Skip to main content
Klinische Neurologie
Info
Publiziert am: 12.05.2018

Neurologische Alkoholfolgeerkrankungen

Verfasst von: Andreas Ferbert
In Deutschland sind etwa 2–2,5 Mio. Menschen alkoholkrank, d. h., sie zeigen ein abnormes Trinkverhalten und eine psychische Abhängigkeit mit Kontrollverlust und Verengung des Denkens sowie eine Toleranzsteigerung. Bei Alkoholkarenz führen dann die körperlichen Entzugssymptome oft zur klinischen Diagnose. Die soziale Position ist im Frühstadium häufig noch nicht gefährdet, das Vollbild ist allerdings nicht mit einer normalen Lebensführung zu vereinbaren. Zur Suchtproblematik und Therapie verweisen wir auf die psychiatrische Literatur. Jährlich sterben etwa 50.000 Menschen an den Folgen des Alkoholismus. Die Ursachen sind neben den internistischen Komplikationen (z. B. Leberschädigung, Ulkus, Zieve-Syndrom, Pankreatitis, Kardiomyopathie) die neurologischen Folgeerkrankungen, die etwa bei jedem fünften Patienten auftreten. Am häufigsten ist das Alkoholentzugsdelir; etwa 15 % der Erkrankten machen während ihrer Suchtkarriere einmal oder mehrfach diesen potenziell lebensbedrohlichen Zustand durch.
In Deutschland sind etwa 2–2,5 Mio. Menschen alkoholkrank, d. h., sie zeigen ein abnormes Trinkverhalten und eine psychische Abhängigkeit mit Kontrollverlust und Verengung des Denkens sowie eine Toleranzsteigerung. Bei Alkoholkarenz führen dann die körperlichen Entzugssymptome oft zur klinischen Diagnose. Die soziale Position ist im Frühstadium häufig noch nicht gefährdet, das Vollbild ist allerdings nicht mit einer normalen Lebensführung zu vereinbaren. Zur Suchtproblematik und Therapie verweisen wir auf die psychiatrische Literatur. Jährlich sterben etwa 50.000 Menschen an den Folgen des Alkoholismus. Die Ursachen sind neben den internistischen Komplikationen (z. B. Leberschädigung, Ulkus, Zieve-Syndrom, Pankreatitis, Kardiomyopathie) die neurologischen Folgeerkrankungen, die etwa bei jedem fünften Patienten auftreten. Am häufigsten ist das Alkoholentzugsdelir; etwa 15 % der Erkrankten machen während ihrer Suchtkarriere einmal oder mehrfach diesen potenziell lebensbedrohlichen Zustand durch.
Pathophysiologie
Der (Ethyl-)Alkohol wird in Hepatozyten, Lunge und Nieren durch die Alkoholdehydrogenase und durch mischfunktionelle Oxygenasen zu dem stark zytotoxischen Acetaldehyd oxidiert, das nur z. T. zu Acetat weiteroxidiert und damit eliminiert werden kann. Acetaldehyd kondensiert außerdem z. B. mit Serotonin, Adrenalin und Noradrenalin zu morphinähnlichen Alkaloiden, die zur Suchtentwicklung beitragen. Dieser Prozess wird durch im Einzelnen noch unklare Interaktionen mit dem GABA- und Benzodiazepinrezeptor sowie durch eine wahrscheinlich euphorisierende Dopaminfreisetzung gefördert. Es besteht daher kein einzelnes Rezeptor- oder Transmittersystem für Alkohol, wodurch eine medikamentöse Antagonisierung erschwert wird. Die Alkoholresorption wird durch Wärme, Zusatz von Zucker und/oder Kohlensäure beschleunigt, der Abbau kann durch Fruktose und Vitamin C gefördert werden. Speziell die Leber und damit indirekt die Synthese- und Entgiftungsleistung des Körpers wird sekundär noch durch die im handelsüblichen Alkohol immer enthaltenen Fuselöle und Formaldehyd beeinträchtigt. Die bei fortgeschrittenem Alkoholismus praktisch immer zu beobachtende Mangelernährung v. a. mit B-Hypovitaminosen ist multikausal bedingt: Durch einseitige Ernährung werden einerseits zu wenig Vitamine und Spurenelemente zugeführt, andererseits ist durch den Alkohol der Bedarf gesteigert. Wegen der meist bestehenden gastrointestinalen Probleme (z. B. Erbrechen, Antrumgastritis) werden darüber hinaus sämtliche Vitamine vermindert resorbiert und durch den Leberschaden ungenügend verstoffwechselt.
Die Neurotoxizität des Alkohols ist noch nicht pathophysiologisch geklärt; wahrscheinlich wird sie u. a. durch Freisetzung von Stickstoff- und Sauerstoffradikalen mit nachfolgender Störung der Atmungskette, der Aktivierung von neuronaler Apoptose, nutritiv bedingtem Mangel von Spurenelementen wie Zink und anderen Mechanismen vermittelt.

Alkoholfolgeerkrankungen des zentralen Nervensystems

Alkoholrausch

Einfacher Rausch
Bei einer akuten Alkoholintoxikation kommt es unter einem sehr variablen klinischen Bild zu einer reversiblen exogenen Psychose mit Minderung der Selbstkontrolle und -kritik, Stimulation und Enthemmung sowie einer Euphorie oder auch Depression. Bei höheren Blutalkoholspiegeln (>2,0 ‰) treten Zeichen einer vestibulozerebellären Funktionsstörung mit (Rumpf-)Ataxie, Dysarthrie und Nystagmus sowie eine Bewusstseinsstörung bis hin zum Koma auf, die in der Notfallsituation die Abgrenzung gegenüber einem (zusätzlich vorliegenden) Schädel-Hirn-Trauma, einer intrazerebralen Blutung oder einer Intoxikation mit einer weiteren Substanz erforderlich machen kann. Ist dies ausgeschlossen, so ist meist keine spezifische Therapie erforderlich, und der Spontanverlauf kann unter Beobachtung abgewartet werden. Bei Erregungszuständen sollten keine Benzodiazepine, sondern Neuroleptika wie Haloperidol (5–10 mg i.v.) gegeben werden. Bei exzessiv erhöhten Blutalkoholspiegeln kann eine Hämodialyse unter intensivmedizinischen Bedingungen indiziert sein.
Pathologischer Rausch
Bei diesem sehr seltenen Krankheitsbild kommt es bereits nach Genuss von sehr kleinen Mengen Alkohol zu einem abrupt einsetzenden, maximal eine Stunde anhaltenden Erregungs- oder auch Dämmerzustand mit Sinnestäuschungen, für den insbesondere sonst persönlichkeitsfremde Gewalthandlungen pathognomonisch sind. In der Regel verbleibt eine anterograde Amnesie, zerebelläre Zeichen fehlen völlig. Die Ursache ist eine verminderte Alkoholtoleranz, wie sie z. B. nach Schädel-Hirn-Traumata, Enzephalitiden, internistischen Erkrankungen, aber auch bei körperlicher oder geistiger Erschöpfung auftritt. Wegen der kurzen Dauer ist meist keine Therapie möglich bzw. nötig. Im Einzelfall kann die Diagnose von großer forensischer Bedeutung sein, und sie ist nicht immer problemlos von komplex-partiellen Anfällen, einer psychischen Belastungsreaktion oder auch von bewusster Simulation abzugrenzen.

Epileptische Anfälle

Bei bekanntem Alkoholismus ist ein Grand-Mal-Anfall manchmal erstes Symptom eines Entzugs und markiert bei fortgesetzter Abstinenz meist den Beginn eines Delirs. Insbesondere im Delir treten Grand-Mal-Anfälle sehr häufig auf. Die Verhaltensmaßregeln beim einzelnen Anfall entsprechen denen generalisierter Anfälle im Allgemeinen, bei postiktal auftretenden Zeichen eines Prädelirs/Delirs wird jedoch eine symptomatische Delirbehandlung notwendig, die mit einer antikonvulsiven Behandlung einhergeht. Es muss jedoch auch an seltenere alkoholassoziierte Erkrankungen wie z. B. das Marchiafava-Bignami-Syndrom gedacht werden, deren Erstmanifestation Krampfanfälle sein können.
Die alkoholbedingte Spätepilepsie nach jahre- bis jahrzehntelangem Alkoholabusus ist am ehesten durch eine diffuse Hirnparenchymschädigung bedingt. Eine antikonvulsive Therapie ist nur bei strikter Alkoholabstinenz sinnvoll, da nur dann eine ausreichende Compliance mit regelmäßiger Einnahme und ärztlicher Überwachung gewährleistet ist, eine Verschlechterung der Leberfunktion mit konsekutiver hepatischer Enzephalopathie weniger wahrscheinlich ist und die alkoholbedingte Hirnatrophie evtl. reversibel, unter Abstinenz zumindest nicht progredient ist. In der Praxis ist zum Zeitpunkt der Spätepilepsie aber meist eine strikte Abstinenz des Patienten nicht mehr zu erzielen.

Alkoholentzugsdelir

Bei jedem Delir, gleich welcher Ätiologie, handelt es sich stets um einen potenziell lebensbedrohlichen Zustand. Neben dem Alkoholentzug sind als auslösende Faktoren das Absetzen von Sedativa, Parkinson-Therapeutika, Kortikosteroiden, Antibiotika und andere bekannt (s. Übersicht); die Symptomatik lässt kaum Rückschlüsse auf das auslösende Agens zu. Das Alkohol(entzugs)delir wird nach plötzlicher Abstinenz (z. B. bei Unfällen oder Erkrankungen) oder durch relativen Alkoholentzug bei Infektionskrankheiten nach 2–3 Tagen bei zugrunde liegendem, mindestens monatelangem Alkoholabusus hervorgerufen und es wird von bis zu 15 % aller Alkoholiker einmal durchgemacht.
Delirauslösende Medikamente
Pathogenese
Bei fehlenden neuroradiologischen und -pathologischen Veränderungen liegt dem Delir eine komplexe Neuropathophysiologie zugrunde: Normalerweise hemmt Alkohol über GABA-/Benzodiazepin-Rezeptoren noradrenerge Zellgruppen v. a. im Locus coeruleus. Das plötzliche Ende dieser Inhibition erzeugt eine sympathische Überaktivität sowie eine Hypersensibilität der Noradrenalinrezeptoren. Durch den ebenfalls plötzlich fehlenden modulierenden Einfluss des Alkohols auf Ionenkanäle werden weitere exzitatorische Mechanismen via Katecholamine und NMDA-Rezeptoren aktiviert sowie hemmende Rezeptoren in ihrer Funktion gestört. Darüber hinaus wird durch längeren Alkoholkonsum und rezidivierende „kleine“ Entzüge ein sog. „Kindling“ erzeugt, bei dem eine chronische Sensibilisierung gegen Alkohol v. a. im limbischen System entsteht. Weitere, z. T. in ihrem Einfluss noch unklare Faktoren sind Elektrolytverschiebungen (z. B. Magnesium) sowie ein Anstieg der Serumammoniakkonzentration. Im Zentrum der Pathophysiologie steht jedoch der GABA-/Benzodiazepin-Rezeptor, auf dessen medikamentöse Beeinflussung sich auch die meisten Behandlungskonzepte stützen.
Klinik
Der „Noradrenalinsturm“ erklärt viele der sympathisch bedingten Symptome während der Entwicklung zum Vollbild des Delirs.
Früh weisen die Patienten einen mittelfrequenten Tremor (6–8/s), eine Tachykardie, Hypertonie, Mydriasis, Hyperhidrosis und Schlaflosigkeit auf, die beim manifesten Alkoholismus morgendliche Anzeichen des Entzugs darstellen. Meist verbleiben die Patienten in diesem vegetativen Entzugssyndrom ohne psychopathologische Auffälligkeiten; einige entwickeln allerdings, sofern dann kein Alkohol konsumiert wird, das Vollbild eines Delirs mit Verstärkung der vegetativen Symptome, zusätzlicher Angst und kurzen visuellen/taktilen Halluzinationen. In dieser Phase treten in etwa einem Drittel der Fälle Entzugs-Grand-Mal-Anfälle auf, die meist zur stationären Aufnahme führen. Weiterhin werden zeitliche und örtliche Desorientiertheit, psychomotorische Erregung mit Perseverieren von vertrauten Handlungen (z. B. berufsbezogen Hämmern und Schrauben), ein starker Tremor, der bei Intentionsbewegungen oder auch bei passivem Festhalten zunimmt, sowie Halluzinationen, die bevorzugt kleine bewegliche Objekte zum Inhalt haben (Mäuse, Käfer) beobachtet. Charakteristisch ist in diesem Stadium die gesteigerte Suggestibilität, wenn z. B. nicht existente Fäden gehalten oder Texte von einem leeren Blatt Papier abgelesen werden. Die vegetative Symptomatik nimmt im weiteren Verlauf zu und kann durch Hyperthermie, Hyperhidrosis, Blutdruckschwankungen sowie Tachykardie zum Herz-Kreislauf-Versagen führen.
Neben diesem typischen „hyperaktiven“ Delir wird auch ein „hypoaktives“ diskutiert, das bei den häufig zu beobachtenden Symptomfluktuationen eine Extremform darstellen soll (Jost et al. 1992). Hierbei sind eher Bewegungsarmut und wenig vegetative Symptomatik zu beobachten; die Halluzinationen dagegen sind vorhanden, wenn auch vom Patienten nicht so eindrücklich geschildert. Eine Hauptkomplikation ist neben der Dekompensation des Herz-Kreislauf-Systems oder anderer sekundärer internistischer Probleme der Übergang in eine Korsakow-Psychose.
Das Delir dauert in der Regel 3–10 Tage und endet mit einem Terminalschlaf. Die Letalität betrug früher (unbehandelt) bis zu 30 %, heute versterben unter intensivmedizinischer Betreuung noch etwa 0,5–5 % der Patienten.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch sind stets sorgfältig auch bei gut bekannter Alkoholanamnese andere Ursachen von Bewusstseinstrübungen auszuschließen, die Ursache oder Folge des Delirs sein können und durch dieses verdeckt werden: Intrazerebrale Blutungen oder subdurale Hämatome sind bei Alkoholikern überdurchschnittlich häufig und können zur Entwicklung eines Delirs beitragen. Eine Meningitis, Sepsis oder Herpesenzephalitis, Hypoxie, Fettembolien, metabolische Störungen oder auch die Subarachnoidalblutung mit Vasospasmen beim älteren Menschen können ein delirantes Syndrom hervorrufen. Nicht zuletzt ist auch eine Dämmerattacke bei Temporallappenepilepsie zu erwägen, die mit einer deutlichen vegetativen Symptomatik einhergehen kann.
Therapie
Die früher praktizierte „Alkoholsubstitutionstherapie“ ist aus präventiv-ethischen Gründen obsolet. Es existiert bis heute allerdings kein allgemein akzeptierter Therapiestandard, sondern nur (regional unterschiedliche) Empfehlungen, die allesamt unter dem Mangel an gut kontrollierten, randomisierten und doppelblinden Studien leiden. Diese fehlen, weil der Begriff Delir international recht unscharf gefasst ist, gute Scores zur klinischen Beurteilung nicht zur Verfügung stehen, die Patienten häufig multimorbide sind und eine Medikamentenprüfung gegen Placebo ethisch nicht zu rechtfertigen ist.
Therapieempfehlungen
  • In allen Fällen Durchführung von:
    • Stressulkusprophylaxe, Flüssigkeitszufuhr (Elektrolytkontrollen!), Vitamin B1 i.v.
    • intensivmedizinischer Betreuung mit Monitoring von EKG/RR und Atemfunktion
    • regelmäßigen Kontrollen von CK, GOT, GPT, Elektrolyten, Gerinnung
  • Beim leichten/mittelschweren Delir:
    • Clomethiazol p.o. initial 2–4 Kapseln, dann alle 1–2 h 2 Kapseln (bis 24 Kapseln/24 h)
  • Beim schweren Delir
    • Diazepam plus Haloperidol
    • Oder Midazolam plus Haloperidoi
    • Fakultativ zusätzlich Clonidin initial 0,025 mg i.v. pro Stunde, ev. erhöhen
    • Bei therapierefraktären Fällen: Propofol
  • Bei kardiopulmonalen Vorerkrankungen:
    • Benzodiazepine, initial 10 mg Diazepam i.v., dann 20 mg/6 h
    • Auf Aspiration achten! Patient muss erweckbar bleiben!
  • Bei Lebererkankungen:
    • Lorazepam/Oxazepam
    • Eventuell β-Blocker/Clonidin bei Tachykardie/Hypertonie
    • Am 2. Tag jeweils vorsichtige Dosisreduktion möglich!
Während ein unkompliziertes vegetatives Entzugssyndrom auch auf einer Normalstation unter Überwachung medikamentös behandelbar ist, muss das Vollbild eines Delirs stets intensivmedizinisch betreut werden.
Zu den allgemeinen Maßnahmen zählt neben der Stressulkusprophylaxe die reichliche Flüssigkeitszufuhr, da der Patient durch vermehrtes Schwitzen bei der oft erheblichen Hyperthermie einen stark erhöhten Flüssigkeitsbedarf aufweist. Damit gehen oft Elektrolytstörungen einher, deren Korrektur behutsam erfolgen sollte (Cave: zentrale pontine Myelinolyse). Die prophylaktische Gabe von Magnesium oral oder intravenös unter Serumspiegelkontrolle soll zur Kupierung eines leicht ausgeprägten Delirs bereits ausreichen. Zur Prophylaxe einer Wernicke-Enzephalopathie muss eine parenterale Substitution von Vitamin B1 erfolgen; bei häufig bestehenden gastrointestinalen Erkrankungen ist die orale Applikation zu unsicher. Tachykardie und Tremor können symptomatisch mit β-Blockern behandelt werden.
Vor allem bei medikamentöser Therapie muss eine ständige EKG-Ableitung sowie die Kontrolle der Atemfunktion gewährleistet sein.
Die Kreatinkinase als Indikator einer ablaufenden Rhabdomyolyse durch vermehrte Muskeltätigkeit oder bei Grand-Mal-Anfällen sollte ebenso wie Elektrolyte, Leberenzyme und Gerinnungsparameter täglich bestimmt werden. Die häufig mit Alkoholismus assoziierten internistischen Erkrankungen (Gastritis, Pankreatitis, Gerinnungsstörungen, Kardiomyopathie u. a.) können ebenso wie traumatisch bedingte Komplikationen (Rippenfrakturen mit Pneumothorax, Schädel-Hirn-Trauma) die Prognose ungünstig beeinflussen.
Clomethiazol
In Deutschland gilt zur Behandlung des mittelschweren und schweren Delirs allgemein Clomethiazol als Medikament der ersten Wahl, insbesondere wenn keine kardiovaskulären Erkrankungen vorliegen und bereits früher einmal ein Delir durchgemacht wurde. Es sollte wegen seines eigenen Suchtpotenzials nur stationär und über maximal 3 Wochen gegeben werden. Es wirkt antikonvulsiv, antiadrenerg, anxiolytisch und sedierend. Aufgrund seiner kurzen Wirkdauer ist es gut steuerbar: Man gibt oral initial 2–4 Kapseln und dann alle 1–2 h 2 Kapseln bis zu einer Tageshöchstdosis von 24 Kapseln. Seit einigen Jahren ist Clomethiazol in Deutschland nicht mehr in der i.v. Applikationsform verfügbar.
Eine weitere wichtige Nebenwirkung ist die Verstärkung der Bronchialsekretion, sodass wegen der zusätzlichen Atemdepression häufig abgesaugt und frühzeitig die Indikation zur Intubation gestellt werden muss. Insbesondere in dieser Phase droht bei i.v.-Gabe eine Hypotonie, die zusammen mit den Flüssigkeitsverlusten durch Schwitzen und Hyperthermie und der Atemdepression zu Hypovolämie und kombiniertem Herz-Kreislauf-Versagen führen kann. Bei komplikationslosem Verlauf und rückläufiger vegetativer Symptomatik kann nach 2–3 Tagen auf orale Gabe umgestellt werden.
Benzodiazepine
Bei vorbestehenden kardiopulmonalen Erkrankungen werden Benzodiazepine vorgezogen: Sie wirken gut antikonvulsiv, etwas vegetativ dämpfend und leicht anxiolytisch, sodass sie bei leichteren Verläufen wegen der geringeren Nebenwirkungen anstelle des Clomethiazol eingesetzt werden können. Hierbei finden v. a. Diazepam und Chlordiazepoxid Verwendung, bei Lebererkrankungen sollte auf Lorazepam oder Oxazepam ausgewichen werden. Die Diazepamdosis beträgt initial 10 mg i.v., dann als Erhaltungsdosis 20 mg/6 h, der Patient muss jedoch zu jedem Zeitpunkt erweckbar bleiben. Ergänzend können symptomatisch β-Blocker (Tremor, Tachykardie) oder Clonidin (Hypertonie) gegeben werden.
Weitere Substanzen
Die Monotherapie mit β-Blockern hat sich zur Behandlung des Delirs nicht bewährt, Clonidin (wirkt durch zentrale Dämpfung der sympathischen Überaktivität) hat in den wenigen vorliegenden Studien allenfalls in der Kombinationstherapie mit Benzodiazepinen einen günstigen Effekt auf die Prognose. Haloperidol ist als Monotherapeutikum obsolet, da es die Krampfschwelle deutlich senkt und keinerlei Sedierung und Dämpfung der vegetativen Symptome erzeugt. In Kombination mit Benzodiazepinen wird es häufig verwandt. Alprazolam, ein kurz, aber zentral stärker wirksames Benzodiazepin, war in ersten Studien relativ nebenwirkungsarm. Carbamazepin und Valproinsäure haben in der Monotherapie allenfalls bei sehr milden Verlaufsformen eine Berechtigung, es kommt signifikant häufiger zum Vollbild eines Delirs; außerdem sind die Nebenwirkungen bei rascher Aufdosierung oft therapielimitierend.
Unerwünschte Wirkungen
Bei der Kombinationstherapie des Delirs ist zu beachten, dass sich die unerwünschten Wirkungen addieren: So führt die Kombination Clomethiazol und β-Blocker zu extremer Bronchialsekretion, Clomethiazol und Clonidin können eine lebensbedrohliche Hypotonie hervorrufen, Benzodiazepine und Clomethiazol schließlich sedieren den Patienten so stark, dass eine neurologische Beurteilbarkeit nicht mehr gegeben ist.
Cave
Opiate haben in der Behandlung des Delirs wegen der Atemdepression keinen Platz, ihre Anwendung ist ein Kunstfehler.

Wernicke-Enzephalopathie und Korsakow-Psychose

Die Wernicke-Enzephalopathie (Polioencephalitis haemorrhagica superior) und die Korsakow-Psychose gelten heute als akute bzw. chronische Verlaufsform derselben Krankheitsentität, treten jedoch häufig isoliert auf. Sie können aus einem Delir hervorgehen, aber in der Regel entwickeln sie sich eigenständig bei einem vorbestehenden Alkoholabusus. Die klinische Diagnose wird wegen oligosymptomatischer Formen nur in etwa 20 % gestellt, dementsprechend finden sich noch heute viele schwere und fatale, weil über längere Zeit unerkannte Verläufe.
Pathogenese
Ursache der Erkrankungen ist ein Thiamin-(Vitamin-B1-)Mangel, der durch Fehlernährung oder mangelnde Resorption entsteht. Hierzu tragen ein chronischer Alkoholabusus ebenso wie gastrointestinale Erkrankungen, Dialyse oder eine Hyperemesis gravidarum bei. Daneben kann ein relativer Thiaminmangel durch erhöhte Kohlenhydratzufuhr (Glukoseinfusion, Hyperglykämie) entstehen, sodass dies bei bekannter Alkoholanamnese vermieden werden sollte.
Thiamin ist als Pyrophosphat in Form eines Coenzyms an Glykolyse und Hexosemonophosphatweg beteiligt, sodass ein Defizit zu einem gestörten Glukosemetabolismus mit verminderter Energiezufuhr in den besonders hypoglykämieempfindlichen Nervenzellen führt. Durch einen genetisch bedingten Transketolasemangel mit konsekutiver Vitamin-B1-Verwertungsstörung kann der Krankheitsprozess beschleunigt werden. Darüber hinaus wird auch die Histaminausschüttung gefördert, die zur Hypoxie beiträgt. Neuropathologisch können (meist symmetrisch) ein spongiöser Gewebezerfall mit Kapillarschädigung und resultierenden punktförmigen Hämorrhagien (Abb. 1) sowie eine chronische Atrophie und Gliose nachgewiesen werden, die sich in den Corpora mamillaria (dort z. T. kernspintomografisch nachweisbar) und im Höhlengrau um den III. und IV. Ventrikel, aber auch im Thalamus und Hypothalamus sowie an Vierhügelplatte und Brückenhaube manifestiert. Die Korsakow-Psychose findet sich auch bei Enzephalitiden und Tumoren des Zwischenhirns.
Klinik
Bei der Wernicke-Enzephalopathie findet sich eine Trias aus Augenmotilitätsstörung, ataktischer Gangstörung sowie Desorientierung und Vigilanzstörung. Der Patient gibt Doppelbilder an; der Untersucher findet einen horizontalen, selten auch vertikalen Blickrichtungsnystagmus, nukleäre Okulomotorikstörungen und meist horizontale Blickparesen oder eine internukleäre Ophthalmoplegie. Die Gangstörung ist durch eine beinbetonte Ataxie, die auch den Rumpf erfassen kann, charakterisiert. In der klinischen Untersuchung ist der Knie-Hacke-Versuch meist deutlich schlechter als der Finger-Nase-Versuch, Zeichen einer alkoholtoxischen Polyneuropathie sind fast obligat. Die Desorientierung geht meist mit einer Gedächtnisstörung und Apathie einher, die direkt zu der begleitenden oder in 80 % komplizierend nachfolgenden Korsakow-Psychose überleitet.
Hierbei sind Desorientierung, Gedächtnisstörung und Konfabulation die klinischen Leitsymptome. Die Desorientierung besteht in einer situativen Verkennung, jedoch verhalten sich die meisten Patienten noch situationsadäquat und sind stationär gut führbar. Die Gedächtnisstörung betrifft den Kurzzeitbereich und führt zu Konfabulationen, die jedoch nicht ausschließlich Folge der Amnesie sind. Typisch ist das „Sekundengedächtnis“: Patienten können nach wenigen Minuten Inhalte nicht mehr reproduzieren. Differenzialdiagnostisch ist das oft begleitende Delir zu nennen; die Okulomotorikstörung erfordert den Ausschluss eines Hirnstammprozesses; die Desorientierung kann durch bilaterale subdurale Hämatome bzw. eine Pachymeningeosis haemorrhagica interna entstanden sein. Die Korsakow-Psychose wird selten auch durch eine CO-Vergiftung hervorgerufen oder als allgemeine Verwirrtheit bei schweren Infektionen imitiert (s. nachfolgende Übersicht).
Differenzialdiagnose der Wernicke-Enzephalopathie
  • Hirnstamminfarkt/-neoplasie
  • Einklemmungssyndrom
  • Encephalomyelitis disseminata
  • (Bilaterale) subdurale Hämatome
Differenzialdiagnose der Korsakow-Psychose
Therapie
Therapie der Wahl ist die parenterale Substitution von Vitamin B1: Zunächst sollten 50–300 mg i.v. gegeben werden, worunter sich bereits nach Stunden die Doppelbilder und die psychopathologischen Symptome bessern. Nach wenigen Tagen kann auf i.m.-Applikation und nach Wochen auf orale Gabe umgestellt werden. Die Therapiedauer sollte 6 Monate nicht unterschreiten. Eine seltene Komplikation der Thiamingabe ist eine anaphylaktische Reaktion, die womöglich auf einen noch nicht identifizierten Begleitstoff zurückzuführen ist. Trotz einer sofort eingeleiteten kausalen Therapie geht die Wernicke-Enzephalopathie als Ausdruck bleibender struktureller Veränderungen oft in eine Korsakow-Psychose mit ungünstiger Langzeitprognose über. Neben der Vitamin-B1-Substitution sollen Noradrenalinagonisten das amnestische Syndrom günstig beeinflussen. Auch bei optimaler Therapie beträgt die Mortalität der Wernicke-Korsakow-Erkrankung noch 15–20 %, Vollremissionen werden nur in 20 % der Fälle erzielt. Die Korsakow-Psychose erweist sich oft als irreversibel.

Zentrale pontine Myelinolyse

Die zentrale pontine Myelinolyse galt lange Zeit als Erkrankung mit infauster Prognose, heute werden dagegen mit der MRT auch leichtere Verläufe diagnostiziert, sodass therapeutischer Nihilismus nicht mehr angezeigt ist.
Pathogenese
Ursächlich wird die zu rasche Korrektur einer Hyponatriämie als Auslöser angeschuldigt. Hieraus resultieren osmotische Schäden des Gefäßendothels mit Störung der Blut-Hirn-Schranke und vasogenem Hirnödem. Durch die reiche Vaskularisation der Brückenkerne bedingt das Ödem dort eine besonders ausgeprägte Schwellung mit konsekutiver Schädigung der umgebenden weißen Substanz. Aufgrund der hohen Hypoxieempfindlichkeit des Myelins führen durch das geschädigte Gefäßendothel freigesetzte Plasminogenaktivatoren, begleitende Blutdruckabfälle und auch Vitamin-B12-Mangel recht ausgestanzt zu einer Läsion des pontinen Myelins.
Klinik und Diagnostik
Die klinischen Symptome sind so vielgestaltig, dass nur in 10 % der Fälle die klinische Diagnose gelingt. Zeichen einer Pseudobulbärparalyse mit Sprech- und Schluckstörungen, Okulomotorikstörungen, eine Tetraparese mit Pyramidenbahnzeichen, zunehmenden Bewusstseinsstörungen bis hin zu einem Locked-in-Syndrom können auftreten. In der MRT finden sich mit Latenz Demyelinisierungszeichen mit Hyperintensitäten im T2-gewichteten Bild (Abb. 2), die auch extrapontin lokalisiert sein können, dann aber die differenzialdiagnostische Abgrenzung zur Encephalomyelitis disseminata erfordern. Es existiert keine Korrelation zwischen der Ausdehnung der morphologischen Läsionen und der Klinik oder Prognose. Neurophysiologische Untersuchungen können die Diagnose weder sichern noch widerlegen; AEP und MEP sind oft pathologisch.
Differenzialdiagnostisch sind Hirnstammtumoren/-infarkte/-enzephalitiden, eine pontin betonte Leukenzephalopathie und auch eine Wernicke-Enzephalopathie zu erwägen.
Therapie
Da eine kausale Therapie nicht zur Verfügung steht, kommt der Prophylaxe große Bedeutung zu: Hyponatriämien sollten sehr langsam bis zu einer noch leichten Hyponatriämie (etwa 125–130 mmol/l) ausgeglichen werden. Dexamethason und Vitamin-B-Komplex können therapeutisch versucht werden; darüber hinaus stehen nur die allgemeinen intensivmedizinischen Maßnahmen zur Verfügung. Es muss auf die Entwicklung eines Delirs oder von Alkoholentzugskrämpfen geachtet werden. Bei schwerer klinischer Symptomatik im Rahmen einer Myelinolyse findet sich nur selten eine Restitutio ad integrum.

Subdurales Hämatom

Alkoholismus ist für die Entwicklung subduraler Hämatome ebenso wie höheres Lebensalter und Stoffwechsel- oder Gefäßerkrankungen ein Risikofaktor. Zum einen sind Kopftraumata in dieser Gruppe häufiger, zweitens bestehen oft hepatogene Gerinnungsstörungen und nicht zuletzt wird auch dem oft begleitenden Vitamin-B1-Mangel eine pathogenetische Rolle zugesprochen. Es sei insbesondere auf die diagnostischen Schwierigkeiten hingewiesen, die durch die Symptomverschleierung bei gleichzeitigem Delir oder anderen Alkoholfolgekrankheiten entstehen. Gerade beim chronischen bilateralen subduralen Hämatom sind Symptome wie Antriebsmangel lange unspezifisch. Daraus resultiert, dass die Indikation zu einem CT bei einem alkoholisierten oder bei einem alkoholabhängigen Patienten bei unklarer Situation großzügig zu stellen ist. Eine Röntgenaufnahme des Schädels in 2 Ebenen stellt in dieser Situation keine ausreichende diagnostische Maßnahme dar.
Die in älteren Lehrbüchern noch abgegrenzte Pachymeningeosis haemorrhagica interna stellt keine eigenständige nosologische Einheit dar.

Zerebelläre und zerebrale Atrophie

Der chronische Alkoholkonsum kann zu einer Atrophie des Kleinhirns führen, die von großer klinischer Bedeutung ist. Das Kleinhirn kann isoliert oder auch zusammen mit dem Großhirn betroffen sein.
Pathogenese
Durch toxische Einwirkungen von Alkohol oder anderen Stoffen (z. B. Schwermetalle oder Medikamente) und einen aus der Mangelernährung resultierenden Vitamin-B1-Mangel kommt es zu teilweise der Wernicke-Enzephalopathie vergleichbaren neuropathologischen Veränderungen, die die Atrophien als eine Variante dieser Erkrankung erscheinen lassen. Am Großhirn (frontal betont) sowie im Hippokampus kommt es zu einem diffusen Verlust von Neuronen. Zerebellär werden v. a. (schon frühzeitig und meist zunächst asymptomatisch) die Purkinje-Zellen der Kleinhirnrinde geschädigt; makroskopisch ist bevorzugt der Oberwurm und der mediale Vorderlappen betroffen (Abb. 3). Bereits ein mäßiger Alkoholgenuss von 40–80 g/Tag kann zu einer Reduktion der Purkinje-Zellen führen, wie eine postmortale Studie ergab (Karhunen et al. 1994).
Klinik
Zerebrale Atrophie
Oftmals lassen sich nur mit neuropsychologischen Testmethoden Defizite aufdecken. Bei schwereren Verläufen liegen eine Demenz, vornehmlich mit mnestischen und Orientierungsstörungen, sowie eine Grand-Mal-Epilepsie, die von Gelegenheitskrämpfen im Entzug unterschieden werden muss, vor. Computertomografisch findet sich eine Atrophie von Frontal- und Parietalhirn. Differenzialdiagnostisch kommen degenerative, vaskuläre oder anderweitig metabolisch bedingte Demenzen in Frage. Weiterhin können Frontalhirn- oder Balkentumoren sowie chronische Enzephalitiden das klinische Bild einer Demenz imitieren. Nach einer jüngeren großen epidemiologischen Studie (Nurses’ Health Study) ist aber ein regelmäßiger geringer Alkoholkonsum bis 15 g pro Tag, evtl. auch bis zu 30 g pro Tag nicht mit kognitiven Defiziten verbunden (Stampfer et al. 2005).
Zerebelläre Atrophie
Innerhalb von wenigen Wochen entwickelt sich ein charakteristisches „Vorderlappensyndrom“ mit Ataxie der Beine (der Knie-Hacke-Versuch ist deutlich ataktischer als der Finger-Nase-Versuch) und einem anterior-posterioren Schwanken mit einer Frequenz von etwa 3 Hz, das auch als „Body tremor“ bezeichnet wird. Früher wurde das Syndrom auch als „Atrophie cérébelleuse tardive“ bezeichnet. Der Patient wackelt, aber er stürzt nicht. Paresen, Sensibilitätsstörungen oder Demenz fehlen. Okulomotorikstörungen sind nicht obligat, eine sakkadierte Blickfolge oder eine fehlende Fixationssuppression des vestibulookulären Reflexes wird beobachtet. Die dynamische Posturografie kann sensitiver als die klinische Untersuchung bei bekanntem Alkoholismus eine Kleinhirnschädigung mit resultierender Ataxie feststellen.
Differenzialdiagnostisch sind eine Mangelernährung mit Hypovitaminosen (z. B. bei Anorexia nervosa) oder Intoxikationen (z. B. mit Schwermetallen, Arsen, Lithium, Zytostatika, Phenytoin) zu erwägen. Weiterhin sind die degenerativen Kleinhirnerkrankungen wie die olivopontozerebelläre Degeneration oder die spinozerebellären Heredoataxien abzugrenzen. Eine Encephalomyelitis disseminata wird klinisch nur sehr selten mit einer isolierten und langsam progredienten Kleinhirnsymptomatik manifest, das Erkrankungsalter liegt hier meist niedriger. Eine paraneoplastische Degeneration sollte durch eine Tumorsuche ausgeschlossen werden.
Therapie
Absolute Alkoholabstinenz stellt die einzige Therapie dar: Hierunter ist die vollständige Rückbildung der Symptome und der radiologisch nachweisbaren Atrophie möglich; meist jedoch kann nur ein Stopp der Progredienz oder eine leichte Besserung erzielt werden. Eine ausgewogene Ernährung sowie Krankengymnastik müssen sichergestellt sein.

Alkoholische Polyneuropathie

An dieser häufigsten Alkoholfolgeerkrankung leiden etwa 15–40 % aller Alkoholiker; neben dem Diabetes mellitus ist der chronische Alkoholabusus wichtigste Ursache von Polyneuropathien.
Pathogenese
Während die akute Zufuhr von Ethanol reversibel die Nervenleitgeschwindigkeit in der Peripherie herabsetzt, schädigt chronischer Alkoholkonsum den peripheren Nerv auf noch nicht endgültig geklärte Weise: In In-vitro-Versuchen mit kultivierten Neuronen (und zusätzlichen Schwann-Zellen) wurden zwar hohe Ethanolspiegel zumindest für kürzere Zeit toleriert, jedoch liegen keine Langzeiterfahrungen vor, sodass allgemein davon ausgegangen wird, dass Ethanol bzw. Acetaldehyd unmittelbar toxisch auf periphere Nerven wirkt.
Obwohl ein Mangel von B-Vitaminen sowie der Folsäure beim chronischen Alkoholkonsum häufig ist, besteht keine gute Korrelation zwischen dem Spiegel dieser Vitamine und dem klinischen bzw. elektrophysiologischen Ausmaß der Polyneuropathie. Die Polyneuropathie bessert sich auch nicht wesentlich bei Vitaminsubstitution und fortgesetztem Alkoholkonsum, sodass im Wesentlichen eine toxisch vermittelte Schädigung des Nervs anzunehmen ist.
Die häufig anzutreffende Leberfunktionsstörung beim chronischen Alkoholismus dürfte dagegen kaum zur Pathogenese beitragen, da es bei nichtalkoholtoxisch bedingten Hepatopathien nicht zur Ausbildung einer Polyneuropathie kommt; die Polyneuropathien bei primär biliärer Zirrhose oder bei Hepatitiden sind eher als parainfektiös zu werten.
Entsprechend des vorwiegend toxischen Mechanismus handelt es sich meist um eine axonale Schädigung. Bei den selteneren demyelinisierenden Formen spielen vermutlich nutritive Faktoren (Vitamine) eine größere Rolle (Kap. „Toxische Polyneuropathien“).
Klinik
Abgesehen von den oft rauschbedingt anzutreffenden Druckparesen bei Alkoholismus zeigt die alkoholische Polyneuropathie einen distal betonten, symmetrischen Manifestationstyp. Die klinische Abgrenzung von anderen Polyneuropathieformen ist oft nur unvollständig möglich. Früh sind die Pallästhesie sowie das Lage- und Bewegungsempfinden gestört, was zum Bild einer „Pseudotabes alcoholica“ führen kann. Begleitend klagt der Patient über sensible Reizerscheinungen wie Parästhesien, Schmerzen, z. B. in den Waden (nahezu obligat nach Entzug!) sowie „burning feet“ und Wadenkrämpfe. Es entwickeln sich distal- und beinbetonte sensomotorische Defizite („stocking-glove pattern“) mit Peronäuslähmung und ausgeprägten, den Paresen vorangehenden Atrophien der Unterschenkel und der kleinen Handmuskeln. Im Gegensatz zur diabetischen Polyneuropathie kommt es nicht zur Anhidrose, sondern zur Hyperhidrose der Hand- und Fußflächen, die Haut wird dünn und glänzend, später marmoriert und sogar ulzeriert. Im Unterschied zur diabetischen Polyneuropathie fehlen die autonomen kardiovaskulären und gastrointestinalen Manifestationen sowie Hirnnervenstörungen. Elektromyografisch findet sich meist bereits vor klinischen Symptomen Denervierungsaktivität, während elektroneurografisch normale oder allenfalls leicht verzögerte Nervenleitgeschwindigkeiten gemessen werden. Im Liquor lässt sich gelegentlich eine leichte Eiweißerhöhung nachweisen.
Therapie
Bei strikter Abstinenz kommt es zu einer langsamen, aber meist weitgehenden Restitution. Eine ausgewogene Ernährung muss zusätzlich sichergestellt sein. Falls keine schwerwiegenden gastrointestinalen Resorptionsstörungen vorliegen, reicht eine orale Gabe von B-Vitaminen und Folsäure aus. Eine Substitutionsbehandlung ist v. a. bei deutlicher demyelinisierender Komponente der Polyneuropathie indiziert. Intensive Krankengymnastik ist sowohl bei afferenter (pseudotabischer) Gangstörung als auch bei Paresen unabdingbar.

Alkoholmyopathien

Es werden drei Formen der Alkoholmyopathie unterschieden:
Akute nekrotisierende Myopathie
Es treten oft ohne spezifische Provokation akut schmerzhafte Muskelschwellungen und proximale Paresen auf, die durch eine Rhabdomyolyse ausgelöst werden. Es kommt zu einem massiven Anstieg von Kalium und der Kreatinkinase sowie einer Myoglobinurie, durch die sich ein akutes Nierenversagen entwickeln kann. Eine Dialyse kann erforderlich werden.
Akute hypokaliämische Myopathie
Sie wird durch Hypokaliämien bei Erbrechen, gastrointestinalen Komplikationen oder im Rahmen eines Delirs hervorgerufen. Es finden sich schmerzlose, proximal betonte Extremitätenparesen, die Therapie besteht in Kaliumsubstitution.
Chronische Myopathie
Diese Form tritt bei 1 % aller Alkoholiker auf. Am Becken – mehr als am Schultergürtel – entwickelt der Patient Atrophien und Paresen der proximalen Muskeln mit initial oft noch normaler CK. Elektromyografisch finden sich sowohl myopathische als auch neurogene Veränderungen bei meist gleichzeitig bestehender Polyneuropathie. Überzufällig häufig geht diese Myopathie auch mit einer Kardiomyopathie einher. Vorwiegend gehen Typ-II-Fasern zugrunde, wobei eine Abnahme der Enzyme für Glykolyse und Glykogenolyse mit verminderter Fähigkeit zur anaeroben Energiegewinnung nachgewiesen werden kann; zusätzlich lagern sich vermehrt Triglyceride als Marker alternativer Stoffwechselwege im Muskelgewebe ab. Die Prognose ist bei Alkoholkarenz unter intensiver Krankengymnastik insgesamt günstig.

Weitere seltene Alkoholfolgeerkrankungen

Alkoholhalluzinose

Erst nach jahrelangem schwerem Alkoholabusus wird die seltene Alkoholhalluzinose beobachtet. Meist nach 1- bis 2-wöchiger Abstinenz nach einem Trinkexzess treten v. a. nachts akustische Halluzinationen mit bedrohlichem Charakter (Beschimpfungen, Anklagen, Chöre u. a.) auf, die die Patienten zutiefst verunsichern, sodass sie sich zurückziehen und in Depression, Angst oder Panik verfallen. Wie beim pathologischen Rausch fehlen auch hier alle vegetativen oder zerebellären Symptome. Die Halluzinose dauert zwischen wenigen Tagen und einigen Wochen und nimmt in etwa 20 % einen chronischen Verlauf, bis sie einer chronischen Schizophrenie ähnelt.

Tabak-Alkohol-Amblyopie

Es handelt sich um eine Optikusneuropathie, die isoliert oder in Verbindung mit einer funikulären Myelose auftreten kann. Hierbei kommt es durch Mangel bzw. unzureichende Resorption von Vitamin B12 und anderen B-Vitaminen sowie durch noch nicht identifizierte Inhaltsstoffe des Tabaks innerhalb von Tagen bis zu wenigen Wochen zu einer Demyelinisierung der zentralen Fasern des N. opticus, was zu einer Visusabnahme mit Zentralskotom und fundoskopisch temporal abgeblassten Papillen führt. Falls die Symptomatik nicht bereits zu lange besteht, erbringt die parenterale Gabe von Vitamin-B-Komplex eine deutliche Besserung des Visus.

Marchiafava-Bignami-Erkrankung

Die Marchiafava-Bignami-Erkrankung tritt nach jahrelangem, starkem Konsum von Rotwein auf, womöglich durch Cyanide oder eine Störung im Vitamin-B12-Stoffwechsel. Es kommt zu einer Nekrose von Teilen des Corpus callosum mit einer begleitenden kortikalen Sklerose. Beim akuten Auftreten innerhalb von Tagen zeigt sich eine Vielzahl von Symptomen wechselnden Ausmaßes, sodass die klinische Diagnose schwierig ist: Im Vordergrund stehen Spastik, Tremor, epileptische Anfälle, eine progressive Demenz sowie Dysarthrie und Abasie. Selten kommt es zu Remissionen oder einem schubweisen Verlauf, in der Regel führt die Krankheit mangels adäquater Therapie zum Tod (Brion 1976).

Beeinträchtigung der Immunkompetenz

Chronischer Alkoholabusus führt zu einer Schwächung der Abwehrlage. Dies begünstigt das Auftreten anderer Erkrankungen, ohne dass diese im engeren Sinne zu den Alkoholfolgeerkrankungen gezählt würden. Dennoch ist es wichtig, im Kontext eines alkoholabhängigen Patienten an diese Erkrankungen zu denken: So kann eine Pneumokokken-Meningitis oder eine tuberkulöse Meningitis häufiger bei Alkoholikern auftreten. Auch der epidurale Abzess ist bei Alkoholikern häufiger. Es handelt sich dabei um Erkrankungen, deren Diagnose im Kontext mit einem Alkoholproblem nicht selten verspätet gestellt wird mit für den Patienten schweren Folgen.

Alkoholembryopathie

Schon bei „mäßigem“ Alkoholkonsum während der Schwangerschaft besteht die Gefahr der intrauterinen Schädigung des Embryos. Bei dieser sehr häufigen, in ihrer Ausprägung sehr variablen Embryopathie (bis zu 60.000 Neugeborene/Jahr) weisen die betroffenen Kinder oft typische Stigmata auf: Neben abfallenden Lidspalten, schmaler Oberlippe und Epikanthus besteht häufig ein Mikrozephalus mit einem Hydrocephalus internus. Später zeigen sich ein geistiger und körperlicher Entwicklungsrückstand sowie oft auch kardiale Missbildungen. Die Therapie muss sich symptomatisch auf allgemeine Förderungsmaßnahmen, Ergotherapie und Krankengymnastik beschränken.

Facharztfragen

1.
Was ist die Definition des pathologischen Rausches?
 
2.
Ist chronischer Alkoholabusus die einzige Ursache für ein Delir, oder welche anderen Ursachen gibt es noch?
 
3.
Welches sind die potenziellen Komplikationen einer intravenösen Behandlung mit Clomethiazol?
 
4.
Mit welchen Maßnahmen kann man das Auftreten einer pontinen Myelinolyse verhindern?
 
5.
Wie sieht bei der alkoholischen Kleinhirnatrophie genau das neurologische Syndrom aus? Wie kann man es von anderen Kleinhirnatrophien klinisch differenzieren? Welcher Teil des Kleinhirns ist besonders stark betroffen?
 
Literatur
Zitierte Literatur
Brion S (1976) Marchiafava-Bignami-Syndrome. In: Vinken PH, Bruyn GW (Hrsg) Metabolic and deficiency diseases of the nervous system. Elsevier, Amsterdam (Handbook of clinical neurology, Bd 28, S 317–332)
Jost A, Hermle L, Spitzer M, Oepen G (1992) Zur klinischen und labortechnischen Differenzierung des Alkoholentzugssyndromes („Prädelir“) und des Alkoholdelirs. Psychiatr Prax 19:16–22PubMed
Karhunen PJ, Erkinjuntti T, Laippala P (1994) Moderate alcohol consumption and loss of cerebellar Purkinje cells. Br Med J 308:1663–1667CrossRef
Stampfer MJ, Kang JH, Chen J, Cherry R, Grodstein F (2005) Effects of moderate alcohol comsumption on cognitive function in women. N Engl J Med 352:245–253CrossRefPubMed
Weiterführende Literatur
Dichgans J (1984) Clinical symptoms of cerebellar dysfunction and their topodiagnostical significance. Hum Neurobiol 2:269–279PubMed
Diener HC, Müller A, Thron A, Poremba M, Dichgans J, Rapp H (1986) Correlation of clinical signs with CT findings in patients with cerebellar disease. J Neurol 233:5–12CrossRefPubMed
Freund G (1994) Apoptosis and gene expression: perspectives on alcohol-induced brain damage. Alcohol 11(5):385–387CrossRefPubMed
Hayakawa K, Kumagai H, Suzuki Y et al (1992) MR imaging of chronic alcoholism. Acta Radiol 33:201–206CrossRefPubMed
Jermain DM, Crismon ML, Nisbet RB (1992) Controversies over the use of magnesium sulfate in delirium tremens. Ann Pharmacother 26(5):650–652CrossRefPubMed
Menger H, Johannsen H, Schwalen S, Rastin M, Jörg J, Cramer BM (1993) Zentrale pontine Myelinolyse – Prognostischer Wandel einer Hirnstammerkrankung. Akt Neurol 20:161–169CrossRef
Nagel M, Ferbert A (2005) Alkoholfolgeerkrankungen. Fortschr Neurol Psychiat 73:470–484CrossRefPubMed
Preedy VR, Salisbury JR, Peters TJ (1994) Alcoholic muscle di sease: features and mechanisms. J Pathol 173(4):309–315CrossRefPubMed
Razvi SS, Leach JP (2006) Asymptomatic pontine myelinolysis. Eur J Neurol 13:1261–1263CrossRefPubMed
Ribiere C, Hininger I, Saffar-Boccara C, Sabourault D, Nordmann R (1994) Mitochondrial respiratory activity and superoxide radical generation in the liver, brain and heart after chronic alcohol intake. Biochem Pharmacol 47(10):1827–1833CrossRefPubMed
Tiecks FP, Einhäupl KM (1994) Behandlungsalternativen des Alkoholdelirs. Nervenarzt 65:213–219PubMed