In einer allgemeinmedizinischen Praxis liegt der Anteil der Patienten mit pneumologischen Erkrankungen bei ca. 20 %. Mit etwa der gleichen Häufigkeit erscheinen in der neurologischen Behandlung Patienten, die begleitend zu der neurologischen Erkrankung eine pneumologische Problematik aufweisen oder deren neurologische Erkrankung sich primär durch pulmonale Symptome bemerkbar gemacht hat. Des Weiteren gibt es eine Reihe neurologischer Erkrankungen, die im Verlauf zu bronchopulmonalen Störungen führen. Erkrankungen wie
Tuberkulose,
Vaskulitiden,
Kollagenosen, aber auch
Sarkoidose weisen sowohl neurologische als auch pneumologische Symptome auf mit gleichzeitig oder auch nacheinander auftretenden Beschwerden. In Anbetracht dieser doch oft sehr engen Verzahnung von Symptomatik und Klinik neurologischer und pneumologischer Erkrankungen erfolgt hier eine zusammenfassende Darstellung der für die Klinik wichtigsten pneumologischen Erkrankungen mit Hilfestellungen für die praktische klinische Arbeit. Dies gilt insbesondere für die medizintechnischen Entwicklungen der letzten Jahre wie die nCPAP-Therapie beim obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom und alle Formen der nichtinvasiven und invasiven
Beatmung bei durch neuromuskuläre Erkrankungen entstehenden Situationen. Diese erfordern eine enge Zusammenarbeit des Neurologen mit einem pneumologischen Kollegen mit Beatmungserfahrung in einem entsprechenden Zentrum.
Asthma bronchiale
Asthma bronchiale ist eine chronische Erkrankung der Atemwege, die mit einer Entzündung, einer reversiblen bronchialen Obstruktion und/oder mit einem hyperreagiblen Bronchialsystem einhergeht. Das klinische Bild ist sehr variabel und reicht von leichten Verläufen mit nur sehr geringer Symptomatik wie intermittierendem
Husten oder Räusperzwang bis hin zu intermittierend (ggf. anfallsartig) auftretender Luftnot mit subjektiv vom Patient empfundenem Pfeifen über der Lunge sowie auskultatorischem Giemen und Brummen bei der klinischen Untersuchung. Die Erkrankung beginnt typischerweise in der Kindheit, anamnestisch sind oft häufige Atemwegserkrankungen und Beschwerden in der frühen Kindheit und Jugend eruierbar. Diagnostisch wegweisend sind die Anamnese sowie die Befunde der Lungenfunktionsmessung.
Asthma ist eine der weltweit häufigsten Erkrankungen mit einer
Prävalenz von ca. 10 % aller Kinder, ca. 5 % aller Erwachsenen; etwa 300 Millionen Menschen weltweit sind betroffen. Bezüglich der Mortalität sind weltweit etwa 250.000 Todesfälle pro Jahr infolge eines
Asthma bronchiale zu vermuten (Buhl et al.
2017).
Chronisch obstruktive Bronchitis und Emphysem
Die
chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (
COPD)
ist eine chronisch progrediente Atemwegserkrankung, bei der es vorwiegend durch inhalative Schadstoffe, insbesondere Tabakrauch, zu einer Entzündung der Bronchialschleimhaut, insbesondere im Bereich der kleinen Atemwege kommt. Dauerhaft führt dies zu einer irreversiblen Verengung der Bronchien mit konsekutiver Überblähung der Alveolen durch ein durch die verengten Bronchiolen – d. h. durch die Entzündung der kleinsten Atemwege – bedingtes Airtrapping
. Langfristig resultiert hieraus eine irreversible Überblähung der Lunge einhergehend mit einem Verlust der Gasaustauschfläche (Emphysem). Hierdurch kommt es langfristig zu einer
Hypoxie bzw. bei Erschöpfung der Atempumpe durch Verminderung der Ventilation zu einer Hyperkapnie
.
Der vermehrte Energiebedarf für die Atemarbeit durch die erschwerte
Atmung mit erschöpfendem Einsatz der Atemhilfsmuskulatur führt im Endstadium zum körperlichen Verfall (Kachexie). Im Verlauf der
COPD kann es durch die sich entwickelnde
Hypoxämie zu neurologischer Symptomatik bis zur Bewusstlosigkeit kommen.
Der überwiegende Teil der Fälle bei
COPD ist Folge des
Tabakrauchens. Die Leitsymptome der COPD sind die sog. AHA-Symptome (Atemnot,
Husten, Auswurf). Die Diagnose der COPD kann meistens schon durch die Anamnese (Tabakrauchen) sowie die klinische Symptomatik gestellt werden, eine Lungenfunktionsuntersuchung kann die Diagnose dann sichern und dient der Schweregradeinteilung der COPD. Anhand des Schweregrades kann dann unter Zusammenschau weiterer klinischer Parameter eine stadiengerechte symptomatische Therapie mit Bronchodilatatoren bzw. antiinflammatorischen Medikamenten eingeleitet werden. Die wirksamste Maßnahme zur Vorbeugung eines Progresses der Erkrankung ist jedoch die Ausschaltung der auslösenden Noxe, sprich strikte Nikotinkarenz.
Männer sind insgesamt deutlich häufiger betroffen als Frauen, weltweit rangiert die
COPD als dritthäufigste Todesursache (WHO
2018), die
Prävalenz ist mit zunehmendem Alter ansteigend, die höchste Prävalenz besteht bei Patienten >70 Jahre. Die Prävalenz für die fortgeschrittenen Stadien II–IV in Deutschland beträgt etwa 13 %.
Die invasive Beatmungstherapie kann beim akut erkrankten Patienten mit terminaler
COPD auch zu einer dauerhaften Abhängigkeit vom Beatmungsgerät führen – darüber sollten Patienten im Verlauf ihrer progredienten Erkrankung rechtzeitig ärztlich aufgeklärt werden!
Pneumonie
Unter einer
Pneumonie verstehen wir eine Entzündung des Lungengewebes, d. h. des Alveolarkammes und/oder des dazwischen gelegenen Bindegewebes. Die Pneumonie stellt eines der größten Probleme im Gesundheitswesen dar und ist die am häufigsten zum Tode führende Infektionserkrankung in den westlichen Industrienationen. Die häufigsten Erreger bei der infektiösen Pneumonie sind
Bakterien, mit einem je nach Altersgruppe und Infektionsursache (ambulant oder im Krankenhaus erworben) unterschiedlichen Spektrum. Die häufig durch
Pneumokokken verursachte „klassische“ Pneumonie geht mit einem plötzlich einsetzenden schweren Krankheitsgefühl, produktivem
Husten und hohem
Fieber einher. Bei der klinischen Untersuchung imponieren auskultatorisch feinblasige, sog. klingende Rasselgeräusche über dem betroffenen Lungenabschnitt. Korrespondierend zu den klinischen Infektzeichen finden sich laborchemisch erhöhte Entzündungswerte. In der bildgebenden Diagnostik der Lunge findet sich in aller Regel ein Lungeninfiltrat.
Der Verlauf und die Symptomatik der
Pneumonie sind sehr variabel, so kann die Erkrankung insbesondere bei älteren oder immunsupprimierten Patienten oder bestimmten Erregern (z. B. Viren, Mykoplasmen) atypisch mit abgeschwächten Symptomen und ohne physikalische Zeichen einer Infiltration verlaufen. Das einzige obligate Kriterium für die Diagnose einer Pneumonie ist damit ein neu aufgetretenes Infiltrat im Röntgenbild der Lunge. Neben einer körperlichen Schonung sowie ausreichender Hydrierung des Patienten sollte bei einer bakteriellen Pneumonie eine erregergerechte antibiotische Therapie erfolgen.
Jeder ambulant behandelte Patient mit
Pneumonie sollte nach 48–72 Stunden erneut untersucht werden, um die Wirksamkeit des verschriebenen Antibiotikums zu prüfen.
Unkritische Antibiotikaverordnung birgt die Gefahr der Resistenzbildung und führt zu mehr Nebenwirkungen.
Eine Umstellung von i. v. auf p.o. Gabe sollte erfolgen, wenn der Patient klinisch stabil ist und die orale Nahrungs- und Medikamenteneinnahme sichergestellt (orale Sequenztherapie).
Eine
Deeskalation ist geboten bei Erregernachweis und zweifelsfreier Diagnose auf eine reduzierte, aber noch wirksame Therapie nach Resistogramm.
Lungenembolie
Die
Lungenembolie ist eine der ernsthaften lebensbedrohlichen Komplikationen bei bettlägerigen Patienten und bei Patienten mit postoperativer Bettlägerigkeit. Die Lungenembolie kann sich in deutlich unterschiedlich starken und differierenden klinischen Symptomen darstellen. Meist handelt es sich um repetitive Ereignisse, bevor es zu einer endgültigen schweren Symptomatik kommt. Die ersten Ereignisse werden meist sowohl vom Patienten als auch vom Klinikpersonal übersehen oder falsch gedeutet. Ursachen sind überwiegend Thrombosen im Bereich der unteren, gelegentlich auch der oberen Extremitäten oder im Bereich des kleinen Beckens, insbesondere nach gynäkologischen oder urologischen Operationen. Auch die üblicherweise durchgeführte postoperative Antikoagulation oder die Antikoagulation bei bettlägerigen Patienten ist nicht immer ausreichend, um sicher eine klinisch relevante Thrombose zu verhindern. In über 90 % der Ereignisse geht der Lungenarterienembolie eine tiefe
Beinvenenthrombose voraus, durch eine Einschwemmung der Blutgerinnsel aus peripheren Venen kommt es zu einer teilweisen oder vollständigen Verlegung der Lungenarterien mit daraus resultierender Minderperfusion der Lunge mit
Hypoxämie bzw. konsekutiver Rechtsherzbelastung. Todesfälle ereignen sich häufig akut nach Beginn der Symptome, wobei die Schwere der akuten Rechtsherzbelastung den Ausgang entscheidend beeinflusst. Kardiale oder pulmonale Komorbiditäten tragen ebenfalls maßgeblich zur Frühletalität bei Lungenarterienembolie bei. Daher sollte der klinische Verdacht einer Lungenarterienembolie unverzüglich zu einer geeigneten Abklärung führen. Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit einer Lungenarterienembolie sollte auch bereits vor Diagnosesicherung eine Therapie durch eine geeignete Antikoagulation begonnen werden.
Unter Summation der oben genannten Punktewerte ergibt sich bei 1–2 Punkten nur eine geringe Wahrscheinlichkeit einer tiefen
Beinvenenthrombose, bei 0 Punkten von unter 5 %. Bei mehr als 3 Punkten liegt die Wahrscheinlichkeit einer tiefen Beinvenenthrombose hingegen bei mehr als 80 %.
Bei einer nur geringen Wahrscheinlichkeit nach ausgerechnetem Wells-Score und einem negativen Wert für das
D-Dimer im
Serum ist die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer tiefen
Beinvenenthrombose weitgehend ausgeschlossen.
Hinweise können sich zusätzlich ergeben aus der Durchführung einer Dopplerduplexuntersuchung der tiefen Beinvenen im Bereich des möglicherweise betroffenen Beines. Hier wird überwiegend im angelsächsischen Raum eine sog. 2-Punkt-Methode im Bereich der Leiste und der Kniekehle durchgeführt.
Bei wahrscheinlicher Thrombose im Bereich der tiefen Beinvenen ist dann – bei einer entsprechenden Symptomatik – eine weitere rasche Abklärung notwendig, meist mittels Angio-CT.
Die endgültige Risikostratifizierung der
Lungenembolie erfolgt dann unter Zusammenschau der Kreislaufsituation, des sPESI, der Echokardiografie sowie kardialer Marker (
troponin, proBNP) (DGA
2015).
Ein hohes Risiko liegt demnach vor bei Schock oder Hypotension, sPESI >1, einer rechtsventrikulären Dysfunktion in der Echokardiografie sowie der Aktivierung kardialer biochemischer Marker.
Ein intermediäres Risiko liegt vor, wenn außerdem Schock oder Hypotension alle Kriterien der Hochrisikogruppe erfüllt sind.
Ein niedriges Risiko liegt vor bei stabiler Kreislaufsituation ohne Schock oder Hypotension, sPESI von 0, unauffälliger Echokardiografie sowie fehlender Aktivierung von kardialen Markern.
Respiratorische Insuffizienz als Manifestation einer neurologischen Erkrankung
Durch die medizintechnische Entwicklung von kleinen, leisen, wartungsarmen
Beatmungsgeräten ist es möglich geworden, Patienten mit ausgeprägter Störung der Atempumpe bei neuromuskulären Erkrankungen ein langfristiges Überleben zu sichern. Die neuesten auf dem Markt befindlichen Beatmungsgeräte sind in der Lage, weitgehend alle relevanten Beatmungsformen durchzuführen, um dem Patienten eine angenehme Beatmungssituation mit Normalisierung sowohl des Gefühls von Luftnot als auch der Blutgase zu ermöglichen.
Indikation für die Einleitung einer Therapie sind die zunehmenden Luftnotgefühle eines Patienten als Zeichen der ansteigenden PaCO
2-Werte mit respiratorischer Azidose mit der Notwendigkeit einer Hyperventilation und vermehrten Atemarbeit. Dies gelingt dem Patienten aber nicht aufgrund der gestörten Atempumpe durch die neuromuskuläre Erkrankung. Der Patient entwickelt eine zunehmende
Eintrübung und Kopfschmerzsymptome. Hier sollte dann in Absprache mit einem entsprechend erfahrenen Zentrum unter Einbeziehung des Patienten, der Angehörigen und der mitbetreuenden Pflegekräfte ein Konzept zur
Beatmung entwickelt werden. Zunächst ist an eine nächtliche
nichtinvasive Beatmung durch eine Nase-Mund-Maske und ein entsprechendes Beatmungsgerät zu denken. Hierbei ist zu beachten, dass der Patient die Nasenmaske selbst aufgrund der neuromuskulären Störung meist nicht mehr korrekt aufsetzen kann. Hier sind entsprechende Hilfestellungen regelmäßig notwendig. Im weiteren Verlauf bei Verschlechterung der Symptomatik ist auch eine Benutzung der
nichtinvasiven Beatmung tagsüber zunehmend erforderlich. Die Schwierigkeiten der nichtinvasiven Beatmung bestehen darin, dass in dieser Zeit Sprechen und Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme nicht möglich ist. Zusätzlich kommt es bei manchen Patienten bei notwendigen hohen Beatmungsdrücken und Insuffizienz der Ösophagussphinktermuskulatur zu einer Anfüllung des Magen-Darm-Traktes mit Luft durch die Beatmung mit entsprechenden Beschwerden.
Im weiteren Verlauf sollte dann frühzeitig mit dem Patienten und dem häuslichen Behandlungsteam besprochen werden, dass die Umstellung der nichtinvasiven auf eine invasive
Beatmung über ein Tracheostoma
notwendig ist. Unter dieser Therapie (bei noch fehlenden Schluckstörungen) kann der Patient noch essen und trinken und auch mit entsprechender Kanüle sprechen.
Der Pflegeaufwand eines solchen Systems ist erheblich und bei vollständiger Abhängigkeit des Patienten von einer Beatmungsmaschine über 24 h am Tag ist auch der personelle Aufwand einer 24-h-Betreuung in häuslicher Umgebung zu beachten. Die Durchführung einer solchen Therapie beinhaltet einen erheblichen organisatorischen und materiellen Aufwand und kann und sollte nur durch entsprechende Einrichtungen eingeleitet und auch durchgeführt werden.
Typische Erkrankungen, die zu einer solchen Therapieform führen können, sind die
amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die
Poliomyelitis, Polyradikulitiden, myasthene Syndrome, Muskeldystrophien, sowie Myopathien und Myositiden aller Art.
Die Therapie der
chronischen respiratorischen Insuffizienz im Rahmen neuromuskulärer Erkrankungen umfasst die regelmäßige Dokumentation von Vitalkapazität, Atemproblemen (mittels ALSFRS – ALS Functional Rating Scale) und im Verlauf regelmäßigen BGA-Kontrollen. Supportiv sollten Atemgymnastik, Klopfmassagen, schleimlösende Maßnahmen durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr und ggf. die Gabe von Acetylcystein erfolgen. Bei unzureichendem Hustenstoß, welcher regelmäßig mittels
Peak Cough Flow bestimmt werden sollte, kann eine Hustenhilfe (mechanischer Insufflator/Exsufflator, „cough assist“) zur Mobilisation von Sekreten angepasst werden. Bei entsprechendem Patientenwunsch kann auch im Verlauf eine Tracheotomie zur Vereinfachung der Sekretabsaugung diskutiert werden.
Im Falle einer zunehmenden Symptomatik mit respiratorischer Erschöpfung unter stationären Bedingungen ist bei Nachweis alveolärer Hypoventilationen bzw. einer Hyperkapnie die Anpassung einer zunächst
nicht invasiven Beatmung erforderlich sowie bei entsprechendem Patientenwunsch bei vollständiger Erschöpfung auch die invasive
Beatmung nach Tracheotomie und Anlage eines endständigen Tracheostomas. Die genannten Maßnahmen führen allesamt zu einer Verbesserung der
Lebensqualität und sekundär auch, insbesondere bei Einleitung einer invasiven Beatmung über ein Tracheostoma, zu einer Verlängerung der Überlebensdauer. Frühzeitig sollte besprochen und dokumentiert werden, ob eine notfallmäßige Intubation gewünscht ist!
Neurologische Symptomatik einer primär pulmonalen Erkrankung
Eine neurologische Symptomatik muss nicht immer durch eine neurologische Diagnose ausgelöst werden. Hierzu zählen z. B. die bereits oben genannten Veränderungen wie
Sekundenschlaf, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen und Depression durch fortgeschrittenes
Schnarchen mit Upper-airway-resistance-Syndrom, dem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom und der alveolären Hypoventilation bei Obesitas (
Pickwick-Syndrom).
Eine
Myasthenia gravis tritt häufig in Assoziation mit Thymomen, auch malignen Thymomen im vorderen Mediastinalbereich auf.
Das Lambert-Eaton-Syndrom ist bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen eine nicht häufige, aber typische Paraneoplasie. Die Liste paraneoplastisch-neurologischer Symptomenkomplexe beim kleinzelligen Bronchialkarzinom ist lang. Daneben besteht auch die Gefahr der diffusen zerebralen oder meningealen Metastasierung.
Eine neurologische bzw. psychotische Symptomatik durch eine
Hyperkalzämie ist nicht selten, entweder verursacht durch ein ossär metastasierendes Bronchialkarzinom oder auch durch einen paraneoplastischen Pseudohyperparathyreoidismus.
Im weiteren Verlauf schwerer bronchopulmonaler Erkrankungen kann es auch durch die sich entwickelnde
Hypoxämie und nicht nur durch die relativ frühzeitig entstehende Hyperkapnie zu erheblicher neurologischer Symptomatik bis zur Bewusstlosigkeit kommen. Hier sind die klinische Untersuchung, die
Blutgasanalyse, typische Laborbefunde und das Röntgenbild überwiegend richtungweisend.
ZNS-Beteiligung beim Lungenkarzinom
Das
Lungenkarzinom ist bei Frauen der dritt-, bei Männern der zweithäufigste maligne Tumor in den deutschsprachigen Ländern. Das mediane Erkrankungsalter liegt zwischen 68 und 70 Jahren. Hauptrisikofaktor ist
Rauchen.
Ein routinemäßiges Screening asymptomatischer Risikopersonen mittels einer Computertomografie kann
Lungenkarzinome in frühen Stadien erkennen und die Mortalität bei
Rauchern und in noch größerem Ausmaß bei Raucherinnen senken, ist aber in den deutschsprachigen Ländern bisher nicht als Früherkennungsprogramm implementiert.
Die Therapie des nichtkleinzelligen
Lungenkarzinoms hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte durch die Entwicklung der sog. Tyrosinkinase-Inhibitoren bzw. Einführung der Immuntherapie gemacht. Noch bis vor Kurzem in zwei wesentlichen Diagnosen (kleinzelliges und nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) zusammengefasst, wird das Lungenkarzinom heute in mindestens zwei Dutzend biologisch unterschiedliche Entitäten mit individualisierten Behandlungskonzepten eingeteilt. Die Prognose der Patienten wird vom Stadium, dem Genotyp, der Histologie, dem Geschlecht, dem Allgemeinzustand und der Komorbidität bestimmt. Tumorgewebe wird routinemäßig mittels molekularpathologischer Untersuchungen nach sog. Treibermutationen untersucht. Therapieoptionen v. a. des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms sind Operation, Bestrahlung und systemische Therapie, häufig kombiniert als multimodales Konzept. Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom haben in frühen und in einem Teil der lokal fortgeschrittenen Stadien einen kurativen Therapieanspruch. Für die große Mehrzahl von Patienten im Stadium IIIB/IV ist die Therapie nicht kurativ. In den letzten Jahren hat die Integration von Immuncheckpoint- und
Kinase-Inhibitoren im Zusammenhang mit prädiktiven Biomarkern die Prognose vieler Patienten deutlich verbessert. Weiterhin stehen Zytostatika, Angiogenese-Inhibitoren, lokale Therapien und unterstützende Maßnahmen zur Verfügung (Griesinger et al.
2017).
Kleinzellige
Lungenkarzinome (
SCLC – „small cell lung cancer“) machen etwa 12–15 % der Lungenkarzinome aus. In Deutschland erkranken jährlich ca. 7000–8000 Personen. Die Erkrankung ist charakterisiert durch eine hohe Zellteilungsrate und rasche Wachstumsprogredienz. Diese biologischen Attribute begründen die hohe Sensibilität des Tumors gegenüber Chemo- und
Strahlentherapie. Andererseits führen sie auch zu einer frühzeitigen Disseminierung und hohen Rezidivraten. In den Stadien I–III („very limited disease“, „limited disease“) besteht ein kurativer Therapieanspruch. Die Therapie ist multimodal mit Einbeziehung von Operation, medikamentöser Tumortherapie und Bestrahlung (Wolf et al.
2017).
Bronchialkarzinome zeigen sich aufgrund der häufig nur geringen lokalen Beschwerdesymptomatik im Bronchialsystem und der Lunge häufig durch Hirnmetastasen.
Tab.
7 zeigt die Häufigkeit von Hirnmetastasen
im Vergleich zum histologischen Subtyp des Bronchialkarzinoms. Dabei ist zu beachten, dass viele Bronchialkarzinome nicht nur einer einheitlichen Histologie gehorchen.
Tab. 7Häufigkeit von Hirnmetastasen im Vergleich zum histologischen Subtyp des Bonchialkarzinoms
Plattenepithelkarzinom | 13,7 |
Kleinzelliges Karzinom | 30,5 |
Adenokarzinom | 25,4 |
Großzelliges Karzinom | 29,4 |
Das mediane Überleben nach Diagnosestellung beträgt einen Monat ohne Therapie und 2 Monate bei symptomatischer Behandlung mit Steroiden. Die Diagnostik der Hirnmetastasen sollte neben einer eingehenden klinisch-neurologischen Untersuchung mit besonderem Augenmerk auf Zeichen erhöhten intrakraniellen Drucks ein MRT des Gehirns ohne/mit gadoliniumhaltigem Kontrastmittel umfassen.
Im Falle symptomatischer Hirnmetastasen oder eines erkennbaren fokalen Ödems sollte eine antiödematöse Therapie mit Dexamethason eingeleitet werden. Die wesentlichen Therapiemodalitäten umfassen Resektion, Radiochirurgie, fraktionierte
Strahlentherapie, z. B. als stereotaktisch geführte, lokale Strahlentherapie oder als Ganzhirnbestrahlung, und medikamentöse Tumortherapie (DGN
2019). Bei der Beurteilung des Effekts lokaler Therapien in klinischen Studien ist zu beachten, dass die mediane Überlebenszeit nicht nur durch die Wirksamkeit der Behandlung der Hirnmetastasen beeinflusst wird. Mehr als die Hälfte der Patienten verstirbt nicht an den Hirnmetastasen, sondern an den Folgen der systemischen Tumorprogression (Soffietti et al.
2006). Bei Patienten mit ungünstigen prognostischen Faktoren und entsprechend kurzer Lebenserwartung ist es gerechtfertigt, die Therapie auf supportive Maßnahmen zu beschränken.