Grundlagen
Etwa 90 % der Proteine des Pankreassekrets sind Verdauungsenzyme. Alle proteolytischen
Enzyme werden als inaktive Vorstufen (
Zymogene) in den Azinuszellen synthetisiert. Erst im Darm erfolgt durch das in der Bürstensaummembran lokalisierte Enzym
Enteropeptidase (Enterokinase) die Spaltung von Trypsinogen zu aktivem
Trypsin und die trypsinvermittelte Aktivierung weiterer Proenzyme. Während die α-Amylase Stärke und
Glykogen spaltet, sind Lipase, Kolipase, Phospholipase A
2 und die Carboxylesterlipase (
Cholesterinesterase) essenziell für die Fettverdauung.
Die exokrine Sekretion wird nerval und hormonell reguliert und lässt sich in eine kephale, gastrale und intestinale Phase unterteilen. Die kephale Phase wird parasympathisch über den N. vagus und Acetylcholin vermittelt, das über muskarinerge Rezeptoren die Enzymsekretion fördert, ohne jedoch die Bikarbonatsekretion wesentlich zu steigern. Hauptstimulus der gastralen Phase ist die Dehnung des Magens durch Nahrung. Über einen vagovagalen Reflex kommt es zur Ausscheidung eines enzymreichen Sekrets. Während der intestinalen Phase setzt die Ansäuerung des Duodenums durch den Nahrungsbrei
Sekretin und Cholezystokinin (CCK) aus dem Dünndarm frei. Sekretin stimuliert die Bikarbonatsekretion, CCK die Enzymsekretion und die Kontraktion der Gallenblase.
Die endokrine Funktion des Pankreas wird von den hormonproduzierenden Zellen des Inselapparates (Langerhans-Inseln) vermittelt. Die Hauptfunktionen der Pankreashormone bestehen in der Speicherung der aufgenommenen Nahrung als
Glykogen und Lipide (
Insulin), in der Freisetzung dieser Energiereserven während Hungerphasen (
Glukagon) sowie in der Regulation des Blutzuckerspiegels und des Wachstums. Die Inselzellhormone wirken auch auf das exokrine Pankreas, indem sie die Sekretion von Bikarbonat und Verdauungsenzymen beeinflussen.
Pankreatitis
Im Rahmen der entzündlichen Reaktion können sich Pankreaspseudozysten ausbilden, die zu einer Kompression des Ductus choledochus, des Duodenums oder der Milzvene führen, sich infizieren oder rupturieren können. Weitere Komplikationen sind Verkalkungen und Nekrosen mit oder ohne Ausbildung eines Pankreasabszesses. Bei schweren Verläufen können systemische Komplikationen wie metabolische Azidose, Stoffwechselentgleisungen, Schock und Organversagen auftreten. In einigen Fällen finden sich extrapankreatische Komplikationen wie
Pleuraerguss,
Aszites,
portale Hypertension, Ulkus mit gastrointestinaler Blutung oder eine Gallengangobstruktion.
Manche Mutationen, insbesondere in der Carboxypeptidase A1 (
CPA1) und der Carboxylesterlipase (
CEL), führen aufgrund einer Fehlfaltung zu einem Stress im endoplasmatischen Retikulum (ER). Insbesondere sehr junge Patienten weisen
CPA1-Mutationen auf, die sich bei über 10 % der Patienten, die vor dem 10. Lebensjahr eine
chronische Pankreatitis entwickeln, finden.
Zunehmend wird auch die Bedeutung der Gangzellen bei der Krankheitsentstehung diskutiert. So disponieren heterozygote Mutationen im Zystische-Fibrose-Gen (
CFTR) wahrscheinlich über eine gestörte Bikarbonatsekretion zur
Pankreatitis. Auch Mutationen in Genen, die für die Kalziumhomöostase wichtig sind, wie
TRPV6 und
CASR, sind mit Pankreatitis assoziiert. Im Weiteren finden sich vermehrt Mutationen in der Pankreaslipase (
PNLIP) und der Elastase 3B (
CELA3B); der Pathomechanismus bei diesen beiden Genen ist aber derzeit unklar.
Bei ungefähr der Hälfte der Patienten mit hereditärer oder idiopathischer
chronischer Pankreatitis lassen sich derzeit keine Veränderungen in den oben genannten Genen nachweisen. Diese „Lücke“ wird in den nächsten Jahren sehr wahrscheinlich durch den vermehrten Einsatz des sog. next generation sequencing (NGS) geschlossen werden, welches es erlaubt, das gesamte Exom (alle kodierenden Bereiche der menschlichen Erbsubstanz) bzw. das gesamte Genom eines Menschen in relativ kurzer Zeit zu untersuchen.
Jede schwere Einschränkung der Herz-Kreislauf-Situation wie Schockzustände, die zu einer verminderten Oxygenierung oder zu einer reduzierten Blutzufuhr des Pankreas führen, kann eine
Pankreatitis provozieren.
In den letzten Dekaden wurden zunehmend Fälle von sog.
Autoimmunpankreatitis (AIP) beschrieben. Die AIP lässt sich hinsichtlich des klinischen Erscheinungsbildes und der Histologie in zwei Subtypen unterteilen. Die AIP Typ 1 weist ein erhöhtes Serum-IgG4 auf, ist histologisch durch eine lymphoplasmatische sklerosierende
Pankreatitis (LPSP) charakterisiert und manifestiert sich selten im Kindesalter. Die AIP Typ 2 geht selten mit einer IgG4-Erhöhung einher, ist histologisch durch granulozytäre epitheliale Läsionen (GEL) gekennzeichnet und häufig mit
chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED), insbesondere der
Colitis ulcerosa, vergesellschaftet. Die Pankreatitis kann der klinischen Manifestation einer CED um Jahre vorausgehen. Inwieweit der Typ 2 eine eigenständige Entität oder lediglich eine extraintestinale Manifestation einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung darstellt, bleibt zu diskutieren.
Die Mehrheit der Patienten mit einem hämolytisch-urämischen Syndrom zeigen transiente Pankreasenzymerhöhungen im Rahmen einer Begleitpankreatitis. Auch bei
Sichelzellanämie sind Pankreatitiden beschrieben, vermutlich bedingt durch
Gallensteine oder vasookklusive Krisen.
In nichtindustrialisierten Ländern gilt die Protein-Energie-Malnutrition als wichtiger Auslöser. Neuere Daten legen jedoch zumindest für die chronisch-kalzifizierende tropische
Pankreatitis eine genetische Grundlage (
SPINK1-,
CTRC- und
CPA1-Mutationen) nahe.
Trotz zahlreicher Fallberichte über medikamentös induzierte Pankreatitiden ist der kausale Zusammenhang oft nicht gesichert, da selten nach Absetzen eine Re-Exposition erfolgte. Häufig lässt sich nicht unterscheiden, ob die
Pankreatitis im Rahmen einer – medikamentös behandelten – Grunderkrankung oder durch das Medikament selbst hervorgerufen wurde. Beispielhaft seien die Steroide erwähnt, die lange Zeit als Auslöser angeschuldigt wurden. Die Latenzzeit zwischen erstmaliger Einnahme und Manifestation kann beträchtlich differieren: Während unter Azathioprin eine Pankreatitis meist schon im 1. Behandlungsmonat auftritt, sind für Valproat Latenzzeiten von über 10 Jahren beschrieben.
Anatomische Anomalien wie
Choledochuszysten, ein Pankreas anulare oder Pankreasgangduplikationen sind etablierte Risikofaktoren, während die Bedeutung eines Pankreas divisum kontrovers diskutiert wird. Eine Obstruktion des Pankreasgangs durch
Gallensteine, und seltener durch Tumore oder Parasiten, ist eine weitere Ursache. Abdominale Traumata verursachen eine selbstlimitierende
akute Pankreatitis, die in seltenen Fällen, insbesondere bei Pseudozystenbildung oder Ruptur des Pankreasgangs, rezidivieren kann.
Unter den vielen Erregern, die eine
akute Pankreatitis auslösen, sind insbesondere Enteroviren (Coxsackie-B- und
Echo-Viren),
Mumps, Yersinien und Ascaris lumbricoides hervorzuheben.
Während des akuten Schubes sollten initial täglich Lipase,
Hämatokrit,
C-reaktives Protein (CRP), Blutgase, Kalzium,
Phosphat,
Glukose,
Harnstoff,
Kreatinin und die Alaninaminotransferase (ALAT) kontrolliert werden. Bei einem CRP-Wert > 12 mg/dl (> 0,66 mmol/l) ist von einer nekrotisierenden
Pankreatitis auszugehen. Das CRP ist aber erst nach 48 h ein prognostischer Indikator. Bei nekrotisierender Pankreatitis sollten venöse
Blutkulturen angelegt werden. Erhöhte Cholestaseparameter (alkalische Phosphatase [AP] und γ-Glutamyl-Transferase [γ-GT]) finden sich bei Kompression des Ductus choledochus. Im Weiteren sollten sonografische Verlaufskontrollen bzw. bei entsprechender Klinik weitere bildgebende Verfahren erfolgen.
Zur Beurteilung der exokrinen Pankreasfunktion besitzt die humane Elastase 1 im Stuhl eine diagnostische
Sensitivität und
Spezifität von jeweils über 90 % und ist somit dem fäkalen
Chymotrypsin überlegen. Da nur das humane
Enzym erfasst wird, können Pankreasenzympräparate weitergegeben werden. Dünnflüssige Stühle bedingen falsch pathologische Ergebnisse. Alle indirekten
Testverfahren können bei nur geringer Funktionseinschränkung normale Resultate liefern. Die Fettausscheidung im Stuhl dient zum Nachweis einer Steatorrhö. Als pathologisch gilt eine Stuhlfettausscheidung von > 5 g/24 h, die allerdings erst bei starker exokriner Insuffizienz auftritt.
Die gewissenhafte Anamnese ist richtungsweisend für die zu veranlassende weiterführende Diagnostik. Insbesondere sollten eine familiäre Häufung, Medikamente, vorangegangene Bauchtraumata und Symptome anderer Grunderkrankungen wie
chronisch-entzündliche Darmerkrankungen abgefragt werden (Tab.
1 „Ursachen und prädisponierende Faktoren der Pankreatitis“). Die Triglyzerid- und Kalziumbestimmung gehört zur Basisdiagnostik. Virale, bakterielle und parasitäre Infektionen sind auszuschließen. Da auch eine
zystische Fibrose klinisch als rezidivierende
Pankreatitis imponieren kann, ohne dass das Vollbild der Erkrankung vorliegt, ist die Durchführung einer Pilocarpin-Iontophorese (Schweißtest) unerlässlich. Eine Genanalyse kann bei positiver Familienanamnese sowie bei
chronischer Pankreatitis ohne Familienanamnese nach Ausschluss anderer Ursachen veranlasst werden.
Tab. 1
Ursachen und prädisponierende Faktoren der Pankreatitis
• Hereditär/„idiopathisch“ – Kationisches Trypsinogen (PRSS1) – Serinproteaseinhibitor, Kazal-Typ 1 (SPINK1) – Chymotrypsinogen C (CTRC) – Carboxypeptidase A1 (CPA1) – Carboxylesterlipase (CEL) – Cystic fibrosis transmembrane conductance regulator (CFTR) – Pankreaslipase (PNLIP) – Elastase 3B (CELA3B) – Transient receptor potenzial vanilloid subfamily member 6 (TRPV6) – Calcium-sensing-Rezeptor (CASR) • Systemische Erkrankungen – Schock – Rheumatoide Arthritis – Panarteriitis nodosa – Morbus Behçet – Hämolytisch-urämisches Syndrom – Sichelzellanämie • Metabolisch – Hypertriglyzeridämie – Hyperkalzämie – Erkrankungen des Intermediärstoffwechsels (Organoazidopathien, Aminosäuretransporterdefekte) – Dystrophie – Niereninsuffizienz • Medikamentös/toxisch – Medikamente – Toxine (Skorpionstich) • Mechanisch/strukturell – Anatomische Anomalien – Trauma • Infektiös – Parasitär (Ascaris lumbricoides, Echinococcus granulosus, Fasciola hepatica) | |
Aufgrund fehlender therapeutischer Konsequenzen sollte die Untersuchung asymptomatischer Familienangehöriger (sog. prädiktive Testung) nur nach ausführlicher Aufklärung erfolgen. Die prädiktive Testung von Minderjährigen ist nach dem
Gendiagnostikgesetz (GenDG) strafbar.
Die
endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (
ERCP) erlaubt Aussagen über zugrunde liegende anatomische Anomalien und Veränderungen des Pankreasgangsystems sowie eine therapeutische Intervention (Stenteinlage, Steinextraktion) während der Untersuchung. Die Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie (MRCP) ist ein nichtinvasives Alternativverfahren, bei dem jedoch keine gleichzeitige Intervention möglich ist. Ist keine therapeutische Intervention geplant, sollte eine MRCP durchgeführt werden.
Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr mit Korrektur von Elektrolyt- und Säure-Basen-Entgleisungen ist essenziell. Die
Volumentherapie sollte unmittelbar begonnen und kontrolliert durchgeführt werden. Bei Erbrechen ist eine kurzzeitige Nahrungskarenz indiziert. Bei schwerem Verlauf können eine
parenterale Ernährung und intensivmedizinische Überwachung notwendig werden. Ein Nahrungsaufbau sollte bei leichter
Pankreatitis innerhalb von 48 h, bei schwerer so früh wie möglich erfolgen, da
Metaanalysen eine signifikante Reduktion von Mortalität, infizierten Nekrosen und Krankenhausverweildauer zeigten. Über den optimalen Zeitpunkt des oralen Nahrungsaufbaus existieren keine kontrollierten Studien. Eine Normalisierung der Lipase im
Serum ist jedoch nicht erforderlich. Bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme erfolgt eine Sondenernährung, wobei nasojejunale und nasogastrische Sonden gleichwertig sind.
Die Schmerzbekämpfung erfolgt in Anlehnung an das WHO-Stufenschema bei geringen Beschwerden mit
Paracetamol oder
Metamizol und bei starken Schmerzen mit
Opiaten. Procainhydrochlorid und Pankreasenzyme haben keinen Effekt und sind obsolet. Bei Patienten mit nekrotisierender
Pankreatitis kann eine prophylaktische Antibiotikagabe über 2–4 Wochen erwogen werden. Die neue DGVS-Leitlinie spricht sich allerdings dagegen aus, da sich in
Metaanalysen kein signifikanter Vorteil fand.
Die Therapie der
Pankreatitis ist primär konservativ. Bei Pankreaspseudozysten, die mit Schmerzen oder Komplikationen verbunden sind, ist eine endoskopische, transgastrale oder transduodenale Drainage anzustreben. Bei asymptomatischen
Pseudozysten ist ein abwartendes Verhalten indiziert, da sich die Mehrzahl spontan zurückbildet. Bei infizierten Pankreasnekrosen ist die Drainage das primäre Verfahren, da es am wenigsten invasiv ist. Bei Therapieversagen erfolgt eine endoskopische Nekrosektomie. Bei Gangstenosen können eine Dilatation und eine Stenteinlage durchgeführt werden. Bei
chronischer Pankreatitis sind die Pankreatikojejunostomie oder anderer chirurgische Verfahren weitere Therapieoptionen. Bei schwerer
chronischer Pankreatitis mit therapierefraktären Schmerzen wurde in den letzten Jahren eine totale Pankreatektomie mit Inselzell-Autotransplantation propagiert. Die Erfahrungen bei pädiatrischen Patienten sind allerdings sehr begrenzt. Für das Kindesalter existieren keine kontrollierten prospektiven Studien über die Langzeiterfolge endoskopischer oder chirurgischer Interventionen.
Eine Therapie zur Rezidivprophylaxe existiert nicht. Die Behandlung mit Antioxidanzien (z. B.
Selen) ist in ihrer Wirksamkeit nicht belegt.
Bei exokriner Pankreasinsuffizienz sind Pankreasenzympräparate indiziert. Es gibt keine spezifische Pankreasdiät. Eine Fettrestriktion sollte nicht erfolgen. Ein Mangel an fettlöslichen
Vitaminen ist selten und muss dann ausgeglichen werden. Bei der Behandlung einer endokrinen Pankreasinsuffizienz gelten die gleichen Therapierichtlinien wie zur Behandlung eines Insulinmangeldiabetes. Orale Antidiabetika sind meistens nicht effektiv. Der pankreoprive
Diabetes ist – bedingt durch die mangelhafte Glukagonsekretion – durch seine hohe Insulinempfindlichkeit mit starker Hypoglykämieneigung gekennzeichnet.