch begrenzt Anwendung (Akerele und Olupona 2017).
Während des Herstellungsprozesses aus der Coca-Pflanze werden zwei Formen von Kokain erzeugt, die Kokainbase „freebase“ oder „crack“ und das Kokainsalz „Kokainpulver“. Die Basenform hat einen niedrigen Schmelzpunkt (98 °C) und kann geraucht werden, das Kokainsalz hingegen ist wasserlöslich mit höherem Schmelzpunkt (195 °C) und wird intravenös oder nasal konsumiert (Ryan 2019) (Abb. 8).
Kokain wird rasch resorbiert, die Wirkdauer hängt von der Konsumart und -menge ab, nach der oralen Einnahme wird das Wirkmaximum nach 60–90 Minuten erwartet, bei einem intravenösen oder inhalativen Gebrauch wird das Wirkmaximum bereits nach 0,5–2,0 Minuten erreicht (Brent 2017). Die Halbwertszeit beträgt ca. 45–90 Minuten (Ryan 2019).

Wirkmechanismus

In der Peripherie wirkt Kokain via Natriumkanalblockade als Lokalanästhetikum. Am Myozyten kommt es – ähnliche dem Typ-Ia-Antiarrhythmikum Chinidin – zu einer Membranstabilisierung mit verringerter Inotropie. Durch den verminderten schnellen Natriumeinstrom in der kardialen Reizleitung resultiert eine Verbreiterung der QRS-Komplexe im EKG. Bei hoher Dosierung kann Kokain über eine Natriumkanalblockade in der Medulla oblongata atemdepressiv wirken. Zudem verhindert Kokain im zentralen Nervensystem die Wiederaufnahme von Norepinephrin, Dopamin und Serotonin und exzitatorischen Transmittern im synaptischen Spalt und führt damit zu einer erhöhten sympathomimetischen Aktivität sowie den gewünschten Effekten der Leistungssteigerung und Euphorie. Symptome sind in Tab. 6 dargestellt (Brent 2017).
Tab. 6
Übersicht der Wirkung von Kokain. (Ryan 2019)
Organsystem
Symptome
Kardiovaskulär
Tachykardie
EKG-Veränderungen
Neurologisch
Euphorie
Tremor
Krampfanfall/Myoklonie
Pulmonal
Hyperventilation
Gastrointestinal
Übelkeit/Erbrechen
Andere
Hyperthermie
Mydriasis
Rhabdomyolyse
Thrombosen

Symptome

Die meisten Konsumenten berichten über euphorische Zustände, eine gesteigerte Leistungsfähigkeit, verminderten Appetit und ein vermindertes Schlafbedürfnis. Nach Abklingen der Wirkung beschreiben bis zu 30 % depressive Symptome, Schlafstörungen und Gewichtsverlust (Ryan 2019).
Im Rahmen von Intoxikationen werden am häufigsten kardiopulmonale, neurologische und psychiatrische Komplikationen beobachtet. Eine kokaininduzierte arterielle Vasokonstriktion mit begleitenden Gefäßspasmen kann an jedem Organ zu ischämischen Komplikationen führen. Klinische Manifestationen sind zerebrale sowie kardiale und renale Infarkte, zentral-arterielle Verschlüsse der Retina sowie mesenteriale Ischämien. Sekundär treten Hypertension und Tachykardie auf, die den Sauerstoffverbrauch der Organe weiter steigern und die Organperfusion weiter beeinträchtigen (Brent 2017).

Therapie

Die Therapie richtet sich nach den zugrunde liegenden Komplikationen. Eine Behandlung mit Sedativa (z. B. Benzodiazepine) ist bei den häufig auftretenden Erregungszuständen angezeigt.
Bei Vorliegen von schwerwiegenden Symptomen sollten Differenzialdiagnosen, wie metabolische Störungen (z. B. Elektrolytentgleisungen) und endokrinologische Erkrankungen (z. B. Hyperthyreose, Hypo- und Hyperglykämie), ausgeschlossen und die Diagnose mittels Drogenanalytik bestätigt werden. Bei Auftreten von thorakalen Beschwerden, EKG-Veränderungen oder Herzrhythmusstörungen kann eine invasive Koronarangiografie notwendig werden.
Eine Sonderform stellt das sog. Bodypacking dar, bei dem im Rahmen von Drogentransporten meist sorgfältig verpackte Drogenpakete oral, rektal oder vaginal eingeführt werden (Abb. 9). Bei Ruptur eines Päckchens besteht akute Lebensgefahr für die Betroffenen, die meist mit schwerwiegenden Komplikationen bzw. unter Reanimation in die Klinik verbracht werden. Hier stellt die chirurgische Entfernung nach radiologischer Lokalisation der Päckchen eine Therapieoption dar. Bei noch nicht erfolgter Ruptur und beschwerdefreiem Patienten kann abhängig von den Vorerkrankungen des Patienten (Voroperationen im Gastrointestinaltrakt), dem verwendeten Verpackungsmaterial, der „gepackten“ Menge und nach radiologischer Darstellung eine gastroskopische Bergung, ein chirurgisches Vorgehen oder ein konservatives Management mit abführenden Maßnahmen eingeleitet werden.

Halluzinogene

Pilze und LSD

Im Jahr 2020 sind in Europa 1600 Sicherstellungen von LSD erfolgt, die 12-Monats-Prävalenz-Schätzung bei Erwachsenen (15–34 Jahre) wird für LSD und halluzinogene Pilze auf höchstens 1 % geschätzt (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2022, S. 41). Natürlich vorkommende halluzinogene Substanzen werden chemisch den Indolalkylaminen (IAA) zugeordnet. Es handelt sich um Analoga von 5-Hydroxytryptamin (5-HT) oder Serotonin. Bekannte Tryptamine wie das Psilocybin, das bereits in heiligen Pilzen der Azteken enthalten war, und N,N-Dimethyltryptamin (DMT), das im südamerikanischen Getränk Ayahuasca enthalten ist, werden seit der Antike für soziokulturelle und rituelle Anlässe verwendet (Araújo et al. 2015; Brent 2017).
Allgemeines/Substanzeigenschaften
Halluzinogene können anhand ihrer chemischen Struktur in drei Gruppen unterteilt werden (Brent 2017):
  • Indolalkylamine: Ähnlichkeit mit Serotonin, z. B. Psilocybin, Harmin, LSD und Ibogain.
  • Phenylethylamine: z. B. Dopamin, Adrenalin und Mescalin.
  • Arylcyclohexylamine: z. B. Ketamin und PCP.
Wirkmechanismus
Es werden mindestens drei unterschiedliche halluzinogene pharmakologische Mechanismen angenommen: Dopamin-D2-Rezeptor-Aktivierung, 5-HT2A-Rezeptor-Aktivierung und Glutamat N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor-Hemmung (NMDA). Indolalkylamine und Phenylethylamine wirken halluzinatorisch via 5-HT2A-Rezeptor-Stimulation (Brent 2017).
Symptome
Die Symptomatik und Therapie von Vergiftungen mit psilocybinhaltigen Pilzen wird im Kap. „Pilzvergiftungen“ beschrieben.

LSD

Lysergsäurediethylamid (LSD) führt zu farbenfrohen Halluzinationen und zeitlicher Desorientiertheit. Typische Symptome einer LSD-Intoxikation umfassen psychische und körperliche Effekte. Zentralnervöse Symptome überwiegen: Es zeigen sich Angstzustände, Paranoia, Panikattacken, gefährliches oder selbstschädigendes Verhalten, Halluzinationen, sensorische Missempfindungen (z. B. gestörte Farb- und Formwahrnehmung), verminderte Konzentrationsfähigkeit, Müdigkeit. Vegetativ treten Übelkeit, Schwitzen, Mydriasis, Kopfschmerzen und eine Muskelschwäche auf. Einige Fallberichte beschreiben Koma, Hyperaktivität, Krampfanfälle, visuelle und akustische Halluzinationen. Nach oralem Konsum von 2 μg/kg, wird die maximale Spitzenkonzentration nach 30–60 Minuten erreicht, die Eliminationshalbwertszeit wird mit etwa 2,5 Stunden angegeben. LSD wird gut oral resorbiert, hepatisch eliminiert und renal ausgeschieden (Brent 2017).
LSD wirkt als Partialagonist am 5-HT2A-Rezeptor und einer Subgruppe von GABA-Rezeptoren (Araújo et al. 2015).
Auch das LSD-Derivat lässt sich in seiner chemischen Struktur mannigfaltig verändern, hierdurch bedingte verlängerte Wirkdauern und -intensitäten bergen ein hohes Risiko für Intoxikationen und Folgeschäden wie Psychosen. In den Medien erlangte 1-V-LSD überraschend Aufmerksamkeit, indem es trotz 2016 in Kraft getretenem NpSG, das Rechtssystem unterlaufen und in mehreren Bundesländern via Internet zum Verkauf angeboten werden konnte (Deutsches Ärzteblatt 2022).
Therapie
Die Therapie der Patienten richtet sich nach den Symptomen.
Bei agitierten und ängstlichen Patienten sowie halluzinierenden Patienten ist eine ruhige Atmosphäre empfehlenswert. Ein Antidot existiert nicht, Unruhezustände sowie Krampfanfälle können mit Benzodiazepinen behandelt werden.

Allgemeine Therapieempfehlungen

Die initiale Therapie sollte sich stets am Zustand des Patienten orientieren und dem ABCDE-Schema folgen (Tab. 7).
Tab. 7
ABCDE-Schema. (Thim et al. 2012)
  
Untersuchung/Maßnahme
A
Airway
Atemwege freimachen
B
Breathing
Beatmung, Auskultation, Sp02-Messung, Thoraxbewegungen
C
Circulation
Kardiopulmonale Reanimation, Herzfrequenz, Blutdruck, kapilläre Rezirkulation
D
Disability
Bewusstsein, neurologischer Status, Vigilanz, Glasgow Coma Scale (GCS)
E
Exposure
Umgebende Faktoren, Einstichstellen, Temperatur, Verletzungen, Asservate
In Notfallsituationen außerhalb der Klinik sollte die Sicherung der Vitalfunktionen sowie eine symptomatische Therapie und ggf. die Einleitung einer sedierenden Therapie mittels Benzodiazepinen bei Agitation oder Aggressivität im Vordergrund stehen.
Aufgrund der von den Patienten gewünschten Psychotropie der Substanzen, dominieren bei Intoxikationen häufig neuropsychiatrische Symptome. Die Patienten können sich sowohl mit Erregungszuständen und/oder Psychosen wie auch Bewusstseinsstörungen, Koma oder mit epileptischen Anfällen präsentieren.
Bei Bewusstseinsstörungen sowie generalisierten, tonisch-klonischen Anfällen müssen stets nichtdrogenassoziierte Ursachen (z. B. intrazerebrale Blutungen, ZNS-entzündliche Erkrankungen) ausgeschlossen werden.
Insgesamt empfiehlt sich eine EKG-Kontrolle, das Monitoring der Vitalfunktionen, die Abnahme und Kontrolle von Laborwerten (Elektrolyte, Leber-, Nierenwerte, Gerinnungsdiagnostik), Entzündungsparametern, CK (Ausschluss Rhabdomyolyse), Blutzucker, eine Urinanalytik und ein toxikologisches Screening sowie ein Alkoholspiegel.
Antidota als spezifische Therapie spielen bei der Behandlung von Intoxikationen mit Opioiden (Naloxon), Benzodiazepinen (Flumazenil) sowie anticholinergen Substanzen (Physostigmin) eine bedeutende Rolle. Vor Anwendung sollten auch die Nebenwirkungen (Auslösung von Entzugssyndromen, Krampfanfällen, Herzrhythmusstörungen und pulmonalen Komplikationen) sowie eventuell vorliegende Kontraindikationen (allergische Reaktionen, bekannte Epilepsie, QTc-Zeit-Verlängerung u. v. m.) Beachtung finden (Arens und Kearney 2019; Caffrey und Lank 2017; Penninga et al. 2016).
Bei Auftreten einer Hyperthermie sollte eine aggressive externe Kühlung erfolgen. Bei nicht kontrollierbarer Hyperthermie kann als Ultima Ratio ggf. auch eine Muskelrelaxierung mit Dantrolen notwendig werden (Tormoehlen und Rusyniak 2018).
Eine toxikologische Analytik bzw. die Asservierung von Proben für eine anschließende Analytik (EDTA, Serum, Urin) ist vor Einleitung einer Therapie anzustreben. Neuere psychoaktive Substanzen (NPS) können in der gängigen Analytik bzw. im Drogenschnelltest nicht zuverlässig detektiert werden. In Einzelfällen macht der Nachweis dieser Substanzen in einem spezialisierten Laborzentrum bzw. in einem rechtsmedizinischen Institut Sinn, u. a. bei forensischen Fragestellungen oder bei schweren Vergiftungen.

Zusammenfassung

Die Vielfältigkeit der auf dem Drogenmarkt kursierenden Substanzen stellt sowohl die Konsumierenden als auch die Behandler vor stetig neue Herausforderungen. Laut europäischem Drogenbericht zeigten die sichergestellten Substanzen einen zunehmenden Reinheitsgrad sowie Wirkstoffgehalt. Das vielfältige Angebot führt zu einem polyvalenten Drogenkonsum und den damit verbundenen, akuten und chronischen Folgeschäden. Die zunehmende Bedeutung von synthetischen Substanzen erfordert eine Weiterentwicklung der forensischen und toxikologischen Ressourcen zur Drogendetektion, um Substanzen zu erkennen und Wechselwirkungen zu verstehen (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction 2021).
Sowohl Therapeuten wie auch betroffene Patienten sollten für die unkontrollierte Wirkweise, die variablen Wirkstoffkonzentrationen und die z. T. fehldeklarierten neuen psychoaktiven Substanzen sensibilisiert werden, um Konsumkomplikationen zu vermeiden.
In einigen europäischen Ländern, u. a. der Schweiz, Österreich und den Niederlanden, existieren Kompetenzzentren für Konsumenten von „Freizeitdrogen“ z. B. mit dem Namen „Checkit!“. Diese bieten neben einer persönlichen Beratung auch eine Telefon- und Onlineberatung an und geben wertvolle Informationen zum Thema Drogen. Neben dem umfassenden Informations- und Beratungsangebot, werden „Drug-Checking-Termine“ angeboten, die es den Konsumenten ermöglichen, erworbene Substanzen analysieren zu lassen. In der Vergangenheit konnten damit bereits synthetische Opioide mit hohem Wirkpotenzial identifiziert und die Verbraucher vor dem Konsum sowie Überdosierungen gewarnt werden.
In Deutschland ist eine Drogenanalytik in einigen Apotheken gegen Bezahlung möglich, zudem befindet sich eine europäische Datenbank für Drug-Checking-Ergebnisse im Aufbau (Trans European Drug Information – TEDI).
Dem Ausbau der Präventionsmaßnahmen und Informationszentren kommt in Zukunft mehr Bedeutung zu.
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