Typ-1-Diabetes
Der autoimmunologisch bedingte
Diabetes Typ 1 beruht auf der komplexen Interaktion von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren. Das Erkrankungsrisiko für Geschwister und Eltern eines Patienten mit Diabetes Typ 1 ist erhöht und beträgt im Durchschnitt 5 %. Leiden beide Eltern an einem insulinabhängigen Diabetes, so steigt das Risiko ihrer Kinder auf ca. 20 %. Bei monozygoten Zwillingen wird die Konkordanz für den Diabetes Typ 1 mit 25–70 % angegeben. Die hereditäre Prädisposition für den Diabetes Typ 1 ist polygenetisch, wobei den Genen der HLA-Klasse II im Bereich der DR- und DQ-Region auf dem
Chromosom 6p21, die antigenpräsentierende Proteine kodieren, die größte Bedeutung zukommt.
Neben dem vergleichsweise gut charakterisierten genetischen Hintergrund sind die, den
Diabetes Typ 1 auslösenden Umweltfaktoren weitgehend unbekannt. Seit vielen Jahren wird eine Virusgenese des Diabetes Typ 1 diskutiert, wobei besonders die pankreotropen Viren, wie
Mumps,
Röteln, CMV sowie Coxsackie B2, B3 und B4, untersucht wurden. Coxsackie B4 gilt als möglicher Trigger, der die Zerstörung der β-Zellen initiieren könnte, da zwischen den Proteinen von Coxsackie B4 und dem Autoantigen GAD (Glutamatdecarboxylase) eine auffallende Homologie in der Aminosäuresequenz besteht, die ein molekulares Mimikry möglich erscheinen lassen. Impfungen gegen Mumps und Röteln erhöhen die Inzidenz des Diabetes nicht.
Der Nachweis von
Autoantikörpern gegen Insulin bei Diagnose oder bei Verwandten 1. Grades, die nie
Insulin injiziert bekamen, lässt vermuten, dass Insulin selbst den Immunprozess auslösen könnte.
Bei asiatischen und afrikanischen Patienten gibt es eine Form des
Diabetes Typ 1 ohne immunologischen oder andere fassbare Auslöser. Dieser idiopathische Typ-1-Diabetes ist durch einen Insulinmangel und einen wechselnden klinischen Verlauf mit Neigung zu
Ketoazidosen gekennzeichnet. Phasen, in denen die Patienten mit
Insulin behandelt werden müssen, wechseln mit Phasen ab, in denen keine Insulintherapie nötig ist. Die Krankheit ist erblich, Beziehungen zum HLA-System bestehen nicht. Differenzialdiagnostisch müssen auch andere Diabetesformen, wie Typ-2-Diabetes und monogenetische Ursachen in Betracht gezogen werden.
Insulin
Häufig sinkt der Insulinbedarf etwa 1–3 Wochen nach Therapiebeginn. Es tritt eine Remission ein mit einem täglichen Insulinbedarf <0,5 E/kg KG. Je intensiver die Anfangsbehandlung ist, d. h. je eher und nachhaltiger normale Blutzuckerwerte erreicht und in den Folgemonaten beibehalten werden können, desto länger dauert die Remission an. Sie beruht auf einer stimulierbaren Restsekretion des
Insulins (
C-Peptid). Entsprechend schwankt der anfängliche Insulinbedarf von Patient zu Patient.
Zur Behandlung stehen die konventionelle und die intensivierte konventionelle Therapie zur Verfügung.
Bei der
konventionellen Therapie werden
Insulin und Diät zu festen Zeiten verabreicht und unter Berücksichtigung der Blutzuckerwerte des vorangehenden Tages modifiziert. Dieses Vorgehen ist in der Remissionsphase gelegentlich möglich, wird jedoch nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt.
Die
intensivierte Insulintherapie ist inzwischen die Standardtherapie des Typ-1-Diabetes im Kindes- und Jugendalter. Sie wird entweder mit mehrfach täglichen Insulininjektionen oder als
Insulinpumpentherapie mit kontinuierlicher subkutaner Insulininfusion durchgeführt.
Bei der intensivierten Insulintherapie können die Mahlzeiten flexibel eingenommen werden. Vor der Mahlzeit ist der Blutzucker zu bestimmen. Kinder erhalten rasch wirkendes Normalinsulin oder kurzwirksame Insulinanaloga zur Verwertung der mit den Mahlzeiten verabreichten Kohlenhydrate sowie zur Korrektur erhöhter Blutzuckerwerte. Zusätzlich benötigen sie darüber hinaus verzögert wirkendes Basalinsulin zur Abdeckung des Grundbedarfs. Mit der intensivierten Therapie ist in der Regel eine bessere Stoffwechselkontrolle erreichbar als mit der konventionellen Therapie.
Eine Übersicht über
Insuline mit rasch und verzögert eintretender Wirkung gibt Tab.
2. In den letzten 20 Jahren wurden Insulinanaloga durch Modifikationen der Aminosäuresequenz des Insulins entwickelt, die durch eine beschleunigte oder verlangsamte Absorption charakterisiert sind (Tab.
2). Es gibt keine wissenschaftlich begründbaren Zweifel an der Sicherheit der Insulinanaloga für ihre Anwendung in der Pädiatrie.
Tab. 2
Wirkspektren handelsüblicher Insuline. (Die Tabelle ist erstellt nach der Insulintabelle der International Society for Pediatric and Adolescent
Diabetes [ISPAD], Clinical Practice Consensus Guidelines 2018)
Ultra-schnell wirkendes Insulinanalog | 6–12 | 1–3 | 3–5 | Faster aspart (Fiasp) | Novo Nordisk |
Sehr kurz wirkendes Insulinanalog | 10–20 | 1–3 | 3–5 | Insulinglulisin (Apidra) | Sanofi-Aventis |
Insulin lispro (Humalog) | Lilly |
Insulin lispro (Liprolog) | Berlin-Chemie |
Insulin aspart (NovoRapid) | Novo-Nordisk |
Kurz wirkendes Normalinsulin | 30–60 | 2–4 | 5–8 | Insulin (Berlinsulin H) | Berlin-Chemie |
Insulin (Insuman Rapid) | Sanofi-Aventis |
Insulin (Huminsulin Normal) | Lilly |
Insulin (Actrapid HM) | Novo-Nordisk |
Insulin (Insulin B. Braun) | B/BRAUN |
Mittellang wirkendes Basalinsulin (NPH) | 120–240 | 4–12 | 12–24 | Isophan-Insulin (Berlinsulin H Basal) | Berlin-Chemie |
Isophan-Insulin (Insuman Basal) | Aventis |
Isophan-Insulin (Huminsulin Basal) | Lilly |
Isophan-Insulin (Protaphan HM) | Novo-Nordisk |
Isophan-Insulin (Insulin B. Braun Basal) | B/BRAUN |
Basal Analog | 60–120 | 4–7 | 20–24 | Insulindetemir (Levemir) | Novo Nordisk |
Basal-Analog lang wirkend Glargin | 120–240 | 8–12 | 22–24 | Insulinglargin (Lantus) | Sanofi-Aventis |
Basal-Analog lang-wirkend Glargin U300∗ | 120–540 | Nahezu ohne Maximum | 30–36 | Insulinglargin (Toujeo) | Sanofi-Aventis |
Basal-Analog lang-wirkend Degludec | 30–90 | Nahezu ohne Maximum | >42 | Insulindegludec (Tresiba) | Novo Nordisk |
Die Dosis des rasch wirkenden
Insulins errechnet sich aus dem Mahlzeitenanteil (Grundbedarf) und einem Korrekturanteil. Der Mahlzeitenanteil soll den Blutzucker binnen 2 Stunden zum Ausgangswert zurückführen. Als Richtzahl können pro Kohlenhydrateinheit (KE, entspricht 10 g Kohlenhydrat) morgens etwa 2 E, mittags 1 E und abends 1,5 E Insulin eingesetzt werden. Der Korrekturanteil soll einen erhöhten Ausgangswert vor der Mahlzeit korrigieren. Hierbei kann von folgenden empirisch ermittelten Zahlen ausgegangen werden:
-
Körpergewicht 20–30 kg → 1 E/100 mg/dl
-
Körpergewicht 40–50 kg → 1 E/50 mg/dl
-
Körpergewicht 70 kg → 1 E/30 mg/dl
Bewährt hat sich aus der amerikanischen Pumpentherapie die Berechnung des Korrekturanteils nach der Formel:
$$ 1500\div \mathrm{Tagesdosis}\ \mathrm{des}\ \mathrm{Insulins}\ \left(\mathrm{E}\right)=1\ \mathrm{E}/\mathrm{mg}/\mathrm{dl} $$
Beispiel: \( 1500\div 50\ \mathrm{E}=1\ \mathrm{E}/30\ \mathrm{mg}/\mathrm{dl} \)
Abhängig von der körperlichen Aktivität kann der Korrekturwert bei ein und demselben Patienten beträchtlich schwanken.
In der partiellen Remissionsphase benötigen Kinder und Jugendliche erheblich weniger
Insulin, sodass zu Beginn mit der Hälfte der obigen Insulindosis begonnen werden sollte. Für jedes Kind muss die individuellen Mengen des Grund- und Korrekturbedarfs ermittelt werden. Zielgröße ist ein Blutzucker von ca. 100–120 mg/dl 2 Stunden nach Injektion.
Die Dosis des Basalinsulins wird anhand der Blutzuckerwerte des vorangegangenen Tages, die in Abhängigkeit von maximaler Wirkung und Wirkungsdauer des Präparats gemessen wurden, oder unter Fastenbedingungen (nicht länger als 12 Stunden) ermittelt. Die Anzahl der täglichen Insulindosen steigt mit der Dauer des
Diabetes und dem Alter an, wobei vor dem 10. Lebensjahr gewöhnlich 2–3 und mit Beginn der
Pubertät 3–5 Injektionen benötigt werden.
Therapiekomplikationen
Auch die beste Stoffwechselführung kann die feine Abstimmung der Insulinausschüttung eines stoffwechselgesunden Menschen nicht erreichen, daher sind
Hypoglykämien und Hyperglykämien im Verlauf der Betreuung unvermeidbar.
Hypoglykämie
Grundsätzlich liegt eine
Hypoglykämie vor, wenn durch einen erniedrigten Blutzuckerwert biologische Mechanismen beeinträchtigt werden. Eine Hypoglykämie kann symptomatisch oder latent ablaufen. Blutzuckerwerte <70 mg/dl (Level 1) erfordern Gegenmaßnahmen (z. B. Kohlenhydratzufuhr), um ein weiteres Absinken der
Glukose zu verhindern. Blutzuckerwerte <54 mg/dl (Level 2) stellen eine klinisch bedeutsame Unterzuckerung dar, die dokumentiert werden soll (im Diabetes-Tagebuch, ist in der Diabetessprechstunde zu erheben). Eine schwere Hypoglykämie (Level 3) ist jedes Ereignis, dass mit einer eingeschränkten Bewusstseinslage einhergeht und Fremdhilfe zur Überwindung erfordert, dabei ist das hypoglykämische
Koma mit Bewusstlosigkeit oder Krampfanfall eine Sonderform der schweren Hypoglykämie. Der Glukoseschwellenwert für eine kognitive Beeinträchtigung liegt in der Regel zwischen 45 und 65 mg/dl im
Vollblut (Plasmaglukose 55–70 mg/dl). Jede schwere Hypoglykämie und das hypoglykämische Koma sollen während der Diabetesbehandlung erkannt und dokumentiert werden.
Die Symptome einer
Hypoglykämie entstehen insgesamt aus der Stimulation des autonomen Nervensystems durch
Katecholamine und zerebral durch Glukopenie. Kinder können nicht zwischen einer autonomen und glukopenischen Reaktion unterscheiden. Die häufigsten Symptome, die bei Kindern und Jugendlichen auf eine Hypoglykämie hinweisen, treten im Bereich des Verhaltens auf. Die wichtigsten klinischen Zeichen sind Wortfindungsstörungen, Konzentrationsschwäche, Streitlust, Aggressivität,
Verwirrtheit,
Kopfschmerzen. Die motorische Koordination ist beeinträchtigt – beim Sport unterlaufen den Kindern ungewohnte Fehler. Bei längerer Diabetesdauer (nach 1–5 Jahren) kann der Anstieg des
Glukagons und der Katecholamine nach Hypoglykämie vermindert sein und die autonomen Symptome können ausbleiben. Die Patienten sind dann durch unbemerkte Hypoglykämien gefährdet, da auch die neuroglukopenische Reaktion bei Patienten mit häufigen Hypoglykämien fehlen kann. Dies wird damit erklärt, dass Hirnzellen nach Hypoglykämien die Glukoseaufnahme auch bei niedrigem Blutzucker aufrechterhalten, während beim Stoffwechselgesunden mit Absinken des Blutzuckers die Aufnahme vermindert wird. Dementsprechend fehlen beim Patienten mit Typ-1-Diabetes die neuroglukopenischen Warnsymptome. Der Blutzucker sinkt weiter ab und unterschreitet die zur neuronalen Funktion kritische Grenze. Dies äußert sich im hypoglykämischen
Koma und durch Krämpfe. Das Wiederholungsrisiko steigt mit wiederholten Hypoglykämien. Um die zerebral bedingte Wahrnehmung des Patienten mit
Diabetes zu verbessern, muss über Monate versucht werden, den Blutzucker nicht in den hypoglykämischen Bereich absinken zu lassen. Die untere Zielgröße des Blutzuckers sollte 80 mg/dl nicht unterschreiten.
Leichtere
Hypoglykämien werden mit 10–20 g Traubenzucker und nachfolgender Gabe von 1–2 BE Brot oder Keksen, schwere Hypoglykämien durch eine i.m.- oder s.c.-Injektion von
Glukagon (<10 Jahre 0,5 mg; >10 Jahre 1 mg) oder durch eine intravenöse Bolusinjektion von 20 %
Glukose (0,2 g/kg KG) behandelt.
Bei Kindern und Jugendlichen mit
Diabetes tritt etwa die Hälfte der Unterzuckerungen nachts zwischen 24:00 und 3:00 Uhr auf, wobei häufig am Nachmittag oder Abend des Vortags intensiv Sport betrieben wurde. Die Verminderung der abendlichen Basalinsulindosis und eine eiweiß- und fettreiche Abendmahlzeit sind Möglichkeiten zu ihrer Prävention.
Bei häufigen und unerklärlichen
Hypoglykämien in der
Pubertät ist an die Möglichkeit einer von den Jugendlichen durch
Insulin selbst induzierten Hypoglycaemia factitia zu denken. Auf das Zusammentreffen eines Diabetes-Typ-1 mit psychischen Erkrankungen (u. a.
Essstörungen, Depression) und einer immunologisch bedingten
Nebennierenrindeninsuffizienz sei hingewiesen (Tab.
3).
Tab. 3
Häufigkeit von immunologischen Krankheiten bei
Diabetes Typ 1 (%)
| 5 | Gliadin, t-Transglutaminase, Endomysium |
Hashimoto-Thyreoiditis | 4–25 | TAK, TPO |
| 2–4 | IFA, PCA |
| 0,4–0,6 | ACA |
Dawn-, Dusk-Phänomen und Gegenregulation (Somogyi-Effekt)
Ein hoher Nüchternblutzucker kann auf dem häufigen
Dawn-Phänomen oder dem seltenen Somogyi-Effekt beruhen. Das Dawn-Phänomen ist das Produkt eines relativen Insulinmangels in den Morgenstunden einer durch die nächtliche Wachstumshormonsekretion bedingten Insulinresistenz sowie einer erst Stunden nach der Mahlzeit aktiven Glukoneogenese aus Fett und Eiweiß. Die Therapie des Dawn-Phänomens besteht zunächst in einer Reduktion des Fett- und Eiweißgehalts der Abendmahlzeit. Ist der Effekt unbefriedigend, wird spät (ca. 23:00 Uhr) ein Verzögerungsinsulin oder um ca. 20:00 Uhr ein Langzeit-Insulin gegeben. Bei Adoleszenten kann mithilfe der Insulinpumpe das Dawn-Phänomen besser beherrscht werden.
Der gegenregulatorische Anstieg des Blutzuckers durch Ausschüttung von
Katecholaminen,
Kortisol und
Glukagon in den Morgenstunden nach nächtlichen
Hypoglykämien, der Somogyi-Effekt, ist selten. Die Therapie besteht in der Reduktion des Abend- bzw. Spätinsulins.
Hohe Blutzuckerwerte in den späten Abendstunden bei Kindern im Vorschulalter sind auf das Dusk-Phänomen zurückzuführen. Die Ursachen für das Dusk-Phänomen entsprechen denen für das
Dawn-Phänomen. Im Unterschied zum Blutzuckeranstieg in den Morgenstunden ist das nachmittägliche Dusk-Phänomen nicht so stark ausgeprägt. Der höhere Insulinbedarf zwischen 21:00 Uhr und Mitternacht kann bei Kleinkindern am besten durch eine höhere Basalrate mit der Insulinpumpe während dieser Zeit ausgeglichen werden.
Lipome und Lipoatrophien
An den Injektionsstellen von
Insulin können Veränderungen des subkutanen Fettgewebes auftreten. Dies wird insbesondere dann beobachtet, wenn oft derselbe Injektionsort gewählt und die Injektionsstellen nicht regelmäßig gewechselt werden. Häufig entstehen sichtbare Lipohypertrophien (Lipome) oder Verhärtungen, seltener Lipoatrophien mit tiefen Mulden. Die veränderten Hautareale müssen längere Zeit gemieden werden und auf andere Injektionsareale ausgewichen werden. Durch einen konsequenten Wechsel der Injektionsstellen (Rotation) können diese Hautveränderungen vermieden werden.
Spätkomplikationen
Auch wenn mikro- und makrovaskuläre Komplikationen im Kindes- und Jugendalter nicht eine so große Rolle wie in späteren Lebensabschnitten spielen, beginnt ihre Verhütung mit der Erstbehandlung.
Neuropathie
Die
diabetische Neuropathie entsteht abhängig von der Dauer des
Diabetes und der Qualität der metabolischen Kontrolle. Sie haben im Kindesalter noch keine Bedeutung. In Ausnahmefällen lassen sich bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes Zeichen der autonomen kardialen Neuropathie wie erhöhte Ruheherzfrequenz oder eine Verminderung der RR-Variabilität nachweisen. Bei langfristig schlechter Stoffwechsellage sollte eine Screeninguntersuchung entsprechend den AWMF-Leitlinien durchgeführt werden.
Nephropathie
Frühsymptom einer beginnenden
diabetischen Nephropathie ist die Mikroalbuminurie. Eine persistierende Mikroalbuminurie wird definiert als eine Albuminausscheidungsrate von >20 μg/min im Nachturin in mindestens 2 von 3 hintereinander folgenden Nachturinproben oder von >30 mg/24 Stunden im 24-h-Sammelurin. Alternativ gelten bei der quantitativen Bestimmung der Albuminausscheidung eine Konzentration >20 mg/l (bei Kindern bezogen auf 1,73 m
2 KOF) oder eine Albumin-Kreatinin-Ratio von >20 mg/g bei männlichen Patienten und >30 mg/g bei weiblichen Patienten als Grenzwerte.
Zur Diagnose einer beginnenden
diabetischen Nephropathie mit Mikroalbuminurie wird der Nachweis von mindestens 2 erhöhten Albuminausscheidungen im Abstand von 2–4 Wochen gefordert. Körperliche Aktivität, das Vorliegen einer orthostatischen Proteinurie, Harnwegsinfekte, ein dekompensierter
Diabetes, Operationen wie auch akute banale Infektionen können die Albuminausscheidung erhöhen. Die Untersuchung der Albuminausscheidung sollte vom 5. Jahr nach Diabetesbeginn, spätestens jedoch bei Kindern und Jugendlichen ab dem 11. Lebensjahr erfolgen, da die
Pubertät neben dem
Rauchen ein zusätzliches Risiko für die Nierenfunktion des Patienten mit Diabetes darstellt. Ein normaler Blutdruck schließt eine beginnende
Nephropathie nicht aus. Die Therapie der Mikroalbuminurie besteht in der Optimierung der metabolischen Kontrolle, einem höchstens dem Alter entsprechenden Eiweißkonsum und gegebenenfalls einer Therapie mit
ACE-Hemmern.
Erhöhter Blutdruck
Ein erhöhter Blutdruck ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Mikro- und Makroangiopathie des Patienten mit
Diabetes. Regelmäßige Kontrollen sind notwendig. Von Beginn der
Pubertät an werden jährliche Bestimmungen des 24-h-Blutdrucks unter ambulanten Bedingungen empfohlen.
Retinopathie
Erste Zeichen einer beginnenden Retinopathie mit Blutungen und Mikroaneurysmen, können bereits 5 Jahre nach Manifestation des
Diabetes auftreten. Sie können fortschreiten oder sich zurückbilden. Die
Pubertät ist ein unabhängiger zusätzlicher Risikofaktor.
Neben der Qualität der metabolischen Kontrolle beeinflussen die Dauer des
Diabetes, die Höhe des Blutdrucks, eine Hyperlipidämie sowie
Rauchen das Auftreten und den Verlauf der Retinopathie. Es wird empfohlen, den Augenhintergrund bei Diagnose, präpubertär 5 Jahre nach Manifestation und mit Beginn der
Pubertät jährlich zu kontrollieren.
Eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit
Eine eingeschränkte Beweglichkeit vorzugsweise der kleinen Gelenke kann bei schlecht eingestellten Patienten nach etwa 5-jähriger Diabetesdauer auftreten. Sie beruht wahrscheinlich auf der Ablagerung von
Proteoglykanen in der Haut und führt fast nie zu einer relevanten Behinderung. Die Diagnose beruht auf dem Tastbefund einer verdickten Haut und dem Zeichen der sog. betenden Hände: zwischen den gefalteten Fingern bleibt eine Lücke. Es bestehen Assoziationen zur Mikroangiopathie.
Insulinödeme
Insulinödeme treten als Komplikation der Behandlung mit
Insulin bei Mädchen häufiger als bei Jungen auf, oftmals kurzfristig unter einer forcierten Insulinbehandlung mit rascher Normalisierung des Blutzuckers. Sie haben eine gute Prognose. Die Diagnose der Insulinödeme kann nach Ausschluss von kardialen, renalen und hepatischen Ursachen gestellt werden Die
Ödeme sind transitorisch und bedürfen keiner besonderen Therapie. Ihnen liegt wahrscheinlich eine Störung der Natriumhomöostase zugrunde.
Immunologische Begleiterkrankungen
Beim Typ-1-Diabetes treten nicht selten weitere Autoimmunerkrankungen auf. Sie sind in aller Regel zunächst klinisch nicht manifest und in dieser Phase nur durch den Nachweis spezifischer
Antikörper erkennbar (Tab.
3).
Durch den
Diabetes selbst nicht erklärliche Symptome, z. B. Wachstumsstörung (bei
Zöliakie,
Hypothyreose),
Hypoglykämien (durch
Morbus Addison) usw., müssen an eine immunologische Begleiterkrankung denken lassen. Ihre Diagnose ist durch entsprechende Untersuchungen zu sichern. Die Krankheiten sind wie üblich zu behandeln. Auch asymptomatische Patienten mit bioptisch gesicherter Zöliakie sollen mit einer glutenfreien Ernährung behandelt werden. Zu regelmäßigen Antikörperuntersuchungen wird im Abstand von 1–2 Jahren geraten.
Mitochondriale Erkrankungen und Diabetes
Es ist bekannt, dass die Mitochondrienfunktion eine wesentliche Bedeutung bei der Regulation der Glukosehomöostase hat. Sowohl die Insulinsekretionsleistung der β-Zelle als auch die Regulation der Insulinsensitivität in der Peripherie (vor allem Muskulatur) ist abhängig von einer ausreichenden ATP-Synthese und damit einer ausreichenden Energiebereitstellung durch Mitochondrien. Einerseits ist bekannt, dass die Mitochondrienfunktion für die Pathogenese des bei Erwachsenen häufig vorkommenden Typ-2-Diabetes eine große Bedeutung hat. Andererseits können seltene, primäre Störungen des mitochondrialen Stoffwechsels einen
Diabetes mellitus im Kindesalter erzeugen. Zahlreiche klinische Syndrome, die auf eine Störung der Mitochondrienfunktion zurückzuführen sind, sind mit einem Diabetes assoziiert. Viele dieser Syndrome haben zusätzlich neurodegenerative Eigenschaften. Die Koinzidenz von Neurodegenerationen und Diabetes mellitus ist wenig überraschend, wenn man die vergleichsweise geringe Regenerationskapazität von Neuronen und auch von β-Zellen in Betracht zieht und es einen sicheren Zusammenhang mit einer gestörten Energiebereitstellung intrazellulär und der Aktivierung von ATP gibt.
Es wird heute davon ausgegangen, dass viele der diabetischen neurodegenerativen Erkrankungen auf der Basis einer veränderten oxidativen Phosphorylierung (OXPHOS) und des mitochondrialen Stoffwechsels entstehen. Zu diesen Erkrankungen gehören u. a. Alström-Syndrom,
myotone Dystrophie Typ 1, Werner-Syndrom, Wolfram-Syndrom (DIDMOAD) u. a.
Diabetes mellitus bei anderen Krankheiten
Der
Diabetes mellitus bei
zystischer Fibrose ist durch eine eingeschränkte Insulinsekretion gekennzeichnet. Im Rahmen von Infektionen ist die Insulinsensitivität ebenfalls vermindert. Die Störung der Blutzuckerregulation beginnt mit postprandial erhöhten Blutzuckerwerten. Da die Manifestation eines Diabetes mellitus bei Patienten mit zystischer
Fibrose klinisch schwer zu erkennen ist, soll bei den Patienten ab dem 10. Lebensjahr jährlich ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden. Ein normaler Befund im oralen Glukosetoleranztest schließt eine abnormale postprandiale Hyperglykämie nicht immer aus, insbesondere wenn mehr als 75 g Kohlenhydrate in einer Mahlzeit verzehrt werden. Eine frühzeitige medikamentöse Therapie (orale Antidiabetika oder
Insulin) einer diabetischen Stoffwechsellage bei Patienten mit zystischer Fibrose wird empfohlen, da dadurch die Lungenfunktion und der Ernährungsstatus bedeutsam verbessert werden können.
Es ist zu beachten, dass die Glukoseregulation durch verschiedene Medikamente (
Diuretika,
Antihypertensiva, Psychotherapeutika, Hormone und hormonell wirksame Substanzen, Chemotherapeutika und
Immunsuppressiva sowie andere Pharmaka) über eine Veränderung der Insulinwirkung oder/und der Insulinsekretion beeinflusst werden kann.
Zudem sollte beachtet werden, dass es im Kindes- und Jugendalter vor allem bei jungen Kindern im Rahmen von Infekten, chirurgischen Eingriffen oder in anderen körperlichen Stresssituationen zu einer passageren Hyperglykämie und Glukosurie kommen kann. Es ist anzunehmen, dass das Risiko bei solchen Patienten, im weiteren Leben einen
Diabetes mellitus zu entwickeln, höher ist als in der Normalbevölkerung. Die Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests im Abstand zu dem zugrunde liegenden Ereignis ist sinnvoll.