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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 09.11.2022

Chronic Fatigue Syndrom

Verfasst von: Claudia Kedor, Uta Behrends und Carmen Scheibenbogen
Das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere Erkrankung mit vermutlich neuroimmunologischer Genese, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung und eingeschränkter psychosozialer Teilhabe führt. ME/CFS ist ein eigenständiges, komplexes Krankheitsbild und nicht mit dem Symptom Fatigue zu verwechseln oder als psychosomatische Erkrankung einzuordnen.
ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue unter Schmerzen, Schlafstörungen, neurokognitiven, autonomen und immunologischen Symptomen. Biomarker oder kausale Therapieansätze sind noch nicht verfügbar. Die Diagnosestellung erfolgt anhand klinischer Kriterien im Ausschlussverfahren. Die Behandlung beinhaltet eine ausführliche Beratung zum Selbstmanagement (Pacing, Coping) sowie symptomorientierte, nicht-medikamentöse und medikamentöse Ansätze.
Der Verlauf ist oft undulierend und definitionsgemäß chronisch, aber nicht zwingend lebenslang. Die Prognose ist bei Erkrankung in jungem Alter besser.

Synonyme

Chronisches Erschöpfungssyndrom; Chronisches Fatigue-Syndrom; ME/CFS; Myalgische Encephalomyelitis

Englischer Begriff

Chronic Fatigue Syndrome (CFS); Myalgic Encephalomyelitis (ME)

Definition

Das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine komplexe, meist stark beeinträchtigende und chronische Erkrankung, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als neurologische Erkrankung klassifiziert wurde (ICD10 G93.3). Leitsymptome sind Fatigue und Belastungsintoleranz. Letztere führt oft bereits nach leichter Alltagsaktivität zu einer Verschlechterung der Symptomatik (sogenannte post-exertionelle Malaise, PEM). Daneben finden sich Schmerzen, Schlafstörungen, sowie neurokognitive, neuroendokrine, autonome/vegetative und immunologische Manifestationen.
Zahlreiche Diagnosekriterien wurden für die klinische Praxis vorgeschlagen.
Die Kanadischen Konsensus Kriterien (CCC) eignen sich besonders für die Bestätigung der Diagnose (Carruthers et al. 2003). Sie dienen auch der symptomorientierten Erfassung von Untergruppen in Sekundärversorgung und Forschung (Tab. 1).
Tab. 1
Kanadische Konsensus Kriterien (CCC). Die unten aufgeführten Symptome müssen bei Erwachsenen seit mindestens sechs Monaten (bei Kindern und Jugendlichen seit drei Monaten) anhaltend oder wiederkehrend vorhanden sein. Differenzialdiagnosen mit ähnlichen Symptomen müssen ausgeschlossen werden, bevor die Diagnose ME/CFS gestellt werden darf. Die Differenzialdiagnostik erfolgt anhand einer ausführlichen Anamnese, körperlichen Untersuchung, Labordiagnostik, Funktionstests und Bildgebung
1
Pathologische Erschöpfung/Fatigue
2
Verschlechterung der Symptome nach leichter Anstrengung bis mindestens zum nächsten Tag
3
Schlafstörung
4
5
Kognitive Symptome (mindestens zwei Symptome aus einer vorgegebenen Liste sind erforderlich)
Darüber hinaus ist mindestens ein Symptom aus zwei der folgenden Symptomkategorien erforderlich:
1
Autonom/vegetativ
2
Neuroendokrin
3
Immunologisch
Die Kriterien des Institute of Medicine (IOM, neu: National Academy of Medicine, NAM), die so genannten IOM-Kriterien, haben internationale Anerkennung gefunden und sind aufgrund ihrer relativen Einfachheit geeignet für das Screening in der Primärversorgung (Committee on the Diagnostic Criteria for ME/CFS 2015). Für Kinder und Jugendliche wurden auch adaptierte Diagnosekriterien vorgeschlagen (Rowe et al. 2017).
Für die Diagnose von ME/CFS bei Erwachsenen wird eine Krankheitsdauer von mindestens sechs Monaten gefordert, und die Symptome müssen in der Regel für mindestens die Hälfte der Zeit vorhanden sein (Tab. 2).
Tab. 2
Kriterien des Institute of Medicine (IOM) für die Diagnose von ME/CFS
Erforderliche Symptome
1
Erhebliche Verringerung oder Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich auf dem vor der Erkrankung erreichten Aktivitätsniveau zu bewegen (im Beruf, in der Ausbildung, im sozialen Bereich oder im Privatleben), mit erheblicher neu aufgetretener Fatigue, die seit mindestens sechs Monaten besteht, nicht durch anhaltende oder ungewöhnliche übermäßige Anstrengung zu erklären ist und durch Ruhe nicht wesentlich gelindert wird.
2
Beschwerdezunahme nach körperlicher oder mentaler Anstrengung (PEM), die vor der Erkrankung kein Problem waren.
3
Nicht erholsamer Schlaf
Mindestens einer der folgenden Punkte
1
Kognitive Beeinträchtigung
2
Orthostatische Intoleranz

Differenzialdiagnosen

Fatigue ist definiert als eine Erschöpfung, die nicht durch übermäßige Belastung erklärbar ist. Sie findet sich häufig und tritt bei vielen unterschiedlichen Erkrankungen auf. Daher ist es wichtig zu wissen, dass die meisten Menschen mit anhaltender Fatigue nicht ME/CFS haben, sondern diese auf andere Erkrankungen, emotionales Befinden oder Lebensstilfaktoren zurückzuführen sind. Das Auftreten einer lange anhaltenden PEM ist wegweisend (Bested und Marshall 2015).
Es sollte daher eine weitergehende Anamnese und Diagnostik zum Ausschluss anderer mit Fatigue einhergehender Erkrankungen und Mangelzustände erfolgen, die ein ME/CFS auch aggravieren können. Die Liste der Differentialdiagnosen bei Fatigue ist lang. Wichtige Beispiele werden in der Tab. 3 aufgezeigt.
Tab. 3
Beispiele für Differenzialdiagnosen bei Fatigue
Rheumatologische Erkrankungen
Endokrinologische/gynäkologische Erkrankungen
Hämatologische/Onkologische Erkrankungen
Infektionen
Gastroenterologische Erkrankungen
Neurologische/psychiatrische Erkrankungen
Schlafstörungen/spezifische Organerkrankungen
Rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis)
Diabetes mellitus
Hepatitis
Ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew)
Schlafapnoe
Primäre biliäre Cholangitis/Primäre sklerosierende Cholangitis
Andere neuroimmunologische Erkrankungen
Immunthrombozytopenie
Mischkollagenose
Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren
Chronische Sinusitis
Morbus Alzheimer
Koronare Herzkrankheit
Undifferenzierte Kollagenose
Leukämie
Andere chronische Infektionen
Schwere COPD und andere schwere Atemwegserkrankungen
Systemische Sklerose (Sklerodermie)
Hyperparathyreoidismus
Major Depression
Menopause
Männlicher Hypogonadismus
Solide Tumoren
Paraneoplastische Syndrome
Postkommotionelles Syndrom
Post-Intensive-Care-Syndrom
Alkohol- oder Drogenmissbrauch

Komorbide Erkrankungen

Mögliche Komorbiditäten sind Fibromyalgiesyndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom, Myofasziales Schmerzsyndrom, Hashimoto-Thyreoiditis, Endometriose, Reizdarm, Restless-Legs-Syndrom, Migräne, Small Fiber-Neuropathie, depressive Reaktion, milde Angststörung, Posturales Tachykardiesyndrom (POTS), orthostatische Hypotonie (OH), Nahrungsmittelintoleranz, Allergie, Sicca-Symptome. Tab. 4 fasst die wichtigsten Komorbiditäten zusammen.
Tab. 4
Häufige Komorbiditäten von ME/CFS
Rheumatologische Erkrankungen
Endokrinologische/gynäkologische Erkrankungen
Gastroenterologische Erkrankungen
Neurologische/psychiatrische Erkrankungen
Andere
Fibromyalgiesyndrom
Hashimoto-Thyreoiditis
Reizdarm
Ehlers-Danlos-Syndrom
Eosinophile Ösophagitis
Migräne
Orthostatische Hypotonie (OH)
Myofasziales Schmerzsyndrom
Endometriose
 
Small Fiber Neuropathie
Nahrungsmittelintoleranz
Sicca-Symptome
  
Depressive Reaktion
   
Milde Angststörung
Schlafapnoe
    
Interstitielle Zystitis

Epidemiologie und Risikofaktoren

Die geschätzte Prävalenz von ME/CFS in Deutschland liegt bei ca. 0,3–0,5 % auf der Grundlage von Studiendaten aus dem Vereinigten Königreich (UK) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Es gibt keine epidemiologischen Studien aus Deutschland. Das Haupterkrankungsalter liegt bei 15–40 Jahren, mit Häufigkeitsgipfeln bei 11–19 und 30–39 Jahren.
Bekannte Risikofaktoren für ME/CFS sind häufige Infektionserkrankungen, Immundefekte, Verletzungen der Halswirbelsäule, physischer und/oder emotionaler Stress sowie eine positive ME/CFS-Familienanamnese.
Beschrieben sind Assoziationen mit bestimmten HLA-Molekülen und mit Risikogenen für Autoimmunerkrankungen. Es besteht eine leichte familiäre Häufung, ein höheres Risiko für eineiige gegenüber zweieiigen Zwillingen und ein abnehmendes Risiko für Verwandte mit höherem Grad der Verwandtschaft. Frauen erkranken häufiger als Männer, wobei die Geschlechtsverteilung studienabhängig unterschiedlich ist und etwa bei 2:1 liegt.

Pathophysiologie, Psychophysiologie

Die Pathophysiologie der Erkrankung ist bislang nur unzureichend geklärt.
Häufige Auslöser sind Infektionen mit Viren, darunter das Epstein-Barr-Virus (EBV) und Coronaviren (z. B. SARS-CoV-2), vor allem während einer stressigen Lebensepisode, aber auch Infektionen mit anderen Erregern, Verletzungen der Halswirbelsäule, Operation oder schwere psychische Traumata. ME/CFS ist die schwerste Form von Langzeitfolgen einer Coronaviruserkrankung (Long COVID/Post-COVID-Syndrom).
Bei postinfektiösem Beginn gibt es inzwischen eine Reihe von Evidenzen für Autoimmunmechanismen, einhergehend mit einer Störung des autonomen/vegetativen Nervensystems, der Endothelfunktion und des Energiestoffwechsels.
Erhöhte und dysfunktionelle β2-adrenerge (β2AdR) Rezeptorantikörper, die mit der Symptomschwere korrelieren, finden sich in einer Subgruppe von Patienten mit ME/CFS.
Eine gestörte Gefäßregulation mit endothelialer Dysfunktion und zerebraler Hypoperfusion wurde in mehreren Studien gezeigt. Die Minderperfusion der Muskulatur unter Belastung ist wahrscheinlich ein zentraler Mechanismus, der durch die reaktive Freisetzung vasodilatativer und nozizeptiver Mediatoren im Muskel zu Fatigue, PEM, Schmerzen und Hypovolämie führt.

Klinisches Bild

Patienten mit ME/CFS haben vielfältige Symptome. Die Symptome beginnen meistens abrupt, aber auch ein episodischer oder schleichender Beginn ist beschrieben. Die Symptomatik ist häufig schwankend bezüglich der Intensität und Zusammensetzung der Beschwerden.
Schwer Betroffene sind an Rollstuhl, Haus oder Bett gebunden. Für einige Patienten ist bereits die Nahrungsaufnahme zu anstrengend, so dass sie auf Trinknahrung und fremde Hilfe angewiesen sind. Auch die Körperhygiene kann von Betroffenen nicht ohne fremde Hilfe durchgeführt werden.
Die unten genannten Symptome müssen mindestens sechs Monate (bei Kindern und Jugendlichen abhängig von den angewandten Kriterien drei bis sechs Monate) vorhanden sein.
Zu den Kardinalsymptomen zählen:
  • Schwere, nicht anderweirtig erklärbare Fatigue
  • Belastungsintoleranz mit PEM (die typischerweise schon nach geringer Belastung auftritt, bei Schwerstbetroffene kann sie bereits durch Aufsetzen im Bett oder Körperpflege ausgelöst werden)
  • Schlafstörungen (nicht erholsamer Schlaf, Störung der Schlafdauer oder des Tag-Nacht-Rhythmus)
  • Schmerzen (Myalgien, Arthralgien (ohne Arthritis), häufig diffus und wandernd), häufig bestehen Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters oder Schweregrads
  • Neurokognitive Störungen (Verwirrung, Konzentrationsstörungen, Störung des Kurzzeitgedächtnisses, Orientierungslosigkeit, Schwierigkeiten mit der Informationsverarbeitung, Kategorisierung und Wortfindung, Wahrnehmungs- und sensorische Störungen, Ataxie, Muskelschwäche, Faszikulationen). Es kann zu Überlastungsphänomenen kommen (z. B. Photophobie, Lärmempfindlichkeit und/oder emotionale Überlastung, welche zu „Crash“-Phasen und/oder Angststörung führt)
  • Autonome Manifestationen (orthostatische Intoleranz, posturales Tachykardie Syndrom (POTS), orthostatische Hypotonie (OH), Benommenheit, extreme Blässe, Übelkeit und Reizdarmsymptome, Harndrang und Blasendysfunktion, Palpitationen ohne Arhythmien, Belastungsdyspnoe)
  • Neuroendokrine Manifestationen (thermostatische Instabilität, subnormale Körpertemperatur und ausgeprägte Tagesfluktuation, Schweißausbrüche, rezidivierendes Fiebergefühl und kalte Extremitäten, extreme Hitze- und/oder Kälteintoleranz, signifikante Gewichtsveränderung, abnormaler Appetit, Verlust des Anpassungsvermögens, Verschlechterung der Symptome mit Stress)
  • Immunologische Manifestationen (schmerzhafte Lymphknoten, rezidivierende Halsschmerzen, wiederkehrende grippeähnliche Symptome, allgemeines Unwohlsein, neue Unverträglichkeiten gegenüber Nahrungsmitteln, Medikamenten und/oder Chemikalien).

Diagnostik

Für die Diagnostik steht kein Biomarker zur Verfügung. Daher erfolgt die Diagnosestellung anhand klinischer Kriterien und bedarf des Ausschlusses anderer möglichen Ursachen von Fatigue mittels Anamnese, körperlicher Untersuchung, Labor, Funktionstests und Bildgebung.
Anamnestisch kommen neben spezifischen Symptomfragebögen (z. B. Kanadische Kriterien) auch Fragebögen zum allgemeinen körperlichen und seelischen Gesundheitszustand, z. B. Short Form (36) Gesundheitsfragebogen (SF-36) oder speziell zur Fatigue, z. B. Chalder Fatigue Scale, zum Einsatz (Nacul et al. 2021). Die Schwere der Symptomatik kann mittels Bell-Score erfasst werden (Bell 1995).
In der körperlichen Untersuchung fällt oft das blasse, bei Schwerkranken manchmal auch leicht geschwollene Gesicht auf, die Hände können kalt, die Haut schwitzig sein. Fatigue ist prinzipiell ein subjektives Symptom. Bei Schwerbetroffenen tritt jedoch während einer längeren Untersuchungszeit eine erkennbare Erschöpfung und Symptomverschlechterung auf, wie z. B. abnehmende Konzentrationsfähigkeit, zunehmende Wortfindungsstörungen. Besonders schwer Erkrankte zeigen sich auch beim Untersuchungstermin empfindlich gegenüber Licht, Geräuschen und Raumtemperatur, so dass die Untersuchungsbedingungen angepasst werden müssen.
Die verminderte Kraft kann mit Hilfe eines Hand-Dynamometers gemessen werden. Eine orthostatische Intoleranz, einschließlich des Posturalen Tachykardiesyndroms (POTS) und der orthostatischen Hypotonie (OH) kann durch einen angelehnten 10-Minuten-Stehtest (adaptierter Schellong-Test) diagnostiziert werden: Puls- und Blutdruckmessung während 5 Minuten im Liegen, über 10 Minuten angelehnt im Stehen (ggf. Sitzen) und erneut während 5 Minuten im Liegen.

Therapie

Es gibt bislang keine wirksame, kausale Therapie. Experimentelle immunsuppressive und immunmodulatorische Ansätze werden in Studien untersucht.
Die derzeit empfohlene Behandlung zielt darauf ab, Symptome bestmöglich zu lindern, eine Überanstrengung, die zu einer Verschlechterung der Beschwerden (PEM, „Crash“) führt, zu vermeiden, Stress zu reduzieren, Infektionen und andere Trigger für Immunaktivierung (z. B. Allergien) bestmöglich zu verhindern bzw. zu behandeln und Mangelzustände zu vermeiden bzw. zu beheben. Wichtig ist insbesondere eine engagierte Behandlung der meist schweren Schlafstörungen, Schmerzen und Kreislaufstörungen.
Durch symptomorientierte Therapie, Stressreduktion und „Pacing“ (Schritthalten mit den eigenen Energiereserven) kann es langfristig zu einer Stabilisierung, bei einem Teil der Erkrankten zu einer Besserung und bei einigen, vor allem Minderjährigen, auch zur Ausheilung kommen. Unter „Pacing“ wird das Einhalten eines Aktivitätsniveaus verstanden, das vom Patienten so weit toleriert wird, dass keine PEM auftritt (Scheibenbogen et al. 2020).
Die meisten Erkrankten benötigen eine langfristige oder dauerhafte multiprofessionelle, medizinische und psychosoziale Betreuung.

Empfohlen

  • Pacing: Einhalten eines individuell angepassten Aktivitätsniveaus, so dass keine langwierige PEM auftritt.
  • Coping: Anwenden von Bewältigungsstrategien, um Stress zu vermeiden. Hier sind Meditationsübungen, Verhaltenstherapie, „Mind-Body“ Training hilfreich.
  • Atemtherapie
  • Aufklärung zur Schlafhygiene und medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen (Melatonin, Mirtazapin niedrig dosiert, Doxepin).
  • Schmerztherapie (vorsichtige manuelle Therapie, Ibuprofen, Paracetamol, Novaminsulfon, Pregabalin, Gabapentin)
  • Ausgleich von Mangelzuständen (Eisen, Folsäure, Vitamin B, Vitamin D, Vitamin B12, Zink, Phosphat, Eiweiß)
  • Ginseng: zeigte Besserung der Fatigue und Konzentration in zwei randomisierten kontrollierten Studien.
  • Kreislaufunterstützung (vermehrte Flüssigkeitszunahme, salzreiche Kost, günstige Körperpositionen, Stehen vermeiden, distale Muskelübungen, Stützstrümpfe, Leibbinde, Kollaps- und Unfallprävention durch Rollstuhl)
  • Behandlung von Allergien, Infektionen, Reizdarm
  • Begleitende Prävention und gegebenenfalls Therapie psychischer Beschwerden

In klinischen Studien

Anekdotisch

Unwirksam, obsolet

  • Graded exercise therapy (GET): Eine stufenweise, nicht an die individuellen Belastungsgrenzen angepasste Steigerung der körperlichen Aktivität kann zu „Crashs“ mit lange anhaltender, schwerer PEM führen.

Rehabilitation

Es gibt bislang kein etabliertes und validiertes Rehabilitationskonzept für ME/CFS. Das Umsetzen von „Pacing“, Erlernen von Bewältigungsstrategien (Coping), Anwenden von Entspannungstechniken, Atemtherapie, Therapie von Schlafstörungen, Schmerztherapie, Kreislaufunterstützung, Krankheitsedukation des Patienten und seiner Umgebung (z. B. Sorgeberechtigte) sowie Anpassung des Arbeitsplatzes und der Beschulung sind wichtige Rehabilitationsziele.

Prognose

Der Verlauf ist definitionsgemäß chronisch, aber nicht zwingend lebenslang. Die Prognose ist bei Erkrankung im Kindes- und Jugendalter besser. Ein kürzerer Verlauf und eine angemessene symptomorientierte Tertiärprävention vermindern das Risiko für Folgeschäden. Ein dauerhaft hoher Grad der Behinderung ist keine Seltenheit und ein Pflegegrad aller Stufen möglich.
ME/CFS kann erhebliche psychosoziale Konsequenzen für die Betroffenen haben. Sie sind oft in ihrem Alltag und ihrer sozialen Teilhabe deutlich eingeschränkt. Für viele ist nur eine limitierte oder keine Ausbildung/Berufstätigkeit möglich, so dass es nicht selten zu einem fehlenden Ausbildungsabschluss bzw. zu einer vorzeitigen Berentung kommt. In der Schule und im Studium sind in der Regel ein umfassender Nachteilsausgleich und individuelle Sonderregeln notwendig.

Prävention

Vermutlich ist eine vorübergehende Schonung in der Rekonvaleszenzphase nach einer Infektionserkrankung eine mögliche präventive Maßnahme. Aussagekräftige Studien dazu sind jedoch bisher nicht verfügbar.
Von Bedeutung sind die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen, darunter auch die SARS-CoV-2-Impfung, die nicht nur das Risiko für eine schwere Erkrankung mit dem neuen Coronavirus (COVID-19), sondern auch das Risiko für postvirale Langzeitfolgen (Long COVID/Post-COVID-Syndrom) reduziert.

Zusammenfassung, Bewertung

ME/CFS ist eine schwere Erkrankung mit vermutlich neuroimmunologischer Genese, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung und eingeschränkter psychosozialer Teilhabe führt. ME/CFS ist ein eigenständiges, komplexes Krankheitsbild und nicht mit dem Symptom Fatigue zu verwechseln oder als psychosomatische Erkrankung einzuordnen.
ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue unter Schmerzen, Schlafstörungen, neurokognitiven, autonomen und immunologischen Symptomen. Biomarker oder kausale Therapieansätze sind noch nicht verfügbar. Die Diagnosestellung erfolgt anhand klinischer Kriterien im Ausschlussverfahren. Die Behandlung beinhaltet eine ausführliche Beratung zum Selbstmanagement (Pacing, Coping) sowie symptomorientierte, nicht-medikamentöse und medikamentöse Ansätze.
Der Verlauf ist oft undulierend und definitionsgemäß chronisch, aber nicht zwingend lebenslang. Die Prognose ist bei Erkrankung in jungem Alter besser.
Literatur
Bell DS (1995) The doctor’s guide to chronic fatigue syndrome. Addison-Wesley, Massachusetts
Bested AC, Marshall LM (2015) Review of Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: an evidence-based approach to diagnosis and management by clinicians. Rev Environ Health 30:223–249CrossRefPubMed
Carruthers BM et al (2003) Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. J Chron Fatigue Syndr 11:7–115CrossRef
Committee on the Diagnostic Criteria for Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome, Board on the Health of Select Populations; Institute of Medicine (2015) The National Academies Collection: Reports funded by National Institutes of Health. In: Beyond Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: redefining an illness. The National Academies Press (US)
Nacul L et al (2021) European Network on Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (EUROMENE): Expert Consensus on the Diagnosis, Service Provision, and Care of People with ME/CFS in Europe. Medicina (Kaunas) 57:1–25. https://​doi.​org/​10.​3390/​medicina57050510​
Rowe PC et al (2017) Myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome diagnosis and management in young people: a primer. Front Pediatr 5:121CrossRefPubMedPubMedCentral
Scheibenbogen C, Kedor C, Behrends U (2020) Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS). Der niedergelassene Arzt 12:71–76