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Pädiatrie
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Publiziert am: 11.01.2019

Aminoazidopathien

Verfasst von: Stefan Kölker und Georg F. Hoffmann
Gemeinsames biochemisches Merkmal aller angeborenen Aminoazidopathien, die durch angeborene Defekte spezifischer Enzyme und Transporter verursacht werden, ist die Akkumulation charakteristischer Aminosäuren und z. T. weiterer diagnostisch relevanter Metaboliten. Die Schwere der klinischen Präsentation wird durch den Schweregrad des Enzymdefektes, die Kompartimentierung und (organ-)spezifische Toxizität akkumulierender Metabolite sowie Ausmaß und Dauer der Proteinzufuhr bzw. des endogenen Proteinabbaus bestimmt. Ein vermehrter Proteinabbau wird durch unzureichende Energie- oder Proteinzufuhr im Rahmen eines Gewebskatabolismus, z. B. nach Operationen und bei interkurrenten Infekten, Nahrungsverweigerung, Erbrechen, aber auch durch eine hohe, über dem Grundbedarf liegende Eiweißzufuhr aktiviert. Eckpfeiler der Behandlung von Aminoazidopathien sind spezielle, an die individuelle Verträglichkeit einzelner Aminosäuren angepasste Diäten und bei schweren Krankheitszuständen eine extrakorporale Entgiftung.

Einleitung

Aminoazidopathien werden durch angeborene Defekte spezifischer Enzyme und Transporter verursacht, die zur Akkumulation charakteristischer Aminosäuren führen. In Abhängigkeit von den betroffenen Stoffwechselwegen, der organspezifischen Expression und intrazellulären Lokalisation (Zytosol, Mitochondrium) des Enzymdefektes sowie der spezifischen Toxizität der sich anstauenden, pathologischen Metabolite sind die klinischen Auswirkungen sehr unterschiedlich. Die Krankheitsbilder reichen von harmlosen genetischen Varianten ohne klinische Bedeutung, wie der Histidinämie, bis zu unbehandelt rasch tödlich verlaufenden Erkrankungen, wie der Ahornsiruperkrankung. Aminosäuren sind durch Farbreaktionen, z. B. Ninhydrinreaktion, in Körperflüssigkeiten einfach nachzuweisen, wodurch diese Gruppe angeborener Stoffwechselerkrankungen bereits in den 1940er-Jahren identifiziert wurde. Aus historischen Gründen werden die Organoazidurien (Kap. „Organoazidurien“) von den Aminoazidopathien unterschieden, da deren Leitmetabolite erst durch die Entwicklung gaschromatografischer Methoden (Gaschromatografie/Massenspektromie, GC/MS) identifiziert werden konnten. Die Übergänge zwischen den beiden Krankheitsgruppen sind fließend. So gehören die toxischen Metaboliten einzelner Aminoazidopathien zur Gruppe der organischen Säuren (z. B. Tyrosinämie Typ I), und die meisten Organoazidurien basieren auf Enzym- und Transporterdefekten im Aminosäurenabbau.

Phenylalanin und Tyrosin

Der Stoffwechsel der Aminosäuren Phenylalanin-, Tyrosin- und Tetrahydrobiopterin ist in Abb. 1 dargestellt.

Phenylketonurie und Hyperphenylalaninämie

Definition und Epidemiologie
Phenylalanin ist eine für den Menschen essenzielle, proteinogene Aminosäure. Die zytosolische Phenylalaninhydroxylase (PAH), die Tetrahydrobiopterin (BH4) als Kofaktor benötigt, synthetisiert Tyrosin. Ein angeborener PAH-Apoenzymdefekt (98–99 % der Patienten) und ein BH4-Stoffwechseldefekt (1–2 % der Patienten) bewirken eine Abbaustörung des Phenylalanins, die unbehandelt zu einer Hyperphenylalaninämie (HPA) und einem Tyrosinmangel führt. Die Inzidenz aller HPA-Formen beträgt in Deutschland ca. 1:5400 Neugeborene, die Heterozygotenfrequenz ca. 1:34. Folgende Formen einer HPA können unterschieden werden:
  • Phenylketonurie: Behandlungsbedürftige HPA mit Enzymrestaktivität von <1 % (klassische Phenylketonurie, HPA Typ I) oder 1–3 % (milde Phenylketonurie, HPA Typ II), gemeinsame Inzidenz in Deutschland ca. 1:10.000 Neugeborene. Patienten mit HPA Typ II haben eine höhere Phenylalanintoleranz als diejenigen mit Typ I. Wenige Patienten zeigen ein therapeutisch relevantes Ansprechen auf eine pharmakologische Therapie mit BH4.
  • In Deutschland leben mehr als 8000 Personen mit behandlungsbedürftiger Phenylketonurie. Sie ist damit die häufigste Aminoazidopathie.
  • Milde, nichtdiätpflichtige HPA (MHP, HPA Typ III): Benigne, nicht behandlungsbedürftige Form einer HPA mit Phenylalaninkonzentrationen im Plasma von <600 μmol/l und einer PAH-Restaktivität von >3 %. Von den Betroffenen weist ein hoher Anteil eine Responsivität gegenüber BH4 auf.
  • HPA durch BH4-Mangel: Seltene Form einer HPA (1–2 %), die durch einen Defekt der BH4-Synthese und -Regeneration hervorgerufen wird. BH4 ist ebenfalls Kofaktor der Tyrosin- und Trytophanhydroxylase sowie der NO-Synthasen.
Abzugrenzen ist die maternale Phenylketonurie (PKU, Abschn. 2.2). Hierbei handelt es sich um eine Embryofetopathie, die bei Kindern von Müttern mit einer PKU oder auch MHP(!) ab einer Plasmaphenylalaninkonzentration von >360 μmol/l auftreten kann. Die betroffenen Kinder selbst haben keine PKU.
Seit den 1960er-Jahren wird in Deutschland ein Screening auf das Vorliegen einer HPA durchgeführt. Aus den oben dargestellten Ausführungen wird ersichtlich, dass „HPA“ per se keine Diagnose ist. Der Begriff lässt weder eine ätiologische Einordnung noch eine Aussage über die Behandlungsbedürftigkeit betroffener Individuen zu.
Ätiologie und Pathogenese
Der HPA-Apoenzym-Mangel ist autosomal-rezessiv vererbt (PAH-Gen, Genlokus 12q23.2). Ungefähr 1000 krankheitsauslösende Mutationen im PAH-Gen sind bekannt (http://www.pahdb.mcgill.ca/). Primäre Folgen des PAH-Mangels sind die HPA und der Tyrosinmangel . Diese manifestieren sich erst postnatal, da der PAH-Mangel intrauterin durch die mütterliche PAH-Aktivität kompensiert wird. Erhöhte Plasmaphenylalaninkonzentrationen nach der Geburt führen u.  a. durch Kompetition zu einem verminderten Transport mehrerer essenzieller Aminosäuren (u.  a. Leucin, Isoleucin, Valin, Tryptophan, Tyrosin) über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. Zudem stimuliert Phenylalanin im ZNS die AMPA- und NMDA-Rezeptoren, was langfristig zu einer Herunterregulation dieser Glutamatrezeptoren führt, und erhöht den Umsatz von Myelin und Myeloproteinen. Die nichtessenzielle Aminosäure Tyrosin wird bei der PKU zur essenziellen Aminosäure. Tyrosin wird für die Biosynthese des Neurotransmitters Dopamin, der Schilddrüsenhormone und des Pigmentfarbstoffs Melanin benötigt. Des Weiteren akkumulieren alternative Abbauprodukte des Phenylalanins, und zwar Phenylpyruvat (das ursprünglich namengebende Phenylketon), Phenyllaktat, Phenylacetat und Phenylacetylglutamin. Ihre pathophysiologische Bedeutungen sind unklar.
Klinische Symptome und Verlauf
In der Neonatalzeit zeigen PKU-Patienten noch keine klinischen Auffälligkeiten, ein mäuseurin-artiger Geruch kann im Verlauf auftreten. Durch die schwerwiegende Störung der ZNS-Entwicklung und -Funktion wird ab dem 3. Lebensmonat ein Zurückbleiben der psychomotorischen Entwicklung beobachtet: Es entwickeln sich eine Mikrozephalie und eine irreversible, schwere Intelligenzminderung (IQ überwiegend <40). Des Weiteren zeigen unbehandelte Patienten häufig eine Steigerung des Muskeltonus und der Muskeleigenreflexe sowie schwere erethische Verhaltensstörungen, Autismus, Angststörungen und Epilepsie. Seltener treten choreiforme und hyperkinetische Bewegungsstörungen auf. Hypopigmentierte, helle Haut, blondes Haar und blaue Skleren sind Folge des Melaninmangels. Neurodermatitisartige Hautekzeme können entstehen. Kinder mit einer nichtdiätpflichtigen HPA entwickeln sich hingegen unbehandelt zumeist unauffällig. Bei Vorliegen einer HPA aufgrund eines BH4-Mangels können bereits Neugeborene durch den vorliegenden Dopamin-, Serotonin- und Katecholaminmangel eine progrediente epileptische Enzephalopathie, einen infantilen Parkinsonismus, eine arterielle Hypotonie, Hypoglykämien und Temperaturregulationsstörungen entwickeln (Kap. „Bewegungsstörungen und Neurotransmittererkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“, Abschn. „Biosynthesestörungen von Dopamin und Serotonin“).
Diagnose und Differenzialdiagnose
Entscheidend für den Behandlungserfolg ist die frühzeitige Diagnosestellung, d.  h. vor dem Auftreten irreversibler neurologischer Schäden, mithilfe des nunmehr seit 50 Jahren in Deutschland durchgeführten Neugeborenenscreenings aus getrocknetem Fersenblut (sog. Guthrie-Karte zu Ehren des Entwicklers Robert Guthrie). Screeningparameter ist ein erhöhtes Phenylalanin (Norm <120 μmol/l) sowie eine erhöhte Phenylalanin/Tyrosin-Ratio. Ein auffälliger Screeningbefund muss durch eine Untersuchung der Aminosäuren im Plasma und – zum Ausschluss eines BH4-Mangels – der Pterine im Urin oder Trockenblut und der Dihydropterinreduktaseaktivität im Trockenblut verfolgt werden (siehe AWMF-Leitlinie Nr. 027/021). Für die Durchführung einer Leberbiopsie zur enzymatischen Bestimmung der PAH-Aktivität gibt es keine Indikation.
Therapie und Prognose
Ab einer Phenylalaninkonzentration im Plasma von >600 μmol/l wird in Deutschland die Indikation zur Behandlung gestellt, in Großbritannien, den USA und gemäß einer europäischen Expertengruppe hingegen bereits ab 360 μmol/l. Therapeutisches Ziel ist die (weitgehende) Normalisierung der Phenylalaninkonzentration im Plasma bei gleichzeitiger Vermeidung eines Mangels an essenziellen Nähr- und Mikronährstoffen. Die konkrete Umsetzung der phenylalaninarmen Diät orientiert sich wesentlich an der individuellen Phenylalanintoleranz. Bei Neugeborenen können 10–50 % der Eiweißmenge aus Muttermilch gegeben werden. Der restliche Bedarf wird über industriell gefertigte, phenylalaninfreie und mit essenziellen Nähr- und Mikronährstoffen angereicherte Aminosäurenmischungen gedeckt. Eine umfangreiche und regelmäßige Schulung von Eltern, Kindern und Jugendlichen ist von großer Bedeutung für den Therapieerfolg. Der Zielbereich der Phenylalaninkonzentration ist altersabhängig und wurde empirisch festgelegt, wiederum mit vor allem für Betroffene irritierenden Unterschieden zwischen einzelnen Ländern; Zielbereiche im deutschsprachigen Raum: 1.–10. Lebensjahr: 40–240 μmol/l; 11.–16. Lebensjahr: 40–900 μmol/l; >16. Lebensjahr: 40–1200 μmol/l.
Bei neonatalem Beginn und konsequenter Durchführung der phenylalaninarmen Diät ist die Prognose sehr gut. Die Intelligenz liegt zumeist im Bereich der Norm (−0,5 bis −1,0 SD). Einige Patienten zeigen jedoch Schul- und Konzentrationsprobleme, einen geringen feinschlägigen Tremor, eine Neigung zu Depressivität sowie emotionale und Persönlichkeitsstörungen. Im Langzeitverlauf wurden bei erwachsenen PKU-Patienten Veränderungen der periventrikulären, okzipitalen weißen Substanz und des parietookzipitalen Kortex in Abhängigkeit von Alter, Diäteinhaltung und Plasma-Phenylalaninspiegel der Patienten nachgewiesen, deren Relevanz für das klinische Outcome aktuell untersucht werden. Jeder Aufschub des Behandlungsbeginns führt zu einem irreversiblen IQ-Verlust von ca. 1 IQ-Punkt/Woche. Spät behandelte Patienten (nach dem 3. Lebensjahr) können immer noch von einer phenylalaninarmen Diät profitieren, da sich herunter die Epilepsie, Verhaltensstörungen und teilweise auch die kognitiven Fähigkeiten verbessern. Die geistige Behinderung ist jedoch nie reversibel.
Liegt der Phenylalaninspiegel unbehandelt dauerhaft unter 600 μmol/l (MHP), besteht in Deutschland derzeit keine Therapieindikation. Im 1. Lebensjahr sollte der Phenylalaninspiegel dieser Säuglinge einmal pro Monat untersucht werden, um einen möglicherweise noch erfolgenden Anstieg rechtzeitig zu erkennen. Insbesondere Mädchen müssen wegen der späteren Gefahr einer maternalen PKU (Abschn. 2.2) langfristig an spezialisierte Stoffwechselzentren angebunden werden und bleiben.

Maternale Phenylketonurie

Ätiologie und Pathogenese
Hohe mütterliche Phenylalaninspiegel induzieren bereits ab Konzentrationen von 360 μmol/l eine Embryofetopathie, die der Alkoholembryofetopathie ähnelt. Der fetale Blutkreislauf hat aufgrund des plazentaren Transports eine 1,5-fach höhere Konzentration als im mütterlichen Blut. Die Embryotoxizität von Äthanol und Phenylalanin beruht auf ähnlichen Wirkmechanismen einer gestörten glutamatergen Neurotransmission. Eine paternale PKU stellt hingegen keinen Risikofaktor für das ungeborene Kind dar.
Klinische Symptome
Bei deutlich erhöhten Phenylalaninkonzentrationen (>1200 μmol/l) in der Schwangerschaft treten geistige Behinderung (92 %), Mikrozephalie (73 %), intrauterine Dystrophie (40 %) mit Geburtsgewicht <2500 g (9,6 %) sowie angeborene Herzfehler (12 %, insbesondere Pulmonalstenosen) auf (Abb. 2). Des Weiteren nimmt das Risiko für skelettale Fehlbildungen zu. Diese Störungen entstehen mit geringerer Häufigkeit und Ausprägung auch schon bei niedrigeren Spiegeln ab 360 μmol/l.
Diagnose
Bei jedem Kind mit der oben beschriebenen Symptomatik sollte an das Vorliegen einer maternalen Phenylketonurie gedacht werden. Die Diagnose wird durch den Nachweis einer erhöhten Phenylalaninkonzentration im mütterlichen Blut(!) gestellt. Bei Familien aus Ländern ohne Neugeborenenscreening ist dieses besonders zu erwägen.
Prophylaxe und Prognose
Eine präkonzeptionell begonnene und während der gesamten Schwangerschaft fortgesetzte, streng phenylalaninarme Diät mit Absenkung der mütterlichen Phenylalaninkonzentration auf 120–360 μmol/l ist die einzig verlässliche Prophylaxe der maternalen PKU. Im 2. und 3. Trimenon erhöht sich die Phenylalanintoleranz als Ausdruck der hohen Proteinbiosyntheserate sowie der PAH-Aktivität des heterozygoten Feten.

Hyperphenylalaninämie durch Tetrahydrobiopterinmangel

Kap. „Bewegungsstörungen und Neurotransmittererkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“, Abschn. „Biosynthesestörungen von Dopamin und Serotonin“

Tyrosinämie Typ I (hepatorenale Tyrosinämie)

Definition und Epidemiologie
Die Tyrosinämien Typ I–III sind biochemisch durch erhöhte Plasmakonzentrationen von Tyrosin charakterisiert. Die Tyrosinämie Typ I wird aufgrund der klinischen Präsentation auch als hepatorenale Tyrosinämie bezeichnet. Die Inzidenz wird in Deutschland auf 1:150.000 Neugeborenen geschätzt.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz der Fumarylacetoacetathydrolase (FAH-Gen, Genlokus 15q25.1) verursacht. Das Enzym katalysiert den letzten Schritt des Tyrosinabbaus, wobei Fumarat und Acetoacetat aus Fumarylacetoacetat entstehen. Die FAH-Defizienz führt zu einer Akkumulation von Maleyl- und Fumarylacetoacetat sowie Succinylaceton. Maleyl- und Fumarylacetoacetat sind hepato- und nephrotoxisch und lösen eine (akute oder chronische) Hepatopathie und ein renales Fanconi-Syndrom aus. Succinylaceton hemmt die δ-Aminolävulinsäuredehydratase und damit die Porphobilinogensynthese, was zu porphyrieähnlichen Manifestationen mit krisenhafter Neuropathie führt. Die Tyrosinerhöhung wird durch eine sekundäre Hemmung des Enzyms Tyrosinaminotransferase und die Hepatopathie ausgelöst.
Klinische Symptome und Verlauf
Die klinische Manifestation ist variabel. Bezogen auf das Alter bei Auftreten der ersten Symptome werden akute (erste Symptome kurz nach der Geburt und im 1. Lebenshalbjahr), subakute (2. Lebenshalbjahr) und chronische Verlaufsformen (nach dem 1. Lebensjahr, ca. 10 % aller Patienten) unterschieden. Hepatische Manifestationen stehen im Vordergrund. Ein Drittel aller Patienten erkrankt bereits in der Neonatalzeit an einer akuten schweren Hepatopathie, die mit gestörter Lebersynthese, Hepatomegalie, Ikterus, Hypoglykämie und Aszites einhergeht. Es entwickelt sich eine gemischte, mikromakronoduläre Leberzirrhose mit stark erhöhtem α-Fetoprotein. Das renale Fanconi-Syndrom begünstigt die Entwicklung einer hypophosphatämischen Rachitis. Akute Neuropathien können in jedem Lebensalter auftreten und werden u. a. durch Infektionskrankheiten getriggert (Kap. „Porphyrien bei Kindern und Jugendlichen“).
Diagnose und Differenzialdiagnose
Seit dem Jahr 2018 ist die Tyrosinämie Typ 1 eine Zielkrankheit des Neugeborenenscreenings. Zudem sollte bei jedem Kind mit ungeklärter Lebererkrankung oder -versagen ist eine Tyrosinämie Typ I als Ursache auszuschließen. Pathognomonisch ist der Nachweis von Succinylaceton im Urin oder Blut. Die FAH-Aktivität kann in Lymphozyten und Fibroblasten bestimmt werden. Als Ausdruck der hepatischen Manifestation zeigen sich Erhöhungen von Alaninaminotransferase (ALT) und Aspartataminotransferase (AST), freiem und konjugiertem Bilirubin, α-Fetoprotein und Ferritin sowie eine Absenkung der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren. Als Ausdruck der Tubulopathie entwickeln sich eine generalisierte Hyperaminoazidurie, Glukosurie und Hyperphosphaturie.
Therapie und Prognose
Wichtigste medikamentöse Therapie ist Nitisinon (Orphan-Drug: Orfadin, Wirkstoff: 2-[2-Nitro-4-trifluormethylbenzoyl]1-3-cyclohexandion; NTBC). Dieses Enzym hemmt die 4-Hydroxyphenylpyruvatdioxygenase (Abb. 1). Dadurch wird die Tyrosinämie Typ I in eine Tyrosinämie Typ III umgewandelt und die Produktion hepato- und nephrotoxischer Metaboliten gestoppt. Zur Prävention okulokutaner Komplikationen (Tyrosinämie Typ II, Abschn. 2.5) erhalten Patienten zudem eine tyrosin- und phenylalaninarme Diät. Plasmakonzentrationen von <500 μmol/l Tyrosin werden angestrebt. Der Langzeiterfolg der Therapie, insbesondere das Auftreten eines hepatozellulären Karzinoms, ist neben der Compliance wesentlich vom Startzeitpunkt der Nitisinon-Therapie abhängig. Das geringste Langzeitrisiko weisen Kinder auf, die bereits im 1. Lebenshalbjahr mit Nitisinon therapiert wurden. Eine Lebertransplantation ist bei Patienten mit akutem Leberversagen, das nicht auf Nitisinon anspricht, bei progredienter Leberzirrhose und dem Verdacht auf hepatozelluläres Karzinom frühzeitig zu erwägen. Die hepatischen und neurologischen Manifestationen werden hierdurch geheilt, die tubuläre Dysfunktion kann persistieren, vermutlich hervorgerufen durch die renale Succinylacetonproduktion.

Tyrosinämie Typ II (okulokutane Tyrosinämie)

Definition und Epidemiologie
Die Tyrosinämie Typ II wird aufgrund ihrer klinischen Manifestation auch als okulokutane Tyrosinämie oder nach den Erstbeschreibern Richner-Hanhardt-Syndrom bezeichnet. Die Krankheit gilt als sehr selten, weltweit wurden bislang ca. 100 Patienten beschrieben.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz der hepatischen Tyrosinaminotransferase (TAT-Gen, Genlokus 16q22.2) verursacht. Das Enzym katalysiert den ersten Schritt des Tyrosinabbaus, in dem Tyrosin in 4-Hydroxyphenylpyruvat umgewandelt wird. Der Defekt führt zu stark erhöhten Tyrosinkonzentrationen im Plasma (>1000 μmol/l Tyrosin, Referenzbereich 40–100 μmol/l). Die Wasserlöslichkeit von Tyrosin ist gering, sodass es insbesondere in kühleren Körperregionen (Kornea, Handflächen, Fußsohlen) zur Präzipitation von Tyrosinkristallen mit lokaler Entzündungsreaktion kommt.
Klinische Symptome und Verlauf
Symptome können bereits im Säuglingsalter und mit einer Häufung in der kalten Jahreszeit auftreten. Ausgehend von einer schmerzhaften Konjunktivitis mit Fotophobie und Augentränen entwickeln sich korneale Erosionen und dendritische Ulzerationen, Vernarbungen der Hornhaut bis zum Sehverlust. Die Spaltlampenuntersuchung zeigt ein ähnliches Bild wie bei einer Keratitis herpetiformis; allerdings finden sich die Veränderungen beidseitig. Als charakteristische palmoplantare Hautveränderungen treten schmerzhafte Hyperkeratosen und entzündliche Erosionen mit Blasenbildung auf. Bei etwa der Hälfte der Patienten wird eine leichtgradige geistige Behinderung beobachtet.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die okulokutane Manifestation in Kombination mit einer stark erhöhten Tyrosinkonzentration im Plasma sichert die Diagnose. Eine enzymatische oder molekulargenetische Bestätigung ist möglich. Zeichen einer hepatischen oder renalen Problematik (Tyrosinämie Typ I, Abschn. 2.4) fehlen.
Therapie und Prognose
Wichtigstes Therapieprinzip ist die Senkung des Tyrosinspiegels im Plasma unter 500 μmol/l. Dies wird durch eine phenylalanin- und tyrosinarme Diät erreicht. Bei frühzeitigem Therapiebeginn ist die Prognose günstig.

Tyrosinämie Typ III und Hawkinsinurie

Ätiologie und Pathogenese
Tyrosinämie Typ III wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz der 4-Hydroxyphenylpyruvatdioxygenase (HPD-Gen, Genlokus 12q24.31) verursacht. Das Enzym katalysiert den zweiten Schritt des Tyrosinabbaus, in dem 4-Hydroxyphenylpyruvat zu Homogentisinsäure umgewandelt wird. Die Hawkinsinurie wird durch autosomal-dominante Mutationen im HPD-Gen verursacht. Bei der Tyrosinämie Typ III kommt es zu einer dem Typ II vergleichbaren Tyrosinerhöhung im Plasma, wobei selten Konzentrationen über 1200 μmol/l erreicht werden. Bei der Hawinkinsurie tritt nur intermittierend eine Tyrosinämie und eine metabolische Azidose auf. Zudem findet sich im Urin das namengebende Hawkinsin, (2-L-Cystein-S-yl-1,4-dihydroxycyclohex-5-en-1-yl)-Acetat.
Klinische Symptome, Verlauf und Therapie
Variable neurologische Symptome (geistige Behinderung, Ataxie, Tremor, Mikrozephalie, Epilepsie) stehen bei den wenigen bislang identifizierten Patienten im Vordergrund. Okulokutane Manifestationen wurden nicht beobachtet. Bei Hawkinsinurie wurden Gedeihstörung und metabolische Azidose berichtet. Für beide Störungen ist die klinische Relevanz bislang unsicher. Die Therapie der Tyrosinämie Typ III erfolgt analog zum Typ II. Bei der Hawkinsinurie gibt es nach heutigem Wissen keine Therapieindikation.

Alkaptonurie

Definition und Epidemiologie
Die Alkaptonurie wurde 1902 von Garrod als erste angeborene Stoffwechselstörung des Menschen beschrieben. Die geschätzte Inzidenz liegt bei 1:250.000–1.000.000 Neugeborenen.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz der Homogentisinsäuredioxygenase (HGD-Gen, Genlokus 3q13.33) verursacht. Der Enzymdefekt führt zu einer Akkumulation von Homogentisinsäure und Benzochinonacetat, die toxisch auf den Kollagen- und Knorpelstoffwechsel wirken (Hemmung der Lysylhydroxylase) und Vorstufen des sich hauptsächlich im Bindegewebe und Knorpel ablagernden dunklen Pigments (ochronotisches Pigment) sind. Der Urin von Patienten dunkelt spontan oder nach Alkalisierung nach.
Klinische Symptome und Verlauf
Die spontane schwarzbraune Verfärbung des Urins kann bereits in der Kindheit beobachtet werden, die klinischen Manifestationen beginnen jedoch selten vor dem 2. oder 3. Lebensjahrzehnt. Hierbei zeigt sich die schmerzhafte, ochronotische Arthritis insbesondere an der Wirbelsäule, später an Hüft-, Knie- und Schultergelenken. Eine abnormale Pigmentierung der Herzklappen sowie pigmentierte Prostatasteine treten gehäuft auf.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die erhöhte Homogentisinsäureausscheidung im Urin kann mittels GC/MS nachgewiesen werden. Die Tyrosinkonzentration im Plasma ist normal. Die Diagnose kann durch enzymatische und molekulargenetische Untersuchungen bestätigt werden.
Therapie und Prognose
Eine phenylalanin- und tyrosinarme Diät führt nicht zu einer ausreichenden Reduktion der Homogentisinsäure. Die experimentelle Gabe von Nitisinon (Tyrosinämie Typ I, Abschn. 2.4) wird versucht. Hohe Dosen von Ascorbinsäure werden in der Vorstellung eingesetzt, die Lysylhydroxylase zu stimulieren. Keine dieser Therapieoptionen wurde bislang in Langzeitstudien untersucht.

Maleylacetoacetisomerase-Mangel

Ätiologie und Pathogenese
Die biochemische Störung wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz der Maleylacetoacetisomerase (MAAI) verursacht (GSTZ1-Gen, Genlokus 14q24.3). MAAI katalysiert die Umwandlung von Maleyl- zu Fumarylacetoacetat. Die MAAI-Defizienz verursacht eine Hypersuccinylacetonämie ohne Tyrosinämie.
Klinische Symptome und Verlauf
Sechs Individuen mit MAAI-Defizienz, die im Rahmen des Neugeborenenscreenings auf Tyrosinämie Typ I mittels Succinylaceton in Québec identifiziert und bis zu 13 Jahre unbehandelt nachuntersucht wurden, zeigten keine hepatische, renale oder neurologische Manifestation oder eine sonstige klinische Manifestation. Es handelt sich bei aller gebotenen Vorsicht möglicherweise um eine biochemische Störung ohne Krankheitswert.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Aufgrund der erhöhten Succinylacetonkonzentrationen in Plasma und Urin kann die MAAI-Defizienz mit der Tyrosinämie Typ I verwechselt werden, die Succinylacetonkonzentration liegt bei der MAAI-Defizienz jedoch niedriger. Anders als bei der Tyrosinämie Typ I wurden bei der MAAI-Defizienz keine Tyrosinämie und kein erhöhtes α-Fetoprotein nachgewiesen. Die beiden Entitäten können molekulargenetisch eindeutig voneinander unterschieden werden.
Therapie und Prognose
Eine Unterscheidung zwischen Tyrosinämie Typ I und MAAI-Defizienz ist bedeutsam, da bei der MAAI-Defizienz nach heutiger Kenntnis keine Behandlungsindikation für den Beginn einer NTBC-Therapie oder einer phenylalanin-/tyrosinarmer Diät besteht. Innerhalb des bisherigen Beobachtungsverlaufs entwickelten sich alle betroffenen Individuen ohne Therapie altersentsprechend.

Glycin

Nichtketotische Hyperglycinämie (Glycinenzephalopathie )

Definition
Historisch begründet wurden früher Patienten mit ketotischer und nichtketotischer Hyperglycinämie unterschieden. Als Ursachen der ketotischen Hyperglycinämie sind mittlerweile die Propion- und Methylmalonazidurie (Kap. „Organoazidurien“) identifiziert worden. Bei der nichtketotischen Hyperglycinämie liegt der Primärdefekt im Glycinabbau. Die Inzidenz wird weltweit auf 1:60.000 Neugeborene geschätzt, sie stellt damit die zweithäufigste Aminoazidopathie dar.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz einer Untereinheit des sog. Glycine-cleavage-Systems (Proteine P, T, H, L) verursacht. Die meisten Defekte betreffen das Protein P (GLDC-Gen, Genlokus 9p24.1), seltener Protein T (AMT-Gen, Genlokus 3p21.31) und vereinzelt Protein H (GCSH-Gen, Genlokus 16q23.2). Der Enzymkomplex baut Glycin zu Kohlendioxid und Ammoniak ab. Durch den angeborenen Defekt entsteht eine Hyperglycinämie. Glycin ist obligatorischer Koagonist (strychnin-insensitive Glycinbindungsstelle) der ubiquitär im ZNS vorhandenen, exzitatorischen NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat, NMDA), wirkt hingegen über strychnin-sensitive Glycinrezeptoren des ventralen Rückenmarks und Hirnstamms als inhibitorischer Neurotransmitter und über Glycinrezeptoren auf neuralen Progenitorzellen während der Fetalzeit exzitatorisch. Des Weiteren wurden angeborene Synthesestörungen (getroffene Gene: LIAS, BOLA, GLRX5) von α-Liponsäure, einem Kofaktor des Glycine-cleavage-Systems, als weitere seltene Ursachen einer Hyperglycinämie identifiziert.
Klinische Symptome und Verlauf
Die klinische Präsentation ist ausschließlich neurologisch. Die Mehrzahl aller Patienten manifestiert sich bereits in der Neonatalzeit (85 % mit schweren, 15 % mit attenuierten Verlaufsformen, Kap. „Neurologie des Neugeborenen“). Von den sich nach der Neonatalzeit präsentierenden Patienten haben wiederum jeweils 50 % eine schwere bzw. attenuierte Verlaufsform. Bei der neonatalen, ohne intensivmedizinische Intervention häufig rasch zum Tode führenden Form zeigen sich in den ersten Lebensstunden und Tagen eine progrediente Lethargie, muskuläre Hypotonie, myoklonische Epilepsie mit Singultus und Apnoen. Zerebrale Malformationen, insbesondere eine Corpus-callosum-Hypoplasie, lassen sich bei schwer betroffenen Kindern nachweisen. Überlebende Kinder entwickeln eine schwere geistige Behinderung (IQ <20), Mikrozephalie, spastische Zerebralparese und therapierefraktäre Epilepsien. Kinder mit einer attenuierten Verlaufsform zeigen ebenfalls eine ausgeprägte neurologische Problematik. Das Auftreten von Mikrozephalie, neonataler Apnoe, Singultus, schweren EEG-Veränderungen und Spastik sind seltener, die kognitive Entwicklung ist weniger stark beeinträchtigt (IQ >20), das Auftreten choreiformer Bewegungsmuster hingegen häufiger als bei Kinder mit der schweren Verlaufsform.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Eine 10- bis 100-fach erhöhte Glycinkonzentration im Liquor in Kombination mit einem erhöhten Liquor/Plasma-Quotienten für Glycin (Referenzbereich <0,04) in zeitgleich entnommenen Liquor- und Plasmaproben sind richtungsweisend. Eine enzymatische und/oder molekulargenetische Bestätigungsdiagnostik ist zwingend notwendig, u.  a. für die genetische Beratung und zukünftige Pränataldiagnostik. Differenzialdiagnostisch kommen Erkrankungen der α-Liponsäuresynthese (LIAS-, BOLA- und GLRX5-Mangel) in Betracht, wenn sich (1) die Verdachtsdiagnose einer nichtketotischen Hyperglycinämie enzymatisch und/oder molekulargenetisch nicht bestätigen lässt, (2) eine zusätzliche Laktat- und/oder Alaninerhöhung nachweisen lässt (α-Liponsäure ist u. a. Kofaktor des Pyruvatdehydrogenase- und 2-Oxoglutaratdehydrogenasekomplexes) und (3) Krankheitsmanifestationen beobachtet werden, die nicht charakteristisch für eine nichtketotische Hyperglycinämie sind. Hierzu gehören u. a. Leukodystrophie, Optikusatrophie, Innenohrschwerhörigkeit, Kardiomyopathie, Leigh-Syndrom, neurodegenerativer Verlauf nach initial unauffälliger Entwicklung sowie der Nachweis zentraler Läsionen im zervikalen Rückenmark. Hemmstoffe des Glycine-cleavages-Systems, insbesondere Valproat, sollten differenzialdiagnostisch ebenfalls berücksichtigt und anamnestisch erfragt werden.
Therapie und Prognose
Es gibt keine effektive Therapie. Eine frühzeitige Absenkung der Glycinkonzentration durch Natriumbenzoat und die Blockade von NMDA-Rezeptoren durch Dextrometorphan, Felbamat und Magnesium kann den Verlauf abmildern. Symptomatisch werden Antiepileptika (z. B. Phenobarbital, Primidon, Levetiracetam, Vigabatrin), ketogene Diät, Sondennahrung und Physiotherapie eingesetzt. Der Einsatz von Strychnin war bei einigen apnoeischen Neugeborenen erfolgreich, ist jedoch für den Langzeiteinsatz ungeeignet. Baclofen führt oft nur zu einer leichten Verbesserung der Spastik. Die Prognose ist häufig infaust, einige Patienten mit attenuierter neurologischer Symptomatik erreichen jedoch das Erwachsenenalter. Die Prädiktion des Verlaufs wurde durch den Einsatz klinischer Scores verbessert.

Verzweigtkettige Aminosäuren

Ahornsirupkrankheit

Definition und Epidemiologie
Die Ahornsirupkrankheit wurde 1954 durch Menkes und Kollegen erstbeschrieben und erhielt ihren Namen nach dem charakteristischen Geruch unbehandelter Patienten, der durch die Bildung von Sotolon entsteht. Besonders intensiv ist der Geruch im Urin und Ohrenschmalz, kann jedoch auch fehlen. In Deutschland beträgt die Inzidenz ca. 1:160.000 Neugeborene, bei Mennoniten in Pennsylvania hingegen sind bis zu 1:200 Neugeborene betroffen.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz einer der 3 Untereinheiten (E1–3) der verzweigtkettigen 2-Oxosäurendehydrogenase (BCKDH) verursacht, die durch 4 Gene kodiert werden: E1-α-Untereinheit (BCKDHA-Gen, Genlokus 19q13.2), E1-β-Untereinheit (BCKDHB-Gen, Genlokus 6q14.1), E2-Untereinheit (DBT-Gen, Genlokus 1p21.2) und E3-Untereinheit (DLD-Gen, Chromosom 7q31.1). Die Untereinheit E1-β bindet Thiamindiphosphat als Kofaktor. BCKDH katalysiert den ersten irreversiblen Schritt im Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin (Kap. „Organoazidurien“; Abb. 1). Durch oxidative Decarboxylierung entstehen aus verzweigtkettigen 2-Oxosäuren (z.  B. 2-Oxoisocapronsäure) die korrespondierenden Koester (z. B. Isovaleryl-CoA). Die E3-Untereinheit ist neben der BCKDH auch Teil der Multienzymkomplexe 2-Oxosäurendehydrogenase (Zitratzyklus) und Pyruvatdehydrogenase. Die neurotoxischen Effekte der Ahornsirupkrankheit werden hauptsächlich durch Leucin und 2-Oxoisocapronsäure verursacht. Hohe Leucinspiegel im Plasma führen zu einer kompetitiven Hemmung des Transports neutraler Aminosäuren über die Blut-Hirn-Schranke. Die Folge ist ein zerebraler Mangel an essenziellen Aminosäuren. Die akkumulierenden 2-Oxosäuren (insbesondere 2-Oxoisocapronsäure) interferieren zudem mit dem Zitratzyklus und stören den zerebralen Energiestoffwechsel.
Klinische Symptome und Verlauf
Der klinische Verlauf ist variabel und korreliert mit der Restenzymaktivität. Bei der klassischen Verlaufsform (vollständiger BCKDH-Aktivitätsverlust), die bei 80 % aller Patienten vorliegt, entwickelt sich häufig bereits ab dem 3.–5. Lebenstag eine progrediente Enzephalopathie, die unbehandelt von Trinkschwäche, Hypo- oder Areflexie, stereotypen Bewegungsmustern insbesondere im Beinbereich („paddling“), zunehmender muskulärer Hypertonie (Abb. 3) über epileptische Anfälle und Opisthotonus, respiratorische Insuffizienz und Koma in wenigen Tagen tödlich verlaufen kann. Ein namengebender, würziger Geruch kann häufig wahrgenommen werden. Im kranialen MRT-Bild zeigen sich ein Hirnödem und im EEG kammartige Sharp-wave-Rhythmen (5–9 Hz) über der Zentralregion. Bei initial sehr hohen und lang bestehenden Leucinspiegeln ist mit bleibenden Zerebralschäden und Intelligenzminderung zu rechnen. Ca. 20 % der Patienten, die eine Restaktivität von 2–25 % aufweisen, manifestieren sich mit weniger schweren Verläufen. Hierbei wurde ursprünglich eine intermittierende von einer intermediären Verlaufsform unterschieden, die jedoch fließend ineinander übergehen. Der Krankheitsbeginn liegt bei diesen Formen nach der Neugeborenenzeit. Es treten Gedeihstörung, psychomotorische Entwicklungsstörung, Epilepsie sowie intermittierende Vigilanzminderung und Ataxie auf. Die Symptomatik ist fluktuierend und wird durch fieberhafte Infektionskrankheiten und proteinreiche Mahlzeiten getriggert. Die seltene thiaminresponsive Form ähnelt der intermittierenden Verlaufsform. Bei angeborenen Defekten der E3-Untereinheit, die auch die Funktion des Pyruvatdehydrogenase- und 2-Oxoglutaratdehydrogenasekomplexes beeinträchtigen, entwickelt sich ein noch komplexeres, schweres Krankheitsbild mit neonataler Laktatazidose, Gedeihstörung und progredienter neurologischer Symptomatik.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Bei Manifestation im Neugeborenenalter ist die Diagnose durch das Auftreten eines charakteristischen Geruchs in Kombination mit stereotyp ablaufender, neurologischer Verschlechterung bereits anhand klinischer Kriterien zu vermuten. Die Ahornsirupkrankheit ist Zielkrankheit des erweiterten Neugeborenenscreenings. Zielparameter ist Leucin, das methodisch bedingt mittels Tandem-Massenspektrometrie (MS/MS) jedoch nicht von Isoleucin, Alloisoleucin und Hydroxyprolin abgegrenzt werden kann. Die Bestätigungsdiagnostik erfordert eine rasche Aminosäurenanalytik im Plasma. Das Aminosäurenmuster (erhöhtes Leucin, Isoleucin, Valin und Alloisoleucin) ist diagnostisch. Im Urin zeigt sich eine erhöhte Ausscheidung von verzweigtkettigen 2-Oxosäuren und Ketonkörpern. Eine enzymatische oder molekulargenetische Konfirmationsdiagnostik ist nicht zwingend erforderlich. Eine Abgrenzung zwischen Ahornsirupkrankheit und Hydroxyprolinämie, eine genetische bedingte (PRODH2-Gen) Störung ohne klinische Relevanz, ist zwingend erforderlich, da für die Hydroxyprolinämie keine Therapieindikation besteht.
Therapie und Prognose
Die Langzeitprognose ist günstig, wenn die Diagnosestellung in den ersten Lebenstagen erfolgt, eine adäquate Stoffwechseltherapie umgehend eingeleitet wird, und es dauerhaft gelingt, die Leucinspiegel im Plasma weitgehend zu normalisieren (≤200 μmol/l im Kleinkind- und Vorschulalter). Andernfalls besteht ein hohes Risiko für die Entwicklung einer irreversiblen Intelligenzminderung. Grundlage der Stoffwechseltherapie ist eine lebenslange leucinarme Diät. Zur Vermeidung weiterer Stoffwechselentgleisungen ist bei katabolismusinduzierenden Situationen (z. B. Infektionskrankheiten) eine Notfalltherapie erforderlich (Kap. „Differenzialdiagnose und Notfallbehandlung von Intermediärstoffwechselkrankheiten“). Bei schwerer Enzephalopathie sollen extrakorporale Entgiftungsverfahren schnellstmöglich zur Anwendung kommen. Die Lebertransplantation ist bei einigen Kindern erfolgreich durchgeführt worden. Aus den USA liegen zudem optimistische Verlaufsdaten für Kinder mit frühzeitiger Lebertransplantation vor. Phenylbutyrat, einem als Stickstofffänger bei Harnstoffzyklusstörungen eingesetzten Medikament, das den Abbau verzweigtkettiger Aminosäuren beschleunigt, wird als mögliche Therapieoption in klinischen Studien untersucht.

Schwefelhaltige Aminosäuren

Klassische Homocystinurie

Definition und Epidemiologie
Die nicht proteinogene, schwefelhaltige Aminosäure Homocystein entsteht als Produkt der Methylgruppenübertragung von Methionin auf DNA, RNA, Proteine, Lipide und andere Moleküle (z. B. Kreatin). S-Adenosylmethionin (SAM) entsteht aus Methionin und ist der wichtigste Methylgruppendonor des menschlichen Körpers. Nach Übertragung der Methylgruppe durch Methyltransferasen entsteht S-Adenosylhomocystein (SAH), das zu Adenosin und Homocystein hydrolysiert wird. Homocystein wird zu etwa gleichen Teilen entweder zu Methionin remethyliert oder abgebaut (Abb. 4). Die klassische Homocystinurie ist weltweit selten (Inzidenz ca. 1:100.000–300.000 Neugeborene); die höchste Inzidenz wird in Katar (ca. 1:2000 Neugeborene) gefunden; Vitamin-B6-abhängige Erkrankungen sind evtl. deutlich häufiger. Homocystinurien infolge von Störungen des intrazellulären Cobalamin(Vitamin-B12)-Stoffwechsels werden in Kap. „Organoazidurien“ behandelt.
Ätiologie und Pathogenese
Die klassische Homocystinurie wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz des Enzyms Cystathionin-β-Synthase (CBS-Gen, Genlokus 21q22.3) verursacht. Das von Pyridoxalphosphat (aktives Vitamin B6) abhängige Enzym katalysiert den ersten Schritt des Transsulfurierungswegs zum Abbau des Homocysteins. Direkte biochemische Folge des Enzymdefekts ist eine stark erhöhte Homocysteinkonzentration im Plasma (150–400 μmol/l, Referenzbereich <12 μmol/l). Als Folge wird Homocystein durch eine N-Homocysteinylierung von Lysinresten vermehrt in Proteine eingebaut, wodurch sich deren Funktion ändert. Beispielsweise wirkt N-Homocystein-Fibrinogen prothrombotisch; zudem kommt es zu Veränderungen der Kollagenstruktur. Des Weiteren stimuliert Homocystein NMDA-Rezeptoren und wirkt in hohen Konzentrationen exzitotoxisch.
Klinische Symptome und Verlauf
Durch die negativen Effekte von Homocystein auf Gefäße, Bindegewebe und Nervenzellen entwickelt sich bei unbehandelten Patienten eine Multisystemerkrankung. Gefäßerkrankungen (Infarkte, Thrombosen, Embolien) können bereits im Kindesalter auftreten und sind die häufigste Todesursache. Eine beidseitige Linsenektopie (>90 % zwischen dem 3.–10. Lebensjahr; Abb. 5) ist ein Kardinalsymptom. Weitere ophthalmologische Symptome sind eine rasch progrediente Myopie, Katarakte, Glaukome und Retinadegeneration. Etwa 30 % der Patienten entwickeln einen marfanoiden Habitus (Abb. 5). Osteoporose tritt bereits im Kindesalter beginnend an der Wirbelsäule und anschließend generalisierend auf. Die Mehrzahl der unbehandelten Patienten entwickelt eine psychomotorische Entwicklungsstörung, ca. 20 % entwickeln eine Epilepsie. Pyramidale und extrapyramidale Bewegungsstörungen sowie psychiatrische Erkrankungen treten ebenfalls gehäuft auf.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Diagnostisch ist die Kombination einer erhöhten Plasmakonzentration von Homocystein (150–400 μmol/l) und Methionin. Homocystein wird zudem vermehrt im Urin ausgeschieden (namensgebend). Andere Formen der Hyperhomocysteinämie (Abschn. 5.2; Kap. „Organoazidurien“, Abschn. „Störungen des intrazellulären Cobalamin(Vitamin-B12)-Stoffwechsels“) und Hypermethioninämie (Abschn. 5.3) sind hiervon abzugrenzen.
Therapie und Prognose
Therapeutisches Ziel ist die Vorbeugung schwerer Organkomplikationen durch Absenken des Homocysteinspiegels im Plasma. Die Hälfte der Patienten spricht auf pharmakologische Dosen von Vitamin B6 an, das die Restenzymaktivität stimulieren kann. Sinkt der Homocysteinspiegel nicht unter 50 μmol/l, wird eine methioninarme Diät eingesetzt. Durch Gabe des natürlichen Methylgruppendonors Betain (Orphan-Drug: Cystadane) wird die Remethylierung von Homocystein zu Methionin aktiviert. Günstig kann sich zudem die Stimulation der Methinoninsynthase durch Applikation von Folsäure und Vitamin B12 auswirken. Häufig gelingt es bei Patienten ohne Vitamin-B6-Responsivität jedoch nicht, die Homocysteinkonzentration dauerhaft auf unter 50 μmol/l abzusenken. Die Prognose der Erkrankung hängt wesentlich vom Alter bei Diagnosestellung und einer konsequenten Therapieführung ab.

5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase-Mangel und leichte Hyperhomocystinämie

Definition
Für die Remethylierung von Homocystein zu Methionin werden exogene Methylgruppen in den körpereigenen Methylgruppenpool aufgenommen und auf Homocystein übertragen. 5-Methyltetrahydrofolat (MTHF), dessen Methylgruppe durch die Methioninsynthase (5-MTHF: Homocystein-Methyltransferase) in einer Vitamin-B12-abhängigen Reaktion (Abb. 4; Kap. „Organoazidurien“, Abschn. „Störungen des intrazellulären Cobalamin(Vitamin-B12)-Stoffwechsels“) auf Homocystein übertragen wird, spielt eine zentrale Rolle. Die Bereitstellung von 5-MTHF aus 5,10-Methylentetrahydrofolat im sog. Folatzyklus wird durch das Enzym 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) katalysiert. Der MTHFR-Mangel ist äußerst selten. Genaue epidemiologische Angaben liegen nicht vor.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte MTHFR-Defizienz (MTHFR-Gen, Genlokus 1p36.22) verursacht. Hieraus resultiert eine Hyperhomocysteinämie und eine Hypomethioninämie. Aus dem Methioninmangel resultiert ein SAM-Mangel mit Synthesestörung wichtiger Bausteine des sich entwickelnden Organismus. Dieser Mangel wirkt sich bereits in utero aus. Im Gegensatz hierzu führt der bei 5 % der Bevölkerung vorliegende homozygote MTHFR-Polymorphismus p.Cys677Thr zu einer thermolabilen Enzymvariante mit eingeschränkter Aktivität und hieraus resultierender hochnormaler bis leicht erhöhter Homocysteinkonzentration im Plasma.
Klinische Symptome und Verlauf
Beim MTHFR-Mangel kommt es bei Vorliegen der schwersten Verlaufsform bereits im Neugeborenen- oder frühen Säuglingsalter zum Auftreten progredienter epileptischer Enzephalopathien, Mikrozephalie und schwerster Entwicklungsstörung. Bei späterer Manifestation stehen Intelligenzminderung, Epilepsie, Bewegungsstörungen und psychiatrische Erkrankungen im Vordergrund. Ein homozygoter MTHFR-Polymorphismus kann ab dem 3.–4. Lebensjahrzehnt vaskuläre Erkrankungen begünstigen (Infarkte, Thrombosen, Embolien). Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Anlagedefekten des Neuralrohrs (z. B. Spina bifida).
Diagnose und Differenzialdiagnose
Beim MTHFR-Mangel besteht eine Kombination aus einer mäßiggradigen Hyperhomocysteinämie (>60 μmol/l) und einer Hypomethioninämie im Plasma. Zudem lässt sich ein SAM-Mangel im Liquor und Plasma nachweisen. Die Diagnose kann molekulargenetisch bestätigt werden.
Therapie und Prognose
Zur Förderung der Methioninsynthese über die Betain-Homocystein-Methyltransferase wird Betain (Orphan-Drug: Cystadane) eingesetzt. Die Betaintherapie wird häufig mit Folat oder Folinsäure kombiniert. Durch die Therapie kommt es zu einer Besserung der neurologischen Problematik ohne Kompensation bereits intrauterin erworbener Störungen der Hirnentwicklung.
Bei Individuen mit homozygotem MTHFR-Polymorphismus kann die Homocysteinkonzentration im Plasma durch Folsäure und Vitamin B6 normalisiert werden.

Hypermethioninämien

Definition und Epidemiologie
An der Umwandlung von Methionin in Homocystein sind drei Enzyme – Methioninadenosyltransferase I/III, Glycin-N-Methyltransferase und S-Adenosylhomocysteinhydrolase – beteiligt. Die Geschwindigkeit der Hydrolyse von S-Adenosylhomocystein zu Adenosin und Homocystein wird zudem durch das Enzym Adenosinkinase reguliert, das Adenosin in Adenosinmonophosphat umwandelt (Abb. 4). Defekte in den genannten 4 Enzymen führen zu isolierten Hypermethioninämien mit unterschiedlichen klinischen Bildern. Nur wenige Patienten wurden bislang identifiziert, zumeist mit einem Methioninadenosyltransferase-I/III-Mangel.
Ätiologie und klinische Symptome
Dem Methioninadenosyltransferase-I/III-Mangel liegt ein vererbter Defekt im MAT1A-Gen (Genlokus 10q23.1), dem Glycin-N-Methyltransferase-Mangel ein Defekt im GNMT-Gen (Genlokus 6p21.1), dem S-Adenosylhomocysteinhydrolase-Mangel ein Defekt im AHCY-Gen (Genlokus 20q11.22) und dem Adenosinkinasemangel ein Defekt im ADK-Gen (Genlokus 10q22.2) zugrunde. Alle 4 Krankheiten werden autosomal-rezessiv vererbt.
Die meisten der ca. 60 identifizierten Patienten mit Methioninadenosyltransferase-I/III-Mangel waren asymptomatisch. Bei den wenigen Patienten mit Glycin-N-Methyltransferase-Mangel traten eine leichte Hepatomegalie und eine persistierende Transaminasenerhöhung auf. Kinder mit einem S-Adenosylhomocysteinhydrolase-Mangel zeigten hingegen eine im Säuglingsalter beginnende, schwere psychomotorische Entwicklungsstörung, hepatische Dysfunktion und Myopathie. Der Adenosinkinasemangel verläuft klinisch ähnlich und weist zudem noch eine infantil beginnende Epilepsie auf.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Richtungsweisend ist die Hypermethioninämie bei nicht oder unwesentlich veränderter Homocysteinkonzentration. Durch Bestimmung von SAM und SAH lassen sich die beiden erstgenannten von den beiden letztgenannten Krankheiten unterscheiden. Molekulargenetische Untersuchungen sichern die Diagnose.
Therapie und Prognose
Eine methioninarme Diät kann versucht werden. Die Indikation für diese Therapie erscheint bei Patienten mit Methioninadenosyltransferase-I/III- und Glycin-N-Methyltransferase-Mangel aufgrund des gutartigen Verlaufs jedoch fraglich. Für Patienten mit S-Adenosylhomocysteinhydrolase- und Adenosinkinasemangel gibt es noch wenig Erfahrung über die Wirksamkeit dieser Behandlung.

Sulfitoxidase- und Molybdänkofaktormangel

Definition, Epidemiologie und Ätiologie
Die Sulfitoxidase ist ein molybdänkofaktorabhängiges Enzym, das die Umwandlung von Sulfit zu Sulfat im letzten Schritt des Transsulfurierungswegs katalysiert (Abb. 4). Der isolierte Sulfitoxidasemangel wird autosomal-rezessiv vererbt (SUOX-Gen, Genlokus 12q13.2), der Molybdänkofaktormangel durch autosomal-rezessive Defizienzen einer der 3 Untereinheiten (Typ A: MOCS1-Gen, Genlokus 6p21.2; Typ B: MOCS2-Gen, Genlokus 5q11.2; Typ C: GPHN-Gen, Genlokus 14q23.3) verursacht. Für die Funktion zweier weiterer Enzyme, Xanthin- und Aldehydoxidase, ist der Molybdänkofaktor ebenfalls essenziell. Ungefähr 20 Patienten mit isoliertem Sulfitoxidasemangel und mehr als 100 Patienten mit Molybdänkofaktormangel wurden bislang berichtet.
Klinische Symptome und Verlauf
Bei Patienten mit einer schweren Verlaufsform beider Krankheiten treten vermutlich bereits pränatale Störungen der Hirnentwicklung und neonatal therapierefraktäre epileptische Anfälle auf. Die Kinder entwickeln schwerste Störungen der psychomotorischen Entwicklung mit progredienter zerebraler Atrophie, Mikrozephalie, eine muskuläre Hypotonie, die in eine Muskelhypertonie übergeht, Gedeihstörungen und Linsendislokationen. Der Sulfitoxidasemangel ist kausal nicht behandelbar, die Prognose ist infaust. Bei Patienten mit einem MOCS1-Defekt (Typ A) besteht eine experimentelle Therapieoption.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Im Urin finden sich erhöhte Ausscheidungen von Sulfit, Thiosulfat und S-Sulfocystein. Der Sulfittest kann zur Orientierung aus frischem Urin (mindestens 3 unabhängige Messungen) durchgeführt werden, ist jedoch störanfällig. Sulfocystein kann mittels Elektrophorese oder Chromatografie nachgewiesen werden. Bei Patienten mit Molybdänkofaktormangel sind zudem eine erniedrigte Harnsäurekonzentration im Plasma und eine mäßig vermehrte Ausscheidung von Xanthin- und Hypoxanthin im Urin nachweisbar.
Therapie und Prognose
Bei Patienten mit leichter Verlaufsform kann eine cystin- und methioninarme Diät versucht werden, bei schweren Verlaufsformen ist die Diätbehandlung wirkungslos. Bei Patienten mit MOCS1-Defekt, der häufigsten Ursache eines Molybdänkofaktormangels, kann zyklisches Pyranopterinmonophosphat als experimentelle Therapieoption eingesetzt werden. Die Produktion dieses Zwischenprodukts des Molybdänkofaktors ist bei diesem Defekt gestört. Therapieversuche zeigen ermutigende Resultate. Da es bei Patienten mit Sulfitoxidase- und Molybdänkofaktormangel zudem zu einer sekundären Akkumulation von α-Aminoadipinsäuresemialdehyd, einem Biomarker der pyridoxinabhängigen Epilepsie, kommen kann, ist eine Pyridoxinsupplementation zu erwägen.

Cystinose

Definition und Epidemiologie
Intralysosomales, freies Cystin wird durch einen Cystintransporter, der das Membranprotein Cystinosin enthält, in das Zytosol transportiert. Die Inzidenz der Cystinose wird weltweit auf ca. 1:180.000 Neugeborene geschätzt.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz des lysosomalen Membranproteins Cystinosin (CTNS-Gen, Genlokus 17p13.2) verursacht. Der Defekt führt zu einer lysosomalen Cystinakkumulation, wobei andere lysosomale Funktionen nicht beeinträchtigt sind, und es nicht zu einem systemischen Cystinmangel kommt. Fast alle Körperzellen sind von der Cystinspeicherung, die zur Ablagerung von Cystinkristallen führt, betroffen.
Klinische Symptome und Verlauf
Es werden 3 unterschiedliche Verlaufsformen unterschieden:
  • die nephropathische bzw. infantile,
  • die intermediäre bzw. juvenile und
  • die benigne bzw. adulte Verlaufsform.
Die infantile Verlaufsform ist die häufigste und schwerste. Ab dem 2. Lebenshalbjahr treten Ernährungs-, Wachstums- und Gedeihprobleme, Erbrechen, Polyurie und Polydipsie auf. Trotz zuverlässiger Vitamin-D-Prophylaxe entwickelt sich eine Rachitis. Im Blut lassen sich Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hypophosphatämie und metabolische Azidose nachweisen. Im Urin zeigt sich zunächst die erhöhte Ausscheidung tubulärer Proteine und im weiteren Verlauf die Entwicklung eines renalen Fanconi-Syndroms. Durch einen renalen Diabetes insipidus kommt es zu einem erheblichen Flüssigkeitsbedarf und Dehydratation. Aufgrund einer tubulointerstitiellen Fibrose und glomerulären Sklerose entwickelt sich eine progrediente Abnahme der glomerulären Filtration. Im Alter von 6–12 Jahren kommt es zum terminalen Nierenversagen. Ab dem 3.–4. Lebensjahr zeigt sich eine ophthalmologische Beteiligung durch korneale Einlagerung von Cystinkristallen (Abb. 6) und die Entwicklung einer Retinopathie mit Pigmentdegeneration. Erstes Symptom ist eine Fotophobie. Ab dem 2. Lebensjahrzehnt können sich schmerzhafte Hornhauterosionen und -trübungen entwickeln, die Netzhautfunktion verschlechtern und bereits im 3. Lebensjahrzehnt eine Amaurosis erfolgen. Betroffen sind des Weiteren das Endokrinium (Hypothyreose, insulinabhängiger Diabetes mellitus, hypergonadotroper Hypogonadismus bei männlichen Patienten), Skelettmuskulatur (progrediente distale Myopathie), ZNS (zerebrale Atrophie, Epilepsie, motorische Dysfunktion) sowie Leber und Milz (Hepatomegalie, Splenomegalie, portale Hypertension, sklerosierende Cholangitis).
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose wird durch den Nachweis eines erhöhten freien Cystingehalts in Leukozyten oder Fibroblasten biochemisch gesichert. In der Spaltlampenuntersuchung finden sich bei ophthalmologischer Beteiligung pathognomonische korneale Cystinkristalle. Deren Fehlen schließt die Diagnose jedoch nicht aus. Eine molekulargenetische Bestätigung ist möglich.
Therapie und Prognose
Das renale Fanconi-Syndrom wird symptomatisch behandelt. Die Normophosphatämie ist Voraussetzung für die effektive Therapie der hypophosphatämischen Rachitis. Eine Vitamin-D-Substitution sollte vorsichtig erfolgen, auf eine gleichzeitige Kalziumgabe aufgrund der vorliegenden Hyperphosphaturie verzichtet werden. Zur Absenkung des intralysosomal gespeicherten freien Cystins wird Cysteamin eingesetzt. Cysteamin (Orphan-Drug: Cystagon) wird in das Lysosom transportiert, bindet an Cystin und bildet Cystein sowie das gemischte Disulfid Cystein-Cysteamin. Die entstehenden Produkte können über den Cystein- und Lysintransporter aus dem Lysosom abtransportiert und Cysteamin nach Abspaltung von Cystein wiederhergestellt werden. Bei frühzeitigem Einsatz wird hierdurch die Entstehung einer Niereninsuffizienz verzögert. Bei Auftreten einer Niereninsuffizienz ist der Einsatz einer Dialysetherapie rechtzeitig zu planen. Bei vielen Patienten wurde erfolgreich eine Nierentransplantation durchgeführt.
Zur Behandlung der ophthalmologischen Manifestation sind die regelmäßige Anwendung von 0,5 %igen Cysteaminaugentropfen und der Einsatz von Sonnengläsern erforderlich, zur Therapie der Ernährungs- und Gedeihproblematik häufig eine Sondenernährung. Bei pathologischer Wachstumsentwicklung empfiehlt sich der Einsatz von Wachstumshormon.
Die Prognose hängt wesentlich vom Zeitpunkt der Diagnosestellung und der anschließend konsequent durchgeführten Cysteamintherapie ab. Ein früher Therapiebeginn im 1. Lebensjahr wirkt sich günstig auf den Krankheitsverlauf aus.

Cystinurie

Historisches, Definition und Epidemiologie
Die Erstbeschreibung eines Cystinsteins im Urin geht auf Wollaston im Jahr 1810 zurück. Die Cystinurie gehört zu den vier ersten von Garrod 1908 beschriebenen angeborenen Stoffwechselerkrankungen. Cystin und die strukturell ähnlichen dibasischen Aminosäuren (Lysin, Arginin und Ornithin) werden vom intestinalen und renal tubulären Lumen über das apikale Transportsystem rBAT/b0,+AT in die Epithelzelle transportiert und von dort über den basolateralen dibasischen Aminosäurentransporter (System y+L) im Austausch gegen neutrale Aminosäuren in das intestinale und renale Parenchym weitertransportiert. Die Inzidenz der Cystinurie beträgt ca. 1:7000 Neugeborene. Etwa 1–2 % aller Nierensteine bei Erwachsenen und 6–8 % aller Nierensteine bei Kindern werden durch die Cystinurie verursacht (Kap. „Urolithiasis und Nephrokalzinose bei Kindern und Jugendlichen“).
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch einen Defekt einer der beiden Untereinheiten (SLC3A1-Gen, Genlokus 2p21 bzw. SLC7A9-Gen, Genlokus 19q13.11) des Aminosäurentransporters rBAT/b0,+AT hervorgerufen, mit vermehrter Ausscheidung von Cystin, Lysin, Ornithin und Arginin im Urin. Physiologisch werden 99 % des filtrierten Cystins reabsorbiert. Durch den rBAT/b0,+AT-Defekt erhöht sich die Cystinkonzentration im Urin auf 600–1400 mg/l. Cystin hat nur eine geringe Löslichkeit; bei höheren Konzentration bilden sich Cystinkristalle und -steine.
Klinische Symptome und Verlauf
Die Symptomatik wird durch die Folgen der Urolithiasis geprägt. Es kommt zu akuten Nierenkoliken, Hämaturie, Pyurie und spontanem Steinabgang. Rezidivierende Harnwegsinfekte, Harnwegsobstruktion und Niereninsuffizienz sind mögliche Komplikationen. Einige Patienten mit Cystinurie bleiben asymptomatisch.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Ein positiver Nitroprussidtest und, spezifischer, der quantitative Nachweis einer erhöhten Ausscheidung von Cystin (und dibasischen Aminosäuren) im Urin sichern die Diagnose. Eine molekulargenetische Untersuchung kann angeschlossen werden.
Therapie und Prognose
Therapieziel ist die Senkung der Cystinkonzentration im Urin unter die Löslichkeitsgrenze (bei pH 7,0: 250 mg/l, bei pH 7,5: 500 mg/l). Hierfür ist eine hohe Flüssigkeitsmenge (1,75–2 l/m2 KOF/Tag) und eine dauerhafte Alkalisierung des Urins mittels Natriumbikarbonat oder Kaliumzitrat erforderlich. Thiole (D-Penicillamin, Mercaptopropionylglycin) verbessern die Löslichkeit durch Bildung gut wasserlöslicher, gemischter Disulfide, weisen jedoch nephrotoxische Nebenwirkungen auf. Nephrolithotomie, extrakorporale Stoßwellenlithotripsie und Spülung mit alkalisiertem N-Acetylcystein über Nephrostomiekatheter können zur Entfernung von Cystinsteinen verwendet werden.

Serin

3-Phosphoglyceratdehydrogenase-Mangel

Definition und Epidemiologie
Der 3-Phosphoglyceratdehydrogenase-Mangel ist die häufigste angeborene Störung der Serinbiosynthese. Weitere Defekte betreffen die Enzyme 3-Phosphoserinaminotransferase und 3-Phosphoserinphosphatase, die sich klinisch nicht voneinander unterscheiden lassen. Wenige Patienten wurden bislang identifiziert.
Ätiologie
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte Defizienz des namengebenden Enzyms 3-Phosphoglyceratdehydrogenase (PHGDH-Gen, Genlokus 1p12) verursacht. Das Enzym katalysiert die Umwandlung von 3-Phosphoglycerat, einem Zwischenprodukt der Glykolyse, zu 3-Phosphohydroxypyruvat, einer Serinvorstufe. Serin spielt eine wichtige Rolle in der Synthese von wichtigen Bausteinen des Gehirns (Phospholipide, Sphingomyelin, Zerebroside) und Neurotransmittern (Glycin, D-Serin). Eine Störung der Serinbiosynthese führt bereits intrauterin zu einer Störung der Gehirnentwicklung.
Klinische Symptome und Verlauf
Der klinische Schweregrad reicht vom neonatal letalen Neu-Laxova-Syndrom, einer schwersten antenatalen Krankheitsmanifestation mit multiplen strukturellen Veränderungen des ZNS sowie skelettalen und kutanen Auffälligkeiten, bis zum Auftreten einer progredienten Polyneuropathie bei einem adulten Patienten mit leichter geistiger Behinderung und zerebellärer Ataxie. Am häufigste ist die infantile Verlaufsform. Hiervon betroffene Patienten weisen bereits bei Geburt eine Mikrozephalie auf. In der Folge entwickeln sich eine schwere Störung der psychomotorischen Entwicklung, spastische Tetraparese, therapierefraktäre Epilepsie (EEG: Hypsarrhythmie, die sich in Richtung Lennox-Gastaut-Syndrom weiter entwickelt) und ein Nystagmus. Zudem wurden Wachstumsretardierung, Hypogonadismus und megaloblastäre Anämie beschrieben. MRT-Untersuchungen können eine kortikale Atrophie und Myelinisierungsstörung nachweisen. Bei 2 Kindern wurde eine leichtere Verlaufsform mit Absencenepilepsie im Kindesalter und moderater Entwicklungsstörung ohne Mikrozephalie beschrieben.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die Diagnose kann durch das Vorliegen einer neonatalen Enzephalopathie und Mikrozephalie in Kombination mit niedrigen Serin- und Glycinkonzentrationen im Liquor gestellt werden. Die Serin- und Glycinkonzentrationen im Plasma können (intermittierend, insbesondere nach Nahrungsaufnahme) normal sein. Erniedrigte Plasma- und Liquorkonzentrationen von Serin kommen auch bei angeborenen Störungen im Folatstoffwechsel vor. Die Diagnose eines 3-Phosphoglyceratdehydrogenase-Mangels kann enzymatisch und molekulargenetisch gesichert und von den beiden anderen, selteneren Serinsynthesedefekten (3-Phosphoserinaminotransferase und 3-Phosphoserinphosphatase) unterschieden werden.
Therapie
Die frühzeitige Behandlung mit Serin (und Glycin) hat einen positiven Effekt auf die Epilepsie, Tetraspastik und das Gedeihen. Durch eine pränatale Serintherapie bei bereits pränatal diagnostizierten Patienten kann das Auftreten einer Mikrozephalie und eines psychomotorischen Entwicklungsrückstands verhindert werden.

Ornithin

Hyperornithinämie mit Gyratatrophie der Choroidea und Retina

Definition
Ornithin ist u. a. im Harnstoffzyklus, Prolin- und Glutamatstoffwechsel und der Synthese von Polyaminen involviert. Das Enzym Ornithin-δ-Aminotransferase (OAT) katalysiert hierbei die Umwandlung von Ornithin in Δ1-Pyrrolin-5-Carboxylat, einer Prolinvorstufe. Beim Neugeborenen läuft diese Reaktion in umgekehrter Richtung ab und erhöht hierdurch die neonatale Verfügbarkeit von Arginin.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch eine autosomal-rezessiv vererbte OAT-Defizienz (OAT-Gen, Genlokus 10q26.13) verursacht. Hierdurch kommt es zu einer massiven Erhöhung der Ornithinkonzentration im Plasma (400–1200 μmol/l). Da Ornithin ein physiologischer Inhibitor der Arginin-Glycin-Amidinotransferase, des ersten enzymatischen Schrittes der Kreatinbiosynthese, ist, entwickeln betroffene Patienten einen sekundären Kreatinmangel. Zudem hemmt Ornithin kompetitiv den Transport von Arginin und Lysin über die Blut-Hirn-Schranke (via CAT1, Kationentransporter 1) und die innere mitochondriale Membran (via ORNT1 und 2, Ornithintransporter 1 und 2).
Klinische Symptome und Verlauf
Einige Patienten fallen bereits neonatal infolge einer gestörten Argininsynthese durch eine transiente Hyperammonämie auf. Das erste Symptom der Krankheit ist jedoch zumeist das Auftreten einer Myopie gefolgt von Nachtblindheit im Kindesalter. Mittels Elektroretinografie kann noch vor dem Auftreten sichtbarer Veränderungen eine Retinopathie nachgewiesen werden. In der Funduskopie zeigen sich später scharf demarkierte, chorioretinale Atrophieherde (Abb. 7). Diese beginnen peripher und können sich im Verlauf unter Einbeziehung der Makula vergrößern. Das Gesichtsfeld engt sich hierdurch zunehmend ein. Subkapsuläre posteriore Katarakte entwickeln sich in der 2. Lebensdekade. Im Alter von 40–60 Jahren erblinden die meisten unbehandelten oder ungenügend behandelten Patienten. Die Intelligenz ist zumeist normal. Nichtokuläre Auffälligkeiten sind eine diffuse EEG-Verlangsamung, Atrophie der Typ-II-Muskelfasern und abnormale Ultrastruktur hepatischer Mitochondrien.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die massive Hyperornithinämie ist charakteristisch. Im Urin finden sich vermehrte Ausscheidungen von Ornithin, Lysin, Arginin und Cystin. Patienten mit Hyperammonämie-Hyperornithinämie-Homocitrullinurie-Syndrom (Kap. „Harnstoffzyklusstörungen“) können durch die zumeist nur mäßige Hyperornithinämie und den Nachweis einer Homocitrullinurie differenziert werden. Beim hyperammonämischen Neugeborenen kann die biochemische Unterscheidung von einem Ornithintranscarbamylasemangel schwierig sein. Die Diagnose kann enzymatisch und molekulargenetisch gesichert werden.
Therapie und Prognose
Das Therapieziel ist das dauerhafte Absenken der Plasmaornithinkonzentration unter 200 μmol/l, um das Fortschreiten der retinalen Veränderungen aufzuhalten. Wenige Patienten sprechen auf pharmakologische Dosen von Vitamin B6, dem Kofaktor von OAT, an. Bei nichtresponsiven Patienten wird eine argininarme Diät eingesetzt. Diese erlaubt lediglich die Zufuhr von 0,25 g natürlichem Eiweiß/kg KG/Tag und muss zur Vermeidung einer Malnutrition durch eine argininfreie Aminosäurenmischung ergänzt werden. Zusätzlich können Kreatinmonohydrat und Lysin eingesetzt werden. Die Langzeitcompliance mit dieser sehr einschränkenden Diätbehandlung ist häufig schlecht.

Andere Aminoazidopathien

Hartnup-Krankheit

Definition und Epidemiologie
Die 1956 zuerst beschriebene Krankheit, die den Namen der Indexfamilie trägt, betrifft den transepithelialien Transport neutraler Aminosäuren (z. B. Tryptophan) im Dünndarm und proximalen Nierentubulus. Die Inzidenz wird auf 1:14.000–45.000 Neugeborene geschätzt.
Ätiologie und Pathogenese
Die Krankheit wird durch einen angeborenen Defekt des neutralen Aminosäurentransporters b(0)AT1 (SLC6A19-Gen, Genlokus 5p15.33) hervorgerufen. Der Defekt führt aufgrund einer verminderten Reabsorption aus dem tubulären und intestinalen Lumen zu einer azidurievermehrten Ausscheidung neutraler Aminosäuren im Urin wie auch mit dem Stuhl. Der hierdurch hervorgerufene Tryptophanverlust ist vermutlich für die kutane und neurologische Symptomatik entscheidend. Tryptophan dient als Vorläufer für die endogene Nicotinamid- und Serotoninsynthese.
Klinische Symptome und Verlauf
Charakteristischerweise treten eine pellagraähnliche Dermatitis auf lichtexponierten Hautarealen und neurologische Symptome (zerebelläre Ataxie, emotionale Instabilität, Kopfschmerzen) auf. Die Dermatitis kann durch Sonnenexposition, Infektionskrankheiten, Diarrhö und Mangelernährung getriggert werden. Viele Patienten bleiben jedoch asymptomatisch oder zeigen mit einer hohen Proteinzufuhr abgeschwächte Symptome.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Der Nachweis einer neutralen Hyperaminoazidurie bei (niedrig-)normalen Plasmakonzentrationen neutraler Aminosäuren sichert die Diagnose. Sie kann molekulargenetisch bestätigt werden.
Therapie und Prognose
Die orale Nicotinamidtherapie führt rasch zu einer Abheilung der Dermatitis und zu einer Besserung der neurologischen Symptome. Tryptophanethylester kann verwendet werden, um den Transportdefekt zu umgehen. Eine orale Neomycintherapie zur Reduktion der intestinalen Umwandlung von Tryptophan in Indol durch Darmbakterien wird z. T. eingesetzt, die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist jedoch fraglich.

Histidinämie

Die Histidinämie ist eine klinisch inapparent verlaufende Störung des Histidinabbaus, die durch einen autosomal-rezessiv vererbten Defekt der Histidinammoniumlyase (HAL-Gen, Genlokus 12q23.1) verursacht wird. Die Störung tritt weltweit mit einer geschätzten Inzidenz von ca. 1:40.000 Neugeborenen auf. Aus dem angeborenen Defekt resultieren erhöhte Histidinkonzentrationen im Blut, Urin und Liquor. Obwohl die Histidinämie ursprünglich mit mentaler Retardierung und Sprachentwicklungsstörung assoziiert wurde, gilt diese Störung mittlerweile als benigne, nicht behandlungsbedürftige Stoffwechselstörung.
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