Speziell bei chronisch kranken oder geriatrischen Patienten
in schlechtem Ernährungszustand ist die Letalität erhöht [
2]. Eine längere Reduktion der Proteinzufuhr verschlechtert die postoperative Wundheilung
und ist mit einer höheren Inzidenz von Infektionen oder der Insuffizienz von Anastomosen
assoziiert.
Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen der Plasmakonzentration von
Albumin als Marker des Proteinstoffwechsels und klinischem Verlauf: eine Plasmaalbuminkonzentration
<3,5°g/dl war mit einer 4-fachen Steigerung der Mortalität verbunden [
11]. Bei chronisch kranken Patienten war eine Plasmaalbuminkonzentration <3,0 g/dl (bzw. <2,0 g/dl) mit einer 30-Tage-Letalität von 24 % (bzw. 62 %) assoziiert [
10].
Diese Korrelation gilt jedoch nur sehr eingeschränkt für kritisch kranke Patienten, bei denen niedrige Plasmaalbuminkonzentrationen oft mehr Ausdruck der systemischen Inflammation und nicht etwa einer inadäquaten Proteinzufuhr sind: Während des Stressstoffwechsels findet ein Wechsel des Schwerpunktes der Proteinsynthese weg von Transportproteinen wie
Albumin und hin zu
Akute-Phase-Proteinen wie z. B. CRP, Proteinaseninhibitoren,
Komplement und
Fibrinogen statt.
Bedeutung der präoperativen Ernährungstherapie
Generell gilt heute das „Enhanced recovery after surgery“ (ERAS)-Konzept [
http://erassociety.org] als perioperativer Standard zur Verbesserung der Rehabilitation nach (abdominal)chirurgischen Eingriffen. Zentrale Aspekte dieses interdisziplinären perioperativen Konzepts sind u. a. die Einbeziehung der Ernährung in das therapeutische Gesamtmanagement mit Screening und Erfassung des metabolischen Risikos bereits bei Krankenhausaufnahme, Vermeidung längerer präoperativer Nüchternheitsperioden und zeitnahe Wiederaufnahme der postoperativen Nahrungszufuhr, Monitoring und Verminderung von Stressfaktoren z. B. durch suffiziente Analgesie sowie frühe Mobilisation. Dieses Konzept hat insbesondere bei bereits präoperativ bestehenden ernährungsmedizinischem Defiziten und großen Eingriffen im oberen Gastrointestinaltrakt seinen Stellenwert, wobei eine präoperativ begonnene Ernährungstherapie bei schwer mangelernährten Patienten mit einer geringeren postoperativen Komplikationsrate assoziiert ist [
12].
Patienten mit diagnostizierter schwerer Mangelernährung sind präoperativ frühzeitig einem Ernährungsteam konsiliarisch vorzustellen.
Der Zeitpunkt für einen geplanten operativen Eingriff ist gemeinsam mit dem Operateur sorgfältig zu wählen. Elektive Eingriffe müssen zugunsten einer präoperativen Ernährungstherapie verschoben werden.
So sollen Patienten mit schwerem metabolischem Risiko – nicht zuletzt im Sinne des ERAS-Konzepts – entsprechend den Empfehlungen der aktuellen S3-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Chirurgie“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) bereits präoperativ eine Ernährungstherapie erhalten, selbst wenn die Operation verschoben werden muss (Evidenzgrad A) [
13].
Insbesondere bei Tumorpatienten vermindert eine präoperative Ernährungstherapie die postoperative Letalität [
9].
Die meisten dieser Untersuchungen wurden während einer Zeit durchgeführt, in der fast ausschließlich parenteral ernährt wurde. Im Gegensatz dazu hat sich in den letzten Jahren die enterale Ernährung
mit dem Ziel der Vermeidung einer Zottenatrophie des Darms und konsekutiver bakterieller Translokation durchgesetzt. Es ist zu erwarten, dass der Einsatz einer enteralen Ernährungstherapie und evtl. Immunonutrition die perioperative Morbidität weiter reduziert (Kap.
Parenterale und enterale Ernährung).
Aktuelle Leitlinien empfehlen bei schwerer Mangelernährung, die Indikation zu einer präoperativen, möglichst enteralen Ernährungstherapie für mindestens 8Tage oder bis zu einer Normalisierung des kolloid-osmotischen Drucks großzügig zu stellen.
Anästhesiologisches Management
Das spezielle anästhesiologische Management basiert auf den im Jahre 2016 publizierten Empfehlungen der ERAS-Gesellschaft [
3]. Hier finden neben den bereits erwähnten zentralen Aspekten des ERAS-Konzepts
als weitere Bestandteile die Durchführung einer aggressiven Präventionsstrategie von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV), das standardisierte intraoperative hämodynamische und metabolische Monitoring (Flüssigkeitssubstitution und Glukosemanagement) bzw. das Monitoring der Narkosetiefe und neuromuskulären Blockade Beachtung sowie die intra- bzw.
postoperative Schmerztherapie.
Bei der präoperativen Visite speziell von anorektischen Patienten sollte auf Hinweise einer Bulimie und eines Laxanzien- und Diuretikaabusus geachtet werden.
Bereits die kurzfristige Einnahme von Appetitzüglern
, speziell von Fenfluramin,
ist häufig mit Klappeninsuffizienzen und
pulmonaler Hypertonie assoziiert [
6].
Bei schwerer Mangelernährung muss aufgrund eines schlechten Zahnstatus mit einer erhöhten Gefahr von Zahnschäden gerechnet werden.
Aufgrund der meist verzögerten Magenentleerung
ist die Indikation zur Anlage einer Magensonde und zu einer
Rapid Sequence Induction (RSI)
großzügig zu stellen.
Bei einer rückenmarknahen Anästhesie
kann eine
Hypovolämie und ein veränderter Vasomotorentonus zu ausgeprägten Hypotonien führen.
Bei hypoproteinämen Patienten muss die Volumenzufuhr vorsichtig erfolgen, da aufgrund des vermehrten extravaskulären Lungenwassers der pulmonale Gasaustausch eingeschränkt sein kann.
Aufgrund der veränderten Insulinantwort
ist perioperativ die Plasmakonzentration von
Glukose regelmäßig zu messen.
Eine intraoperative Temperaturmessung sollte aufgrund der Hypothermieneigung auch bei kurzen Eingriffen durchgeführt werden.
Bei einer längerdauernden postoperativen
Beatmung ist zu bedenken, dass die Problematik einer nosokomialen
Pneumonie und eines Weaningversagens vom Respirator bei diesen Patienten mit jedem Beatmungstag überproportional wächst.