Ein systematisches Review mit
Metaanalyse von 13 Studien über 3,5 Millionen Schwangere zeigte ein 4,83-fach erhöhtes Wiederholungsrisiko für einen IUFT (95 % CI 3,77–6,18). Das Risiko in der Folgeschwangerschaft war bei Frauen am höchsten, deren erste Schwangerschaft mit einem IUFT ≥ SSW 20 ausgegangen ist (
Odds Ratio 4,77, 95 % CI 3,70–6,15) (Lamont et al.
2015). In einer retrospektiven Studie an 266 Frauen nach IUFT konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Todesursache des IUFTs (klassifiziert nach ReCoDe) mit Komplikationen in der Folgeschwangerschaft gefunden werden, wie wohl bekannt ist, dass plazentare Funktionsstörungen, wie z. B. Präeklampsie, ein hohes Wiederholungsrisiko in Folgeschwangerschaften aufweisen (Graham et al.
2021).
Kindsbewegungen
Die mütterliche Wahrnehmung der Kindsbewegungen
in ihrem Uterus galt seit jeher als ein beruhigendes Zeichen des fetalen Wohlbefindens. Schon in einem Bericht aus dem Jahr 1526 wurden dahingegen fehlende Kindsbewegungen mit einem intrauterinen Fruchttod in Verbindung gebracht (Raynalde und Rösslin
1526).
Zwischen der SSW 18 bis 20 beginnen Schwangere erste Kindsbewegungen
zu spüren, welche als Tritt, Rollen, Flattern oder Rauschen wahrgenommen werden. Das Bestehen einer Vorderwandplazenta kann bis zur SSW 28 das subjektive Wahrnehmen der Kindsbewegungen reduzieren. Die Häufigkeit der individuellen Kindsbewegungen erreicht ihren Höhepunkt in der SSW 32, woraufhin es zu keiner wesentlichen Frequenzsteigerung oder -reduktion mehr kommt. Die durchschnittliche Frequenz der Kindsbewegungen in einem Intervall zwischen 50 bis 75 min beträgt etwa 31 (mindestens 16 bis max. 45), wobei nachmittags und abends fetale Bewegungen zunehmen. Während der fetalen Schlafperiode (zwischen 20 bis max. 90 min Dauer) sind fehlende Kindsbewegungen normal. Wenn eine Schwangere nach der SSW 28 unsicher ist, ob Kindsbewegungen vorhanden sind, wird ihr geraten, sich auf die linke Seite zu drehen und über zwei Stunden auf die fetalen Bewegungen zu achten (Royal College of Obstetricians and Gynecologists
2011). Im Falle einer Absenz von mindestens zehn diskreten Bewegungen in zwei Stunden sollen Schwangere an einer Klinik vorstellig werden. Die Abnahme von Bewegungen im Falle von phäno- und genotypisch unauffälligen Feten ist assoziiert mit Plazentainsuffizienz, Wachstumsrestriktion und beginnender Zentralisierung. In etwa 55 % der Frauen sind reduzierte bis fehlende Kindsbewegungen die Prodromalzeichen für einen IUFT (Efkarpidis et al.
2004).
Das wissenschaftliche Interesse für intrauterine Kindsbewegungen
wurde besonders in den 1970er und -80er entfacht, als die Beobachtung fetaler Bewegungsmuster als leicht anwendbare, jederzeit zugängliche und ökonomische Methode anerkannt wurde. Infolgedessen wurden „Fetal-Kick-Charts
“ immer beliebter, deren Sinn darin bestand, die Frauen für das Bewegungsmuster und die -frequenz ihres Feten zu sensibilisieren und bei Frequenzminderung oder einer Änderung des Musters eine ärztliche Kontrolle zu indizieren zwecks Ausschluss einer fetalen Kompromittierung und Vermeiden eines IUFTs. Die mütterliche psychologische Perspektive einer solchen täglichen Intervention wird in der Literatur kontrovers diskutiert und reicht von verstärkter Besorgnis und Nervosität, bis hin zu einem stärkeren Bindungsverhalten zum Feten und einem subjektiv höher empfundenem Maß an Kontrolle und Selbstsicherheit, besonders im dritten Trimester (Mikhail et al.
1991; Saastad et al.
2012; Delaram und Shams
2016).
Eine Cochrane-Metaanalyse untersuchte den Effekt der Kick-Charts
in einem Kollektiv von 71.458 Frauen (Mangesi et al.
2015). Die
Compliance in der Verwendung der Kick-Charts war höher bei Frauen, welche die „Cardiff Count-to-Ten“-Methode anwandte, als die Intervallmethode, weil es zu weniger Unterbrechungen in ihrem Alltag kam (Non-compliance RR 0,25, 95 % CI 0,19–0,32). Die Kick-Charts führten zu einer Reduktion der mütterlichen Besorgnis (Differenz −0,22, 95 % CI −0,35 bis −0,10), jedoch nicht zu einer Verstärkung des Bindungsverhalten zum Feten (Differenz −0,02, 95 % CI −0,15 –0,11). Während reduzierte Kindsbewegungen
mit häufigeren antenatalen Krankenhausaufnahmen assoziiert waren (RR 2,72, 95 % CI 1,34–5,52), konnte jedoch keine Reduktion der IUFT-Rate (mittlere Differenz 0,23, 95 % CI −0,61–1,07), noch der Kaiserschnittentbindungen (RR 0,93, 95 % CI 0,60–1,44) festgestellt werden. Zusammenfassend zeigte die Cochrane-Analyse, dass eine harte Evidenz für die „Kick-Charts“ hinsichtlich der IUFT-Reduktion fehlt, was nicht zuletzt an dem Design der inkludierten Studien beruhte.
Auf Basis dessen wurde zwischen 2014 und 2016 in 37 britischen Krankenhäusern die AFFIRM (Awareness of fetal movements and care package to reduce fetal mortality) Studie durchgeführt, in welche 409 175 Frauen eingeschlossen wurden (Norman et al.
2018). Schwangere ≥ 24 SSW, wie auch Geburtshelfer wurden über die Gefahr reduzierter Kindsbewegungen
aufgeklärt und in notwendige Handlungsmaßnahmen instruiert. Im Behandlungszeitraum kam es zu einer nicht-signifikaten Reduktion der IUFT-Rate von 4,4 auf 4,06 pro 1000 Geburten (aOR 0,90, 95 % CI 0,75–1,07; p = 0,23), gleichzeitig auch zu einem Anstieg der Kaiserschnittraten und stationären Aufnahmen (Norman et al.
2018).
Das Studienmodell wurde in 27 australischen und neuseeländischen Krankenhäusern an 304 850 Frauen ≥22 SSW im Rahmen der „My-Baby’s-Movement“-Studie modifiziert repliziert (Flenady et al.
2021). Die Studie zeigte ebenso eine nicht-signifikante Reduktion der IUFT-Rate von 2,4 auf 2,2 pro 1000 Geburten (aOR 1,18, 95 % CI 0,93–1,50; p = 0,18), insbesondere in den ersten 18 Monaten nach Studienbeginn (2,7 auf 2,0 pro 1000 Geburten), was auf eine gesteigerte
Compliance hinweisen mag.
Auch wenn die Studienlage in Hinblick auf Wahrnehmung der Kindsbewegungen keine signifikante Reduktion der IUFT-Rate beweist, sollten Frauen auf die Wichtigkeit einer klinischen Kontrolle hingewiesen werden.
Das ärztliche Management bei reduzierten Kindsbewegungen
umfasst die initiale Bestätigung der positiven Herzaktion und die Durchführung eines CTGs über 20 Minuten. Innerhalb von 24 Stunden sollte eine Biometrie zum Ausschluss einer Wachstumsabflachung oder einer Wachstumsrestriktion erfolgen, sowie eine Dopplersonografie der Arteria umbilicalis und Bestimmung des Fruchtwasserindex (Royal College of Obstetricians and Gynecologists
2011).
Bei einem einmaligen Auftreten von reduzierten Kindsbewegungen
mit sonst unauffälligen Untersuchungsergebnissen ist zu 70 % ein komplikationsloser Verlauf zu erwarten. Wiederholte Abnahmen der Kindsbewegungen müssen ernst genommen werden und deuten auf ein schlechteres perinatales Outcome hin (OR 1,92; 95 % CI 1,21–3,02) (O'sullivan et al.
2009).
Adaptierung modifizierbarer Risikofaktoren
Zu den modifizierbaren Risikofaktoren zählen der Nikotin- und Drogenkonsum, ein schlecht eingestellter
Diabetes mellitus
, angeborene und
erworbene Thrombophilien sowie
Adipositas. Für die bestmögliche Versorgung und medizinische Betreuung dieser Hochrisikoschwangeren ist während der Schwangerschaft eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der medizinischen Spezialfächer vonnöten.
In Anbetracht der hohen
Prävalenz von zugrundeliegenden Plazentafunktionsstörungen als Todesursache von IUFTs und der 62 %-igen Risikoreduktion für vorzeitige Präeklampsie durch die tägliche abendliche Einnahme von 150 mg Aspirin zwischen SSW 11-14 und SSW 36 bei Hochrisikoschwangeren laut der ASPRE-Studie (Rolnik et al.
2017) liegt die Vermutung nahe, dass Frauen mit Zustand nach IUFT aufgrund Plazentadysfunktion in der Folgeschwangerschaft von der prophylaktischen Einnahme von Aspirin profitieren würden. Eine systematische Cochrane-Metaanalyse konnte aufgrund schwacher Evidenz und niedriger Fallzahlen bei Schwangeren mit Z. n. IUFT ohne Risikoprofil für Präeklampsie
keinen eindeutigen Nutzen von der prophylaktischen Gabe von niedrigdosiertem Aspirin (Risk Ratio 0,85; 95 % CI 0,06–12,01; n = 24 Schwangere) oder niedermolekularem Heparin (Risk Ratio 2,58, 95 % CI 0,40–16,62; n = 122 Schwangere) während der Folgeschwangerschaft feststellen (Wojcieszek et al.
2016).
Verlaufskontrollen
Aufgrund der Anamnese werden Frauen besonders bei Z. n. IUFT ≥SSW 30+0 mehr Ultraschallkontrollen und Ambulanzkontrollen angeboten (Wojcieszek et al.
2016). Eine retrospektive Studie an 222 Frauen, deren Folgeschwangerschaft nach vorangegangenem IUFT an einer irischen Universitätsklinik zwischen 2011 bis 2017 betreut wurde, zeigt, dass diese doppelt so häufig zu Verlaufskontrollen kamen oder einbestellt wurden mit einer medianen Frequenz von zehn Besuchen (2 bis 27 insgesamt). Auch wurden an jenen Frauen 5-fach häufiger Ultraschallkontrollen durchgeführt (Roseingrave et al.
2021).
Eine pauschale Erhöhung der Ambulanzfrequenzen ist zwar nicht nötig, doch wäre es vorteilhaft, auf Basis der vorangegangenen Todesursache die Kontrolltermine zu adaptieren: Wenn der Zustand einer Plazentafunktionsstörung mit Wachstumsretardierung, eine Präeklampsie oder ein
Gestationsdiabetes vorliegen, sind engmaschigere klinische Kontrollen zwecks Biometrie, Doppleruntersuchung und Fruchtwasserkontrolle ab der SSW 22+0 als sinnvoll zu erachten, um pathologische Verläufe rechtzeitig erkennen zu können.
Psychologische Aspekte der Folgeschwangerschaft
Der Tod eines ungeborenen Kindes hat weitreichende Folgen für die Kindseltern als Paar sowie auf die gesamte Familiendynamik. Die Art und Weise der Trauerverarbeitung
dieses Verlustes können nachfolgende Schwangerschaften stark prägen und positiv wie auch negativ beeinflussen. Im Rahmen von Folgeschwangerschaften weist der Umgang mit Frauen nach dem Verlust eines Kindes drei wichtige Themen auf (Lamb
2002):
a)
Die Trauerverarbeitung während der neuen Schwangerschaft
b)
Der elterliche Umgang mit der neuen Schwangerschaft
c)
Der elterliche Bezug zum Folgekind
a)
Die Trauerverarbeitung während der neuen Schwangerschaft
In qualitativen Studien beschreiben alle Eltern eine anhaltende Trauererfahrung während der neuen Schwangerschaft, die mitunter die ersten Lebensjahre ihres gesunden Nachkommens umschließt, vor allem in Phasen, wenn ihr gesundes Kind seine ersten frühkindlichen Meilensteine der Entwicklung erreicht (Campbell-Jackson et al.
2014). Die Trauer während der neuen Schwangerschaft wird jedoch mitunter als Herausforderung beschrieben: Mütter wollen ihr noch ungeborenes Kind vor ihren eigenen Trauergefühlen schützen, während Väter im Zuge ihrer Trauerverarbeitung
das Bedürfnis empfinden, stark bleiben zu wollen, um ihren Partnerinnen während der neuen Schwangerschaft Kraft und Halt zu bieten. Durch die Verlusterfahrung und die gemeinsam empfundene Trauer erleben die meisten Eltern eine größere emotionale Nähe mit verbesserter Kommunikation und tieferem gegenseitigen Verständnis während der neuen Schwangerschaft, wenngleich auch ihr Trauerstil unterschiedlich sein und mitunter als gegenseitig herausfordernd empfunden werden kann.
Für viele Eltern wird die Trauer auch als verwirrend erlebt, da sie sich mit der Freude auf das Neugeborene vermischt. Mütter sagen aus, dass sie sich schuldig fühlen, Momente großen Glückes zu empfinden, dass sie ein neues Kind erwarten. Gleichzeitig vermischen sich Zweifel, ob sie das Totgeborene und das folgende lebendgeborene Kind gleich lieben werden können. Mütter fühlen sich zunächst unsicher, ob durch die Bindung zu ihrem neuen Kind die Bindung zu ihrem verstorbenen Kind gebrochen werden könnte, und fürchten die Erinnerung an ihr totgeborenes Kind dadurch zu verlieren (Campbell-Jackson et al.
2014).
b)
Der elterliche Umgang mit der neuen Schwangerschaft
Die Folgeschwangerschaft ist für die werdenden Eltern dadurch geprägt, dass sie permanent in subtiler Erwartung eines negativen Ereignisses leben, was ihnen ein hohes Maß an Unsicherheit, Sorge und Angst beschert (Campbell-Jackson et al.
2014). Viele empfinden dadurch einen tiefen Respekt vor der „Fragilität“ des Lebens ihres noch ungeborenen Kindes, und gleichzeitig erleben sie einen Kontrollverlust vor potenziellen neuerlichen unvorhergesehenen Schicksalsschlägen (Campbell-Jackson et al.
2014). Auch nach der Geburt ihres vitalen Kindes erleben sich die Eltern „anders“ als alle anderen Eltern. Einerseits empfinden sie eine tiefere und nicht für selbstverständlich angenommene Dankbarkeit für die Geburt ihres gesunden Kindes. Andererseits teilen sie ihre vergangene Lebenserfahrung und Verlustgeschichte nicht gern und offen mit anderen erstmaligen Eltern, um sie vor solch bislang nicht empfundenen Leid zu bewahren.
c)
Der elterliche Bezug zum Folgekind
Nach der Geburt setzen viele Eltern weiterhin unbewusst Strategien ein, um der Gefahr zu begegnen, dass ihr Kind jeden Moment erkranken oder sterben könnte. Diese Angst erschwert die physiologische Trennung vom Kind. Mitunter kann dies auch eine eigene Bindungsschwierigkeit zum Kind während der Schwangerschaft und nach der Geburt bedeuten, die aus Angst vor Verlust zum Eigenschutz aufgebaut wird (Lamb
2002). Mütter berichten danach von Schuldgefühlen, die sie besser zu verarbeiten lernen, wenn sie ihrem Kind die Liebe und gleichzeitig Selbstständigkeit geben, sich zu entwickeln ohne jegliche Erwartungen.
Ebenso schildern Mütter die Hemmung, ihr Folgekind dem verstorbenen Kind zu bevorzugen, aus der Fantasie, dass das verstorbene Kind „vom Himmel herabschauend“ eifersüchtig auf sein Geschwister werden könnte. Das gleiche wird auch umgekehrt, dass die Eltern befürchten, dass ihr gesundes Kind eifersüchtig auf das verstorbene Geschwisterkind sein könnte, wenn dieses allzu oft kommemoriert wird (Campbell-Jackson et al.
2014).
Das „Replacement-Child-Syndrom“ beschreibt einen in der Literatur widersprüchlich behandelten psychopathologischen Zustand, bei welchem das lebendgeborene Folgekind aus elterlicher unbewusster Haltung heraus den Platz und die Identifikation des verstorbenen Geschwisterkindes einnehmen soll (Robertson und Kavanaugh
1998). Dabei überlagern sich elterliche Gefühle und Erwartungen an das verstorbene Kind, das in der Fantasie der Eltern in der idealen Version seines Selbst weiterlebt, mit den Gefühlen und Erwartungen an das lebendgeborene Folgekind, welches folglich Schwierigkeiten hat, seine eigene Persönlichkeit in allen Schattierungen frei zu entfalten.
Geprägt durch die Verlusterfahrungen der Eltern, kennzeichnet das „Vulnerable-Child-Syndrome“ den Zustand, bei welchem das Kind überdurchschnittlich mehr Schutz und Pflege erfährt, um vor Gefahren bewahrt zu werden.