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2022 | Buch

Arzneiverordnungs-Report 2022

herausgegeben von: Wolf-Dieter Ludwig, Bernd Mühlbauer, Roland Seifert

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Der Arzneiverordnungs-Report ist seit 1985 eine gemeinsame Publikation von Autoren aus Pharmakologie, Klinik, Praxis, Gesundheitsökonomie und Krankenversicherung. Basis sind die Verordnungsdaten von Arzneimitteln für ambulante Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
41. Erratum zu: Arzneiverordnungs-Report 2022
Wolf-Dieter Ludwig, Bernd Mühlbauer, Roland Seifert

Allgemeine Verordnungs- und Marktentwicklung

Frontmatter
1. Arzneiverordnungen 2021 im Überblick
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Ausgabenprofil Die Arzneimittelnettoausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind 2021 auf 50,3 Mrd. € gestiegen. Die Zunahme gegenüber 2020 übersteigt mit fast 9 % klar die Vorjahreszunahme. Bei GKV-Gesamtausgaben von ca. 263 Mrd. € stieg der Arzneimittelanteil auf fast 18 % der Leistungsausgaben der GKV. Wie seit Jahren stellen nach den Kosten für Krankenhausbehandlung (85,9 Mrd. €) die Arzneimittelausgaben den zweitgrößten Posten der GKV-Ausgaben dar, gefolgt von der vertragsärztlichen Versorgung und den Ausgaben für zahnärztliche Behandlung.
An der Spitze der 40 nettokostenstärksten Arzneimittelgruppen stehen auch 2021 – wie bereits seit 2018 – die Onkologika, deren Nettokosten erneut um 12,4 % auf 10.625 Mio. € und deren Verordnungen um 4,1 % auf 8,42 Mio. gestiegen sind. Mit deutlichem Abstand folgen an den Positionen 2–4 die Immunsuppressiva (6,08 Mio. €), Antithrombotika (3,05 Mio. €) bzw. Antidiabetika (ebenfalls 3,05 Mio. €). Gegensätzlich verhielten sich die Umsatz- und Verordnungsvolumina von Generika und Orphan-Arzneimitteln. Während Orphan-Arzneimittel in 2021 trotz des relativ geringen Verordnungsvolumens (31,7 Mio. DDD) ein Umsatzvolumen von 7,1 Mrd. € erreichten (Steigerung um 20 %), verringerte sich der Kostenanteil der Generika trotz eines hohen Verordnungsanteils am gesamten Arzneimittelmarkt (77,8 %) und betrug in 2021 nur noch 26,6 % des Gesamtumsatzes.
Wolf-Dieter Ludwig, Bernd Mühlbauer
2. Neue Arzneimittel 2021
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Im Jahr 2021 wurden 38 neue Arzneimittel in Deutschland auf den Markt gebracht und damit etwas mehr als im Vorjahr (36 Arzneimittel). Wie schon in den Vorjahren stehen Neueinführungen in den Indikationsbereichen maligne Erkrankungen (10 Arzneimittel), seltene Erkrankungen (13) sowie Autoimmunerkrankungen (6) im Vordergrund. Ein Fokus der Arzneimittelzulassungen liegt nach wie vor bei den monoklonalen Antikörpern und Proteinkinase-Inhibitoren. Exemplarisch werden von den neu zugelassenen Arzneimitteln Cefiderocol (Infektionen mit gramnegativen aeroben Erregern), Esketamin (akute Depression), Odevixibat (progressive familiäre intrahepatische Cholestase) und Roxadustat (renale Anämie) im Detail vorgestellt und diskutiert.
Bewertung Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss konnte für nur weniger als 30 % der Arzneimittel (11 von 38) der neuen Arzneimittel ein Zusatznutzen konstatiert werden. Der Zusatznutzen von Cefiderocol (Infektionen durch gramnegative aerobe Erreger) ist belegt. Ein erheblicher Zusatznutzen wurde für das Zelltherapeutikum Atidarsagen autotomecel zur Behandlung der metachromatischen Leukodystrophie festgestellt. Ein beträchtlicher Zusatznutzen wurde für Tucatinib (lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Mammakarzinom) sowie Fenfluramin (Dravet-Syndrom) festgestellt.
Lutz Hein, Roland Seifert
3. Beschleunigte Zulassungen und therapeutischer Nutzen von Arzneimitteln in den USA und Europa
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Sowohl in Europa als auch in den USA hat der Gesetzgeber verschiedene beschleunigte Zulassungsverfahren in Kraft gesetzt. Im Fokus dieses Beitrags stehen die „accelerated approval“ in den USA, die bedingte Zulassung in der EU und die befristete Zulassung in der Schweiz. Ziel der beschleunigten Zulassung von Arzneimitteln sowohl in den USA als auch in Europa ist es, wichtige Arzneimittel, für die es einen ungedeckten medizinischen Bedarf gibt, schnell für Patienten zugänglich zu machen. Diese Arzneimittel werden mit weniger aussagekräftigen Daten als regulär erforderlich zugelassen. Damit einhergehende Gefahren sind, dass schwerwiegende Nebenwirkungen nicht erkannt werden, die Arzneimittel nicht den erwarteten therapeutischen Nutzen aufweisen oder nachzureichende Daten häufig erst verspätet oder gar nicht eingereicht werden. In den letzten Jahren hat die Anzahl der Arzneimittel, die beschleunigt zugelassen wurden, sowohl in den USA als auch in Europa zugenommen. Bei den meisten dieser Arzneimittel handelt es sich um Onkologika. Nur ungefähr ein Drittel dieser beschleunigt zugelassenen Arzneimittel weisen einen hohen therapeutischen Nutzen auf. Die Implikationen dieser Ergebnisse sind wie folgt: Zum einen ist es zentral, dass weitere klinische Daten zeitnah nachgeliefert werden. Zum anderen stellt sich die Frage, ob eine mangelnde Evidenz im Rahmen der Preisfestsetzung des Arzneimittels berücksichtigt werden soll. Nach dem Nachweis weiterer Daten und einer Reevaluation des therapeutischen Nutzens könnte der Preis entsprechend angepasst, und bei Vorliegen eines hohen therapeutischen Nutzens erhöht werden. Dies würde den Anreiz für das Nachreichen von wichtigen klinischen Daten stärken, was wiederum eine umfassendere Analyse des therapeutischen Nutzens ermöglichen und damit im Patienteninteresse liegen würde.
Kerstin Noëlle Vokinger
4. Überblick über Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes von Biosimilars in europäischen Ländern
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Biosimilars gelten als ein vielversprechender Ansatz, um leistbaren und nachhaltigen Zugang zu biologischen Arzneimitteln zu ermöglichen. Um den Einsatz von preisgünstigeren Biosimilars zu fördern, wenden europäische Länder unterschiedliche Marktsteuerungsmechanismen an, die zum einen am Angebot (Preise) und zum anderen an der Nachfrage nach Biosimilars (an Ärzte, Apotheker und Patienten gerichtete Maßnahmen) ansetzen. Ein Überblick über relevante Maßnahmen in 30 europäischen Ländern zeigt bei einigen, aber nicht allen Maßnahmen ähnliche Zugänge der Länder, bei anderen Maßnahmen haben Länder unterschiedliche Wege gewählt. Deutschland zählt zu der Minderheit der europäischen Länder, die keine Preis-Link-Politik anwenden, bei welcher die Preise von Biosimilars (wie auch für Generika) als Abschlag des Preises des Referenzarzneimittels festgelegt werden. Die Mehrzahl der europäischen Länder nutzen ein Festbetragssystem, und eine Reihe von Ländern haben mittlerweile Biosimilars darin aufgenommen. Wirkstoffverordnung ist in den europäischen Ländern weit verbreitet, allerdings sind des Öfteren Biologika ausgeschlossen. Die Verschreibung von Biosimilars wird bei bio-naiven Patienten im Allgemeinen empfohlen, und ein Switch von dem Referenzarzneimittel auf das Biosimilar ist in vielen Ländern unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Die Substitution von Biologika auf Apothekenebene wurde bislang nur in wenigen europäischen Ländern eingeführt.
Sabine Vogler, Dimitra Panteli, Nina Zimmermann, Reinhard Busse

Maligne Erkrankungen

Frontmatter
5. Hämatologische Neoplasien und solide Tumore
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Das höchste Verordnungsvolumen unter den Onkologika haben weiterhin Hormonantagonisten zur Behandlung des Mammakarzinoms und des Prostatakarzinoms, auf die 63 % der definierten Tagesdosen (DDD) entfallen. An zweiter Stelle stehen inzwischen die monoklonalen Antikörper gefolgt von den klassischen Zytostatika mit der führenden Gruppe der Antimetabolite, was vor allem auf den häufigen Verordnungen von 5-Fluorouracil beruht. Als nächste Gruppen folgen Proteinkinaseinhibitoren, deren Verordnungsvolumen um 8,8 % bzw. 10,9 % gegenüber 2020 zugenommen hat. Führende Gruppe der monoklonalen Antikörper sind erneut Antikörper gegen PD-1-Rezeptoren und PD-L1-Liganden, die für ein stetig wachsendes Spektrum von onkologischen Indikationen zugelassen sind, gefolgt von HER2-Antikörpern zur Behandlung des HER2-positiven Mammakarzinoms. Die inzwischen verfügbaren 4 Biosimilars zu Trastuzumab übertreffen 2021 deutlich das Verordnungsvolumen des Originalpräparats (Herceptin). Führende Vertreter der Proteinkinaseinhibitoren hinsichtlich ihres Verordnungsvolumens sind fast gleichauf die CDK-Inhibitoren für die Behandlung des hormonrezeptorpositiven, fortgeschrittenen Mammakarzinoms, die BCR-ABL-Tyrosinkinaseinhibitoren zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie sowie die Rezeptor-Tyrosinkinaseinhibitoren zur Behandlung u. a. des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms, des Nierenzellkarzinoms, von gynäkologischen Tumoren (Mamma- bzw. Ovarialkarzinom) und Weichteilsarkomen, aber auch von nicht malignen Erkrankungen (z. B. idiopathische Lungenfibrose, interstitielle Lungenerkrankung). Einen deutlichen Anstieg der Verordnungen zeigen auch die Bruton-Tyrosinkinaseinhibitoren (Ibrutinib, Acalabrutinib) zur Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie bzw. niedrig-maligner Lymphome (z. B. M. Waldenström). Weitere Proteinkinaseinhibitoren werden eingesetzt vor allem zur Behandlung der primären Myelofibrose (MF) und der nach Polycythämia Vera bzw. Essenzieller Thrombozythämie auftretenden MF.
Kosten Onkologika sind wie bereits in den Jahren zuvor auch 2021 mit Nettokosten in Höhe von 10,6 Mrd. € die mit deutlichem Abstand umsatzstärkste Indikationsgruppe des GKV-Arzneimittelmarktes, obwohl Onkologika nur 1,2 % aller Verordnungen im Arzneimittelmarkt der GKV ausmachen. Die höchsten Kosten verursachen monoklonale Antikörper (4,3 Mrd. €), gefolgt von Proteinkinaseinhibitoren (2,7 Mrd. €), weiteren Zytostatika (1,5 Mrd. €) und Hormonantagonisten (1,3 Mrd. €). Deutlich geringere Kosten entfallen auf die einzelnen Wirkstoffklassen der klassischen Zytostatika.
Wolf-Dieter Ludwig, Arnold Ganser, Georg Maschmeyer

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Frontmatter
6. Arterielle Hypertonie
Zusammenfassung
Auf einen Blick
In diesem neu gestalteten Kapitel werden die Antihypertonika gemeinsam auf der Basis der aktuellen Empfehlungen zur antihypertensiven Therapie dargestellt. Damit werden die bisher getrennten Kapitel zu Hemmstoffen des Renin-Angiotensin Systems, Calciumkanalblockern, β-Adrenozeptor-Antagonisten (Betablocker) sowie speziellen Antihypertonika wie α-Adrenozeptor-Antagonisten und zentral wirkenden Antisympathotonika zusammengeführt. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass es sich bei der antihypertensiven Therapie um eine in alle Bereiche der kardiovaskulären Medizin reichende Basistherapie handelt, die einen integrierten Ansatz erfordert. Die als Antihypertonika ebenfalls wichtigen Diuretika und Aldosteronrezeptorantagonisten werden gesondert in Kap. 34 besprochen. Zusätzlich wird auf unvermeidbare Überschneidungen mit den Kardiaka in Kap. 7 verwiesen.
Trend Antihypertonika sind seit Jahren die mit Abstand am häufigsten eingenommenen Arzneistoffe und steigen im Trend weiter an. Mit 17,2 Mrd. DDD für die gesamte Gruppe lässt sich bei Annahme einer im Durchschnitt verordneten Zweierkombination errechnen, dass aktuell über 23 Mio. Menschen eine regelmäßige antihypertensive Arzneitherapie erhalten. Dabei entfällt ein zunehmend großer Anteil auf die vier wichtigsten Gruppen der Antihypertonika (ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorantagonisten [Sartane], Calciumkanalblocker, Diuretika in Mono- und Kombinationspräparaten). Während Sartane 2021 mit +7 %, Kombinationspräparate mit Calciumkanalblockern (+5,5 %) und Aldosteronrezeptorantagonisten (+5 %) gegenüber 2020 weiter ansteigen, fällt die Verordnung von β-Adrenozeptor-Antagonisten (−1,1 %) und Diuretika inklusive der Kombinationspräparate (−2 %) leicht ab. Verordnungen von α-Adrenozeptor-Antagonisten und zentral wirkenden Antisympathotonika stabilisieren sich auf niedrigem Niveau.
Bewertung Die zunehmende Verordnung von Antihypertensiva sowie der Trend zu Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems, Calciumkanalblockern, Aldosteronrezeptorantagonisten und Kombinationspräparaten spiegeln aktuelle Empfehlungen zur antihypertensiven Therapie wider und sind zu begrüßen. Die eher abnehmende Verordnung von Diuretika ist nicht durch Studien begründet. Kritisch zu sehen sind auch die immer noch deutliche Dominanz von Hydrochlorothiazid gegenüber dem länger wirksamen Chlortalidon und das weitgehende Fehlen sinnvoller Kombinationspräparate mit Chlortalidon.
Thomas Eschenhagen, Joachim Weil
7. Herzerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Herzglykoside werden in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz zunehmend von der aktuell empfohlenen Leitlinienmedikation inklusive Sacubitril und Valsartan verdrängt. Nitrovasodilatatoren (Nitrate und Molsidomin) gehen in ihren Verordnungen kontinuierlich zurück, während sich Ivabradin und Ranolazin auf niedrigem Niveau stabilisiert haben. Die Abnahme in dem Gesamtsegment ist wahrscheinlich der Abnahme von Patienten mit stabiler Angina pectoris geschuldet. Antiarrhythmika werden vor allem beim Vorhofflimmern mit einem über die letzten Jahre stabil niedrigen Volumen verordnet. Die in der Therapie der Herzinsuffizienz zentralen ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorantagonisten und β-Adrenozeptor-Antagonisten werden in Kap. 6 (Antihypertonika) besprochen, Diuretika und Aldosteronrezeptorantagonisten in Kap. 34 (Diuretika).
Thomas Eschenhagen, Joachim Weil

Blut und Gerinnung

Frontmatter
8. Anämien
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Der größte Teil der Verordnungen von Antianämika entfällt weiterhin auf Eisenpräparate, gefolgt von Folsäure und Epoetinpräparaten mit jeweils deutlich geringeren Verordnungsvolumina. Seit 2013 nahmen die Verordnungszahlen aller drei Gruppen der Antianämika zu. Das Beispiel der Herzinsuffizienz zeigt, dass sich die Korrektur eines Eisenmangels auch auf Begleiterkrankungen positiv auswirkt. Mit Blick auf die Stimulation der Erythropoese darf mit Spannung beobachtet werden, wie sich die erst 2021 erfolgte Zulassung von Roxadustat, einem oralen Inhibitor der HIF-PH (Hypoxie-induzierbarer Faktor-Prolylhydroxylase), zukünftig auf die Verordnungszahlen der Epoetine auswirken wird.
Jan Matthes
9. Antithrombotische Therapie
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Die Gesamtverordnungen der Thrombozytenaggregationshemmer sind 2021 gegenüber dem Vorjahr minimal gesunken, die der oralen Antikoagulantien weiter angestiegen, wenn auch geringer als im Vorjahr. Die Verordnungen der Vitamin-K-Antagonisten nahmen auch 2021 weiter deutlich ab, während die der Thrombin- und Faktor Xa-Antagonisten gegenüber 2020 erneut deutlich zugenommen haben. Der Verordnungsanteil der Vitamin-K-Antagonisten an allen oralen Antikoagulantien beträgt jetzt nur noch 16,8 %. Die Kosten aller Antithrombotika sind 2021 auf 3.004 Mio. € gestiegen. Der Anstieg gegenüber 2020 um 6,2 % ist auch diesmal allein durch die neuen direkten oralen Antikoagulantien bedingt. Bei den Antihämorrhagika sind die Faktor-VIII-Präparate die umsatzstärkste Gruppe. Modifizierte rekombinante Gerinnungsfaktoren sowie ein monoklonaler Antikörper (Emicizumab) als Faktor VIIIa-Mimetikum erweitern die Therapieoptionen bei Patienten mit angeborener Hämophilie A oder B.
Bewertung Acetylsalicylsäure ist weiter der wichtigste Thrombozytenaggregationshemmer. ADP-Rezeptorantagonisten haben allein oder in Kombination mit Acetylsalicylsäure nur in bestimmten kardiovaskulären Spezialindikationen einen nachgewiesenen Zusatznutzen. Ticagrelor und möglicherweise auch Prasugrel zeigen bei einzelnen Patientengruppen mit akutem Koronarsyndrom Vorteile gegenüber Clopidogrel. Die direkt wirkenden oder auch neuen Antikoagulantien reduzieren das Risiko ischämischer Schlaganfälle bei Vorhofflimmern ähnlich wie Vitamin K-Antagonisten, lösen aber weniger Hirnblutungen aus. Validierte, in der Praxis verfügbare Labortests existieren für die neuen oralen Antikoagulantien bisher nicht. Vitamin-K-Antagonisten werden in Leitlinien zwar weiterhin zur Thromboembolieprophylaxe bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern empfohlen, inzwischen jedoch meist nachrangig zu den neuen oralen Antikoagulantien. Dennoch sind sie für viele Patienten weiterhin als Therapieoption anzusehen, vor allem für Patienten nach Klappenersatz mit einer Indikation für eine Antikoagulation. Die Verordnungszahlen der neuen oralen Antikoagulantien stiegen seit 2012 nahezu linear an, zeigen jetzt aber eine gewisse Abflachung. Sie sind bis zu 20-fach teurer und haben allein 2021 Kosten von 2,485 Mrd. € verursacht.
Hans Wille

Erkrankungen des Stoffwechsels und des Gastrointestinaltraktes

Frontmatter
10. Diabetes mellitus
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Die Arzneitherapie des Diabetes mellitus hat in den letzten zehn Jahren weiter zugenommen. Insulinverordnungen stagnierten lange Zeit. Sie sind seit drei Jahren rückläufig, da bei kontinuierlichem Rückgang der Humaninsuline jetzt auch Insulinanaloga weniger verordnet wurden. Die Metforminverordnungen stagnierten seit 2012, sind aber in den letzten vier Jahren wieder angestiegen. Die Sulfonylharnstoffverordnungen haben sich seit 2012 etwa halbiert. Die Verordnungen der DPP-4-Hemmer sind 2021 in etwa gleich geblieben. Glinide sind nur noch mit einer Substanz vertreten. SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Agonisten werden in der aktuellen Nationalen Versorglungsleitlinie aufgrund der Ergebnisse kardiovaskulärer Endpunktstudien für Typ-2-Diabetespatienten mit kardiovaskulären Risiken empfohlen, bei Patienten mit manifesten kardiovaskulären Erkrankungen sogar (in Kombination mit Metformin) als Erstlinientherapie. Zum Einsatz von SLGT2-Inhibitoren bei Herzinsuffizienz mit und ohne Diabetes wird auf Kap. 6,7 und 34 verwiesen. Die Studiendaten haben vermutlich dazu beigetragen, dass sowohl SGLT-2-Inhibitoren als auch GLP-1-Agonisten 2021 jeweils erneut um 30 % mehr verordnet wurden.
Kosten Die Antidiabetika stehen mit 3,05 Mrd € (+9,2 %) wie im Vorjahr auf Rang 4 der umsatzstärksten Arzneimittelgruppen. Erneut haben die oralen Antidiabetika einen deutlich höheren Kostenanteil als die Insulinpräparate. Dies liegt eindeutig an den teuren Präparaten der neueren Wirkstoffgruppen der SGLT2-Inhibitoren und der GLP-1-Agonisten.
Marc Freichel, Andreas Klinge
11. Lipidstoffwechselstörungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die Verordnungen von Pharmaka zur Behandlung von Lipidstoffwechselstörungen sind erneut um etwa 10 % innerhalb eines Jahres angestiegen, die Verordnungszahlen haben sich damit im Vergleich zum Jahr 2012 nahezu verdoppelt.
Den größten Zuwachs im Vergleich zu den vorigen Jahren zeigen Präparate mit dem Wirkstoff Ezetimib (+39 %), gefolgt vom PCSK9-Inhibitoren Evolocumab (+19,1 %), wobei das Verordnungsvolumen der PCSK9-Inhibitoren insgesamt niedrig ist. Bei den Statinen (Zuwachs +10,1 %) hält der Trend zur Verordnung von Atorvastatin und Rosuvastatin an, Simvastatin und Pravastatin verlieren weiter an Marktanteilen. Neu auf dem Markt seit Ende 2020 ist der ACL-Inhibitor Bempedoinsäure.
Bewertung Die Statine haben 2021 ein Verordnungsvolumen erreicht, das die tägliche Behandlung von 8,4 Mio. Patienten mit Standarddosierungen ermöglicht. Alle übrigen lipidsenkenden Arzneistoffe müssen sich bezüglich ihrer Effekte auf patientenrelevante Endpunkte an den Statinen messen lassen. Bisher überzeugen sie in klinischen Studien aber überwiegend bei Surrogatvariablen. Der klinische Nutzen von Bempedoinsäure ist auf Grund seiner Marktneuheit noch nicht fundiert zu beurteilen.
Bastian Schirmer, Jochen Schuler
12. Magen/Darm- und Lebererkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Im Verordnungsvolumen bedeutsamste Gruppe der Magen-Darm-Medikamente sind wie in den vergangenen Jahren die Protonenpumpeninhibitoren (PPI). Sie liegen auch 2021 mit großem Abstand vor allen anderen Wirkstoffgruppen des Indikationsgebietes. Seit Ruhen der Zulassung von Ranitidin 2020 spielen H2-Rezeptor-Antagonisten nur noch eine vernachlässigbare Rolle. Verordnungen der klassischen Prokinetika sind weiter rückläufig. Bei Medikamenten gegen chronisch-entzündliche Darmkrankheiten sind weitere Verschreibungszunahmen des Integrin-Inhibitors Vedolizumab und des Interleukin 12/23 Antikörpers Ustekinumab zu verzeichnen. Die Verschreibung von Infliximab und von Adalimumab ist leicht gestiegen, wobei hier eine Verlagerung auf Biosimilars zu beobachten ist. Die Verordnung der Pankreatinpräparate ist stabil geblieben. Geringe Verordnungsvolumina entfallen auf Spasmolytika, Antidiarrhoika und Laxantien.
Als Magen-Darm-Medikamente werden verschiedene Arzneimittelgruppen zur Behandlung von Krankheiten des Gastrointestinaltrakts zusammengefasst. Das weitaus größte Verordnungsvolumen nach definierten Tagesdosen (DDD) entfällt auf die Protonenpumpeninhibitoren (PPI), mit deutlichem Abstand gefolgt von Arzneimitteln gegen chronisch entzündliche Darmerkrankungen (intestinale Antiphlogistika), Laxantien, motilitätssteigernden Mitteln (Prokinetika), H2-Rezeptorantagonisten und Lebertherapeutika (Abb. 12.1, 12.2).
Das Verordnungsvolumen der PPI betrug 2021 3,8 Mrd. Tagesdosen und liegt somit weiterhin mit großem Abstand vor allen anderen Wirkstoffe der Indikationsgruppe. Die PPI-Verordnungen sind nach jahrzehntelangem, fast linearen Anstieg seit 2016 weitgehend stabil (Abb. 12.1). Allerdings sind darin nicht die rezeptfreien PPI inbegriffen, so dass anzunehmen ist, dass der Verbrauch insgesamt weiter gestiegen ist. Die Nettokosten der Ulkustherapeutika lagen 2021 bei ca. 563 Mio. € (vgl. Tab. 1.2). Die antivirale Therapie der Hepatitis C war ein großer und initial teurer medizinischer Fortschritt. Inzwischen ist die Zahl der Verordnungen, wahrscheinlich aufgrund erfolgreicher Behandlung der meisten Patienten, soweit gesunken, dass diese Medikamente wie im Vorjahr nicht unter den 3.000 am häufigsten verordneten Arzneimitteln aufgeführt sind.
Ansgar W. Lohse, Samuel Huber
13. Gicht
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Die spezifische Arzneitherapie der Gicht umfasst Xanthinoxidasehemmer, Colchicin und Benzbromaron. Standardarzneistoff für die chronische Gicht ist Allopurinol, auf das 87 % aller Verordnungen entfallen. Der zweite, deutlich teurere Xanthinoxidasehemmer Febuxostat weist keine relevanten Vorteile gegenüber dem bewährten Allopurinol auf. Ein 2019 erschienener Rote-Hand-Brief warnte vor kardiovaskulären Risiken von Febuxostat. Den erwarteten Verordnungsrückgang in 2020 konnte das Präparat 2021 nahezu wieder wettmachen. Beim akuten Gichtanfall wird Colchicin eingesetzt und ist 2021 etwas häufiger verordnet worden als im Vorjahr. Dies gilt auch für das das Urikosurikum Benzbromaron, dessen Kombinationspräparat mit Allopurinol nach stetem Verordnungsrückgang nicht mehr unter den 3.000 am häufigsten verordneten Arzneimitteln erscheint.
Bernd Mühlbauer
14. Osteoporose und Calcium- und Phosphatregulation
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Hauptvertreter der Osteoporosemedikamente sind Bisphosphonate, die in der Onkologie auch dem Schutz vor Knochenmetastasen dienen. Der nach Jahren des Rückganges beobachtete Verordnungszuwachs der Bisphosphonate hat sich auch in 2021 fortgesetzt. Leitsubstanz der Bisphosphonate ist Alendronsäure, auf die jetzt fast 70 % des Verordnungsvolumens dieser Stoffgruppe entfallen, während Risedronsäure, Ibandronsäure und Zoledronsäure deutlich kleinere Anteile haben. Mit Abstand folgen Denosumab, das allerdings stetig zunimmt, sowie Raloxifen.
Calciumpräparate werden mit leichter Verordnungsabnahme weiterhin als Basistherapeutika vor allem in Kombination mit Vitamin D eingesetzt, auch wenn sie nur einen bescheidenen Effekt auf die Frakturrate haben und vor allem bei Vitamin-D-Mangel wirksam sind. Weitere Calciumpräparate sind als Phosphatbinder zur Behandlung der Hyperphosphatämie bei Hämodialysepatienten von Bedeutung.
Hans Christian Kasperk, Bernd Mühlbauer
15. Vitamine und Mineralstoffpräparate
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Die Vitamin-D-Verordnungen haben im Jahr 2021 wie schon im Jahr 2020 deutlich zugenommen, was in erster Linie mit dem angeblichen Nutzen gegen eine SARS-CoV-2-Infektion zusammenhängt. Die Verordnungen von Vitamin B12-Präparaten, ebenso wie von Kalium- und Magnesiumpräparaten sind stabil. Demgegenüber ist die die Verordnung von fragwürdigen Vitaminkombinationen (oft mit Vitamin D) angestiegen.
Bewertung Colecalciferol wird zur Rachitisprophylaxe und zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt, während die Metaboliten Alfacalcidol und Calcitriol insbesondere bei Dialysepatienten indiziert sind. Der Nutzen von Vitamin-D-Präparaten bei der SARS-CoV-2-Infektion ist weiterhin nicht belegt. Vitamin B12 wird vorwiegend in der parenteralen Therapie schwerwiegender Vitaminmangelzustände wie der perniziösen Anämie eingesetzt. Kaliumpräparate dienen der Korrektur eines höhergradigen Kaliummangels. Magnesiumpräparate sind bei Magnesiummangel indiziert, der aber bei der weiten Verbreitung von Magnesium in der Nahrung bei üblicher Kost selten ist.
Roland Seifert

Infektionserkrankungen

Frontmatter
16. Bakterielle und virale Infektionserkrankungen und Mykosen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Die Antibiotikaverordnungen zeigen 2021 gegenüber dem Vorjahr von der Gesamtmenge her eine Abnahme, die allerdings weniger stark als im Vorjahr ausfällt. Betroffen sind vor allem Betalactamantibiotika, darunter Penicillin, Amoxicillin und viele Oralcephalosporine, Tetracycline, Makrolide und Fluorchinolone. Diese Veränderungen sind wie im Vorjahr teilweise auf die Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie zurückzuführen (Krulichová et al. 2022), im Rahmen derer weniger Atemwegsinfektionen und Influenzafälle auftraten. Entsprechend sind auch Antitussiva und Expektorantien seltener verordnet worden. Ein leichter Anstieg findet sich bei einigen Arzneistoffen, die typischerweise bei Harnwegsinfektionen verordnet werden. Keine wesentlichen Änderungen werden bei den Verordnungen der Antimykotika und der antiviralen Arzneistoffe beobachtet.
Winfried V. Kern

Schmerz, Entzündung und Immunsystem

Frontmatter
17. Symptomatische Behandlung von Schmerz, Fieber und Entzündung
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Die ärztliche Verordnung von Schmerzmitteln hat seit 2012 kontinuierlich zugenommen. Dies betrifft Opiodanalgetika und – etwas deutlicher – nichtopioide Analgetika. Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht verschreibungspflichtige, nichtopioide Analgetika nur in Sonderfällen zu Lasten der GKV verschrieben werden können.
Über die Hälfte der Opioidverordnungen entfällt auf die beiden ohne BtM-Rezept verschreibungsfähigen Wirkstoffe Tramadol und Tilidin/Naloxon. Führende Mittel der starkwirksamen Opioide sind Fentanylpflaster und Oxycodon sowie Hydromorphon, während die seit Jahren rückläufige Verordnung von Morphin sich stabilisiert hat. Einige Opioide (Methadon, Levomethadon, Buprenorphin) werden auch in der Substitutionsbehandlung opioidabhängiger Personen eingesetzt.
Bei den nichtopioiden Analgetika ist ein auffälliger Wandel eingetreten. Acetylsalicylsäure und Paracetamol werden nur noch selten ärztlich verordnet, während etwa 95 % aller Verordnungen nicht-opioider Analgetika auf das rezeptpflichtige Metamizol entfallen, obwohl dieses Medikament ein epidemiologisch relevantes Agranulozytoserisiko hat.
Bei den Verordnungen der Antirheumatika und Antiphlogistika steht Ibuprofen in der Verordnungshäufigkeit weiterhin, inzwischen mit sehr großem Vorsprung, an erster Stelle vor Diclofenac Die Verordnungen der zwei auf dem Markt verbliebenen selektiven Cyclooxygenase-2-Hemmer haben deutlich zugenommen, sie machen jedoch nur 17 % der Gesamtverordnungen bei den nichtsteroidalen Antiphlogistika aus. Die Bedeutung der umstrittenen Externa („Rheumasalben“) ist weiter rückläufig.
Rainer Böger
18. Migräne
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Unter den 3.000 meistverordneten Arzneimitteln finden sich „Triptane“ als für die Behandlung von Migräneattacken zugelassene Agonisten an Serotoninrezeptoren (5-HT1B/D) sowie für die Migräneprophylaxe zugelassene Antagonisten gegen CGRP (Fremanezumab, Galcanezumab) bzw. den CGRP-Rezeptor (Erenumab). Unter den Triptanen hat die Leitsubstanz Sumatriptan mit gut 60 % aller Verordnungen immer noch das höchste Verordnungsvolumen, das für die Triptane insgesamt weiter zugenommen hat. Sumatriptan zeichnet sich durch seine gut belegte therapeutische Wirksamkeit und sein breites Applikationsspektrum aus. Andere Triptane haben nur geringe klinische Vorteile, sind aber im Mittel immer noch teurer als Sumatriptangenerika.
Zur Migräneprophylaxe sollten zunächst β-Adrenozeptor-Antagonisten (Propranolol, Metoprolol), Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Valproinsäure oder Onabotulinumtoxin A eingesetzt werden. Allerdings zeichnen sich für die deutlich teureren Antikörper Zusatznutzen ab. Ihre Verordnungszahlen sind weiter gestiegen.
Jan Matthes, Katja Kollewe
19. Krankheitsmodifizierende Arzneistoffe für Autoimmunerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Krankheitsmodifizierende Antirheumatika haben in der Verordnung erneut weiter zugenommen. Größte Gruppe sind die synthetischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika mit dem bevorzugt eingesetzten Methotrexat. Bei den biologischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika dominieren seit vielen Jahren die TNFα-Inhibitoren, deren Verordnungen allerdings nur noch leicht zunehmen. Lediglich Adalimumab zeigt noch einen deutlichen Verordnungszuwachs durch einen weiteren Anstieg der Biosimilars. Auf niedrigerem Niveau zeigten der Interleukin-6-Rezeptorantagonist Tocilizumab und Kostimulationsinhibitor Abatacept wieder geringe Zunahmen. Inzwischen sind zwei Januskinaseinhibitoren vertreten, die ebenfalls Verordnungszuwächse aufweisen.
Rainer Böger
20. Glucocorticoide und Mineralocorticoide
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Glucocorticoide werden überwiegend zur Entzündungshemmung und Immunsuppression eingesetzt, während die Hormonsubstitution mit dem Nebennierenrindenhormon Cortisol und dem Mineralocorticoid Fludrocortison nur einen kleinen Teil der Verordnungen betrifft. Während die Glucocorticoidverordnungen insgesamt rückläufig waren, fallen wie schon 2020 auch für 2021 erhöhte Verordnungszahlen von Dexamethason auf. Dies ist wahrscheinlich auf den Einsatz des Arzneistoffs bei COVID-19-Patienten zurückzuführen.
Roland Seifert
21. Immunglobuline und Immunsuppressiva
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Humane Immunglobuline sind präformierte Antikörper zur Substitutionstherapie bei Immunmangelkrankheiten und zur Immunmodulation bei speziellen seltenen Krankheiten. Die Prävalenz dieser Erkrankungen kann nicht das über die GKV abgerechnete Verordnungsvolumen der Immunglobuline erklären. Der Umsatz insgesamt ist sogar höher, da es zusätzlich zum Apothekenvertriebsweg Direktlieferverträge der Krankenkassen mit Krankenhäusern und Spezialambulanzen gibt. Daher ist ein sehr hoher Off-Label-Use der Immunglobuline anzunehmen.
Immunsuppressiva werden zur Prophylaxe der Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation und bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen eingesetzt. Größte Gruppe sind die zytotoxischen Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolsäure), gefolgt von den Calcineurininhibitoren (z. B. Ciclosporin, Tacrolimus) und mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Sirolimus).
Bernd Mühlbauer, Wolf-Dieter Ludwig

Erkrankungen des Nervensystems und der Augen

Frontmatter
22. Depression, Angststörungen, bipolare Störung, Schizophrenie, Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Mit über 2 Mrd. DDD stellen Arzneistoffe zur Behandlung der Depression, von Angststörungen, der bipolaren Störung und der Depression („Psychopharmaka“) eine der meist verordneten Arzneimittelgruppen dar. Dabei sind die seit vielen Jahren beobachteten Zuwächse vor allem auf steigende Verordnungen und Indikationsausweitungen von antidepressiven Arzneistoffen („Antidepressiva“) zurückzuführen sowie geringere Zunahmen bei den antipsychotischen Arzneistoffen („Antipsychotika“). Dagegen nehmen die Verordnungen von Arzneimitteln mit sedierender und anxiolytischer Wirkung („Tranquillantien“) seit langem kontinuierlich ab.
Trend Im Durchschnitt haben die Verordnungen von Antidepressiva (Noradrenalin/Serotonin-Verstärker) in der letzten Dekade um mehr als 30 % zugenommen. Dies ist vor allem auf die zwei Arzneistoffgruppen der selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und der selektiven Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) zurückzuführen, wohingegen die Verordnung der nichtselektiven Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI, sog. trizyklischen oder heterozyklischen Antidepressiva) sich in den letzten 10 Jahren stetig rückläufig zeigte. Bei den Antipsychotika ist ein kontinuierlicher Verordnungsanstieg bei den sog. atypischen Antipsychotika (p-mGPCR-Antagonisten) wie Clozapin, Quetiapin, Risperidon und Amisulprid zu beobachten, der durch einen nur sehr moderaten Rückgang der Verschreibung klassisch hochpotenter Antipsychotika (D2R-mGPCR-Antagonisten) wie Haloperidol nicht kompensiert wird. Es handelt sich also vermutlich um Indikationsausweitungen oder einen Trend zur Verordnung höherer Dosierungen. Niedrigpotente Antipsychotika (D2R-mGPCR-Antagonisten) wie Melperon, Pipamperon und Promethazin wurden in gleichbleibendem Umfang verordnet. Die Verordnungen von Arzneimitteln zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind seit starken Zuwächsen in den 2000er Jahren nunmehr seit 5 Jahren annähernd konstant.
Johanna Seifert, Stefan Bleich, Roland Seifert
23. Multiple Sklerose
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Spektrum Zur Behandlung der multiplen Sklerose werden krankheitsmodifizierende Immuntherapeutika und symptomatisch wirkende Arzneistoffe eingesetzt. Die Verordnung von Beta-Interferonen für die Behandlung der schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose geht seit Jahren zu Gunsten anderer Arzneistoffe (insbesondere Dimethylfumarat, Glatirameracetat, Teriflunomid, Ocrelizumab und Natalizumab) zurück. Den stärksten Verordnungsschub verzeichnete Siponimod.
Als Muskelrelaxanzien (Antispastika) stehen Baclofen, Tizanidin und Botulinumtoxin bei der symptomatischen Behandlung der multiplen Sklerose im Vordergrund. Die Verordnungszahlen für das Cannabinoidpräparat Nabiximols sind deutlich angestiegen. Erstaunlicherweise wurden auch Muskelrelaxanzien mit unzureichender Beleglage (z. B. Chininsulfat, Methocarbamol, Pridinol) wie auch schon 2021 deutlich häufiger verordnet. Dies ist unter dem Aspekt der evidenzbasierten Medizin nicht nachvollziehbar und sehr kritikwürdig.
Kosten Der weitaus größte Teil der Kosten entfällt auf die Immuntherapeutika.
Roland Seifert, Friedemann Paul
24. Epilepsien
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Das Verordnungsvolumen der sogenannten „neueren Antiepileptika“ hat sich seit 2012 verdoppelt und steigt weiter. Diese Antiepileptika (vor allem Pregabalin und Levetiracetam) werden inzwischen fast viermal so häufig wie „traditionelle Antiepileptika“ (z. B. Valproinsäure, Carbamazepin, Phenytoin) verordnet. Die Verordnungen von Valproinsäure sind seit einigen Jahren weitgehend konstant, während das früher führende Carbamazepin in den letzten 10 Jahren um 40 % abgenommen hat.
Bewertung Eine pauschale Unterscheidung zwischen neueren und traditionellen Antiepileptika ist mittlerweile nur noch eingeschränkt sinnvoll. Vielmehr sollten einzelne Arzneistoffe oder Arzneistoffgruppen indikationsbezogen miteinander verglichen und bewertet werden. In der Leitlinie des britischen National Institute of Health and Care Excellence (NICE) werden Lamotrigin und Levetiracetam als Arzneistoffe der ersten Wahl zur Behandlung fokal beginnender epileptischer Anfälle empfohlen, Valproat zur Behandlung generalisierter tonisch-klonischer Anfälle bei männlichen Patienten. Bei gebärfähigen Frauen sind wiederum Lamotrigin und Levetiracetam Mittel der ersten Wahl. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) werden aktuell überarbeitet. Pregabalin wird ganz überwiegend für die Behandlung neuropathischer Schmerzen angewendet, ohne dass eine ausreichende Evidenz für einen Zusatznutzen gegenüber Amitriptylin oder Gabapentin verfügbar ist.
Roland Seifert, Christian Brandt
25. Morbus Parkinson
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Levodopapräparate sind die führenden Vertreter der Arzneistoffe zur Behandlung des Morbus Parkinson. An zweiter Stelle folgen die Dopaminrezeptoragonisten. Insgesamt ist eine erfreuliche Fokussierung auf preiswerte und wirksame Präparate zu beobachten, was auch von leicht sinkenden Gesamttherapiekosten begleitet wird.
Bewertung Die Langzeittherapie mit Levodopa kann Dyskinesien und motorische Fluktuationen verursachen, die durch Dosisfraktionierung und adjuvante Therapie reduziert werden können. Alternativ werden bei jüngeren Patienten Dopaminrezeptoragonisten und bei leichteren Symptomen MAO-B-Inhibitoren als initiale Monotherapie empfohlen. Muscarinrezeptorantagonisten werden wegen der Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten leitliniengerecht bei älteren Patienten immer seltener eingesetzt.
Roland Seifert, Günter Höglinger
26. Schlafstörungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Schlafstörungen kommen in vielfältigen Formen und Ausprägungen vor. Zunehmend setzt sich bei ihrer Behandlung die Erkenntnis durch, dass nichtmedikamentöse Strategien im Vordergrund stehen sollten. Zahlreiche Studien und Metaanalysen zeigen, dass verhaltenstherapeutische Verfahren wirksam und insgesamt der Behandlung mit Hypnotika überlegen sind. Eine Therapie mit Hypnotika ist in aller Regel nur kurzfristig oder bei Versagen oder mangelnder Verfügbarkeit anderer Verfahren indiziert. Seit 25 Jahren ein starker Verordnungsrückgang zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen um 80 % zu beobachten. Die Rückgänge betrugen im vergangenen Jahr bei den Benzodiazepinen über 10 % und bei den Benzodiazepinrezeptoragonisten Zolpidem und Zopiclon 4 %. Die Verordnung von Melatonin, welches wenig untersucht und dessen Wirksamkeit weiterhin nicht belegt ist (Kennaway 2022), hat wiederum sehr deutlich zugenommen. Pflanzliche Hypnotika sind nur noch mit einem homöopathischen Präparat vertreten. Nicht abgebildet werden dabei die Höhe der Verordnungen auf Privatrezept sowie der Einsatz von sedierenden antidepressiven Arzneistoffen (Antidepressiva) wie Amitriptylin und antipsychotischen Arzneistoffen (Antipsychotika) wie Promethazin, welche bei einer vorliegenden Komorbidität wie Depression, Psychose oder einer chronischen Schmerzerkrankung Anwendung finden. Bewertung Insgesamt zeigen die Zahlen, dass nur wenige Patienten mit Schlafstörungen Hypnotika zu Lasten der GKV verordnet bekommt. Die Umschichtung zu den kurzwirksamen Z-Substanzen ist durch ihre selektivere hypnotische Wirkung und das initial fälschlich vermutete, geringere Abhängigkeits-/Toleranzpotenzial begründet. Retrospektive Studien bewiesen allerdings sowohl Missbrauchs- und Entzugsprobleme wie auch ein relevantes Abhängigkeitsproblem dieser Substanzen (Schifano et al. 2019).
Agnes Krause, Roland Seifert
27. Schwindel und Erbrechen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Die Menge der verordneten herkömmlichen Antiemetika und Antivertiginosa ist hoch und nahm auch in 2021 nochmals leicht zu. Die Medikamente werden zur Prophylaxe (z. B. Kinetosen) und zur symptomatischen Behandlung von Übelkeit und Schwindel eingesetzt. Die Tagestherapiekosten sind zwar niedrig, die Zahl der Tagesdosen ist aber hoch, so dass die Gesamtkosten für diese Medikamentengruppe beträchtlich sind. Die Verordnung der in Leitlinien empfohlenen 5-HT3-Rezeptorantagonisten (Setronen) und NK1-Rezeptorantagonisten erhöhte sich in 2021 noch stärker. Aufgrund der hauptsächlichen Verwendung dieser Arzneistoffgruppen in der Onkologie ist die verordnete Menge zwar gering, die damit verbundenen Tagestherapiekosten sind jedoch sehr hoch, so dass der finanzielle Aufwand insgesamt etwa dem der herkömmlichen Antiemetika und Antivertiginosa entspricht.
Klaus Hager, Roland Seifert
28. Neurodegenerative Erkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Größte Gruppe der Antidementiva sind die Acetylcholinesterase-Inhibitoren (Cholinesterasehemmer) gefolgt von dem NMDA-Rezeptorantagonisten Memantin, der aber nur etwa halb so viel verordnet wird. In beiden Gruppen sind nur noch Generika vertreten. Traditionelle Antidementiva (Piracetam, Ginkgoextrakt, Nicergolin) ohne gesicherten Nutzen werden immer noch verschrieben. Zum zweiten mal vertreten ist mit steigender tendenz Riluzol, das v. a. zur neuroprotektiven Therapie der amyotrophen Lateralsklerose eingesetzt wird.
Bewertung Der symptomatische Nutzen der besprochenen Arzneistoffe ist insgesamt begrenzt. In der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2016 wird bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz die Gabe eines Cholinesterasehemmers in der höchsten verträglichen Dosis empfohlen; ebenso wird bei Krankheitsprogredienz eine Beibehaltung der Therapie empfohlen (Off-Label-Gebrauch).
Roland Seifert, Susanne Petri
29. Augenerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Seit vielen Jahren dominieren unter den Ophthalmika die Glaukommittel. Sie machen über zwei Drittel der Verordnungen auf Kassenrezept aus, wobei sich in den letzten Jahrzehnten vor allem Prostaglandinderivate und lokal wirkende Carboanhydrasehemmer durchgesetzt haben, während die Bedeutung von Betarezeptorenblockern kontinuierlich abnimmt und die Verordnungen selektiver Alpha2-Rezeptoragonisten auf niedrigerem Niveau verharren. Mit dem Rho-Kinase-Inhibitor Netarsudil (Rhokiinsa – zugelassen in Europa) und Latanoprostene Bunod (Vyzulta – Zulassung in den USA) sind erstmals wieder zwei neue Wirkprinzipien hinzugekommen, aber in Deutschland noch nicht im Handel.
Neben den Glaukommitteln spielen die ophthalmologischen Antiinfektiva und Antiphlogistika jeweils mit einer Vielzahl von Substanzen eine größere Rolle. Bei den meisten übrigen Gruppen von Ophthalmika sind die Verordnungen auf Kassenrezept durch das GKV-Modernisierungsgesetz 2004 drastisch gesunken. Als Neuentwicklungen für die antineovaskuläre Therapie haben sich neben den antineovaskulären Antikörpern Bevacizumab (Avastin – off label) und Ranibizumab (Lucentis) mit Aflibercept (Eylea) und Brolicizumab (Beovu) zwei weiterere VEGF-Antagonisten sowie ein Dexamethason-Implantat (Ozurdex) unter den verordnungshäufigsten Arzneimitteln etabliert und verzeichneten deutliche Zunahmen.
Die Behandlung des trockenen Auges (Keratokonjunktivitis sicca) durch Tränenersatzmittel spielt in der Augenheilkunde wegen der hohen Prävalenz dieser Störung im Alter eine große Rolle; aber die meisten hierfür in Frage kommenden Mittel können – bis auf wenige Ausnahmen – nicht mehr auf Kassenrezept verordnet werden.
Im Jahre 2021 haben sich die Verordnungen von Ophthalmika im Wesentlichen im Sinne der langfristigen Trends entwickelt, vor allem bei der Glaukomtherapie. Auffällig ist eine Abnahme der Verordnungen von Antiinfektiva, die vermutlich als Konsequenz der Covid19-Pandemie mit weniger Arztbesuchen, weniger elektiven Eingriffen und möglicherweise auch durch Kontaktbeschränkungen zu deuten ist.
Martin J. Lohse, Franz Grehn, Jörn Kuchenbecker

Erkrankungen der Lungen und der Luftwege

Frontmatter
30. Husten und Auswurf
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Antitussiva und Expektorantien werden hauptsächlich bei Husten im Rahmen einer akuten oder chronischen Bronchitis angewendet. Die häufigste Ursache einer akuten Bronchitis ist eine Virusinfektion der oberen Atemwege, wie sie bei Erkältungskrankheiten und Grippe vorkommt. Chronische Bronchitis ist in Deutschland am häufigsten durch Rauchen bedingt. Seit dem Maximum von 940 Mio. DDD im Jahre 1995 (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2004) sind die Verordnungen der Antitussiva und der Expektorantien um mehr als 90 % zurückgegangen. Hauptgründe sind die zweifelhafte Wirksamkeit und Sicherheit sowie die zunehmende Therapierbarkeit der Hustenursachen. Ein weiterer Faktor sind die 2004 eingeführten Einschränkungen der Erstattung. Aufgrund von Ausnahmen von diesen Einschränkungen für Kinder bis zu einem Alter von 12 Jahren dürften die vorliegenden Zahlen in einem erheblichen Maße die Verordnungen an diese Altersgruppe widerspiegeln. In welchem Ausmaß die Einschränkungen der Erstattung für ältere Patientinnen und Patienten durch Selbstzahlung kompensiert werden, ist unbekannt. Obwohl sie in einem Kapitel gemeinsam behandelt, sollen Antitussiva und Expektorantien nicht gleichzeitig eingenommen werden, da sich ihre Wirkungen gegenseitig neutralisieren können.
Ein besonders massiver Rückgang der Verschreibungen von Antitussiva und Expektorantien war im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie verzeichnet worden (Abb. 30.1). Hauptgründe dürften die Abnahme von akuten Bronchitiden durch Beachten von Abstandsregeln und Maskenpflicht sein sowie die reduzierten Arztkonsultationen in Pandemiezeiten. Im Jahr 2021 nahmen die Verordnungen der Antitussiva sowie der pharmakologisch definierten Expektorantien 2021 weiter ab, die der pflanzlichen Expektorantien erholten sich teilweise.
Leszek Wojnowski
31. Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und Asthma
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Inhalative Glucocorticoide sind seit vielen Jahren die größte Arzneimittelgruppe in der Asthmatherapie. Eine weitere wichtige Gruppe sind die Betasympathomimetika, die überwiegend in Kombination mit inhalativen Glucocorticoiden verordnet werden.
Bei chronisch obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) werden bevorzugt inhalative langwirksame Muscarinrezeptorantagonisten und Betasympathomimetika, überwiegend miteinander kombiniert, eingesetzt.
Unabdingbar ist, dass der Patient durch ärztlich geführte Schulung (richtige Inhalationstechnik, Verwendung von Inhalationshilfen, Peak-Flow-Messungen, Dokumentation von Symptomen und Arzneimittelverbrauch) lernt, seine Erkrankung zu verstehen und die Behandlung selbst zu optimieren.
Trend Die Verordnungen der inhalativen Glucocorticoide haben 2013 die Betasympathomimetika überflügelt und seitdem, vor allem beim Asthma, noch weiter zugenommen. Dieser Trend ist begleitet von einer Präferenz für die Kombinationspräparate von inhalativen Glucocorticoiden mit langwirkenden Betasympathomimetika, während auf die Monopräparate dieser beiden Wirkstoffgruppen nur noch ein Viertel der Verordnungen entfällt. Betasympathomimetika zeigen in den letzten 10 Jahren ein leicht rückläufiges Verordnungsniveau. Kurzwirkende Betasympathomimetika sind die Domäne der inhalativen Akutbehandlung des Asthma (Bedarfsmedikation). Als Bedarfsmedikation werden auch Glucocorticoide in Kombination mit dem lang, aber schnell wirksamen Formoterol eingesetzt, was die traditionelle Unterscheidung zwischen Relievern und Controllern verwischt. Langwirkende Betasympathomimetika sollen beim Asthma wegen Hinweise auf erhöhte Mortalität unter einer Monotherapie nur in Kombination mit inhalativen Glucocorticoiden gegeben werden. Verordnungen von Theophyllin sind seit Jahren rückläufig, sie haben in den letzten 10 Jahren über 80 % eingebüßt. Dagegen hat sich das Verordnungsvolumen der inhalativen Muscarinrezeptorantagonisten in den letzten 10 Jahren verdoppelt, auch durch Neueinführung von mehreren Wirkstoffen und Kombinationspräparaten, wodurch ihre zunehmende Bedeutung für die COPD-Therapie unterstrichen wird.
Monoklonale Antikörper sind mit Omalizumab zur Behandlung des allergischen Asthma und mit Mepolizumab und Benralizumab zur Therapie des eosinophilen Asthma vertreten.
Tom Schaberg, Leszek Wojnowski
32. Hals-Nasen- und Ohrenerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Rhinologika werden lokal zur symptomatischen Behandlung der behinderten Nasenatmung bei Nasenschleimhautentzündungen und bei Rhinosinusitiden eingesetzt. Die weitaus größte Gruppe bilden die schleimhautabschwellenden Alphasympathomimetika (α1-Adrenorezeptoragonisten). Otologika werden zur lokalen antientzündlichen Therapie im Bereich des äußeren Ohres eingesetzt, ferner in Kombination mit einem Lokalanästhetikum in der symptomatischen Therapie von Ohrenschmerzen.
Bewertung Die topischen Sympathomimetika gehören zu den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und werden daher fast nur noch bei Kindern verordnet. Topische Glucocorticoide sind bei allergischer Rhinitis zuverlässig wirksam, ferner sind sie Bestandteil der konservativen Therapie der chronischen Rhinosinusitis mit und ohne Nasenpolypen. Für die Lokaltherapie der bakteriell bedingten Otitis externa diffusa steht mit dem Fluorchinolon Ciprofloxacin ein gut wirksames Antibiotikum (antibakterieller Arzneistoff) zur Verfügung. Die lediglich symptomatisch wirksamen Lokalanästhetikakombinationen zeigen weiter Verordnungsabnahmen. Eine Zunahme der Verordnungen im HNO-Bereich zeigen die Arzneimittel zur Hyposensibilisierung. Dies ist auch bedingt durch die Zunahme allergischer Erkrankungen weltweit.
Horst Luckhaupt

Urologische Erkrankungen

Frontmatter
33. Nieren-, Harnwegs- und Prostataerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Mit über 70 % der Verordnungen bleiben Prostatamedikamente die überwiegende Gruppe der Urologika. Urologische Spasmolytika repräsentieren mehr als ein Viertel des Verordnungsvolumens, während Urolithiasis- und Kathetermedikamente nur sehr geringe Verordnungszahlen erreichen.
Trend Die langjährige Zunahme des Verordnungsvolumens von Alpha1-Rezeptorenblockern zur Behandlung von Miktionsstörungen hat sich auch 2021 fortgesetzt, während die 5α-Reduktasehemmer zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms seit einigen Jahren stagnieren. Der nach jahrelanger Plateauphase im Vorjahr beobachtete Verordnungsanstieg anticholinerg wirkender Spasmolytika zur Behandlung der Harninkontinenz hat sich 2021 sogar verstärkt; an der kontroversen Diskussion zum Ausmaß des therapeutischen Nutzens dieser Substanzen hat sich nichts geändert.
Bernd Mühlbauer, Hartmut Oßwald
34. Diuretika
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Trend Von den Diuretika werden hauptsächlich Schleifendiuretika und Thiazide verordnet. Aldosteronantagonisten folgen mit deutlichem Abstand. Schleifendiuretika sind die dominierende Gruppe der Diuretika und machen auch 2021 fast zwei Drittel der verordneten Tagesdosen dieser Gruppe aus. Ihre Verordnungszahl war gegenüber dem Vorjahr praktisch unverändert, während die Thiazidkombinationen ihren seit über 10 Jahren zu beobachtenden Rückgang weiter fortsetzten. Der Einsatz von Spironolacton und dem zehnfach teureren Eplerenon nahm weiter zu, während die einzige noch hier gelistete Spironolacton-Furosemidkombination etwas Boden gutmachen konnte.
Bewertung Die Verordnung von Diuretika ist nach wie vor ein fester Bestandteil der Therapie von Hypertonie, Herzinsuffizienz und Ödemen. Die Abnahme der Verordnungen von fixen Kombinationen von Thiaziden mit kaliumsparenden Diuretika spiegelt den Fortschritt der Pharmakotherapie der Herz-Kreislauferkrankungen wieder. Auch Aldosteronantagonisten gehören zur Standardtherapie der Herzinsuffizienz, wobei es keinen Beleg für einen patientenrelevanten Vorteil von Eplerenon gegenüber Spironolacton gibt.
Hartmut Oßwald, Bernd Mühlbauer

Hauterkrankungen und Allergien

Frontmatter
35. Hauterkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Seit Jahren verändert sich das Verordnungsspektrum der zahlreicher dermatologischer Wirkstoffklassen nur marginal. Wie in den Vorjahren werden topische Glukokortikoide am häufigsten verordnet. Auf sie entfallen 43 von 100 Dermatikatagesdosen. Antimykotika und Psoriasismedikamente (jeweils 11 %), Medikamente bei aktinischer Keratose und Aknemedikamente (jeweils 7 %), Antiinfektiva und Warzenmedikamente (jeweils 5 %), Wundbehandlungsmedikamente und Antipruriginosa (jeweils 4 %) sowie Rosazeamedikamente (3 %) werden deutlich seltener verordnet. Aufgrund der dem Arzneiverordnungs-Report zugrunde liegenden Systematik werden in den Tabellen zu den Dermatikaverordnungen wesentliche Veränderungen in der Therapie chronisch-entzündlicher Dermatosen nicht vollständig abgebildet. Dies betrifft die Verwendung monoklonaler Antikörper (Biologika) und JAK-Inhibitoren bei der Behandlung schwerer Fälle von atopischer Dermatitis oder Psoriasis (Lauffer und Biedermann 2022; Griffiths et al. 2021).
Trend Die Verordnungen in den einzelnen Marktsegmenten werden weitgehend durch nationale und internationale Therapieempfehlungen gestützt. Die Gesamtverordnungsmenge bezogen auf DDD stieg 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 3,9 %, mit deutlicheren Zuwächsen bei den Psoriasismedikamenten, den Aknemedikamenten und den Glukokortikoidtopika. Wesentliche Veränderungen in der Therapie der atopischen Dermatitis und der chronisch entzündlichen Hauterkrankungen werden vor allem bei Betrachtung der Kostenentwicklung deutlich: So entfällt 2021 weit über die Hälfte der gesamten dermatologischen Verordnungskosten von 2,7 Mrd. € auf die vier hier berücksichtigten monoklonalen Antikörper Dupilumab, Ustekinumab, Secukinumab, Guselkumab.
Hans Merk, Judith Günther
36. Allergien
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Größte Gruppe der Antiallergika sind die allergenspezifischen Immuntherapeutika bei allergisch bedingten Atemwegskrankheiten mit einem Verordnungsanteil von 59 %. Danach folgen H1-Antihistaminika, die vor allem zur Behandlung des Heuschnupfens, der allergischen Bindehautentzündung und der Urtikaria eingesetzt werden.
Trend Die Verordnungsvolumina der wenig sedierenden H1-Antihistaminika haben deutlich zugenommen, während die Verordnungen sedierender H1-Antihistaminika rückläufig sind. Das Einsparpotenzial bei den wenig sedierenden H1-Antihistaminika durch preisgünstige Generika beträgt 33 Mio. €. Bei der allergenspezifischen Immuntherapie entfällt der größte Teil auf Präparate mit Allergenen aus Gräser- und Getreidepollen. Im Jahr 2021 sind immer noch 5 Präparate mit Nettokosten von 78 Mio. € ohne reguläre Zulassung unter den 3.000 häufigsten verordneten Arzneimitteln vertreten.
Anette Zawinell, Roland Seifert

Hormonsystem

Frontmatter
37. Schilddrüsenerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Krankheiten der Schilddrüse werden mit Schilddrüsenhormonen, Iodsalzen und Thyreoperoxidaseinhibitoren behandelt. Die größte Gruppe der Schilddrüsentherapeutika sind Schilddrüsenhormone, die bei Schilddrüsenunterfunktion und beim Iodmangelkropf eingesetzt werden. Als zweitgrößte Gruppe folgen Iodsalze zur Strumaprophylaxe. Wesentlich seltener und weiter langsam abnehmend werden Thyreoperoxidasehemmer zur Hemmung der Hormonproduktion bei Schilddrüsenüberfunktion eingesetzt.
Trend Seit 2010 sind die Verschreibungen für Schilddrüsenhormone kontinuierlich weiter um fast 40 % angestiegen. Der frühere Einbruch bei den Iodsalzen ist immer noch nicht zum Stillstand gekommen. Zwei Komponenten können eine Rolle spielen: (a) die Anerkennung des fortbestehenden therapeutischen Bedarfs, (b) vermehrte Selbstmedikation bei Iodsalzen.
Hans Christian Kasperk
38. Sexualhormone
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die wichtigsten Gruppen der Sexualhormone sind Östrogenpräparate und Kontrazeptiva. Danach folgen mit weitem Abstand Gestagene. Die Verordnungen aller Östrogenpräparate zur Hormontherapie in der Postmenopause (systemische und topische Präparate) sind seit 1999 stark zurückgegangen und zeigen nach einem stabilen Niveau seit 2018 wieder eine Steigerung insbesondere bei Östrogenmonopräparaten. Die Verordnung von Östrogen-/Gestagenkombinationen zur HRT hat sich zum Vorjahr stabilisiert. Somit haben die Leitlinienempfehlungen zur postmenopausalen Hormontherapie den gleichen Effekt wie im Vorjahr erzielt. Die Verordnungen der hormonalen Kontrazeptiva sind 2021 rückläufig, insbesondere klassische kombinierte orale Kontrazeptiva, wogegen Gestagenmonopräparate und vaginale Kontrazeptiva Zunahmen verzeichnen. Absolut gesehen sind kombinierte hormonale Kontrazeptiva aber weiterhin die mit Abstand am häufigsten verordneten Hormonpräparate. Androgenverordnungen nehmen wie schon in den letzten Jahren weiter zu.
Bewertung Die Verordnungen zur postmenopausalen Hormontherapie reflektieren eine gute Beachtung der Indikationsstellung basierend auf einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Bewertung, die leitlinienbasiert erfolgt (AWMF-Leitlinie Peri- and Postmenopause – Diagnosis and Interventions 2020). Hormonale Kontrazeption in jeder Variante behält weite Akzeptanz.
Thomas Strowitzki
39. Hypophysen- und Hypothalamushormone
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die Verordnungszahlen von Gonadorelinantagonisten, Somatostatinanaloga, des sehr teuren Vasopressinantagonisten Tolvaptan sowie von Prolaktinhemmern haben 2021 deutlich zugenommen. Die Verordnungen von Choriogonadotropinpräparaten und des Ovulationsauslösers Clomifen waren rückläufig; die Verordnungen von Follitropinpräparaten stiegen leicht. Bei den Somatotropinpräparaten ist ein sehr deutlicher Trend zu preiswerteren Biosimilars zu erkennen. Es werden hier Einsparpotenziale realisiert. Auch bei den Verordnungen von Desmopressin und Bromocriptin werden Einsparpotenziale umgesetzt.
Roland Seifert

Erkrankungen des Mundes und der Zähne

Frontmatter
40. Oral- und Dentalerkrankungen
Zusammenfassung
Auf einen Blick
Zahnärztliche Verordnungen nehmen nur einen Anteil von etwa 1 % an der Gesamtverordnungszahl in Deutschland ein. Dies entspricht etwa 1 % der gesamten DDD in D und trägt zu 0,2 % der gesamten Nettokosten in Deutschland bei. Zahnärztlich verordnet werden hauptsächlich Arzneistoffe aus der Gruppe der antibakteriellen Arzneistoffe (Antibiotika), gefolgt von den Antiphlogistika und mit Abstand von oben Fluoridpräparaten und Analgetika. Betrachtet man die DDD, dann handelt es sich dabei hauptsächlich um topische Fluoridpräparate, welche einen Anteil von ca. 85 % an der DDD ausmachen. Dabei sind fast ausschließlich natriumfluoridhaltige Zahngele von Bedeutung. Danach folgt die Arzneimittelgruppe der Antibiotika und Antiinfektiva mit einem DDD-Anteil von ca. 5,9 % an der Gesamtzahl zahnärztlicher Verordnungen, wobei insbesondere Amoxicillin und Clindamycin eine prominente Rolle haben. Bei den ähnlich starken Antiphlogistika (DDD-Anteil von 6,2 %) ist Ibuprofen der mit Abstand wichtigste Arzneistoff. Der Anteil der Analgetika und topischer Lokalanästhetika an der DDD ist mit 0,4 % sehr klein. Etwa 2/3 entfallen dabei auf den Arzneistoff Metamizol, der in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.
Monika Daubländer, Klaus Höcherl
Backmatter
Metadaten
Titel
Arzneiverordnungs-Report 2022
herausgegeben von
Wolf-Dieter Ludwig
Bernd Mühlbauer
Roland Seifert
Copyright-Jahr
2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-66303-5
Print ISBN
978-3-662-66302-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66303-5

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