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Pädiatrie
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Publiziert am: 17.07.2020

Anämien bei Kindern und Jugendlichen

Verfasst von: Joachim Kunz und Andreas Kulozik
Die normale Hämglobinkonzentration (Hb) zeigt im Verlauf der Entwicklung erhebliche Unterschiede, sodass die Anämie in verschiedenen Altersklassen durch variable untere Hb definiert ist. Pathogenetisch kann einer Anämie eine Bildungsstörung, eine verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten bzw. eine ineffektive Erythropoese mit Untergang der erythropoetischen Vorläuferzellen bereits im Knochenmark oder ein Blutverlust zugrunde liegen. Differenzialdiagnostisch ist nach sorgfältiger Erhebung der Anamnese und des körperlichen Untersuchungsbefundes die Einteilung nach der Größe der Erythrozyten und nach Retikulozytenzahl hilfreich. Die Sicherung der Diagnose kann bei der Vielzahl erworbener und hereditärer, oft seltener Erkrankungen eine Herausforderung darstellen, ist bei der Mehrzahl der Patienten bei Einsatz des im Kapitel beschriebenen Algorithmus jedoch recht einfach. Die Therapie hängt von der korrekten Diagnose ab und zeigt ein weites Spektrum vom aufmerksamen Zuwarten, über die Ernährungsumstellung und Supplementation von Eisen oder Vitaminen, die Erythrozytentransfusion bis zur allogenen Stammzelltransplantation.

Anamnese und klinische Symptome bei Anämien

Die Anämie ist definiert als Hämoglobinkonzentration unterhalb der Altersnorm, die im Verlauf der Entwicklung erhebliche Unterschiede aufweist (Kap. „Erythrozyten: physiologische Besonderheiten im Kindesalter“). Die Anamnese beim Kind mit Anämie zielt zuerst darauf, den Schweregrad und die Geschwindigkeit des Einsetzens der Symptome zu erkennen. Hierzu zählen Blässe, Lethargie, Trinkfaulheit, Spielunlust und Belastungsdyspnoe. Bei chronischen, gut kompensierten Anämien sind diese Zeichen in der Regel wesentlich weniger ausgeprägt als bei akuten Anämien.
Die weitere Anamnese dient der Bewertung von Differenzialdiagnosen. Symptome oder Blutbildauffälligkeiten bei einem Elternteil oder in der weiteren Familie lassen eine erbliche Anämie vermuten. Die Herkunft aus Endemiegebieten kann auf eine Hämoglobinopathie oder einen Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel hinweisen. Bei hämolytischen Anämien werden Ikterus und Dunkelfärbung des Urins, oft in Episoden, berichtet. Ein prolongierter Neugeborenenikterus kann Anzeichen einer hereditären hämolytischen Anämie sein. Zeichen eines relevanten Blutverlusts, wie Teerstuhl, Nasenbluten und bei jugendlichen Mädchen die Dauer und Ausprägung der Monatsblutung müssen ebenso erfragt werden wie die Ernährungsgewohnheiten bezüglich Eisen- und Vitaminaufnahme. Zu Begleiterkrankungen, die eine Anämie verursachen oder verstärken können, zählen neben akuten und chronischen Entzündungen vor allem die Zöliakie, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und die chronische Niereninsuffizienz.
Auch die körperliche Untersuchung dient zunächst dazu, die klinische Bedeutsamkeit einer Anämie zu objektivieren. Alarmsignale sind Zeichen der kardialen Dekompensation wie Tachykardie und Somnolenz. Oftmals wird als offensichtliches Symptom einer Anämie die Blässe von Haut und Schleimhäuten wahrgenommen. An den Konjunktiven, wo Blutgefäße unmittelbar eingesehen werden können, kann der Grad der Blässe am besten beschrieben werden. Allerdings gilt es zu beachten, dass die Blässe weder sensitiv noch spezifisch eine Anämie anzeigt.
Der körperlichen Untersuchung zugängliche Zeichen einer Hämolyse sind Ikterus und Splenomegalie. Hautveränderungen wie Xerodermie, Mundwinkelrhagaden oder Löffelnägel können auf einen schweren Eisenmangel hindeuten. Zeichen einer nicht nur auf die Erythropoese beschränkten Störung der Blutbildung sind Petechien und andere Blutungszeichen sowie die mit einer Leukopenie assoziierten Symptome wie Fieber oder Stomatitis. Fehlbildungen des Skeletts können auf angeborene Syndrome mit Knochenmarkinsuffizienz, wie Fanconi-Anämie, Dyskeratosis congenita oder Diamond-Blackfan-Anämie hinweisen (Tab. 1 und 2).
Tab. 1
Körperliche Symptome bei Anämien
Organ
Symptom
Mögliche Bedeutung
Haut, Haare, Nägel
Blässe
Unspezifisches Anämiezeichen
Ikterus
Hämolyse, Hepatitis
Blutungszeichen, Petechien, Hämatome
Thrombozytopenie bei Knochenmarkversagen, Leukämie, Autoimmunzytopenien, Mikroangiopathie
Haarausfall, Löffelnägel
Eisenmangel
Nageldystrophie
Dyskeratosis congenita
Schleimhäute
Mundwinkelrhagaden
Eisenmangel
Glossitis
Eisenmangel, Vitamin-B12-Mangel
Leukoplakie
Dyskeratosis congenita
Skelett
Prominente Jochbögen und Maxilla
β-Thalassämie, schwere hämolytische Anämien
Schildbrust
Diamond-Blackfan-Anämie
Thenarhypoplasie
Fanconi-Anämie
Abdomen
Splenomegalie
Hämolyse, Infektion, Leukämie, Lymphome
Hepatomegalie
Hepatitis, Leukämie
Tab. 2
Angeborenes Knochenmarkversagen: Ausgewählte Syndrome
Syndrom
Genetische Veränderung
Begleitsymptome
Fanconi-Anämie
Fanconi-Anämie-Komplex (DNA-Reparatur): mehrere Komplementationsgruppen;
autosomal-rezessiv vererbt
Café-au-lait-Flecken, Fehlbildungen der oberen Extremitäten (Radiushypoplasie, Daumenfehlbildung), Endokrinopathien (Kleinwuchs, Hypothyreose), Urogenitalfehlbildungen
Dyskeratosis congenita
Telomerasekomplex: mehrere Komplementationsgruppen;
Vererbungsmodus autosomal-dominant, autosomal-rezessiv oder X-chromosomal
Klassische Triade: retikuläre Hyperpigmentierung, Nageldystrophie, orale Leukoplakie; zusätzlich Konjunktivitis, Blepharitis, Katarakt, spärlicher Haarwuchs, Karies, Lungenfibrose u. a.
Shwachman-Diamond-Syndrom
SBDS-Gen (Destabilisierung der mitotischen Spindel);
autosomal-rezessiv vererbt
Exokrine Pankreasinsuffizienz; keine Neigung zu soliden Tumoren
Amegakaryozytäre Thrombozytopenie
TPO-Rezeptor: fehlende Wirksamkeit von Thrombopoetin;
autosomal-rezessiv vererbt
Keine; Progression zur aplastischen Anämie mit Prädisposition für Leukämien, aber keine Neigung zu soliden Tumoren

Klassifikation der Anämien anhand der hämatologischen Basisuntersuchung

Erster Schritt und unabdingbar notwendig für die Anämiediagnostik ist das Blutbild. Die automatisierte Messung des Blutbildes liefert neben den Angaben zur Erythrozytenzahl, der Thrombozytenzahl und der Leukozytenzahl auch die Erythrozytenindices MCV, MCH und MCHC. Außerdem wird mit der RDW („red cell distribution width“) ein quantifizierbares Maß für die Anisozytose der Erythrozyten ausgegeben. Die mikroskopische Beurteilung der Erythrozytenmorphologie ergänzt die automatisierte Zählung.
Aus dem Hämoglobingehalt ergeben sich, unter Berücksichtigung der altersentsprechenden Normwerte, die Diagnose und der Schweregrad einer Anämie. Deren Klassifizierung wird nach der Größe der Erythrozyten in mikrozytär, normozytär oder makrozytär vorgenommen, die Bestimmung der Retikulozytenzahl ermöglicht zusätzlich die Unterscheidung von hypo- und hyperregeneratorischen Anämien. Auf diesen Kriterien beruhen zahlreiche erprobte Diagnosealgorithmen zu Anämien.
Die mikrozytären Anämien sind stets auch hypochrom und zeichnen sich dadurch aus, dass die Erythrozyten nicht ausreichend mit Hämoglobin gefüllt werden und zu klein bleiben. Ursachen der unzureichenden Hämoglobinsynthese in Erythrozyten können folgende sein:
Gemeinsame pathogenetische Grundlage der makrozytären, meist hyporegeneratorischen Anämien ist eine Störung der Zellteilung, im klassischen Fall durch Störung der DNA-Synthese und -Methylierung bei Vitamin-B12- oder Folsäuremangel. Die normozytären Anämien umfassen zahlreiche Diagnosen, zu deren Klassifizierung die Einteilung anhand der Retikulozytenzahl besonders hilfreich ist.
Zur weiteren Diagnosefindung können über das Blutbild hinaus u. a. das Serumferritin als Maß für die Füllung der Eisenspeicher und die Hämolyseparameter Bilirubin und Haptoglobin hilfreich sein.
Anhand des automatisierten Blutbildes mit Retikulozytenzählung können gemäß des dargestellten Algorithmus die Differenzialdiagnosen einer Anämie oft so weit eingegrenzt werden, dass neben den anamnestischen und klinischen Befunden keine oder nur wenige gezielte weitere Untersuchungen nötig sind (Abb. 1). Im Folgenden werden die verschiedenen Anämieformen anhand des Merkmals hyporegeneratorisch versus hyperregeneratorisch gruppiert.

Hyporegeneratorische Anämien

Frühgeborenenanämie

Pathogenese
Da die Erythrozytenmasse physiologischerweise erst während des letzten Schwangerschaftsdrittels stark ansteigt, bringen Frühgeborene eine wesentlich geringere Eisenmitgift mit als Reifgeborene. Hinzu kommen die geringere Lebensdauer fetaler Erythrozyten, iatrogene Blutverluste und ein rasches Wachstum bei unverhältnismäßig geringer Kapazität zur enteralen Eisenaufnahme. Da der Übergang der Erythropoetinsynthese von der Leber in die Niere eher vom postkonzeptionellen Alter abhängt als von der Geburt und da die hepatische Erythropoetinsynthese durch die erhöhte Sauerstoffverfügbarkeit postnatal supprimiert wird, liegt der Frühgeborenenanämie nicht nur ein Eisenmangel zugrunde, sondern gleichzeitig eine inadäquate Erythropoetinsekretion.
Prophylaxe und Therapie
Durch ein verzögertes Abnabeln können die Erythrozytenmasse des Frühgeborenen vergrößert und damit spätere Transfusionen eingespart werden. Hierzu trägt auch die Minimierung iatrogener Blutverluste durch restriktive Indikationsstellung für Blutentnahmen sowie Analytik mit Mikromengen Blut bei. Die Therapie besteht in der vorsichtigen enteralen und gegebenenfalls parenteralen Eisensupplementation. Die Gabe von rekombinantem humanem Erythropoetin wird aufgrund der limitierten Effektivität und des möglicherweise erhöhten Risikos der Retinopathia praematurorum zurückhaltend eingesetzt.
Über kritische, beim asymptomatischen Frühgeborenen die Erythrozytentransfusion indizierende Grenzen des Hämatokrits oder des Hämoglobins besteht keine Einigkeit. Beachtet werden müssen insbesondere bei jungen Frühgeborenen die im Vergleich zum adulten Hämoglobin geringere Sauerstofftransportkapazität des fetalen Hämoglobins und die fehlende Spezifität von Anämiesymptomen. Hierzu können neben Apnoen und Bradykardien auch Nahrungsunverträglichkeit, geblähtes Abdomen und unzureichende Gewichtszunahme zählen.

Eisenmangelanämie

Ätiologie und Pathogenese
Beim Eisenmangel steht zu wenig Eisen für die Synthese von Hämoglobin, aber auch von anderen eisenhaltigen Proteinen, zur Verfügung. Werden die Erythrozyten unzureichend mit Hämoglobin gefüllt, bleiben sie klein, und es resultiert eine hypochrome und mikrozytäre Anämie (Kap. „Erythrozyten: physiologische Besonderheiten im Kindesalter“, Abb. 2). Die Anämie ist jedoch nur der offensichtliche hämatologische Aspekt eines systemischen Eisenmangels.
Epidemiologie und Ätiologie
Dem Eisenmangel liegt ein Missverhältnis zwischen Eisenbedarf und Eisenaufnahme zugrunde. Ersterer ist im Kindesalter im Vergleich zu Erwachsenen aufgrund des Wachstums erhöht. Dies trifft insbesondere auf Säuglinge ab dem 2. Lebenshalbjahr und Kleinkinder zu. Eine zweite Periode erhöhten Eisenbedarfs ist der Wachstumsschub in der Pubertät, bei Mädchen akzentuiert durch die Blutverluste nach der Menarche. Auch anderweitige relevante Blutverluste, wie sie beispielsweise bei hämorrhagischer Diathese, rezidivierender Epistaxis oder chronischen intestinalen Blutungen auftreten, bedingen einen gesteigerten Eisenbedarf.
Häufigste Ursache einer ungenügenden Eisenaufnahme ist weltweit, aber auch in Mitteleuropa, eine zu geringe Zufuhr mit der Nahrung. Pflanzliche Nahrung enthält deutlich weniger Eisen als tierische und außerdem oft Bestandteile wie organische Polyphosphate, die die Eisenresorption hemmen. An Häm gebundenes Eisen, wie es in rotem Fleisch enthalten ist, wird deutlich besser aufgenommen als anorganisches Eisen. Letzteres wird erst im sauren Milieu des Magens in Lösung gebracht und damit verfügbar. Wird, beispielsweise durch die Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren, der Magen-pH angehoben, resultiert das in einer verminderten Eisenaufnahme. Die enterale Resorption von Eisen kann bei Schädigungen der intestinalen Mukosa verringert sein, beispielsweise bei Zöliakie oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Bei mit unverkochter Kuhmilch ernährten Säuglingen tritt ebenfalls oft eine Störung der enteralen Eisenresorption auf mit chronischen, oft okkulten, enteralen Blutverlusten. Auch aus diesem Grund wird von Kuhmilch als Hauptnahrungsmittel im 1. Lebensjahr abgeraten.
Die Eisenmangelanämie gilt als häufigste erworbene Anämie im Kindesalter. Die Prävalenz eines Eisenmangels bei Kleinkindern, definiert über erniedrigtes Serumferritin und Transferrinsättigung, wird in Mitteleuropa auf etwa 10 % geschätzt. Davon hat allerdings nur etwa ein Drittel auch eine Anämie. Umgekehrt hat weniger als die Hälfte der Kleinkinder mit Anämie auch einen Eisenmangel.
Klinische Symptome
Häufiger Vorstellungsgrund ist die Kombination aus Blässe und Müdigkeit. Zusätzlich treten bei Eisenmangel Schädigungen von Schleimhäuten und Haut auf. Diese äußern sich bei schwerem Eisenmangel in Mundwinkelrhagaden, atropher Glossitis und selten Löffelnägeln. Ebenfalls mit schwerstem Eisenmangel assoziiert sein kann Pica, also der zwanghafte Verzehr ungenießbarer Substanzen wie Erde oder Lehm. Eisenmangel führt auch zu einer Verzögerung des Wachstums und der intellektuellen Entwicklung. Auch aus diesem Grund ist eine ausreichende Eisenversorgung aller Kinder wichtig.
Diagnose
Morphologisch findet sich eine mikrozytäre, hypochrome Anämie mit Anisozytose, die aus der automatisierten Blutbildmessung als erhöhte RDW („red cell distribution width“) abgelesen werden kann. Oft findet sich begleitend eine Thrombozytose. Grundsätzlich erfordert die Diagnose einer Eisenmangelanämie als weiteren Schritt die Identifikation der Ursache. Liegt eine für den häufigen alimentären Eisenmangel typische Anamnese vor, so ist ein Therapieversuch mit oraler Eisensupplementation gerechtfertigt. Die Diagnose kann dann durch den Anstieg der Retikulozyten innerhalb 1 Woche und konsekutiv des Hämoglobins bewiesen werden. Dieses sollte um 1–2 g/dl wöchentlich ansteigen (Abb. 3).
Ist die Anamnese nicht typisch oder erbringt die orale Eisensupplementation trotz gesicherter Medikamentenadhärenz nicht den gewünschten Erfolg, muss die Diagnose einer alimentären Eisenmangelanämie mit zusätzlichen Methoden hinterfragt werden. Hierzu zählt zuerst die Bestimmung des Serumferritins, das jedoch nur bei Infektfreiheit verwertbar ist. Zusätzlich hilfreich sein können die Bestimmung der Transferrinsättigung als Maß für das verfügbare Eisen, des löslichen Transferrinrezeptors als Maß für die Aktivität der Erythropoese und des Zink-Protoporphyrins als Indikator einer mangelnden Versorgung der Erythropoese mit Funktionseisen. Zink-Protoporphyrin entsteht, wenn anstelle von zweiwertigem Eisen ein zweiwertiges Zink in Protoporphyrin IX eingebaut wird.
Liegt kein alimentär bedingter Eisenmangel vor, muss stets nach der Ursache der Imbalance zwischen Eisenbedarf und Eisenaufnahme gesucht werden. Hierzu zählt die Suche nach Blutverlusten und nach Malabsorptionssyndromen, selten auch nach genetischen Ursachen einer gestörten Eisenhomöostase.
Differenzialdiagnose
Im Gegensatz zu anderen Ursachen einer mikrozytären Anämie (Abb. 1) ist einzig die isolierte Eisenmangelanämie mit einem erniedrigten Serumferritin verbunden. Die β-Thalassaemia minor kann bei Herkunft aus Endemiegebieten vermutet werden, kommt allerdings auch bei der autochthon deutschen Bevölkerung vor. Sie grenzt sich zum Eisenmangel durch das Fehlen der Anisozytose, also durch die normwertige RDW, ab. Richtungsweisend ist die Untersuchung des Blutbildes beider Eltern und des HbA2, das bei der heterozygoten β-Thalassämie erhöht ist. Im Falle einer Kombination aus Eisenmangel und Thalassaemia minor kann nicht das MCV, sondern alleinig das Ferritin als Marker für den Erfolg einer Eisensupplementation herangezogen werden.
Therapie
Der alimentäre Eisenmangel wird durch die Substitution mit Fe2+-Salzen behandelt (2–5 mg/kg täglich, in einer Einzelgabe, möglichst nicht zum Essen). Gelegentlich wird die Compliance durch gastrointestinale Beschwerden beeinträchtigt. Auch deshalb ist die Erfolgskontrolle anhand des Blutbildes notwendig. Die Eisensubstitution wird mindestens für 3 Monate mit dem Ziel der Normalisierung von Hämoglobin und MCV sowie dem Auffüllen der Eisenspeicher fortgesetzt. Nur bei schweren Resorptionsstörungen oder fehlender Verträglichkeit ist die parenterale Eisensubstitution indiziert. Ergänzt wird die medikamentöse Behandlung des alimentären Eisenmangels durch eine Ernährungsberatung und gegebenenfalls durch die Umstellung der Diät. Bei anderen Ursachen eines Eisenmangels muss selbstverständlich die Grundkrankheit therapiert werden.
Die unkontrollierte Einnahme von Eisenpräparaten, insbesondere durch Kleinkinder, kann zu lebensbedrohlichen Intoxikationen führen und ist auch sonst als prophylaktische Maßnahme nicht indiziert.

IRIDA

Eine hereditäre Form der isolierten Eisenresorptionsstörung und Eisenmangelanämie, die auf enterale Eisensupplementation nicht und auf parenterale Eisengabe nicht adäquat anspricht, die IRIDA („iron refractory iron deficiency anemia“), wird autosomal-rezessiv vererbt. Zugrunde liegt eine inadäquat hohe Hepcidinsekretion, die meist durch Mutationen eines negativen Regulators der Hepcidinsynthese, TMPRSS6, bedingt ist. Hieraus resultiert nicht nur eine Störung der Eisenresorption, sondern auch der Eisenutilisation.

Anämie chronischer Erkrankung

Pathophysiologie
Die Anämie chronischer Erkrankung findet sich bei Kindern typischerweise bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Hierzu zählen neben chronischen Infektionen insbesondere Autoimmunerkrankungen. Die durch die chronisch-entzündliche Aktivität erhöhten Serumspiegel proinflammatorischer Zytokine, wie IL-1, IL-6 und TNF-α wirken direkt auf die Erythropoese, indem sie die Dichte der Erythropoetinrezeptoren reduzieren und die Apoptoserate erythropoetischer Vorläufer erhöhen. Gleichzeitig induzieren sie die Hepcidinsynthese, wodurch die intestinale Eisenaufnahme und die Eisenutilisation aus Makrophagen gehemmt werden. Die resultierende verminderte erythropoetische Aktivität führt zu einer typischerweise normochromen, normozytären Anämie bei normalem oder erhöhtem Ferritin. Die Eisenverwertungsstörung kann jedoch auch zu einem funktionellen Eisenmangel mit mikrozytärem Blutbild führen.
Bei akuten Entzündungen, wie durch virale und bakterielle Infektionen, führen dieselben Mechanismen wie bei der Anämie chronischer Erkrankung zu einer verminderten Erythropoese. Schätzungen zufolge fällt bei akuten Infektionen der Hämoglobinwert wöchentlich um etwa 13 %. Klinisch bedeutsam wird dies nur bei über Wochen anhaltenden Entzündungen. Die Häufigkeit dieser Anämie bei akuten Infektionen rechtfertigt in minderschwer ausgeprägten Fällen (Hb >9 g/dl) Kontrolluntersuchungen vor der weiterführenden Diagnostik.
Diagnose
Die Diagnose erfolgt anhand der normo-, seltener mikrozytären Anämie mit Retikulozytopenie und des normalen oder erhöhten Serumferritins in Zusammenschau mit klinischen Befunden, die die chronische Inflammation erklären. Begleitend finden sich oft laborchemische Anzeichen der Entzündung, wie beschleunigte Blutsenkung, erhöhtes C-reaktives Protein oder Hyperfibrinogenämie.
Differenzialdiagnose
Bei mikrozytärem Blutbild müssen Thalassämiesyndrome, sideroblastische Anämien und insbesondere die Eisenmangelanämie abgegrenzt werden. Hierzu sind die Messung des löslichen Transferrinrezeptors (sTfR) und des Serumferritins hilfreich. Auch der reduzierte Hämoglobingehalt der Retikulozyten kann sensitiv einen Eisenmangel anzeigen, selbst wenn dieser in Kombination mit der Anämie chronischer Erkrankung auftritt. Bei der normozytären hyporegeneratorischen Anämie müssen infiltrative Erkrankungen des Knochenmarks ausgeschlossen werden, und bei Kleinkindern muss auch an die harmlose transitorische Erythroblastopenie (Abschn. 3.5) gedacht werden. Außerdem führt die chronische Niereninsuffizienz zur renalen Anämie.
Therapie
Kausale Therapie der Anämie chronischer Erkrankung ist die Korrektur der chronischen Entzündung durch Behandlung der Grundkrankheit. Beispielsweise führt die antiinflammatorische Therapie mit TNFα-Antagonisten bei juveniler idiopathischer Arthritis über eine Reduktion der IL-6-Spiegel auch zu einer Besserung der Anämie.
Bei fortbestehender Entzündungsaktivität kann durch die Gabe pharmakologischer Dosen von Erythropoetin die relative Erythropoetinresistenz der Anämie chronischer Erkrankung überwunden werden. Dies gilt insbesondere für Patienten, bei denen vor Behandlungsbeginn niedrige Erythropoetinspiegel gemessen werden. Eisengaben sind wegen der durch Hepcidin vermittelten Störung von Resorption und Recycling nur bei nachgewiesenem koexistentem Eisenmangel indiziert.

Akute transitorische Erythroblastopenie des Kindesalters

Definition und Ätiologie
Die transitorische Erythroblastopenie des Kindesalters ist eine selbstlimitierte Form der „pure red cell aplasia“, die bei ansonsten gesunden Säuglingen und Kleinkindern auftritt. Bei rund der Hälfte der Patienten findet sich neben der normozytären Anämie mit Retikulozytopenie eine leicht ausgeprägte Neutropenie. Oft wird anamnestisch von vorangegangenen Virusinfekten berichtet, die Virusgenese dieser Erkrankung ist jedoch nicht belegt. Die Inzidenz liegt im Kleinkindesalter mit rund 4/100.000 etwa im Bereich der akuten lymphoblastischen Leukämie. Allerdings dürfte ein Teil der Kinder mit transitorischer Erythroblastopenie der Diagnosestellung entgehen, weil sich die Erythropoese erholt, bevor die Anämie klinisch auffällig wird.
Klinische Symptome und Verlauf
Da die transitorische Erythroblastopenie auf einer Hemmung der Erythrozytenbildung ohne gesteigerten Verbrauch beruht, fällt der Hämoglobinwert langsam über Wochen ab. Typischerweise präsentieren sich die Kinder mit ausgeprägter Blässe und einem Hb im Bereich von 6–8 g/dl, sind klinisch aber gut an die Anämie adaptiert.
Diagnose
Bei typischer Anamnese und Präsentation, d. h. sonst körperlich unauffälligem Kleinkind mit klinisch kompensierter normozytärer hyporegeneratorischer Anämie ohne weitere Blutbildauffälligkeiten, darf auf weiterführende Diagnostik verzichtet werden. Etwa 5–10 % der Kinder werden erst in der Regenerationsphase vorstellig, sodass die typische Retikulozytopenie schon einer Retikulozytose gewichen ist. Dann kann die Unterscheidung von einer hämolytischen Anämie durch die Kontrolle von Blutbild und Retikulozyten im Verlauf getroffen werden. Das Vorliegen weiterer Blutbildveränderungen, wie einer Thrombopenie oder ausgeprägten Neutropenie, rechtfertigt die Durchführung einer Knochenmarkzytologie zum Ausschluss anderer Ursachen einer Knochenmarkinsuffizienz.
Differenzialdiagnose
Wichtigste Differenzialdiagnose bei Präsentation im Säuglingsalter ist die Diamond-Blackfan-Anämie (Abschn. 3.6), bei der im Gegensatz zur transitorischen Erythroblastopenie Eigenschaften fetaler Erythrozyten persistieren wie Makrozytose, erhöhter HbF-Anteil und erhöhte Expression des i-Antigens. Auch Infektionskrankheiten können eine kurzzeitige Hypoplasie der Erythropoese bewirken, die in der Regel jedoch nicht zu einer so ausgeprägten Anämisierung wie die transitorische Erythroblastopenie führt.
Therapie und Prognose
Die transitorische Erythroblastopenie ist eine gutartige Erkrankung. Bei über 80 % der Patienten setzt die Erythropoese innerhalb 1 Monats nach Diagnosestellung wieder ein, bei fast allen innerhalb von 2 Monaten. Gelegentlich sind bei symptomatischer Anämie zur Überbrückung der Zeit bis zur Spontanremission Erythrozytentransfusionen indiziert.

Kongenitale hypoplastische Anämie Typ Diamond-Blackfan

Definition und Ätiologie
Die Diamond-Blackfan-Anämie (DBA) ist eine angeborene hypoplastische Anämie, die überwiegend im Säuglingsalter diagnostiziert wird. Die Erythropoese ist weitgehend aplastisch mit Merkmalen persistierender fetaler Erythrozyten als Ausdruck einer Stresserythropoese. Andere Zellreihen sind nicht betroffen. Bei rund einem Drittel der Patienten finden sich angeborene Malformationen des Skeletts, des Gesichts und des Urogenitaltrakts, wie sie in ähnlicher Weise auch bei der Fanconi-Anämie vorkommen. Die Inzidenz wird auf 5/1.000.000 Neugeborene geschätzt.
Ab dem 2. Lebensjahrzehnt treten bei rund 4 % der Patienten mit DBA Malignome auf, insbesondere myeloische Neoplasien und Osteosarkome.
Die DBA gilt als Prototyp einer Ribosomopathie: In knapp zwei Drittel der untersuchten Patienten finden sich Mutationen, die die Synthese ribosomaler Proteine beeinträchtigen. Der Grund für die besondere Sensitivität der Erythropoese auf Störungen der Ribosomensynthese ist unbekannt. Ein großer Teil der Fälle tritt familiär mit meist autosomal-dominantem Vererbungsmodus, jedoch unvollständiger Penetranz auf.
Diagnose
Hauptkriterien für die Diagnose DBA sind:
  • das Auftreten im Säuglingsalter,
  • die Retikulozytopenie,
  • die makrozytäre Anämie ohne weitere Zytopenien und
  • die regelrechte Zellularität des Knochenmarks mit Fehlen erythropoetischer Vorläufer.
Treffen nicht alle der Hauptkriterien zu, kann eine „wahrscheinliche“ Diagnose gestellt werden, wenn Nebenkriterien vorliegen. Hierzu zählen eine positive Familienanamnese, der Nachweis einer mit DBA assoziierten Genmutation, das Vorliegen von kongenitalen Anomalien, ein erhöhter HbF-Anteil sowie die erhöhte Aktivität der erythrozytären Adenosindesaminase.
Therapie
Da bei der DBA schon bei Diagnosestellung im Säuglingsalter eine ausgeprägte Anämisierung mit Hämoglobinwerten um 4–6 g/dl gefunden wird, sind Bluttransfusionen regelhaft notwendig. Ein kleiner Teil der Patienten erreicht eine Spontanremission, die teils nach Jahren auftritt und meist anhaltend ist. Durch eine Kortikosteroidtherapie kann bei etwa 80 % der Patienten vorübergehend Transfusionsunabhängigkeit erreicht werden, allerdings erreichen nur 20 % eine Remission nach Beendigung der Steroidtherapie. Die anderen Patienten bleiben entweder steroidabhängig oder werden steroidrefraktär und benötigen weiterhin Transfusionen. Wegen der Nebenwirkungen der Kortikosteroidtherapie wird diese Therapie erst ab einem Alter von 6–12 Monaten empfohlen. Wird ein Ansprechen auf Kortikosteroide beobachtet, wird die Dosis langsam bis zur individuellen minimalen effektiven Dosis reduziert. Dauerhaft transfundierte Patienten bedürfen einer Eiseneliminationstherapie, um den Komplikationen der transfusionsassoziierten Hämosiderose zu entgehen. Bei Patienten mit HLA-kompatiblem Spender ist die hämatopoetische Stammzelltransplantation indiziert.

Megaloblastäre Anämien

Pathophysiologische Grundlagen
Megaloblastäre Anämien betreffen nicht nur die Erythropoese, sondern sind Ausdruck einer tief greifenden Störung der Gesamthämatopoese mit meist gleichzeitig vorliegender Leukopenie und Thrombopenie. Gemeinsame pathogenetische Grundlage der megaloblastären Anämien ist eine Störung der Zellteilung, im klassischen Fall durch Störung der DNA-Synthese und -Methylierung bei Vitamin-B12- oder Folsäuremangel. Diese Störungen können durch Medikamente, insbesondere Zytostatika und Virostatika, nachgeahmt werden. Sehr seltene Ursachen für eine megaloblastäre Anämie sind die Orotazidurie und die Thiamin-responsive Anämie. Auch erworbene Störungen der Hämatopoese, wie das myelodysplastische Syndrom, können sich mit megaloblastärer Morphologie präsentieren.
Zytologisch findet sich eine ineffektive Erythropoese mit hyperplastischem Knochenmark und megaloblastärer Ausreifungsstörung. Die reifen, makrozytären Erythrozyten zeigen eine deutliche Aniso- und Poikilozytose, die erythrozytären Vorstufen im Knochenmark sind reifungsgestört mit einem im Verhältnis zum Zytoplasma unreifen, aufgelockert erscheinenden Kern. Die Neigung der erythrozytären Vorstufen, vorzeitig in die Apoptose einzutreten, bedingt die laborchemisch nachweisbaren Hämolysezeichen mit erhöhten Serumkonzentrationen von Bilirubin und Laktatdehydrogenase (LDH).
Die Störung der Granulopoese erkennt man im peripheren Blut an hypersegmentierten Granulozyten (>5 Segmente), im Knochenmark an vergrößerten myeloischen Vorstufen und an Riesenformen der Metamyelozyten und der stabkernigen Granulozyten.
Durch den Mangel an Vitamin B12 und Folsäure sind nicht nur die DNA-Synthese hämatopoetischer Vorläufer, sondern auch andere, sich schnell teilende Gewebe wie die intestinale Mukosa betroffen. Entsprechend liegen oft begleitend auch gastrointestinale Symptome vor. Neurologisch steht die Degeneration der Hinterstrangbahnen, der Pyramidenbahnen und peripherer Nerven im Vordergrund, die sich durch Sensibilitätsstörungen und Zeichen der Spastik äußert.

Vitamin-B12-Mangel

Ätiologie und Pathogenese
Häufigste Ursache einer megaloblastären Anämie ist die mangelnde Zufuhr von Vitamin B12 mit der Nahrung. Besonders voll gestillte Säuglinge sind hierfür empfindlich, wenn bei der Mutter ein Vitamin-B12-Mangel vorliegt. Meist fallen diese Kinder weniger durch die Anämie als durch eine Gedeihstörung und Entwicklungsverzögerung auf. Weitere Ursache des Vitamin-B12-Mangels bei Säuglingen sind die verschiedenen genetisch bedingten Störungen der Resorption, des Transportes und des Stoffwechsels von Vitamin B12.
Der Vitamin-B12-Mangel bei älteren Kindern und Jugendlichen hat dieselben Ursachen wie im Erwachsenenalter. Hierzu zählen Resorptionsstörungen nach Resektion des terminalen Ileums, streng vegane Ernährung und selten die autoimmun bedingte perniziöse Anämie.
Diagnose
Präsentierende Symptome sind die Neuropathie und die der Anämie. Hinweise im Blutbild ergeben sich aus der Makrozytose, oft mit Leuko- und Thrombopenie. Die ineffektive Erythropoese drückt sich in erhöhtem Serumbilirubin und erhöhter LDH aus. Der direkte Nachweis des Vitamin-B12-Mangels ist ein erniedrigter Serumspiegel. Da Vitamin B12 für den Stoffwechsel von Methylmalonsäure und Homocystein unabdingbar ist, kann durch die Messung von Methylmalonsäure und Homocystein in Plasma und Urin die funktionelle Bedeutsamkeit des Vitamin-B12-Mangels nachgewiesen werden.
Therapie
Die Therapie des Vitamin-B12-Mangels erfolgt bei alimentärem Mangel durch orale Substitution und Umstellung der Ernährung. Bei anderen Ursachen erfolgt initial die subkutane Gabe von Vitamin B12. Der Nachweis einer in den folgenden Tagen eintretenden Retikulozytose bestätigt die Diagnose.
Im Zusammenhang mit dem intrazellulären Kaliumeinstrom in die sich erholende Hämatopoese kam es bei der Substitution von Vitamin B12 bei schwerer megaloblastärer Anämie zu lebensbedrohlichen Hypokaliämien. Deshalb soll die Substitution mit geringen Dosen begonnen werden, typischerweise 0,2 μg/kg Cyanocobalamin täglich. Weiterhin wurde im zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn einer Vitamin-B12-Substitution bei schwerer megaloblastärer Anämie über das Auftreten thrombembolischer Ereignisse berichtet. Der Erfolg der Therapie kann nicht nur am Blutbild, sondern auch biochemisch anhand der Methylmalonsäure- und Homocysteinspiegel verfolgt werden. Patienten mit Störung des Transports und Metabolismus von Vitamin B12 können supraphysiologische Substitutionsdosen benötigen.

Folsäuremangel

Folsäure ist, wie auch Vitamin B12, von zentraler Bedeutung im Stoffwechsel von C1-Gruppen. Ein Folsäuremangel führt zu einem klinischen Bild, dessen hämatologische Facette nicht von der eines Vitamin-B12-Mangels unterschieden werden kann.
Ätiologie und Diagnose
Weltweit gesehen ist die Malnutrition die häufigste Ursache eines Folsäuremangels. In westlichen Ländern tritt der Folsäuremangel überwiegend bei Malabsorptionssyndromen, wie etwa der Zöliakie auf. Bei schwergradigen hämolytischen Anämien ist ebenso wie bei schwangeren Frauen der Bedarf an Folsäure erhöht, sodass diese Patienten einem erhöhten Risiko für einen Folsäuremangel ausgesetzt sind. Antimetabolite der Folsäure, wie Methotrexat oder Trimethoprim, werden als Chemotherapeutika und Antibiotika eingesetzt und können einen funktionellen Folsäuremangel pharmakologisch induzieren. Sehr selten treten hereditäre Störungen des Transports und Metabolismus der Folsäure auf.
Die im Serum gemessenen Folsäurespiegel fallen bei Folsäuredeprivation innerhalb von 2 Wochen unter den Normbereich. Da Erythrozyten nur während ihrer Reifung, nicht aber später Folsäure aufnehmen können, reflektiert der Folsäurespiegel in Erythrozyten die Folsäureversorgung der vergangenen 3–4 Monate. Bei Folsäuremangel findet sich ein erhöhtes Homocystein im Plasma, im Gegensatz zum Vitamin-B12-Mangel jedoch keine erhöhte Methylmalonsäure.
Therapie
Bei Patienten mit alimentärem Folsäuremangel sollte die Ernährung umgestellt und die Ursache einer möglichen Malabsorption behandelt werden. Darüber hinaus kann Folsäure oral oder parenteral verabreicht werden; der Tagesbedarf für Jugendliche und Erwachsene wird mit 400 μg angegeben. Ein potenziell koexistenter Vitamin-B12-Mangel sollte gesucht und gegebenenfalls ebenfalls behandelt werden.

Sideroblastische Anämien

Pathophysiologische Grundlagen
Sideroblastische Anämien sind seltene, hypochrome Anämien, bei denen im Knochenmark nach spezifischer Eisenfärbung Ringsideroblasten mit ringförmig perinukleär angeordneten Eisengranula nachweisbar sind. Gleichzeitig besteht oft eine ineffektive Erythropoese und eine dadurch bedingte chronische Hämosiderose. Gemeinsame pathophysiologische Grundlage ist eine Störung der Eisenverwertung, beispielsweise bei der häufigsten, X-chromosomal vererbten Form aufgrund einer Mutation in dem erythropoesespezifischen Gen für die δ-Aminolävulinatsynthase, das Schlüsselenzym der Hämbiosynthese. Ein Teil der sideroblastischen Anämien geht mit einer neurodegenerativen Symptomatik einher, die man der Eisenüberladung in neuronalen Mitochondrien zuschreibt.
Die X-chromosomal vererbte, durch eine Mutation des Gens für die δ-Aminolävulinatsynthase hervorgerufene Form der sideroblastischen Anämie kann oft durch die Supplementation mit Pyridoxin gebessert werden. Neben einer symptomatischen Therapie wurde bei einigen sideroblastischen Anämien auch eine vorsichtige Eiseneliminationstherapie angewendet, durch die die mitochondriale Eisenüberladung und klinische Symptome verbessert werden konnten.

Erworbene sideroblastische Anämie

Eine Reihe von Medikamenten und Toxinen können eine Störung der Hämbiosynthese verursachen und damit das Erscheinungsbild einer sideroblastischen Anämie imitieren. Hierzu zählen unter anderen anorganisches Blei, Chloramphenicol und Isoniazid. Neben der Anämie können dabei auch neurologische Symptome auftreten. Nach diesen reversiblen Ursachen muss bei der Diagnosestellung einer sideroblastischen Anämie gesucht werden.
Auch erworbene klonale Erkrankungen, wie das myelodysplastische Syndrom (MDS) können mit einer Eisenverwertungsstörung auf zellulärer Ebene einhergehen und sich morphologisch mit Ringsideroblasten präsentieren.

Erworbene chronische hypoplastische Anämie

Seltenere Differenzialdiagnosen erworbener chronischer hypoplastischer Anämien finden sich häufiger im Erwachsenenalter als im Kindesalter. Hierzu zählen die renale Anämie, die „pure red cell aplasia“, die mit Malignomen und Autoimmunerkrankungen assoziiert ist, und chronische Viruserkrankungen, die insbesondere bei Immundefekten auftreten.

Anämien durch Knochenmarkversagen

Finden sich im Blutbild neben einer hyporegeneratorischen Anämie weitere Zytopenien, wie eine Thrombozytopenie oder eine Neutropenie, so muss von einem generellen Knochenmarkversagen ausgegangen werden. Diese Situation indiziert die Untersuchung der Knochenmarkzytologie und gegebenenfalls auch der Knochenmarkhistologie.
Häufigste Ursache einer Panzytopenie im Kleinkindesalter ist die akute lymphoblastische Leukämie. Aber auch andere maligne Erkrankungen, wie die akute myeloische Leukämie, das MDS oder solide Tumoren wie das Neuroblastom können über eine Verdrängung der Hämatopoese zu einer Panzytopenie führen. Bei der aplastischen Anämie kommt es zu einer Insuffizienz aller 3 Zellreihen der Hämatopoese, entweder im Rahmen einer hereditären Erkrankung (Fanconi-Anämie, Dyskeratosis congenita) oder ohne erkennbare Ursache, vermutlich autoimmunologisch. Die Symptome entsprechen der Panzytopenie und korrelieren mit der Anämie (Blässe, Leistungsknick), der Thrombozytopenie (Blutungsneigung) und der Defizienz des angeborenen Immunsystems (Infektionsneigung). Die Diagnose wird durch die Histologie des Knochenmarks gesichert bzw. durch die Messung der gestörten DNA-Reparatur (Fanconi-Anämie) oder verkürzter Telomere (Dyskeratosis congenita) spezifiziert. Die Therapie erfolgt angepasst an die spezifische Diagnose und den Schweregrad symptomatisch, durch Immunsuppression oder allogene Stammzelltransplantation.
Definition der aplastischen Anämie
Die aplastische Anämie zeichnet sich durch eine Panzytopenie auf der Grundlage einer verminderten Bildung aller 3 Zellreihen der Hämatopoese aus. In diesem Abschnitt wird die aplastische Anämie durch Insuffizienz, nicht maligne Verdrängung, der Hämatopoese behandelt. Obwohl der irreführende Begriff aplastische Anämie eine isolierte Störung der Erythropoese suggeriert, sind bei dieser Erkrankung stets auch die Thrombopoese und die Myelopoese betroffen. Die aplastische Anämie kann Ausdruck einer vererbten, syndromalen Störung sein oder erworben, dann meist ohne erkennbare Ursache, auftreten. Die Inzidenz der aplastischen Anämie im Kindes- und Jugendalter wird mit rund 2/1.000.000 angegeben. Damit ist die aplastische Anämie im Verhältnis zu den Leukämien eine seltene Differenzialdiagnose der Panzytopenie im Kindesalter.
Symptome und Diagnose
Bei den angeborenen Formen entwickelt sich die Panzytopenie graduell, bei der erworbenen aplastischen Anämie rasch. Die Symptome der aplastischen Anämie sind die der Panzytopenie: Die Patienten stellen sich vor wegen Blässe, Leistungsknick, Haut- und Schleimhautblutungen, Fieber und Stomatitis. Das blutbildende Knochenmark ist bei der aplastischen Anämie weitgehend ersetzt durch Fettmark, lediglich eingestreut finden sich Hämatopoese-Inseln. Dies resultiert in einer niedrigen Zelldichte, die gegebenenfalls auch schon in den bröckelreichen Abschnitten eines Knochenmarkausstriches zum Ausdruck kommen kann. Da die Zellularität des Knochenmarks jedoch nur in der Knochenmarkhistologie zuverlässig beurteilt werden kann, erfordert die Diagnose der aplastischen Anämie eine Knochenmarkbiopsie.
Conditio sine qua non für die aplastische Anämie ist die Panzytopenie. Die Knochenmarkhistologie zeigt eine reduzierte Zellularität des Knochenmarks. Eine schwere aplastische Anämie (SAA) liegt vor, wenn 2 der 3 folgenden Grenzwerte unterschritten werden: Granulozyten <500/μl, Thrombozyten <20.000/μl, Retikulozyten <20.000/μl. Insbesondere bei den angeborenen aplastischen Anämien können als Ausdruck einer Stresserythropoese eine Makrozytose und ein erhöhter HbF-Anteil, außerdem dysplastische Veränderungen vorliegen. Dadurch ist die Abgrenzung zu einem hypozellulären MDS erschwert. Nahezu alle anderen Ursachen der Panzytopenie zeichnen sich durch eine gesteigerte, nicht reduzierte Zellularität des Knochenmarkes aus.
Bei dem Verdacht auf eine aplastische Anämie sollte zytogenetisch nach MDS-typischen klonalen chromosomalen Veränderungen und mittels FACS-Analyse nach dem Vorliegen eines PNH-Klons gesucht werden. Die Unterscheidung zwischen angeborener und erworbener aplastischer Anämie ist von großer therapeutischer Bedeutung und kann durch den Nachweis assoziierter Fehlbildungen (Fanconi-Anämie, Shwachman-Diamond-Syndrom), einer gesteigerten Chromosomenbrüchigkeit (Fanconi-Anämie) und einer verkürzten Telomerlänge (Dyskeratosis congenita) gelingen.

Erworbene aplastische Anämie

Ätiologie
Rund 90 % der erworbenen aplastischen Anämien treten ohne erkennbare Ursache idiopathisch auf. Aufgrund des häufigen Ansprechens auf eine immunsuppressive Therapie liegt ein Autoimmungeschehen nahe. Auch für die gelegentliche Assoziation der aplastischen Anämie mit einer Hepatitis ohne Virusnachweis wird ein autoimmunologischer Prozess angenommen.
Seltene Ursachen einer erworbenen aplastischen Anämie sind Medikamente (u. a. Chloramphenicol), Chemikalien (u. a. Benzol), ionisierende Strahlung und Virusinfektionen.
Therapie und Prognose
Zu Beginn der Therapie einer aplastischen Anämie steht die Symptomkontrolle durch Transfusionen und die Vermeidung und Behandlung von Infektionen durch Hygienemaßnahmen und Antibiotika im Vordergrund. Eine immunsuppressive Therapie mit Antilymphozytenglobulin und Cyclosporin A induziert in etwa 80 % der Patienten eine Remission, birgt jedoch das Risiko von Rezidiven und des Auftretens klonaler Erkrankungen. Auch aufgrund der oft monatelangen Panzytopenie bis zum Ansprechen auf eine immunsuppressive Therapie gilt bei Verfügbarkeit eines HLA-identischen Geschwisters die allogene Stammzelltransplantation als Therapie der 1. Wahl. Alternative Stammzellspender kommen beim fehlenden Ansprechen auf eine immunsuppressive Therapie in Betracht.
Sowohl mit der immunsuppressiven Therapie als auch mit der Stammzelltransplantation kann ein langfristiges Überleben bei 80–90 % der Patienten erreicht werden. Prognosebestimmend sind neben schweren Infektionen auch die Komplikationen der Therapie, wie die Graft-versus-Host-Erkrankung nach Stammzelltransplantation, selten der Übergang in eine myeloische Neoplasie.

Genetisch bedingte (konstitutionelle) aplastische Anämie

Bei etwa einem Drittel der Patienten mit aplastischer Anämie im Kindes- und Jugendalter kann eine angeborene Form diagnostiziert werden, am häufigsten die Fanconi-Anämie. Die Fanconi-Anämie beruht auf einer Störung der DNA-Reparatur und damit einer erhöhten Chromosomenbrüchigkeit. Diese Patienten sind außergewöhnlich empfindlich gegen Chemotherapeutika, die DNA-Strangbrüche verursachen, und gegen ionisierende Strahlung. Bei der Dyskeratosis congenita ist die Funktion der Telomerase gestört, sodass bei dieser Krankheit die Telomere verkürzt und die Chromosomen destabilisiert sind (Tab. 2).
Klinische Symptome
Allen angeborenen Syndromen mit aplastischer Anämie ist gemeinsam, dass die Knochenmarkinsuffizienz nur eines von mehreren Symptomen ist, wenn auch oft das präsentierende und die Prognose bestimmende. Daneben können zahlreiche andere Symptome auftreten, u. a. Skelettveränderungen, Veränderungen der Haut und Hautanhangsgebilde oder Fehlbildungen des Urogenitaltraktes. Im späteren Leben haben die Patienten eine unterschiedlich ausgeprägte Prädisposition für Karzinome.
Diagnose
Wenn nicht schon beim Kleinkind klinische syndromale Stigmata (Tab. 2) die Diagnose vermuten lassen, ist häufig die Knochenmarkinsuffizienz das präsentierende Symptom. Bei allen Patienten mit aplastischer Anämie sollte eine Fanconi-Anämie durch die Untersuchung der Chromosomenbrüchigkeit nach Inkubation von Lymphozyten mit DNA-vernetzenden Substanzen wie Diepoxybutan oder Mitomycin C ausgeschlossen oder bewiesen werden. Ein in einigen Speziallabors mittlerweile etablierter Screening-Test auf die Dyskeratosis congenita ist die Messung der Telomerlänge. Diese Untersuchung ist wichtig, weil die epidermalen Veränderungen der Dyskeratosis congenita erst Jahre nach der Knochenmarkinsuffizienz auftreten können.
Therapie
Die Supportivtherapie bei angeborenem Knochenmarkversagen umfasst Transfusionen, die Gabe von Wachstumsfaktoren, Schleimhautpflege mit dem Ziel der Vermeidung von Blutungen und eine antibiotische und antimykotische Prophylaxe. Bei der Fanconi-Anämie kann durch die Gabe von Androgenen häufig die Panzytopenie gebessert werden. Die Begleiterkrankungen, u. a. Endokrinopathien und Skelettdeformitäten, bedürfen der Behandlung durch ein multidisziplinäres Team. Eine besondere Herausforderung ist die bei diesen Erkrankungen bestehende Malignomneigung, sodass eine angepasste Tumorvorsorge erforderlich ist.
Einzige kurative Therapie bezüglich der hämatologischen Erscheinungen der Syndrome mit konstitutionellem Knochenmarkversagen ist die allogene Stammzelltransplantation. Sie ist jedoch aufgrund der genetischen Eigenheiten der Erkrankungen mit hohen Risiken belastet. Auch nach einer erfolgreichen Stammzelltransplantation bleiben die nichthämatologischen Manifestationen, insbesondere die Neigung zu Karzinomen, bestehen. Ein konsequentes Vorsorgeprogramm kann zur Früherkennung von u. a. Plattenepithelkarzinomen der Haut und des Kopf-Hals-Bereiches und wahrscheinlich zu einem verbesserten Überleben der Patienten beitragen.

Aplastische Krisen bei chronischen hämolytischen Anämien

Ätiologie und Pathogenese
Eine lebensbedrohliche, akute hyporegeneratorische Anämie ist die aplastische Krise bei chronischen hämolytischen Anämien. Durch eine Infektion mit Parvovirus B19, dem Erreger der Ringelröteln, wird für 10–14 Tage die Ausreifung erythropoetischer Vorläufer gestoppt. Bei hämatologisch Gesunden entspricht diese Zeit etwa 10 % der Lebensdauer der Erythrozyten, sodass mit der Parvovirus B19-Infektion kein klinisch relevanter Abfall des Hämoglobins einhergeht. Bei Patienten mit hämolytischer Anämie liegt die Lebensdauer der Erythrozyten, je nach Schweregrad, im Bereich der Dauer des Ausreifungsstopps, sodass es im Verlauf der aplastischen Krise zu einer raschen Anämisierung kommt.
Klinische Symptome
Klinisch äußert sich eine aplastische Krise durch eine rasch progrediente Blässe und Schwäche zusätzlich zu den oft okkulten Symptomen der Ringelröteln mit Fieber, Übelkeit, Myalgien und gelegentlichem Exanthem, wobei dieses entweder gar nicht oder typischerweise erst nach der aplastischen Krise auftritt. Da die Zahl der gealterten, hämolysierenden Erythrozyten im Verlauf der Krise rasch abnimmt, fallen klinisch oft keine Hämolysezeichen auf.
Diagnose
Die Diagnose der aplastischen Krise durch Parvovirus B19-Infektion erfolgt typischerweise durch die Kombination einer bekannten hämolytischen Grundkrankheit mit rasch einsetzender Anämisierung und Retikulozytopenie. Bestätigt wird die Diagnose durch Virusnachweis mittels PCR oder, allerdings erst retrospektiv, den Nachweis einer Serokonversion. Ist die Diagnose einer chronischen hämolytischen Anämie nicht schon vor der aplastischen Krise bekannt, kann sie zunächst nur vermutet werden. Patienten mit bekannter hämolytischer Anämie, wie hereditärer Sphärozytose oder Sichelzellkrankheit, sollten über das Risiko einer aplastischen Krise aufgeklärt werden. Aufgrund der raschen und tiefen Anämisierung ist zur Überbrückung der hyporegeneratorischen Phase oft eine Bluttransfusion unumgänglich. Da aplastische Krisen fast ausschließlich durch Parvovirus B19 ausgelöst werden und die Primärinfektion eine Immunität hinterlässt, sind Rezidive die Ausnahme.
Komplikationen
Bei Primärinfektion mit Parvovirus B19 während der Schwangerschaft kann ein Hydrops fetalis auftreten. Da nur etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Schwangeren protektive Antikörpertiter aufweisen und Parvovirus B19 hoch kontagiös ist, wird Schwangeren nach Kontakt mit infektiösen Patienten empfohlen, sich serologisch testen zu lassen. Zu beachten ist dabei, dass das Exanthem der Ringelröteln bei 75 % der Infizierten nicht auftritt und sonst der Virämie erst nach ca. 1 Woche folgt, sodass grundsätzlich Kinder mit Ringelröteln-Exanthem nicht mehr ansteckend sind. Das Risiko für einen Hydrops fetalis bei Erstinfektion besteht in der 1. Hälfte der Schwangerschaft und liegt bei etwa 4 %. Im Fall einer Serokonversion kann ein Hydrops fetalis sonografisch nachgewiesen und gegebenenfalls durch intrauterine Transfusionen behandelt werden.

Hämolytische, hyperregeneratorische Anämie

Pathogenese
Die Erythrozytenlebensdauer beträgt beim Gesunden jenseits des Neugeborenenalters etwa 120 Tage, d. h. täglich wird knapp 1 % der Erythrozytenmasse umgesetzt. Gealterte Erythrozyten werden vom retikuloendothelialen System der Milz, der Leber und des Knochenmarks abgebaut. Während der Passage durch die rote Pulpa der Milz werden die Erythrozyten einem relativ hypoxischen und sauren Milieu ausgesetzt und geraten in engen Kontakt mit Makrophagen. Dort verlieren Retikulozyten ihre letzten Organellen und auch unreife Teile ihrer Membran, während reife, gesunde Erythrozyten diese Qualitätskontrolle ohne Verluste passieren und durch die engen endothelialen Zellzwischenräume die venösen Sinus erreichen. Erythrozyten, deren Oberfläche mit Immunglobulinen oder Komplement markiert ist oder die ihre Verformbarkeit eingebüßt haben, werden in der Milz phagozytiert.
Bei hämolytischen Anämien ist die Lebensdauer der Erythrozyten verkürzt. Meist folgt der beschleunigte Erythrozytenabbau dem physiologischen Weg und findet in der Milz und Leber statt, also extravasal. Erfolgt der Erythrozytenabbau in der Blutbahn, beispielsweise bei der durch Kälteagglutinine vermittelten Autoimmunhämolyse, spricht man von intravasaler Hämolyse.
Eine gesteigerte Hämolyse kann, insbesondere bei chronischen Prozessen, durch eine mehr als 10-fach gesteigerte Erythropoese kompensiert werden. Eine schwere Anämie tritt erst auf, wenn die Lebensdauer der Erythrozyten auf etwa ein Zehntel der Norm verkürzt ist, also auf rund 12 Tage. Die gesteigerte Erythropoese kann über eine Suppression der Hepcidinsynthese eine gesteigerte enterale Eisenresorption vermitteln und birgt langfristig das Risiko einer Eisenüberladung.
Bei chronischen hämolytischen Anämien besteht eine Balance zwischen beschleunigtem Erythrozytenabbau und gesteigerter Erythropoese. Das Gleichgewicht kann sowohl durch eine gesteigerte Hämolyse als auch durch eine gedrosselte Erythropoese verschoben werden. Dies wird besonders offensichtlich bei der durch Parvovirus B19 induzierten aplastischen Krise (Abschn. 3.10), gilt aber auch bei anderen Infekten, die zu einer Anämisierung führen können.
Die Ursachen einer verkürzten Erythrozytenlebensdauer können intrinsisch sein, also den Erythrozyten innewohnen, oder extrinsisch, also durch äußere Einwirkung auf die Erythrozytenmembran entstehen. Die meisten intrinsischen oder korpuskulären Hämolysen sind hereditär bedingt. Hierzu zählen die Erythrozytenmembrandefekte, die Erythrozytenenzymdefekte und die Hämoglobinopathien. Sie manifestieren sich überwiegend postnatal, selten in utero. Extrinsische oder extrakorpuskuläre Hämolysen sind seltener als die intrinsischen und umfassen die Autoimmunhämolysen und Hämolysen durch physikalische oder toxische Schädigung der Erythrozytenmembran.
Klinische Symptome
Die klinischen Zeichen der Hämolyse sind, neben der Anämiesymptomatik, Ikterus und Splenomegalie. Neugeborene mit hämolytischer Anämie präsentieren sich oft mit Icterus gravis et prolongatus. Im Blutbild spiegelt sich die kompensatorisch gesteigerte Erythropoese in einer Retikulozytose wider, in extremen Fällen und vor allem bei Neugeborenen finden sich im peripheren Blut Normoblasten. Diese gelten jenseits des Neugeborenenalters als Ausdruck einer extramedullären Erythropoese. Der beschleunigte Erythrozytenabbau setzt Hämoglobin frei, welches an Haptoglobin bindet und dessen Plasmakonzentration verringert. Produkt des Häm-Abbaus ist Bilirubin, das biliär ausgeschieden wird und zur Bildung von Pigmentgallensteinen führen kann. Bleibt die Hämolyse nicht auf das extravasale Kompartiment beschränkt, finden sich im Serum auch freies Hämoglobin und eine stark erhöhte Laktatdehydrogenase. Bei akuten, schweren Hämolysen kann im Urin Hämoglobin nachgewiesen werden und makroskopisch den Urin dunkel rot verfärben.
Diagnose
Neben den genannten, auf eine Hämolyse hinweisenden Parametern Retikulozyten, unkonjugiertes Bilirubin und Haptoglobin ist der erste Schritt bei der Diagnostik einer hämolytischen Anämie die Beurteilung der Erythrozytenmorphologie. Sphärozyten, die im Ausstrich als kleinere, dunkle Zellen ohne zentrale Aufhellung erscheinen (Abb. 4), können auf eine Sphärozytose, aber auch auf Membranverluste der Erythrozyten bei Autoimmunhämolyse hindeuten. Spezifischere Formen sind Elliptozyten (Abb. 5), Stomatozyten (Abb. 6) und insbesondere Fragmentozyten (Abb. 7). Letztere sind bizarr geformte, wie „angebissen“ erscheinende, oft auch in Helmform auftretende Erythrozytenfragmente, die als Alarmsignal eine mechanische, meist mikroangiopathisch bedingte Hämolyse anzeigen.

Hereditäre Membrandefekte

Die Erythrozytenmembran besteht aus einer Doppelschicht asymmetrisch angeordneter Lipide, aus integralen Membranproteinen, wie dem Bande-3-Protein, und aus peripheren Membranproteinen, wie dem Spektrin. Spektrin bildet ein elastisches Netzwerk, das über verschiedene andere periphere Membranproteine, insbesondere Ankyrin, an integrale Membranproteine angeheftet ist und dem Erythrozyten Form und Verformbarkeit verleiht (Abb. 8). Ist die „vertikale“ Interaktion des Spektrinnetzwerks mit den integralen Membranproteinen geschwächt, verliert der Erythrozyt Membranvesikel und wandelt sich dadurch zum Sphärozyt. Bei Krankheiten mit veränderter Erythrozytenform ohne Membranverlust, wie der Elliptozytose oder der Pyropoikilozytose, ist die „horizontale“ Interaktion zwischen den Spektrindimeren gestört.
Schon Reduktionen in der Expression von Proteinen des Zytoskeletts und der erythrozytären Membran um 10–15 % führen zu einer messbaren und klinisch relevanten Erhöhung der Membranfragilität.

Hereditäre Sphärozytose

Pathogenese
Die hereditäre Sphärozytose wird in rund drei Viertel der Fälle dominant vererbt. Etwa ein Viertel der Patienten hat eine negative Familienanamnese, sodass man eine rezessive Vererbung oder Neumutationen annehmen muss. Unter den molekular charakterisierten Sphärozytoseerkrankungen fanden sich bei europäischen Patienten in etwa der Hälfte der Fälle Mutationen in Ankyrin-1, in einem Viertel der Fälle im Bande-3-Protein und in einem Fünftel in β-Spektrin. Seltene Ursachen sind Mutationen in α-Spektrin und im Protein 4.2. Die reduzierte Expression der betroffenen Proteine führt zu einem Verlust von Membranbestandteilen als Mikrovesikel. Der verbleibende Sphärozyt hat ein verringertes Verhältnis von Oberfläche zu Volumen und ist dadurch weniger verformbar. Gleichzeitig sind die Zellen relativ dehydriert, woraus auch eine erhöhte zelluläre Hämoglobinkonzentration (MCHC) resultiert.
Obwohl diese veränderten Eigenschaften der Erythrozyten auch in vitro nachweisbar und von diagnostischer Bedeutung sind, werden sie in vivo nur bei regelrechter Funktion der Milz relevant. Zur Ausprägung einer Anämie bei Sphärozytose bedarf es also nicht nur des intrinsischen Defekts der Erythrozytenmembran, sondern auch der Filterfunktion der Milz.
Epidemiologie
Die Häufigkeit der klinisch relevanten Sphärozytose wird in der nordeuropäischen Bevölkerung mit etwa 1:2000 angegeben. Asymptomatische Merkmalsträger mit pathologischer Erythrozytenfragilität finden sich unter gesunden Blutspendern zu etwa 1 %.
Klinische Symptome
Die typische Manifestation einer Sphärozytose ist die eines schweren und prolongierten Neugeborenenikterus, der in eine Anämie mit Ikterus und Splenomegalie übergeht. Allerdings kann der Schweregrad einer Sphärozytose stark variieren und reicht von dauerhafter Transfusionsbedürftigkeit bis hin zu klinisch asymptomatischen Merkmalsträgern. Bei letzteren kann eine aplastische Krise bei Primärinfektion mit Parvovirus B19 erste und einzige Manifestation sein und mitunter bei mehreren, bis dato asymptomatischen Familienmitgliedern gleichzeitig auftreten. Bei Neugeborenen und jungen Säuglingen wird die Anämie oft durch eine inadäquat niedrige Retikulozytenzahl aggraviert, die wiederum auf einer niedrigen Erythropoetinsekretion beruht.
Häufige Komplikationen sind Gallensteine (bei 5 % der Patienten im Alter von 10 Jahren, bis 50 % im Alter von 40 Jahren) und infektgetriggerte hämolytische Krisen. Diese zeichnen sich durch einen verstärkten Ikterus aus, verlaufen leichter als aplastische Krisen und können im Gegensatz zu letzteren wiederholt auftreten. Komplikationen durch die gesteigerte Erythropoese, wie sie bei den Thalassämien auftreten, sind bei der Sphärozytose seltene Ausnahmen.
Der klinische Schweregrad der Sphärozytose wird gemäß Tab. 3 eingeteilt und leitet therapeutische Entscheidungen. Aufgrund der altersbedingt oft unzureichenden Kompensation der Anämie im Neugeborenenalter gehen Transfusionen während dieser Zeit nicht in die Bewertung des Schweregrades ein.
Tab. 3
Schweregrade der hereditären Sphärozytose (modifiziert nach Eber und Andres 2016, S1-Leitlinie der AWMF 025/018: Hereditäre Sphärozytose)
Parameter
Leicht
Mittelschwer
Schwer
Sehr schwer
Hb (g/dl)
11–15
8–11
6–8
<6
1,5–6
6–10
>10
>10
Bilirubin (mg/dl)
1–2
>2
2–3
>3
Transfusionen
0–1
0–2
>2
Regelmäßig
Diagnose
Die Sphärozytose ist die häufigste Differenzialdiagnose der hämolytischen Anämien mit negativem Antikörpersuchtest. Anamnestisch hinweisend können die Familienanamnese und auch die Untersuchung der Eltern (Splenomegalie) sein. In der Basisdiagnostik fällt eine hyperregeneratorische, normozytäre Anämie auf, oft ist die MCHC über die Norm erhöht. Im Blutausstrich finden sich typischerweise Sphärozyten (Abb. 4), deren Nachweis ist jedoch weder spezifisch noch sensitiv für die hereditäre Sphärozytose. Die seit Jahrzehnten etablierte Messung der osmotischen Resistenz in abnehmend konzentrierter Kochsalzlösung ist schwer standardisierbar und hat sich, auch in der Modifikation mit 24 Stunden Vorinkubation bei 37 °C, als nicht ausreichend sensitiv herausgestellt. Sie wurde abgelöst durch die Messung der Bindung von Eosin-5-Maleimid (EMA) an die Erythrozyten mittels Durchflusszytometrie und durch den „acidified glycerol lysis test“, eine Modifikation der Messung der osmotischen Resistenz. Die Kombination dieser beiden Methoden hat sich als sehr sensitiv herausgestellt. In der Mehrheit der Fälle ist die elektrophoretische Auftrennung der Erythrozytenmembranproteine oder eine genetische Untersuchung nicht notwendig.
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnose der hämolytischen Anämie mit negativem Coombs-Test umfasst neben der häufigen Sphärozytose andere hereditäre Membrandefekte, die Defekte des erythrozytären Stoffwechsels und die Hämoglobinopathien. Diese Gruppe der seltenen „nicht-sphärozytotischen hereditären hämolytischen Anämien“ erfordert zur Diagnosestellung oft Untersuchungen in spezialisierten Labors. Eine weitere am peripheren Blutbild nicht immer abgrenzbare Differenzialdiagnose ist die kongenitale dyserythropoetische Anämie (Tab. 7). Diese kann sich aufgrund der ineffektiven Erythropoese ebenfalls mit einer Erhöhung von Bilirubin und mit einer Splenomegalie präsentieren. Sie kann anhand der relativ zum Hämoglobinwert nicht adäquat erhöhten Retikulozytenzahl meist abgegrenzt werden. In Zweifelsfällen kann der häufigere Typ II der kongenitalen dyserythropoetischen Anämie anhand der Hypoglykosylierung des Bande-3-Proteins und mittels Sequenzanalyse des SEC23B-Gens nachgewiesen werden.
Therapie
Die symptomatische Therapie der Sphärozytose besteht aus Bluttransfusionen bei aplastischen oder ausgeprägten hämolytischen Krisen. Auch im jungen Säuglingsalter können, bedingt durch den altersbedingt niedrigen Erythropoetinspiegel, Transfusionen notwendig werden. In Einzelfällen wurden durch die vorübergehende Gabe von Erythropoetinanaloga im Säuglingsalter Transfusionen eingespart.
Da die Erythrozyten bei der Sphärozytose nahezu ausschließlich in der Milz abgebaut werden, können durch eine Splenektomie Hämoglobinwert, Bilirubin und Retikulozytenzahl normalisiert werden. Die mit verschiedenen Methoden nachweisbare erhöhte Fragilität der Erythrozyten bleibt auch nach Splenektomie bestehen.
Gegen den Vorteil einer Normalisierung der hämatologischen Parameter und damit einer klinischen Gesundung ist neben dem operativen Risiko der Splenektomie insbesondere das lebenslang andauernde Risiko von infektiösen Komplikationen abzuwägen: Patienten mit leichter und oft auch mittelschwerer Verlaufsform bedürfen keiner Intervention, bei wiederholter Transfusionsbedürftigkeit wird jedoch die Splenektomie empfohlen. Das Risiko der Postsplenektomiesepsis („overwhelming post-splenectomy infection, OPSI“) durch kapseltragende Bakterien wie Pneumokokken oder Haemophilus influenzae betrifft insbesondere Kleinkinder, die noch keine humorale Immunität gegen diese Erreger erworben haben. Daher wird die Splenektomie möglichst erst jenseits des Alters von 5 Jahren und nach vollständiger Immunisierung gegen bekapselte Erreger durchgeführt. In 100 Patientenjahren treten 0,05–0,3 Postsplenektomieseptikämien auf. Dieses Risiko kann durch die prophylaktische Gabe von Penicillin verringert werden. Zur Dauer der Penicillinprophylaxe gibt es keine gesicherten Daten. Auch nach ihrer Beendigung sollten die Patienten bei Fieber unverzüglich eine antibiotische Therapie beginnen und einen Arzt aufzusuchen. Die Frühintervention stellt nachgewiesenermaßen die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung OPSI-bedingter Sterblichkeit dar.
Gegenüber der vollständigen Splenektomie bietet die subtotale Splenektomie den theoretischen Vorteil einer teilweise erhaltenen Immunfunktion, allerdings um den Preis einer erhöhten Rezidivrate. Liegen Gallensteine vor, sollte die Splenektomie mit einer Cholezystektomie kombiniert werden.

Hereditäre Elliptozytose und Pyropoikilozytose

Pathogenese
Bei der hereditären Elliptozytose ist die „horizontale“ Vernetzung des Membranskeletts destabilisiert, sodass es unter mechanischem Stress zur Fragmentierung von Erythrozyten und zur Hämolyse kommt. Häufigste molekulare Ursache hierfür sind Mutationen, die die Heterodimerisierung des Spektrins beeinträchtigen. Neben Mutationen des α-Spektrins wurden auch solche des β-Spektrins und des Protein 4.1 beschrieben.
Aufgrund der oft subklinischen Ausprägung liegen keine sicheren Aussagen zur Prävalenz der Elliptozytose vor, sie soll mit rund 1:2000 etwa derjenigen der Sphärozytose entsprechen. Im Gegensatz zu dieser treten manche Formen der Elliptozytose in den Malariagebieten Zentralafrikas gehäuft auf.
Klinische Symptome und Diagnose
Die hereditäre Elliptozytose ist eine meist dominant vererbte hämolytische Anämie, die sich durch eine große Variabilität des Schweregrades und der klinischen Ausprägung auszeichnet. Die häufigste Form, die gewöhnliche hereditäre Elliptozytose, liegt bei heterozygoter α-Spektrinmutation vor und manifestiert sich typischerweise als asymptomatische, kompensierte Hämolyse mit Nachweis von >30 % Elliptozyten im Blutbild, niedrigem Haptoglobin und mäßig erhöhter Retikulozytenzahl. Durch das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Mutationen, die die Vernetzung des Membranskeletts beeinträchtigen, können alle Schweregrade einer hämolytischen Anämie bis hin zur Transfusionsbedürftigkeit entstehen. Neugeborene können sich mit schwerem Neugeborenenikterus präsentieren, jedoch liegen nicht immer die typischen Elliptozyten in diagnostischer Zahl vor. In diesen Fällen kann eine Untersuchung der Erythrozytenmorphologie beider Eltern wegweisend sein. Die Diagnose der hereditären Elliptozytose stützt sich vorwiegend auf die Erythrozytenmorphologie bei Patient und Eltern, Spezialuntersuchungen wie die Quantifizierung von Spektrinoligomeren oder der molekulare Mutationsnachweis sind selten indiziert.
Die hereditäre Pyropoikilozytose (griech.: „pyr“ Feuer, „poikilo“ bunt, verschiedenartig und „cýtos“ Zelle) wird als Extremvariante der Elliptozytose aufgefasst, bei der neben einer ausgeprägten hämolytischen Anämie eine bunte Erythrozytenmorphologie mit Sphärozyten und Erythrozytenfragmenten, jedoch oft nur wenige Elliptozyten vorliegen (Abb. 5). Durch die zahlreichen Erythrozytenfragmente imponiert die Pyropoikilozytose als mikrozytär. Namensgebend war hier die ausgeprägte thermische Instabilität: Während normale Erythrozyten bei 49 °C fragmentieren, ist das bei der Pyropoikilozytose schon bei 45 °C der Fall. Bei der Pyropoikilozytose besteht im Säuglings- und Kleinkindesalter häufig Transfusionsbedarf, der sich später zurückbilden kann.
Eine Sonderform ist die auf Melanesien (pazifische Inselgruppe) begrenzte, dominant vererbte südostasiatische Ovalozytose, die sich neben einer leichten Hämolyse durch eine relative Malariaresistenz auszeichnet. Bei ihr liegt eine heterozygote Mutation des Gens für das Bande-3-Protein vor, morphologisch finden sich neben Elliptozyten auch die pathognomonischen stomatozytischen Elliptozyten, bei denen die zentrale Aufhellung durch einen Balken zweigeteilt ist. Homozygotie für die entsprechende Mutation wurde bislang nie gefunden, sie verursacht mutmaßlich einen intrauterinen Fruchttod durch Hydrops fetalis.
Wie andere chronisch-hämolytische Anämien auch, kann sich die Elliptozytose mit einer aplastischen Krise bei Erstinfektion mit Parvovirus B19 oder auch mit einer Cholelithiasis manifestieren.
Therapie
Wie bei der hereditären Sphärozytose kann auch bei der Elliptozytose durch eine Splenektomie die Hämolyse verringert und der Hämoglobinwert normalisiert werden. Die Indikation hierzu wird in Analogie zur Sphärozytose in Abhängigkeit vom Schweregrad gestellt, in der Regel anhand des Transfusionsbedarfs.

Andere hereditäre Membrandefekte

Eine heterogene Gruppe von dominant vererbten Veränderungen der Eythrozytenmembran ist durch die veränderte Membranpermeabilität für Kationen charakterisiert. Diese kann durch einen vermehrten Natriumeinstrom zu einem Anschwellen der Zellen (hereditäre Stomatozytose, Abb. 6) oder über einen vermehrten Kaliumausstrom zu einem Schrumpfen der Zellen (hereditäre Xerozytose) führen. Über die Messung des MCHC können, über die charakteristische Erythrozytenmorphologie hinaus, Formen mit dehydrierten Erythrozyten von solchen mit überhydrierten Erythrozyten unterschieden werden. Dazwischen besteht ein breites Spektrum von Mischformen, zu denen neben hämolytischen Anämien auch die familiäre Pseudohyperkaliämie zählt. Pathogenetisch liegen Veränderungen von Transmembrantransportern zugrunde, beispielsweise durch Mutationen in dem mechanosensitiven Kationenkanal PIEZO1 bei der hereditären Xerozytose.
Die Diagnose wird anhand der Erythrozytenmorphologie und der Familienanamnese vermutet. Die Abgrenzung zur hereditären Sphärozytose und zur Elliptozytose ist relevant, weil eine Splenektomie bei der Xerozytose und bei der Stomatozytose mit einem hohen Risiko für thrombembolische Komplikationen bis hin zum fatal verlaufenden pulmonalen Hypertonus verbunden und deshalb kontraindiziert ist.

Hereditäre Enzymdefekte der Erythrozyten

Erythrozyten sind Zellen ohne Organellen und verfügen damit über ein stark eingeschränktes Stoffwechselrepertoire (Abb. 9). Einzige Energiequelle ist der glykolytische Abbau von Glukose zu Laktat. Das dabei frei werdende ATP wird hauptsächlich für den Erhalt des elektrochemischen Gradienten der Zellmembran benötigt. Da Erythrozyten in ihrer Eigenschaft als Sauerstofftransporter und aufgrund der Redoxeigenschaften des Häm-Eisens einem unablässigen oxidativen Stress ausgesetzt sind, müssen sie nicht nur Energie in Form von ATP, sondern auch Reduktionsmittel in Form von NADPH bereitstellen. Letzteres wird für die Entgiftung von Peroxiden über das Glutathionsystem eingesetzt. Die Reduktion des ständig spontan entstehenden Methämoglobins wird über das bei der Glykolyse anfallende NADH bestritten.
Nahezu alle Zellen des Körpers hängen von der Glykolyse ab, dennoch manifestieren sich die meisten Enzymopathien der Glykolyse ausschließlich mit Hämolyse. Nur wenige Glykolysedefekte betreffen auch andere Gewebe und verursachen etwa schwere neuromuskuläre Störungen, wie der seltene Triosephosphatisomerasemangel. Die scheinbar exklusive Sensitivität der Erythrozyten gegenüber Enzymopathien erklärt sich nicht nur aus der gewebespezifische Expression von Isoenzymen, sondern vor allem auch aus dem Unvermögen reifer Erythrozyten, Proteine neu zu synthetisieren und damit die verminderte Stabilität eines Enzyms zu kompensieren.
Die meisten erythrozytären Enzymdefekte sind autosomal-rezessiv vererbt. Wichtigste Ausnahme ist der häufige Mangel der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase, der X-chromosomal vererbt wird.
Der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel verläuft meist in Schüben, seltener als chronische hämolytische Anämie. Die anderen Enzymopathien werden vermutet bei kongenitalen chronischen hämolytischen Anämien, die keine charakteristischen Auffälligkeiten der Erythrozytenmorphologie aufweisen und bei denen kein Hinweis auf eine Antikörperbeladung der Erythrozyten, also ein negativer Coombs-Test, vorliegt (hereditäre, chronische, nicht-sphärozytotische hämolytische Anämie). Ein universeller Screening-Test für Enzymopathien steht nicht zur Verfügung, sodass zur Diagnosestellung die Aktivitäten aller infrage kommenden erythrozytären Enzyme bestimmt werden müssen.

Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel

Der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel ist die häufigste Enzymmangelkrankheit und betrifft weltweit über 400 Mio. Menschen. Aus der Übereinstimmung des Verbreitungsgebiets des Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangels mit dem der Malaria hat man geschlossen, dass Menschen mit Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel durch eine relative Resistenz gegen Malaria einen Überlebensvorteil genießen.
Genetik und Pathogenese
Der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel wird X-chromosomal vererbt. Dennoch können auch heterozygote Frauen betroffen sein: Nach der Lyon-Hypothese wird in jeder Körperzelle zufallsmäßig eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert, sodass ein somatisches Mosaik resultiert. Folglich besitzt etwa die Hälfte der Erythrozyten die Enzymausstattung eines hemizygoten Mannes und ist entsprechend empfindlich gegen Hämolyse. Darüber hinaus können vor allem in Kulturkreisen mit einer hohen Rate konsanguiner Partnerschaften Mädchen und Frauen von einem homozygoten Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel betroffen sein.
Bislang wurden rund 140 verschiedene Mutationen im Gen für die Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase beschrieben, überwiegend Missense-Mutationen, die die Stabilität des Enzyms verringern. Bei den häufigen Mutationen mit höherer Restaktivität des Enzyms tritt eine Hämolyse nur krisenhaft auf bei Einwirkung von Noxen, wie der Einnahme bestimmter Medikamente oder bei Infektionen. Bei den seltenen sporadisch auftretenden Mutationen mit geringer Restaktivität kommt es zu dem Bild einer chronischen, nicht sphärozytotischen hämolytischen Anämie.
Die Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase als Schlüsselenzym des Pentosephosphatwegs wird für die Bereitstellung von Reduktionsäquivalenten zur Detoxifizierung von reaktiven Sauerstoffspezies benötigt. In gesunden Erythrozyten arbeitet die Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase nur mit 1–2 % ihrer maximalen Aktivität, sodass eine große Reserve an Reduktionspotenzial besteht. Diese fehlt beim Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel, sodass oxidativer Stress nicht kompensiert werden kann und zur akuten Hämolyse führt.
Klinische Symptome und Diagnose
Viele Menschen mit reduzierter Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Aktivität bleiben lebenslang asymptomatisch. Im symptomfreien Intervall ergeben sich aus dem Blutbild keine Auffälligkeiten. Erstes Krankheitszeichen kann ein Neugeborenenikterus im Sinne eines Icterus gravis sein. Die typische klinische Manifestation jedoch ist die akute hämolytische Krise mit Ikterus, Rückenschmerzen, Anämie und Hämoglobinurie, selten bis zum akuten Auftreten eines Nierenversagens. Im Blutbild finden sich oft Heinz-Körperchen, also Präzipitate denaturierten Hämoglobins, eine Anisozytose und eine Poikilozytose. Ausgelöst werden diese Krisen durch Infektionen (u. a. Hepatitis, Zytomegalievirus), den Verzehr von Saubohnen (Vicia faba) und durch bestimmte Medikamente. Hierzu zählen unter anderem Malariamittel wie Primaquin und Antibiotika wie Sulfamethoxazol oder Nitrofurantoin. Eine ausführliche Liste risikobehafteter Medikamente wird von der Associazione Italiana Favismo gepflegt und kann unter www.g6pd.org abgerufen werden.
Bei entsprechender Anamnese und Klinik ist die Diagnose Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel wahrscheinlich und kann durch eine Messung der Enzymaktivität in Erythrozyten bestätigt werden. Dabei muss beachtet werden, dass unmittelbar nach einer hämolytischen Krise ein Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel verschleiert sein kann, weil Retikulozyten und junge Erythrozyten wesentlich höhere Enzymaktivitäten aufweisen als gealterte Erythrozyten.
Therapie und Prophylaxe
Die meisten Patienten mit Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel können ein weitgehend normales Leben führen, indem sie die Noxen meiden, die eine hämolytische Krise auslösen können. Das setzt voraus, dass die Patienten und ihre Ärzte die Diagnose kennen und über auslösende Faktoren geschult sind. Selbsthilfegruppen tragen hierzu bei.
Die Behandlung des Neugeborenenikterus bei Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel unterscheidet sich nicht von der des Neugeborenenikterus aus anderer Ursache. Häufig sind allerdings intensive Fototherapie und Transfusionen notwendig. Neugeborene mit Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Kernikterus. Obwohl Patienten mit chronischer hämolytischer Anämie aufgrund eines Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangels gelegentlich eine Splenomegalie entwickeln, profitieren sie meist nicht von einer Splenektomie.

Pyruvatkinasemangel

Der Pyruvatkinasemangel ist der häufigste Defekt der erythrozytären Glykolyse und damit die häufigste Ursache der hereditären, chronischen, nichtsphärozytotischen hämolytischen Anämie. Seine Prävalenz in der weißen Bevölkerung wird auf 1:20.000 geschätzt.
Genetik und Pathogenese
Der Pyruvatkinasemangel wird autosomal-rezessiv vererbt. Bislang wurden etwa 160 verschiedene Mutationen beschrieben, die über eine Verminderung der Pyruvatkinaseaktivität zu einer hämolytischen Anämie führen. Die Pyruvatkinase katalysiert den letzten Schritt der Glykolyse, nämlich die unter physiologischen Bedingungen nahezu irreversible Übertragung eines Phosphatrests von Phosphoenolpyruvat auf ADP. Beim Pyruvatkinasemangel wird die ATP-Synthese durch die Glykolyse blockiert, gleichzeitig häufen sich die proximalen Metabolite der Glykolyse an. Hierzu zählt unter anderem 1,3-Bisphosphoglycerat, das wiederum im Gleichgewicht mit 2,3-Bisphosphoglycerat steht. Dieser Metabolit senkt die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins und fördert die Sauerstoffabgabe ins Gewebe, wodurch Patienten mit Pyruvatkinasemangel niedrigere Hämoglobinwerte tolerieren als Patienten mit Anämien anderer Ursache. Auf welchem Weg die ATP-Depletion der Erythrozyten zur Hämolyse führt und ob daran noch andere Mechanismen beteiligt sind, ist unbekannt.
Klinische Symptome und Diagnose
Der klinische Schweregrad des Pyruvatkinasemangels kann variieren von einer subklinischen, kompensierten hämolytischen Anämie bis zum anhaltenden Transfusionsbedarf ab dem Neugeborenenalter. Präsentierende Symptome sind Ikterus in der Neonatalzeit und darüber hinaus, Anämiezeichen und Splenomegalie. Im Gegensatz zu anderen hämolytischen Erkrankungen sind die Retikulozytenzahlen oft nicht proportional zur Hämolyseaktivität erhöht, weil Retikulozyten und junge Erythrozyten bevorzugt in der Milz sequestriert werden. Als Komplikationen können insbesondere Gallensteine und eine Hämosiderose auftreten. Letztere ist nicht nur durch wiederholte Transfusionen begünstigt, sondern auch durch die Suppression von Hepcidin durch die gesteigerte Erythropoese.
Die Diagnose wird anhand der Aktivitätsmessung der Pyruvatkinase aus Erythrozyten gestellt. Der Schweregrad der Hämolyse korreliert nur schwach mit der gemessenen Enzymaktivität. Häufige Fehlerquellen bei der Messung sind die Verunreinigung der Probe durch vorangegangene Transfusionen oder durch Leukozyten, die im Vergleich zu Erythrozyten eine um den Faktor 300 höhere Pyruvatkinaseaktivität aufweisen.
Therapie
Besonders im Neugeborenen- und Säuglingsalter sind Transfusionen oft unumgänglich. Aufgrund der oben erwähnten erniedrigten und damit für die Sauerstoffabgabe günstigen Sauerstoffaffinität der Erythrozyten bei Pyruvatkinasemangel sollte die Entscheidung zur Transfusion noch weniger als sonst durch den Hämoglobinwert, sondern durch die funktionelle Beeinträchtigung indiziert werden. Viele Patienten werden während des Kleinkindesalters transfusionsunabhängig oder brauchen Transfusionen nur noch in Ausnahmesituationen, wie bei Infektionen oder während der Schwangerschaft.
Bei anhaltendem Transfusionsbedarf ist die Splenektomie indiziert. Durch sie steigt in der Regel die Retikulozytenzahl stark an, der Hämoglobinwert wird um 1–3 g/dl angehoben. Auch nach einer Splenektomie besteht die Hämolyse weiter und kann unter anderem eine Cholelithiasis und eine Hämosiderose begünstigen. Zumindest bei regelmäßigen Transfusionen ist eine Chelattherapie nötig, um eine Eisenüberladung zu vermeiden.

Andere erythrozytäre Enzymdefekte

Neben den beiden relativ häufigen Mängeln der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase und der Pyruvatkinase sind noch weitere, seltene Enzymopathien als Ursache hämolytischer Anämien beschrieben worden. Sie werden in Tab. 4 zusammengestellt. Gemeinsam ist allen Erkrankungen das Fehlen kausaler Therapieoptionen. Die symptomatische Therapie besteht aus Transfusionen bei entsprechender Indikation, gegebenenfalls begleitet von einer Eisenchelattherapie. Wie bei allen chronischen hämolytischen Anämien kann dem erhöhten Folsäurebedarf durch Folsäuresupplementation begegnet werden.
Tab. 4
Seltene hereditäre Defekte des erythrozytären Stoffwechsels
Vererbung
Klinik
Therapie
Besonderheit
Autosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse
Symptomatisch
Unvollständiges Ansprechen auf Splenektomie
Glucosephosphatisomerase
Autosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse, gelegentlich krisenhaft;
selten neuromuskuläre Erkrankung
Symptomatisch;
Splenektomie
Retikulozytose nach Splenektomie
Phosphofructokinase
Autosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse; Myopathie (entspricht Glykogenose Typ VII, Tarui)
Symptomatisch
Je nach Art der Mutation nur Muskelzellen oder nur Erythrozyten oder beide betroffen
Aldolase
Autosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse; Myopathie
Symptomatisch
Schweregrad der Myopathie sehr variabel
Triosephosphatisomerase
Autosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse, schwere neuromuskuläre Störung
Symptomatisch, allogene Stammzelltransplantation
Schweregrad der neuromuskulären Erkrankung ist limitierend und führt oft im Kleinkindalter zum Tod
Phosphoglyceratkinase
X-chromosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse; bei ♂ gelegentlich auch neurologische Störungen oder Myopathie in wechselnder Ausprägung
Symptomatisch; Splenektomie
Heterozygote Frauen können als somatisches Mosaik symptomatisch mit Hämolyse, nicht jedoch mit neuromuskulärer Störung sein
Pyrimidin 5′-Nucleotidase
Autosomal-rezessiv
Chronische Hämolyse
Symptomatisch
Charakteristische basophile Tüpfelung
DD Bleivergiftung!
Adenosindesaminase
Autosomal-dominant
Chronische Hämolyse
Symptomatisch
Einzige Enzymopathie, bei der erhöhte Enzymaktivitäten eine Hämolyse bedingen

Immunhämolytische Anämien

Im Gegensatz zu den intrinsischen oder korpuskulären hämolytischen Anämien, die durch Veränderungen der Membran oder des Stoffwechsels der Erythrozyten selbst verursacht sind, zählen die immunhämolytischen Anämien zu den extrinsischen Hämolysen. Gemeinsam ist allen Formen der immunhämolytischen Anämien das Vorliegen von gegen Erythrozyten gerichteten Antikörpern. Diese verkürzen die Lebensdauer der Erythrozyten entweder, indem sie die Erythrozyten für die Makrophagen des retikuloendothelialen Systems zum Abbau markieren oder indem sie die Erythrozyten direkt durch Aktivierung des Komplementsystems zerstören. Im ersten Fall spricht man von einer extravasalen Hämolyse, im zweiten von intravasaler Hämolyse.
Die Geschwindigkeit der extravasalen Hämolyse wird durch die Kapazität des retikuloendothelialen Systems von Milz und Leber begrenzt, der Abbauort der Erythrozyten wird klinisch durch eine Splenomegalie, seltener Hepatomegalie offensichtlich. Bei einer alleinigen extravasalen Hämolyse treten zwar die laborchemischen Zeichen der Hämolyse mit Anämie, Retikulozytose, Hyperbilirubinämie und Haptoglobinerniedrigung auf, jedoch findet sich typischerweise kein freies Hämoglobin im Plasma, keine exzessiv erhöhte LDH und keine Hämoglobinurie. Die seltenere intravasale, komplementvermittelte Hämolyse wird durch komplementaktivierende Antikörper ausgelöst und geht aufgrund des fulminanteren Verlaufs mit der Freisetzung von Hämoglobin ins Plasma häufiger mit einer Hämoglobinurie und mit der Gefahr des akuten Nierenversagens einher.
Diagnostisch wegweisend für immunhämolytische Anämien ist der Nachweis einer Antikörperbeladung der Erythrozyten im direkten Antiglobulin-Test, auch Coombs-Test genannt. Hierfür werden Patientenerythrozyten mit Serum inkubiert, das gegen humane Immunglobuline gerichtet ist. Eine Agglutination zeigt die Antikörperbeladung der Erythrozyten an.

Isoimmunhämolytische Anämien

Unter isoimmunhämolytischen Anämien versteht man antikörpervermittelte Hämolysen, die nicht durch Autoantikörperbildung vermittelt werden. Sie kommen zustande durch passive Übertragung von antierythrozytären Antikörpern von der Mutter auf das ungeborene, nicht blutgruppenkompatible Kind (Morbus haemolyticus neonatorum), durch Transfusion von erythrozytären Antikörpern mit nicht blutgruppenkompatiblem Plasma oder durch Transfusion von nicht kompatiblen Erythrozytenkonzentraten. Häufigste Ursache ist der physiologische Übergang von fetalen Zellen in den Kreislauf der Mutter, der bei entsprechender Inkompatibilität (typischerweise eines Rh(+)-Kindes bei Rh(−)-Mutter) eine Immunisierung der Mutter verursacht und bei einer folgenden Schwangerschaft zum Morbus haemolyticus neonatorum führen kann. Daher muss bei Rh(−)-Schwangeren peripartal und bei pränatalen Eingriffen, wie etwa Amniozentesen, die Anti D-Prophylaxe durchgeführt werden. Außerdem müssen Rh(−)-Frauen stets mit Rh(−)-Blut transfundiert werden.
Die Symptomatik der isoimmunhämolytischen Anämie hängt von der Art der Autoantikörper ab. Beim Morbus haemolyticus neonatorum, der Rhesus-Erythroblastose, werden Antikörper der Klasse IgG übertragen, die eine chronische extravasale Hämolyse verursachen und bei Überschreitung der Kompensationsfähigkeit des Feten zum Hydrops fetalis führen. Bei der Transfusion von im AB0-System inkompatiblen Blutkonserven führen die Isoagglutinine des Empfängers, die der Klasse IgM angehören, über eine Komplementaktivierung zu einer fulminanten intravasalen Hämolyse mit schwersten Allgemeinreaktionen bis zum Schock und zur Verbrauchskoagulopathie. Bei den ersten Anzeichen einer solchen Transfusionsreaktion muss die Transfusion abgebrochen und eine Schocktherapie eingeleitet werden. Hochdosierte Glukokortikoide können hilfreich sein.

Autoimmunhämolytische Anämie

Autoimmunhämolytische Anämien (AIHA) gelten im Kindesalter als selten, ihre Inzidenz wird auf weniger als 1:100.000 geschätzt. Bei rund der Hälfte der Patienten tritt die AIHA nicht isoliert (primäre AIHA), sondern im Kontext einer systemischen Autoimmun- oder Immundefekterkrankung (sekundäre AIHA) auf. Eine Assoziation mit malignen Erkrankungen, wie sie im Erwachsenenalter besteht, ist bei Kindern und Jugendlichen selten.
Klassifizierung
Die gebräuchlichste Klassifizierung der AIHA berücksichtigt das Temperaturoptimum für die Bindung der Autoantikörper an Erythrozyten in vitro und die Klasse der Autoantikörper.
Die AIHA vom Wärmetyp wird überwiegend durch IgG-Autoantikörper verursacht, die bei Körpertemperatur optimal an Erythrozyten binden. Wärmeantikörper können meist in vivo kein Komplement aktivieren und führen zu einer extravasalen Hämolyse. Klinisch fallen neben Anämiezeichen, Splenomegalie und Ikterus bei der akuten Form oft auch Fieber und Bauchschmerzen auf, gelegentlich kann die Hämolyse jedoch auch kompensiert sein und chronisch verlaufen.
Bei der AIHA vom Kältetyp liegen Autoantikörper der Klasse IgM vor, überwiegend postinfektiös nach Mykoplasmenpneumonie oder EBV-Primärinfektion. Diese binden in vitro bei etwa 4 °C optimal an Erythrozyten und können bei höheren Temperaturen über eine direkte Komplementaktivierung zur intravasalen Hämolyse führen. Das Ausmaß der Hämolyse wird durch die Temperaturamplitude und den Titer der Autoantikörper bestimmt, die Klinik gleicht derjenigen der akuten AIHA vom Wärmetyp. Durch die intravasale Hämolyse tritt jedoch häufiger eine makroskopisch sichtbare Hämoglobinurie mit dunkelroter Urinfarbe auf. Meist ist die Erkrankung akut auftretend und innerhalb von Tagen reversibel. Die bei älteren Erwachsenen beschriebene chronische AIHA vom Kältetyp ist im Kindesalter eine Rarität.
Die paroxysmale Kältehämoglobinurie oder AIHA vom Typ Donath-Landsteiner tritt ausschließlich im Kindesalter nach viralen Infekten auf und wird durch Autoantikörper der Klasse IgG verursacht, die in der Kälte an Erythrozyten binden und durch Komplementaktivierung zur intravasalen Hämolyse führen. Klinisch fällt neben den anderen Hämolysezeichen vor allem die durch Kälteexposition induzierte Hämoglobinurie mit Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Fieber auf. Auch die AIHA vom Typ Donath-Landsteiner ist, wie die AIHA vom Kältetyp mit IgM-Autoantikörpern, oft innerhalb von Tagen reversibel.
Eine bei Kindern extrem seltene Sonderform der AIHA ist die durch medikamenteninduzierte oder medikamentenabhängige Autoantikörper ausgelöste. Häufigste auslösende Medikamente sind Antibiotika und nichtsteroidale Antiphlogistika.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Wie bei hämolytischen Anämien aus anderer Ursache findet sich bei der AIHA laborchemisch eine Anämie mit Retikulozytose und Hyperbilirubinämie. Das Ausmaß der LDH-Erhöhung im Plasma und der Nachweis freien Hämoglobins im Plasma weisen auf eine intravasal ablaufende Hämolyse hin. Auch eine Hämoglobinurie ist Zeichen der intravasalen Hämolyse und Warnsignal für ein drohendes Nierenversagen. Im Blutausstrich können sich agglutinierte Erythrozyten finden, oft auch eine durch die Autoantikörper vermittelte Kugelzellbildung, die morphologisch von der hereditären Sphärozytose nicht unterschieden werden kann.
Für die Diagnose und Klassifizierung entscheidend sind der Nachweis von gebundenen und freien Autoantikörpern und deren Klasse sowie einer Komplementbeladung der Erythrozyten. Bei vortransfundierten Patienten muss auch nach Alloantikörpern gesucht werden.
Nach Diagnose einer AIHA sollte stets auch nach zugrunde liegenden Immundefekt- und Autoimmunerkrankungen gesucht werden. Hierzu zählen die Messung der IgG-, IgA- und IgM-Spiegel, eine Immunphänotypisierung der Lymphozyten und der Nachweis antinukleärer Antikörper.
Therapie und Prognose
Bei lebensbedrohlicher Anämisierung ist die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten trotz grundkrankheitsbedingt positiver Kreuzprobe wirksam und sicher.
Die AIHA vom Wärmetyp spricht oft auf eine immunsuppressive Therapie mit Glukokortikoiden (Prednisolon 2 mg/kg/Tag oder Dexamethasonpulse 0,5 mg/kg/Tag für 4 Tage) an. Diese muss dann vorsichtig über Wochen reduziert werden. Die Therapie der steroidrefraktären und der steroidabhängigen AIHA kann die Hinzunahme von Azathioprin, in Ausnahmefällen auch Rituximab, Cyclophosphamid oder Cyclosporin A erfordern.
Die kälteabhängige AIHA ist oft rasch reversibel, sodass der Schutz vor Kälteexposition meist genügt. Glukokortikoide sind beim Vorliegen von Kälteantikörpern nicht gut wirksam.

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)

Definition und Pathogenese
Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) ist eine erworbene, klonale Erkrankung des Knochenmarks. Dem pathologischen Klon fehlt durch eine somatische Mutation des PIG-A-Genes die Fähigkeit zur Synthese von Membranproteinen mit Glykosylphosphatidylinositol(GPI)-Anker. Davon betroffen ist unter anderen das Protein CD59, dessen Wirkung als membranständiger Inhibitor der komplementvermittelten Lyse in den Zellen des pathologischen Klons fehlt. Obwohl auch Granulozyten und Monozyten denselben Defekt tragen, sind insbesondere Erythrozyten ohne GPI-verankerte Proteine empfindlich gegen komplementvermittelte, intravaskuläre Hämolyse.
Die PNH kann isoliert auftreten oder im Zusammenhang mit einem Knochenmarkversagen bei aplastischer Anämie oder im Rahmen eines MDS. Sie ist eine seltene Erkrankung, die überwiegend im Erwachsenenalter, gelegentlich jedoch auch bei Schulkindern und Jugendlichen auftritt.
Klinische Symptome und Diagnose
Die komplementvermittelte, intravasale Hämolyse ist, aufgrund des oft nächtlichen und krisenhaften Auftretens mit Hämoglobinurie, namensgebendes und oft auch präsentierendes Symptom der PNH. Ihr Schweregrad hängt von dem Anteil des GPI-defizienten Klons, dem Schweregrad der GPI-Defizienz und von der Komplementaktivität ab. Durch letzteres erklärt sich die oft durch Infekte ausgelöste Hämolyse. Die Hämolyse und damit verbundene Hämoglobinurie kann neben der Anämisierung zu weiteren Komplikationen führen, darunter zum akuten Nierenversagen, zur Hämosiderose der Nierentubuli mit chronischer Niereninsuffizienz und zum Eisenmangel. Freies Hämoglobin im Plasma bindet Stickstoffmonoxid (NO), wodurch dessen relaxierende Wirkung auf glatte Muskulatur verloren geht. Dadurch wird die insbesondere im Rahmen von hämolytischen Krisen auftretende gastrointestinale Symptomatik mit Bauchkrämpfen und Ösophagusspasmen, aber auch die typische erektile Dysfunktion erklärt.
Neben der Hämolyse die zweite bedrohliche Komplikation der PNH ist die Neigung zu venösen Thrombosen, oft auch in ungewöhnlichen Stromgebieten, wie den Lebervenen oder den intrakraniellen Sinus venosus.
Die PNH kann mit Thrombozytopenie und Neutropenie, also einer Knochenmarkinsuffizienz, einhergehen, die bis zur aplastischen Anämie fortschreiten kann. Bei einem Teil der Patienten mit aplastischer Anämie und refraktärer Zytopenie/MDS finden sich ebenfalls kleine GPI-defiziente Klone. Allerdings können auch bei gesunden Menschen gelegentlich Granulozyten mit PIG-A-Mutation und GPI-Defizienz nachgewiesen werden.
Die Diagnose einer PNH muss erwogen werden bei anderweitig nicht erklärlicher Hämolyse oder Zytopenie, bei Hämoglobinurie, bei ungewöhnlichen Thrombosen sowie bei allen Patienten mit aplastischer Anämie und MDS. Sie wird gesichert durch den durchflusszytometrischen Nachweis des GPI-defizienten Klons in Erythrozyten, Granulozyten oder beiden.
Therapie
Die etablierten Therapieoptionen bei der PNH sind Bluttransfusionen, Supplementation von Eisen und Folsäure, Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten oder fraktioniertem Heparin und bei aplastischer Anämie eine immunsuppressive Therapie. In ausgewählten Fällen wurde die allogene Stammzelltransplantation erfolgreich eingesetzt. Prognoselimitierend sind insbesondere thrombotische Ereignisse, die auch unter prophylaktischer Antikoagulation auftreten, aber auch die Progression in eine aplastische Anämie, ein MDS oder auch eine akute Leukämie.
Mit dem monoklonalen Antikörper Eculizumab, der gegen das Komplementprotein C5 gerichtet ist und die Bildung des terminalen Komplementkomplexes C5b-9 verhindert, wurde eine an der Pathophysiologie orientierte Therapie der PNH entwickelt. Eculizumab kann den Transfusionsbedarf verringern und die Komplikationen der Hämolyse verhindern, inklusive die belastenden gastrointestinalen Symptome. Auch die Rate bedrohlicher thrombotischer Ereignisse scheint durch Eculizumab deutlich gesenkt zu werden. Dennoch kann durch Eculizumab keine Heilung erzielt werden, da der GPI-defiziente und potenziell prämaligne Klon bestehen bleibt.

Mikroangiopathische hämolytische Anämie

Bei den mikroangiopathisch bedingten hämolytischen Anämien kommt es zur intravasalen Hämolyse durch mechanische Schädigung der Erythrozyten in einem pathologischen Gefäßbett. Meist ist die Hämolyse nur ein Aspekt einer schwerwiegenden Erkrankung, sie wird regelhaft von einer Thrombozytopenie begleitet. Im Blutausstrich finden sich die typischen Fragmentozyten, oft in Helmform (Abb. 7). Beispiele für Mikroangiopathien mit Hämolyse sind das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS; Kap. „Hämolytisch-urämisches Syndrom“), die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP; Kap. „Hämolytisch-urämisches Syndrom“) und das Kasabach-Merritt-Syndrom bei großen gefäßreichen Tumoren (Kap. „Hauttumoren bei Kindern und Jugendlichen“).

Hämolytische Anämien aufgrund einer pathologischen Hämoglobinzusammensetzung

Hereditäre Störungen des Hämoglobins, also Hämoglobinopathien, können entsprechend der Funktion und relativen Abundanz des Hämoglobins eine Vielzahl von Symptomen verursachen. Diese werden bedingt durch Störungen des Sauerstofftransports, Störungen der rheologischen Eigenschaften des Blutes, Störungen der Blutbildung, Störung der Membraneigenschaften der Erythrozyten und Instabilität der Erythrozyten, also Hämolyse. Bei jeder einzelnen Hämoglobinopathie können die genannten Aspekte in wechselnder Ausprägung vorhanden sein.
Hämoglobin (HbA) ist ein Heterotetramer aus je 2 α- und β-Globinketten mit insgesamt 4 Häm-Gruppen als Sauerstoffbindungsstelle. Die Bindung von Sauerstoff erfolgt kooperativ, d. h. wenn eine Sauerstoffbindungsstelle besetzt und die stabilere Deoxyform aufgebrochen ist, werden auch die übrigen Bindungsstellen leichter besetzt. Daraus resultiert die sigmoide Kurve der Sauerstoffbindung, die durch physiologische Veränderungen, u. a. des pH-Werts, der Chlorid- und Kohlendioxidkonzentration und der Konzentration an 2,3-Bisphosphoglycerat verschoben wird. Dadurch werden Sauerstoffaufnahme und -abgabe in der Lunge bzw. im Gewebe optimiert. Hämoglobin in Vollblut ist bei einer Sauerstoffspannung von 26 mmHg halbmaximal mit Sauerstoff gesättigt. Dies liegt im Bereich der mittleren venösen Sauerstoffspannung von 30 mmHg und erlaubt eine gute Ausschöpfung der Sauerstofftransportkapazität.
Genetisch liegen den Hämoglobinopathien Mutationen der Globingene zugrunde. Grundsätzlich unterscheidet man 2 Typen von Globingenmutationen:
  • Bei der einen wird das Expressionsniveau der betroffenen Globinkette reduziert, was zur Thalassämie führt.
  • Bei der anderen ändert sich die Struktur des Hämoglobins, was als Hämoglobinanomalie bezeichnet wird.
Viele der Hämoglobinanomalien bleiben asymptomatisch, weil die meisten Aminosäuresubstitutionen in den Globinketten funktionell neutral bleiben. Für die klinische Ausprägung ist darüber hinaus von Bedeutung, wann während der Entwicklung eine Globinkette exprimiert wird. Störungen des β-Globins beispielsweise werden erst ab einem Alter von 3–6 Monaten symptomatisch, wenn physiologischerweise die Expression des fetalen γ-Globins abgelöst wird durch β-Globin.
Bei den Thalassämien kann sich kein oder, bei noch vorhandener Restaktivität des betroffenen Gens, zu wenig normales Heterotetramer bilden. Das quantitativ regelrecht gebildete andere Globinkettenpaar ist nicht funktionell, schlecht löslich und als sog. Überschussglobin toxisch für die erythropoetische Zelle. Bei den homozygoten β-Thalassämien führt das überschüssige α-Globin zur ineffektiven Erythropoese, d. h. zum Zelltod bereits auf der Stufe der erythroiden Vorläuferzellen im Knochenmark bei nur geringgradiger peripherer Hämolyse. Bei den α-Thalassämien findet sich vornehmlich eine periphere Hämolyse. Das Überschusshämoglobin ist stabiler als bei der β-Thalassämie und kann ab der späteren Säuglingszeit im frischen Blut als HbH (β4) und in der Fetalzeit, der Neugeborenenperiode und in der frühen Säuglingszeit als Hb Bart’s (γ4) nachgewiesen werden. Bei den schweren Formen der α-Thalassämie haben diese Überschusshämoglobine den jeweiligen klinischen Erkrankungen als HbBart’s Hydrops fetalis bzw. als HbH-Krankheit den Namen gegeben. Es gibt auch Thalassämien, bei denen es zusätzlich zu Veränderungen der Globinkettenstruktur kommt. Häufiges Beispiel ist das HbE.
Die in Europa zahlenmäßig bedeutsamsten Hämoglobinopathien sind die Sichelzellkrankheit und die Thalassämiesyndrome. In Asien ist das HbE ausgesprochen häufig.

Hämolytische Anämien aufgrund instabiler Hämoglobine

Beispielhaft für diese seltene Form der hereditären hämolytischen Anämie ist das Hb Köln, bei dem eine Mutation der Häm-Bindetasche die Häm-Globin-Interaktion und damit das Hämoglobin insgesamt destabilisiert. Dadurch wird die Oxidation des Häm-Eisens begünstigt. Das oxidierte Häm kann vom Globin dissoziieren oder aber kovalent an den Globinanteil gebunden werden. Letztlich kommt es zur irreversiblen Denaturierung des Hämoglobins mit Bildung der mikroskopisch nachweisbaren Heinz-Körperchen.
Instabile Hämoglobine werden autosomal-dominant vererbt. Klinisch zeigen sich Blässe, Ikterus und Splenomegalie, die Abbauprodukte des Häms können den Urin braun färben (Mesobilifuszinurie). Die Hämolyse kann krisenhaft verstärkt werden durch Infektionen oder auch durch Exposition mit Medikamenten wie Sulfonamiden. Die typischen Heinz-Innenkörper können am besten im mit Brillantkresylblau gefärbten Blutausstrich dargestellt werden. Die Diagnose wird durch die DNA-Analyse der Globingene gesichert.
Die meisten Patienten mit Heinz-Körper-Anämie bedürfen keiner spezifischen Therapie. Auslösende Agenzien sollten gemieden werden, hämolytische oder aplastische Krisen können durch Transfusionen überbrückt werden. Eine Splenektomie ist nur bei Hypersplenismus indiziert. Einzelne Patienten wurden, in Analogie zur Sichelzellkrankheit, mit Hydroxycarbamid behandelt.

Sichelzellkrankheit

Definition und Pathophysiologie
Die Sichelzellkrankheit ist eine autosomal-rezessiv vererbte hämolytische Anämie, die sich aufgrund der Neigung zu Gefäßverschlüssen durch pathologisch veränderte Erythrozyten, die Sichelzellen, als Multiorganerkrankung manifestiert (Tab. 5).
Tab. 5
Ausgewählte Organmanifestationen der Sichelzellkrankheit
Organ
Manifestation
ZNS
- Kinder: ischämische Infarkte durch Verschlüsse großer Arterien
- Erwachsene: intrakranielle Blutungen
Lunge
Akutes Thoraxsyndrom,
pulmonaler Hypertonus
Gastrointestinaltrakt
Girdle-Syndrom: paralytischer Ileus bei Mesenterialinfarkt,
Cholezystolithiasis und Cholezystitis,
Leber: Sequestration, Infarkte
Milz
Milzsequestration,
funktionelle Asplenie durch Milzinfarkte
Skelettsystem
Schmerzkrisen,
avaskuläre Osteonekrosen
Urogenitaltrakt
Verlust der Urinkonzentrationsfähigkeit,
Makrohämaturie durch Papillennekrosen,
Proteinurie,
chronisches Nierenversagen,
Auge
Proliferative Retinopathie
Blut
Chronische hämolytische Anämie,
aplastische Krise
Genetisch liegt der Sichelzellkrankheit eine Homozygotie für die HbS-Mutation (β6Glu → Val), eine gemischte Heterozygotie für HbS und β-Thalassämie (Sichelzell-β-Thalassämie) oder eine gemischte Heterozygotie für HbS und andere anomale Hämoglobine, z. B. HbC (HbSC-Krankheit) zugrunde. Da bei Heterozygoten eine relative Resistenz gegen schwere Verlaufsformen der Malaria besteht, ist das Vorkommen der HbS-Mutation an das Vorkommen der Malaria gebunden („balancierende Selektion“). In Deutschland tritt die Sichelzellkrankheit ausschließlich bei Immigranten aus dem Mittelmeerraum, Zentralafrika, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Indien auf.
HbS polymerisiert im deoxygenierten Zustand zu langen Aggregaten und zwingt dem betroffenen Erythrozyten die namensgebende Sichelform auf (Abb. 10). Diese geschädigten Erythrozyten verlieren ihre Verformbarkeit und werden durch das retikuloendotheliale System bevorzugt abgebaut. Sie sind, gemeinsam mit einer chronischen Hyperkoagubilität und einer multifaktoriell bedingten Endothelschädigung, verantwortlich für die Neigung zu Gefäßverschlüssen, die zu den zahlreichen Komplikationen der Sichelzellkrankheit führt.
Klinische Symptome
Die chronische hämolytische Anämie ist meist gut kompensiert und zeigt sich als Blässe, Ikterus, beim Kleinkind auch mit einer Splenomegalie. Symptomatisch werden die Kinder meist im Alter von einigen Monaten, wenn die γ-Globin-Synthese von der Synthese des mutierten β-Globins abgelöst wird. Wie bei anderen chronischen hämolytischen Anämien ist eine Cholezystolithiasis häufig. Die Erstinfektion mit Parvovirus B19 kann eine aplastische Krise auslösen.
Für die Prognose und auch die Lebensqualität von Patienten mit Sichelzellkrankheit sind die durch Vasookklusion hervorgerufenen Symptome wesentlich beeinträchtigender als die der Hämolyse. Häufigste solche Ereignisse sind akute Schmerzkrisen, auch als vasookklusive Krisen bezeichnet, die bei kleinen Kindern bevorzugt als Hand-Fuß-Syndrom auftreten, bei größeren Kindern die langen Röhrenknochen und auch den Rumpf betreffen. Sie werden ausgelöst durch Kälte, Infektionen oder Dehydratation. Die Schmerzen werden als vernichtend empfunden und bedürfen regelhaft einer intensiven Analgesie, oft auch mit Opioiden. Schmerzkrisen können als entzündliche Reaktion von Fieber und einem lokalen Ödem begleitet sein, sodass im Einzelfall die Abgrenzung zur Osteomyelitis schwierig sein kann, die im Gegensatz zur vasookklusiven Krise typischerweise jedoch asymmetrisch auftritt. Okklusionen der Mesenterialgefäße manifestieren sich mit Bauchschmerzen und paralytischem Ileus und werden als Girdle-Syndrom bezeichnet.
Das relativ saure und hypoxische Milieu der roten Milzpulpa begünstigt die Aggregation des HbS. Dies kann bei Kleinkindern zur lebensbedrohlichen Milzsequestration führen, die sich als rasch einsetzende Milzvergrößerung mit krisenhafter Anämisierung trotz hoher Retikulozytenzahlen äußert und eine dringliche Transfusionsindikation darstellt. Auch ohne klinisch apparente Milzsequestration kommt es aufgrund rezidivierender Milzinfarkte typischerweise zur funktionellen Asplenie, die sich in der besonderen Anfälligkeit für invasive Infektionen durch bekapselte Erreger äußert. Ähnlich wie die Milz sind auch die Papillen des Nierenmarks anfällig für die Sichelzellbildung. Daraus resultierten Papillennekrosen, die sich akut als Makrohämaturie und chronisch als Hyposthenurie und Niereninsuffizienz manifestieren.
Durch die Sequestration von Blut in der Lungenstrombahn kommt es zum akuten Thoraxsyndrom. Dieses äußert sich durch Thoraxschmerzen, Husten, Tachydyspnoe und radiologisch als neu aufgetretenes Infiltrat, sodass es von einer Pneumonie nicht unterschieden werden kann. Auslösend können pulmonale Infekte mit Minderperfusion einzelner Lungenabschnitte sein, aber auch Fettembolien nach vorangegangenen Schmerzkrisen. Das akute Thoraxsyndrom löst jenseits des Kleinkindesalters die Milzsequestration als häufigste letal verlaufende Komplikation der Sichelzellkrankheit ab und wird wie diese mittels (Austausch-)Transfusionen behandelt.
Etwa 7 % der Sichelzellpatienten erleiden, oft schon im Kindesalter, Verschlüsse oder auch Blutungen der großen intrakraniellen Gefäße, die sich als Apoplex äußern. Beschleunigungen der Flussraten in der A. cerebri media können mittels transkranieller Doppler-Messung festgestellt werden und zeigen an, welche Patienten einem hohen Risiko für solche Infarkte ausgesetzt sind. Sie werden ebenso wie Patienten mit bereits erfolgten Schlaganfällen einem prophylaktischen chronischen Transfusionsprogramm zugeführt.
Bei männlichen Patienten jenseits des 5. Lebensjahres, insbesondere bei solchen mit ausgeprägter Hämolyse, kann ein Priapismus akut Schmerzen und auf Dauer eine Impotenz verursachen.
Diagnose
Laborchemisch findet sich bei der homozygoten Sichelzellkrankheit eine hyperregeneratorische hämolytische Anämie mit der typischen Morphologie (Abb. 10). Die Auftrennung der Hämoglobinvarianten ergibt den Nachweis von HbS ohne Nachweis von HbA. Die isolierte Heterozygotie für HbS, bei der etwa 30–40 % HbS nachgewiesen werden, hat keinen Krankheitswert. Die Diagnose kann im Neugeborenenscreening wie auch später im Leben mittels Hämoglobinanalyse oder auch molekulargenetisch gestellt werden. Ein solches Screening wurde in Deutschland bisher nicht etabliert, hat aber in Ländern wie den USA, Belgien oder dem Vereinigten Königreich zu einer deutlichen Reduktion der Sterblichkeit von Patienten mit Sichelzellkrankheit im Kleinkindesalter geführt.
Therapie und Prävention
Die frühzeitige Diagnosestellung und Prophylaxe mit Penicillin sowie die konsequente Durchführung der Pneumokokken- und Meningokokkenimpfung kann die Mortalität durch die infektiösen Komplikationen der funktionellen Asplenie verringern. Die Eltern der Patienten mit Sichelzellkrankheit sollten zur täglichen Milzpalpation angeleitet werden, um eine Milzsequestration frühzeitig zu erkennen.
Die prophylaktische Gabe von Hydroxycarbamid kann in allen untersuchten Altersgruppen, u. a. durch die Induktion der HbF-Synthese, die Häufigkeit von Schmerzkrisen und des akuten Thoraxsyndroms senken. Sie hat sich auch bei Kleinkindern als sicher erwiesen und gilt als grundsätzlich indiziert bei allen Patienten mit symptomatischer Sichelzellkrankheit.
Etablierte Indikation für ein chronisches Transfusionsprogramm ist die Verhinderung eines ZNS-Infarktes nach vorangegangenem Infarkt und bei erhöhten Flussgeschwindigkeiten in der A. cerebri media. Vor größeren chirurgischen Eingriffen kann ebenfalls durch Transfusionen das Risiko perioperativer vasookklusiver Komplikationen verringert werden.
Schmerzkrisen bedürfen einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr, einer warmen Umgebung und einer schnellen und intensiven Analgesie. Indikationen zur Transfusion bzw. Austauschtransfusion sind lebensbedrohliche vasookklusive Ereignisse, also die Milzsequestration, das akute Thorax-Syndrom, ein akuter ZNS-Infarkt und das Girdle-Syndrom.
Der Priapismus bei Sichelzellenpatienten kann konservativ mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr, Blasenentleerung, Analgetika und oral verabreichten α-adrenergen Agonisten (Effortil) behandelt werden. Persistiert hierunter der Priapismus über >3 Stunden, wird die intrakavernöse Gabe von α-Adrenergika (Suprarenin) empfohlen. Auch Transfusionen sind gegen chronisch-rekurrierenden Priapismus wirksam.
Einzig etablierte kurative Therapie der Sichelzellkrankheit ist die allogene Stammzelltransplantation. Sie wird mittlerweile für alle Patienten mit Sichelzellkrankheit, für die ein HLA-identischer Stammzellspender in der Familie zur Verfügung steht, empfohlen. Darüber hinaus gibt es Einzelfallberichte einer erfolgreichen Gentherapie mit einem lentiviralen Vektor.
Prognose
Wie der klinische Verlauf ist auch die Prognose der Sichelzellkrankheit ausgesprochen variabel und hängt unter anderem vom genetischen Hintergrund ab. Bei optimaler Betreuung erreichen 90 % der Patienten mit Sichelzellkrankheit das Erwachsenenalter, die durchschnittliche Lebenserwartung wird mit 40–50 Jahren bei stark reduzierter Lebensqualität angegeben.

Anämien mit Dyserythropoese und ineffektiver Erythropoese

Von ineffektiver Erythropoese spricht man, wenn im Knochenmark zwar erythropoetische Vorläufer in großer Zahl nachweisbar sind, aber aufgrund einer beschleunigten Apoptose der Vorläufer nur unverhältnismäßig wenige Retikulozyten in das periphere Blut ausgeschwemmt werden. Einige der zuvor unter hyporegeneratorische Anämien beschriebenen Erkrankungen, wie die megaloblastären Anämien und die sideroblastischen Anämien, zeichnen sich neben anderen Merkmalen auch durch eine ineffektive Erythropoese aus. Im Folgenden werden angeborene Erkrankungen beschrieben, bei denen eine vererbte Störung zur ineffektiven Erythropoese führt.

Thalassämiesyndrome

Thalassämien sind Erbkrankheiten, bei denen die verminderte Expression einer Hämoglobinkette zu einer mikrozytären Anämie mit intra- und extramedullärer Hämolyse führt. Durch das Ungleichgewicht zwischen den Globinketten präzipitieren die überschüssigen Globinketten oder bilden infunktionelle Tetramere, wie das HbH (β4) oder Hb Bart’s (γ4). Wenn diese mit pathologischen Innenkörpern beladenen Erythrozyten das Knochenmark verlassen können, werden sie bevorzugt von der Milz abgebaut.
Es wurden mehrere Hundert Mutationen der Globingene beschrieben, die Thalassämiesyndrome verursachen können. Je nachdem, welche Globinkette vermindert gebildet wird, spricht man von α-, β-, γ- oder δ-Thalassämie. Davon sind insbesondere die ersten beiden von klinischer Bedeutung und zählen zu den häufigsten Erbkrankheiten weltweit. Die Thalassämiesyndrome werden in der Regel rezessiv vererbt. Aufgrund der Vielzahl der Thalassämiemutationen mit variabler Auswirkung auf das Expressionsniveau der betroffenen Globinkette, aufgrund des gleichzeitigen Vorliegens von mehreren Thalassämiemutationen und aufgrund des Einflusses modifizierender genetischer Faktoren ist die klinische Ausprägung der Thalassämiesyndrome sehr variabel und kann nicht immer aus der Sequenzanalyse der Globingene vorhergesagt werden (Tab. 6).
Tab. 6
Klinische Erscheinungsformen der β-Thalassämie
Parameter
β-Thalassaemia minor
β-Thalassaemia intermedia
β-Thalassaemia major
Hämoglobinkonzentration (g/dl)
>10
7–10
kein regelmäßiger Transfusionsbedarf
<7
regelmäßiger Transfusionsbedarf
MCV (fl)
55–69
50–60
50–60
HbA2 (%)
3,5–8
Variabel
Variabel
HbF (%)
1–5
20–80
70–90 (vor Transfusionen)
Hepatosplenomegalie, Skelettveränderungen durch Knochenmarkhyperplasie
++
Bei nicht transfundierten Patienten +++
Organsiderose
++
+++
Therapie
Keine;
humangenetische Beratung, wenn beide Eltern heterozygot sind
Optionen:
Transfusionen bei Bedarf
Eisenchelattherapie bei Bedarf
Hydroxycarbamid
Splenektomie
Regelmäßige Erythrozytentransfusionen
Eisenchelattherapie
allogene Stammzelltransplantation
Die Prävalenz der Thalassämie ist, wie auch die der Sichelzellkrankheit und des Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangels, in Malariaendemiegebieten erhöht. Durch die Immigration aus dem Mittelmeerraum, Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Indien ist vor allem die β-Thalassämie auch in Mitteleuropa zu einer relevanten Krankheit geworden. Die α-Thalassämie ist vor allem in Südostasien, weniger in Afrika und den Mittelmeerländern verbreitet.

Heterozygote β-Thalassämie

Das Vorliegen einer heterozygoten β0- oder β+-Mutation, also einer Mutation des β-Globingens mit vollständig oder teilweise fehlender Expression, führt zu einer ausgeprägten Mikrozytose, jedoch nur zu einer leichtgradigen Anämie oder einer Hb-Konzentration im unteren Normalbereich ohne klinische Symptome (Thalassaemia minor). Die fehlende Anisozytose und das normwertige Ferritin unterscheiden die Thalassaemia minor von der Eisenmangelanämie. Hilfreich bei der Diagnose kann das Blutbild beider Eltern sein, von denen mindestens ein Teil ebenfalls eine Mikrozytose aufweisen sollte. Die Diagnose wird über die Hämoglobinanalyse bestätigt. Die in relativem Überschuss vorliegenden α-Globinketten binden sich unter diesen Bedingungen vermehrt an die δ-Globinketten, sodass das HbA22δ2) erhöht ist. Eine molekulargenetische Sicherung der Diagnose ist im Kontext einer humangenetischen Beratung indiziert, wenn beide Eltern heterozygot sind.
Die Thalassaemia minor erfordert keine Therapie. Häufig führt die Mikrozytose ohne oder bei leichter Anämie zu der Fehldiagnose einer Eisenmangelanämie. Eine Eisensubstitution ist jedoch bei der Thalassaemia minor nur bei nachgewiesenem Eisenmangel mit erniedrigtem Serumferritin indiziert. Liegt bei beiden Eltern eine Thalassaemia minor vor, besteht das Risiko einer homozygoten Thalassaemia major. Hierüber sollten Paare mit Kinderwunsch in einer humangenetischen Beratung aufgeklärt werden.

Homozygote β-Thalassämie

Pathogenese
Bei der β-Thalassaemia major sind beide Allele des β-Globingens mutiert, sodass je nach Mutationstyp kein oder nur sehr wenig β-Globin gebildet werden kann. Durch diese ererbte Störung der Hämoglobinsynthese erklärt sich die Mikrozytose und Hypochromie der Thalassämie. Gleichzeitig besteht ein Überschuss an α-Globinketten, die noch in den erythropoetischen Vorläufern präzipitieren und deren Ausreifung verhindern. Daraus resultieren eine intramedulläre Hämolyse und ineffektive Erythropoese, außerdem veränderte Membraneigenschaften und verkürzte Lebensdauer der reifen Erythrozyten. Die Bildung des HbF (α2γ2) ist nicht gestört. Deshalb werden Patienten mit β-Thalassaemia major meist erst im Alter von etwa 6 Monaten symptomatisch. Ohne regelmäßige Transfusionen versterben Patienten mit β-Thalassaemia major in den ersten Lebensjahren.
Klinische Symptome
Im Säuglingsalter fallen die Blässe mit Ikterus und Hepatosplenomegalie auf. Paraklinisch zeigt sich eine mikrozytäre Anämie mit Hyperbilirubinämie und inadäquat niedrigen Retikulozytenzahlen. Im Blutausstrich findet sich eine Poikilozytose mit Targetzellen, Anisozytose, basophiler Tüpfelung und Erythroblasten (Abb. 11). Durch die stark gesteigerte, aber ineffektive Erythropoese kommt es über eine maximale Expansion der Knochenmarkräume zu den typischen Skelettdeformitäten und zur Osteoporose. Diese betreffen die Schädelknochen mit prominenten Jochbögen und Oberkiefer (Facies thalassaemica, Abb. 12), verdickter Schädelkalotte, später auch die Wirbelkörper und die Rippen. Durch die gesteigerte intestinale Eisenresorption und die unausweichlichen Erythrozytentransfusionen kommt es rasch zur Hämosiderose von Leber, Herz und endokrinen Organen, die zu Leberzirrhose, chronischer Herzinsuffizienz und Polyendokrinopathie führen kann.
Bei Patienten, die noch eine Restsynthese von Hämoglobin aufweisen und nur gelegentlich, beispielsweise anlässlich infektgetriggerter hämolytischer Krisen, transfundiert werden müssen, spricht man von β-Thalassaemia intermedia. Auch diese Patienten erleiden die Folgen der ineffektiven Erythropoese, der chronischen Hämolyse, der Skelettdeformitäten und der Eisenüberladung.
Diagnose
Die Diagnose wird anhand der Hämoglobinanalyse bestätigt: Diese zeigt eine deutliche Erhöhung des HbF. Die zusätzliche molekulargenetische Analyse kann für eine pränatale Diagnostik hilfreich sein und bei der β-Thalassaemia intermedia Anhalt für die molekulare Pathogenese des varianten Phänotyps geben. Letzterem dient auch der molekulare Nachweis modifizierender Faktoren, wie gleichzeitig vorliegender α-Thalassämiedeletionen oder aktivierender Mutationen des γ-Globinpromotors. Beide Veränderungen verringern den Überschuss freier α-Globinketten und führen so zu einer leichteren Verlaufsform der homozygoten β-Thalassämie.
Therapie
Bislang einzige etablierte kausale Therapie der β-Thalassaemia major ist die allogene Stammzelltransplantation (Kap. „Transplantation hämatopoetischer Stammzellen bei Kindern und Jugendlichen“). Aufgrund des erheblichen Risikos eines Wiederkehrens der β-Thalassämie bei autologer Rekonstitution und insbesondere aufgrund der therapiebedingten Morbidität und Mortalität gilt sie aktuell nur bei Verfügbarkeit eines HLA-identischen Stammzellspenders als indiziert. Die Gentherapie mit lentiviraler Transduktion autologer hämatopoetischer Zellen hat insbesondere bei Patienten mit β+-Mutation langfristige Transfusionsunabhängigkeit ergeben und könnte möglicherweise in Zukunft die Stammzelltransplantation ersetzen oder ergänzen.
Erythrozytentransfusion
Die konventionelle Therapie der β-Thalassämie besteht in der regelmäßigen Transfusion von Erythrozytenkonzentraten. Neben der Korrektur der Anämie ist das Ziel, die ineffektive Eigenerythropoese zu supprimieren, um den deformierenden Skelettveränderungen und der Ausbildung von raumfordernden extramedullären Blutbildungsstrukturen vorzubeugen. Das kann erreicht werden, wenn der minimale Hämoglobinwert unmittelbar vor Transfusion nicht unter 9,5–10 g/dl liegt. Neben den potenziellen infektiösen und immunologischen Komplikationen der Transfusionen ist besonders die Störung der Eisenhomöostase von Bedeutung: Die Eisenzufuhr über die Erythrozytentransfusionen (ca. 1 mg/ml Erythrozytenkonzentrat) überschreitet bei weitem die physiologische Eisenzufuhr (rund 1 mg/d). Unbehandelt führt die daraus resultierende Eisenüberladung zur Leberzirrhose, zum Hypogonadismus, zum Diabetes mellitus, zur Hypothyreose und im Mittel um das 15.–16. Lebensjahr meist durch Kardiomyopathie zum Tod.
Eisenelimination
Zur Eisenelimination bei Patienten mit β-Thalassämie stehen mittlerweile 3 verschiedene Chelatbildner zur Verfügung. Das seit Jahrzehnten erprobte Deferoxamin ist wirksam, muss jedoch aufgrund der fehlenden enteralen Resorptionsfähigkeit und der kurzen Plasmahalbwertszeit täglich über mindestens 10 Stunden subkutan über eine Pumpe appliziert werden. Diese Therapie überfordert die Compliance vieler Patienten. Seit mehreren Jahren sind alternativ die oral verfügbaren Chelatbildner Deferipron und Deferasirox verfügbar. Deferipron wurde aufgrund der potenziell bedrohlichen Nebenwirkung der Agranulozytose in den USA nicht zugelassen, steht jedoch in Europa zur Verfügung und bietet den Vorteil einer guten Mobilisierung des Herzeisens. Es wird in Kombination mit einem der beiden anderen Chelatoren, insbesondere bei fortgeschrittener Hämosiderose mit Kardiomyopathie, erfolgreich eingesetzt. Deferasirox hat aufgrund der guten Wirksamkeit, des relativ günstigen Nebenwirkungsprofils und insbesondere der oralen Applikationsform Deferoxamin als am häufigsten eingesetzter Eisenchelator abgelöst. Mit der verfeinerten Diagnostik der organspezifischen Eisenüberladung mittels Biomagnetometrie und MRT sowie der Verfügbarkeit dreier Chelatbildner mit jeweils unterschiedlicher Pharmakodynamik kann die Chelattherapie zunehmend auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasst werden. Dennoch müssen nicht nur das Ausmaß, sondern auch die Folgen der Hämosiderose regelmäßig überwacht und gegebenenfalls durch Hormonsubstitution behandelt werden.
Die bei den Thalassämien vergrößerte Milz kann zu Hypersplenismus und erhöhtem Transfusionsbedarf führen. Dann sollte sie operativ entfernt werden. Allerdings wird insbesondere bei der β-Thalassaemia intermedia nach Splenektomie eine erhöhte Rate thrombembolischer Komplikationen bis hin zum pulmonalen Hypertonus beobachtet, sodass die Splenektomie sehr zurückhaltend eingesetzt wird. Eine bei manchen Patienten wirksame Alternative bei der β-Thalassaemia intermedia kann die Induktion der HbF-Synthese mittels Hydroxycarbamid sein.

α-Thalassämie

Im Gegensatz zu dem β-Globingen liegt das α-Globingen in der diploiden Zelle vierfach vor. Die meisten α-Thalassämiemutationen sind Deletionen und wirken sich aufgrund der Beeinträchtigung der HbF-Synthese (α2γ2) schon in utero und im Neugeborenenalter aus.
Mit der Zahl der deletierten α-Globingene nimmt der Schweregrad der hämolytischen Anämie zu: Bei Deletion eines α-Globingens resultiert die asymptomatische α-Thalassaemia minima, die nur molekulargenetisch nachweisbar ist. Bei Deletion zweier α-Globingene findet sich, ähnlich der β-Thalassaemia minor, eine Mikrozytose ohne oder mit geringfügiger Anämie, allerdings außer einer möglichen Erniedrigung des HbA2 ohne Auffälligkeiten der Hämoglobinanalyse jenseits des Neugeborenenalters (α-Thalassaemia minor).
Die Deletion von 3 der 4 α-Globingene führt zur HbH-Krankheit oder α-Thalassaemia intermedia, die sich als angeborene chronische, mikrozytäre, hämolytische Anämie manifestiert. Da freie β-Ketten im Vergleich zu freien α-Ketten weniger zur Präzipitation neigen, sondern das infunktionelle HbH (β4) bilden, kann ein größerer Anteil der erythropoetischen Vorstufen ausreifen. Damit stehen bei der α-Thalassämie im Vergleich zur β-Thalassämie die Dyserythropoese und die Expansion des Knochenmarkraums weniger im Vordergrund. In der Hämoglobinanalyse findet sich im frischen Blut postpartal vermehrt Hb Bart’s (γ4), später das namensgebende HbH (β4). Viele der Patienten benötigen zumindest zeitweise, beispielsweise bei infektassoziiert verstärkter Hämolyse, Erythrozytentransfusionen und werden im Lauf der Adoleszenz splenektomiert. Wie bei anderen chronischen hämolytischen Anämien besteht eine Neigung zur Cholezystolithiasis.
Bei der homozygoten α-Thalassämie mit Deletion aller 4 α-Globingene können weder HbF noch HbA oder HbA2 gebildet werden. Diese Krankheit führt meist während des 3. Trimenons zum Hydrops fetalis und zum intrauterinen oder unmittelbar postpartalen Kindstod, weil die funktionellen embryonalen Hämoglobine Gower I (ζ2ɛ2), Gower II (α2ɛ2) und Portland (ζ2γ2) in der späten intrauterinen Phase nicht mehr gebildet werden und das während der Fetalzeit überwiegend gebildete Hb Bart’s (γ4) aufgrund seiner extrem hohen Sauerstoffaffinität nicht wirksam Sauerstoff transportieren kann. Einzelne Kinder wurden nach intrauteriner Transfusion lebend geboren und überleben analog der β-Thalassaemia major transfusionsabhängig.

Kongenitale dyserythropoetische Anämien

Die kongenitalen dyserythropoetischen Anämien (CDA), für die 4 Typen beschrieben und zum Teil molekular charakterisiert sind, zeichnen sich durch eine Anämie mit relativer Retikulozytopenie und intramedullärer Hämolyse aus (Tab. 7). In der Knochenmarkzytologie zeigen sich typische morphologische Veränderungen mit unter anderem Chromatinbrücken und Multinuklearität (Abb. 13).
Tab. 7
Kongenitale dyserythropoetische Anämien (CDA)
CDA Typ
Verändertes Gen (OMIM#)
Vererbungsmodus
 
I
CDAN1
(#224120)
Autosomal-rezessiv
Bisher ca. 100 Fälle beschrieben, Interferon α2a wirksam
II
SEC23B
(#224100)
Autosomal-rezessiv
Häufigste Form der CDA;
Hypoglykosylierung des Bande-3-Proteins; Splenektomie wirksam
III
KIF23
(#105600)
Autosomal-dominant
Vorwiegend in einer schwedischen Großfamilie
IV
KLF1 (erythroid Krüppel-like factor, #613673)
Autosomal-dominant/Neumutationen
Bisher 2 Fälle beschrieben; Splenektomie wirksam
Der Schweregrad der Erkrankung kann sehr unterschiedlich sein, dementsprechend wird die Diagnose teilweise schon bei Säuglingen, teilweise auch erst im Erwachsenenalter gestellt. Komplikationen sind die chronische Hämolyse mit Cholezystolithiasis und eine Eisenüberladung infolge der gesteigerten intestinalen Eisenresorption.
Ein Teil der Patienten bedarf regelmäßiger Transfusionen. Diese Patienten, wie auch die mit Eisenüberladung wegen erhöhter intestinaler Resorption, müssen eine Eisenchelattherapie erhalten. Bei CDA Typ II ist die Splenektomie wirksam, bei CDA Typ I kann die regelmäßige Gabe von Interferon α-2a hilfreich sein.

Anämien durch Blutverlust

Anämie durch akuten Blutverlust

Bei akuten Blutverlusten >10 % des Blutvolumens treten die Zeichen eines Volumenmangelschocks mit Tachykardie, Blutdruckabfall und Bewusstseinsstörung ein, bevor im Blutbild Änderungen von Hämatokrit oder Hämoglobinkonzentration messbar sind. Erst nach 8–24 Stunden fällt der Hämatokrit durch Einstrom von extravasaler Flüssigkeit ab. Die sich entwickelnde Anämie ist bei akuter Blutung normozytär, während eine mikrozytäre Anämie auf einen chronischen Blutverlust mit Eisenmangel hindeutet. Nach etwa 5 Tagen ist ein reaktiver Retikulozytenanstieg zu erwarten.

Anämie durch chronischen Blutverlust

Der Eisenverlust durch chronischen Blutverlust kann die Kapazität zur intestinalen Eisenaufnahme übersteigen und dann zu einer hypochromen, mikrozytären Anämie führen. Ursachen sind insbesondere okkulte Blutungen aus dem Gastrointestinaltrakt, aber auch Hypermenorrhoe bei adoleszenten Mädchen und rezidivierende Epistaxis. Neben der Beseitigung der Blutungsquelle ist eine Eisensupplementation erforderlich.
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