Mit dem Anbau von Weizen in Mesopotamien und der Möglichkeit, dieses energiereiche Nahrungsprodukt zu lagern, begann nicht nur die Urbanisierung, sondern auch die Ausbreitung des Weizens (aber auch der genetisch disponierenden HLA-Antigene) über Kleinasien nach Europa. Der Begriff
Zöliakie (Synonym: glutensensitive Enteropathie) wurde von den Griechen geprägt („koilia“, die bauchige Krankheit), denen die Krankheit bekannt war (Aretaeus von Kappadozien, 2. Jh. n. Chr.). Im Erwachsenenalter wird die Zöliakie auch Sprue genannt (von Sprouw, niederländisch Schwamm, im weiteren Sinn Bläschen bzw. Aphthe). S. J. Gee (London, 1888) lieferte eine exakte Beschreibung des Krankheitsbildes („coeliac affection“). O. Heubner (Berlin, 1909) sprach von intestinalem Infantilismus und erkannte bereits, dass die Erkrankung durch eine Entzündung der Darmschleimhaut hervorgerufen wird. 1928 erzielte G. Fanconi (Zürich) mit seiner „Frucht-Gemüse-Diät“ in Anlehnung an das Bircher-Müsli erste Behandlungserfolge dieser bis dahin mit einer hohen Letalität behafteten Erkrankung. Der Durchbruch gelang 1940 K. W. Dicke (Utrecht), der im 2. Weltkrieg im Rahmen von Brotrationierungen den toxischen Effekt von Weizen, Roggen, Gerste und Hafer erkannte und damit erstmalig die Therapie einer spezifischen Erkrankung durch eine gezielte Diät unter Beweis stellte. L. W. Paulley (Ipswich) beschrieb 1954 die Zottenatrophie der Dünndarmschleimhaut bei Zöliakiepatienten und E. Berger (Basel) 1958 erstmalig mit der Zöliakie assoziierte
Antikörper. 1997 wurde als Autoantigen der Erkrankung die Gewebstransglutaminase 2 von der Arbeitsgruppe D. Schuppan (Berlin) beschrieben. 2012 wurden die 3. diagnostischen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) veröffentlicht.
Der Nutzen der glutenfreien Ernährung zur Vermeidung des
Diabetes mellitus Typ 1 oder anderer Autoimmunerkrankungen wird anhand der vorliegenden Studien kontrovers diskutiert. Bei den oben genannten Erkrankungen sollte ebenso wie bei erstgradigen Verwandten von Zöliakiepatienten ein serologisches Screening der
Zöliakie durchgeführt werden. Sind diese „Risikopatienten“ HLA-DQ2/8-negativ, ist ein serologisches Screening nicht erforderlich – zumindest solange keine zöliakietypische Symptomatik besteht. Weitere Gründe für ein serologisches Zöliakiescreening sind die nichtalimentär bedingte
Eisenmangelanämie, das
Reizdarmsyndrom,
Osteoporose, Infertilität und
Kleinwuchs, wenn die Genese dieser Erkrankungen unklar ist.
Therapie
Die glutenfreie Ernährung ist die Therapie der Wahl – nicht nur der klassischen
Zöliakie, sondern auch der mono-/oligosymptomatischen und atypischen Zöliakie. Sie ist nebenwirkungsfrei, d. h. es entstehen unter korrekter Durchführung auch unter längerfristiger Therapie und bei Kleinkindern keine Mangelzustände. Das bei der klassischen Zöliakie und der
Dermatitis herpetiformis Duhring beschriebene Malignomrisiko kann bei einer lebenslangen und strikten glutenfreien Ernährungsweise vermieden werden. Es gibt Hinweise, dass dies auch für oligosymptomatische Formen gilt. Da diese Therapie keinen kurativen Charakter hat, ist sie bei sicherer Diagnose lebenslang durchzuführen.
Verboten für den Zöliakiepatienten sind alle Nahrungsprodukte, die Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Kamut, Emmer, Einkorn, Dinkel und Grünkern enthalten. Dazu zählen u. a. Back- und Teigwaren wie Brot, Kuchen, Gebäck, Mehl, Grieß, Graupen, Nudeln, Müsli, Paniermehl, Vollkorn, Malzkaffee, Malzbier, Bier, Pudding, Fertigprodukte, gefüllte Schokolade und Wurstwaren. Grundsätzlich sind alle industriell verarbeiteten Fertigprodukte auf Glutenfreiheit zu prüfen. Glutenfrei sind viele Grundnahrungsmittel, sodass eine abwechslungsreiche Ernährungsweise im Rahmen einer glutenfreien Diät möglich ist. Glutenfrei sind u. a. Mais, Hirse, Reis, Wildreis, Soja, Sesam, Milch, Butter, die meisten Käsesorten, Margarine, Eier, Kartoffeln, Fleisch, Fisch, Obst, Gemüse, Tee, Säfte Fette, Öle, Quinoa, Amaranth, Alkohol, Essig, Maltodextrin, Teff, Kastanienmehl und Buchweizen.
Hafer zeichnet sich im Vergleich zu Gerste, Roggen und Weizen durch eine geringere Toxizität aus. Käuflicher Hafer wird bei der Herstellung oft mit Weizen verunreinigt. Hafer ist geeignet, aufgrund seines Geschmacks und seines Gehaltes an Fasern und B-Vitaminen, die Ernährung eines Patienten mit
Zöliakie zu bereichern. Nicht kontaminierter Hafer wird in Leitlinien unter ärztlicher Verlaufskontrolle der Zöliakiepatienten erlaubt. Nach Einschätzung des Autors sind jedoch die meisten Studien, die eine Unbedenklichkeit des Hafers in der glutenfreien Ernährungsweise des Zöliakiepatienten nahelegen, unbefriedigend (geringe Zahl der Studienteilnehmer, überwiegend Erwachsene, begrenzte Belastungsdauer, Hafermenge gering bzw. nicht kontrolliert, große Zahl von Studienaussteigern, Mangel an doppelblind placebokontrollierten Studien).
In Deutschland besteht seit 2006 eine EU-Kennzeichnungspflicht für glutenhaltige Nahrungsmittel. Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft (DZG) stellt Listen zur Verfügung, in denen die einzelnen Nahrungsprodukte auf ihren Glutengehalt geprüft wurden. Ab einer täglichen Zufuhr von 10–100 mg
Gluten („Toleranzschwelle“) wurden bei Zöliakiepatienten intestinale Toxizitätszeichen beschrieben. Im Codex alimentarius wurde 2008 der Glutenanteil in „glutenfreier“ Nahrung auf 20
ppm, d. h. 2 mg Gluten pro 100 g Lebensmittel, begrenzt. Glutenfreie Nahrungsmittel dürfen Prima-Weizenstärke enthalten. Sekunda-Weizenstärke hat mit einem Proteinanteil von bis zu 5 % einen nichttolerablen Glutenanteil und muss entsprechend in der Zutatenliste gekennzeichnet werden.
Die klinische Erholung nach Beginn einer glutenfreien Ernährung beginnt bereits nach 1–2 Wochen. Der Durchfall normalisiert sich innerhalb weniger Wochen, die Regeneration der Mukosa kann bis zu 1 Jahr und mehr dauern, ein positiver Effekt bei Wachstumsretardierung ist im optimalen Fall nach 1 Jahr Diät zu erkennen. Die Diätcompliance liegt bei symptomatischen Kindern bis zur
Pubertät bei 60–70 % und bei Kindern mit silenter
Zöliakie bei weniger als 20 %. Die Mitgliedschaft in der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) hat einen positiven Einfluss auf die Einhaltung der Diät.
Bleibt die klassische
Zöliakie unbehandelt, so ist das Malignomrisiko bis zum Faktor 3 erhöht, auch bei der unbehandelten
Dermatitis herpetiformis besteht ein erhöhtes Malignomrisiko. Beide können bei strikter lebenslanger Diät vermieden werden. Die glutenfreie Diät hat auf die
Osteoporose einen sehr günstigen Effekt. Ob die anderen Langzeitkomplikationen (inkl.
Lebensqualität, Infertilität, Autoimmunerkrankungen, Mortalität) bei nichtklassischen Zöliakieformen durch eine glutenfreie Diät positiv beeinflusst werden, muss noch in weiteren Studien bestätigt werden.
Patienten, die sowohl an einer
Zöliakie als auch an einem
Diabetes Typ 1 leiden, zeigen bei strikter Einhaltung der glutenfreien Diät weniger Beschwerden, eine bessere Entwicklung von Gewicht und Wachstum, bessere Eisenspeicher, einen vermehrten Bedarf an
Insulin (aufgrund der Rückbildung der Malabsorption), einen niedrigeren HbA1c-Wert und weniger
Hypoglykämien.